13
Abszesse. Das waren die großen Knoten an den Schnau zen meiner Drachen. Große, harte Abszesse der Lüsternheit. Wenn man sie aufstach und ausdrückte, quoll eine geronnene Flüssigkeit heraus, wie gekochtes, grob zerkleinertes Eiweiß.
Meine Escoas waren bei Tagesanbruch mit mehreren Pfeilen aus Blasrohren betäubt worden, die man ihnen in die weichen Kinnlappen geschossen hatte. Jeder der Pfeile, so klein wie der Stachel eines jungen Stachelschweins, war in Peshawar getunkt worden oder, wie die Seeleute der Xxelteken es nannten, H’xar, konzentriertes Öl von Nachtfaltern. Jedenfalls nahm ich an, dass die Pfeile mit so etwas getränkt worden waren, denn wir hatten diese Substanz in den Stallungen von Brut Re immer angewendet, um ausgebrochene und widerspenstige Reittiere zu beruhigen.
Die Frauen, die sich um die Escoas kümmerten, entfernten gelassen und sicher das abgestorbene Gewebe an den Schnauzen der Drachen, wobei sie geschickt Holzsplitter sowie Knochenreste und Panzerstücke aus den Wunden herauspickten. Ich beobachtete ihre Arbeit sehr genau, für den Fall, dass ich diese Prozedur irgendwann wiederholen musste.
Als ich mich neugierig über ihre Köpfe beugte, wurde mir auch klar, warum das Haar der Frauen diese hellgrüne Farbe des Mooses hatte. Sie flochten so viel von diesem Zeug in ihre Haare, dass Moos und Haar eins zu sein schienen. Ich kam mir dumm vor, weil ich das nicht schon früher bemerkt hatte.
In meiner Kindheit hatte ich oft gehört, wie Großmütter und Tanten faulen Kindern im Danku Re erzählten, dass sie zu Moos würden, wenn sie, wie das träge Baumfaultier, nicht arbeiteten. Wie bei allen Drohungen, die etwas taugten, steckte auch in ihren Worten ein Körnchen Wahrheit. Das Fell von Faultieren wird ab einem gewissen Alter grün, weil sich das Kriechmoos darin verschlungen hat, während sie in einer ihrer langen Phasen völliger Regungslosigkeit verweilten. Ich hatte gehört, dass Faultiere diesen Prozess sogar beschleunigten, indem sie ihren Jungen Moos in das Fell woben. Vielleicht, um sie zu tarnen. Als ich jetzt erkannte, warum das Haar der Frauen grün war, konnte ich kaum glauben, dass ich es bis jetzt nicht als Moos wahrgenommen hatte.
Als die Escoas aus ihrer Betäubung erwachten, spülten die Frauen die fingerdicken Löcher aus, die sie hinterlassen hatten. Die Lösung hatte die Farbe von Langbeins Augen. Sie füllten ihre Münder mit der Flüssigkeit, bis sich ihre Wangen blähten, und spien sie dann zwischen den Zähnen hindurch auf die Wunden. Durch brüske Gesten mit Händen und Fingern machten sie mir klar, dass ich diese klaffenden Wunden viermal am Tag mit der Lösung reinigen sollte. Sie füllten vier Trinkkürbisse mit der Medizin und banden sie an die Sättel der Drachenkühe.
Am späten Vormittag war die Wirkung des Betäubungsmittels vollkommen abgeklungen, und meine Escoas waren wieder munter. Die Matriarchin befahl drei der Jäger, die mich aufgelesen hatten, mich wegzubringen.
Ich wiederholte immer wieder das Wort Myazedo, erntete jedoch nur verächtliche Blicke. Was ich wollte, war unwichtig.
