5

Von den benachbarten Rishi-Kus durch ein Meer von Jute, Featonfeldern und Brachland isoliert, war das Kokon-Lagerhaus eine regelrechte Insel.

Folglich ein guter Ort, um zu verschwinden.

Wind. Das Fiepen von Nagetieren und Kindergeplapper. Das Wispern und Rauschen von langgrannigen Getreideähren unter einem harten, leeren blauen Himmel. Ich kam mir auf dieser wogenden Ebene ungeheuer winzig vor, Tag für Tag der sengenden Sonne und den Myriaden Sternen des Nachthimmels ausgesetzt. Winzig, aber relativ sicher vor dem Arm des Tempels.

Nach wenigen Tagen gewöhnte ich mich an den Rhythmus des Lebens hier draußen, wobei mir die Vorstellung half, die Sicherheit meiner Kindheit zu erleben.

Lange vor Tagesanbruch weckten mich die Wasserträgerinnen; die Frauen, deren Pflicht darin bestand, Urnen auf den Köpfen balancierend viele staubige Meilen durch die Dunkelheit zum Sangsusif Chodo zu gehen, dem Barmherzigen Fluss. Kurz vor Sonnenaufgang kehrten sie zurück, weckten ihre Kinder, die dann gähnend auf das Kadoob-Feld des Arbiyesku stolperten, einen von Furchen durchzogenen Acker, der von knorrigen Slii-Bäumen gesäumt war. Ihre kleinen Geschwister auf den Rücken gebunden, würden diese Kinder dann die bröckelige Erde bestellen, jäten, eggen und die Pflanzen bewässern und schließlich mit einem Sack runzliger Knollen zurückkehren.

Nachdem sie eine kärgliche Mahlzeit aus kalten gerösteten Kadoob verzehrt hatten, oder manchmal auch nur irgendeine undefinierbare Suppe, gingen alle anderen Angehörigen des Arbiyesku, bis auf die Ältesten, hinaus auf die umliegenden Felder. Die vom Alter gebeugten Greise, die zurückblieben, weil sie kaum noch laufen, sondern sich nur mit Mühe humpelnd und schlurfend fortbewegen konnten, erledigten die Kwano-Pflichten. Das heißt, sie durchforsteten das stinkende Lagerhaus und suchten zwischen den Yamdalar Cinaigours nach Kwano-Schlangen, um sie zu enthaupten. Sie fanden nur wenige, denn die Kwano ist eine Dschungelschlange. Gelegentlich jedoch erblickten ihre entzündeten Augen eine Schlange, eine Kwano oder irgendeine andere, die in das Lagerhaus geglitten war, angelockt vom Gestank des Todes. Der Eindringling wurde immer enthauptet, in einem Tumult aus Ekel, Panik und Furcht.

Der Tempel lehrt, dass die Kwano die Verkörperung des Bösen ist; ihr Ahnherr, der Vater aller Kwano-Schlangen, ist der ewige Feind des Einen Drachen. Aus diesem Grund musste das Yamdalar-Lagerhaus jeden Tag von diesen teuflischen Schlangen gesäubert werden, aber auch von den harmlosen anderen Schlangen, die sich zufällig dorthin verirrt hatten.

Während die Ältesten mit dieser Aufgabe beschäftigt waren, bestellten die anderen aus dem Arbiyesku die dürre Erde, brachen die von Unkraut übersäten Erdklumpen auf und kultivierten das spärliche Getreide, das sie ernährte. Von den hageren Leibern waren die Felder meilenweit in alle Richtungen gesprenkelt; braune, gekrümmte, von grünen Wirbeln gefleckte Rücken, die sich unter der Sonne dunkel verfärbten.

Ich lernte bald, dass alle Rishi von Xxamer Zu auf den Feldern arbeiteten, ganz gleich, welchem Handwerkerclan sie angehörten. Gelegentlich wurde ich von dieser Arbeit befreit, wenn meine Rippen zu sehr schmerzten und die Arbeit zu anstrengend war, aber dann, dadurch beschämt, beschäftigte ich mich von morgens bis abends mit anderen Tätigkeiten.

