Séptima Pars

Beehren Euer Exzellenz uns heute mit Ihrer Anwesenheit um zu hören, wie mein eheliches Leben verlaufen ist?

Ich vermute, Ihr werdet meinen Bericht darüber weit weniger ereignisreich – und, wie ich hoffe, weniger als eine Zumutung für das Feingefühl Euer Exzellenz – finden als die stürmischen Zeiten meiner jüngeren Mannesjahre. Wenn ich auch leider sagen muß, daß die Eheschließungszeremonie mit Zyanya von Sturm und Gewitter überschattet war, ist es mir eine Genugtuung festzustellen, daß der größte Teil meiner Ehe hinterher sonnig und ruhig verlief. Womit ich nicht sagen will, daß sie je langweilig gewesen wäre; gemeinsam mit Zyanya erlebte ich viele weitere Abenteuer und Aufregungen, ja, schon die Tatsache, daß sie überhaupt da war, machte jeden Tag zu einem aufregenden Erlebnis. Außerdem standen die Mexíca in den Jahren, die unserer Heirat folgten, auf dem Höhepunkt ihrer Macht und übten sie kraftvoll aus; dabei hatte ich gelegentlich mit Geschehnissen zu tun, von denen ich heute weiß, daß sie nicht ganz bedeutungslos waren. Doch damals stellten sie für Zyanya und mich – und zweifellos auch für die Mehrheit der Gemeinfreien wie uns – nur eine Art von kolossalem Wandgemälde dar mit vielen Figuren darauf, vor dem wir unser privates kleines Leben lebten, unsere kleinen Triumphe feierten und unser unbedeutendes kleines Glück auskosteten.

O nein – nicht, daß mir auch nur den geringsten Teil unserer Ehe für belanglos und unbedeutend gehalten hätten. Gleich zu Anfang fragte ich Zyanya, wie sie dieses zitternde Zusammenziehen des kleinen Tipili-Ringmuskels zustande bringe, welches unsere körperliche Vereinigung so außerordentlich aufregend machte. Sie errötete vor Schüchternheit und Freude und murmelte: »Da könntest du genausogut fragen, wie ich es fertigbringe, mit dem Auge zu zwinkern. Es geschieht einfach, wenn ich es will. Ist das nicht bei jeder Frau so?«

»Ich habe nicht alle Frauen kennengelernt«, sagte ich, »und verspüre auch nicht den Wunsch danach, jetzt, wo ich die allerbeste von allen habe.«

Doch Euer Exzellenz sind an derlei häuslichen Einzelheiten nicht interessiert. Ich glaube, am besten – auf daß Ihr sie vor Euch seht und sie schätzen lernt – vermittle ich Euch ein Bild von Zyanya, indem ich sie mit einer Pflanze vergleiche, welche wir Metí nennen – wenngleich die Metí bei weitem nicht so schön ist wie Zyanya und weder imstande zu lieben, noch zu sprechen, noch zu lachen.

Bei der Metí, Euer Exzellenz, handelt es sich um den mannshohen grünen oder blauen Strauch, den ihr uns Maguey oder Schwarzgrüne Agave zu nennen gelehrt habt. In ihrer vielseitigen Verwendbarkeit und Schönheit muß die Schwarzgrüne Agave zu den nützlichsten Pflanzen überhaupt gerechnet werden. Ihre langen, geschwungenen und ledrigen Blätter ergeben, wenn man sie – mit den Rändern ineinanderfassend – übereinanderlegt, ein wasserdichtes Hausdach. Zerklopft man die Blätter zu einem Brei, preßt diesen aus und trocknet ihn, ergibt das Papier. Auch lassen die Blattfasern sich lösen und vom feinsten Faden bis zum dicksten Seil zusammendrehen; und die feineren Fäden lassen sich zu einem rohen, gleichwohl jedoch äußerst nützlichen Tuch verweben. Die harten spitzen Stacheln, welche jedes Blatt am Rand bewehren, dienen als Nadeln und Nägel. Unseren Priestern dienten sie als Instrumente, sich damit zu kasteien oder zu verstümmeln.

Die in größter Bodennähe wachsenden Blattschößlinge sind weiß und zart, lassen sich kochen und zu einer köstlichen süßen Leckerei verarbeiten. Außerdem lassen sie sich trocknen und ergeben dann ein lange brennendes, rauchloses Brennmaterial, und die weiße Asche, die zurückbleibt, dient zu allem möglichen, von der Beschichtung des Borkenpapiers bis zur Seifenherstellung. Schneidet man die Mittelblätter der Schwarzgrünen Agave ab und kratzt das Herz heraus, sammelt sich darin der reine Pflanzensaft, der ebenso wohlschmeckend wie nahrhaft ist. Bestreicht man sich die Haut damit, wirkt selbiges der Bildung von Runzeln, Ausschlägen und Verunreinigungen entgegen; daher war ihre Anwendung bei unseren Frauen sehr im Schwange. Unsere Männer hingegen zogen es vor, den Saft zu vergären und das trunken machende Octli oder, wie ihr es nennt, Pulque daraus herzustellen. Unsere Kinder liebten den eingedickten Saft als Sirup; er ist dann seimig und süß wie Bienenhonig.

Kurz, die Schwarzgrüne Agave bietet jeden Teil ihrer selbst zum Wohlergehen von uns allen auf, die wir sie anbauen und pflegen. Und wenn sie auch unvergleichlich viel mehr war als das – so etwa war Zyanya. Sie war gut in jedem Teil, in jeder Weise und allem, was sie tat – und das nicht nur in bezug auf mich. Wiewohl mir selbstverständlich das Beste an ihr zuteil wurde, habe ich nie einen Menschen kennengelernt, der sie nicht geliebt, geschätzt und bewundert hätte. Zyanya war nicht nur Immer, sie war alles.

Doch ich möchte die Zeit Eurer Exzellenz nicht mit gefühlsseligen Erinnerungen verschwenden. Laßt mich wieder auf die Ereignisse zurückkommen, in der Reihenfolge, wie sie sich vollzogen.

Nachdem wir den mörderischen Zyú entkommen waren und das Erdbeben überlebt hatten, brauchten Zyanya und ich volle sieben Tage, um auf dem Landweg nach Tecuantépec zurückzukehren. Ob das Erdbeben die Wilden vernichtet hatte oder sie sich in dem Glauben wiegten, uns hätte dieses Schicksal ereilt, weiß ich nicht; jedenfalls wurden wir nicht verfolgt und auch sonst bei unserem beschwerlichen Marsch durch nichts anderes belästigt als gelegentlich durch Hunger und Durst. Vor einiger Zeit, beim Überfall der Räuber auf der Landenge, war ich meines Brennkristalls verlustig gegangen und hatte auch keinen Feuerbohrer bei mir; gleichwohl war unser Hunger nie so groß, daß wir rohes Fleisch gegessen hätten. Wir fanden genügend wilde Früchte, Beeren und Vogeleier, die wir ohne weiteres roh verzehren konnten; außerdem lieferten uns diese Dinge genügend Feuchtigkeit, damit wir zwischen den weit auseinander gelegenen Bergquellen nicht verdursteten. Des Nachts häuften wir Laub aufeinander und schliefen ineinander verschlungen, um uns gegenseitig zu wärmen und zu trösten.

Möglicherweise waren wir bei unserer Rückkehr nach Tecuantépec beide ein wenig schmaler geworden; abgerissen, barfuß und mit Blasen an den Füßen waren wir aber wohl, weil unsere Sandalen auf dem Felsgestein des Gebirges völlig zerschlissen worden waren. Müde und dankbar wankten wir in den Hof der Herberge hinein, Béu Ribé lief uns entgegen, uns willkommen zu heißen, und auf ihrem Gesicht lag eine Mischung aus Sorge, Verzweiflung und Erleichterung.

»Ich dachte, ihr wärt verschwunden wie unser Vater und würdet nie zurückkehren«, sagte sie halb lachend, halb scheltend, als sie zuerst Zyanya und dann mich glühend in die Arme schloß. Sie fuhr sich leicht mit der Hand über das Gesicht, und nun sah ich wieder ihr Lächeln seine Schwingen entfalten. »Töricht … gefährlich …« Ihre Augen weiteten sich, als sie ihre Schwester genauer ins Auge faßte, und das Wasser stieg ihr in die Augen, als sie mich ansah.

Wiewohl ich viele Jahre gelebt und viele Frauen gekannt habe, ist es mir immer noch unerfindlich, wieso Frauen augenblicklich und untrüglich erkennen, wann eine andere zum erstenmal einem Mann beigewohnt, sie also den nicht wieder rückgängig zu machenden Schritt von der Jungfrau zur Frau gemacht hat. Wartender Mond sah ihre Schwester mit einem erschrockenen und enttäuschten Gesicht an und mich voller Zorn und Groll.

»Wir werden heiraten«, beeilte ich mich zu sagen.

Zyanya sagte: »Wir hoffen, du bist einverstanden, Béu? Schließlich bist du das Oberhaupt der Familie.«

»Dann hättest du vorher ein Wort davon sagen können!« erklärte die ältere von beiden mit erstickter Stimme. »Ehe du …« Sie schien förmlich zu ersticken. Und dann waren ihre Augen nicht mehr feucht, sondern glühten. »Und nicht nur irgendeinen Ausländer, sondern auch noch einen von diesen tierischen Mexícatl, die unterschiedslos ihrer Geilheit nachgehen. Wärest du nicht so bequem dagewesen, Zyanya« – ihre Stimme wurde womöglich noch lauter und schriller –, »er wäre vermutlich mit einem dreckigen Zyú-Weib zurückgekommen, das von seinem unersättlichen langen Tepúli herunterhängt …«

»Beú!« entfuhr es Zyanya entsetzt. »So habe ich dich noch nie reden hören. Bitte! Ich weiß, all dies kommt sehr überraschend für dich, aber glaub mir, Záa und ich, wir lieben uns.«

»Überraschend? Glauben?« kam wild aus Béu Ribé heraus. Dann fuhr sie herum und überhäufte mich mit ihrem Zorn. »Seid Ihr sicher? Noch habt Ihr nicht alle Frauen aus der Familie ausprobiert.«

»Béu!« flehte Zyanya noch einmal.

Ich versuchte, sie zu beschwichtigen, doch klang das eher zaghaft: »Ich bin kein Edelmann, kein Pipiltin. Ich kann nur eine zur Frau nehmen.« Was mir von Zyanya wiederum einen Blick eintrug, der nicht weniger erbost war als das Funkeln ihrer Schwester. Rasch fügte ich deshalb hinzu: »Ich begehre Zyanya zur Frau. Ich würde es als eine Ehre empfinden, wenn ich Euch Schwester nennen dürfte, Béu!«

»Gern! Aber nur, um der Schwester Lebewohl zu sagen! Schert Euch fort und – und nehmt die Wahl Eures Herzens mit! Dank Eurer hat sie hier keine Ehre, keine Achtung, keinen Namen und kein Heim mehr. Kein Priester der Ben Záa wird euch trauen.«

»Das wissen wir«, sagte ich. »Um die Zeremonie zu vollziehen, werden wir nach Tenochtítlan gehen.« Ich bemühte mich um Festigkeit in meiner Stimme. »Aber es wird nichts sein, was man heimlich und in Schande vornehmen müßte. Wir werden von einem der Hohenpriester am Hofe des Uey-Tlatoáni der Mexíca getraut werden. Eure Schwester hat einen Ausländer gewählt, jawohl, aber keinen nichtswürdigen Vagabunden. Und heiraten wird sie mich, ob Ihr nun Euren Segen dazu gebt oder nicht.«

Diesen Worten folgte ein langes, spannungsgeladenes Schweigen. Tränen rannen den Mädchen über die nahezu gleichen wunderschönen, verlegenen Gesichter, und mir tropfte der Schweiß von der Stirn. Wir standen da, bildeten gleichsam die Winkel eines Dreiecks, das von unsichtbaren Óli-Bändern bis zum Zerreißen angespannt wurde. Doch ehe etwas riß, linderte Béu die Anspannung. Ihr Gesicht erschlaffte, die Schultern sackten ihr herab, und sie sagte:

»Es tut mir leid. Bitte verzeih mir, Zyanya. Und du auch, Bruder Záa. Selbstverständlich habt ihr meinen Segen und meine liebevollen guten Wünsche für euer Glück. Und ich bitte euch, vergeßt die anderen Worte, die ich gesprochen habe.« Sie versuchte über sich zu lachen, doch das Lachen platzte in der Mitte. »Es kam so überraschend, wie ihr gesagt habt. So unerwartet. Es kommt nicht alle Tage vor, daß ich … eine geliebte Schwester verliere. Aber jetzt kommt herein. Wascht euch, eßt und ruht euch aus.«

Seit damals haßt mich Wartender Mond bis auf den heutigen Tag.

Zyanya und ich blieben noch etwa weitere zehn Tage in der Herberge, hielten uns jedoch in dieser Zeit keusch voneinander fern. Wie zuvor, teilte sie ein Gemach mit ihrer Schwester, ich bewohnte meine eigene Kammer, und ich und sie sahen darauf, unsere Zuneigung zueinander nicht öffentlich zu bekunden. Während wir uns von unserer fehlgeschlagenen Expedition erholten, schien Béu sich von ihrer Enttäuschung und der Trauer zu erholen, welche unsere Rückkehr in ihr hervorgerufen hatte. Sie half Zyanya, aus ihrem gemeinsamen Besitz die vergleichsweise wenigen persönlichen Habseligkeiten sowie die geliebten und unersetzlichen Dinge, welche sie mitzunehmen gedachte, auszusuchen.

Da ich wieder einmal praktisch ohne eine Kakaobohne dastand, borgte ich mir von den Mädchen eine kleine Summe für die Reise und zusätzlich noch eine Summe, die ich durch Boten nach Nozibe bringen ließ, wo sie an jene Familie übergeben werden sollte, welche der unglückliche Fischer dort wohl hinterlassen hatte. Außerdem meldete ich den Zwischenfall dem Bishósu von Tecuantépec, welcher seinerseits versprach, den Herrn Kosi Yuela über die jüngste Schandtat der verachtenswerten Zyú zu unterrichten.

Am Vorabend unserer Abreise überraschte Béu uns mit einem Fest wie man es wohl gegeben haben würde, hätte Zyanya einen Mann der Ben Záa geheiratet. Teil nahmen daran alle Gäste der Herberge und jene Bürger der Stadt, die eigens dazu eingeladen wurden. Es waren Musikanten angeworben worden, Musik zu machen, und glänzend kostümierte Tänzer, welche die Genda Lizáa aufführten, den »Geist der Verwandtschaft« – Tanz der Wolkenmenschen.

Da das gute Einvernehmen zumindest nach außen hin unter uns dreien wiederhergestellt war, sagten Zyanya und ich Béu am nächsten Morgen mit ernsten Küssen Lebewohl. Wir reisten nicht auf direktem Wege sofort nach Tenochtítlan. Beide eine Last tragend, wandten wir uns über die flache Landenge zunächst nach Norden, zogen also auf demselben Wege dahin, auf dem ich nach Tecuantépec gekommen war, nur in umgekehrter Richtung. Und da ich nun nicht mehr nur an mich allein zu denken hatte, war ich ganz besonders vor Bösewichten auf der Hut, die uns auflauern könnten, trug mein Maquahúitl immer kampfbereit in der Hand und hielt stets die Augen offen, sobald wir durch Gelände kamen, in dem man uns leicht einen Hinterhalt hätte legen können.

Wir waren noch keinen Ein Langer Lauf unterwegs, da meinte Zyanya schlicht, aber erregt und erwartungsvoll: »Wenn ich überlege, daß ich weiter von daheim fortgehe, als ich es jemals zuvor getan habe!«

Diese wenigen Worte ließen mir das Herz höher schlagen und bewirkten, daß ich sie womöglich noch mehr liebte. Sie wagte sich hinaus in das große Unbekannte, tat es vertrauensselig, weil ich die Hand über sie hielt. Ich glühte vor Stolz und war von Dankbarkeit erfüllt dafür, daß ihr Tonáli und meines uns zusammengebracht hatte. Alle anderen Menschen in meinem Leben stammten aus der Zeit von gestern oder von früher, Zyanya hingegen war etwas Frisches und Neues, ein Mensch, der mir noch nicht zur Selbstverständlichkeit geworden war.

»Ich hätte nie geglaubt«, sagte sie und breitete die Arme weit aus, »daß es soviel Land und nichts weiter als Land überhaupt gibt!«

Selbst angesichts der glanzlos-eintönigen; Landschaft der Landenge konnte sie diesen Ausruf tun, brachte sie mich zum Lächeln und ließ mich an ihrer Begeisterung teilnehmen. So sollte es all unsere Tage und all unser Morgen über bleiben. Ich genoß das Vergnügen, sie mit Dingen bekannt zu machen, die für mich ganz alltäglich waren, für sie jedoch neu und fremd. Und sie wiederum brachte mich durch ihre ungespielte Freude darüber dazu, alle diese Dinge gleichfalls mit neuen Augen zu sehen.

»Sieh dir diesen Busch dort an, Záa. Er lebt, er denkt! Und hat Angst, der Ärmste! Siehst du? Wenn ich das Laub berühre, rollen die Blätter sich zusammen und schließen die Blüten sich fest, und zum Vorschein kommen Stacheln wie weiße Reißzähne!«

Sie war wie eine junge Göttin, erst vor kurzem geboren von Teteoinan, der Mutter der Götter, und frisch vom Himmel heruntergeschickt, sich mit der Erde vertraut zu machen. Noch die kleinste Kleinigkeit vermochte ihr Verwunderung, Ehrfurcht und Entzücken zu entlocken – selbst ich, ja sogar ihr eigenes Ich. Sie war lebenssprühend munter und lustig wie das nie stillschweigende Licht, welches im Smaragd lebt.

Ich sollte ständig neu überrascht werden von ihrer unerwarteten Einstellung Dingen gegenüber, welche für mich selbstverständlich waren.

»Nein, wir werden uns nicht ausziehen«, sagte sie in unserer ersten Nacht unterwegs. »Wir werden uns lieben, gewiß, aber bekleidet, so, wie wir es in den Bergen getan haben.« Ich erhob selbstverständlich Einspruch, sie jedoch blieb fest und erklärte mir, warum. »Laß mich dieses letzte kleine bißchen Scham bis nach unserer Hochzeit bewahren, Záa. Wenn wir dann zum erstenmal nackt zusammenkommen, wird es so neu und anders sein, als ob wir es noch nie zuvor getan hätten.«

Ich wiederhole, Euer Exzellenz, daß ein ausführlicher Bericht über unsere Ehe außerordentlich undramatisch sein würde, weil Gefühle wie Zufriedenheit und Glück sich sehr viel schwerer durch Worte ausdrücken lassen als Geschehnisse. Ich kann Euch nur sagen, daß ich damals dreiundzwanzig Jahre alt war und Zyanya zwanzig, und daß Liebende dieses Alters der äußersten und ausdauerndsten Zuneigung fähig sind, die sie jemals erleben werden. Auf jeden Fall nahm diese erste Liebe zwischen uns nie ab; sie nahm zu an Tiefe und Kraft, aber warum, vermag ich Euch nicht zu sagen.

Wenn ich jetzt freilich daran zurückdenke, will es mir scheinen, als ob Zyanya es sehr treffend an diesem längst vergangenen Tag ausdrückte, an dem wir aus Tecuantépec auszogen. Einer der lustigen Schnelläufervögel trabte neben uns her, der erste, den sie in ihrem Leben sah, und sie sagte gedankenvoll: »Wie kommt es, daß ein Vogel die Erde der Luft vorzieht? Ich würde das nicht tun, hätte ich Flügel zu fliegen. Würdest du es tun, Záa?«

Ayyo, ihr Geist war beflügelt, und ich genoß es, zusammen mit ihr dahinzuschweben. Vom ersten Augenblick an waren wir Gefährten, die ein immer spannender werdendes Abenteuer erlebten. Wir liebten das Abenteuer und liebten einander. Kein Mann und keine Frau können jemals mehr von den Göttern verlangt haben als das, was diese mir und Zyanya zugestanden – auch nicht die Einlösung des Versprechens, welches in ihrem Namen lag –, daß es immer währen möge.

Am zweiten Tag holten wir eine Gesellschaft von Tzapotéca-Kaufleuten auf dem Weg nach Norden ein, deren Träger mit dem Schildpatt der Karettschildkröte beladen waren. Dieses sollte an Handwerker der Olméca verkauft werden, erhitzt und geformt, zu allem möglichen Zierat und vielerlei Einlegearbeiten verarbeitet werden. Die Kaufleute hießen uns in ihrer Gesellschaft willkommen, und wiewohl Zyanya und ich allein schneller hätten vorankommen können, schlossen wir uns ihnen aus Gründen der Sicherheit an und begleiteten sie bis an ihr Ziel, die Stadt Coátzacoálcos, wo viele Handelsstraßen zusammenlaufen.

Kaum waren wir auf dem dortigen Marktplatz angelangt – und huschte Zyanya aufgeregt zwischen den verschiedenen hochgetürmten Verkaufsständen und Bodentüchern hin und her –, hörte ich mich von einer vertrauten Stimme angefahren: »Dann bist du also doch nicht tot! Haben wir diesen Banditen denn umsonst den Hals umgedreht?«

»Blut Schwelger!« rief ich überglücklich aus. »Und Cozcatl! Was verschlägt euch in diese abgelegene Gegend?«

»Ach, nur die Langeweile«, sagte der alte Krieger überheblich.

»Er lügt. Wir haben uns große Sorgen um dich gemacht«, sagte Cozcatl, jetzt kein kleiner Junge mehr, sondern ein fast erwachsener Jüngling, der aus nichts anderem bestand als aus Knien und Ellbogen und linkischen Bewegungen.

»Nichts da von Sorgen – Langeweile!« beharrte Blut Schwelger. »Ich laß mir daheim in Tenochtítlan ein Haus bauen, aber die Maurer und Stuckarbeiter zu beaufsichtigen, ist nicht sonderlich erbaulich. Außerdem haben sie mir zu verstehen gegeben, ohne mich und meine Vorstellungen kämen sie besser zurecht. Und Cozcatl fand seine Schule nach den vielen Abenteuern, die er bestanden hat, ein wenig lahm. Deshalb haben wir, der Junge und ich, beschlossen, dich aufzuspüren und herauszufinden, was du die beiden Jahre über getrieben hast.«

Cozcatl sagte: »Sicher waren wir uns ja nicht, ob wir auf der richtigen Spur wären – bis wir hierherkamen und feststellten, daß vier Männer versuchten, gewisse Wertsachen zu verkaufen. Dabei kam uns eine Blutsteinmantelschließe bekannt vor.«

»Sie konnten nicht zufriedenstellend erklären, wie sie in den Besitz dieser Dinge gelangt seien«, sagte Blut Schwelger. »Folglich brachte ich sie vor das Markttribunal. Man machte ihnen den Prozeß, verurteilte sie und schickte sie mit der blumenumwundenen Würgschlinge ins Mictlan. Ach, sie haben es bestimmt für irgendeine andere Missetat verdient. Aber gleichviel – hier ist deine Schließe, der Brennkristall, dein Nasenpflock …«

»Recht habt Ihr getan!«, erklärte ich. »Sie haben mich ausgeraubt und mich niedergeschlagen. Sie hielten mich für tot.«

»Das taten wir auch, nur haben wir gehofft, daß dem doch nicht so sei«, sagte Cozcatl. »Und sonst hatten wir nichts weiter vor. Deshalb haben wir seither nichts weiter getan, als die Küste auf und ab zu durchforschen. Und du, Mixtli, was hast du gemacht?«

»Auch Forschungsreisen gemacht«, sagte ich. »Auf Schatzsuche gewesen, wie gewöhnlich.«

»Und – hast du einen gefunden?« knurrte Blut Schwelger.