Ich erinnerte mich an das, was Fwipi damals im Arbiyesku gesagt hatte. Es entspricht nicht der Art der Djimbi zu kämpfen, sich mit Gewalt etwas zu nehmen. Nichts war weiter von der Wahrheit entfernt, wenn ich meine Häscher hätte beschreiben sollen. Sie waren jeden Zoll Krieger, Räuber, Kämpfer. Wären mehr Djimbi-Stämme gewesen wie sie, hätte Imperator Wai Soomi Kun vor vierhundert Jahren niemals dieses Land unterwerfen können, das jetzt als Malacar bekannt war.
Langbein stand neben der Matriarchin und sah mir nach. Sie hatte ihr Kinn stolz erhoben und ihre Augen funkelten wild. Ihre Hände waren von eiternden Geschwüren überzogen, wo das Gift ihre Haut berührt hatte, als sie es mir in Nachahmung des bestialischen Ritus in den Schoß geschoben hatte. Offenbar war sie zuvor nicht mit Drachengift in Kontakt gekommen. Ich hatte von diesen Geschwüren gewusst, weil Langbein mich vor Tagesanbruch geweckt und mir diese widerlichen Ekzeme gezeigt hatte. Dabei hatte sie gequält gegrinst und die Nasenflügel gebläht, während ihre Pupillen von den Schmerzen, die sie zweifellos litt, ganz klein waren. Ich hatte ebenfalls einige Eiterblasen, linsengroß und von geröteter Haut umgeben, aber natürlich vertrug ich das Gift viel besser als Langbein.
Sie hatte einen Kürbis mit einer Masse, die wie pürierte schwarze Pilze aussah, auf meinen Schoß fallen lassen, dazu eine Scheibe rohes Fleisch. Ich hatte den erdig schmeckenden Brei und das rohe Fleisch allein gegessen, wie ich auch die Nacht zuvor allein in der Hütte der Matriarchin geschlafen hatte. Obwohl der heilige Flug meiner Seele, eingehüllt in die Umarmung des Giftes, natürlich ebenso weit von Schlaf entfernt gewesen war wie Langbein von Wohlwollen. Etwas in dem Pilzbrei schien ähnlich zu wirken wie die Reinigungsmagie, mit der Gen mein Verlangen nach dem Gift hatte ersticken wollen, denn die kalten Schauer, die mich nach dem Aufwachen geschüttelt hatten, hatten danach unvermittelt aufgehört.
Geführt von meiner Djimbieskorte reiste ich einen Tag und eine Nacht lang dorthin zurück, wo meine Häscher mich gefunden hatten.
Jedenfalls nahm ich das an. Der Dschungel wirkte überall gleich, und es kam mir vielleicht nur so vor, als würden wir denselben Weg zurückgehen.
Aber nein. Am Vormittag des zweiten Tages traten wir aus dem Dschungel auf eine windgepeitschte Klippe. Eine Djimbi deutete auf meine Escoas, dann auf die Schlucht und den Fluss unter uns.
»Myazedo«, sagte Jadeauge.
Heho! Wir hatten doch ein Wort gemein.
»Myazedo«, wiederholte sie brüsk und deutete auf die Schlucht. Ich verstand. Ich sollte hinunterfliegen und mein Myazedo-Lager suchen.
Ich wollte mich bedanken, aber Jadeauges arrogante, stolze Miene erstickte meine Worte im Keim. Sie hatte mich nicht hierhergebracht, weil ich es wollte oder darum gebeten hatte, sondern weil es ihr so gefiel. Meine Dankbarkeit hätte mir nur Verachtung eingebracht.
Ich fragte mich, warum die Matriarchin und ihr Stamm ihren Ritus an mir vollzogen hatten und warum sie Zeit und Energie aufgewandt hatten, um mich zu dem Myazedo-Lager zu bringen. Langbein hatte, als ich sie verließ, immer noch meine Locke in ihrem Haar getragen, so wie ich die ihre. Als ich sie ihr während des Ritus abgeschnitten und in mein Haar geflochten hatte, hatte ich mich gefühlt, als hätten wir ein Geschäft abgeschlossen.
Dennoch schlummerte in mir noch die Empfindung einer uneingelösten Schuld.