Mit Savga an meiner Seite wob ich Matten und Körbe und reparierte die Löcher in den Barackenwänden, indem ich neue Jutefasern zwischen die alten flocht. Savga hackte das wilde Gras, und ich mischte es mit Drachendung, den andere aus den Stallungen der Brutdrachen holten. Aus diesen Dungklumpen fertigten wir Brennmaterial. Unsere Handflächen klatschten auf den weichen Dung, während wir ihn zu Briketts formten und anschließend trocknen ließen. Wenn wir damit fertig waren, bereiteten wir aus dem restlichen Dung einen Brei, den wir über die Lehmhütten der Männer strichen, um die Außenwände zu festigen und zu glätten. Der dünne Schlamm trocknete schnell auf den sonnengewärmten Wänden, und wir mussten uns beeilen, wenn wir ihn auftrugen, damit alles gleichmäßig und ordentlich aussah. Das Summen und Stechen der Mistfliegen ignorierten wir, während wir in der grellen Sonne blinzelten, die uns heiß auf unsere Rücken brannte.

Savgas Gegenwart war bittersüß. Einerseits hatte ich nicht das Gefühl, ihre Hingabe auch nur im Mindesten verdient zu haben, und jeden Tag, den wir zusammen waren, verhielt sich Tansan mir gegenüber kälter. Andererseits genoss ich Savgas Gesellschaft und Zuneigung, die ich, wenn auch schuldbewusst, ihrer Mutter stahl.

Manchmal schob Savga während unserer Arbeit scheu ihre kleine Hand in meine. Das bedingungslose Vertrauen, das in dieser schlichten Geste lag, fesselte mich, als hätte ich etwas Zartes, Verletzliches und Seltenes gefangen. Es flößte mir Ehrfurcht ein, und ich konnte es einfach nicht zurückweisen.

In der Nacht war ihr warmer Körper an meiner Seite ein wahres Geschenk, eine Erinnerung daran, dass nicht das ganze Leben hart und gnadenlos war. Das schwache Sichheben und -senken ihrer kleinen Rippen bei ihren Atemzügen, wenn sie schlief, ihr Geruch nach glattem, sonnengewärmtem Stein, nach gezuckerter Nussmilch, drang in meine Träume ein und umhüllte mich mit den Erinnerungen an meine eigene Kindheit. Ich wusste noch, wie sicher und zuversichtlich ich mich gefühlt hatte, wenn ich des Nachts zwischen meiner älteren Schwester und meiner Mutter gelegen hatte. Ich erinnerte mich an meine Spielkameradinnen von einst, Rutvia und Makvia, und beobachtete sehnsüchtig, wie Savga mit Runami, Wanlen oder Oblan, anderen gleichaltrigen Mädchen des Arbiyesku, mit ernsthafter Miene Unsinn flüsterte. Durch Savga wurde mir aufs Neue vor Augen geführt, warum mir so viel an dem Schicksal aller Rishi lag, warum ich geschworen hatte, eines Tages eine Brutstätte zu besitzen, in der ein Kind furchtlos aufwachsen konnte, unbehelligt von den Gesetzen und brutalen Strafen des Tempels.

Aber der Preis für Savgas Zuneigung war, wie bereits erwähnt, Tansans beißende Kälte mir gegenüber.

In ihrer Gegenwart wurde ich stets unbeholfen. Ich wusste sehr gut, dass ich ihr dankbar sein sollte, weil sie mir eine Vergewaltigung erspart hatte, aber ich empfand nur ohnmächtige Wut über diesen Vorfall. War Tansan in der Nähe, ließ ich Dinge fallen, verschüttete Nahrung, stolperte und stellte mich ungeschickt an. Ihre stumme Verachtung brannte heißer als die gnadenlose Sonne.

Dabei hätte es eigentlich ganz anders sein sollen. Tansan verkörperte alles, was ich bewunderte. Sie war eine starke Frau und Mutter, respektiert von ihren Kindern und ihrer Familie. Ihre ungezähmte Schönheit wurde von ihrer körperlichen Stärke noch betont, von ihrer Anmut und Haltung, und, ja, ich gebe es zu: Bei ihrem Anblick schlug mir das Herz oft bis zum Hals, und mir wurde heiß zwischen den Beinen. Zu oft drehten sich meine Träume um sie, und mehr als einmal erwachte ich mit klopfendem Herzen und feuchten Schenkeln. Mein Verlangen nach Drachengift und Drachenlied wurde von den Träumen von Tansan so angestachelt, dass ich das Gefühl hatte, bersten zu müssen.