»Nun, ich habe eine Frau gefunden.«

»Eine Frau!« Er räusperte sich und spie auf den Boden. »Und wir hatten Angst, du wärest nur gestorben.«

»Immer noch derselbe alte Griesgram!« Ich lachte. »Aber wenn ihr sie seht …«

Ich sah mich suchend auf dem Platz um und rief ihren Namen, und gleich darauf kam sie und sah so königlich aus wie Pela Xila oder die Dame von Tolan, nur unendlich viel schöner. In der Kürze der Zeit hatte sie eine neue Bluse, einen Rock und Sandalen erstanden, sich ihrer von der Reise verschmutzten Kleidung entledigt, war in die neue geschlüpft und hatte noch etwas gekauft, was wir einen lebenden Edelstein nannten – einen vielfarben schillernden Käfer –, um ihn sich in den weißen Blitz ihres Haares zu stecken. Ich muß sie wohl genauso bewundernd angeschaut haben wie Cozcatl und Blut Schwelger.

»Du hattest recht, mich zurechtzuweisen, Mixtli«, räumte der alte Mann ein. »Ayyo, eine Jungfrau von den Wolkenmenschen. Sie ist in der Tat ein unbezahlbarer Schatz.«

»Ich erkenne Euch wieder, Gebieterin«, sagte Cozcatl ritterlich zu ihr. »Ihr wart die junge Göttin des Tempels, der als Herberge getarnt war.«

Nachdem alle einander vorgestellt worden waren – und meine beiden alten Freunde, glaube ich, sich augenblicklich in Zyanya verliebt hatten –, sagte ich: »Gut, daß wir uns hier treffen. Ich war auf dem Weg nach Xicalánca, wo noch ein anderer Schatz auf mich wartet. Ich glaube, zusammen schaffen wir vier es, ihn zu transportieren; dann brauche ich jedenfalls keine Träger anzuwerben.«

So zogen wir in gemächlichen Tagesmärschen durch jene Lande, wo die Frauen sämtlichst wie die Seekühe kauen und die Männer alle unter der Last ihrer Namen gebeugt gehen, gelangten in die Hauptstadt Cupúco und begaben uns dortselbst zur Werkstatt von Meister Tuxtem, welchselbiger uns jene Dinge brachte, die er unterdessen aus den gewaltigen Zähnen geschnitzt hatte. Da ich immerhin wußte, welch kostbares Material ich ihm zur Verarbeitung dagelassen hatte, war ich nicht ganz so sprachlos wie Zyanya, Cozcatl und Blut Schwelger, als wir sahen, was er daraus gemacht hatte.

Meinem Auftrag entsprechend waren es Figürchen von Göttern und Göttinnen der Mexíca, manche von ihnen hoch wie mein Unterarm, des weiteren schön geschnitzte Dolchgriffe und Kämme, denn auch davon hatte ich ja gesprochen. Darüber hinaus hatte der Meister aber auch Totenschädel gemacht, groß wie die von Kindern, über und über beschnitzt mit Szenen aus den Legenden. Da waren kunstfertig gearbeitete Kästchen mit dazu passenden Deckeln, Fläschchen für Copali-Duftwässer mit Stöpseln aus demselben Material, Brustmedaillons und Umhangspangen, Pfeifen und Broschen in der Gestalt winziger Jaguare und Eulen und köstliche kleine nackte Frauen, Blumen, Kaninchen und lachende Gesichter.

Bei manchen dieser Dinge waren die Einzelheiten so fein herausgearbeitet, daß man ihnen nur dann gerecht wurde, wenn man sie durch meinen Vergrößerungskristall hindurch betrachtete. Tat man das, waren an einem Schmuckstück in Form eines nackten Mädchens selbst die Tipili zu erkennen, nicht größer als ein Agavendorn. Wie ich ihn angewiesen hatte, hatte Tuxtem kein einziges Teilchen und keinen Splitter verschwendet: Er hatte Nasen- und Ohrenpflöcke geschaffen, Lippenscheiben, lustige Ohrenkratzer und Zahnstocher. All diese Gegenstände, kleine wie große, wiesen einen warmen weißen Schimmer auf, als ob sie aus ihrem Inneren heraus leuchteten, gleichsam wie aus einem Stück Mond geschnitzt. Es war nicht minder lustvoll, sie anzufassen, als sie zu betrachten, da der Künstler die Oberfläche so glatt geschliffen hatte wie die Haut von Zyanyas Brüsten. Und genauso wie ihre Haut, forderten sie den Betrachter auf: »Berührt mich, liebkost mich, streichelt mich!«

»Ihr habt versprochen, junger Herr Gelb Auge«, sagte Tuxtem, »daß nur Personen, die ihrer würdig sind, diese Dinge jemals besitzen dürfen. Gestattet mir, wenn ich mich anheischig mache, die erste auszuwählen, die ihrer würdig ist.«

Woraufhin er sich niederließ, um die Geste des Erdeküssens vor Zyanya zu vollführen, sich dann erhob und ihr eine zarte, gewundene, aus Hunderten von Gliedern bestehende Kette umlegte, welche aus einer ganzen Länge harten Zahns herauszuarbeiten ihn eine unsägliche Zeit gekostet haben mußte. Zyanya strahlte übers ganze Gesicht und sagte: »Der Meister Tuxtem tut mir wahrhaftig eine große Ehre an. Etwas so Wunderschönes wie dieses wird es nie wieder geben. Es sollte euren Göttern vorbehalten bleiben.«

»Ich glaube nur an das Glaubbare«, erklärte er. »Eine wunderschöne junge Frau mit einem Blitz im Haar und einem Lóochi-Namen, von dem ich weiß, daß er Immer bedeutet, ist eine viel glaubhaftere Göttin als die meisten anderen.«

Tuxtem und ich teilten abmachungsgemäß das Geschaffene, und dann teilte ich meinen Anteil nochmals in vier Teile auf. Dadurch, daß die Zähne bearbeitet worden waren, hatten sie einen großen Teil ihres Gewichts eingebüßt und waren auch nicht mehr so sperrig wie zuvor, so daß die Lasten, die jetzt daraus entstanden, nicht zu ungefüge waren und ich und meine drei Gefährten sie transportieren konnten, ohne daß wir uns der Hilfe von Trägern hätten versichern müssen. Wir trugen sie zuerst in eine Herberge in Xicalánca, ruhten uns aus und wuschen uns, aßen und schliefen.

Am nächsten Tag wählte ich eine von unseren neuen Waren aus: eine kleine Messerscheide mit einer Begebenheit aus dem Leben von Quetzalcóatl darauf, wie er auf seinem Floß aus ineinander verschlungenen Schlangen davon segelte. Sodann legte ich meine besten Kleider an, und – während Cozcatl und Blut Schwelger Zyanya begleiteten, um ihr die Sehenswürdigkeiten von Xicalánca zu zeigen – begab mich in den Palast und bat um eine Audienz beim Herrscher von Cupilco, dem Tabascoöb, wie er dortselbst genannt wurde. Aus welchem Grunde weiß ich nicht – jedenfalls habt ihr Spanier einen neuen Namen für einen Großteil jenes Landes zusammengebraut, das damals Olméca-Land war.

Der Herr war so gnädig, mich zu empfangen. Wie die meisten Angehörigen anderer Völker hegte er uns Mexíca gegenüber vermutlich keine besondere Liebe. Aber sein Land lebte vom Handel, und die Mehrzahl der Kaufleute waren Mexícatl-Pochtéca.

Ich sprach: »Erhabener Tabascoöb, einer von Euren hiesigen Handwerkern, Meister Tuxtem, hat vor kurzer Zeit eine unvergleichlich kunstvolle Arbeit geschaffen, Dinge, mit deren Hilfe ich gewinnträchtigen Handel zu treiben hoffe. Nur hielt ich es für angemessen, das erste Stück dem Herrn dieses Landes zu überreichen. Dieserhalb überreiche ich Euch im Namen meines eigenen Gebieters, des Uey-Tlatoáni Ahuítzotl von Tenochtitlan, dieses Geschenk.«

»Eine aufmerksame Geste und ein großzügiges Geschenk«, sagte er und betrachtete die Scheide mit unverhohlener Bewunderung. »Und eine wunderschöne Arbeit. Ich habe nie ähnliches gesehen.«

Als Gegengabe überreichte der Tabascoöb mir einen goldstaubgefüllten Federkiel, den ich Meister Tuxtem übergeben sollte, und – als Gegengabe für den Verehrten Sprecher Ahuítzotl – eine in schöne Kästen verpackte Sammlung von Wassergetier: Seesternen, Seepferdchen, eine korallene Seefeder, alle goldüberzogen, sie zu konservieren und gleichzeitig zu verschönen. Als ich den Palast verließ, hatte ich das Gefühl, zumindest für die guten Beziehungen zwischen Cupilco und Tenochtítlan ein wenig getan zu haben.

Ich nahm mir vor, dies Ahuítzotl gegenüber ausdrücklich zu erwähnen, sobald wir in Das Herz Der Einen Welt zurückgekehrt seien, erhoffte ich mir doch, daß das Geschenk des Tabascoöb, welches gutnachbarliche Beziehungen bekunden sollte, den Verehrten Sprecher geneigt machen könne, mir eine ganz bestimmte Bitte zu gewähren, daß nämlich Zyanya und ich durch einen Palastpriester von hohem Rang und Ansehen zusammengegeben werden würden.

»Und du wagst es, uns um eine Gunst zu bitten, nachdem du unseren ausdrücklichen Anweisungen zuwider gehandelt hast?«

Ich wußte ehrlich nicht, was er meinte: »Zuwidergehandelt, Hoher Gebieter?«

»Als du uns den Bericht über deine erste Expedition in den Süden brachtest, haben wir dir ausdrücklich gesagt, du solltest dich zwecks weiterer Erläuterungen zur Verfügung halten. Stattdessen bist du einfach verschwunden und hast die Mexíca um die wertvolle Gelegenheit gebracht, einen Krieg zu führen. Jetzt kommst du zwei Jahre später zurück – und zwei Jahre zu spät –, um uns zu beschwatzen, die Schirmherrschaft über eine so lächerliche Kleinigkeit wie eine Hochzeit zu übernehmen?«

Immer noch völlig verwirrt, sagte ich: »Ihr könnt sicher sein, Hoher Gebieter, daß ich nie daran gedacht hätte, fortzugehen, wenn ich geahnt haben würde, Euch dadurch einen schlechten Dienst zu erweisen. Aber … um was für eine Gelegenheit gebracht?«

»Aus deinen Wort-Bildern ging hervor, daß deiner Kolonne von Mixtéca-Räubern aufgelauert wurde.« Seine Stimme verstieg sich in zornige Höhen. »Noch nie haben wir einen Angriff auf unsere reisenden Fernhändler ungerächt gelassen.« Er war offenbar auf mich zorniger als auf die Räuber. »Wärest du zur Stelle gewesen, die Beschwerde mit Nachdruck zu vertreten, hätten wir einen guten Grund gehabt, ein Heer gegen die Mixtéca auszusenden. Doch ohne einen Klageführer …«

Ich murmelte Entschuldigungen, beugte demütig das Haupt, vollführte aber gleichzeitig eine wegwerfende Gebärde. »Die elenden Mixtéca, Hoher Gebieter, besitzen herzlich wenig, was es sich zu gewinnen lohnte. Diesmal jedoch kehre ich aus der Fremde zurück mit Neuigkeiten über ein Volk, welches etwas besitzt, was zu holen sich wirklich lohnt – und auch sie verdienen gleicherweise eine Bestrafung. Ich bin auf höchst grausame Weise von ihnen behandelt worden.«

»Von wem? Wieso? Und was besitzen sie? Sprich? Es könnte sein, daß du in unseren Augen wieder Gnade gewinnst.«

Woraufhin ich ihm berichtete, wie ich die durch Gebirge und Meer geschützte Siedlung der Chóntaltin oder Zyú oder Der Fremden entdeckt hätte, jenes verschlagenen und ganz für sich allein lebenden Unterstamms der Huave. Ich erzählte ihm, daß nur dieses Volk wisse, wie und zu welcher Zeit nach den Meeresschnecken getaucht werden müsse und wie diese wenig schönen schleimigen Kriechtiere jenen herrlich leuchtenden Purpurfarbstoff absonderten, der sich nie verändert und nie verblaßt. Ich setzte ihm auseinander, dieser einzigartige Stoff könne von unschätzbarem Marktwert sein und erzählte, mein Führer sei von Den Fremden abgeschlachtet worden und Zyanya und ich nur um Haaresbreite einem ähnlichen Schicksal entgangen. Ahuítzotl raffte sich von seinem Grizzly-Bärenfell bedeckten Thron hoch und schritt erregt im Raum auf und ab.

»Ja«, sagte er und setzte ein beutelüsternes Lächeln auf. »Der Überfall auf einen unserer Pochtéca würde eine Strafexpedition rechtfertigen, und der Purpur allein würde uns in reichem Maße dafür entschädigen. Aber warum sich damit bescheiden, nur diesen einen elendigen Stamm der Huave zu zähmen? Das Land Uaxyácac weist noch viele andere Schätze auf, welche zu holen sich lohnte. Es ist den Mexíca seit den Tagen meines Vaters nicht gelungen, die stolzen Tzapotéca zu demütigen, und das ist lange her.«

»Gestattet daß ich Euch an folgendes erinnere, Hoher Gebieter«, sagte ich rasch. »Nicht einmal Euer Vater Motecuzóma hat es fertiggebracht, dieses in so großer Ferne lebende Volk für sehr lange Zeit zu unterjochen. Wollte man das tun, müßte man in jenem Lande ständige Garnisonen unterhalten. Und um das zu bewerkstelligen, wäre man wieder auf außerordentlich lange Nachschubwege angewiesen, welche stets Gefahr laufen, unterbrochen zu werden. Selbst wenn es gelänge, eine militärische Oberherrschaft aufzurichten und aufrechtzuerhalten, würde das mehr kosten, als man durch Kriegsbeute und Tribute dafür gewinnt.«

»Du scheinst immer einen Grund dagegen zu finden, einen mannhaften Krieg zu führen«, knurrte Ahuítzotl.

»Nicht immer, Hoher Gebieter. In diesem Falle würde ich vorschlagen, daß Ihr die Tzapotéca als Verbündete gewinnt. Bietet ihnen die Ehre, an der Seite Eurer eigenen Truppen zu kämpfen, wenn Ihr gegen die Huave-Barbaren loszieht. Dann erlegt diesem geschlagenen Stamm Tributzahlungen auf, freilich nicht an Euch zu zahlen, sondern an den Herrn Kosi Yuela von Uaxyácac – ihm sämtlichen Purpurfarbstoff zu übergeben, von jetzt an bis in alle Zukunft.«

»Was? Einen Krieg führen, und sich dann um die verdienten Früchte bringen?«

»Hört mich bis zu Ende an, Verehrter Sprecher. Nach Eurem Sieg schließt Ihr einen Vertrag, demzufolge Uaxyácac den Purpur ausschließlich an Mexíca-Händler verkauft. Auf diese Weise haben beide Völker etwas davon, denn selbstverständlich werden unsere Pochtéca den Farbstoff zu einem wesentlich höheren Preis weiterverkaufen. Durch die Bande eines außerordentlich verstärkten Handels bindet ihr die Tzapotéca enger an uns – und außerdem noch dadurch, daß sie zum erstenmal in einem gemeinsamen kriegerischen Unternehmen neben den Mexíca gekämpft haben.«

Das Funkeln in seinen Augen, mit dem er mich bedachte, bekam etwas Berechnendes. »Und wenn sie einmal als unsere Verbündeten mit uns gekämpft haben, könnten sie es auch weiterhin tun. Und noch ein zweitesmal tun. Und ein drittes und ein …« Jetzt hatte der Blick, mit dem er mich ansah, fast schon etwas Freundliches. »Die Überlegung hat manches für sich. Wir werden Befehl geben, aufzubrechen, sobald unsere Seher einen günstigen Tag dafür gefunden haben. Halte dich bereit, Tequiua Mixtli, das Kommando über die dir zugewiesenen Krieger zu übernehmen.«

»Aber Hoher Gebieter, ich möchte doch heiraten!«

Er stieß ein »Xoquiui« aus, was ein saftiger Fluch ist.

»Heiraten kannst du jederzeit, doch ein Krieger, zumal einer im Befehlsrang, hat sich jederzeit bereit zu halten. Außerdem stellst du abermals den Beschwerdeführer dar. Du bist der Vorwand, die Grenzen nach Uaxyácac zu überschreiten.«

»Daß ich persönlich daran teilnehme, wird nicht nötig sein, Verehrter Sprecher. Der Vorwand oder die Entschuldigung ist bereits vorbereitet worden.« Ich berichtete ihm, daß ich dem regierenden Herrscher von Tecuantépec von den Missetaten Der Fremden Meldung erstattet hätte und durch ihn wiederum den Herrn Bishósu dieses Landes. »Kein Tzapotéca hegt eine große Liebe für die fremdstämmigen Huave auf ihrem Gebiet, infolgedessen wird man Euch keine Hindernisse in den Weg legen. Vermutlich wird es nicht einmal größerer Überredungskünste bedürfen, Kosi Yuela zu bewegen, sich dieser Strafexpedition anzuschließen.« Ich hielt inne und sagte dann bescheiden: »Ich hoffe, es war recht von mir, den Taten hoher Herren, Heere und Völker den Weg zu ebnen.«

Einen kurzen Augenblick war im Raum nichts weiter zu hören als das Getrommel von Ahuítzotls Fingern, mit denen er das Polster einer Sitzbank bearbeitete, welches, wie ich vermutete, aus Menschenhaut bestand. Schließlich sagte er:

»Man hat mir berichtet, deine Braut sei von überragender Schönheit. Nun denn. Von keinem Mann, der seinem Volk bereits beispielhafte Dienste geleistet hat, sollte man erwarten, daß er den Genuß des Krieges dem Genuß der Schönheit vorzieht. Ihr werdet hier, im Ballsaal des Palastes, den wir neu haben ausschmücken lassen, getraut werden. Vollzogen wird die Trauung von einem Palastpriester – und zwar vom Priester der Liebesgöttin Xochiquétzal und nicht dem des Kriegsgottes Huitzilopóchtli – und unser gesamter Hofstaat wird daran teilnehmen. Lade alle Angehörigen der Pochtéca-Gilde dazu ein, alle deine Freunde, wen du willst. Geh nur zu den Palastsehern, damit sie einen günstigen Tag dafür auswählen. In der Zwischenzeit geht durch die Stadt, du und dein Weib, und sucht euch ein Grundstück aus, das euch gefällt, auf dem noch kein Haus steht und das verkäuflich ist. Das soll Ahuítzotls Hochzeitsgeschenk für euch sein.«

Zur festgesetzten Zeit am Nachmittag meines Hochzeitstages näherte ich mich aufgeregt dem Portal des menschen- und lärmerfüllten Ballsaals und blieb dort lange genug stehen, um die Versammlung durch meinen Topas hindurch zu betrachten. Sodann verbarg ich den an einer Schlaufe um meinen Hals hängenden Kristall aus Eitelkeit unter meinem neuen, reichbestickten Umhang, ehe ich den Saal betrat. Immerhin hatte ich gesehen, daß zu der neuen Ausschmückung des riesigen Saales Wandgemälde gehörten, welche ich auch ohne ihre Signatur erkannt hätte – und daß sich in der Menge der Adligen, Höflinge und bevorzugten Gemeinfreien auch ein hochgewachsener junger Mann bewegte, in dem ich – wiewohl er mir in diesem Augenblick den Rücken zukehrte – augenblicklich den Künstler erkannte: Yei-Ehécatl Pocuía-Chimáli.

Ich bahnte mir den Weg durch die Menge der Menschen, von denen einige dastanden, plauderten und aus goldenen Bechern tranken; andere hingegen, vornehmlich die adligen Damen des Hofes, knieten oder saßen bereits um die goldfadenbestickten Tücher herum, welche auf den Bodenmatten ausgebreitet waren. Die meisten der Anwesenden streckten die Hand aus, um mir auf die Schulter zu klopfen, oder griffen nach oben, um mir über die Hand zu streichen, lächelten und murmelten Glückwünsche. Ich ging bis nach vorn, wo auf einem hohen Podest das eleganteste aller Tücher ausgebreitet worden war und wo eine Anzahl von Männern meiner harrte, unter anderem der Uey-Tlatoáni Ahuítzotl und der Oberpriester Xochiquétzals. Als sie mich begrüßten, setzte gedämpft eine von den Künstlern aus dem Haus des Gesangs gespielte Musik ein.

Für den ersten Teil der Zeremonie – in welchem es darum ging, mich dem vollen Mannestum zu übergeben – hatte ich die drei Vorsteher der Kaufmannsgilde gebeten, mir die Ehre zu erweisen dabeizusein; infolgedessen hatten auch sie auf dem Podest Platz genommen. Da auf dem Tuch Platten mit heißen Tamáltin und Krüge mit starkem Octli standen, und da es vorgeschrieben war, daß die Geber unmittelbar nach dem ersten Ritual gingen, hatten die drei älteren Herren sich bereits bedient, und zwar dermaßen, daß sie merklich vollgegessen und trunken waren und bereits halb schliefen.

