8.
»Flug Nummer 228 aus
Tunis
ist soeben gelandet«
Ich hatte nicht den Eindruck, dass irgendjemand außer mir Interesse am Fortgang meines Sorgerechtsprozesses hatte. Im Herbst 1991 hatte ich den Antrag gestellt. Jetzt war Frühjahr 1993, und noch immer rührte sich nichts. Der Prozess war nicht nur eingeschlafen, sondern irgendwo auf der Strecke geblieben. Gegen jeden meiner Anträge legte der Anwalt meines Exmannes Widerspruch ein, und der Prozess wurde von einem Vierteljahr aufs nächste vertagt. Die rechneten wahrscheinlich damit, dass ich zurückzog. Oder fehlte es am notwendigen »Kleingeld«?
Ich musste etwas unternehmen. Im März nahm ich zwei Wochen Urlaub, um nach Tunesien zu fliegen und mein Anliegen selbst bei Gericht vorzutragen. Vom Flughafen aus nahm ich den Bus nach Hause. Die Bäume standen starr, und die Tamarisken blühten rosa an den Straßenrändern, aber ich hatte keinen Blick dafür. Händler reichten mir kleine Jasminsträußchen durch die Tür, wenn der Bus an den Haltestellen anhielt. Ohne zu handeln, bezahlte ich und sog den Duft in mich ein, den ich so lange vermisst hatte.
Nach einer stürmischen Begrüßung mit meiner Mutter, zu der sie von ihrem Platz am Herd aufgesprungen war, wie jemand, der zum Leben erwacht, wurde ich ausgefragt: Wo und wie ich jetzt alleine so wohne, was ich arbeite und wie viel ich verdiene. Für sie war es unvorstellbar, dass ich als Frau auf eigenen Beinen stand und für mein Auskommen arbeitete und Geld verdiente. Ein ums andere Mal schüttelte sie den Kopf, sodass ihr immer wieder die Tücher ins Gesicht rutschten und sie alles zurechtrücken musste. »Kind, wer kümmert sich jetzt um dich?«, fragte sie, und wenn ich antwortete »Ich selbst! Ich bin mein eigener Herr und muss keinem Mann mehr gehorchen!«, streichelte sie mir anerkennend über die Wange. Mit ihrer Hand reichte sie nur knapp zu mir hoch. So klein war sie, das hatte ich früher nie bemerkt. Aber jetzt war sie aufgeregt und nervös wie ein junges Mädchen, weil ihre Tochter es geschafft hatte. Ihr Stolz machte mir Mut.
Ich musste weiter meinen Weg gehen und um die Kinder kämpfen. Das naive junge Mädchen, als das mich Abdullah aus der Familie geholt und nach Deutschland gebracht hatte, gab es nicht mehr. Vorbei. Seine Schläge und Demütigungen hatten mich nicht zerstört, sondern aufgeweckt. Und die Trauer um meine entführten Kinder hatte sich in Wut verwandelt. Immer deutlicher spürte ich, was gut für mich war und was ich wollte.
Ich bin keine verlassene Ehefrau mehr, sondern eine Frau, die für sich selbst geradestehen kann. Und nicht nur das: eine, die für ihre Kinder sorgen kann. Ich würde um nichts mehr bitten, sondern fordern. Und wenn ich den Richter höchstpersönlich aufsuchen musste.
Das Gericht ist ein heruntergekommenes zweigeschossiges Kolonialgebäude am Rand der Stadt. Es steht gleich neben dem Gefängnis und ist von einer hohen weißen Mauer mit Stacheldraht umgeben. Gelblich verdorrter Buchsbaum und Efeu klammern sich an der Mauer fest. Staubig und voller Dreck. Es ist nicht weit von unserem Haus entfernt, nur den Weg den Berg hinunter, dann rechts, vielleicht 300 Meter.
Es ist kalt, und der Wind wirbelt Müll durch die Straßen. Ziegen mit bimmelnden Glöckchen um den Hals stürzen sich darauf, sobald er sich in Disteln und Mauerresten verfängt. Schon von weitem sehe ich die Menschenschlange, die sich vor dem schweren braunen Holztor des Gerichtsgebäudes gebildet hat. Es sind Leute, die teilweise von weit her gekommen sind. Zweimal pro Woche, Dienstagnachmittag und Donnerstagvormittag, hält der Staatsanwalt, le Procureur de la République, eine Sprechstunde ab, bei der dringende Angelegenheiten vorgetragen werden können. Es geht um Ehestreitigkeiten und Nachbarschaftsstreitereien, gestohlene Schafe oder Land, das zurückgegeben werden muss, es geht um Pferde, Kinder und Frauen, aber auch um Leben und Tod, Familienfehden und Ehrenmorde.
Die Menschen kommen an Krücken und mit Verletzungen. Ich sehe einen alten Vater mit einem Arm im Gips, den ihm sein Sohn gebrochen hat, und eine junge Frau mit ihrer Mutter, die kaum noch gehen kann, weil sie von ihrem geschiedenen Mann verprügelt wurde. Da ist auch ein traurig blickendes Mädchen mit seinem Vater und einem fremden Mann. Sicherlich will sich der Vater eine richterliche Erlaubnis holen, um seine minderjährige Tochter zu verheiraten. Ich sehe das Mädchen schon vor mir, wie sie vom Staatsanwalt gefragt wird, ob sie heiraten will. Dann blickt sie vom Vater zum Bräutigam und wieder zurück. Sie hat nichts zu sagen, keine Chance. Ein Nicken – und verkauft ist sie. Kurz und schmerzvoll. Die Arme! – Mir ist zum Heulen.
Ich stellte mich in die Reihe und wartete. Als eine von ihnen. Es waren vielleicht zehn Leute vor mir, nach mir noch einmal so viele. Alte, gegerbte, verlebte Gesichter und junge, glatte Engelsgesichter. Wir sahen uns nicht in die Augen, wir waren alle mit unseren eigenen Problemen beschäftigt. Zwei Männer in Kaschabia mit Kapuzen über dem Kopf unterhielten sich leise, ein Mädchen vor mir schluchzte und kaute nervös an ihren Fingernägeln. Sie war jung, vielleicht 15, hatte ein bleiches Gesicht, helle Augen, einen breiten Mund. Einen dunklen Mantel trug sie wie eine alte Frau. Was sie hier will? So allein?