Wie sich herausstellte, war der dunkelhäutige Djimbi, der in eine Hütte gestürmt war, als Tansan von den beiden Bayen entführt worden war, um ihnen zu Willen zu sein, tatsächlich Tansans Gebieter. Er hieß Keau, war mindestens ein Jahrzehnt älter als sie und der demütigste und stillste Mann, den ich je gesehen hatte. Er bestellte sie nicht ein Mal in die Paarungshütte und zeigte auch in der Öffentlichkeit niemals seine Zuneigung zu ihr. Ich bezweifelte, dass Agawan, Tansans Baby, von ihm gezeugt worden war, denn der kleine Junge hatte eine ebenso helle Haut wie Savga.

Die Tage gingen nahtlos ineinander über.

Den Drachenmeister nannte man im Arbiyesku bald den Suwembai Kam, den Verrückten, weil er immer wütend vor sich hin murmelte und krampfhaft zuckte. Es tauchten auch keine Bayen mehr auf, die auf unserem Gelände ihre Netze auswarfen, und als die Sonne noch heißer brannte, das spärliche Getreide auf den Feldern braun, die Nahrung knapper und das Wasser rationiert wurde, half mir die Erschöpfung, mir einzureden, dass dieses Netzeauswerfen nur selten vorkam. Müdigkeit und erbarmungsloser Hunger können alles zurückdrängen bis auf das Bedürfnis, die nächste Stunde, den nächsten Tag oder die nächste Woche zu überleben. Dann ist man nur allzu bereit, vor den größeren Gefahren, die in der Ferne drohen, die Augen zu verschließen.

An jedem neuen harten Tag versuchte ich die Vorstellung zu vermeiden, wie Ghepp als neuer Vorsteher der Brutstätte ein sorgloses Leben führte; musste ich mich von der Sehnsucht nach dem Gift ablenken, indem ich Savga geradezu ermutigte zu plappern. Gewiss, Drachenjünger Gen hatte mich vor meinem Auftritt in der Arena mit seinem magischen Gebräu von der Gier nach dem Drachengift gereinigt … Aber als die Tage zäh verstrichen, gaukelte mir manchmal ein Geruch, der strenge Gestank eines zerquetschten Insekts, der süßliche Duft gärenden Getreides, das zitronige, süßliche Aroma des Giftes vor. Mir schwindelte augenblicklich, ich war schweißgebadet und von einem so starken Verlangen danach erfüllt, dass ich hätte heulen können.

Als ich an einem Tag dreimal von diesem körperlichen Verlangen gepackt worden war, wurde mir klar, dass die Reinigungszauber von Drachenjünger Gen an ihre Grenze gestoßen waren und dass meine Sucht nach dem Gift mit aller Macht zurückkam. Falls Gen mir nicht bald einen giftigen Drachen besorgte, würde ich mich selbst auf die Suche nach einer Quelle für dieses Gift machen müssen … wie riskant das auch sein mochte.

Zu diesem bitteren Schluss kam ich an jenem Abend, als ich erschöpft auf dem von der Sonne hart gebackenen Lehmboden vor dem Frauenhaus saß und mein Körper das Zwielicht wie kühles Wasser aufsog. Um mich herum ruhten die anderen aus dem Arbiyesku – alle, bis auf den Drachenmeister, der sich bei Sonnenuntergang murmelnd und krampfhaft zuckend in eine der Männerhütten zurückgezogen hatte. Neben mir spielten Savga und ihre Freundinnen Oblan, Wanlen und Runami ein Geschicklichkeitsspiel mit Stöckchen. Wie immer hatte Oblan ihren kleinen Bruder auf dem Schoß. Sie schleppte das Baby überall mit hin und brachte es nur zu ihrer Mutter, wenn es trinken musste. Oblans Mutter war erneut schwanger und litt unter der schrecklichen Roidan-Yin-Übelkeit; deshalb fungierte Oblan als Ersatzmutter.