Eine Bö fuhr durch Jadeauges grüne Mähne, während sie auf mich herabsah. Die scharfen Züge ihres dunkelgrün und teakbraun getönten Gesichts wirkten stolz und wie die eines Raubtiers. Die Vorstellung, ihr und ihrem Stamm etwas schuldig zu sein, gefiel mir nicht.
Ich kehrte ihr den Rücken zu, zog die Sattelgurte der Escoas straffer und band Schweinsnase mit einem grob geflochtenen Seil, das mir der Stamm geschenkt hatte, an Krötenjägerin. Schweinsnase war fügsamer, und ich erwartete, dass sie mir folgen würde, ohne Ärger zu machen. Trotzdem band ich sie sicherheitshalber fest.
Beide Escoas hatten verunstaltete Schnauzen und atmeten geräuschvoll durch ihre verletzten Nüstern, obwohl die Wunden bereits sichtbar heilten. Ein Windstoß schüttelte Regentropfen von den Blättern der Bäume hinter uns, und die Escoas schwangen ihre Hälse über den Rand der Klippe, erst hierhin, dann dorthin, als wollten sie die Schlucht unter sich prüfen. Ihre gegabelten Zungen zitterten zwischen ihren Zahnreihen, als sie die Luft schmeckten. Sie waren aufmerksam und einigermaßen gesättigt, nachdem sie zahlreiche große Tausendfüßler, Landschnecken und nachtblühende Orchideen gefressen hatten. Sie waren flugbereit.
Als ich Krötenjägerin bestiegen hatte, war meine Djimbieskorte im Dschungel verschwunden.
Ich musste Krötenjägerin nicht sonderlich antreiben, damit sie in die Schlucht flog, denn weder sie noch Schweinsnase hatten seit unserer Gefangenschaft gesoffen. Wie ich gehofft hatte, folgte Schweinsnase Krötenjägerin sofort. Sie sprang im selben Moment von der Klippe wie mein Tier. Wir flogen nebeneinander her.
Der Drachenflug ängstigte mich nicht mehr. Vielleicht war ich sogar ein wenig begeistert von dem Gefühl der Muskeln unter mir, dem Knattern der ledrigen Haut, als die Escoas ihre Schwingen im Gleitflug ausbreiteten, der kühlen Luft und dem Anblick des Dschungels, der unter mir wie ein Ozean aus geschecktem Grün wogte.
Wir waren über einem Fluss. Im nächsten Moment schwenkten wir ab und sanken ein Stück, als wir über den langen Wasserfall flogen, der sich in die Schlucht ergoss. Je tiefer Krötenjägerin hinabstieg, desto kühler wurde die Luft.
Ich sah keinen Rauch aus dem Dschungel am Rande der Schlucht aufsteigen. Aber die Myazedo waren zweifellos klug genug, nur in der Abenddämmerung und vor dem Morgengrauen zu kochen, wenn sich der Rauch mit dem Nebel mischte und nicht von Wolken zu unterscheiden war.
Vor uns lag ein schmaler, steiniger Uferstreifen, der das Becken säumte, in das der Wasserfall donnerte. Krötenjägerin schlug heftig mit den Schwingen und streckte die Beine zur Landung aus, während ich im Sattel stand, die Knie gebeugt, um den Aufprall abzufangen, die Hände fest um die Haltegriffe am Sattel, die Arme locker angewinkelt. Schweinsnase legte neben uns eine perfekte Landung hin, während ihre Krallen über die Steine kratzten. Ich war außerordentlich stolz auf diese gelungene Landung.
Wir drei tranken uns an dem kühlen grünen Wasser satt.