Ich bot ihr ein Taschentuch an, als ich merkte, dass sie ihre Manteltaschen nach einem durchsuchte. Ein paar andere hatte sie bereits zerknüllt und in Richtung der Mauer geworfen, wo sie der Wind lustig hin und her scheuchte. »Hier bitte«, sagte ich, »ich hab noch jede Menge Taschentücher.« Ohne mich anzusehen, murmelte sie etwas wie »Danke«. – »Wartest du auf deinen Vater?«, fragte ich, um etwas zu sagen. Das Mädchen schüttelte den Kopf, und die Tränen schossen ihm in die Augen. »Entschuldigung«, sagte ich, »aber was ist denn?« – »Der Vater«, stieß es hervor, »der Vater will mich mit einem Mann verheiraten, den ich noch nie gesehen habe. Aber ich will nicht.« Wie mutig es von ihr ist hierherzukommen!, dachte ich. Ich hakte das Mädchen unter und zog es ein wenig zu mir heran. Es zögerte einen Moment, sagte dann aber: »Ich habe einen Freund, der mit mir zur Schule geht. Wir wollen studieren und später heiraten.« – »Bist du deshalb hierhergekommen?« Sie nickte. »Woher weißt du, dass man dir hier helfen kann?« – »Weiß ich nicht, aber meine Mutter hat mich geschickt.« – »Mein Gott, du hast eine tolle Mutter. Ich bewundere sie.«
Wir setzten uns auf den löchrigen Asphalt vor dem Tor. Da fing die junge Frau an zu erzählen, dass ihre Mutter erst mitkommen wollte, aus Angst vor dem Vater aber doch zu Hause geblieben sei. Auf keinen Fall dürfe er erfahren, dass sie die Tochter angestiftet habe, sich zu wehren. Die Mutter leide selbst bis heute darunter, dass sie an einen fremden Mann verheiratet worden sei. »Sie will, dass ich es einmal besser habe als sie.« – »Ja, das sollst du auch«, erwiderte ich leise. »Schon weil du solch eine mutige Mutter hast. Wenn meine nur damals auch so gewesen wäre.« Da schaute sie mich an und fing wieder an zu weinen.
Inzwischen war es Abend geworden. Der Wind hatte zugenommen, und die meisten Menschen vor uns waren verschwunden. Ich hatte nicht darauf geachtet, ob sie bei Gericht vorgelassen wurden oder sich auf den Heimweg gemacht hatten. Aber plötzlich hörte ich: »Geschlossen! Das Gericht ist geschlossen!« Ich erschrak. Bedeutete das, dass wir uns den halben Tag vergeblich hier angestellt hatten? »Kommt zum nächsten Sprechtag wieder«, rief ein Pförtner, der in blauer Uniform und roter Kappe vor das Tor getreten war. »Nein bitte, lassen Sie mich ein, es ist sehr dringend«, begehrte das Mädchen nun auf. »Bei wem ist es nicht dringend, junge Dame?«, entgegnete der Mann. »Geh nach Hause und komm übermorgen wieder, wenn es dann immer noch so dringend ist.« – »Dann ist es nicht mehr dringend, sondern zu spät«, bettelte es verzweifelt. »Hör mal zu, Gerichtsdiener«, ergriff ich nun aufgeregt das Wort, wild mit den Armen gestikulierend. »Wenn das Mädchen deine Tochter wäre und weint, würdest du da nicht eine Ausnahme machen?« – »Ich bin aber nicht ihr Vater.« – »Aber sie ist wirklich in einer Notlage und muss zum Staatsanwalt, glaub mir, es geht um Leben und Tod. Heute noch!« – »Ich weiß nicht, ob der Staatsanwalt nicht schon gegangen ist. Es ist Feierabend, aber meinetwegen soll sie es versuchen. Aber nur, weil du für sie gesprochen hast.« – »Allah sei mit dir«, antwortete ich. »Vielleicht bleibt ihr erspart, was mir nicht erspart geblieben ist.«
Zwei Tage später war ich bereits vor Sonnenaufgang beim Gericht. Zwei Stunden zu früh, doch heute musste mich der Staatsanwalt einfach anhören. Und wenn ich mich vordrängen oder die ganze Schlange vor mir niederrennen musste, dieses Mal würde ich mich nicht mehr abweisen lassen. Ich war tatsächlich die Erste. Als der Pförtner die Tür aufschloss, fiel ich ihm fast entgegen. Ich hatte mich angelehnt und war ein wenig eingedöst. »Du schon wieder? Hast du hier übernachtet?«, fragte er überrascht. »Ja«, entgegnete ich frech. »Es ist nicht die erste schlaflose Nacht, die ich wegen meiner Kinder verbringe. Höchste Zeit, dass das aufhört.«
Im Gebäude war es still, ein langer Gang mit grauem Linoleumboden, in den kein Tageslicht fiel. Zu beiden Seiten schwere dunkle Türen aus Kastanienholz, darüber Stuck und Verzierungen. Der Pförtner bedeutete mir, auf einem der aufgereihten Stühle Platz zu nehmen und zu warten. Dann ging er langsam weg und kam nach ein paar Minuten wieder, deutete mit der Hand auf eine der Türen und sagte: »Hab Geduld, es kümmert sich gleich jemand um dich.« »Gleich« dauerte noch einmal eine halbe Stunde, aber dann führte er mich zu einem der Zimmer, klopfte und schob mich, ohne das »Herein« abzuwarten, hinein. Ich musste zuerst ein wenig blinzeln, bis ich erkannte, wo ich war. Ein großer, heller Raum, in den durch schmale Schlitze weit oben an der Wand das Tageslicht wie Scheinwerferlicht fiel. Mir gegenüber saß ein Mann mit pechschwarzen Haaren und einem kleinen Bärtchen, Manschettenknöpfe an den weißen Hemdsärmeln, die unter der Uniform hervorlugten. Er war kaum älter als ich, aber eine Respektsperson. Die Beine weit von sich gestreckt, hatte er sich an seinem Schreibtisch zurückgelehnt. Direkt neben ihm hatte ein älterer Herr in blauer Uniform vor einer Schreibmaschine Platz genommen und den Kopf in die Hand gestützt. Auch die Schreibtische waren aus schwerem Kastanienholz, wahrscheinlich stammten die Möbel noch aus der Zeit, als die französische Armee hier ihre Garnison stationiert hatte.
Ich merke, wie mir heiß wird und sich rote Flecke auf meinem Gesicht ausbreiten. Es ist ein wichtiger Termin, vielleicht der allerwichtigste für mich in diesem Prozess. Wenn es unserem Rechtsanwalt nicht gelingt, dem Staatsanwalt den Fall zu schildern, so muss ich es eben tun. Muss alles geben. »Bonjour, Monsieur le Procureur«, grüße ich auf Französisch. Ich bleibe neben einem Stuhl stehen und blickte meinem Gegenüber, der sich inzwischen nach vorne gebeugt hat, direkt in die Augen. Er mustert mich. Ich muss seriös und glaubwürdig auf ihn wirken. Langer schwarzer Rock, rote Bluse, schwarz-weißes Wolljackett. Um meinen Kopf habe ich ein weißes Tuch zu einem Turban geschlungen, darüber eine Sonnenbrille gesteckt. Ich weiß genau, dass es von meinem Auftreten abhängen wird, ob ich als geschiedene Frau ernst genommen werde oder nicht.