Die Ältesten des Arbiyesku unterhielten sich leise über vergangene Zeiten. Sie erinnerten sich daran, wie Brutstätte Xxamer Zu einst gewesen war, von mehr als dreimal so vielen Menschen wie jetzt bevölkert. Sie flüsterten die Namen von Neffen und Söhnen, die Xxamer Zu als Erwachsene verlassen hatten und verschwunden waren, statt im Schoß der gesegneten Brutstätte zu bleiben. Sie sprachen von Geschwistern, Tanten und Kindern, die von den ehemaligen Aufsehern in die Sklaverei verkauft worden waren, um die stetig wachsenden Schulden der Brutstätte und die Schulden aus den leichtsinnigen Wetten des Roshu zu bezahlen. Während sie sich unterhielten, hockte ich zusammengesunken in meinem Elend, hasste mich dafür, wie sehr meine Gier nach dem Gift mich schwächte, wie mich schon die Vorstellung erschöpfte, selbst eine Quelle finden zu müssen.

Warum konnte das Leben nicht einfacher sein? Warum immer wieder dieser Unfriede und Aufruhr? So hatte ich mir das Leben nicht vorgestellt, wenn ich von meiner eigenen Brutstätte geträumt hatte. Wie hatte es nur dahin kommen können, dass ich so weit von meinem Ziel entfernt war, obwohl ich doch bekommen hatte, was ich wollte?

Mein Blick glitt zu Tansan hinüber. Sie saß mit ihrem Gebieter Keau und den drei jungen Männern zusammen, die sich immer in ihrer Nähe herumdrückten. Die Jugendlichen beugten sich vor, sprachen angeregt miteinander und gestikulierten in der Luft herum. Sie redeten leise, aber ihr Temperament brach sich ab und zu in einem Ausruf oder einem Fluch Bahn.

»Sieh nur, wie er lächelt«, meinte Savga. Sie sprach von Oblans kleinem Bruder.

Savga zupfte an meinem Ärmel. »Wenn ein Baby so lächelt, liegt das daran, dass die eifersüchtigen Geister es verhöhnt haben, indem sie sagten: ›Deine Mutter ist tot‹, das Baby aber genau weiß, dass sie lügen, weil es täglich an der Brust seiner Mutter trinkt.«

»Ja, ja«, unterbrach Oblan sie. »Und ein Baby schreit nur, weil die eifersüchtigen Geister sagen: ›Dein Vater ist tot‹, und das Baby ihnen glaubt, weil es seinen Vater noch nicht kennt.«

Seid ruhig, hätte ich gern gesagt. Könnt ihr nicht einfach eine Weile still sein?

Aber ich schwieg und beobachtete Tansan weiter.

Sie vertrat ihre Überzeugungen mit Leidenschaft, das verdeutlichte die konzentrierte, intensive Art, mit der sie sprach, das Gewicht, das sie in jedes ihrer Worte legte. Anders als ihre vier Gefährten jedoch äußerte sie ihre Meinung nur selten. Und wenn sie es tat, lösten ihre Bemerkungen stets eine neue Debatte unter ihren Freunden aus.

Ich betrachtete die Männer genauer.

Der jüngste war Piah, ein schlaksiger Fünfzehnjähriger mit einem auffälligen Kehlkopf. Er gestikulierte beim Reden wild herum und spie häufig aus, wenn andere redeten. Alliak war etwa so alt wie ich, achtzehn, und trug seinen unterschwelligen Zorn wie einen Sack Steine auf seinen dunkelhäutigen, gefleckten Schultern. Aus Savgas Plaudereien wusste ich, dass er noch keine Frau zu seiner Roidan Yin erwählt hatte, trotz seines reifen Alters. Der dritte junge Mann war Oblans Vater, Myamyo, ein großspuriger junger Mann mit großen Augen. Seine Haut war so dunkel wie die Oblans. Savga und Runami kicherten immer, wenn er mit ihnen sprach.