Dieser Fluss war ganz anders als der, an dem Krötenjägerin nach dem Sturm gelandet war. Nachdem er in das tiefe Becken geprasselt war, ergoss er sich über eine felsige Stromschnelle. Gischt spritzte hoch, wenn das Wasser über Felsen und umgestürzte Bäume schoss. Die Felswände der Schlucht waren mit Moos und Farnen begrünt, und überall tropfte Wasser, nicht nur von den Wolkenbrüchen, die sich stets bei Morgengrauen aus dem wolkenverhangenen Himmel ergossen, sondern auch von der Gischt des Wasserfalls. Auf der anderen Flussseite waren die Felswände blank und kahl. Hinter mir säumte Wald eine Meile lang den Fluss, bis zu der Stelle, an der sich die Wände der Schlucht terrassenförmig erhoben.
Ich fixierte die Flügel der Escoas mit Seilen und Schwingenbolzen. Während sie geräuschvoll weiter soffen, kletterte ich über Felsbrocken und umgestürzte Bäume und schlenderte am Waldrand entlang. Bis ich schließlich fand, wonach ich suchte: Einen Pfad, über den viele Füße getrampelt waren, und das viele Jahre lang. Ich kehrte zu den Esocas zurück, wartete, bis sie sich satt gesoffen hatten, und führte sie dann über den Pfad in den Wald.
Das Lager befand sich nur einen Steinwurf weit vom Fluss entfernt. Es ähnelte sehr dem von Langbeins Stamm. Die Bambushütten wiesen auf Nomaden hin, waren einfach und schnell abzubauen. Menschen waren nicht zu sehen.
»Tansan!«, rief ich. »Savga!«
»Hier bin ich. Bind mich los!« Die Stimme klang heiser vor Wut. Ich erkannte sie trotzdem sofort.
Unbehaglich sah ich mich in dem verlassenen Lager um, band die Escoas an einen Baum und folgte den Schreien zu einer schiefen Bambushütte. Mit dem Fuß stieß ich die Tür vorsichtig an. Sie war verriegelt und gab nicht nach. Ich hob den hölzernen Riegel an. Die Tür schwang in ihren ledernen Angeln knarrend auf. Eine Flut von Flüchen schlug mir aus dem dämmrigen Inneren entgegen.
Langsam gewöhnten sich meine Augen an die Schatten. Der Drachenmeister saß an der gegenüberliegenden Wand. Seine Hände waren hinter seinem Rücken gefesselt, die Knöchel gebunden. Ein Seil führte von ihnen zur Decke, so dass seine Beine leicht angehoben waren. Sein Hals war an der Wand mit einer Drahtschlinge befestigt. Ein Messer baumelte an dem Seil von der Decke herunter, mit dem auch die Füße des Drachenmeisters gebunden waren.
Mir lief es kalt über den Rücken. »Was ist hier passiert?«
»Steh nicht einfach da rum, Dotterhirn! Schneid mich los! Los, befrei mich!«
»Wer hat Euch so gefesselt?«
»Bist du taub?« Seine Augen traten fast aus den Höhlen, und der Draht hatte die Haut an seinem Hals aufgescheuert. Die Wunde sah aus wie ein schwarzer Kragen. »Schneid mich los, du drachenfickende Hure!«
»Ein Süßholzraspler, wie immer«, gab ich gereizt zurück. Ich trat in die Hütte, die kaum größer war als die Kammer, in der Savga und ich in der Noua-Sor-Siedlung gehaust hatten, und machte mich an dem Knoten um das Messer zu schaffen. »Wer hat Euch das angetan?«
»Diese Bruthexe aus dem Arbiyesku, die Mutter dieser Göre, an der dir so viel … Ahh!«
Er schrie auf, als ich die Schnur um seine Knöchel durchschnitt und seine Füße auf den Boden prallten. Dann rutschte er auf dem Hintern herum. Sein Steißbein musste von dieser unbequemen Haltung mit erhobenen Beinen ziemlich aufgescheuert sein. Er keuchte bei dem Versuch, den Schmerz zu überwinden, als das Blut in seine Füße zurückfloss.
Ich kniete mich vor ihn.