Nachdem Ruhe im Raum eingekehrt und nur noch die leise Musik zu hören war, erhoben sich Ahuítzotl, der Priester und ich mich. Man hätte meinen sollen, daß zumindest ein Priester einer Göttin mit dem Namen Xochiquétzal ein sauberes Habit getragen hätte, doch dieser war genauso ungepflegt und ungewaschen und unappetitlich wie jeder andere seines Berufsstandes. Und wie jeder andere, griff er die Gelegenheit beim Schopfe und hielt eine quälend langatmige Ansprache, gespickt mit dunklen Andeutungen über die Fallstricke der Ehe, und ohne die Freuden der Ehe auch nur mit einem einzigen Wort zu erwähnen. Als er jedoch endlich fertig war, ergriff Ahuítzotl das Wort, welches er insbesondere an die drei benebelten und beseligt schmunzelnden alten Männer ihm zu Füßen richtete. Seine Ansprache war kurz und lief auf folgendes hinaus:

»Meine Herren Pochtéca, Euer Zunftgenosse begehrt eine Frau zu nehmen. Betrachtet dieses Xelolóni, welches ich Euch gebe. Es ist das Zeichen dafür, daß Chicóme-Xochitl Tliléctic-Mixtli wünscht, sich loszusagen von den Tagen seiner unverantwortlichen Jugend. Nehmt es und befreit ihn davon, auf daß er ein vollerwachsener, reifer Mann sei!«

Derjenige von den dreien, welcher seinen Skalp verloren hatte, nahm das Xelolóni entgegen – ein kleines Haushaltsbeil. Wäre ich ein gewöhnlicher Gemeinfreier gewesen, der getraut wurde, hätte das Beil schlicht aus hölzernem Schaft mit Feuersteinkopf daran bestanden; in meinem Falle handelte es sich jedoch um ein Beil mit silbernem Schaft und einer Schneide aus feinem Jadestein. Der alte Bursche fuhrwerkte damit in der Luft herum, rülpste vernehmlich und sagte:

»Hoher Gebieter, wir alle, die wir hier anwesend sind, haben den Wunsch des jungen Tliléctic-Mixtli vernommen: daß er fürderhin sämtliche Pflichten, Verantwortungen und Vorrechte des erwachsenen Mannes auf sich nehmen will. Sei es also, wie Ihr und er es begehrt.«

Er vollführte eine trunken-dramatische Schlagbewegung mit dem Beil – und hätte ums Haar seinem einfüßigen Kollegen den ihm noch verbliebenen einen Fuß abgehackt. Die drei erhoben sich und trugen das symbolische Schneidewerkzeug davon, wobei der Einfüßige zwischen den beiden anderen hing und hinkte und alle beim Verlassen des großen Raums vernehmlich mit den Füßen schlurften. Kaum waren die Geber unseren Blicken entschwunden, hörten wir bereits den Tumult, welcher die Ankunft von Zyanya im Palast begleitete: die Tenochtítlaner Gemeinfreien, welche sich in Scharen eingefunden hatten und riefen: »Glückliches Mädchen! Vom Glück Begünstigte!«

Alles war vorzüglich aufeinander abgestimmt. Wie es sich gehörte, traf sie genau zur Stunde des Sonnenuntergangs ein. Der Ballsaal, in welchem es während der vorhergehenden Zeremonie nach und nach dunkel geworden war, begann in goldenem Licht aufzuschimmern, als die Diener umhergingen, die Kienspanfackeln zu entzünden, die in bestimmten Abständen von den bemalten Wänden abstanden. Als der Saal dann strahlend hell erleuchtet war, trat – begleitet von zwei Palastdamen – Zyanya durch den Eingang herein. Um sich an ihrem Hochzeitstag – freilich nur dieses eine Mal in ihrem Leben – bis zum Äußersten zu verschönern, hatte sie sich der kosmetischen Künste der Kurtisanen-Auyanimi bedient: sich das Haar zu färben, die Haut aufzuhellen und sich die Lippen zu röten. Zyanya brauchte jedoch zu solchen künstlichen Hilfsmitteln nicht Zuflucht zu nehmen. Sie trug eine schlichte Bluse und einen Rock von jungfräulich gelber Farbe und hatte für die traditionellen Federgirlanden an Armen und Fußgelenken die langen Federn eines schwarzweißen Vogels gewählt, offenkundig, um das Schwarzweiß ihrer fließenden Haarpracht noch besonders zu betonen.

Die beiden Frauen geleiteten sie durch die bewundernd murmelnde Menge auf das Podest. Dort standen wir einander gegenüber. Sie sah schüchtern aus, ich hatte, wie es die Gelegenheit erheischte, eine feierliche Miene aufgesetzt. Der Priester nahm von einem Hilfspriester zwei Geräte entgegen und reichte einem jeden von uns eines: Eine goldene Kette, von welcher eine durchbrochene und gleichfalls goldene Kugel herabhing und in der ein Stückchen Copáli-Weihrauch schwelte. Ich hob meine Kette und schwang die Kugel um Zyanya, so daß in Höhe ihrer Schultern ein dünner duftender blauer Rauchschwaden in der Luft stehenblieb. Dann beugte ich mich etwas hinab und sie stellte sich auf Zehenspitzen, um ein gleiches mit mir zu machen. Der Priester nahm die beiden Weihrauchschwenker wieder an sich und forderte uns auf, nebeneinander Platz zu nehmen.

In diesem Augenblick hätten eigentlich unsere Verwandten und Freunde aus der Menge hervortreten und uns Geschenke überreichen sollen. Da jedoch weder sie noch ich irgendwelche Verwandte in Tenochtitlan hatten, kamen nur Blut Schwelger und Cozcatl sowie eine Abordnung aus dem Haus der Pochtéca. Alle vollführten nacheinander die Geste des Erdeküssens vor uns und legten verschiedene Gaben vor uns nieder – für Zyanya erlesene Kleidungsstücke: Blusen, Röcke, Umschlagtücher und dergleichen von ausgesuchter Qualität; für mich gleichfalls eine Reihe von Kleidungsstücken, doch dazu noch einen stattlichen Kampfanzug, ein vorzüglich gearbeitetes Maquahúitl, einen Dolch und ein Bündel Pfeile.

Nachdem die Geschenküberbringer sich wieder zurückgezogen hatten, war es an Ahuítzotl und einer von den Edeldamen, welche Zyanya begleitet hatten, abwechselnd die traditionellen väterlichen und mütterlichen Ermahnungen an ein Paar zu singen, das zusammengegeben werden sollte. Mit einer Stimme, die keinerlei Gefühlsüberschwang zeigte, warnte Ahuítzotl mich unter anderem: Niemals noch auf dem Pfühl zu liegen, wenn der Frühvogel Pápan sein Lied erschallen ließ, sondern bereits auf und tätig zu sein. Zyanyas Begleiterin, welche die Stelle ihrer Mutter übernahm, brachte im Singsang eine lange Liste von den Pflichten der Frau vor – nichts, so schien mir, wurde ausgelassen, nicht einmal das Rezept zum Backen von Tamáltin. Als ob das ein Zeichen gewesen wäre, trat in diesem Augenblick ein Diener herein und trug eine Schüssel mit den fleischgefüllten, dampfenden Maisteigtaschen auf und setzte sie vor uns nieder.

Der Priester vollführte eine auffordernde Geste, woraufhin Zyanya und ich je ein Tamáli nahmen und uns gegenseitig damit fütterten, was – falls ihr das jemals ausprobiert habt – nicht gerade leicht ist. Ich jedenfalls hatte gleich darauf ein fettiges Kinn, und Zyanyas Nase glänzte gleichfalls, doch zumindest gelang es jedem von uns, einen symbolischen Happen abzubeißen und herunterzubringen. Während wir noch damit beschäftigt waren, hob der Priester nochmals mit einem langen, auswendig gelernten Erguß an, mit welchem ich euch jetzt nicht langweilen will. Zum Schluß beugte er sich vor, nahm einen Zipfel meines Umhangs und einen Zipfel von Zyanyas Bluse und verknotete beides miteinander. Wir waren verheiratet.

Die leise Musik schwoll unversehens laut und jubelnd an, ein allgemeiner Schrei löste sich von den Gästen, und die Steifheit des Zeremoniells ging über in die Gelöstheit eines allgemeinen Gelages. Diener huschten hin und her, legten überall neue Tücher aus und stellten Platten mit frischen Tamáltin sowie Krüge mit Octli und Schokolade darauf. Von jedem Gast wurde erwartet, daß er schmauste und trank, bis die Fackeln niedergebrannt waren oder die Männer bewußtlos zu Boden sanken und von ihren Frauen und Sklaven nach Hause gebracht wurden.

Zyanya und ich sprachen den Speisen nur spärlich zu und sollten dann – wobei alle so taten, als bemerkten sie es nicht – in unsere Hochzeitszimmer geführt werden, eine Wohnung im Obergeschoß des Palasts, welche Ahuítzotl uns zur Verfügung gestellt hatte – doch in diesem Punkt wich ich von den herkömmlichen Gepflogenheiten ab.

»Entschuldige mich einen Augenblick, meine Liebe«, flüsterte ich Zyanya zu und stieg von dem Podest hernieder; verwundert und den Mund mit den halb gekauten Tamáltin darin offen, starrten mich alle an.

Ohne Zweifel bin ich in meinem langen Leben von vielen Menschen gehaßt worden; von wie vielen, weiß ich nicht. Ich habe mir auch nie die Mühe gemacht, ernstlich darüber nachzudenken oder sie zu zählen. Doch an diesem Abend, in diesem bestimmten Raum, war ein Todfeind von mir anwesend – ein eingeschworener Feind, durch nichts zu beschwichtigen, einer, der seine Hände bereits mit Blut befleckt hatte. Chimáli hatte Menschen, die mir nahestanden, verstümmelt oder ermordet. Sein nächstes Opfer – noch bevor ich selber an die Reihe kam – sollte mit Gewißheit Zyanya sein. Daß er an unserer Hochzeit teilnahm, verstand ich als Drohung und als Trotz allen meinen Versuchen gegenüber, seinem ruchlosen Treiben Einhalt zu gebieten.

Als ich mich auf die Suche nach ihm begab und zwischen den im Kreis herumsitzenden Gästen umherging, legte sich ihr Geplauder und wurde zu einem erwartungsvollen Schweigen. Selbst die Musikanten ließen ihre Instrumente sinken, und sahen mir verwundert und neugierig nach. Das allgemeine Schweigen im Raum wurde unvermittelt zu einem allgemeinen Luftholen, als ich herumfuhr und Chimáli den goldenen Pokal, den er gerade zum Munde führen wollte, mit dem Handrücken aus der Hand schlug. Der Pokal klirrte hell, als er von Chimális Wandbild abprallte.

»Trink nicht zuviel«, sagte ich, und alle hörten es. »Du wirst morgen früh einen klaren Kopf brauchen. Bei Sonnenaufgang, Chimáli, im Wald von Chapultépec. Nur wir beide, aber soviel Waffen du willst und welcher Art auch immer. Bis auf den Tod.«

Er bedachte mich mit einem Blick, in dem Abscheu, Haß und Belustigung eine seltsame Mischung eingingen, dann sah er sich in der Runde derer um, die uns mit weit aufgerissenen Augen anstarrten. Bei einer Aufforderung unter vier Augen hätte er sich weigern, oder Bedingungen daran knüpfen, vielleicht das ganze sogar abwenden können, indem er sich erniedrigte. In diesem Falle war der Herausforderung jedoch ein beleidigender Schlag vorausgegangen; jeder führende Bürger der Stadt Tenochtitlan war Zeuge gewesen. Er zuckte mit den Achseln, ergriff den Becher Octli eines seiner Nachbarn, hob ihn mit schiefem Gesicht und sagte klar und deutlich: »Chapultépec. Bei Sonnenaufgang. Bis auf den Tod.« Damit stürzte er den Becher hinunter, stand auf und verließ den Ballsaal.

Als ich wieder auf das Podest hinaufstieg, summte es hinter mir von lautem, wenn auch etwas gedämpftem und entsetztem Gerede. Zyanya sah mich mit erschrockenen Augen an, doch rechnete ich es ihr hoch an, daß sie mir keine Frage stellte. Sie beklagte sich nicht, daß ich einen glücklichen Anlaß in sein Gegenteil verkehrt hatte. Der Priester jedoch sah mich mit umdüsterter Miene an und begann:

»Das ist von unheilvoller Vorbedeutung, junger …«

»Schweig!« herrschte der Verehrte Sprecher ihn an, woraufhin dem Priester der Mund zuklappte. Und zu mir gewandt, sagte Ahuítzotl: »Daß du plötzlich in den Stand der Ehe und des vollverantwortlichen Mannestums eingetreten bist, hat dir den Verstand geraubt.«

Ich sagte: »Nein, Hoher Gebieter. Ich bin vollkommen klar bei Verstand und habe Grund …«

»Grund!« fuhr er auch mir in die Rede, immer noch, ohne die Stimme zu erheben, was ihn freilich um so aufgebrachter erscheinen ließ, erregter, als wenn er mich angebrüllt hätte. »Grund, am Tag deiner eigenen Hochzeit öffentlich einen Skandal vom Zaun zu brechen? Grund, ein Fest zu unterbrechen, das für dich gerichtet worden ist, als wärest du unser eigener Sohn? Grund, einen unserer Höflinge und geladenen Gast zu schlagen und zu beleidigen?«

»Es tut mir leid, wenn ich Euch beleidigt habe, Hoher Gebieter«, sagte ich, fügte dann jedoch eigensinnig hinzu: »Der Hohe Gebieter würde noch geringer von mir denken, wenn ich so täte, als hätte ich einen Feind, der mich durch seine Anwesenheit verhöhnt, nicht bemerkt.«

»Deine Feinde sind deine Sache. Unser Palastkünstler jedoch ist unser Eigentum. Du hast gedroht, ihn umzubringen. Aber sieh dich um – er hat immer noch eine ganze Wand dieses Raums auszumalen.«

Ich sagte: »Die kann er durchaus noch vollenden, Verehrter Sprecher. Chimáli war ein viel besserer Kämpfer als ich, als wir gemeinsam das Haus der Leibesstärkung besuchten.«

»Dann sollen wir also, statt unseres Palastkünstlers einen Ratgeber verlieren, auf dessen Rat und Beschwerde hin wir uns darauf vorbereiten, in ein fremdes Land einzumarschieren?« Immer noch in der drohend gedämpften Sprechweise, sagte er: »Laß es dir zur Warnung gereichen – und eine Warnung vom Uey-Tlatoáni namens Wasser Ungeheuer nimmt man nicht leicht. Wenn morgen einer von euch stirbt – unser geschätzter Maler Chimáli oder der Mixtli, welcher uns gelegentlich wertvollen Rat erteilt –, so wird Mixtli es sein, der die Schuld dafür trägt. Es wird Mixtli sein, der dafür bezahlt, selbst wenn er tot sein sollte.«

Bedächtig, auf daß ich die Bedeutung seiner Worte auch ja nicht mißverstand, wandte er seine vorquellenden funkelnden Augen von mir ab und Zyanya zu.

Mit leiser Stimme sagte sie: »Wir sollten beten, Záa.«

Und ich sagte aufrichtig und leidenschaftlich: »Ich bete ja, Zyanya.«

Unsere Gemächer waren mit allem Nötigen versehen, nur das Lager fehlte, welches erst am vierten Tag nach der Trauung bereitgestellt werden sollte. Bis dahin wurde von uns erwartet, daß wir die Tage und Nächte enthaltsam verbrachten – keinerlei Nahrung zu uns nahmen und auch davon Abstand nahmen, unsere Ehe zu vollziehen – und zu unseren verschiedenen Lieblingsgöttern beteten, daß wir gut füreinander und gut zueinander seien und unsere Ehe glücklich werde.

Ich jedoch betete schweigend um etwas ganz anderes. Ich erflehte von allen Göttern, die es gab, nichts weiter, als daß Zyanya und ich mit dem Leben davonkämen und nach dem morgigen Tag überhaupt eine Ehe führen könnten. Es war nicht das erstemal, daß ich mich in eine heikle Lage gebracht hatte, doch nie zuvor – gleichgültig, was ich getan hatte – in eine, in welcher nicht zumindest die Möglichkeit bestanden hätte, daß ich als Sieger aus ihr hätte hervorgehen können. Falls es mir durch meine Geschicklichkeit oder durch reines Glück oder weil mein Tonáli es mir so bestimmt hatte, gelingen sollte, Chimáli zu töten, blieben mir nur zwei Möglichkeiten. Ich konnte entweder in den Palast zurückkehren und mich von Ahuítzotl umbringen lassen, dafür, dieses Duell vom Zaun gebrochen zu haben. Oder ich konnte fliehen und es Zyanya überlassen, die Strafe über sich ergehen zu lassen – und ohne Zweifel würde es eine furchtbare sein. Die dritte Möglichkeit, die es gab, war die, daß Chimáli durch seine Überlegenheit im Umgang mit der Waffe oder weil ich davon Abstand nahm, ihn zu töten, oder weil sein Tonáli stärker war als meines, mich erschlug. Woraufhin Ahuítzotl mich nicht mehr strafen konnte, seinen ganzen Zorn jedoch an meiner geliebten Zyanya auslassen würde. In einer dieser drei Möglichkeiten mußte der Zweikampf enden, und dennoch kam nicht eine davon in Frage. Doch nein, es gab noch eine andere Möglichkeit: angenommen, ich fand mich bei Sonnenaufgang einfach nicht im Wald von Chapultépec ein …

Während ich über das Undenkbare nachsann, war Zyanya still dabei, die wenigen Sachen auszupacken, die wir mitgebracht hatten. Ein leiser Schrei des Entzückens riß mich aus meinen düsteren Gedanken. Ich nahm den Kopf aus den Händen und erkannte, daß sie in einem meiner Körbe jenes alte Tonfigürchen der Göttin Xochiquétzal entdeckt hatte.

»Die Göttin, die zugesehen hat, als wir zusammengegeben wurden«, sagte sie lächelnd.

»Die Göttin, die dich für mich gemacht hat«, sagte ich. »Sie, die über aller Liebe und Schönheit wacht. Die kleine Statue sollte ein Überraschungsgeschenk für dich sein.«

»Oh, das ist es«, erklärte sie aufrichtig. »Du überraschst mich immer aufs Neue.«

»Aber nicht alle meine Überraschungen sind angenehm für dich gewesen, fürchte ich. Wie gestern abend meine Herausforderung an Chimáli.«

»Ich wußte nicht, wie er heißt, aber mir will es scheinen, als ob ich den Mann schon einmal vorher gesehen habe. Oder jemanden, der ihm sehr ähnlich sah.«

»Du hast bestimmt ihn selbst gesehen, wiewohl ich nicht glaube, daß er in Tecuantépec als eleganter Höfling aufgetreten ist. Ich muß es dir erklären. Ich hoffe, dann wirst du verstehen, warum ich gezwungen war, unsere Hochzeitsfeier zu besudeln, warum ich das, was ich tat, nicht aufschieben konnte. Und was ich jetzt tun muß.«

Die Erklärung über das Xochiquétzal-Figürchen – es ihr zu schenken – war die erste richtige Lüge, die ich Zyanya gegenüber gebraucht hatte. Freilich, als ich ihr von meinem bisherigen Leben berichtete, hatte ich mich einiger kleiner Unterlassungssünden schuldig gemacht. Ich fing also mit dem ersten Verrat an, den Chimáli mir gegenüber begangen hatte – als er und Tlatli sich geweigert hatten, Tzitzitlíni das Leben zu retten –, wobei ich freilich unerwähnt ließ, warum das Leben meiner Schwester in Gefahr gewesen war. Dann berichtete ich Zyanya, wie Chimáli, Tlatli und ich uns in Texcóco wiedergetroffen hatten, und unter Verschweigung etlicher unschöner Einzelheiten setzte ich ihr auseinander, wie ich es eingefädelt hatte, den Tod meiner Schwester zu rächen. Wie ich aus Mitleid oder aus einer Schwäche heraus mich damit begnügt hatte, meine Rache nur auf Tlatli fallen und Chimáli ungeschoren davonkommen zu lassen. Und wie er mir meine Großmut seither dadurch vergolten, daß er mich und die Meinen fortwährend belästigte. Und ganz zuletzt sagte ich: »Und du selbst hast mir erzählt, er hätte getan, als wolle er deiner Mutter helfen, als …«

Zyanya sog vernehmlich Luft ein. »Dann ist er also der Reisende, der vorgab zu helfen – und … und … meine Mutter ermordet hat und deinen …«

»Er ist es«, sagte ich, als sie den Satz nicht beendete. »Und so kam es, daß ich – als ich ihn hochmütig an unserem Hochzeitsfest teilnehmen sah – beschloß, dafür zu sorgen, daß er in Zukunft nicht mehr morden kann.«

Mit äußerster Entschlossenheit und Wildheit erklärte sie: »Du mußt ihn in der Tat stellen! Und besiegen, gleichgültig, was der Verehrte Sprecher gesagt hat oder was er tut. Aber könnten die Wachen dich nicht daran hindern, den Palast in aller Frühe zu verlassen?«

»Nein, Ahuítzotl weiß nicht alles, was ich dir erzählt habe, er weiß nur, daß es sich um eine Ehrenangelegenheit handelt. Er wird mich nicht zurückhalten, sondern statt dessen dich als Faustpfand in der Hand behalten. Und das ist es, was mir das Herz schwer macht – nicht das, was mir zustoßen könnte, sondern was er dir für mein Ungestüm antun könnte.«

Zyanya schien mir diese Bemerkung übel zu nehmen. »Hältst du mich etwa für weniger mutig als dich selbst? Was auch draußen im Wald beim Zweikampf geschehen und was auch immer hinterher dabei herauskommen mag, ich bin bereit, es entgegenzunehmen. So! Jetzt habe ich es gesagt. Wenn du deiner Hand jetzt Halt gebietest, Záa, benutzt du mich nur als Vorwand. Ich könnte dann hinterher nicht mehr mit dir leben.«

Kummervoll lächelte ich. Damit war die vierte und letzte Möglichkeit für mich ausgeschlossen. Ich schüttelte den Kopf und schloß sie zärtlich in die Arme. »Nein«, sagte ich aufseufzend, »ich werde meiner Hand nicht Einhalt gebieten.«

»Das habe ich auch keinen Augenblick angenommen«, sagte sie so sachlich, als ob sie einen Adler-Ritter geheiratet hätte. »Jetzt bleibt nicht mehr viel Zeit bis Sonnenaufgang. Leg dich hierher und leg deinen Kopf auf meine Brust. Und schlaf, solange du kannst.«

Mir war, als hätte ich gerade eben erst meinen Kopf auf ihre weiche Brust gebettet, als es zaghaft an der Tür kratzte und Cozcatls Stimme sich vernehmen ließ: »Mixtli, der Himmel wird hell. Es wird Zeit.«

Ich stand auf, tauchte den Kopf in ein Becken mit kaltem Wasser und strich meine zerknautschte Kleidung glatt.

»Er ist bereits zur Acáli-Lände hinunter«, berichtete Cozcatl. »Vielleicht hat er vor, dir einen Hinterhalt zu legen.«

»Dann brauche ich nur Nahkampfwaffen und keine Wurfspieße«, sagte ich. »Bring mir einen Speer, einen Dolch und ein Maquáhuitl.«

Cozcatl eilte davon, und ich kostete eine Weile die bittere Süße des Abschieds von Zyanya, während sie Worte sprach, die mir Mut machen und mir versichern sollten, daß alles gut ausgehen werde. Daraufhin küßte ich sie und ging nach unten, wo Cozcatl mich bereits mit den Waffen erwartete. Blut Schwelger ließ sich nicht blicken. Da er im Haus der Leibesstärkung als Meister-Cuachic sowohl mich als auch Chimáli im Umgang mit Waffen unterwiesen hatte, hätte es sich einfach nicht gehört, wenn er – gleichgültig, wie er über den Ausgang des Zweikampfes denken und was er dabei fühlen mochte – einem von uns beiden Ratschläge erteilt oder auch nur moralische Unterstützung hätte angedeihen lassen.

Die Palastwachen machten keine Anstalten, uns daran zu hindern, durch das Tor in der Schlangenmauer hinauszutreten, welches in Das Herz Der Einen Welt hineinführte. Die Schritte unserer sandalenbewehrten Füße hallten sowohl von der Großen Pyramide als auch von den kleineren Bauten wider. Der Platz sah heute im opalenen Licht dieser frühen Morgenstunde und in seiner Leere womöglich noch gewaltiger aus als sonst; niemand war zu sehen außer ein paar Priestern, die sich beeilten, ihren Sonnenaufgangspflichtennachzukommen. Wir verließen den Platz durch die Öffnung in der Westseite der Schlangenmauer und eilten durch Straßen und über Kanalbrücken bis an jenen Rand der Insel, welcher dem Festland am nächsten gelegen war, und an der Bootslände gab ich Befehl, eines der Acális flott zu machen, welche für den Hofstaat bereitlagen. Cozcatl bestand darauf, mich über das nicht breite Wasser hinüberzurudern, damit ich nicht vorzeitig meine Muskelkraft verausgabte.