»Salam«, grüßt mich der Staatsanwalt auf Tunesisch, während er seinem Kollegen einen Blick zuwirft, der heißt: Mach dich bereit. »Bist du nicht Abdelhamids Tochter, die in Deutschland lebt?« – »Ja, ich lebe in Deutschland. Aber meine Kinder leben hier – ich würde sie gerne zu mir holen.« – »Was ist mit ihnen?« – »Die Akte müsste hier liegen, schon fast zwei Jahre lang. So lange vermisse ich meine Kinder schon. Denn mein Exmann hat sie aus Hamburg entführt und sie bei seinem Bruder in Tunesien versteckt. Er sagt, sie gehören zu seiner Familie. Aber ich will das Sorgerecht für sie haben und sie mit nach Deutschland nehmen. Kinder gehören zu ihrer Mutter, oder?«, sprudle ich hervor und lasse mich nicht mehr stoppen. »Vor bald zwei Jahren habe ich das Sorgerecht beantragt, aber bis heute hat sich nichts getan … « – »Moment, Moment, wie heißen denn deine Kinder?« – »Amin, der ist jetzt fast zwölf Jahre alt, Jasin ein Jahr jünger und meine süße Amal. Sie ist schon sieben Jahre alt. Schauen Sie doch bitte in Ihrer Akte nach.« Doch der Staatsanwalt macht keine Anstalten aufzustehen und zu suchen, sondern fragt ungläubig:. »Warum sollten wir bitte schön zwei Jahre lang deinen Fall nicht behandeln?« – »Das frage ich mich auch. Und meinen Kindern geht es schlecht, aber ich darf sie nicht einmal sehen … « – »Immer der Reihe nach«, unterbricht mich da der Staatsanwalt und streckt mir seine Hand bremsend über den Schreibtisch entgegen. »Und vor allem so, dass der Schreiber mitschreiben kann.« Bei diesem Satz nickt er seinem Mitarbeiter zu, der meine Satztiraden mit einem gleichmäßigen Schreibmaschinengeklapper begleitet.
»Sagtest du nicht, dass du geschieden bist?« – »Doch, aber … « – »Eine geschiedene Frau geht zu ihren Eltern zurück. Die Kinder bleiben beim Vater … « – »Weiß ich. Aber haben Sie mir nicht zugehört? Die Kinder leben nicht bei ihrem Vater, sondern bei der Familie des Onkels. Und dort geht es ihnen schlecht. Sie bekommen wenig zu essen, dürfen nicht spielen, gehen kaum zur Schule. Wenn Sie wollen, schicken Sie jemanden hin und überprüfen Sie, was ich sage … « – »Wo sind die Kinder denn?« – »Nicht weit vom Meer, im Süden, auf einem Bauernhof.« – »Diese Region fällt nicht in unser Zuständigkeitsgebiet. Da musst du schon einen Kollegen von dort damit beauftragen, das zu überprüfen.« – »Kann ich doch nicht, da ich nur eine Woche auf Urlaub hier bin. Ich arbeite, um für meine Kinder sorgen zu können. Hier bitte, meine Papiere. Ich habe alles: Wohnung, Telefon, Arbeit, ein Bankkonto. Es fehlen mir nur meine Kinder. Sagen Sie selbst, Kinder gehören doch zu ihrer Mutter?« Nun erst ziehe ich den Stuhl, neben dem ich die ganze Zeit gestanden habe, zurück, setze mich und sehe den Staatsanwalt erwartungsvoll an. »Das kommt darauf an … « – »Sie müssen mir glauben, ich war eine gute Mutter und werde eine gute Mutter sein.« – »Glaube ich dir ja. Sonst würdest du jetzt nicht um die Kinder kämpfen. Aber sag, warum bist du nach der Scheidung nicht bei deinen Eltern geblieben?« – »Weil ich dort nichts mehr zu suchen habe. Soll ich meinem Vater auf der Tasche liegen, wenn ich selbst arbeiten kann?« – »Und jetzt willst du das Sorgerecht?« – »Ja, weil ich selbständig bin. Mein Exmann kümmert sich doch gar nicht um die Kinder. Sie leben abgeschieden auf dem Land. Ohne richtige Schule, ohne Mutter und ohne Vater. Ich dagegen würde für sie sorgen, gut sorgen.« – »Willst du sie mit nach Deutschland nehmen?« – »Ja. Dort können sie bei mir leben, ich werde sie auf eine gute Schule schicken, und ich schwöre beim Koran: Sie werden es später leichter haben als wir! Das ist die Wahrheit. Sagen Sie selbst, wäre es nicht besser, sie würden bei mir leben?« – »Doch!«, sagt der Staatsanwalt nun plötzlich und beugt sich noch weiter nach vorne. Unwillkürlich richte ich mich auf. »Was du mir erzählst, leuchtet mir ein«, fährt er fort. »Natürlich ist es besser, wenn Kinder bei den Eltern leben und nicht bei Verwandten. Und wenn sie in Deutschland eine bessere Ausbildung bekommen, ist das auch ein guter Grund, sie dort aufwachsen zu lassen.« Er räuspert sich, und plötzlich klingt seine Stimme verständnisvoll: »Ich frage mich, warum dieser Sorgerechtsprozess so lange verzögert wurde, wenn die Sachlage so eindeutig ist. Ich werde alles, was in meiner Macht steht, für dich tun.« – »Können Sie nicht dem Richter die dringenden Fälle vorstellen und einen Prozesstermin vorschlagen?« – »Doch, wenn alles so stimmt, was du sagst, dann werde ich versuchen, einen schnellen Termin für die Sache zu bekommen.« – »Wirklich?« – »Ja!« – »Alhamdulilah – Allah sei Dank. Ich kann nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen bin. Stellen Sie sich vor, zwei Jahre ohne meine Kinder.« – »Ich werde mich bemühen.«
Der Schreiber hatte aufgehört, auf der Schreibmaschine zu klappern. Es war still, und auf einmal fühlte ich mich leicht wie ein junges Mädchen. Ich hätte jubeln können, dieser Beamte wird sich für mich einsetzen! Nun musste es einfach klappen! Ich hatte ihn überzeugt, das machte mich stolz. Dankbar lachte ich, stand auf und ging überschwänglich auf die beiden Männer zu. Auch sie hatten sich erhoben, über beide Schreibtische hinweg streckte ich jedem eine Hand entgegen. Ohne zu überlegen, die eine links, die andere rechts. Beide griffen sie gleichzeitig danach, der eine rechts, der andere links, und schüttelten sie. Ich freute mich wie ein Kind. »Merci beaucoup – shukran.« Es war richtig gewesen hierherzukommen. Ich hatte alles gegeben und war überzeugt, dass man mir nun helfen würde.
Zum ersten Mal kehrte ich beschwingt und zuversichtlich aus Tunesien zurück nach Deutschland. Nun war es nur noch eine Frage der Zeit, bis ich die Kinder zu mir holen konnte. Nach 53 Tagen erst kam der ersehnte Anruf von meinem Vater: »Esma, du hast Post. Der Termin für das Sorgerechtsverfahren.« Nicht ein Tag war vergangen, an dem ich nicht auf diesen Bescheid vom Familiengericht gewartet hatte. Jetzt endlich! »Vater, bitte, sag schnell. Wann ist der Prozess?« – »Es dauert noch eine Weile. 2.September, direkt nach der Sommerpause des Gerichts. Du hast es fast geschafft.« – »Ja«, sagte ich, und meine Stimme bebte. Ich konnte nicht verbergen, dass ich enttäuscht war. Noch so viele weitere Wochen.
Ende August flog ich wieder nach Tunesien. Ich hatte jede Menge Süßigkeiten, Kleider, Jeans und T-Shirts eingekauft und auf zwei Koffer verteilt. Hoffentlich das Passende. Die Kinder würden sich freuen, wenn ich ihnen etwas mitbrachte. Wenn ich nur eine Ahnung davon hätte, wie groß sie jetzt sind und was sie gerne essen. Früher mochten sie Überraschungseier, aber jetzt? Aber noch waren sie ja nicht bei mir.