Plötzlich versteifte sich Savga neben mir und verstummte. Zwei Djimbi schlenderten auf das Gelände des Arbiyesku. Die beiden Männer tauchten urplötzlich hinter einer Männerhütte auf, aus der Richtung des Zentrums der Brutstätte. Sie schlenderten heran und nickten einigen der Ältesten aus dem Arbiyesku grüßend zu. Die erwiderten den Gruß jedoch nur knapp.

Savga schob ihre Hand in meine. Sie starrte ihre Mutter an, mit geblähten Nasenflügeln und dem eindringlichen Blick eines scheuen Rehs, das im Wind Gefahr wittert.

Tansan murmelte Keau etwas zu. Er wandte den Blick ab und nickte unmerklich. Sie nahm Agawan von ihrer Brust, stand auf und trat mit dem Kind zu Fwipi. Die das Baby Tansan wortlos aus den Händen nahm.

Die drei Männer des Arbiyesku, die neben Tansan gesessen hatten, standen ebenfalls auf und folgten ihr zu den beiden Besuchern. Keau erhob sich und schloss sich ihnen an.

Ohne ein Wort zu wechseln, gingen die sieben an mir vorbei.

In diesem Moment drang mir ein Duft in die Nase, der mir die Luft nahm und mir Schwindel bereitete.

Meine Augen tränten, mein Magen verkrampfte sich. Phantomfeuer loderte durch meine Nebenhöhlen, als ich mich einen widerlichen Augenblick lang an den bitteren Geschmack unreifer Limonen erinnerte, abgemildert durch die Süße von Süßholz, der weder Honig noch Zucker gleichkamen.

Drachengift.

Aber nein, ich hatte es nicht gerochen, das konnte nicht sein, es war unmöglich. Der Entzug hatte zugeschlagen und mir einen weiteren Streich gespielt, wie schon dreimal an diesem Tag. Wie die Geister der Vergangenheit uns doch überrumpelten, wenn wir am verletzlichsten waren!

Ich sah zu Savga hinab. An ihrem verschlossenen Blick erkannte ich, dass ich sie nicht fragen sollte, wer diese beiden Djimbi-Besucher waren und wohin ihre Mutter gegangen war.

Trotzdem wollte ich genau auf diese Fragen eine Antwort. Denn was wäre, wenn ich tatsächlich Spuren von Gift an einem dieser Männer wahrgenommen hatte? Etwas hatte diesen Anfall ausgelöst, irgendein Geruch …

Sei nicht albern! Es war kein Gift! Du bist süchtig, lässt dich täuschen…

Und wenn es doch Gift gewesen war? Ich durfte nicht länger unter diesen Entzugserscheinungen leiden; die Anfälle wurden von Mal zu Mal schlimmer und kamen immer häufiger. Ich brauchte doch nur ein winziges bisschen Gift, um diese Situation zu beherrschen. Und eine solche Gelegenheit konnte ich mir nicht entgehen lassen …

Ich erhob mich mühsam und ging auf wackligen Beinen zu den Latrinen. Doch sobald ich hinter einer der Lehmhütten außer Sicht war, schlug ich einen großen Bogen um den Hof des Arbiyesku, dankbar für die schmale Mondsichel, die das Dunkel kaum erhellte. Mir klapperten die Zähne, als ich mir vorstellte, was wohl passieren würde, wenn jemand bemerkte, wie ich über die dunklen, grasigen Pfade schlich, die das Gelände des Clans umringten. Würde man mich anrufen, mir folgen oder mich aufhalten?

Ich hatte keine Zeit, lange darüber nachzudenken. Wenn ich zauderte, würde ich Tansan und ihre Gefährten nicht mehr finden.

So schlich ich halb geduckt durch die Finsternis, ignorierte die Schmerzen in meinen heilenden Knochen und folgte dem Weg, den Tansan genommen hatte. Einen Moment fürchtete ich schon, ich hätte sie verloren, doch nein: Die Gruppe ging ein Stück vor mir. Ihre schwarzen Silhouetten zeichneten sich in dem nächtlichen Dunkel ab.

Ich folgte ihnen gebückt, obwohl das trockene, kniehohe Gras nur wenig Deckung bot.

