IHS
S.C.C.M.
SEINER ALLERKATHOLISCHSTEN MAJESTÄT, KAISER KARL V., UNSEREM ALLERDURCHLAUCHTIGSTEN KÖNIG UND HERRN:
Königliche und Erhabenste Majestät, Unser Allerdurchlauchtigster Fürst: aus der Stadt Mexíco, Hauptstadt Neuspaniens, am Tage des Heiligen Paphnutius, Märtyrers, im jähre des Herrn eintausendfünfhundertunddreißig, entbiete ich Euch meinen alleruntertänigsten Gruß.
Es zeugt von der allbekannten Einfühlsamkeit Unseres Verständnisvollen Souveräns, daß Ihr Mitleid habt mit Euer Majestät Beschützer der Indianer und daß Ihr um weitere Einzelheiten über die Probleme und Schwierigkeiten bittet, denen wir uns in selbigem Amt täglich gegenübersehen.
Bis dato, Sire, war es üblich unter den Spaniern, welchen in diesen Provinzen Ländereien übereignet wurden, gleichzeitig auch die vielen Indianer, so auf diesen Ländereien lebten, mit zu übernehmen und sie auf der Wange mit einem »G« für guerra – Krieg – zu brandmarken, sie also zu Kriegsgefangenen zu erklären, sie als solche grausam zu behandeln und auszubeuten. Selbiger Mißstand hat sich zumindest insofern verbessert, als ein Indianer heute nicht mehr zu Sklavenarbeit verurteilt werden kann, es sei denn, er wäre zuvor entweder von einem weltlichen oder einem geistlichen Gericht eines Verbrechens für schuldig befunden.
Des weiteren findet jetzt auch das Gesetz unseres Mutterlandes Spanien Anwendung, demzufolge ein Indianer allhier wie ein Jude anderorten dieselben Rechte genießt wie jeder christliche Spanier und keines Verbrechens wegen verurteilt werden kann ohne gültigen Prozeß, bestehend aus Anklage, Verhandlung und Verurteilung. Doch selbstverständlich kann der Zeugenaussage eines Indianers – wie der eines Juden, auch nicht der eines zum Christentum übergetretenen – nicht das gleiche Gewicht zuerkannt werden wie der eines Menschen, der von Geburt an Christ ist. Wünscht infolgedessen ein Spanier irgendeinen kräftigen roten Mann oder ein stattliches rotes Weib als Sklaven zu erwerben, braucht er nichts weiter zu tun, als gegen diesen Indianer irgendeine Anklage vorzubringen, die ihm einfällt.
Da wir sahen, daß die Indianer in vielen Fällen aufgrund von Anklagen verurteilt wurden, die bestenfalls fragwürdig waren, und da wir um die Seelen unserer Landsleute fürchteten, welche sich ganz offensichtlich auf unredliche Weise bereicherten und ihre Ländereien vergrößerten, wie es Christenmenschen nicht ansteht, befiel uns Traurigkeit und fühlten wir uns gezwungen zu handeln. Wir haben den ganzen Einfluß unseres Titels Beschützer der Indianer geltend gemacht, um bei den Richtern der Audiencia durchzusetzen, daß alle fürderhin zu brandmarkenden Indianer in unserem Amte registriert werden müssen. Deshalb werden die Brandeisen jetzt auch in einer Kiste unter Verschluß gehalten, welche mit zwei Schlüsseln verschlossen ist, von denen einer sich in unserem Besitz befindet.
Da also kein verurteilter Indianer ohne unsere Beihilfe gebrandmarkt werden kann, haben wir uns hartnäckig geweigert, in solchen Fällen unsere Zustimmung zu geben, welche offenkundig als Mißbrauch der Justiz anzusehen sind; und bei solchen Indianern auf Strafaussetzung gedrungen. Daß wir unser Amt als Beschützer der Indianer auf diese Weise ausüben, hat uns bei vielen unserer Landsleute in Verruf gebracht, doch das ertragen wir mit Gleichmut, wissen wir doch, daß wir letzten Endes zum Wohle aller handeln. Freilich könnte das wirtschaftliche Wohlergehen Neuspaniens leiden (und der der Krone zustehende Fünfte geschmälert werden), wenn wir uns der Rekrutierung von Arbeitssklaven, auf welcher der Reichtum dieser Kolonien beruht, allzu hartnäckig widersetzen. Infolgedessen wendet ein Spanier, welcher einen Indianer als Leibeigenen zu erwerben wünscht, sich nicht mehr an die weltliche Gerichtsbarkeit, sondern klagt besagten Indianer an, ein bekehrter Christ zu sein, welcher sich irgendeinen lapsus fidei hat zuschulden kommen lassen. Da unser Amt als Verteidiger des Glaubens Vorrang hat vor allen anderen Ämtern und Aufgaben, geben wir in diesen Fällen der Brandmarkung statt.