Unser Acáli lief am Fuß einer Klippe auf Land, welche Chapultépec genannt wurde und von deren Spitze sich ein Aquädukt zur Stadt hinüberwölbte. Hoch über unseren Köpfen starrten die Gesichter der Verehrten Sprecher Ahuítzotl, Tixoc, Axayácatl und des ersten Motecuzóma aus dem sonst roh belassenen, natürlichen Felsen hinaus. Ein zweites Boot lag bereits da, und ein Page vom Palast – das Tau zum Festzurren in der Hand – zeigte auf eine Anhöhe neben der Klippe und erklärte höflich: »Er erwartet Euch im Wald, Herr.«

Ich sagte zu Cozcatl: »Du bleibst mit dem anderen Waffenträger hier. Es wird nicht lange dauern, und du weißt, ob du noch gebraucht wirst oder nicht.« Ich steckte den Obsidiandolch in den Leibriemen, der mein Schamtuch festhielt, nahm das obsidianbewehrte Schwert in die Rechte und den Speer mit der Obsidianspitze in die Linke, stieg bis zur Kuppe der Erhebung hinauf und schaute hinunter in den Wald.

Ahuítzotl hatte angefangen, aus dem, was zuvor eine Waldwildnis gewesen war, eine Parklandschaft zu machen. Dieses Vorhaben sollte bis zu seiner Vollendung noch viele Jahre brauchen, denn noch fehlten die Badebecken, die Brunnen, die Standbilder und dergleichen – doch immerhin war der Wald bereits gelichtet, waren nur noch die uralten, hochragenden Ahuehuétque-Zypressen stehengeblieben, dehnte sich ein Grasteppich und wuchsen Wildblumen unter ihnen.

Von dem Gras und den Blumen war freilich an diesem Morgen nichts zu sehen, und die mächtigen Zypressen hätten, als Tonatíu aufging, wie durch Zauberhand wurzellos im blaßblauen Dunst schweben können. Chimáli wäre für mich gleichermaßen unsichtbar gewesen, hätte er sich dort im Nebel irgendwo hingekauert.

Statt dessen – so erkannte ich augenblicklich, als ich meinen Topas an mein Auge hielt – hatte er es vorgezogen, sich seiner Kleider zu entledigen und sich nackt auf einen mächtigen Zypressenast zu legen, welcher noch einmal meine halbe Größe über mir waagrecht vom Stamm abstand. Chimális ausgestreckter Arm mit dem Maquáhuitl in der rechten Faust war gleichfalls am Ast ausgestreckt und dicht an ihn gepreßt. Einen Augenblick war ich verwirrt. Warum dieser leicht erkennbare Hinterhalt? Und warum unbekleidet?

Dann begriff ich seine Absicht und muß ein Grinsen aufgesetzt haben wie ein Kojote. Beim Empfang gestern abend hatte Chimáli mich nicht Gebrauch von meinem Sehkristall machen sehen, und offensichtlich hatte ihn auch niemand von der neuen und künstlichen Besserung meines Sehvermögens unterrichtet. Er hatte seine farbenprächtige Kleidung abgelegt, damit seine Haut für mich eins werden sollte mit dem Braun des Zypressenastes. Er glaubte, dort für seinen alten Freund Maulwurf unsichtbar zu sein, während ich täppisch tastend zwischen den Bäumen nach ihm suchte. Er brauchte dort nur regungslos liegenzubleiben, während ich zögernd und blinzelnd alles absuchte, weiterging und unweigerlich unter ihm hindurchkommen mußte. In diesem Augenblick würde er das Maquáhuitl von oben herniedersausen lassen, und ein einziger Schlag hätte genügt, mich zu töten.

Einen Augenblick hatte ich das Gefühl, es wäre im höchsten Maße unfair von mir, mich meines Kristalls zu bedienen, um ihn zu erspähen, doch dann dachte ich: Er muß sich diebisch über meinen Vorschlag gefreut haben, daß wir beide uns allein treffen wollten. Nachdem er mich erledigt hätte, könnte er sich ankleiden, in die Stadt zurückkehren und sich brüsten, wir hätten Aug' in Auge miteinander gekämpft und einen erbarmungslosen, ritterlichen Zweikampf ausgetragen, bis er mich zuletzt überwältigt hätte. So wie ich Chimáli kannte, würde er sich selbst sogar ein paar unbedeutendere Wunden beibringen, um die Geschichte glaubwürdiger zu machen. Infolgedessen hatte ich keinerlei Gewissensbisse mehr zu tun, was ich mir vorgenommen hatte. Ich steckte den Topas zurück in meinen Umhang, ließ mein Maquáhuitl zu Boden fallen und drang, beide Hände um den waagerecht gehaltenen Speerschaft gelegt, in den nebeligen Wald ein.

Ich ging langsam und übervorsichtig, wie er es von dem schlecht für einen Kampf gerüsteten Umnebelt erwarten konnte, die Knie gebeugt, die Augen zu Schlitzen verengt, gleichsam als wäre ich wirklich ein Maulwurf. Selbstverständlich ging ich nicht geradenwegs auf seinen Baum zu, sondern fing an, den Wald ziemlich weit von ihm entfernt abzusuchen. Jedesmal, wenn ich an einen Baum gelangte, stocherte ich ungeschickt mit dem Speer hinter dem Stamm herum, ehe ich weiterging. Gleichwohl hatte ich mir Chimális Baum und den Ast, auf dem er sich ausgestreckt hatte, gut eingeprägt. Als ich mich ihm allmählich näherte, hob ich meinen Speer nach und nach aus der Waagerechten in die Senkrechte, so daß ich ihn – die Spitze nach oben – in die Höhe hielt, wie Blut Schwelger es mir für den Dschungel eingeschärft hatte, um auf diese Weise Jaguare zu entmutigen, welche sprungbereit auf ihre Beute lauerten. Wenn ich den Speer so hielt, sorgte ich dafür, daß er mit seinem Schlag solange wartete, bis die Speerspitze und ich ein Stück unter ihm hindurchgegangen wären, und erst danach mit dem Maquáhuitl nach meinem Kopf oder Hals ausholen konnte.

Geduckt und langsam näherte ich mich seinem Baum genauso, wie ich mich all den anderen genähert hatte, ließ dabei meine zusammengekniffenen Augen ständig die Umgebung absuchen, ohne freilich jemals in die Höhe zu schauen. In dem Augenblick, da ich unter seinem Ast angekommen war, stieß ich mit aller Kraft und mit beiden Händen den Speer in die Höhe.

Einen Augenblick blieb mir das Herz stehen. Die Speerspitze berührte ihn nämlich überhaupt nicht; sie traf überhaupt auf kein Fleisch, sondern bohrte sich vielmehr zitternd in den Ast, was eine durchdringende Erschütterung durch meine angespannten Arme schickte. Doch Chimáli muß im selben Augenblick das Maquáhuitl geschwungen, zuvor den Ast losgelassen haben und aus dem Gleichgewicht geraten sein. Denn der Stoß, welchen ich dem Ast versetzte, schüttelte ihn gleichsam herunter; er landete unmittelbar hinter mir auf dem Boden und lag flach auf dem Rücken. Der Atem entfuhr vernehmlich seinen Lungen, als ihm das Maquáhuitl aus der Hand sprang. Ich wirbelte herum und versetzte ihm mit dem Ende meines Speers einen Schlag auf den Kopf, und er regte sich nicht mehr.

Ich beugte mich nieder und stellte fest, daß er nicht tot war, wohl aber noch eine Weile bewußtlos bleiben würde. Infolgedessen nahm ich sein Schwert und kehrte über die Kuppe hinweg zurück, nahm unterwegs mein eigenes Maquáhuitl auf und gesellte mich wieder zu den beiden jungen Waffenträgern. Cozcatl stieß einen unterdrückten Jubelschrei aus, als er mich das Schwert meines Gegners tragen sah: »Ich hab' gewußt, daß du ihm den Garaus machen würdest, Mixtli!«

»Das habe ich nicht getan«, erwiderte ich. »Ich habe ihn bewußtlos dort liegen lassen; und wenn er wieder zu sich kommt, wird er nichts Schlimmeres verspüren als heftige Kopfschmerzen. Falls er jemals wieder zu sich kommt. Vor langer Zeit habe ich dir einmal gesagt, wenn die Zeit komme, Chimáli hinzurichten, solltest du über die Art und Weise entscheiden, wie das zu geschehen habe.« Ich zog den Dolch aus meinem Schamtuch und reichte ihn ihm. Der Page sah uns mit vor Entsetzen weit geöffneten, gleichwohl jedoch gebannten Augen zu. Mit einer Handbewegung schickte ich Cozcatl in Richtung auf den Wald zu. »Du wirst schon finden, wo er liegt. Geh und gib ihm, was er verdient.«

Cozcatl nickte, stapfte über den Erdbuckel und entschwand unseren Blicken. Der Page und ich warteten. Des Pagen Gesicht war bleich geworden, er hatte es verzerrt und schluckte in dem ständigen Bemühen, nicht zu erbrechen. Als Cozcatl zurückkehrte, erkannten wir, noch ehe er nahe genug herankam, um zu sprechen, daß sein Dolch nicht mehr schwarz schimmerte, sondern von einem leuchtenden Rot war.

Freilich schüttelte er im Näherkommen den Kopf und sagte: »Ich habe ihn leben lassen, Mixtli.«

»Was?« entfuhr es mir. »Warum?«

»Ich habe die drohenden Worte des Verehrten Sprechers gestern abend mitgehört«, erklärte er in entschuldigendem Ton. »Als Chimali hilflos vor mir lag, war die Versuchung für mich groß, aber ich habe ihn nicht getötet. Da er also noch lebt, kann der Verehrte Sprecher seinem Zorn auf dich nicht allzusehr Luft machen. Ich habe Chimali nur dies hier genommen.«

Er streckte mir die geschlossene Hand hin, öffnete sie, und ich sah zwei glibberig-glänzende Kugeln und ein schlaffes rosa Ding, welches er etwa in halber Länge roh durchschnitten hatte.

Zu dem Pagen, der ganz grau im Gesicht war und sich übergab, sagte ich: »Du hast gehört. Er lebt. Aber er wird auf deine Hilfe angewiesen sein, um in die Stadt zurückzukehren. Geh hin, stille ihm die Blutungen und warte, daß er wieder zu sich kommt!«

»Der Mann Chimali lebt also«, sagte Ahuítzotl frostig. »Falls du das leben nennst. Du bist also mit unserem Verbot, ihn zu töten, fertiggeworden, indem du ihn nicht ganz getötet hast. Und erwartest nun getrost, daß wir nicht außer uns sind und keine Vergeltung üben, wie wir es versprochen haben.« Ich schwieg wohlweislich. »Wir gestehen, daß du unserem Befehl aufs Wort gefolgt bist. Doch die unausgesprochene Bedeutung dessen, was wir gesagt haben, hast du sehr wohl begriffen – und was ist damit? Wozu soll ein Mann in diesem Zustand nütze sein?«

Ich hatte mich mittlerweile damit abgefunden, bei diesem Gespräch mit dem Uey-Tlatoáni von seinen vorquellenden Augen angestarrt zu werden. Andere wanden sich und brachen in Wehklagen aus vor diesem Blick, ich jedoch fing nachgerade an, ihn als etwas Selbstverständliches hinzunehmen.

Ich sagte: »Falls der Verehrte Sprecher sich jetzt vielleicht meine Gründe anhört, warum ich den Palastkünstler herausgefordert habe, Hoher Gebieter, könntet Ihr, was den tragischen Ausgang des Zweikampfes betrifft, Nachsicht walten lassen.«

Er ließ ein mißmutiges Knurren vernehmen, doch ich nahm das als Erlaubnis zu sprechen. In großen Zügen erzählte ich ihm die gleiche Geschichte, die ich auch Zyanya erzählt hatte, verschwieg dabei nur sämtliche Ereignisse in Texcóco, da diese eng mit dem Tod von Ahuítzotls eigener Tochter zu tun hatten. Nachdem ich berichtete, wie Chimali zuletzt meinen neugeborenen Sohn umgebracht hatte, und ihm zu verstehen gegeben, welche Angst ich dieserhalb um meine Frau hätte, die ich eben erst geheiratet hatte, knurrte er abermals, dachte offensichtlich darüber nach – zumindest entnahm ich das seinem finsteren Blick – und sagte schließlich:

»Wir haben den Künstler Chimali nicht wegen oder trotz seiner verabscheuungswürdigen Moral, seiner sexuellen Veranlagung oder seines rachsüchtigen Wesens oder seiner Neigung zum Verrat an unseren Hof geholt. Das haben wir einzig und allein getan, damit er Bilder male, worauf er sich besser verstand als jeder andere Maler unserer Zeit und der vergangenen Tage. Du magst den Mann nicht ganz und gar umgebracht haben, den Künstler in ihm jedoch ganz gewiß. Nun, wo ihm die Augäpfel ausgerissen worden sind, kann er nicht mehr malen. Und wo ihm die Zunge herausgeschnitten worden ist, kann er unseren anderen Künstlern nicht einmal mehr das Geheimnis der einzigartigen Farben verraten, die er gemischt hat.«

Ich verharrte in Schweigen und überlegte insgeheim voller Befriedigung nur, daß Chimáli dem Verehrten Sprecher ohne seine Augen und ohne seine Stimme auch nicht mehr enthüllen konnte, wer es gewesen war, der seine älteste Tochter der Schande und der Hinrichtung überantwortet hatte.

Gleichsam, als wolle er den Fall für oder gegen mich zusammenfassen, fuhr er fort: »Wir sind immer noch ungehalten über dich, müssen jedoch mildernd die Gründe anerkennen, die du uns für dein Handeln angegeben hast. Wir müssen uns damit abfinden, daß es um einen unvermeidlichen Ehrenhandel ging. Außerdem müssen wir anerkennen, daß du dich bemüht hast, uns aufs Wort zu gehorchen, indem du den Mann Chimáli am Leben ließest; und wir halten unser Wort desgleichen. Wir sprechen dich von jeder Bestrafung frei.«

Dankbar und aufrichtig sagte ich: »Danke, Hoher Gebieter!«

»Allerdings, da wir unsere Drohung in der Öffentlichkeit ausgesprochen haben und die gesamte Bevölkerung inzwischen davon weiß, muß irgend jemand für den Verlust unseres Palastkünstlers büßen.« Ich hielt den Atem an und war überzeugt, daß er niemand anders meinte als Zyanya. Doch gleichmütig erklärte er: »Wir werden uns das überlegen. Die Schuld wird irgendeinem entbehrlichen Menschen gegeben werden – wichtig ist allein, daß alle wissen, daß wir keine leeren Drohungen aussprechen.«

Ich ließ den zurückgehaltenen Atem ausfahren. So herzlos es auch klingt, ich konnte wirklich nicht sonderlich viel Schuld- oder Mitleidsgefühle für irgendein unbekanntes Opfer aufbringen, das vielleicht ein unruhestiftender Sklave war, welcher nun aufgrund einer Laune des stolzen Tyrannen sterben sollte.

Abschließend meinte Ahuítzotl: »Dein alter Feind wird zum Palast hinausgetrieben werden und als gewöhnlicher Straßenbettler sein weiteres Leben fristen müssen, sobald der Arzt sich um seine Wunden gekümmert hat. Du hast deine Rache gehabt, Mixtli; jeder Mann würde lieber tot sein als in dem Zustand weiterleben, in den du ihn versetzt hast. Jetzt hebe dich hinweg von unseren Augen, sonst überlegen wir es uns womöglich noch anders. Geh zu deiner Frau, die sich vermutlich Sorgen um dein Wohlergehen macht.«

Was sie wahrhaftig tat – und nicht nur um meines, sondern um das ihre desgleichen. Doch Zyanya war eine Frau der Wolkenmenschen; nie hätte sie sich einem der Palastbediensteten gegenüber anmerken lassen, in welchen Todesängsten sie schwebte. Als ich unsere Gemächer betrat, Sing in ihren gefaßten Gesichtszügen keinerlei Veränderung vor, bis ich sagte: »Es ist getan. Er ist erledigt. Und man hat mir verziehen.« Erst da ließ sie ihren Tränen freien Lauf, dann lachte sie und weinte wieder, und stürzte sich in meine Arme und hielt mich umfangen, als wollte sie mich nie wieder loslassen.

Nachdem ich ihr alles berichtet hatte, was geschehen war, sagte sie:

»Du mußt halb tot sein vor Erschöpfung. Leg dich wieder hin und …«

»Gewiß werde ich mich hinlegen«, sagte ich, »allerdings nicht, um zu schlafen. Ich muß dir etwas gestehen. Immer, wenn ich ums Haar einer tödlich großen Gefahr entgangen bin, scheint das eine bestimmte Wirkung auf mich zu haben.«

»Ich weiß«, sagte sie lächelnd. »Das kann ich spüren. Aber Záa, eigentlich sollten wir beten.«

Ich erklärte: »Es gibt keine aufrichtigere Art des Gebets, als sich zu lieben.«

»Wir haben aber keine Lagerstatt.«

»Die Bodenmatten sind weicher als der Felsenboden. Und ich warte begierig auf die Einlösung eines Versprechens, das du gemacht hast.«

»Ah, ja, ich erinnere mich«, sagte sie. Und langsam – keineswegs widerstrebend, dafür jedoch quälend langsam – zog sie sich für mich aus, alles, was sie anhatte, bis auf die perlweiße Kette, welche der Künstler Tuxtem ihr in Xicalánca um den Hals gelegt hatte.

Ich habe euch bereits gesagt, ehrwürdige Patres, daß Zyanya wie ein wohlgeformtes Gefäß aus glänzend poliertem Kupfer war, welches von Honig überschäumt und das man in die Sonne gestellt hat. Die Schönheit ihres Gesichts kannte ich mittlerweile eine ganze Zeit, doch die Schönheit ihres Körpers hatte ich bisher nur gefühlt und ertastet. Jetzt freilich erblickte ich sie mit meinen Augen, und – sie hatte recht mit ihrem Versprechen – es war, als wäre es das erstemal, daß wir zusammenkamen. Es verlangte mich buchstäblich qualvoll danach, sie zu besitzen.

Als sie schließlich nackt vor mir stand, schien alles, was weiblich an ihr war, sich vorzurecken und nach oben zu stoßen und sich lodernd darzubieten. Ihre Brüste waren hoch angesetzt und standen zur Seite, und aus ihren hell kupferfarbenen Halbkugeln wuchsen ihr, kakaobraunen Brustwarzen gleich, zwei kleinere Halbkugeln hervor, und aus deren Mitte wiederum reckten sich mir die eigentlichen Brustwarzen entgegen und wollten geküßt werden. Auch ihr Tipili saß hoch und drängte nach vorn, und wiewohl sie die langen Beine züchtig zusammen gepreßt hielt, teilten ihre weichen Lippen sich dort, wo sie zusammenwuchsen, ganz ganz wenig, und gewährten mir einen Blick auf die rosige Perle ihres Xacapíli, und in diesem Augenblick war sie feucht wie eine Perle, die geradenwegs aus dem Meere kommt …

Genug.

Wiewohl Seine Exzellenz nicht anwesend sind und daher auch nicht durch ihren üblichen Abscheu vertrieben werden können, werde ich nicht erzählen, was dann geschah. Ich bin, was meine Beziehungen zu anderen Frauen betrifft, von freimütiger Direktheit gewesen, doch Zyanya war meine geliebte Frau, und ich gedenke, die meisten meiner Erinnerungen an sie für mich zu behalten wie ein Geizkragen. Einzig meine Erinnerungen sind mir von allem geblieben, was ich im Leben gehabt habe. Und ich glaube wahrhaftig, daß die Erinnerungen der einzige Schatz sind, den ein Mensch für immer behalten kann. Und das war ihr Name. Immer.

Aber ich verliere mich in Abschweifungen. Dabei war unser köstliches Bei- und Ineinandersein nicht das letzte Geschehen dieses ausnehmend ereignisreichen Tages. Zyanya und ich lagen noch einer in den Armen des anderen, und ich war gerade dabei einzuschlafen, als sich von der Tür her ein Kratzen vernehmen ließ, genauso wie das von Cozcatl am Morgen. Wie benommen hatte ich nur den einen Wunsch: daß ich nicht noch einmal zu einem Zweikampf geholt werden würde; ich raffte mich auf, warf mir meinen Umhang um die Schultern und ging nachsehen. Es war einer der Palastdiener.

»Verzeiht, daß ich Euch in Eurer Andacht störe, mein Herr Schreiber, aber ein Schnellbote bringt eine dringende Bitte von Eurem jungen Freund Cozcatl. Er bittet Euch, so rasch wie möglich in das Haus Eures alten Freundes Extli-Quani zu kommen. Der Mann scheint im Sterben zu liegen.«

»Unsinn«, sagte ich mit belegter Stimme. »Ihr müßt die Botschaft falsch verstanden haben.«

»Hoffentlich, Herr«, sagte er steif, »doch ich fürchte, ich irre mich nicht.«

Unsinn! sagte ich abermals – freilich nur zu mir selbst –, zog mich dann jedoch geschwind an und erklärte meiner Frau, was es gäbe. Unsinn, sagte ich mir immer wieder; Blut Schwelger kann nicht im Sterben liegen. Der Tod konnte unmöglich seine Zähne in diesen ledrigen und sehnigen alten Kämpen geschlagen haben. Der Tod konnte ihm nicht seine immer noch lebensvollen Säfte aussaugen. Alt mochte er sein, aber ein Mann, der noch so voll steckte von männlichen Begierden, war noch nicht alt genug zum Sterben. Nichtsdestotrotz lief ich, so schnell ich konnte, und der Diener hatte unten am Kanalufer des Innenhofs ein Acáli für mich warten, um mich schneller ins Móyotlan-Viertel der Stadt zu bringen, als ich es zu Fuß hätte schaffen können.

Cozcatl wartete an der Tür des noch unfertigen Hauses und rang verzweifelt die Hände. »Der Priester von Kot Fresserin ist im Augenblick bei ihm, Mixtli«, flüsterte er angstvoll. »Hoffentlich hat er noch Atem genug, um dir Lebewohl zu sagen.«

»Dann stirbt er also doch!« stöhnte ich auf. »Aber woran? Er war doch gestern beim Fest noch bei bester Gesundheit. Und gegessen hat er wie ein ganzer Schwarm Geier. Hat seine Hand immer wieder die Schenkel der Dienerinnen hinauflaufen lassen. Wie sollte ihn etwas so plötzlich geschlagen haben?«

»Ich nehme an, die Krieger von Ahuítzotl schlagen immer plötzlich zu.«

»Was?«

»Und ich hatte gedacht, die vier Palastwachen wären meinetwegen gekommen, Mixtli – wegen dem, was ich Chimáli angetan hatte. Aber sie schoben mich einfach beiseite und sind auf Blut Schwelger eingedrungen. Er hatte zwar sein Maquáhuitl griffbereit wie immer, und so ist er nicht kampflos getötet worden, und drei von den vieren bluteten heftig, als sie wieder abzogen. Aber ein Schnitt mit einer Speerspitze hatte den alten Mann aufgeschlitzt.«

Als mir aufging, was sich abgespielt hatte, lief mir ein kalter Schauder über den Rücken. Ahuítzotl hatte versprochen, an meiner Statt einen leicht zu ersetzenden Nichtsnutz hinzurichten; und mußte seine Wahl getroffen haben, noch während er es mir sagte. Einst hatte er Blut Schwelger mir gegenüber als jemand dargestellt, der zu alt geworden sei, um zu mehr nutze zu sein, als Kindermädchen bei meiner Handelsexpedition zu spielen. Und vor wenigen Stunden noch hatte er gesagt, alle müßten erfahren, daß er keine leeren Drohungen ausspreche. Nun, zu diesen allen gehörte auch ich. Ich hatte mich dazu beglückwünscht, von jeder Bestrafung befreit worden zu sein und hatte das gefeiert, indem ich mit Zyanya ausgelassen der Liebe gepflogen hatte – und all das, während dies hier geschehen war! Dieser Schlag sollte mich nicht nur entsetzen und in Trauer stürzen. Er war mit der ausdrücklichen Absicht geführt worden, mir jede Illusion auszutreiben, ich selbst könne möglicherweise unersetzlich sein, und um mich zu warnen, mich nie wieder den Wünschen des unversöhnlichen Despoten Ahuítzotl zu widersetzen.