Wir gingen nach Westen. Die geisterhafte Kuppel von Xxamer Zus Tempel schwebte in der Ferne rechts von uns. Nach einer Weile mischten sich unerfreuliche Gerüche in den Wind, die den modrigen Geruch des verschlammten Flusses der Brutstätte überlagerten. Diese Gerüche waren mir schwach vertraut, und ich konnte sie nach einer Weile identifizieren: Wir näherten uns den Nerifruku, dem Clan der Ledergerber. Die Nerifruku von Brut Re hatten nicht weit von dem Töpferclan gelebt, in dem ich meine Jugend verbracht hatte, und der Gestank der ungegerbten gesalzenen Häute, der Dungbeize und der faulige Geruch von mit Kalk behandelten Kadavern, die sich in den Gerbergruben in Leder verwandelten, hatte gelegentlich auch die Luft auf dem Gelände des Töpferclans verdorben.

Ich fiel noch weiter zurück, als die dunklen Umrisse der Hütten des Gerberclans in Sicht kamen. Ich wartete in dem trockenen Gras, während mein Herz heftig hämmerte, bis Tansan und ihre Gefährten zwischen den Hütten verschwunden waren.

Sollte ich es wagen, weiterzugehen? Warum eigentlich nicht? Immerhin tat ich nichts Verbotenes.

Noch während ich so dachte, wusste ich, dass dies eine Lüge war. Mein verstohlenes Verhalten, das durch den vermeintlichen Giftgeruch ausgelöst und von der zurückhaltenden Art, mit der die Angehörigen des Arbiyesku die beiden Besucher gegrüßt hatten, noch angestachelt worden war, zeigten deutlich, dass ich irgendwo eindrang, wo ich nicht erwünscht war.

Dieser Gedanke konnte mich jedoch nicht davon abhalten, im Dunkeln vorsichtig den Weg zwischen unzähligen zerbrochenen Wassereimern und Urnen zum Eingang des Gerbergeländes zu suchen.

Kurz darauf hörte ich erhitzte Stimmen, die leidenschaftlich diskutierten. Mein Pulsschlag beschleunigte sich. In der Mitte des Hofes loderte ein Lagerfeuer, und ich roch den Rauch von Dungbriketts und den Gestank von fermentierter Maskamilch.

Langsam suchte ich mir den Weg um eine Hütte herum und spähte vorsichtig zum Mittelpunkt des Hofs der Gerber.

Dort hockten junge Männer auf ihren Hacken um ein Lagerfeuer herum oder saßen auf umgekippten Fässern und Urnen. Am Rand der so Versammelten saßen die Nerifruku – gebeugte, runzlige alte Weiber, Männer mit eingefallener Brust, junge Leute mit Schmerbäuchen, Väter, stillende Mütter -, alle mit grotesken Narben auf den Wangen. An diesen Narben erkannte ich, dass sie zu den Nerifruku gehörten – die schwarzen Pocken sind unter Gerbern sehr verbreitet. Wer diese Seuche überlebt, ist für den Rest seines Lebens entstellt und kann die Häute selbst völlig verwester Tiere bearbeiten, ohne Gefahr zu laufen, sich erneut anzustecken. Vielleicht waren es diese Vertrautheit mit dem Tod und die Hässlichkeit der Überlebenden dieser Seuche, die den Clan der Gerber von Xxamer Zu so mutig machten, dass er als Gastgeber für … für was auch immer fungierte. Es musste sich um etwas Gefährliches, Finsteres handeln, dessen war ich mir sicher.

Obwohl vielleicht nur die eigene Angst meine Wahrnehmung verzerrte. Vielleicht war diese Versammlung auf dem Gelände der Gerber ja ganz harmlos, eine bloße Ablenkung davon, dass in Wirklichkeit die Talente der Gerber in der verarmten Brutstätte von Xxamer Zu verschwendet waren. Denn diese Brut brauchte die Gerber hauptsächlich dafür, die Salzpfannen zu bearbeiten. Die Bayen importierten lieber parfümiertes Leder aus der Hauptstadt an der Küste.