Am Tag der Gerichtsverhandlung begleitete mich der Vater. Die vergangene Nacht über hatte ich nicht schlafen können. Hatte mich im Bett hin und her gewälzt. Ich hatte die Hunde bellen gehört und die Esel schreien und hatte nur an eines denken können: Was, wenn der Richter mir die Kinder nicht zuspricht? Was, wenn ich das Sorgerecht nicht bekomme? Eine Katastrophe. Ich kann mir nicht vorstellen, was dann passiert. Will ich mir auch nicht vorstellen. Trotzdem quälten mich diese Albträume.
Es war eine der dunkelsten Nächte, die ich je erlebt habe. Ich öffnete die Fensterläden und stand stundenlang am Fenster. Blickte in die Nacht, aber sah keine Sterne, nur dunkle Wolkenfetzen am Himmel. Bevor es hell wurde, kochte ich mir Kaffee, dann suchte ich nach einem Handtuch und schlich mich aus dem Haus. Ich wollte bei meiner großen Schwester vorbeigehen und sie überreden, mit mir ins Hamam zu gehen. Sie stand sofort auf, und noch vor dem Morgengrauen ließen wir uns das Wasser über Kopf und Körper rieseln. So lange, bis es jeden Zweifel von mir weggewaschen hatte. Danach fühlte ich mich ein wenig frischer.
Es wird ein heißer Tag werden. Ich schwitze, als ich mit dem Vater beim Gericht ankomme. Diesem Gebäude, das von außen so schäbig aussieht, mir aber mit seinen schweren dunklen Türen Respekt einflößt. Alle kennen meinen Vater. Richter, Staatsanwalt, die Rechtsanwälte, im Verhandlungssaal grüßt man sich wie alte Bekannte. Ich grüße auch, bleibe jedoch etwas abseits stehen. Abdullah ist nicht gekommen, dafür hat er seinen Bruder Mahmoud als seine Vertretung geschickt. Dessen Gesicht ist rot aufgedunsen, und er trägt einen dunkelblauen Anzug, in dem der Staub der Jahre sitzt. Ich drehe mich verstohlen nach ihm um, aber er tut so, als sehe er mich nicht.
Der Gerichtssaal ist mit dunklem Holz ausgeschlagen, ohne Fenster, mit künstlichem Licht, zwei Türen. Über der Eingangstür hängt eine große altmodische Uhr mit Holzrahmen, gegenüber, über dem Richtertisch ist ein großes Mosaik in die Wand eingelassen: ein roter Halbmond mit Stern, darunter das dreigeteilte tunesische Wappen mit punischer Galeere auf blauer See, ein schwarzer Löwe mit silbernem Schwert in Rot und eine schwarze Waage in Gold. Als der Richter eintritt und sich alle erheben, wird mir schwarz vor Augen. Noch habe ich den Prozess nicht gewonnen. Wenn nun der Richter der Ansicht sein sollte, dass Kinder zur Familie des Mannes gehören? Ich halte mich an der Stuhllehne meines Vordermannes fest, aber da dürfen wir uns schon wieder setzen.
Ich kann es kaum ertragen anzuhören, wie sich die beiden Rechtsanwälte noch einmal ihre Argumente um die Ohren hauen und sich mit dem Staatsanwalt austauschen. Ich höre ihre Worte dahinrauschen und verstehe sie nicht, so als würden sie in einer unbekannten Sprache sprechen. Mir ist übel, und ich schlucke krampfhaft. Noch ist alles offen.
»Schön, dass Sie selbst zum Prozess gekommen sind«, höre ich plötzlich von weit her die Stimme des Richters. Ein kleiner, unscheinbarer Mann, der in seiner Robe versinkt, aber seine Stimme klingt dunkel und mächtig. Ich blicke auf und merke, dass er mich meint. Mit einem Ruck hebe ich den Kopf und stütze mich mit meinen Armen auf den Oberschenkeln ab. Währenddessen nimmt der Richter schon mit einer raschen Handbewegung den Stapel Akten, den er vor sich auf dem Tisch liegen hatte, und wendet sich zur Tür. »Es dauert nicht lange«, sagt er im Hinausgehen und zieht sich mit seinen Schöffen zur Beratung zurück.
Ich bin erschrocken, nervös schlage ich abwechselnd die Beine übereinander, beuge mich nach vorn und wieder zurück, sinke zusammen. Kaum auszuhalten, diese Schwüle in dem fensterlosen Raum. Ich sehe auf die Uhr über der Eingangstür, sie tickt gleichmäßig, tick, tack, tick, tack, ohne dass ich die Zeit ablesen kann. Und ich sehe zu meinem Vater, der neben mir sitzt. Doch der hält seinen Blick geradeaus gerichtet und klopft mit der Hand imaginäre Staubkörner von seiner Uniformhose. Warum ermutigt er mich jetzt nicht, wo ich seine Hilfe so nötig hätte? Wenigstens ein aufmunterndes Lächeln? So wie Oma Hedwig im Altenheim in Hamburg.
Ich sehe sie vor mir, wie sie mit ihrer akkuraten Frisur am Fenster sitzt und so aussieht, als ob sie hinausschaue, obwohl sie doch gar nichts sieht. Fast täglich, wenn ich in den vergangenen Wochen zu ihr ins Zimmer gekommen bin, erkundigte sie sich nach meinen Kindern. Auf den Stock gestützt, sah sie an mir vorbei und fragte: »Und wie geht es Amin, Jasin und Amal. Hast du etwas von ihnen gehört?« Ihre Sorge tat mir gut, auch wenn ich jedes Mal »Nein, leider nichts Neues« sagen musste. Dann forderte sie mich auf, mich ein wenig zu ihr vors Fenster zu setzen, das in den warmen Sommertagen meistens geöffnet war. Sie tastete nach meiner Hand und fuhr fort: »Es ist gut, dass du um deine Kinder kämpfst.« – »Du hast es doch auch getan.« – »Nicht alle Mütter sind stark genug. Es wäre leichter für dich, die Kinder dort zu lassen, wo sie sind.« – »Dort geht es ihnen nicht gut!« – »Ja, du wirst es schaffen, weil du an dich glaubst.«
Fünf Minuten später kommt der Richter zurück, wieder stehen wir alle auf, und wieder setzen wir uns. Doch als er endlich anhebt zu sprechen, habe ich das Gefühl, meine Ohren zuhalten zu müssen, nur um ja nichts Falsches zu hören. – Lieber Gott, lass jetzt bitte den richtigen Satz kommen! – Die Sekunden dehnen sich. Wieder höre ich die Uhr ticken, Monsieur le Juge wiederholt alle Argumente, die für die Kinder in der Vaterfamilie und die für die Kinder in Deutschland bei der Mutter sprechen. Aber was ist jetzt? Wann endlich fällt er das Urteil? Ich verfolge seine Augen, seine Mundbewegungen, bis er den alles entscheidenden Satz spricht: » … aus diesen eben erläuterten Gründen fällt das Sorgerecht für die Kinder Amin, Jasin und Amal Abdelhamid an ihre Mutter Esma Abdelhamid.«
Endlich! Das war’s, endlich hat die Warterei ein Ende! Mir ist schwindlig, ich will zum Richtertisch stürzen, mich beim Richter bedanken, dem Staatsanwalt und meinem Vater um den Hals fallen, alles auf einmal. Aber ich tue nichts, ich höre nur das Murmeln im Saal und spüre, wie sich eine riesige Last von mir löst. Wie eine Gerölllawine rutscht sie los, erst langsam und unmerklich, dann immer schneller und polternder. Dazwischen die mächtige Stimme des Richters: »Die Kinder werden stolz auf ihre Mutter sein. So wie Sie hier für sie gekämpft haben, werden Sie auch in Zukunft für sie kämpfen. Ihre Kinder haben Glück.«
Noch am gleichen Abend feierten wir ein Fest. Der dritte Geburtstag meines Neffen, des jüngsten Sohnes meines Bruders. Die Familie wohnte am anderen Ende der Stadt, dort wo sich die Häuser ohne Mauern und Vorgärten aneinanderducken und nur den Schafen und den Ziegen einen Durchgang lassen. Mein großer Bruder verdingte sich als Gelegenheitsarbeiter, seine Frau verkaufte Gewürze auf dem Markt. Zwei liebe Menschen. Ich weiß nicht, wie mein Bruder es geschafft hat, so rechtschaffen und gutherzig zu bleiben, obwohl er am meisten Prügel von uns Kindern eingesteckt hat. Auch ihm hatte der Vater eine Frau ausgesucht, mit der er sich nicht vertrug. Erst mit seiner zweiten Frau ist er glücklich geworden.
