IHS
S.C.C.M.

SEINER ALLERKATHOLISCHSTEN MAJESTÄT, KAISER
KARL V., UNSEREM ALLERDURCHLAUCHTIGSTEN
KÖNIG UND HERRN:

Mögen die Gnade, der Frieden und die Barmherzigkeit Unseres Herrn Jesus Christus mit Eurer Majestät sein, Don Carlos, von Gottes Gnaden – nach göttlichem Ratschluß gemeinsam mit Eurer erlauchtigsten Königinmutter, Dona Juana, Herrscher von Castilien, León, Aragon, Beider Sizilien, Jerusalem, Navarra, Granada, Toledo, Valencia, Galicien, Mallorca, Sevilla, Sardinien, Córdoba, Murcia, Jaén, der Karibischen Inseln, von Algeciras, Gibraltar und der Kanarischen Inseln, von Ost- und West-Indien, der Inseln und Länder im Ozean; Grafen von Flandern und Tirol, &c.

Vom Glück Begünstigter und Erhabenster Fürst: aus der Stadt Tenochtítlan, Mexíco, Hauptstadt Eures Besitztums Neuspanien, am zwölften Tage nach Maria Himmelfahrt im Jahre des Herrn eintausendfünfhundertundneunundzwanzig, entbieten wir Euch unseren untertänigsten Gruß.

Euer Majestät, es sind noch keine achtzehn Monate vergangen, daß wir uns, wiewohl der niedrigsten Eurer getreuen Untertanen einer, anschickten, dem Befehl Eurer Majestät nachzukommen, das dreifache Amt als erster ernannter Bischof von Mexíco, Protektor der Indianer, und Apostolischer Inquisitor zu übernehmen und alle diese Ämter in unserer eigenen unwürdigen Person zu vereinen. Seit unserer und unserer Mönche Ankunft in dieser Neuen Welt sind erst neun Monate vergangen, und es erwartete uns allhier eine Fülle von Aufgaben, die dringlichst der Erledigung harrten.

Eingedenk des mit unserer Ernennung verbundenen Auftrags, haben wir uns mit Eifer bemüht, »die Indianer in ihrer Pflicht zu unterweisen, den Einen Wahren Gott im Himmel anzuerkennen und zu verehren, durch Welchen ein jegliches Geschöpf auf Erden lebt und gedeiht« sowie gleichermaßen »die Indianer vertraut zu machen mit Seiner Höchstunbesieglichen und Allerkatholischsten Majestät, Kaiser Don Carlos, durch Göttliche Vorsehung auserkoren, daß die ganze Erde Ihm gehorche und Untertan sei«.

Diese Lektionen zu erteilen, ist alles andere als leicht gewesen, Sire, und wird immer noch ein gerüttelt Maß an Zeit erfordern. Unter unseren Landsleuten, den Spaniern allhier, geht ein Wort um, das lange vor unserer Ankunft aufkam: »Die Indianer können nicht hören, es sei denn, mit ihrem Hinterteil.« Gleichwohl bemühen wir uns, stets des Umstands eingedenk zu sein, daß diese unglücklichen und geistlich benachteiligten Indianer – oder Azteken, wie unsere Spanier nunmehr diesen besonderen Stamm oder dieses Volk hier nennen – auf niedrigerer Stufe stehen als die ganze Menschheit sonst und dieserhalb und um ihrer Bedeutungslosigkeit willen unserer Duldung und Nachsicht bedürfen.

Abgesehen davon, daß wir uns der Unterweisung der Indianer widmen – daß es nur Einen Gott im Himmel und den Kaiser hienieden gibt, dessen Untertanen sie sämtlichst geworden und dem sie dienen müssen –, und abgesehen von vielen anderen kirchlichen und weltlichen Dingen, um die wir uns kümmern, haben wir uns bemüht, dem dringlichen persönlichen Ersuchen Eurer Majestät nachzukommen; so bald als möglich einen Bericht zu verfassen betreffs der Verhältnisse dieser terra paena-incognita, der Lebensformen und Lebensführung ihrer Bewohner, ihrer Sitten und Gebräuche &c., wie sie vordem in diesem unwissenden Lande usus waren.

In Eurer Allerdurchlauchtigsten Majestät Schreiben heißt es ausdrücklich, daß wir beim Verfassen der Chronik uns »von alten Indianern« berichten lassen sollten. Selbiges hat so etwas wie eine Nachforschung notwendig gemacht, alldieweil nach der totalen Auslöschung dieser Stadt durch den Capitángeneral Hernando Cortés nur sehr wenige alte Indianer übriggeblieben sind, von denen wir uns einen glaubwürdigen mündlichen Bericht erhoffen konnten. Selbst die Arbeiter, die im Augenblick dabei sind, die Stadt wieder aufzubauen, setzen sich vornehmlich aus Frauen, Kindern, Tölpeln und schwachsinnigen Alten zusammen, die nicht geeignet waren, bei der Belagerung gegen die Conquistadores zu kämpfen, einfältige Bauern, wie man sie in den umliegenden Ländereien und Gebieten ausgehoben hat. Strohköpfe, alle miteinander.

Desungeachtet ist es uns gelungen, einen noch aus der alten Zeit stammenden Indianer von einigen dreiundsechzig Jahren ausfindig zu machen, welcher imstande ist, den gewünschten Bericht zu liefern. Dieser Mexícatl – er lehnt die Bezeichnung Azteke ebenso ab wie die Indianer – ist von einer (für seine Rasse) hohen Intelligenz, versteht es, sich auszudrücken, ist im Besitze aller Bildung, wie sie vormals in dieser Weltgegend geboten ward und ist früher beamteter Schreiber gewesen, so man dasjenige, worin diese Leute sich ausgedrückt haben, eine Schrift nennen will.