Er sah mich finster an. »Das hast du absichtlich gemacht!«
»Ich habe es satt, wie du mit mir redest«, erwiderte ich respektlos. »Es wird Zeit für dich, dein Verhalten zu ändern!«
»Rishi-Hure!«, stieß er rau hervor. Er atmete schwer. »Der Tag wird kommen, an dem du das bereust. Bei den Schwingen des Einen Drachen, das schwöre ich. Du und diese Bruthexe …«
Ich ohrfeigte ihn. Er würgte, als der Draht um seinen Hals ihm die Kehle zuschnürte. »Was ist mit Savga passiert, dass Tansan dir das angetan hat?«
»Dem Balg geht es gut!«, keuchte er. »Sie ist bei ihrer Mutter.«
»Du hast Savga hergebracht?«
»Wer sonst?« Er hustete, heiser und trocken. »Wasser.« Ich spielte mit dem Gedanken, ihn erst zu zwingen, meine Fragen zu beantworten, stand dann jedoch auf. Er würde bereitwilliger reden, wenn seine Kehle feucht war. Ich ging hinaus zu den Escoas, band einen Kürbis mit dem Heilmittel los, goss mir den Inhalt nach und nach in den Mund, sprühte die Lösung ein ums andere Mal über die Schnauzen der Drachen und ging schließlich mit der leeren Kürbisflasche zum Fluss.
Als ich zu der Bambushütte zurückkehrte, krümmte der Drachenmeister vorsichtig seine Beine.
Ich hielt ihm den Kürbis an den Mund.
»Was ist da drin?«, knurrte er.
»Wasser. Und vorher Medizin. Trink.« Ich hob den Kürbis an seinen Mund. Der Komikon zögerte einen Moment, während er mich wütend anfunkelte, und trank dann.
Bei jedem Schluck schnitt der Draht in seine hüpfende Gurgel. Seine Augen flackerten vor Schmerz. Ich fühlte mich irgendwie zerknirscht, weil ich ihn zwang, mit der Garrotte um den Hals zu trinken, aber ich würde ihn nicht davon befreien, bevor er meine Fragen nicht beantwortet hatte.
Wenn überhaupt.
Als er die Kürbisflasche geleert hatte, ließ ich ihm einen Moment Zeit, um sich zu erholen. Er redete, ohne dass ich ihn auffordern musste.
»Dein wimmerndes Junges hat steif und fest behauptet, du würdest kommen. Die Bruthexe, die sie geworfen hat, meinte, die Kleine könnte manchmal durch die Augen des Beschwingten Einen sehen. Also zwangen sie mich, hier auf dich zu warten.«
»Tansan. Ihr Name ist Tansan. Und das Mädchen heißt Savga.«
Er schnaubte nur. Ihre Namen würde er niemals benutzen. »Savga hat also gesagt, ich würde hierherkommen?«, wiederholte ich.
»Ihre Tittenamme behauptet, das Mädchen habe die Drachensicht, aber das ist eine Lüge. Das Miststück wollte nur ihre eigenen dunklen Kräfte und ihre Boshaftigkeit vor mir verbergen. Sie hat mich hiergelassen, damit ich verrecke, so einfach ist das. Sie ist eine hinterhältige, tückische Verräterin, und sie ist auch nicht das, was sie zu sein scheint. Etwas an ihr stinkt förmlich nach Unnatürlichem …«
»Sie ist eine starke Frau, deshalb hasst du sie. Du bevorzugst Frauen, die unterwürfig und fügsam sind.«
»Sperr deine Augen auf, Mädchen! Hinter dieser Frau steckt mehr, als man mit bloßem Auge sieht! Ich habe erlebt, wie die Myazedo ihr gehorchten. Sie benutzt schwarze Magie, dessen bin ich mir sicher.«
Ich erinnerte mich an die Vision, die ich während des Myazedo-Treffens damals beim Clan der Gerber erlebt hatte. Das verschwommene, vom Licht des Lagerfeuers erhellte Bildnis von Tansan in Gestalt eines Drachen.