Auf diese Weise gelingen uns drei Dinge, von denen wir annehmen, daß sie in Eurer Majestät Augen Gnade finden. Primus verhindern wir auf wirksame Weise den Mißbrauch der weltlichen Gerichtsbarkeit. Secundus handeln wir ganz im Einklang mit den Lehren der Kirche, was im Glauben gestrauchelte Neu-Christen betrifft. Und tertius behindern wir nicht die Bereitstellung eines stetigen und nötigen Nachschubs von Arbeitskräften.
Übrigens, Euer Majestät: das Brandzeichen auf der Wange eines Verurteilten ist nicht mehr das erniedrigende »G«, welches auch auf eine unehrenhafte Niederlage im Kampf hinweist. Heute besteht es aus den Initialen des künftigen Eigentümers (es sei denn, bei der Verurteilten handelt es sich um eine hübsche Frau, deren Gesicht der Eigentümer nicht verunstalten möchte). Abgesehen davon, daß dieses Zeichen hilft, Eigentum und entlaufene Sklaven zu identifizieren, dient diese Brandmarkung letztlich auch dazu, Sklaven zu kennzeichnen, welche hoffnungslos aufrührerisch und nicht zur Arbeit einzusetzen sind. Viele von solchen unverbesserlichen Aufsässigen, welche durch die Hände vieler Eigentümer gegangen sind, tragen nunmehr etliche sich zum Teil überschneidende Brandzeichen, gleichsam als wäre ihre Gesichtshaut ein Palimpsest.
In Eurer Verständigen Majestät letztem Schreiben findet sich ein rührender Beweis für Euer Majestät Herzensgüte; wenn Ihr hinsichtlich des Todes der Frau unseres Azteken feststellt: »Wiewohl von niederer Rasse, scheint er ein Mann, welcher menschlicher Gefühle fähig ist, imstande. Glück und Schmerz genauso stark zu empfinden wie wir.« Euer Mitgefühl ist verständlich, denn Euer Majestät beständige Liebe zu Eurer jungen Königin Isabella und Eurem kleinen Sohn Felipe zeugen von Eurer zärtlichen Leidenschaft, welche alle Welt bemerkt und bewundert.
Gleichwohl möchten wir Euer Majestät mit aller Achtung anheimstellen, nicht allzuviel Mitleid für Menschen aufzubringen, so Euer Majestät nicht so gut kennen wie wir, ganz besonders aber nicht einem Menschen, der immer und immer wieder beweist, daß er selbiges nicht verdient. Möglich, daß besagter Indianer früher bisweilen menschlicher Gefühle und menschlicher Gedanken fähig war, welche auch einem weißen Mann wohl anstünden. Euer Majestät werden jedoch bemerkt haben, daß selbiger, wenn er sich jetzt auch zum Christentum bekennt, viel davon schwafelt, seine verstorbene Ehefrau wandere immer noch auf Erden umher – und warum? Weil sie bei ihrem Tode nicht im Besitz eines bestimmten grünen Kiesels war! Des weiteren wird Euer Majestät nicht entgangen sein, daß der Azteke sich durch besagten Verlust nicht lange hat niederdrücken lassen. Auf den hier folgenden Seiten seines Berichts rast er wieder wie ein Koloß und verhält sich auf gewohnte Weise.
Sire, vor nicht langer Zeit haben wir einen Priester, weiser denn wir selbst sagen hören: kein Mensch soll rückhaltlos gelobt werden, solange er noch lebt und auf den unvorhersagbaren Wässern des Lebens segelt. Weder er noch andere können wissen, ob er alle Stürme überlebt, so seiner harren, allen tückischen Riffen und dem verlockenden Gesang der Sirenen entgeht, um irgendwann einmal in einen sicheren Hafen einzulaufen. Nur der verdient zurecht gepriesen zu werden, den Gott geleitet hat, daß er seine Tage im Hafen der Erlösung endet; denn nur am Ende wird das Gloria gesungen.
Möge der weise lenkende Herrgott Euch weiterhin mit seinem Lächeln beglücken und Seine Gunst schenken Euer Kaiserlichen Majestät, deren königliche Füße küßt Euer Kaplan und Diener
(ECCE SIGNUM) ZUMÁRRAGA