Die Sonne war gerade untergegangen, ein blassblauer Schleier lag über den weißen Häusern. Die Dämmerung brach bereits herein, und ich hörte das Jaulen der Hunde in der Ferne, ein Geräusch, das überall ist und die Stille des Abends in Schach hält. Das Geburtstagskind kam angerannt: »Tante, Tante aus Deutschland, was hast du mir mitgebracht?« Ich warf den Jungen in die Höhe und drehte mich mit ihm, bis er herzlich lachte. Dann drückte ich ihm ein kleines Auto in die Hand und verzog mich ins Wohnzimmer, während die anderen in der Küche aßen.
Ein kahler Raum mit Matratzen auf dem Boden, Kassettenrecorder, Radio. Auf dem Fernseher stand das gerahmte Foto des Großvaters, um das sich die Familie jahrelang gestritten hatte. Ich ordnete Spitzendeckchen und Plastikblumen, die links und rechts davon in Väschen aufgestellt waren. Ich war allein. Auf dem Boden lag eine Kassette, die hob ich auf und steckte sie in den Recorder. Ich drückte auf Play, hörte den ersten Ton. Eine Weile stand er im Raum, bevor er fortglitt wie ein fliegender Teppich. Trommelmusik der Berber. Da setzte ich mich auf den Boden, breitete mein Kleid über die Beine aus und betrachtete die Fotos der Kinder, die ich seit zwei Jahren in meiner Handtasche immer bei mir trug. Die Bilder waren ganz abgegriffen, sie hatten weiße Sprünge wie Porzellan: Amal mit ihren ängstlich großen Augen und dem Schulranzen auf dem Rücken. Amin, dünn und lang auf dem Fahrrad in Hamburg und Jasin mit einem kleinen Hasen im Zoo. So hatte ich sie in Erinnerung. Wie würden sie heute aussehen?
Morgen! Morgen würden wir die Kinder holen. Und plötzlich packte mich die eindringliche Musik, ich drehte lauter, stand auf, breitete meine Arme aus, legte den Kopf in den Nacken und begann zu tanzen. Einen orientalischen Bauchtanz, so wild und ausgelassen, wie ich seit meiner Hochzeit vor 13 Jahren nicht mehr getanzt habe. Ich hatte ihn schon als Kind gelernt, ursprünglich ein Fruchtbarkeitstanz. An diesem Abend begleitete er meine zweite Geburt.
Früh am nächsten Morgen fuhren wir los. Mein Vater hatte ein Auto gemietet. Es war kühl, das Land noch schwarz-weiß. Wir fuhren nach Osten in Richtung Sonnenaufgang, der die Steppe zuerst violett, später rosa färbte und dann ockergelb und rot. In den Akazienbüschen riefen Lerchen und Regenpfeifer Allah den Gruß. Mein Vater schwieg, ich saß am Lenkrad, trommelte mit den Fingern, schaute ihn von der Seite an: diesen stattlichen und aufrechten Mann mit dem zerfurchten Gesicht, der nur das Beste für seine Familie gewollt und doch so viel Leid über uns gebracht hatte. Er kannte es nicht anders, so war die Tradition. Dann sah ich Männer in weißen Gewändern in der Steppe, die Kamelherden vor sich hertrieben, und Frauen, wie sie auf ihren gebeugten Rücken das in aller Frühe geerntete Gras nach Hause trugen. Nach einem archaischen Gesetz und Rhythmus, nach dem ich nicht mehr leben konnte.
In der Hafenstadt suchten wir einen Gerichtshelfer auf und baten ihn, mit uns zur Schwagerfamilie zu fahren. Wenn wir einen Justizbeamten bei uns hatten, konnte der Schwager das Urteil nicht ignorieren und musste die Kinder herausgeben.
Wie eine Festung erhebt sich das Gehöft mitten auf dem flachen Land. Diese riesige Mauer, ein paar Betonhütten dahinter, außen mit Bambus verkleidet. Als wir gegen Mittag ankommen, klopft mein Herz wie wild. Es riecht nach Verwesung, ich höre Hühnergeschrei, die Hunde bellen. Wie konnten die Kinder es hier nur aushalten? Wir klopfen laut, und mein Vater ruft: »Aufmachen, Bruder des Abdullah, komm und mach uns auf!« Auch ich schreie: »Amin, Jasin, Amal! Wir sind gekommen, um euch zu holen. Amin, Jasin, Amal, ich bin’s, Mama!« Und hämmere gegen die Tür. Mein Gott, bin ich auf einmal aufgeregt, ich schwitze, und der Schweiß rinnt mir in die Augen, er brennt, gleich wird mir schwindlig, ich muss mich setzen, auf den dreckigen Boden vor der Mauer.
Lange rührt sich nichts. Doch dann bewegt sich das Tor. Der Schwager öffnete, er ist in Gummistiefeln. Offensichtlich haben wir ihn aus dem Stall geholt. »Was wollt ihr hier?«, fragt er unwirsch, eine Hand auf einen Stock gestützt. Und zu mir gewandt: »Hab ich dir nicht gesagt, Esma, dass du dich hier nie wieder blicken lassen sollst!« Sein Gesicht ist bärtig und ungewaschen, ich sehe seine gelben Zähne und gerate in Wut. Aber ganz ruhig, ich muss atmen, bis hinunter zum Bauch, tief durchatmen und zählen, auf Deutsch, eins, zwei, drei … weil das schwieriger ist und weil ich mich konzentrieren muss. Die Kinder! – Gleich würde ich die Kinder sehen!