»Und wenn sie manchmal DjimbiMagie benutzt, was macht das schon?«, fuhr ich ihn unbehaglich an. »Sind du und Drachenjünger Gen die Einzigen, die sie kennen und einsetzen dürfen?«
»Ihre Gabe ist verborgen, ihre Absichten unbekannt. Man kann ihr nicht trauen.«
»Sei nicht albern. Sie tut das, wovon du geträumt hast: Sie befreit ihr Volk. Du wendest dich nur aus erbärmlicher Eifersucht gegen sie. Also, wohin sind sie gegangen?«
Er ließ sich Zeit mit der Antwort. Seine Kiefer mahlten. »Xxamer Zu.«
»Wann?«
»Vor zwei Tagen. Wärst du nicht direkt in den Sturm geflogen, wären wir jetzt bei ihnen.«
»Du bist direkt in den Sturm geflogen, nicht ich!«, konterte ich. »Ich bin dir gefolgt!«
»Du redest Scheiße, Mädchen! Bevor der Sturm richtig losbrach, bin ich gelandet. Du bist einfach über uns hinweggeflogen, ganz gleich, wie sehr dein jammerndes Gör nach dir geschrien hat! Du hast sogar direkt auf uns hinabgeblickt. Wir alle haben dich gesehen!«
»Ich habe …?« Seine Gefangenschaft musste ihm den Verstand geraubt haben. »Du bist … wo gelandet?«
»Auf einer Böschung, neben dem Eierpfad von Xxamer Zu nach Fwendar ki Bol.«
Ich hatte keine solche Böschung gesehen, bevor der Sturm über uns gekommen war, hatte weder den Drachenmeister noch Ryn auf einer landen sehen. Ich erinnerte mich weder daran, zu ihnen hinabgeblickt, noch Savgas Schreie gehört zu haben, als sie mir zurief, ich sollte landen.
Andererseits … konnte ich mich nur an unseren Abflug vom Arbiyesku erinnern, daran, wie hypnotisch die Blitze ausgesehen hatten, die in der Ferne zuckten, wie es über unseren Köpfen donnerte und der Wind mich umtoste, als ich in das Auge des Sturms flog. Danach wusste ich nur noch von Furcht und dem übermächtigen Verlangen, zu überleben.
»Wir haben auf dich gewartet, bis der Sturm über uns hereingebrochen ist«, fuhr der Drachenmeister heiser fort. »Dann haben wir im Dschungel Unterschlupf gesucht. Aber auch dorthin bist du uns nicht gefolgt. Also sind wir weitergezogen, zu Fuß über den Eierpfad, bis der Junge uns in den Dschungel und hierhergeführt hat.«
Das Gefühl der Befremdung über meinen Flug in den Sturm wurde von den Worten des Drachenmeisters verdrängt.
»Der Junge? Ryn hat euch zu den Myazedo geführt?«
»Nicht dieser Junge, der andere! Piah, Piah! Benutz gefälligst dein tittenweiches Hirn!«
»Piah ist schwerlich noch ein Junge!«, fuhr ich ihn an. »Lebt Ryn noch?«
»Ja, wenn man sein feiges Dasein Leben nennen kann. Allerdings muss ich zugeben, dass dieser Floh bereitwillig alles ausspuckt, was er über die Tempelanlage und die Quartiere der Drachenjünger weiß.«
»Ryn ist doch nicht gefoltert worden, oder?«
Der Komikon schnaubte verächtlich. »Der Junge hat so viel Angst, dass er Fragen beantwortet, noch ehe sie ihm gestellt werden.«
»Ich habe ihm versprochen, dass man ihm nichts tun würde.«
Der Drachenmeister tat mein Versprechen mit einem Achselzucken als bedeutungslos ab. Am liebsten hätte ich ihm noch eine Ohrfeige verabreicht. Stattdessen tastete ich hinter seinem Hals nach der Stelle, wo der Draht fest um einen Bambusstock gewickelt war. »Die Myazedo haben die Drachen mitgenommen, ja? Und sie wollen Xxamer Zu in der Nacht angreifen?«
»Heute Nacht«, grollte er und fluchte, weil sich durch mein ungeschicktes Fummeln der Draht in die wunde, empfindliche Haut seines Halses grub. Was für ein Pech aber auch.