»Der alte Mann hinterläßt dies Haus und alle seine Besitztümer dir, Knabe«, ließ sich eine andere Stimme vernehmen. Es war die des Priesters, welcher unter der Tür auftauchte und sich an Cozcatl wandte. »Ich habe seinen Letzten Willen niedergeschrieben und verbürge mich als Zeuge …«

An ihm vorbei schob ich mich durch die vorderen Gemächer in das am weitesten nach hinten gelegene. Die noch nicht verputzten Wände waren mit Blut bespritzt und das Lager meines alten Freundes damit durchtränkt, wiewohl ich keine Wunde an ihm entdecken konnte. Er trug nur das Schamtuch und lag auf dem Bauch; das graue Haupt in meine Richtung gedreht, hatte er die Augen geschlossen.

Ohne mich um das geronnene Blut zu kümmern, warf ich mich neben ihm auf das Lager, und sagte eindringlich: »Meister-Cuachic, ich bin's – Euer Schüler, Umnebelt.«

Langsam schlug er die Augen auf. Gleich darauf schloß sich eines kurz wieder – ein Zwinkern und ein schwaches Lächeln. Aber die Zeichen des Todes waren unverkennbar: Seine einst durchdringenden Augen waren um die Pupillen aschgrau geworden, seine einst fleischige Nase dünn und scharf wie eine Klinge.

»Es tut mir so leid«, brachte ich unter Würgen hervor.

»Nicht nötig«, sagte er kaum vernehmlich und unter zitterndem Keuchen. »Ich bin im Kampf gestorben. Es gibt schlimmere Todesarten. Die bleiben mir jetzt erspart. Ich wünsche dir … ein … genauso gutes Ende. Lebwohl, junger Mixtli.«

»Warte!« schrie ich, als ob ich ihm befehlen könnte. »Ahuítzotl war es, der das befohlen hat, weil ich Chimáli besiegt habe. Aber du hattest mit der Sache nichts zu tun. Du hast nicht einmal Partei ergriffen. Warum rächt der Verehrte Sprecher sich ausgerechnet an dir? Warum rächt er sich nicht an mir?«

»Weil ich es war«, schaffte er, noch zu sagen, »der euch beiden beigebracht hat, wie man tötet.« Die Augen geschlossen, lächelte er abermals. »Und hab' es gut gemacht … oder?«

Das waren seine letzten Worte; kein Mensch hätte einen passenderen Grabspruch für ihn finden können. Ich jedoch wollte einfach nicht glauben, daß er nie wieder sprechen würde. Ich dachte, vielleicht ist ihm das Atmen zu schwer geworden, weil er auf dem Bauch liegt; vielleicht atmet er wieder, wenn er behaglich auf dem Rücken liegt. Verzweifelt packte ich ihn, hob ihn an und drehte ihn um, und all seine Eingeweide kamen mir entgegen.

Wiewohl ich um Blut Schwelger trauerte und innerlich schäumte vor Empörung darüber, daß er umgebracht worden war, tröstete es mich ein wenig, daß Ahuítzotl etwas nie erfahren würde. Beim rächenden Schlagabtausch war ich ihm immer noch einen Schlag voraus. Ich hatte ihm eine Tochter genommen. Infolgedessen schluckte ich meine Galle hinunter, so gut es ging, um meine Vergangenheit hinter mich zu bringen und hoffnungsfreudig eine Zukunft zu beginnen, welche frei sein sollte von Blutvergießen und Herzeleid, Haß und Gefahr. Zyanya und ich richteten alle unsere Kraft darauf, ein Zuhause für uns zu bauen. Das Grundstück, welches wir dafür ausersehen, war vom Verehrten Sprecher gekauft und uns zur Hochzeit geschenkt worden. Ich hatte das Angebot damals nicht abgelehnt, und es wäre auch nach Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen uns im höchsten Maße unklug gewesen, es zurückzuweisen; doch im Grunde war ich auf derlei Geschenke nicht angewiesen.

Die Vorsteher der Pochtéca-Gilde hatten die Ausbeute meiner ersten Handelsexpedition, die Federn und die Kristalle, mit unerhörtem Gewinn für mich auf den Markt gebracht, so daß ich – selbst nachdem ich mit Cozcatl und Blut Schwelger geteilt hatte – ein höchst behagliches Leben hätte führen können, ohne jemals wieder Handel treiben oder überhaupt einen Handschlag tun zu müssen. Danach hatte meine zweite Lieferung fremdländischer Erzeugnisse meinen Reichtum in schwindelnde Höhen schießen lassen. War dem Verkauf der Brennkristalle ein bemerkenswerter geschäftlicher Erfolg beschieden gewesen – beim Erwerb der Elfenbeinschnitzereien überboten die Edelleute sich in ihrer Aufregung gegenseitig. Die Preise, welche diese Dinge erzielten, würden es Cozcatl und mir – sofern uns der Sinn danach gestanden hätte – gestattet haben, uns zur Ruhe zu setzen und genauso aufgeblasene und schwerfällige Burschen zu werden wie die Gildenvorsteher vom Haus der Pochtéca.

Das Grundstück, das Zyanya und ich uns ausgesucht hatten, lag in Ixacuálco, dem besten Wohnviertel der Insel, doch stand darauf nur ein kleines, recht unansehnliches Haus aus luftgetrockneten Lehmziegeln. Ich sicherte mir die Dienste eines Baumeisters, wies ihn an, das Haus abzureißen und einen soliden Sandsteinbau zu errichten, der zwar schön werden und für die Vorübergehenden einen angenehmen Anblick bieten, doch in keiner Weise etwas Protziges sein sollte. Da das Grundstück wie alle anderen auf der Insel schmal und recht klein war, gab ich ihm den Auftrag, Raum dadurch zu schaffen, daß er in die Höhe baute. Meine Wünsche, die ich unbedingt erfüllt haben wollte, richteten sich auf einen Dachgarten, eine Badestube samt zugehöriger Wasserspülung und eine falsche Mauer mit reichlich Lagerraum zum Verstecken dahinter.

Ahuítzotl marschierte unterdessen, ohne weiter meinen Rat einzuholen, gen Süden nach Uaxyácac, freilich nicht mit einem riesigen Heer, sondern mit einer auserlesenen Truppe seiner besten Krieger, höchstens fünfhundert Mann. Er überließ den Thron vorübergehend seiner Weiblichen Schlange, nahm jedoch als Unter-Feldherr einen jungen Mann mit, dessen Name euch Spaniern vertraut ist. Es handelte sich um Motecuzóma Xocóyotzin, also den Herrn Motecuzóma den Jüngeren, der übrigens rund ein Jahr jünger war als ich. Motecuzóma war Ahuítzotls Neffe, Sohn eines seiner Vorgänger als Uey-Tlatoáni, Axayácatl und damit Enkel des ersten und großen Motecuzóma. Dieser Neffe war bis dato Oberpriester des Kriegsgottes Huitzilopóchtli gewesen, doch sollte er auf diesem Unternehmen den Krieg zum erstenmal richtig kennenlernen. Er sollte noch viele weitere Feldzüge mitmachen, denn er gab das Priestertum auf, wurde Berufssoldat und erhielt selbstverständlich sogleich Feldherrenrang.

Etwa einen Mond nach dem Abmarsch der Truppen trafen in gewissen Abständen Ahuítzotls Schnellboten in der Stadt ein, und die Weibliche Schlange machte ihre Meldungen öffentlich bekannt. Aus den Berichten der ersten von ihnen ging deutlich hervor, daß der Verehrte Sprecher sich an den Rat hielt, welchen ich ihm gegeben hatte. Er hatte sein Kommen im Voraus angekündigt, und wie ich vorausgesagt hatte, hatte der Bishósu von Uaxyácac ihn freundlich willkommen geheißen und eine gleich starke Truppe von Kriegern aufgestellt, die von Ahuítzotl zu verstärken. Diese aus Mexíca und Tzapotéca bestehenden Einheiten waren in die zerklüfteten Küstengebiete Der Fremden eingefallen und hatten kurzen Prozeß mit ihnen gemacht – das heißt, sie hatten so viele von ihnen getötet, daß der Rest die Waffen streckte und sich der Forderung nach Herausgabe des langgehüteten Purpurfarbstoffes beugte.

Die später eintreffenden Boten brachten freilich weniger glückliche Neuigkeiten. Die siegreichen Mexíca waren in Tecuantépec einquartiert worden, während Ahuítzotl und der Herrscher der Tzapotéca, Kosi Yuela, über Fragen und Probleme der Staatsführung berieten. Diese Krieger waren solange an ihr Recht gewöhnt gewesen, jedes unterworfene Volk auszuplündern, daß sie erbost darüber murrten, als sie erfuhren, daß ihr Anführer die einzige sichtbare Kriegsbeute – den kostbaren Purpur – dem Herrscher eben über dieses Volk überließ. Für die Mexíca sah es so aus, daß der Kampf, den sie geführt hatten, niemand anderem als jenem Land zugute kommen sollte, in welches sie eingefallen waren. Da Ahuítzotl nicht der Mann war, seine Entscheidungen seinen Untergebenen gegenüber zu rechtfertigen und ihre Unruhe dadurch zu beschwichtigen, lehnten die Mexíca sich gegen alle militärische Zurückhaltung auf. Sie ließen jede Ordnung fahren und zogen plündernd, vergewaltigend und brandschatzend durch Tecuantépec.

Diese Meuterei hätte die heiklen Verhandlungen, welche zu einem Bündnis zwischen unserem Volk und Uaxyácac führen sollten, zum Scheitern bringen können. Doch glücklicherweise rief Ahuítzotl – ehe die völlig außer Rand und Band geratenen Mexíca jemand von Bedeutung hatten umbringen können und ehe die Truppen der Tzapotéca eingriffen, was auf nichts Geringeres als auf einen kleinen Krieg hinausgelaufen wäre – seine Horde mit Donnerstimme zur Ordnung und versprach, jedem von ihnen, bis hinunter zum geringsten Yaoquizqui, aus seiner persönlichen Schatzkammer eine Summe auszuzahlen, welche weit höher lag als alles, was sie durch Raub und Plünderung hätten in ihren Besitz bringen können. Die Krieger wußten, daß Ahuítzotl ein Mann war, der zu seinem Wort stand, und so genügte das, die Meuterei niederzuschlagen. Außerdem zahlte der Verehrte Sprecher Kosi Yuela und dem Bishósu von Tecuantépec eine ansehnliche Entschädigung für den angerichteten Schaden.

Die Berichte über die Gewalttätigkeiten in Zyanyas Vaterstadt beunruhigten sie und mich selbstverständlich sehr. Keiner von den Schnellboten, welche die Nachrichten überbrachten, konnte uns sagen, ob unsere Schwester Béu Ribé oder ihre Herberge unter den Opfern der Plünderer gewesen sei. Wir warteten, bis Ahuítzotl und seine Truppe zurückkehrten; danach zog ich unter den Offizieren Erkundigungen ein, konnte aber auch von ihnen nicht erfahren, ob Wartendem Mond etwas Schlimmes zugestoßen sei.

»Ich mache mir größte Sorgen um sie, Záa«, sagte meine Frau.

»Genaues feststellen läßt sich offenbar nur in Tecuantépec selbst«, erklärte ich.

Zögernd sagte sie: »Ich könnte ja hierbleiben und den Bau unseres Hauses weiter beaufsichtigen. Wenn du es über dich bringen könntest …«

»Du brauchst mich nicht einmal zu bitten. Ich hatte ohnehin vorgehabt, noch einmal in jene Lande hinunterzuziehen.«

Verwundert blinzelte sie. »Das hattest du? Warum?«

»Da ist eine geschäftliche Angelegenheit, die noch zu Ende gebracht werden muß«, erklärte ich. »Sie hätte noch eine Weile warten können, aber jetzt, wo es um Béus Wohlergehen geht, mache ich mich am besten gleich auf.«

Zyanya begriff sofort und sagte: »Du hast vor, noch einmal zu dem Berg zurückzugehen, der ins Wasser schreitet! Das darfst du nicht, Geliebter! Diese barbarischen Zyú hätten dich letztes Mal ums Haar umgebracht …«

Sanft legte ich ihr einen Finger über die Lippen. »Ich ziehe gen Süden, um herauszubringen, was mit unserer Schwester geschehen ist, das ist die Wahrheit und die einzige Wahrheit, die du irgend jemand sagen wirst. Ahuítzotl darf nicht das geringste erfahren, auch nicht gerüchteweise, daß ich auch noch ein anderes Ziel verfolge.«

Sie nickte, sagte aber gleichwohl unglücklich: »Jetzt werde ich mir um zwei geliebte Menschen Sorgen machen müssen.«

»Dieser, der vor dir steht, wird heil und gesund zurückkehren, und nach Béu werde ich suchen. Sollte ihr etwas zugestoßen sein, werde ich dafür sorgen, daß das wieder in Ordnung kommt. Oder, falls ihr das lieber ist, bringe ich sie mit mir zurück. Und werde auch noch etwas anderes Kostbares mit zurückbringen.«

Selbstverständlich galt meine erste Sorge Béu Ribé, und selbstverständlich war sie auch der unmittelbare Anlaß, daß ich nach Uaxyácac zurückkehrte. Gleichwohl werdet ihr, ehrwürdige Patres, auch bemerkt haben, daß ich auch noch einen anderen Plan verfolgte, den ich von langer Hand sehr sorgfältig vorbereitet hatte. Als ich dem Verehrten Sprecher vorgeschlagen hatte, über Die Fremden herzufallen und sie zu zwingen, sämtlichen Purpurfarbstoff abzuliefern, den sie in Zukunft gewinnen würden, hatte ich über den gewaltigen Purpurvorrat, den sie bereits in der Grotte des Meeresgottes angehäuft hatten, wohlweislich kein Wort verlauten lassen. Nach meinen Erkundigungen unter den zurückgekehrten Kriegern wußte ich, daß Die Fremden diesen nicht einmal nach der Niederlage herausgerückt, ja, ihn nicht einmal erwähnt hatten. Ich jedoch wußte davon und kannte die Grotte, in der er verborgen war; ich hatte nur dafür gesorgt, daß Ahuítzotl die Zyú soweit schwächte, daß es mir möglich wäre hinzugehen und diesen sagenhaften Schatz für mich selbst zu heben.

Ich hätte wohl auch Cozcatl mitgenommen, nur war dieser im Augenblick gleichfalls vollauf mit dem Häuserbau beschäftigt, denn er baute dasjenige fertig, welches Blut Schwelger ihm hinterlassen hatte. Aus diesem Grunde bat ich ihn nur um Erlaubnis, mir ein paar Dinge von der Ausrüstung des alten Kriegers auszuleihen. Sodann durchstreifte ich die Stadt und trieb nach und nach sieben von Blut Schwelgers ehemaligen Waffengefährten auf. Sie waren sämtlichst jünger gewesen als er, manche von ihnen freilich älter als ich. Zumindest standen sie noch im Vollbesitz ihrer Körperkräfte und schienen imstande, eine Menge auszuhalten. Nachdem ich sie hatte Verschwiegenheit schwören lassen und ihnen auseinandersetzte, was ich vorhatte, waren sie Feuer und Flamme für dieses Abenteuer.

Zyanya half mir, die Geschichte zu verbreiten, ich zöge aus, festzustellen, wo ihre Schwester abgeblieben sei; da ich jedoch ohnehin unterwegs sei, würde ich die Gelegenheit nutzen, weiteren Handel zu treiben. Infolgedessen erregten wir – ich und die sieben Kämpen – keinerlei besondere Aufmerksamkeit, als wir über den Damm nach Coyohuácan hinüberzogen. Freilich, hätte uns jemand genau ins Auge gefaßt, würde er sich vermutlich doch über die vielen Narben, eingedrückten Nasen und knolligen Ohren bei den Trägern gewundert haben, die ich mir ausgesucht hatte. Würde jemand überdies noch die länglichen, in Matten eingewickelten Pakete untersucht haben, in denen sie angeblich Handelswaren mitführten, hätte er festgestellt, daß sie – neben Reiseproviant und goldstaubgefüllten Federkielen – nur Lederschilde, eine Reihe von Handwaffen, Langspeere und eine Menge Farben für die Kriegsbemalung, und Federn, kurz, die Ausrüstungsgegenstände für ein ganzes kleines Heer mit sich führten.

Wir hielten uns an die gen Süden führende Handelsroute, freilich nur, bis wir Quaunáhuac ein ganzes Stück hinter uns hatten. Danach bogen wir scharf nach rechts ab und folgten der weniger benutzten Westroute, welche geradenwegs ans Meer führte. Da diese Straße uns den größten Teil über durch die südlichsten Gebiete von Michihuácan führte, würden wir durchaus in der Patsche gesessen haben, wenn jemand uns angehalten und unsere Lasten untersucht hätte. Man hätte uns für Spione der Mexíca gehalten und auf der Stelle getötet – oder vielmehr nicht auf der Stelle, sondern langsam und unter Martern. Wiewohl sämtliche Versuche unserer Heere, hier einzumarschieren, von den Purémpecha mit ihren überlegenen Waffen aus irgendeinem harten und scharfen Metall vereitelt worden waren, war jeder Purémpe immer noch sehr mißtrauisch, wenn Mexíca aus irgendwelchen fragwürdigen Gründen in ihr Land kamen.

Vielleicht sollte ich erwähnen, daß Michihuácan – Land der Fischer – der Name war, mit dem wir diese Lande belegten, so wie ihr Spanier es heute Nueva Galícia nennt, was immer das bedeuten mag. Die Einheimischen haben in jedem Landesteil einen anderen Namen für ihr Land – Xalísco, Nauyar Ixú, Kuanáhuata und so fort –, in seiner Gesamtheit hieß das Land jedoch nach der gleichnamigen Hauptstadt Tzintzuntzam, Wo Die Kolibris Fliegen. Die Sprache, die man dort spricht, heißt Pore, und während dieser und nachfolgender Reisen lernte ich von dieser Sprache, soviel ich konnte – oder vielleicht sollte ich sagen, von diesen Sprachen, denn das Pore weist genauso viele unterschiedliche Dialekte auf wie das Náhuatl. Immerhin kann ich genug Pore, um mich zu fragen, warum ihr Spanier die Purémpecha unbedingt Tarascanen nennen müßt. Diese Bezeichnung scheint ihr von dem Poré-Wort Taraskué abzuleiten, womit ein Purémpe sich selbst als einen weit »entfernten Verwandten« sämtlicher Völker in der Nachbarschaft bezeichnete. Doch gleichviel – ich selber trage eine ganze Menge unterschiedlicher Namen und sollte auch in diesem Lande wieder einen neuen dazubekommen, denn Dunkle Wolke heißt dort Anikua Pakapeti.

Michihuácan war und ist ein großes, reiches Land, genauso reich wie das Reich der Mexíca einstmals war. Der Verehrte Sprecher dieses Landes oder Uandákuari, wie er genannt wurde, herrschte über ein Gebiet, welches von den Obstgärten von Xichú in den südlichen Otosmi-Landen bis zum Handelshafen Patámkuaro am Süd-Meer reichte. Und wiewohl die Purémpecha ständig vor fremden Heeren auf der Hut waren, welche sie mit Krieg überziehen wollten, wie wir Mexíca, hatten sie keineswegs etwas dawider, ihre Reichtümer im Handel gegen die unseren einzutauschen. Ihre Händler kamen bis auf unseren großen Markt von Tlaltelólco. Sie schickten sogar Schnellboten, frischen Fisch für die Gaumenfreuden unseres Adels zu bringen. Unsere Kaufleute durften dafür ungehindert durch Michihuácan reisen, wie ich und meine angeblichen Träger es taten.

Wären wir wirklich darauf ausgewesen, unterwegs Handel zu treiben, hätten wir viele wertvolle Dinge eintauschen können: Austernherzen oder Perlen; reich glasierte Töpferwaren; Gerät und Schmuck aus Kupfer, Silber, Perlmutt und Bernstein; und die glänzenden Lackarbeiten, welche man außer in Michihuácan nirgends fand. Für die Herstellung besagter Lackwaren – tiefschwarz mit goldenen Mustern und solchen in anderen Farben darauf – brauchte ein Handwerker unter Umständen Monde oder gar Jahre, denn sie gingen von schlichten Tabletts bis zu sehr großen, zusammenklappbaren Faltschirmen.

Wir Reisenden hätten sämtliche dort hergestellten Erzeugnisse erstehen können – mit Ausnahme des geheimnisvollen Metalls, von dem ich bereits gesprochen habe. Keinem Ausländer wurde gestattet, auch nur einen Blick darauf zu werfen; die daraus hergestellten Waffen wurden in den Arsenalen unter Verschluß gehalten und nur im Notfall an die Krieger ausgegeben. Da unsere Mexíca-Heere nie auch nur eine einzige Schlacht gegen die damit bewaffneten Purémpecha gewonnen hatten, war es keinem unserer Krieger möglich gewesen, auch nur einen weggeworfenen Purémpe-Dolch in seinen Besitz zu bringen.

Nun, wir trieben keinerlei Handel. Dafür kosteten ich und meine Männer einige von den heimischen Gerichten, welche für uns neu oder nur selten zu bekommen waren – so etwa den Honiglikör von Tláchco. Im zerklüfteten Felsland um die Stadt herum summte es buchstäblich von morgens bis abends. Zwar konnte ich mir einreden, die Schwingungen zu spüren, welche von den Männern hervorgerufen wurden, welche unter Tage nach Silber gruben – aber das unablässige Gesumm der Schwärme von Tausenden und Abertausenden von Bienen über Tage hörte ich wirklich. Während die Männer nach dem verborgenen Silber suchten, brachten ihre Frauen und Kinder goldene Honigernten ein. Einen Teil davon seihten sie nur säuberlich durch und verkauften ihn zum Süßen von Gerichten. Einen Teil ließen sie jedoch in der Sonne trocknen, bis er ganz rest und womöglich noch süßer geworden war. Noch ein anderer Teil wurde mit Hilfe eines Rezepts, welches sie genauso eifersüchtig hüteten wie das zur Herstellung des tödlichen Metalls, zu einem Getränk verarbeitet, welches Chápari hieß und weit köstlicher und in seiner Wirkung wesentlich stärker war als der saure Octli, den wir Mexíca so gut kannten.

Da das Chápari genauso wie das besagte Metall niemals außer Landes verkauft wurde, tranken ich und meine Männer, wo wir schon einmal dort waren, soviel wir konnten. Desgleichen ließen wir uns die Fische aus den Seen und Flüssen Michihuácans, Froschschenkel und Aale schmecken, sobald wir in einer Herberge für Reisende übernachteten. Ja, wir wurden der vornehmlich aus Wassergetier hergestellten Kost nach einiger Zeit überdrüssig, doch haben diese Menschen eine sonderbare Abneigung dagegen, eßbare Landtiere zu erlegen. Ein Purémpe wird nie Hirsch- und Rehwild jagen, weil er sie für den Gestalt gewordenen Sonnengott hält, was sich dadurch erklärt, daß das Geweih des Hirschbullen und des Rehbocks in seinen Augen Ähnlichkeit mit den Sonnenstrahlen aufweist. Nicht einmal Eichhörnchen darf mit Fallen oder Blasrohr nachgestellt werden, bloß weil die Purémpecha-Priester – genauso verkommen und schmutzig wie die unseren – Tiuimencha genannt werden, was »Schwarzes Eichhörnchen« bedeutet. Bei den meisten Mahlzeiten, welche wir in den Herbergen zu uns nahmen, handelte es sich – sofern sie nicht aus Fisch bestanden – entweder um Wild- oder Hausgeflügel.