Neben seiner Tätigkeit als Schreiber hat dieser Mann in seinem Leben zahllose Berufe ausgeübt: er war Krieger, Hofmann, reisender Händler, ja sogar eine Art Emissär, den der verblichene vormalige Herrscher dieser Stadt zu den ersten castilischen Befreiern geschickt hat und welcher durch seine Obliegenheiten sich eine passable Kenntnis unserer Sprache angeeignet hat. Wiewohl sein Castilisch ihn selten im Stich läßt, legen wir selbstverständlich Wert auf größte Genauigkeit in allen Einzelheiten. Aus diesem Grunde haben wir einen Dolmetsch hinzugezogen, einen jungen Burschen mit einer beträchtlichen Beherrschung des Nahuatl (wie diese Azteken ihre kehlige, aus umständlichen und wenig wohlklingenden Wörtern bestehende Sprache nennen). Des weiteren haben wir vier unserer eigenen Schreiber im Befragungsraum untergebracht. Diese Ordensbrüder verstehen sich auf jene Kunst des schnellen Schreibens der Tironischen Noten, wie sie in Rom verwendet werden, um noch die kleinste Äußerung Seiner Heiligkeit, ja, selbst den gesamten Verlauf von Beratungen festzuhalten, an denen viele Menschen teilnehmen.

Wir ersuchten den Azteken, Platz zu nehmen und uns seine Lebensgeschichte zu erzählen. Die vier Patres machten hurtig ihre Tironischen Krakel und haben weder da noch später auch nur ein einziges von den Wörtern ausgelassen, die von den Lippen des Indianers tropften. Tropften? Besser sagte man: ein Schwall von Wörtern, die sich stoßweise, widerwärtig und ätzend aus seinem Mund ergießen. Ihr werdet bald sehen, was ich meine, Sire. Vom ersten Augenblick, da er den Mund auftat, hat der Azteke Respektlosigkeit gegenüber uns, unserem geistlichen Gewand und unserem Amt als von Eurer Allerdurchlauchtigsten Majestät höchstselbst ausgewählten Sendboten gezeigt, welchselbige Respektlosigkeit implicite eine Beleidigung unseres Souveräns darstellt.

Wir lassen unseren erläuternden Einführungsworten nunmehr die ersten Seiten des Berichts unseres Indianers folgen. Versiegelt und nur für Eure Augen bestimmt, Sire, wird das Konvolut Tezuitlan de la Vera Cruz übermorgen verlassen, anvertraut der Obhut von Capitàn Sanchez Santovena von der Caravelle Gloria.

Da die Weisheit, Klugheit und das Verständnis Eurer Allererlauchtigsten Majestät allgemein bekannt sind, sind wir uns darüber im klaren, daß wir Gefahr laufen, uns Euren kaiserlichen Zorn zuzuziehen, wollten wir uns anmaßen, den beigefügten Seiten ein caveat voranzuschicken, doch in unserer Eigenschaft als Priester und durch unser apostolisches Amt fühlen wir uns verpflichtet, es dennoch zu tun. Es ist unser aufrichtiger Wunsch, der cèdula Eurer Majestät zu entsprechen und Euch einen wahrheitsgetreuen Bericht über alles zuzuleiten, was es an Wissenswertem über dieses Land gibt. Doch nicht nur wir werden Eurer Majestät erklären, daß die Indianer erbärmliche Geschöpfe sind, in denen sich kaum irgendwelche Spuren von Menschlichkeit finden; welche nicht einmal über eine verständliche Schriftsprache verfügen; welche nie schriftlich niedergelegte Gesetze gekannt haben, sondern nur barbarische Gepflogenheiten und Überlieferungen; welche allen möglichen Arten von Zügellosigkeit, heidnischer Abgötterei, Grausamkeiten und fleischlichen Lüsten verfallen waren und noch verfallen sind und welchselbige bis vor kurzem im Namen ihrer schändlichen »Religion« ihre eigenen Landsleute gefoltert und geschunden haben.

Wir können nicht glauben, daß man von einem Zeugen wie diesem anmaßenden Azteken oder irgendeinem anderen Eingeborenen, und sei er noch so sehr imstande, sich verständlich mitzuteilen, einen erbaulichen Bericht erhalten kann, den zu lesen die Mühe lohnt. Auch können wir nicht glauben, daß unseren gottgesalbten Kaiser Don Carlos anderes als Entsetzen packen kann, angesichts des schändlichen, unflätigen und gottlosen Geschwätzes dieses überheblichen Angehörigen eines so minderwertigen Volkes. Wir haben bezüglich des Beigefügten als vom ersten Teil der Chronik des Indianers gesprochen. Und hoffen inbrünstig und vertrauen darauf, daß es – auf das zu erwartende Wort Eurer Majestät hin– auch der letzte sein wird.

Möge Gott der Herr Seine Hand über Leib und Leben Eurer geheiligten Person und das weltumspannende Reich Eurer Majestät halten und Eure Besitztümer und Herrschaften sich noch auf ungezählte Jahre hinaus vermehren, wie Euer königliches Herz es begehrt.

Euer S.C.C.M. allergetreuester Diener und Hofkaplan,
(ECCE SIGNUM) FR. JUAN DE ZUMÀRRAGA
BISCHOF VON MEXÍCO
APOSTOLISCHER INQUISITOR
PROTEKTOR DER INDIANER