»Wir können sie noch einholen.« Ich dachte laut nach. »Wir fliegen tief, damit Ghepp uns nicht sieht. Er wird zweifellos Späher aufgestellt haben, die auf hereinkommende Boten achten und auf eine Escoa mit einer Nachricht warten, damit er den Spieß umkehren und den Tempel über den Raub seiner Escoas unterrichten kann.«
Langsam zog ich den Draht von der Kehle des Drachenmeisters. Er rührte sich nicht, als ich das tat. Vermutlich bereitete es ihm höllische Schmerzen. Als der blutige Draht schließlich gelöst war, hielt ich ihn fest, damit er sich vorbeugen und ich ihm die Handfesseln abnehmen konnte.
»Was ist mit dieser Überlandstrecke nach Fwendar ki Bol?«, fragte ich ihn, als ich an dem Strick auf seinem Rücken sägte. »Hat jemand etwas deshalb unternommen?«
»Die Hexe hat Läufer ausgeschickt«, krächzte er. »Bewaffnete.«
Gut. Also würden keine Boten Ghepps über den Landweg durchkommen. Ich konnte nur hoffen, dass zwischen meinem Diebstahl der Escoas und dem bevorstehenden Angriff der Myazedo keine Drachenflieger von außerhalb nach Xxamer Zu gekommen waren.
»Und die Escoas? Was ist mit ihren Wunden?«, erkundigte ich mich.
»Darum habe ich mich gekümmert. Sie werden überleben. Nur eine ist lahm.«
Die Fesseln des Drachenmeisters fielen herab; behutsam nahm er die Hände nach vorn und legte sie auf seinen Schoß. Eine Weile betrachtete er sie stumm. Als er schließlich sprach, hatte seine Stimme einen Tonfall, den ich noch nie an ihm gehört hatte; sie schabte leise und heiser an meinen Nerven wie eine gezackte Klinge an einem Kreidefelsen.
»Dafür wird sie bezahlen, heho! Oh ja.«
Er meinte Tansan. Es überlief mich kalt.
»Du wirst Tansan kein Härchen krümmen, hast du gehört? Vermutlich hatte sie keine andere Wahl, als dich zu fesseln.«
»Niemand fesselt mich, ohne dafür zu büßen.« In seinen blutunterlaufenen Augen funkelten boshafte Sterne.
Ich stand auf und richtete die Spitze des Messers, das Tansan zurückgelassen hatte, auf ihn. Die Klinge zitterte ein bisschen. »Wenn du Tansan etwas antust, dann werde ich die Sache beenden, die die Garrotte an deinem Hals begonnen hat, verstehst du das? Ich gehe jetzt zu den Drachen. Wenn du so weit bist, kannst du nachkommen.«
Draußen machte ich mich an den Sätteln zu schaffen, während ich auf den Drachenmeister wartete. Zweimal musste ich mir den Schweiß von den Handflächen wischen. Dabei wechselte ich das Messer von einer Hand in die andere. Ich legte die Klinge nicht zur Seite, oh nein.
Ich sollte ihn umbringen, sobald er mich nach Xxamer Zu gebracht hatte.
Aber ich schreckte vor dieser Vorstellung zurück. Einem Angehörigen meines Volkes die Kehle durchzuschneiden, selbst wenn es jemand wie der Komikon war, wäre das Werk eines Verräters, ein abscheulicher, unmoralischer Akt. So etwas würde der Tempel tun, aber nicht ich.
Der Drachenmeister tauchte in der Tür der Hütte auf.