Eine größere Auswahl wurde uns hingegen jeweils nach dem Essen angeboten. Ich glaube, ich habe bereits von der Freizügigkeit gesprochen, welche die Purémpecha sexuellen Praktiken gegenüber an den Tag legen. Je nach seiner eigenen Einstellung wird ein Ausländer sie entweder bösartig als locker oder nachsichtig als weitherzig bezeichnen; auf jeden Fall gab es jedoch für jeden Geschmack etwas. Jedesmal, wenn wir in einer Herberge unsere Mahlzeit beendet hatten, pflegte der Herbergswirt sich bei mir und meinen Männern zu erkundigen: »Wünscht Ihr eine männliche oder eine weibliche Nachspeise?« Die Antwort überließ ich meinen Männern selbst; sie erhielten genug Lohn von mir, sich leisten zu können, wonach ihnen der Sinn stand. Da jedoch Zyanya daheim auf mich wartete, war ich nicht geneigt, von dem zu kosten, was mir in den verschiedenen Landen geboten wurde, wie ich es in meinen Junggesellentagen durchaus mit Freuden getan. Meine Antwort an den Herbergsvater lautete unweigerlich: »Weder das eine noch das andere, vielen Dank«, womit sich selbiger jedoch beileibe noch nicht zufrieden gab, sondern weiter fragte: »Würdet Ihr vielleicht eine grüne Frucht vorziehen?«

Möglicherweise wäre es für einen vergnügungssüchtigen Reisenden angeraten gewesen, genau zu sagen, welche Art Bettgenossen er sich wünschte – eine erwachsene Frau oder einen erwachsenen Mann, ein junges Mädchen oder einen Knaben –, denn in Michihuácan fällt es bisweilen schwer zu sagen, wer nun welchen Geschlechts ist, da die Purémpecha damals zumindest eine merkwürdige Gepflogenheit hatten. Die Angehörigen aller Klassen mit Ausnahme der Sklaven entfernten jedes nur mögliche Körperhaar. Sie rasierten sich entweder den Kopf, zupften sich jedes Haar auf dem Haupte aus oder entfernten es auf irgendeine andere Weise, dazu die Brauen über ihren Augen und auch noch den leichtesten Anflug von Flaum unter den Achseln oder zwischen den Beinen. Männer, Frauen und Kinder wiesen außer ihren Augenwimpern nicht das geringste Haar an ihrem Körper auf. Und im Gegensatz zu aller Lüsternheit welcher sie sich nächtens vielleicht wohl hingaben, waren sie tagsüber sittsam in mehrere Umhänge oder Blusen übereinander gekleidet, weshalb es schwer fiel zu entscheiden, ob man nun eine Frau oder einen Mann vor sich hatte.

Anfangs nahm ich an, daß die glatte und schimmernde Haarlosigkeit der Purémpecha einem besonderen Schönheitsideal entsprach oder auch eine vorübergehende Mode war. Sie könnte aber auch auf ein zwanghaftes Reinlichkeitsbedürfnis zurückgeführt werden. Im Verlauf meines Sprachenstudiums kam ich dahinter, daß es im Pore mindestens acht verschiedene Ausdrücke für Schuppen und mindestens ebenso viele für Läuse gibt.

Bei einem riesigen blauen Hafenbecken, welches durch zwei schützende Landarme vorm Anrennen schwerer Seen und vor Stürmen geschützt wurde, stießen wir an die Küste vor. An diesem Becken lag der kleine Hafen, der von seinen Bewohnern Patámkuaro und von den hierherkommenden Mexíca-Händlern Acamepúlco genannt wurde – doch beide Namen, sowohl der in Poré als auch der in Náhuatl, beziehen sich auf die binsen- und reetbedeckten Flächen, die das Dorf säumen. Acamepulco war einerseits ein eigenständiger Fischerhafen, andererseits aber auch das Handelszentrum der Stämme, welche im Osten und im Westen an der Küste lebten, in Einbäumen dorthin kamen und dort ihre dem Land und dem Meer abgerungenen Erzeugnisse verkauften: Fische, Schildkröten, Baumwolle, Kakao, Vanille und andere für diese Heißen Lande typischen Produkte.

Diesmal hatte ich die Absicht, vier größere, seegängige Kanus nicht zu mieten, sondern zu kaufen; je zwei von uns sollten damit ohne fremde Hilfe hinausrudern, damit wir keine Zeugen für unser Vorhaben hätten. Doch das war leichter gesagt als getan. Das uns vertraute Acáli, wie man es auf dem Texcóco-See verwendete, ließ sich leicht aus den weichen Stämmen der Fichten herstellen, welche bei uns wuchsen. Diese seegängigen Einbäume hingegen wurden aus dem außerordentlich schweren und harten Mahagoniholz gemacht, und dazu brauchte man unter Umständen Monde. Fast alle Einbäume von Acamepulco befanden sich seit Generationen in Familienbesitz, und keine Familie war bereit, einen zu verkaufen; denn dann hätten sie den ertragreichen Fischfang oder Transport aufgeben müssen, bis der Ersatz geschlagen, mit Äxten in die richtige Form gebracht, ausgebrannt wurde und glatt geschliffen war. Dennoch gelang es mir schließlich, die vier Boote zu erstehen, die ich brauchte, wiewohl es Tage zäher Verhandlungen erforderte und ich dafür weit mehr Goldstaub hergeben mußte, als ich vorgesehen hatte.

Sie sodann in südöstlicher Richtung die Küste entlangzurudern, war gleichfalls nicht einfach. Wir alle besaßen zwar einige Erfahrung mit unseren Acális auf den Seen, und auch auf diesen großen Binnenseen konnte der Wind bisweilen die Wasser recht aufwühlen; was wir jedoch nicht kannten, waren Gewässer mit Meeresströmungen und Gezeitenunterschieden selbst bei ruhigem Wetter, mit denen wir – und dafür danke ich den Göttern – bei unserer Seefahrt fertig wurden. Ein paar von den standhaften Kriegern, deren Magen sich bei all den ekelerregenden Schrecken des Krieges nie umgekehrt hatte, waren die ersten zwei oder drei Tage elendiglich seekrank. Ich freilich nicht, was vielleicht daran lag, daß es nicht meine erste Seereise war. Immerhin lernten wir, nicht zu nahe am Ufer entlangzufahren, wo die Wasserbewegung am heftigsten und unberechenbarsten war. Wiewohl es uns alle mit größtem Unbehagen erfüllte, in so großer Entfernung von Der Einen Welt dahinzufahren, hielten wir uns ein gutes Stück von den ersten Brandungswogen entfernt und gingen nur bei Sonnenuntergang an Land, um die Nächte dankbar auf dem weichen und sich nicht hebenden und senkenden Strand zu verbringen.

Dieser Uferstrand wurde von weißschimmerndem Sand allmählich über stumpfes Grau zum matten Schwarz vulkanischen Ursprungs. Dann wurde dieser Strand unterbrochen durch einen plötzlich vorspringenden Felssporn: den Berg, der ins Wasser schreitet. Dank meines Topases erspähte ich den Berg schon aus der Ferne, und da es bereits später Nachmittag war, gab ich Befehl, das Ufer anzulaufen.

Als wir um das Lagerfeuer herumsaßen, wandte ich mich an meine sieben Männer, erklärte ihnen noch einmal, wie wir am nächsten Morgen vorgehen wollten und fügte dann noch hinzu: »Manche von euch haben vielleicht Bedenken, die Hand gegen einen Priester zu erheben, auch gegen den Priester eines fremden Gottes. Laßt diese Bedenken fahren. Diese Priester werden tun, als seien sie unbewaffnet und nur verwundert über unsere Ankunft, und als seien sie hilflos unseren Waffen gegenüber. Das sind sie jedoch keineswegs. Sobald sich die geringste Gelegenheit bietet, werden sie jeden einzelnen von uns erschlagen, ihn zerlegen wie das Fleisch eines Wildebers und uns dann genußvoll verspeisen. Sobald wir unser Vorhaben morgen zu Ende gebracht haben, werden wir sie töten. Und zwar mitleidslos töten, weil sie sonst uns töten würden. Denkt daran und achtet auf meine Zeichen.«

Als wir am nächsten Morgen unsere Einbäume noch einmal durch die Brandung hindurchschoben, waren wir kein junger Pochtécatl mit seinen sieben älteren Trägern mehr, sondern sieben furchterregende Mexíca-Krieger unter der Anführung eines nicht sehr »alten Adler« Cuachic. Wir hatten unsere Lasten ausgepackt und uns mit allen Kriegszeichen und Kampfanzügen geschmückt und gekleidet. Ich trug Blut Schwelgers Cuachic-Zeichen – Schild und Wimpelstab – und seinen Cuachic-Federkopfputz. Das einzige, was mir an Rangabzeichen fehlte, war ein Knochen in der Nase, da meine Nasenscheidewand für einen solchen Zweck nie durchbohrt worden war. Die sieben Krieger trugen genauso wie ich ihre gesteppten sauberen weißen Kampfanzüge. Sie hatten sich Federn ins Haar gesteckt, welches sie oben zu einem Knoten zusammengenommen hatten, und hatten sich das Gesicht furchterregend bemalt. Ein jeder von uns war mit Maquáhuitl, Dolch und Wurfspieß bewaffnet.

Kühn ruderten wir mit unserer kleinen Flotte auf den vorspringenden Sporn zu und gaben uns keinerlei Mühe, nicht aufzufallen; wir legten es absichtlich darauf an, daß die Ausgucks uns kommen sahen. Was sie auch taten, denn sie erwarteten uns bereits am Berge: mindestens zwölf von den üblen Zyú-Priestern in ihren zerrissenen und zusammengeflickten Fellroben. Wir lenkten unsere Kanus nicht auf den Strand, um es beim Landen leicht zu haben, sondern hielten geradenwegs auf sie zu.

Ich weiß nicht, ob es an der anderen Jahreszeit lag, oder daran, daß wir uns von der Westseite des Berges her näherten, jedenfalls war das Meer bei weitem nicht so aufgewühlt wie damals, als ich mit dem Tzapotécatl-Fischer von Osten her gekommen war. Gleichwohl war es immer noch unruhig genug, so daß wir unerfahrenen Seefahrer samt unseren Einbäumen immer noch an den Felsen hätten zerschellen können, wären nicht einige Priester gewesen, die von Felsen zu Felsen sprangen, ins Wasser hineinwateten und unsere Einbäume in geschützte Stellen zogen. Selbstverständlich taten sie das nur, weil sie unsere Mexíca Kampfanzüge erkannten und fürchteten – und darauf hatte ich gezählt.

Wir klemmten unsere Kanus zwischen den Felsen fest und ließen einen Krieger zu ihrer Bewachung zurück. Dann winkte ich – eine Geste, welche die Priester genauso mit einbezog wie meine Männer –, und nun sprangen wir alle von einem Felsen zum anderen durch das hoch aufschwappende Wasser und die Brandung, durch Wolken und ganze Vorhänge aus Gischt hinüber zum Hang des Berges selbst. Der Oberpriester des Meeresgottes stand, die Arme vor der Brust verschränkt, da, um die Tatsache zu verbergen, daß er keine Hände mehr hatte. Knurrend gab er ein paar Worte in seinem Huave-Dialekt von sich, und als ich nur fragend die Brauen in die Höhe schob, versuchte er es auf Lóochi und sagte polternd:

»Was wollt ihr Mexíca-Krieger nun schon wieder? Wir nur Bewacher von Gottesfarbe, und die habt ihr.«

»Nicht alles«, erklärte ich in derselben Sprache.

Er schien leicht erschrocken über den Nachdruck, mit dem ich sprach, doch erklärte er standhaft: »Wir haben nichts mehr.«

»Doch, meinen habt ihr noch«, erklärte ich. »Einiges an Purpur, für welches ich viel Gold bezahlt habe. Wißt Ihr noch? An dem Tag, da ich das da tat.« Und mit einem leichten Hieb meines Maquáhuitl schlug ich ihm die Arme auseinander, so daß seine Armstümpfe sichtbar wurden. Da erkannte er mich, und sein böses Gesicht wurde vor ohnmächtigem Zorn und Haß womöglich noch häßlicher. Die anderen Priester links und rechts zogen sich auseinander, um einen drohenden Kreis um mich und meine Krieger zu bilden. Sie waren zwei gegen einen von uns, doch wir hielten unsere Wurfspieße drohend erhoben, und ich sagte zu dem Oberpriester: »Gehen wir zur Grotte des Gottes.«

Lautlos arbeitete sein Mund einen Augenblick, möglicherweise suchte er nach weiteren Lügen, ehe er dann sagte: »Euer Heer hat Grotte von Tiat Ndik geleert.«

Ich gab dem Krieger, der am dichtesten bei mir stand, einen Wink, und dieser trieb seinen Wurfspieß tief in den Bauch jenes Priesters, welcher zur Linken des Oberpriesters stand. Der Mann stieß einen Schrei aus, stürzte, rollte über den Boden, hielt sich krampfhaft den Unterleib und fuhr fort zu schreien.

Ich sagte: »Das nur, um euch zu zeigen, daß wir es ernst meinen. Und um euch zu zeigen, daß wir es eilig haben und nicht lange fackeln.« Abermals gab ich dem Krieger einen Wink, er zielte noch einmal auf den am Boden Liegenden und durchbohrte diesmal sein Herz, was seinen Schreien unvermittelt ein Ende setzte. »Und jetzt«, sagte ich zu dem Oberpriester, »gehen wir zur Grotte.«

Er schluckte, widersprach aber nicht mehr; was er gesehen hatte, hatte genügt. Während meine Krieger die anderen Priester zusammentrieben, führte er mich, der ich mit dem Wurfspieß hinter ihm ging, über die umher liegenden Felsen und hinunter in die geschützte Senke und in die Grotte. Mir fiel ein Stein vom Herzen, als ich feststellte, daß die Stätte des Gottes nicht eingebrochen oder beim Erdbeben zusammengestürzt war. Als wir vor dem über und über mit Purpur beschmierten Steinhaufen standen, der einen Gott darstellen sollte, zeigte ich auf die Lederflaschen und die Garnstränge, welche ringsum aufgehäuft waren, und sagte zu dem Oberpriester: »Sagt Euren Helfern, sie sollen all dies zu unseren Kanus hinunterschaffen.« Er schluckte abermals, doch er sagte nichts: »Sagt es ihnen«, wiederholte ich, »oder ich schlage Euch die Arme an den Ellbogen ab, dann an den Schultern und dann noch woanders.«

Hastig sprach er in ihrer Sprache auf sie ein, und was immer er gesagt haben mag, es muß sie überzeugt haben. Wortlos, nur unter Murren und mit einem mörderischen Blick auf mich, luden sich die verwahrlosten Priester die Flaschen und die Garnstränge auf die Schultern. Meine Männer begleiteten sie zu den Booten und wieder zurück in die Grotte, so viele Male, wie nötig waren, um den gesamten Schatz hinauszuschaffen. Ich stand inzwischen mit dem handlosen Priester bei der Statue; er wagte es nicht, sich zu rühren, da ich ihm die Spitze meines Spießes unters Kinn gesetzt hatte. Ich hätte die Zeit nutzen können, ihn zu zwingen, jenes Päckchen Gold herbeizubringen, welches er mir beim letzten Mal abgenommen hatte, tat es jedoch nicht. Ich zog es vielmehr vor, das Gold zu lassen, wo es war, gleichsam als Bezahlung für das, was ich jetzt tat. So kam ich mir weniger als Plünderer vor und mehr wie ein Händler, der nichts weiter tat, als etwas verspätet abzuholen, wofür er bezahlt hatte und was sein rechtmäßiges Eigentum war.

Erst, nachdem die letzten Flaschen aus der Höhle herausgeschafft worden waren, sprach der Priester wieder. Haß sprach aus seiner Stimme: »Ihr habt heilige Stätte schon einmal entweiht. Ihr habt Zorn von Tiat Ndik erregt, so daß zur Strafe er Zyuüù gemacht hat. Er wird es wieder tun; vielleicht noch schlimmer. Diese Beleidigung und diesen Verlust wird er nicht vergeben. Meeresgott wird nicht zulassen, daß Ihr mit seinem Purpur ungestraft entkommt.«

»Hm, vielleicht wird er es doch tun«, sagte ich sorglos, »wenn ich ihm ein Opfer von einer anderen Farbe hierlasse.« Womit ich zustieß, so daß mein Spieß sich durch Kinn, Zunge und Gaumen bis hinein ins Gehirn des Mannes bohrte. Er fiel flach auf den Rücken rotes Blut spritzte schwallweise aus seinem Mund, und ich mußte den Fuß gegen sein Kinn stemmen, um meinen Spieß wieder freizubekommen.

Hinter mir vernahm ich einen allgemeinen bestürzten Ausruf. Meine Krieger hatten gerade in diesem Augenblick all die anderen Priester in die Grotte hereingetrieben, und sie hatten ihren gestürzten Oberpriester gesehen. Doch ich brauchte meinen Leuten keinen Wink und keinen Befehl zu geben. Noch ehe die Priester sich von ihrem Schrecken erholt hatten, um an Kampf oder Flucht auch nur zu denken, lagen sie alle tot am Boden.

Ich sagte: »Ich habe dem Steinhaufen dort drüben ein Opfer versprochen. Türmt die Leichen dort auf.«

Nachdem das getan war, leuchtete das Standbild nicht mehr purpurfarben, sondern war von einem schimmernden Blutrot, und dieses Blutrot breitete sich über den ganzen Boden der Höhle aus. Ich glaube Tiak Ndik war wirklich zufrieden mit diesem Opfer. Denn weder kam es auf unserem Weg zurück zu den Einbäumen zu einem Erdbeben, noch wurden wir auf irgendeine andere Weise daran gehindert, unsere Boote mit der kostbaren Fracht zu beladen und durch die Brandung hinauszuschieben ins freie Wasser. Kein Meeresgott wühlte die See auf, um uns daran zu hindern, die felsbrockenstarrende Spitze des Vorgebirges zu umrunden, fort aus dem Land Der Fremden und hinaus aufs offene Meer. Ungehindert ruderten wir in östlicher Richtung an der Küste entlang, und ich setzte nie wieder einen Fuß auf den Berg, der ins Wasser hineinschreitet, noch sah ich ihn überhaupt jemals wieder.

Zur Vorsicht behielten wir acht jedoch unsere Mexíca-Kampfanzüge die nächsten paar Tage an, solange wir noch durch die Gewässer der Huave und Tzapotéca ruderten, vorüber an Nozibe und anderen Küstendörfern – und an den Fischerbooten, deren verwunderte Besatzungen uns furchtsam zuwinkten –, bis wir die Landenge von Tecuantépec ein gutes Stück hinter uns hatten und vor dem Baumwolland Xoconóchco anlangten. Dort landeten wir bei Nacht an einer verschwiegenen Stelle, verbrannten unsere Kampfanzüge und Kriegerinsignien, vergruben bis auf die allernotwendigsten alle unsere Waffen und schnürten unsere Lasten, um die Lederflaschen und die Garnstränge auf dem Rücken weiterzutragen.

Als wir am Morgen von dort weiterruderten, waren wir wieder gekleidet wie ein Pochtécatl und wie Träger. Später am selben Tag liefen wir ganz offen das Mame-Dorf Pijijia an und verkauften unsere Kanus – freilich um einen jämmerlich geringen Preis, da die Fischer dort wie überall sonst an der Küste bereits alle Boote besaßen, die sie brauchten. Meine Männer und ich stellten, als wir uns nach dieser langen Zeit auf dem Wasser wieder in Marsch setzten, fest, daß wir einen lächerlich wiegenden Gang hatten. Wir blieben zwei Tage in Pijijia, um uns wieder an festen Boden unter den Füßen zu gewöhnen – ich führte in dieser Zeit noch etliche aufschlußreiche Unterhaltungen mit den Ältesten der Mame –, bevor wir uns unsere Lasten auf den Rücken luden und weiterzogen ins Inland.

Ihr fragt, Pater Toribio, warum wir uns solche Mühe gemacht haben, die lange Reise erst in der Verkleidung von Händlern, dann als Krieger und danach wieder als Händler zu machen.

Nun, die Bewohner von Acamepulco wußten, daß ein Händler für sich und seine Träger vier seegängige Einbäume gekauft hatte; und die Bewohner von Pijijia wußten, daß eine ähnliche Gruppe ihnen ähnliche Kanus verkauft hatte; und beide Leute aus beiden Orten mögen die Umstände für sonderbar gehalten haben. Gleichwohl lagen die beiden Orte jedoch so weit auseinander, daß sie ihre Eindrücke aller Wahrscheinlichkeit nach nie miteinander vergleichen würden; auch lagen beide Orte weit von den Hauptstädten der Tzapotéca und Mexíca entfernt, und so bestand kaum Gefahr, daß Kosi Yuela oder Ahuítzotl jemals irgendwelche Gerüchte ans Ohr drangen.

Unvermeidlich war nur, daß die Zyú bald den Massenmord an ihren Priestern und das Verschwinden ihres gehorteten Purpurschatzes aus der Göttergrotte entdeckten. Wiewohl wir die Zeugen für immer zum Schweigen gebracht hatten, war die Wahrscheinlichkeit groß, daß andere Zyú an Land gesehen hatten, wie wir ihren heiligen Berg anliefen oder wieder von dort ablegten. Selbige würden ganz ohne jeden Zweifel ein gewaltiges Geschrei anheben, und es ließ sich wohl kaum vermeiden, daß dieses irgendwann einmal die Ohren des Bishósu Kosi Yuela und des Verehrten Sprechers Ahuítzotl erreichte und sie beide wütend machte. Die Zyú konnten die Greuel nur einer Handvoll Mexíca-Krieger in voller Kampfausrüstung anlasten. Vielleicht würde dann Kosi Yuela Ahuítzotl verdächtigen, ihn übers Ohr gehauen zu haben, um sich in den Besitz des Schatzes zu bringen, doch dann konnte Ahuítzotl aufrichtig behaupten, nichts von irgendwelchen plündernden Mexíca in dieser Gegend zu wissen. Ich wollte meine Hand dafür ins Feuer legen, daß die Verwirrung groß war und niemand zur See fahrende Krieger und seefahrenden Kaufleute in Verbindung bringen würde – und mich weder mit den einen noch mit den anderen.

Eigentlich hatte ich vorgehabt, von Pijijía aus übers Gebirge ins Chiapa-Land hinüberzuziehen. Da meine Träger jedoch so schwer beladen waren, hielt ich es nicht für notwendig, ihnen diesen mühseligen Aufstieg zuzumuten. Wir einigten uns auf einen Tag, an dem wir in der Ödnis der Landenge von Tecuantépec wieder zueinander stoßen wollten; damit hatten sie reichlich Zeit, in aller Gemächlichkeit dorthin zu ziehen. Ich schärfte ihnen ein, Dörfer und Begegnungen mit anderen Reisenden unterwegs möglichst zu vermeiden; eine Kolonne von schwerbeladenen Tamernime ohne Anführer hätte Anlaß zu Redereien gegeben, wo nicht gar zur Festnahme geführt, um der Sache auf den Grund zu gehen. Deshalb wandten meine sieben Männer sich, nachdem wir Pijijia schon ein ganzes Stück hinter uns hatten, nach Westen und zogen in die Niederungen von Xoconóchco, während ich in nördlicher Richtung ins Gebirge hinaufstieg.