Aber ich kann mich nicht beherrschen, springe auf und schleudere dem Schwager die Sätze wie Steine entgegen: »An alle Regelungen habe ich mich gehalten, zwei Jahre lang, aber jetzt ist Schluss damit. Hörst du, fini! Gestern wurden mir die Kinder zugesprochen. Ich habe das Sorgerecht. Ich, nicht Abdullah. Und jetzt sind wir gekommen, um Amal, Jasin und Amin zu holen.« – »Die Kinder bleiben hier. Egal, wer das Sorgerecht hat!« – »Sie kommen mit mir!«, brülle ich ihn an, sodass er zusammenzuckt und schreit: »Nein, du bekommst sie nicht!« – »Du wirst uns die Kinder wohl geben müssen«, mischt sich nun der Gerichtshelfer ein. Er könne alles bezeugen, »hier sind die Papiere, das Urteil ist rechtskräftig. Und wenn die Mutter ihre Kinder zu sich nehmen möchte, dann kann sie das tun.«
Der Schwager läuft feuerrot an im Gesicht, es sieht so aus, als wolle er uns die Tür vor der Nase zuschlagen. Doch der Gerichtshelfer fasst ihn besänftigend am Arm: »Du bist nicht länger Vormund der Kinder! Sieh das ein! Die Mutter hat das Sorgerecht, die Kinder gehören zu ihrer Mutter, d’accord!« – »Die Kinder haben keine Mutter mehr! Was ist, wenn sie nicht zu ihrer Mutter wollen? Wenn sie hierbleiben wollen?« – »Ruf sie, sie sollen sehen, dass die Mutter und der Großvater gekommen sind!«
Doch der Schwager braucht sie gar nicht zu rufen. Quer über den staubigen Hof, der mit Stechpflanzen bedeckt ist, sehe ich schon meine Schwägerin mit einer großen Reisetasche auf uns zukommen. Raja muss uns gehört und schnell die Sachen der Kinder gepackt haben. Hinter ihr, ganz schüchtern im Gänsemarsch, kommen sie: Amal in einem Sommerkleidchen, die lockigen Haare hängen ihr wild ins Gesicht, die Jungs in ausgebleichten Trainingsanzügen, aus denen sie längs herausgewachsen sind, alle drei barfuß. Ich kann es nicht fassen. Ich stehe ganz still, aber mir schießen die Tränen in die Augen. »Amin, Jasin, Amal!«, rufe ich.
Doch sie weichen zurück und packen Raja am Kleid. Verschreckt umfasst Amin seinen Bruder und seine Schwester mit seinen dürren Armen, als wolle er sie gegen die ganze Welt verteidigen. Wie Kaninchen schmiegen sie sich aneinander. Erkennen sie mich nicht mehr mit meinen kurzen Haaren? Ganz ruhig, tief einatmen, bis hinunter in den Bauch, und wieder ausatmen. Im Bruchteil von Sekunden ziehen die Bilder von Amals Geburt vor meinem inneren Auge vorbei. Ich bin wütend, gleichzeitig rinnen mir die Tränen übers Gesicht.
Wie oft habe ich mir diesen Moment ausgemalt, überlegt, was ich dann sagen würde, wenn ich die Kinder wiedersehe, was sie dann tun würden. Nun bin ich hilflos und starre sie an: Noch dünner sind sie geworden, ungewaschen, die Haare verfilzt. »Kommt her, meine Süßen!«, rufe ich, doch sie sehen mich nicht an. Sie werfen sich auch nicht in meine Arme, sie rufen nicht »Mami«, sondern sie drehen sich weg. Als sei ich eine Fremde. »Die Kinder haben sich hier eingelebt und sind wie unsere eigenen«, höre ich meinen Schwager triumphierend sagen. »Sie wollen nicht mit dir gehen, Schwägerin.« – »Aber ich bin ihre Mutter«, rufe ich verzweifelt und schluchze.
Mit diesen Worten stoße ich das Hoftor auf und laufe auf die Kinder zu, die sich immer noch scheu hinter der Tante verstecken. »Ich bin’s, Mama«, rufe ich noch einmal und gehe vor ihnen in die Knie. »Kennt ihr mich nicht mehr? Amal, Jasin, Amin, ich bin gekommen, um euch zu holen, wie ich euch versprochen habe. Ist schon eine Weile her, aber jetzt bin ich da. Wollt ihr nicht mit mir und dem Großvater kommen?« Ich greife nach Amals Arm, den sie sofort wegzieht, ich packe Jasin: »Ich hab euch nicht vergessen«, presse ich hervor. »Jeden Tag hab ich an euch gedacht. Leider durfte ich nicht früher kommen. Jeden Tag, über zwei Jahre lang.« Mit einem Ruck macht sich auch Jasin frei.
Die Kinder wollen nicht, sie haben Angst vor mir. Das macht mich fassungslos. Ich kann es nicht glauben: War denn alles umsonst? Mein Leben, die Anstrengung der letzten Jahre – umsonst? »Ihr kommt jetzt sofort mit«, schreie ich außer mir vor Enttäuschung. Da weichen die Kinder noch weiter zurück. Ich bin schockiert, damit hätte ich nie gerechnet, doch auf einmal sehe ich es glasklar vor mir: Wenn ich sie jetzt nicht ganz verlieren will, muss ich mich zurückhalten und darf sie nicht weiter bedrängen.
Es kostet mich all meine Kraft, aber müde stehe ich auf, strecke mich und gehe mechanisch wie eine Puppe zurück, zum Tor hinaus und zum Auto, das wir auf der Straße geparkt haben. Ich öffne die Tür, lasse mich auf den Rücksitz fallen und weine hemmungslos. Die Kinder brauchen Zeit. Von weitem dringen die Stimmen zu mir. Ich höre meinen Vater mit dem Schwager diskutieren. Ewigkeiten, scheint es mir. Bis er plötzlich laut und deutlich wird. »Schluss jetzt mit dem Theater«, sagt er. »Es reicht. Die Kinder kommen mit uns. Basta! Amal, Amin, Jasin, bitte kommt – ihr werdet es gut bei eurer Mutter haben. Sie hat nicht umsonst so lange für euch gekämpft.«
Ich richte mich nicht auf, aber ich ahne, dass sich die Kinder nun langsam in Bewegung setzen. Weil sie sich nicht trauen, dem Großvater zu widersprechen. Sie halten sich alle drei an den Händen fest, staksen zögernd auf das Auto zu, lauern, ob sie noch von einem anderen Befehl eingeholt werden. »Lass uns endlich gehen, weg von hier«, sagt mein Vater nur ein paar Sekunden später und sitzt schon am Steuer. Da spüre ich, wie die Kinder links und rechts zu mir nach hinten einsteigen. Ich lasse die Augen geschlossen, richte mich kerzengerade auf und lege meine Arme eng an meinen Körper, um sie nicht noch einmal zu erschrecken. »Schön, dass ihr kommt«, sage ich leise. Ohne mich anzusehen, drückten sie sich an mich. Amin links, Jasin rechts, Amal halb auf meinem Schoß, halb auf dem ihres Bruders.