Er blieb einen Moment stehen, bis sich seine Augen auf die Helligkeit eingestellt hatten. Er wirkte kleiner, und seine Beine schienen krummer geworden zu sein, seit ich ihn das letzte Mal bei Tageslicht gesehen hatte. Die Haut an seinen Schenkeln und seinem Oberkörper hing in schlaffen Falten herunter. Seine Brust war eingefallen. Die Glasperle am Ende seines Knebelbartes war verschwunden, und der geflochtene Bart selbst löste sich allmählich auf.
Ich würde Tansan über den Racheschwur des Drachenmeisters unterrichten. Das würde genügen.
»Ezähl mir etwas über die Myazedo«, bat ich ihn, als er mit steifen Beinen zu mir kam. Er ging, als würde er über Rasiermesser wandeln. Offenbar schmerzte es, als sein Blutkreislauf seine Arbeit wieder aufnahm. »Ihre Zahl, ihr Alter, wie gut sie bewaffnet und wie diszipliniert sie sind.«
»Es sind Krieger«, sagte er. »Einige leben seit Jahren in diesen Hügeln, trainieren, kämpfen, planen und warten. Zwei von ihnen könnten in einer Nacht jeden Komikonpu in meinen Stallungen töten.«
Brut Re ist nicht mehr dein Stall, dachte ich, aber was er hatte sagen wollen, war unmissverständlich: Die Myazedo hatten mehr Muskeln und Verstand als selbst die erfahrensten Schüler des Drachenmeisters. Und das war allerdings sehr beeindruckend.
»Sie kennen das Gebiet von Xxamer Zu so gut wie ihre eigenen Handrücken«, fuhr er fort. »Sie werden die Tempelanlage mit Leichtigkeit einnehmen.«
»Wie viele sind sie?«
Er atmete schwer, und ich fragte mich, ob er sich auf seiner Escoa würde halten können. Offenbar waren mir meine Zweifel deutlich vom Gesicht abzulesen, denn er sah mich finster an und spie mir vor die Füße. »Du bist auch nicht gerade ein angenehmer Anblick, Mädchen. Du siehst aus, als würde der leiseste Windhauch dich umpusten.«
»Ihre Zahl.« Ich ignorierte seine Bemerkung.
Er fuhr mit der Hand über Krötenjägerins Hals und kratzte sie an den Ohrlöchern, wie alle Drachen es lieben. Er murmelte ihr etwas zu, und sie rieb ihre verletzte, zerfetzte Schnauze an seinem Arm.
»Zweiunddreißig, dazu die fünf, welche die Straße nach Fwendar ki Bol bewachen. In der Brutstätte gibt es noch mehr von ihnen. Insgesamt sind es fast sechzig, sagt die Hexe jedenfalls. Allerdings ist es fraglich, von wie großem Nutzen sie sind. Rechne damit, dass die zweiunddreißig die Aufgabe erledigen.«
»Nur zweiunddreißig?«, rief ich bestürzt.
Er sah mich verächtlich an, und ich entdeckte dabei eine gewisse Ähnlichkeit mit Langbein in ihm. »Zweiunddreißig Krieger, die Überraschungsmoment, Verstohlenheit und einen guten Plan auf ihrer Seite haben, können Xxamer Zu mit Leichtigkeit einnehmen. Ich bezweifle sogar, dass auch nur einer von ihnen dabei ernstlich verletzt wird.«
»Wenn sie solch kühne Krieger sind, wie du behauptest.«
»Das sind sie.« Er maß mich von oben bis unten. Sein Blick sagte mir, dass ich diesem Maßstab bei weitem nicht genügte.
»Dann sollten wir am besten zu ihnen stoßen«, erwiderte ich knapp. »Und zwar schleunigst. Ich habe eine Information, die ich ihnen mitteilen muss, bevor sie losschlagen. Also gut, alter Mann, soll ich dir beim Aufsteigen helfen?«
Hätte ich nicht das Messer in der Hand gehalten, hätte er mich zweifellos wegen meiner Anmaßung geschlagen.
So begnügte er sich damit, sich mühsam in Krötenjägerins Sattel zu hieven.