Von den Bergen hinunterkommend, gelangte ich schließlich in die wenig ansprechende Hauptstadt Chiapán, wo ich mich geradenwegs zur Werkstatt von Meister Xibalbá begab.

»Ah!« erklärte er voller Freude. »Ich hatte mir schon gedacht, daß Ihr wiederkommen würdet. Daher habe ich soviel Quarz gesammelt wie möglich und viele Brennkristalle daraus gefertigt.«

»Ja, sie verkaufen sich gut«, bestätigte ich ihm. »Aber diesmal bestehe ich darauf, den vollen Wert zu bezahlen und zusätzlich noch die Mühe, die Ihr auf sie verwandt habt.« Außerdem erklärte ich ihm, in welchem Maße sein Topas meine Sehkraft verstärkt und dadurch mein ganzes Leben bereichert habe – und wie dankbar ich ihm dafür sei.

Als ich schließlich meine Last mit den baumwollumwickelten Kristallen gebündelt hatte, trug ich ein Gewicht auf dem Rücken, das nahezu genauso groß war wie die Lasten meiner fernen Träger. Ich hielt mich jedoch nicht länger in Chiapán auf, um mich auszuruhen und Kräfte zu sammeln; denn ich hätte kaum woanders unterkommen können als im Haus der Macoboö-Familie, und dort hätte ich mich den beiden Cousinen gegenüber abweisend verhalten müssen, was einem Gast kaum als höfliches Benehmen ausgelegt worden wäre. Infolgedessen bezahlte ich den Meister Xibalbá in Goldstaub und machte mich eilends wieder auf den Weg.

Ein paar Tage später fand ich nach kurzem Suchen die von den bewohnten Gebieten abgelegene Stelle, wo meine Männer an einem Lagerfeuer und inmitten von abgenagten Knochen von Gürteltieren und Leguanen und dergleichen auf mich warteten. Wir blieben nur so lange dort, daß ich mich einmal tüchtig ausschlafen und einer der alten Kämpen mir die erste heiße Mahlzeit bereiten konnte, seit ich sie verlassen hatte: einen fetten Fasan, den er überm Feuer briet.

Als wir durch die östlichen Randgebiete der Stadt Tecuantépec kamen, begegneten uns die Zeichen der Brandschatzung durch die Mexíca, wiewohl die meisten der niedergebrannten Häuser bereits wieder aufgebaut worden waren. Eigentlich muß man sagen, daß die Stadt dadurch sogar gewonnen hatte. Jetzt standen anständige, feste Häuser in einem Viertel, das zuvor nur aus halbverfallenen Hütten bestanden hatte – darunter diejenige, welche einen solchen Wendepunkt für mein Leben bedeutet hatte. Nachdem wir durch die Stadt in die westlichen Randgebiete gelangt waren, stellten wir jedoch fest, daß die sengenden und plündernden Krieger ihre Verwüstungen nicht bis dorthin getragen hatten. Die vertraute Herberge stand immer noch. Ich ließ meine Männer im Hof stehen, trat ein und rief lärmend:

»Herbergswirt, habt Ihr Raum für einen müden Pochtécatl und seine Trägerkolonne?«

Béu Ribé trat aus einem der hinteren Räume und sah gesund und munter und ebenso schön aus wie eh und je, doch begrüßte sie mich nur mit den Worten:

»Die Mexíca sind heutzutage hier nicht sonderlich gern gesehen.«

Immer noch in dem Versuch, besonders herzlich zu sein, sagte ich: »Aber bei deinem eigenen Bruder Dunkle Wolke wirst du doch wohl eine Ausnahme machen, Wartender Mond. Deine Schwester hat mich ganz hierhergeschickt, um festzustellen, ob mit dir auch alles in Ordnung ist. Ich freue mich, daß du offenbar unter den Unruhen nicht zu leiden hattest.«

»Nicht zu leiden hatte!« wiederholte sie sarkastisch. »Ich freue mich, daß du dich freust, denn schließlich bist du dafür verantwortlich, daß die Mexíca-Krieger hierherkamen. Alle Welt weiß, daß sie wegen deines Zusammenstoßes mit dem Zyú hierhergeschickt wurden, und weil es dir nicht gelungen ist, dich des Purpurs zu bemächtigen.«

Das stimmte immerhin, wie ich zugeben mußte. »Aber du kannst mir doch nicht die Schuld dafür geben, daß …«

»Es ist Schuld genug da, daß auch auf mich noch welche fällt«, erklärte sie verbittert. »Mir hat man zuallererst die Schuld daran gegeben, dich jemals in dieser Herberge aufgenommen zu haben.« Dann schien sie plötzlich die Schultern sacken zu lassen. »Aber ich habe die Verachtung der Menschen lange genug zu spüren bekommen, oder? Ja, du kannst einen Raum haben, und wo du deine Träger unterbringen kannst, weißt du ja. Die Diener werden sich um euch kümmern.«

Sie drehte sich um und kehrte zurück zu dem, womit sie beschäftigt gewesen war. Kaum ein überschwengliches, ja, nicht einmal ein schwesterliches Willkommen, dachte ich bei mir. Aber die Diener brachten meine Männer und ihre Sachen unter und bereiteten mir ein Mahl. Als ich gesättigt war und eine Poquietl rauchte, kam Béu durch den Raum. Sie wäre einfach weitergegangen, doch ich packte sie am Handgelenk und sagte:

»Ich mache mir nichts vor, Béu. Ich weiß, daß du mich nicht magst, und wenn das schändliche Treiben der Mexíca letzthin …«

Hochmütig ihre schwingengleichen Brauen in die Höhe schiebend, unterbrach sie mich: »Ich dich nicht mögen? Liebe? Das sind Gefühle. Welches Recht habe ich, irgendwelche Gefühle dir gegenüber zu haben, Mann meiner Schwester?«

»Na schön«, sagte ich ungeduldig. »Verachte mich! Tu so, als ob ich überhaupt nicht vorhanden wäre. Aber willst du mir nicht zumindest irgendeine Nachricht für Zyanya mit auf den Weg geben?«

»Ja. Sag ihr, mir sei von einem Mexíca-Krieger Gewalt angetan worden.«

Wie vom Donner gerührt, ließ ich ihr Handgelenk fahren. Ich wollte etwas sagen, doch sie lachte nur und sagte:

»Nun sag bloß nicht, daß dir das leid täte! Ich meine, ich kann immer noch zu Recht behaupten, eine Jungfrau zu sein, denn er war auf diesem Gebiet ganz besonders untüchtig. Er hat mich durch seinen Versuch, mich zu schänden, in meiner geringen Meinung über die arroganten Mexíca nur bestärkt.«

Ich fand meine Stimme wieder und wollte von ihr wissen: »Sein Name! Wenn er jetzt noch nicht hingerichtet worden ist, werde ich dafür sorgen …«

»Ja, glaubst du etwa, er hätte sich vorgestellt?« sagte sie und lachte abermals. »Ich glaube, es war kein gewöhnlicher Krieger ohne Rang, wenn ich mich in euren Abzeichen auch nicht auskenne und es auch noch dunkel war in meinem Gemach. Immerhin habe ich jedoch das Gewand erkannt, das er mich für diese Gelegenheit anlegen ließ. Er zwang mich, mir das Gesicht mit Ruß zu schwärzen und die schwarzen, stinkenden Gewänder eines Tempeldieners anzulegen.«

»Was?« sagte ich wie vom Donner gerührt.

»Viel gesprochen haben wir nicht miteinander, aber soviel habe ich immerhin begriffen: allein die Tatsache, daß ich noch Jungfrau war, hat nicht genügt, ihn zu reizen. Mir ist klargeworden, daß er nur dadurch erregt werden konnte, daß er so tat, als täte er einem der Heiligen und Unberührbaren Gewalt an.«

»Von so einer Verworfenheit habe ich noch nie gehört …«

Sie sagte: »Versuch nicht, Entschuldigungen für deinen Landsmann vorzubringen. Und Mitleid mit mir brauchst du auch nicht zu haben. Ich habe dir ja schon gesagt: Er war als Schänder von Frauen ausnehmend ungeeignet. Sein – ich glaube Tepúli nennt ihr es – war knubbelig und knotig verbogen. Der Akt des Eindringens …«

»Bitte, Béu«, sagte ich. »Dies zu erzählen muß schrecklich für dich sein.«

»Genauso, wie das Erlebnis selbst«, sagte sie kühl, als ob sie über das eines anderen berichtete. »Eine Frau, auf die man hinterher mit Fingern zeigt als auf jemand, der geschändet worden ist, sollte zumindest gut geschändet worden sein. Sein verstümmelter Tepúli konnte nur bis zum Kopf eindringen, oder bis zur Knolle, oder wie ihr das sonst nennt. Und so sehr er auch keuchte und sich abmühte, er konnte es nicht drinnen behalten. Als er schließlich seinen Saft ausspritzte, tröpfelte der mir nur aufs Bein. Ich weiß nicht, ob es Abstufungen der Jungfräulichkeit gibt, glaube jedoch, daß ich mich immer noch eine Jungfrau nennen kann. Und außerdem glaube ich, daß der Mann sich womöglich noch mehr geschämt hat und zerknirschter war als ich. Er konnte mir nicht mal ins Auge sehen, als ich mich wieder auszog und er diese stinkenden Tempelgewänder zusammenraffte, um sie wieder mitzunehmen.«

Hilflos sagte ich: »Das hört sich ganz gewiß nicht nach einem …«

»Nach dem typischen, virilen Mexícatl-Mann an? Wie Záa Nayàzú?« Sie senkte die Stimme, daß sie nur mehr ein Flüstern war. »Sag mir, Záa, ist meine Schwester wirklich jemals in ihrem Ehebett befriedigt worden?«

»Bitte, Béu. Sowas schickt sich nicht.«

Sie stieß einen Fluch aus. »Gi zyabà! Was kann schon unschicklich sein für eine Frau, die dermaßen erniedrigt worden ist? Wenn du es mir nicht sagen willst, warum es mir dann nicht zeigen? Beweis mir, daß du als Ehemann etwas taugst! Ach, nun werde nicht rot und wende dich ab! Vergiß nicht, ich habe einst gesehen, wie du es mit meiner Mutter getrieben hast,, nur hat meine Mutter hinterher nie gesagt, ob du deine Sache gut gemacht hast oder schlecht. Ich wäre dankbar, wenn ich es wüßte, und zwar aus persönlicher Erfahrung. Komm mit in mein Gemach. Warum solltest du Bedenken haben, eine Frau zu beschlafen, die bereits beschlafen worden ist? Wenn auch selbstverständlich nur wenig beschlafen, aber …«

Entschlossen wechselte ich das Thema. »Ich habe Zyanya gesagt, ich würde dich mit zurückbringen nach Tenochtítlan, wenn du littest oder in Gefahr wärest. Unser Haus weist viele Gemächer auf. Ich frage dich jetzt, Béu. Wenn du deine Lage hier unerträglich findest – möchtest du dann mit mir kommen und bei uns leben?«

»Unmöglich!« fauchte sie. »Unter deinem Dach leben? Wie könnte ich dort so tun, als gäbe es dich nicht, wie du vorgeschlagen hast?«

Unfähig, mich noch länger zu beherrschen, sagte ich laut: »Ich habe gesagt und getan, was ich sagen und tun kann. Ich habe dich um Verzeihung gebeten, habe mich zerknirscht gezeigt und dir Mitleid und brüderliche Liebe entgegengebracht. Ich habe dir ein gutes Zuhause in einer anderen Stadt geboten, wo du den Kopf hochtragen und die Vergangenheit vergessen kannst. Doch du hast keine andere Antwort für mich außer Spott und Hohn und Bosheit! Ich werde morgen früh aufbrechen, Weib. Du kannst mitkommen oder es bleiben lassen!«

Sie ließ es bleiben.

Um auch weiterhin als Kaufmann zu gelten, stattete ich in der Hauptstadt Záachila dem Bishósu Ben Záa einen Höflichkeitsbesuch ab. Er empfing mich, und ich erzählte ihm meine Lügengeschichte: daß ich im Chiapa-Land unterwegs gewesen sei, und dort erst vor kurzem über die Vorfälle in der zivilisierten Welt gehört hätte. Und ich sagte:

»Wie der Hohe Gebieter Kosi Yuela wohl vermutet hat, ist Ahuítzotl damals mit seinen Männern weitgehend auf mein Anstiften hin nach Uaxyácac gezogen. Ich meine deshalb, mich bei Euch entschuldigen zu müssen.«

Mit einer großmütigen Geste tat er das ab. »Auf welche Machenschaften all das zurückzuführen ist, spielt keine Rolle. Ich freue mich, daß Euer Verehrter Sprecher mit guten Absichten gekommen ist, und ich hege die Hoffnung, daß die lange Feindschaft zwischen unseren beiden Völkern sich nach und nach legt. Und selbstverständlich habe ich nichts dagegen, so reichen Tribut an Purpurfarbstoff zu empfangen.«

Ich sagte: »Aber da war auch noch der Umstand, daß Ahuítzotls Leute sich in Tecuantépec so verwerflich aufgeführt haben. Einfach als Mexícatl möchte ich mich auch dafür entschuldigen.«

»Ich mache Ahuítzotl daraus keinen Vorwurf. Ich kann eigentlich nicht einmal den Männern groß einen Vorwurf machen.«

Ich muß ein verwundertes Gesicht gemacht haben. Er erklärte: »Euer Verehrter Sprecher hat rasch gehandelt, um den Auswüchsen ein Ende zu bereiten. Er hat befohlen, daß die Rädelsführer durch die Würgschlinge umgebracht würden, und den Rest der Männer mit Versprechungen beschwichtigt, von denen ich überzeugt bin, daß er sie eingehalten hat. Für den angerichteten Schaden ist er aufgekommen, zumindest für das, was auf diese Weise wiedergutgemacht werden konnte. Hätte er nicht so rasch und ehrenhaft gehandelt, unsere Völker würden jetzt vermutlich wieder Krieg gegeneinander führen. Nein. Ahuítzotl war in aller Bescheidenheit sehr daran gelegen, die guten Beziehungen wiederherzustellen.«

Es war das erstemal, daß ich hörte, wie der hochmütige Ahuítzotl mit so etwas wie Bescheidenheit in Verbindung gebracht wurde. Kosi Yuela fuhr fort:

»Aber da war noch ein anderer Mann, ein junger Mann, sein Neffe. Dieser hatte den Oberbefehl inne, während Ahuítzotl und ich uns berieten, und in dieser Zeit ist es auch zu diesen Ausschreitungen gekommen. Dieser junge Mann trägt einen Namen, welchen wir Ben Záa aus Gründen unserer Geschichte verabscheuen – er heißt Motecuzóma –, und meiner Meinung nach hat er Ahuítzotls Bündnisvertrag mit uns als ein Zeichen von Schwäche gedeutet. Ich glaube, er wollte die Wolkenmenschen als Untertanen der Mexíca sehen und nicht als gleichberechtigte Verbündete. Ich hege sogar den starken Verdacht, daß er die Meuterei geschürt hat in der Hoffnung, daß wir einander wieder an die Gurgel gehen würden. Falls Ihr wirklich das Ohr Ahuítzotls besitzt, junger Pochtécatl, solltet Ihr ihm ein Wort der Warnung vor seinem Neffen zukommen lassen. Dieser neu aufgestiegene Motecuzóma könnte, wenn er einmal eine wirklich mächtige Stellung einnimmt, alles wieder zunichte machen, was sein Onkel aufzubauen trachtet.«

Auf dem Damm, der nach Tenochtítlan führte, als wir die Stadt schimmernd weiß in der taubenfarbenen Dämmerung vor uns auftauchen sahen, schickte ich meine Männer zu zweit und zu dritt voran. Als ich selbst den Fuß auf die Insel setzte, hatte die Nacht sich bereits herniedergesenkt, und die Stadt erstrahlte im Licht der Feuer, Kerzen und Fackeln. In dieser flackernden Beleuchtung sah ich, daß mein Haus fertig war, und daß es ein stattliches Haus geworden war, doch die äußeren Einzelheiten vermochte ich nicht alle zu erkennen. Da es auf Pfeilern ruhte, welche so hoch waren wie ich selbst, mußte ich bis zum Eingang eine kleine Treppe hinaufsteigen. Dort wurde mir von einer Frau in mittleren Jahren geöffnet, die ich nie zuvor gesehen hatte – offenbar einer neugekauften Sklavin. Sie stellte sich selbst als Teoxihuitl oder Türkis vor und sagte: »Als die Träger kamen, ist die Herrin nach oben gegangen, damit Ihr bei Euren Männergeschäften nicht gestört werdet. Sie wird Euch in Eurem Gemach erwarten, Herr.«

Die Frau wies mich in den Raum im ersten Stockwerk, in dem meine sieben Gefährten eine kalte Mahlzeit verzehrten, welche sie in aller Eile für sie bereitet hatte. Nachdem auch vor mich Speisen hingestellt worden waren und wir alle unseren Hunger gestillt hatten, halfen die Männer mir, die falsche Mauer in diesem Raum in den Angeln zu drehen und ihre Lasten dahinter zu verstecken, wo bereits etliche andere meiner Waren lagerten. Sodann zahlte ich ihnen den vereinbarten Lohn, das heißt, ich zahlte ihnen wesentlich mehr als das, was wir ursprünglich vereinbart hatten, denn sie hatten ihre Sache ausnehmend gut gemacht. Ehe sie gingen, vollführten sie die Geste des Erdeküssens vor mir, freilich nicht, ohne mir vorher das Versprechen abzunehmen, sie wieder zu rufen, wenn ich jemals wieder einmal einen Plan hätte, der nach dem Geschmack der sieben älteren Krieger wäre, welche sich sonst mit Frieden und Nichtstun abfinden mußten.

Oben entdeckte ich eine Badestube, wie ich es dem Baumeister aufgetragen hatte: genauso eingerichtet und sich selbst leerend, wie ich sie in den Palästen kennengelernt hatte. Im Schwitzbad nebenan hatte die Sklavin Türkis bereits die Steine erhitzt und ausgelegt, und, nachdem ich mein erstes Bad genommen hatte, goß sie Wasser darüber, um Dampf aufsteigen zu lassen. Ich schwitzte eine ganze Weile und kehrte dann ins Badebecken zurück, bis ich überzeugt war, sämtlichen Staub und Schmutz und Gestank der Reise aus meinen Poren herausgeschwitzt zu haben.

Als ich dann nackt durch die Verbindungstür in die Schlafkammer trat, fand ich Zyanya gleichfalls nackt und einladend rücklings auf den weichen Decken liegen. Der Raum war nur matt durch die Glut in einem Kohlebecken erleuchtet, doch schimmerte dieses wenige Licht auf dem weißen Blitz in ihrem Haar und ließ ihre aufgerichteten Brüste erkennen. Jede von ihnen bildete einen wunderschönen, ebenmäßigen Hügel, auf dem der kleinere Hügel ihrer Brustwarzen saß, genauso wie die Umrisse des Popocatépetl, die ihr hier durch das Fenster seht, ehrwürdige Patres: ein Kegel auf einem Kegel. Nein, selbstverständlich muß ich euch nicht unbedingt mit derlei Einzelheiten beglücken. Ich erkläre nur, warum mein Atem sich unversehens beschleunigte, als ich auf Zyanya zuging, und warum ich nur wenige Worte sprach.

»Béu lebt. Es gibt andere Neuigkeiten, doch die können warten.«

»Dann laß sie warten«, sagte sie, lächelte und griff nach jenem Teil, welcher sich ihr am mächtigsten entgegenreckte.

Folglich verging etliches an Zeit, ehe ich ihr von Béu Ribé erzählte: daß sie lebe und in Sicherheit sei, nur freilich schrecklich unglücklich. Ich war froh, daß wir uns erst geliebt hatten, versetzte das Zyanya doch in die gewohnte angenehme und befriedigte Verfassung, welche, wie ich hoffe, den Worten, die ich sagen mußte, etwas von ihrer Härte nahmen. Ich berichtete also von Béus unglücklichem Treffen mit dem Mexícatl von Rang und bemühte mich, es – wie Béu selbst es ja auch getan – mehr als Farce denn als Tragödie hinzustellen.

Ich schloß: »Ich glaube, es ist ihr eigensinniger Stolz, der sie dort bleiben und die Herberge weiterführen läßt. Sie ist entschlossen, einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen, was die Leute in der Stadt von ihr denken, ob sie nun Mitleid mit ihr haben oder sie für geschändet halten. Sie will Tecuantépec um eines besseren Lebens willen auf keinen Fall verlassen; man könnte ja denken, daß sie schließlich doch schwach geworden ist.«

»Arme Béu«, murmelte Zyanya. »Gibt es wirklich nichts, was wir tun könnten?«

Ich ließ nichts von meiner eigenen Meinung über die »arme« Béu verlauten, überlegte eine Weile und sagte dann: »Mir fällt nichts anderes ein, als daß dir ein Unglück zustoßen müßte. Wenn ihre einzige Schwester verzweifelt auf sie angewiesen wäre, dann – glaube ich – würde sie kommen. Aber laß uns die Götter nicht in Versuchung führen oder herausfordern. Laß uns nicht über Unglück reden.«

Als Ahuítzotl mich am nächsten Tag in seinem beklemmenden Thronsaal empfing, erzählte ich ihm dieselbe Geschichte, die ich mir zurechtgelegt hatte: ich sei nach Tecuantépec gezogen, um festzustellen, daß der Schwester meiner Frau bei der Plünderung und Brandschatzung auch nichts zugestoßen sei, und da ich schon einmal soweit gekommen sei, hätte ich die Gelegenheit wahrgenommen, weiter nach Süden vorzustoßen und noch einige von den Zauberkristallen zu holen. Abermals machte ich ihm umständlich eines zum Geschenk, wofür er sich ohne große Begeisterung bedankte. Dann jedoch, ehe ich ein Thema zur Sprache brachte, bei dem ihm, wie ich erwartete, vor Wut die Augen aus dem Kopf quellen und sein Zorn angeheizt werden würde, berichtete ich ihm etwas, was mir geeignet schien, ihn in eine gute Laune zu versetzen.