Der Vater startet, im Auto ist es still. Wie früher, erinnere ich mich, wie ich mich früher mit den Kindern nach hinten ins Auto gequetscht habe. Aber jetzt sind sie nicht mehr weich und warm, ich spüre sie zittern. Durch unsere Kleider hindurch merke ich, wie sie sich fürchten und erschauern, obwohl es heiß ist. Wie ängstlich sie sind. Ich will sie in den Arm nehmen und darf es nicht. Noch nicht. Was mochten sie alles durchgemacht haben? Aus einer Plastiktüte hinten auf der Ablage ziehe ich zwei Jeans für Jasin und Amin heraus. »Könnt ihr die brauchen?«, frage ich bang. Da huscht ein unsicheres Lächeln über ihre Gesichter, Amal schaut weg. Für sie habe ich eine rote Cordjacke mit großen aufgesteppten Taschen und einer Kapuze eingepackt. Auch die hole ich nun heraus und lege sie ihr auf die Knie. Sofort vergräbt mein Mädchen seinen Lockenkopf darin.
Schweigend fuhren wir die Straße zurück zur Stadt am Meer. Direkt zum Hafen mit kreischenden Möwen und dröhnenden Schiffshörnern, um mit den Kindern zu picknicken. Als der Vater das Auto parkte, hörten wir lautes phantastisches Trommeln. Zwei gebeugte Männer in dunklen Kutten bogen um die Ecke. Mit langen Stöcken schlugen sie auf straff gespannte Trommeln, ein dritter spielte auf einer Flöte. Gleich sammelte sich ein Touristenschwarm aus kurzberockten Mädchen und braungebrannten Männern um die mittelalterliche Szene. Auch Jasin, Amin und Amal, die bisher kein Wort gesprochen hatten, wurden neugierig und hüpften aus dem Auto.
Mit offenen Mündern bestaunten sie die Szene und waren nicht mehr wegzubekommen. Ich ließ sie stehen und holte Pommes und Hähnchen von einem Imbiss. Und für jeden eine Flasche Cola. Als ich wiederkam, stürzten sie auf mich zu und rissen mir die Sachen aus der Hand. Sie waren hungrig und griffen gierig in die Tüten. Ich beobachtete sie: Wie lange es wohl dauern würde, bis sie sich an mich gewöhnten? Ich sah in ihre schmalen Gesichter mit den dunklen Ringen unter den Augen, sah ihre feinen Hände, auf denen sich die Haut schuppte, und sah ihre nackten Füße mit Schmutzrändern zwischen den Zehen, und ich fühlte, wie sehr sie mir gefehlt hatten. Wie hatte ich es nur so lange ohne sie aushalten können? »Na, schmeckt’s?«, fragte ich, und sie nickten mit vollen Mündern. Doch als ich zum Schluss meine mitgebrachten Süßigkeiten verteilen wollte, schüttelten sie ihre Köpfe und liefen trotzig zurück zum Auto.
Auch zu Hause bei meinen Eltern fremdelten sie. Sosehr ich mich auch um die drei bemühte, sie blieben abweisend. Wer weiß, was man ihnen in der Schwagerfamilie über mich erzählt hatte. Ich fragte nicht, sie erzählen nichts. Wenn ich ihnen etwas von Deutschland berichten wollte, sagte Amin wütend: »Von dir lasse ich mir nichts sagen.« Und wenn ich ihnen sagte, wie sehr ich sie vermisst habe: »Davon haben wir nichts bemerkt.« Sie dachten, ich hätte sie im Stich gelassen. Etwas anderes konnten sie nicht denken, wie auch, da sie so lange nichts von mir gehört hatten. Wie ihnen erklären, dass ich so lange stillgehalten hatte, weil ich Angst gehabt hatte, sie sonst ganz zu verlieren? Zwei Jahre ohne Kontakt ist eine lange Zeit. Dass sie mich nicht sofort akzeptieren würden, hatte ich erwartet, aber dass es so schwierig werden würde, nicht. Ich fühlte ihre maßlose Enttäuschung, konnte aber nichts dagegen tun.
Es muss schlimm gewesen sein. Was hatten die Kinder durchgemacht? Doch wenn ich sie fragte, wie es ihnen ergangen sei, liefen sie weg und ließen mich stehen. Sollen sie eine Zeit lang alle Freiheiten der Welt genießen und tun und lassen, was sie wollen, dachte ich. Lange genug waren sie eingesperrt gewesen. Ich ließ sie gewähren und sah ihnen zu, wie sie vor der hohen Mauer auf der sandigen Straße spielten. Sie nannten mich nicht mehr »Mama« wie früher, auch nicht »Ummi« auf Arabisch, sie fragten nicht, ob ich mit ihnen spiele, sie sprachen mich gar nicht mehr an. Es war, als kämen wir mit unseren Gefühlen dem Wiedersehen nicht hinterher.
Ohne nach dem Warum zu fragen, gingen die Kinder mit mir zur Schulanmeldung, und ohne zu murren, kamen sie mit zum Fotografen, um Passbilder anfertigen zu lassen. Wir kauften Koffer und Taschen, um ihre Sachen zu packen, doch sie blieben apathisch und gleichgültig. Fast schien es, als ginge sie das Ganze nichts an. Wir gingen auf den Markt, wo sie bei den Schuhmachern und Schneidern aussuchen konnten, was sie wollten. »Gefallen dir diese Schuhe«, fragte ich Amal und zeigte auf blaue Sandalen. »Willst du sie haben?« Doch sie zuckte nur mit den Achseln. Als ich Jasin einen Mantel kaufen wollte, riss er ihn mir, bevor ich ihn bezahlen konnte, aus der Hand und rannte weg.
Zwei Wochen später musste ich zurück nach Deutschland. Wieder ohne die Kinder, denn ohne gültige Pässe konnte ich sie nicht mitnehmen. Wir hatten die Papiere zwar gleich beantragt, aber wie lange das dauern würde, konnte uns keiner sagen. Zum ersten Mal war ich fast erleichtert über diese Frist. Obwohl ich mir nichts sehnlicher gewünscht hatte, als mit ihnen zusammen zu sein, war ihre Ablehnung die Hölle für mich. Kinder zu verlieren ist unsäglich und schmerzhaft, sie wiederzufinden auch.
Warmer Regen fiel, als ich vor dem Gartentor stand und mich von der Familie verabschiedete. In Rinnsalen bahnte sich das Wasser seine Wege durch den Sand, irgendwo dröhnte eine Polizeisirene. Mein Vater hatte Feigen aus dem Garten geholt, mir ein paar als Proviant eingepackt und jedem Kind eine Frucht in die Hand gedrückt. Ich beobachtete sie, wie sie aßen, hastig, als würde man sie ihnen gleich wieder wegnehmen.
»Warum gehst du wieder nach Deutschland?«, fragte Jasin. »Weil ich arbeiten und Geld verdienen muss, damit ihr zu mir kommen könnt.« – »Das hast du schon einmal gesagt.« – »Ich wusste nicht, dass es so lange dauern würde.« – »Wie sieht Deutschland aus?«, wollte Amal plötzlich wissen. Sie hatte es vergessen und verdrängt und erinnerte sich an gar nichts mehr. Aber ich freute mich über die Frage wie über ein aufglimmendes Feuer, das erloschen war. »In Deutschland gibt es weiße Schleier vor den Fenstern«, antwortete Amin an meiner Stelle. Ich schluckte. »Und manchmal liegt weißer Schnee auf der Straße, dann wird alles ganz still«, sagte ich. »Was ist Schnee?«, fragte Amal.