Talente sind wie zerquetschte Trauben. Verwendet man sie klug, wird daraus Wein; lässt man sie brachliegen, werden sie so scharf und beißend wie Essig. Jeder braucht ein würdiges Ziel, um sich würdig zu verhalten.

Ein birnenförmiges Maska-Trinkgefäß wurde herumgereicht. Frauen und Männer tranken aus dem langen Metallrohr, das aus dem Gefäß herausragte, und der Geruch des fermentierten Getränks durchzog die Luft wie der Gestank saurer Milch.

Ich beobachtete, wie Tansan und ihre Gefährten sich zu der Gruppe gesellten. Sie setzten sich nicht bescheiden an den Rand. Nein. Tansan ging selbstbewusst zur Mitte des Kreises, wo man ihr Platz machte, auch wenn ich einige Männer knurren hörte und andere ihr gereizte Blicke zuwarfen.

Von meinem Standort aus hatte ich keinen guten Blick auf das Geschehen, also kroch ich zurück durch das Dunkel, bis ich einen leeren Holzeimer fand, mit dem ich zu meinem Beobachtungspunkt zurückkehrte. Dort kletterte ich vorsichtig auf den Eimer.

Gerade sprach ein junger Mann mit einem Band aus Jute um die Stirn. »… sollte die Myazedo von den Hügeln rufen. Es ist Zeit. Es ist längst überfällig.«

Myazedo. Das mir unbekannte Wort, mit dem Savga ihre Mutter beschrieben hatte.

»Unüberlegte Worte, Shwe«, fuhr ein Jugendlicher mit mächtig breiter Brust ihn an. »Wir müssen uns erst der Unterstützung unserer Leute vergewissern …«

»Wir müssen jetzt zuschlagen, bevor der neue Vorsteher eingesetzt ist. Wir können nicht länger warten!«

»Wir sind noch nicht gut genug organisiert, um die Brutstätte halten zu können. Der Tempel wird die Bluthunde des Imperators schicken, und die werden uns die Eingeweide herausreißen.«

»Wann werden wir denn jemals gegen den Tempel bestehen können?«

»Wenn wir die Wahl haben«, warf ein junger Mann ein, der neben Tansan saß. Ich erkannte in ihm einen der beiden Besucher, die Tansan vom Gelände geführt hatten. Hatte er nach Gift gerochen? Oder hatte ich es mir nur eingebildet?

Ich beugte mich vor, um seine Augen erkennen zu können und vielleicht die verräterischen Zeichen des Giftes in ihnen. Dabei wäre ich fast von meinem Eimer gefallen.

»Und diese Wahl werden wir nur haben, wenn wir unser eigenes Land besitzen«, fuhr der junge Mann neben Tansan fort. »Wir haben eine Wahl, wenn wir unsere eigenen Krankenstationen haben und einen Ort, wo wir die alten Sitten neben den neuen pflegen können. Eine Brutstätte ist wie Blut und Adern für den Leib des Tempels. Solange wir in diesem Blut schwimmen, verfügen wir nur über sehr wenig Alternativen.«

»Wir sollen unser Land verlassen?«, fragte der Jüngling mit der breiten Brust. »Irgendwohin reisen und einen Weiler der Verlorenen gründen? Das hier sind unsere Felder, das ist unsere Ernte. Wir bleiben hier und kämpfen.«

Seine Worte lösten einen heftigen Streit aus. Die Leute schrien herum. Tansan hörte nur zu, während sie unter ihren dichten Wimpern die Versammlung betrachtete.

Als deutlich wurde, dass die vehemente Diskussion nicht abebben würde, stand sie auf. Sie blieb einfach stehen, sagte kein Wort, tat nichts, sondern stand nur da wie eine herrliche Statue. Einen Moment, wirklich nur einen Lidschlag lang, schien ihre Gestalt im Schatten des Feuers zu wabern, und ich sah statt ihrer einen Drachen dort stehen.

Xxeltekische Seeleute munkeln von Gestaltwandlern, von Kreaturen, die aus dem Nebel über den Meeren und dem Blut ertrunkener Seeleute bestehen. In jener Nacht glaubte ich so etwas zu sehen, ein Zeichen dunkler DjimbiMagie, eine metamorphe Kreatur, die aus dem Licht der Flammen und des Mondes und aus Djimbi-Blut geschaffen war. Aber der Moment verstrich, und erschauernd wurde mir klar, dass auch dies nur ein Symptom meines Giftentzugs gewesen war.