»Meine Reisen, Verehrter Sprecher, haben mich auch in das Küstenland Xoconóchco geführt, woher wir den größten Teil unserer Baumwolle und unseres Salzes beziehen. Dabei habe ich zwei Tage unter den Mame verbracht, in ihrem Hauptdorf, Pijijia, wo ihre Ältesten mich baten, an ihrer Ratssitzung teilzunehmen. Sie baten mich, dem Uey-Tlatoáni der Mexíca

eine Botschaft zu überbringen.«

Zuerst sagte er gleichgültig: »Laß hören!«

»Zunächst müßt Ihr wissen, Hoher Gebieter, daß Xoconóchco nicht von einem Volk bewohnt wird, sondern daß es sich um ein riesiges, fruchtbares Land handelt, in dem verschiedene Stämme leben: die Mame, die Mixe, die Comitéca und noch kleinere Stämme. Ihre Gebiete gehen alle ineinander über, und ihre Treue gilt nur ihren Stammesältesten wie jenen von Pijijia. Xoconóchco besitzt weder eine Hauptstadt, noch eine regierende Körperschaft, noch ein stehendes Heer.«

»Interessant«, murmelte Ahuítzotl. »Aber nicht sonderlich.«

Ich fuhr fort: »Östlich des reichen und fruchtbaren Xoconóchco liegt das unproduktive Dschungelland Quautemálan, Das Strauchland. Die Eingeborenen – Quiche und Lacandón – sind die heruntergekommenen Abkommen der Maya. Sie sind arm, schmutzig und faul und galten bislang als unter jeder Verachtung stehend. In letzter Zeit haben sie allerdings die Kraft aufgebracht, von Quautemálan aus vorzustoßen und Raubzüge nach Xoconóchco hinein zu unternehmen. Diese räuberischen Horden drohen jetzt, solche Raubzüge in Zukunft häufiger zu unternehmen, ja, daß sie einen erbarmungslosen Krieg führen werden, wenn die Stämme im Lande Xoconóchco sich nicht einverstanden erklären, ihnen in Form von Baumwolle und Salz ansehnliche Tribute zu zahlen.«

»Tribute?« knurrte Ahuítzotl, dessen Interesse endlich geweckt war. »Unsere Baumwolle und unser Salz?«

»Jawohl, Hoher Gebieter. Nur können wir wohl kaum erwarten, daß friedliebende Baumwollbauern, Fischer und Salzgewinner sich dazu aufschwingen, ihr Land tatkräftig zu verteidigen. Immerhin steckt soviel Mumm in ihnen, daß sie gegen diese Forderungen aufbegehren. Sie sind nicht bereit, den Quiche und den Lacandón zu geben, was sie bisher mit Gewinn an uns Mexíca verkauft haben. Sie sind der Meinung, unser Verehrter Sprecher müßte genauso empört sein über dieses Ansinnen.«

»Du brauchst uns nicht zu sagen, was selbstverständlich ist«, knurrte Ahuítzotl. »Was haben die Ältesten vorgeschlagen? Daß wir für sie gegen Quautemálan in den Krieg ziehen?«

»Nein, Hoher Gebieter. Sie bieten uns ganz Xoconóchco an.«

»Was?« Das nun riß ihn ehrlich um.

»Wenn der Uey-Tlatoáni die Xoconóchco-Lande als neue Provinz annimmt, treten alle kleinen Herrscher von ihrem Amt zurück, geben sämtliche verschiedenen Stämme ihre Unabhängigkeit auf, wollen aus freien Stücken Mexíca werden und schwören Tenochtítlan die Treue. Sie bitten nur um zweierlei: daß man ihnen gestattet, weiterhin zu leben und zu arbeiten, wie sie es immer getan haben, und daß sie auch weiterhin einen Lohn für ihre Arbeit empfangen, von dem sie leben können. Die Mame sprechen für alle ihre Nachbarstämme und bitten, daß ein Adliger der Mexíca zum Herrscher und Beschützer von Xoconóchco ernannt und eine starke Garnison von Mexíca-Truppen dort eingerichtet und unterhalten werde.«

Jetzt setzte Ahuítzotl zur Abwechslung einmal ein erfreutes, ja, sogar ein wenig verwirrtes Gesicht auf und murmelte für sich selbst: »Unglaublich. Ein reiches Land, man braucht es nur zu nehmen, es wird freiwillig hergegeben.« Zu mir sagte er in einem herzlicheren Ton, als er sich mir gegenüber jemals befleißigt hatte: »Du bringst nicht immer Unannehmlichkeiten und Probleme, junger Mixtli.«

Ich schwieg bescheiden.

Laut denkend, fuhr er fort: »Das wäre dann das am weitesten entfernte Land des Dreibunds. Unterhalten wir dort ein Heer, würden wir nahezu Die ganze Eine Welt zwischen unseren Kinnbacken haben, von einem Meer zum anderen. Die Völker an ihrer Flanke würden es sich zweimal überlegen, ehe sie jemals Schwierigkeiten machten, aus Angst daß diese Kinnbacken einmal zuklappen und sie verschlingen. Sie wären voller Angst, würden tun, was man von ihnen verlangte, wären untertänig …«

Ich ergriff nochmals das Wort und sagte: »Wenn Ihr gestattet, möchte ich Euch noch auf einen weiteren Vorteil aufmerksam machen, Verehrter Sprecher. Euer Heer würde zwar fern von hier stehen, wäre aber nicht auf Nachschub aus Tenochtítlan angewiesen. Die Mame-Ältesten haben mir zugesagt, es uneingeschränkt zu versorgen und zu unterhalten. Die Krieger werden im Überfluß von Xoconóchco ein gutes Leben führen.«

»Bei Huitzilopóchtli, wir werden es tun!« rief Ahuítzotl aus. »Selbstverständlich müssen wir diesen Vorschlag unserem Staatsrat unterbreiten, doch das ist nur eine Formsache.«

Ich sagte: »Mein Hoher Gebieter täte vielleicht gut daran, dem Staatsrat auch noch folgendes zu sagen. Sobald die Garnison einquartiert ist, könnten die Krieger ihre Familien nachholen. Händler würden ihnen folgen. Vielleicht hegen auch noch andere Mexíca den Wunsch, das übervölkerte Seengebiet zu verlassen und sich in den Weiten von Xoconóchco neu anzusiedeln. Die Garnison könnte zur Keimzelle einer Kolonie werden, vielleicht sogar eines kleineren Tenochtítlan, aus dem – wer weiß – eines Tages sogar die zweitgrößte Stadt der Mexíca werden könnte.«

Er meinte: »Du träumst keinen kleinen Traum, oder?«

»Vielleicht habe ich mir etwas zuviel herausgenommen, Hoher Gebieter, doch habe ich die Möglichkeit der Kolonisierung in dem Rat der Mame-Ältesten zur Sprache gebracht. Weit davon entfernt, etwas dagegen einzuwenden, haben sie erklärt, sie würden es als eine Ehre betrachten, wenn ihr Land gleichsam der Sitz eines Tenochtítlan des Südens würde.«

Anerkennend sah er mich an und trommelte eine Weile mit den Fingern, ehe er sagte: »Im zivilen Rang bist du nichts weiter als ein bohnenzählender Kaufmann, und im Heer nur ein Tequiua …«

»Durch die Gunst meines Hohen Gebieters«, sagte ich bescheiden.

»Und trotzdem kommst du – ein Niemand – zu uns und bietest uns eine ganze neue Provinz, wertvoller als jede, welche wir seit der Regierung unseres verehrten Vaters Motecuzóma durch Verträge oder durch Gewalt an uns haben binden können. Auch das wird dem Staatsrat zur Kenntnis gebracht werden.«

Ich erklärte: »Da Ihr den Namen Motecuzóma erwähnt, fällt mir etwas ein.« Woraufhin ich ihm berichtete, was nicht so leicht zu berichten war: die bitteren Worte, welche der Bishósu Kosi Yuela über seinen Neffen gesprochen hatte. Wie ich erwartet hatte, fingen Ahuítzotl die Augen an aus dem Kopf zu treten, schnaubte er und lief verdächtig rot an, doch richtete sein Zorn sich nicht gegen mich. Unverblümt erklärte er:

»So wisse denn: Als Priester hat Motecuzóma sich unerschütterlich auch noch an die kleinsten, dümmlichsten und albernsten abergläubischen Vorschriften gehalten, welche die Götter erlassen haben. Außerdem hat er versucht, jedes menschliche Versagen und jede Schwäche bei sich selbst und bei anderen auszumerzen. Er hat nicht geschäumt und gewütet, wie so viele unserer Priester; vielmehr ist er immer kalt geblieben und hat sich nicht von Gefühlen hinreißen lassen. Einst, da er ein Wort sprach, von dem er meinte, daß es den Göttern nicht wohlgefällig sein könne, hat er sich die Zunge durchbohrt und eine Schnur darin hin und hergezogen, in welche er einige zwanzig große Agavendornen verknotet hatte. Und bei einer anderen Gelegenheit, als ihm ein niedriger Gedanke durch den Sinn ging, hat er ein Loch durch den Schaft seines Tepúli gebohrt und sich mit einer dornenbewehrten Schnur der gleichen blutigen Selbstkasteiung unterzogen. Nun, wo er ein Kriegsmann geworden ist, scheint er der Sache des Kriegführens nicht minder verbissen ergeben. Es scheint, als ob der junge Kojote bei seinem allerersten Kommando seine Muskeln hat spielen lassen – entgegen unseren Befehlen, guten, wohlüberlegten Befehlen …«

Ahuítzotl hielt inne. Als er wieder fortfuhr, schien es abermals, als denke er laut. »Gewiß, selbstverständlich verlangt es ihn, dem Namen seines Großvaters, Zorniger Herr, alle Ehre zu machen. Der junge Motecuzóma ist nicht erfreut darüber, daß Frieden zwischen uns und anderen Völkern herrscht, weil ihm dadurch weniger Gegner bleiben, sie herauszufordern. Er möchte geachtet und gefürchtet werden, möchte als Mann der harten Faust und lauten Stimme gelten. Doch ein Mann muß mehr sein als nur das. Oder er duckt sich, wenn er einer noch härteren Faust einer lauteren Stimme begegnet.«

Ich faßte mir ein Herz zu sagen: »Hoher Gebieter, ich habe den Eindruck gewonnen, daß der Bishósu von Uaxyácac die Möglichkeit fürchtet, Euer wilder Neffe könnte dermaleinst Uey-Tlatoáni der Mexíca werden.«

Woraufhin Ahuítzotl seine funkelnden Augen auf mich richtete. »Kosi Yuela wird längst tot sein, ehe er sich Sorgen zu machen braucht, wie sein Verhältnis zu irgendeinem neuen Uey-Tlatoáni aussieht. Wir sind erst dreiundvierzig Jahre alt, und wir haben vor, noch lange zu leben. Ehe wir sterben oder zu einem schwachsinnigen Greis werden, werden wir unseren Staatsrat wissen lassen, wer unser Nachfolger werden soll. Aus dem Stegreif könnten wir nicht sagen, wie viele von unseren zwanzig Kindern männlichen Geschlechts sind, doch zweifellos findet sich ein zweiter Ahuítzotl unter ihnen. Vergiß nie, Tequiua Mixtli, daß die lauteste Trommel auch die hohlste ist und daß sie einzig und allein dazu da ist, zu schweigen oder geschlagen zu werden. Wir werden keine hohle Trommel wie unseren Neffen Motecuzóma auf diesen Thron setzen. Vergiß unsere Worte nicht!«

Ich habe es nie getan, erinnere mich noch heute an sie; und Wehmut erfüllt mein Herz, wenn ich an sie denke.

Es kostete den Verehrten Sprecher eine Weile, seiner Empörung Herr zu werden. Doch dann sagte er gelassen: »Wir danken dir, Tequiua Mixtli, daß wir Gelegenheit haben werden, im fernen Xoconóchco eine Garnison zu errichten. Das wird der nächste Auftrag sein, an welchem der junge Zornige Herr beweisen soll, was er kann. Er wird sofort Befehl erhalten, in den Süden zu gehen und in diesem fernen Außenposten eine Garnison zu errichten, sie aufzubauen und den Befehl über sie zu übernehmen. Jawohl, wir müssen dem jungen Motecuzóma etwas zu tun geben – und das in sicherer Entfernung von uns –, sonst könnten wir in Versuchung geraten, unseren eigenen Blutsverwandten mit schweren Trommelschlegeln zu bearbeiten.«

Es vergingen ein paar Tage, und die Stunden, die ich nicht im Bett verbrachte und in denen ich wieder vertraut wurde mit meiner Frau, brachte ich damit zu, mich mit meinem ersten eigenen Haus bekannt zu machen. Das Äußere bestand aus schimmerndem Xaltócaner Kalkstein, war aber nur bescheiden mit verschlungenen Steinmetz-Ornamenten geschmückt und diese nicht einmal durch Farben herausgearbeitet. Für die Vorübergehenden war es nichts weiter als das typische Haus eines erfolgreichen, aber auch nicht allzu erfolgreichen Pochtécatl. Im Inneren freilich war die gesamte Einrichtung vom Allerfeinsten, und verströmte es überall den Duft des Neuen, roch es nicht nach dem Rauch, den Essensgerüchen und den Ausdünstungen und alten Streitereien früherer Bewohner. Die Türen bestanden sämtlichst aus schön geschnitztem Zedernholz, und drehten sich oben und unten in Zapfen. In den Außenmauern waren vorn und hinten Fenster mit Lattenblenden davor, die man hinauf- und herunterrollen konnte.

Das Erdgeschoß – welches, wie ich schon gesagt habe, allerdings nicht auf dem Erdboden aufsaß – enthielt eine Küche und einen abgeteilten Speiseraum, in dem wir Gäste bewirten, ich aber auch mit Geschäftsfreunden verhandeln konnte. Freilich, ein eigener Raum für die Sklaven war nicht vorhanden; Türkis entrollte, wenn wir uns zur Ruhe begeben hatten, in der Küche einfach ihre geflochtene Rohrmatte. Der Oberstock des Hauses bestand aus unserer Schlafkammer, einer zweiten für Gäste, jede mit zugehöriger Badestube und Schwitzbad, und noch einer dritten, kleineren Schlafkammer, von der ich nicht recht erkennen konnte, wofür sie bestimmt sei, bis Zyanya mir eines Tages lächelnd und scheu sagte: »Vielleicht haben wir eines Tages ein Kind, Záa. Möglicherweise sogar mehrere Kinder. Dann können sie und das Kindermädchen darin schlafen.«

Das Dach des Hauses war flach und rundum von einer hüfthohen, durchbrochenen Steinbalustrade umgeben. Die gesamte Fläche war bereits mit einer Schicht aus fruchtbarer Chinámpa-Erde bedeckt, welche nur darauf wartete, mit Blumen, schattigen Sträuchern und Küchenkräutern bepflanzt zu werden. Unser Haus war nicht besonders hoch, und es standen noch viele andere vor ihm, so daß wir vom See nichts sehen konnten; aber immerhin sahen wir vom Dachgarten aus die Zwillingstempel der Großen Pyramide sowie die Gipfel des rauchenden Vulkans Popocatépetl und des schlafenden Vulkans Ixtacciuatl. Zyanya hatte die Räume oben und unten nur mit dem Allernötigsten ausgestattet: den aus vielen übereinandergelegten weichen Decken bestehenden Lagerstätten, einigen Truhen aus Korbgeflecht und etlichen niedrigen Stühlen und Bänken. Sonst waren die Gemächer leer, daß unsere Schritte darin widerhallten, lagen keine Teppiche auf den schimmernden Steinböden und wiesen die weißgetünchten Wände keinerlei Schmuck auf.

Sie sagte: »Die wichtigeren Einrichtungsgegenstände, den Schmuck und die Wandbilder – ich dachte, der Mann im Haus sollte diese Dinge aussuchen.«

»Wir werden Werkstätten und Märkte gemeinsam aufsuchen«, sagte ich. »Doch ich komme nur mit, um zu sagen, daß ich mit dem, was du ausgesucht hast, einverstanden bin, und um dafür zu bezahlen.«

Im Geiste ähnlicher weiblicher Zurückhaltung hatte sie auch nur eine Sklavin gekauft; Türkis hatte genügt, Zyanya bei der Arbeit zur Hand zu gehen und das Haus bewohnbar zu machen. Ich jedoch fand, wir sollten noch eine Frau dazukaufen, um die täglichen Arbeiten des Kochens, Putzens und andere Aufgaben zu übernehmen, und außerdem noch einen männlichen Sklaven, welcher sich um den Dachgarten kümmern, Botengänge für mich erledigen und dergleichen tun sollte. Folglich erwarben wir einen nicht mehr ganz jungen, aber immer noch sehr drahtigen, in der großsprecherischen Weise der Tlacótli-Klasse Citláli-Cuicáni oder Stern Sänger genannten Mann und außerdem ein junges Hausmädchen, das ganz im Gegensatz zu den sonstigen Gepflogenheiten der Sklaven Quequelmiqui hieß, was nichts weiter bedeutete als Kitzlig. Vielleicht hat sie diesen Namen erhalten, da sie häufig ohne erkennbaren Anlaß kicherte.

Alle drei – Türkis, Stern Sänger und Kitzlig – wurden von uns sogleich in der neuen Schule angemeldet, die mein junger Freund Cozcatl aufgemacht hatte, und sollten dort jede freie Stunde verbringen. Cozcatls höchster Ehrgeiz in der Zeit, da er selbst ein Kindersklave gewesen war, hatte darin bestanden, sich jene Fertigkeiten anzueignen, welche ihn instand setzen würden, dermaleinst in einem adeligen Haus den höchsten Posten einzunehmen, den eines Beschließers. Freilich war er bereits weit über all dies hinausgewachsen und besaß ein schönes eigenes Haus sowie ein ansehnliches Vermögen. Infolgedessen hatte Cozcatl sein Haus in eine Schule zur Ausbildung von Dienern umgewandelt. Das heißt, einer Schule, sie zu den besten Dienern auszubilden, die man sich vorstellen konnte.

Voller Stolz erklärte er mir: »Ich habe selbstverständlich Fachleute unter Vertrag genommen, den Schülern die Grundlagen beizubringen – Kochen, Gärtnern, Sticken, alles, worin ein Schüler wünschen könnte, sich auszuzeichnen. Ich selbst bringe ihm die vollendeten Umgangsformen bei, welche er sich sonst nur durch lange Erfahrung anzueignen imstande wäre. Da ich selbst in zwei Palästen gearbeitet habe, richten meine Schüler sich gern nach dem, was ich ihnen beibringe, obwohl die meisten von ihnen viel älter sind als ich selbst.«

»Vollendete Umgangsformen?« fragte ich. »Für das niedere Gesinde?«

»Damit sie eben nicht mehr nur niederes Gesinde sind, sondern wertvolle und geachtete Haushaltsmitglieder. Ich lehre sie, wie sie sich würdevoll zu betragen haben, statt sich der üblichen kriecherischen Unterwürfigkeit zu befleißigen. Wie sie ihren Herren den Wunsch von den Augen ablesen, ehe er auch nur geäußert wird. So lernt ein Diener zum Beispiel, für seinen Herrn stets eine gestopfte Poquietl bereitzuhalten. Eine Haushälterin lernt ihre Herrin zu beraten, welche Blumen im Garten im Begriff stehen zu blühen, damit die Dame im voraus den Blumenschmuck in ihren Räumen planen kann.«

Ich sagte: »Aber ein Sklave kann doch ganz gewiß nicht das Schulgeld für eine solche Ausbildung aufbringen.«

»Nun, da hast du recht«, gab er zu. »Im Augenblick stehen alle meine Schüler bereits in irgendeinem Haus in Dienst, wie deine drei auch, und das Schulgeld wird von ihren Herrn bezahlt. Aber die Ausbildung bei mir erhöht ihre Brauchbarkeit und ihren Wert, so daß sie in den Häusern, in denen sie arbeiten, bald aufsteigen – oder mit Gewinn verkauft werden –, was immerhin bedeutet, daß sie ersetzt werden müssen. Ich bin überzeugt, daß Schüler von mir bald sehr gefragt sein werden. Irgendwann einmal werde ich in der Lage sein, Sklaven auf dem freien Markt zu kaufen, sie auszubilden und einen Anteil von dem Lohn einzufordern, welchen sie erhalten.«

Ich nickte und sagte: »Das wird gut sein für sie, für ihre Arbeitgeber und für dich. Ein sehr glücklicher Einfall, Cozcatl. Du hast dir nicht nur einen Platz in der Welt geschaffen, sondern sogar eine eigene, ganz neue Nische, für die wirklich niemand besser geeignet ist als du selbst.«

Bescheiden erklärte er: »Wärest du nicht gewesen, ich hätte es nicht fertiggebracht, Mixtli. Wären wir nicht zusammen auf Abenteuer ausgegangen, würde ich mich vermutlich heute noch in irgendeinem Texcócoer Palast plagen. Ich verdanke all mein Glück jenem Tonáli – ob es nun deines war oder meines –, welches unser Leben miteinander verknüpft hat.«

Und ich auch, dachte ich, als ich nachdenklich heimging; auch ich verdankte viel einem Tonáli, das ich einst als launisch, wo nicht gar als bösartig verflucht hatte. Es hatte mir Kummer, Verlust und Unglück gebracht. Aber es hatte mich auch zu einem Mann von Vermögen gemacht, einem Mann von beträchtlichem Reichtum, einem Mann, der hoch über das aufgestiegen war, was ihm von Geburt an bestimmt schien, einem Mann, welcher die begehrenswerteste aller Frauen geheiratet hatte, und ein Mann, der immer noch jung genug war, auch weiter Dingen nachzugehen, welche ihn reizten.

Als ich zurückschlenderte zu meinem behaglichen Haus und zu den mich willkommen heißenden Armen Zyanyas, regte sich in mir der Wunsch, meine Dankbarkeit zu den luftigen Höhen emporsteigen zu lassen, in welchen die Hauptgötter wohnen sollten. »Götter«, sagte ich – im Geiste, nicht laut –, »falls es euch Götter gibt und ihr sie seid – ich danke euch. Manchmal habt ihr mit der einen Hand genommen und mit der anderen gegeben. Aber im großen und ganzen habt ihr mir weit mehr gegeben als genommen. Ich küsse die Erde vor euch, Götter!«

Und die Götter müssen empfänglich und dankbar gewesen sein für meine Dankbarkeit. Jedenfalls verschwendeten sie keine Zeit, denn als ich mein Haus betrat, wartete dort ein Page aus dem Palast auf mich, um mich zu Ahuítzotl zu bringen. Ich nahm mir nur die Zeit, Zyanya flüchtig einen Kuß zu geben, der Begrüßung und Abschied zugleich sein sollte; dann folgte ich dem Knaben durch die Straßen Des Herzens Der Einen Welt.

Es war schon ziemlich spät, als ich an diesem Abend heimkam. Und außerdem war ich völlig anders gekleidet als zuvor und mehr als nur ein wenig beschwipst. Unsere Sklavin Türkis vergaß, als sie mir öffnete, augenblicklich alle Haltung, welche sie in Cozcatls Schule gelernt haben mochte. Sie blickte mich und meinen einigermaßen in Unordnung geratenen Federschmuck nur einmal an, stieß einen durchdringenden Schrei aus und floh in den hinteren Teil des Hauses. Zyanya kam und machte ein besorgtes Gesicht.

Sie sagte: »Záa, du bist solange fortge …!« Dann stieß auch sie einen Schrei aus, wich entsetzt vor mir zurück und rief aus: »Was hat dieser Unhold Ahuítzotl dir angetan? Warum blutest du am Arm? Was trägst du denn da an den Füßen? Und was ist das für ein Ding auf deinem Kopf? Záa, sag doch endlich etwas!«

»Hallo«, sagte ich etwas bedrückt und das auch noch mit einem Schluckauf.

»Hallo?« wiederholte sie echogleich, völlig aus der Fassung gebracht durch die Absurdität, die darin lag. Doch dann sagte sie munter: »Was auch sonst mir dir sein mag – auf jeden Fall bist du stockbetrunken«, und zog sich in die Küche zurück. Schwerfällig ließ ich mich auf eine Bank fallen, um gleich darauf wieder energisch hochzufahren – vielleicht sogar ein wenig zu sehr in die Höhe zu fahren –, als Zyanya mir einen Krug kalten Wassers über den Kopf goß.

»Mein Helm!« schrie ich, als ich aufhörte zu prusten und Wasser zu spucken.