»Die Pässe sind da. Schick Geld für die Flugtickets«, rief mich mein Vater kurz vor Weihnachten an. Noch am selben Tag kündigte ich meine Arbeitsstelle im Altenheim. Es war ein tränenreicher Abschied. Ich trommelte die mir lieb gewordenen alten Menschen im Speisesaal zusammen, manche schob ich im Rollstuhl dazu, nur um ihnen zu sagen, wie leid es mir tat, dass ich gehen musste. Keine andere Macht der Welt hätte mich dazu bringen können, den Beruf und meine neue Selbständigkeit aufzugeben, außer meine Kinder. Es würde schwer für sie werden, nach allem, was sie durchgemacht hatten. Da musste ich zuerst einmal für sie da sein. Zeit haben. Wir hatten vieles nachzuholen. Ich musste sie in der Schule anmelden, Einstufungstests mit ihnen machen, ärztliche Untersuchungen machen lassen und Deutsch lernen. »Das schaffst du schon«, trösteten mich die Alten zum Schluss. Wenn sie gewusst hätten, wie schwer es mir fiel!
Seit ich Mitte September zurück nach Hamburg gekommen war, hatte ich täglich mit meinen Kindern telefoniert. Jeden Abend wählte ich die Telefonnummer in Tunesien. Immer mit einem leichten Herzklopfen, da ich Angst hatte, dass sie sich wieder zurückziehen würden und nicht mit mir sprechen wollten. Aber ganz im Gegenteil. Der Abstand tat uns gut. Erst die vielen Telefongespräche ermöglichten uns eine Annäherung. Täglich ein Stückchen mehr, von Tag zu Tag wurden unsere Gespräche vertrauter. Die Kinder wechselten sich ab, an einem Tag durfte Amin erzählen, was er erlebt hatte, am nächsten Tag Jasin und am übernächsten Amal. Immer der Reihe nach und manchmal auch alle zusammen.
Plötzlich genossen wir diese Gespräche, und ich merkte, wie sich die Kinder allmählich auf Hamburg freuten. Jeden Tag fragten sie: »Wie sieht mein Bett aus?«, »Darf ich wieder Fußball spielen?«, »Bekomme ich dann eine Barbiepuppe?« Und wenn ich ins Bett fiel, tönten mir ihre neugierigen Fragen immer noch in den Ohren und breiteten sich wie ein Gutenachtlied in mir aus. Ich kaufte alles, was immer sie sich wünschten, lud ganze Einkaufswagen mit Schokoriegeln und Gummibärchen voll und verteilte sie in meiner kleinen Wohnung. Obwohl ich genau wusste, dass es falsch ist, sie so zu verwöhnen, konnte ich nicht anders. Ich wollte selbst Kind spielen, versteckte in jeder Ecke Kleinigkeiten. Und ich wollte ihre Augen sehen und ihr Staunen begreifen, wenn sie die Dinge fanden und auspackten und sich freuten.
Am Tag, an dem sie kommen sollten, ging ich zu Fuß zum Flughafen. Es war nicht weit, 20 Minuten vielleicht. Ein grauer Dezembernachmittag, an dem die Luft im Gesicht prickelt und der Schneematsch schlammig von den Gehwegen auf die Straße tropft. Wie ein Kind auf der Schlittschuhbahn schlitterte ich mit meinen Stiefeln, schaute hoch zu den Bäumen und Straßenlaternen, wo die tausend Lämpchen der Weihnachtsbeleuchtung glitzerten. Dann rannte ich und suchte meinen Weg zwischen den Menschen, die warm verpackt mit prall gefüllten Plastiktaschen nach Hause strebten. Mir war warm, obwohl ich ohne Schal und Handschuhe aus dem Haus gegangen war.
Es ist schon fast dunkel, und auf dem Flughafen blinken die roten Lichter der Start- und Landebahnen. Dazwischen hängt der Nebeldunst in Schlieren. Ich sehe Flugzeuge starten und landen. Und ich spüre in meinem Innern plötzlich den Ruck, mit dem das Flugzeug mit meinen Kindern an Bord auf dem Boden aufsetzt. Es bremst hart und steht so plötzlich still, dass die Passagiere einen Moment lang brauchen, um zu begreifen, dass sie in Hamburg gelandet sind.
Ich weiß, dass Amal, Jasin und Amin jetzt unsicher wie alle anderen von ihren Sitzen aufstehen. Wackelig auf den Beinen, sehen sie um sich und dann durch die kleinen Fenster, sehen, wie Gepäckwagen über das Rollfeld jagen und Männer mit grünleuchtenden Westen rennen und Signale in der Luft schwingen. Eine Stewardess hat sich den Weg zu ihnen gebahnt, beugt sich über sie und fragt, ob sie ihre Rucksäcke aus den Gepäckfächern holen soll. Sie nicken und schauen mit glänzenden Augen um sich. Wie sie umzingelt, eingekeilt und klein zwischen den vielen großen Menschen stehen.
Bin ich eine gute Mutter?, frage ich mich, während ich vor der Glastür, durch die die Kinder kommen sollen, warte. Was werden sie sagen? Bin ich eine liebe, eine liebende Mutter? Ich zapple, sehe, wie mir das Glas mein verzerrtes Spiegelbild zurückwirft. Übermütig verschränke ich die Arme vor meiner Brust, stehe still und lächle: Werde ich eine gute Mutter sein? Ich werde den Kindern alles erlauben, sie dürfen alles tun, worauf sie Lust haben. Barfuß oder in Schuhen aus dem Haus laufen, mit den Fingern oder mit Gabel und Messer essen. Müssen keine Hausaufgaben machen, sondern dürfen mit Freunden spielen. Wenig werde ich verbieten, wenig von ihnen fordern. Frei sollen sie sein. Etwas lernen und selbständig werden. Und wenn sie hundertmal auf dem Esel vor dem Supermarkt reiten wollen, würde ich ihn zweihundertmal mit Zehnpfennigstücken füttern. Und abends würden wir uns auf einer Matratze zusammenkuscheln und erzählen.
Ich habe meine Kinder nach Deutschland geholt, weil ich sie liebe. Ein Gefühl, das ich vorher nicht kannte und nicht benennen konnte. Aber kann ich gutmachen, was fehlt? Vieles ist geschehen, weil ich geschwiegen habe. Wie wäre es gewesen, wenn ich mehr gefragt und mich gewehrt hätte? Wären wir eine glückliche Familie geworden? In Deutschland habe ich gelernt, wer ich bin und was ich will. Aber werden wir je die verpassten Worte, die Zärtlichkeit und die Zuneigung der verlorenen Jahre nachholen können?
»Maaaa-ma«, strömt mir da ein heller Schrei mitten hinein ins Herz. Meine Kinder! Es läuft mir heiß und kalt über den Rücken. Und ich sehe sie alle drei, wie sie hintereinander durch die gläserne Drehtür drängeln. Neugierig und mit großen leuchtenden Augen. Jeder will der Erste sein. Jasin, Amin und zum Schluss Amal. Ich habe die Arme noch nicht richtig ausgebreitet, da hat sie ihre beiden Brüder schon überholt und stürmt lachend auf mich zu. Amal trägt die rote Jacke, die ich ihr aus Deutschland mitgebracht habe.