Allmählich sahen alle Tansan an, und die wütende Debatte verstummte. Einige Männer, etliche sogar, wirkten gereizt. Einer forderte sie auf, sich hinzusetzen.

Tansan zuckte nicht einmal mit der Wimper. Sie wartete gelassen, während der Wind über die Dächer der Hütten strich. Die Sterne über ihr glitzerten hell und kalt wie die tausend Zähne eines finsteren Grinsens.

Als sie schließlich das Wort ergriff, klang ihre Stimme so eindringlich, dass sich mir unwillkürlich die Nackenhaare sträubten. »Selbst wenn die Rishi von Xxamer Zu nichts von den Myazedo gehört hätten, wüssten sie, dass sie ihr eigenes Land besitzen müssen. Sie wissen, dass sie Hunger leiden. Die Myazedo müssen eine Situation schaffen, in welcher die Leute sich gemeinsam erheben können. Es ist unsere Pflicht, diese Situation herbeizuführen.«

»Und was genau sollen wir deiner Meinung nach tun?«, rief ein Mann verächtlich.

»Zerbrecht die Palisaden der Drachenjünger. Amputiert sämtlichen Drachen die Flügel mit Ausnahme von einem oder zweien, die wir dann in den Hügeln verbergen. Indem wir die Escoas verkrüppeln, zerstören wir die Verbindung zwischen den Heiligen Hütern und dem Tempel.«

»Du willst das ohne Chinions Wissen tun?«, schrie eine Frau. »Ohne seine Erlaubnis?«

»Chinion ist weit weg. Er kehrt noch viele Monate lang nicht zurück.«

»Er ist in einem seiner Myazedo-Lager …«

»… und weiß vielleicht nicht, dass der alte Roshu die Herrschaft über diese Brutstätte eingebüßt hat und wir jetzt einen unerprobten Lupini zum Vorsteher haben.«

Tansan hatte recht. Ghepp war unerfahren als Vorsteher und dazu auch noch ein Lupini – ein Adliger, gewiss, aber kein Roshu, kein Kriegerfürst aus der Fa-para-Armee, der von einem eigenen Regiment aus loyalen altgedienten Soldaten unterstützt wurde. Ghepps Vater dagegen war ein Roshu-Lupini gewesen, ein Bayen, der, nach Jahren der Herrschaft über seine Brutstätte, den Titel Roshu in einem erfolgreichen Scharmützel an der Grenze zu den Xelteken erworben hatte. Er hatte in diesem Gefecht mit einem Regiment von Soldaten gekämpft, die er zuvor selbst ausgebildet hatte. Sie alle waren handverlesene Bayen der Brutstätte Re gewesen.

Ghepp konnte nichts dergleichen aufweisen.

Tansan hob das Kinn. »Chinion ist nicht unfehlbar. Er hätte einen Stellvertreter zurücklassen sollen, mit dem er Kontakt hält; das hätte uns ermöglicht, auch ohne ihn handlungsfähig zu bleiben.«

Viele Männer unter den Versammelten schrien wütend auf, doch Tansan fuhr unbeirrt fort: »Aber Chinion hat uns verlassen, und der neue Lupini kann jeden Tag damit beginnen, uns zu verkaufen, um die Schulden des alten Vorstehers zu begleichen. Wir alle haben die Gerüchte gehört, die aus der Mitte der Brutstätte zu uns gedrungen sind. Die Treibjagd wird bald beginnen.«

»Geh wieder zu deinem Säugling zurück!«, schrie einer der Männer. »Und überlasse diese Angelegenheiten denen, die darüber zu befinden haben!«

Tansan fuhr zu ihm herum. »Du hast die letzten zwei Wochen nichts weiter getan, als mit deinen nutzlosen Worten um dieses Feuer herumzutanzen, während die Saison der Treibjagd näher gerückt ist. Welche Handwerkerclans dieser Brutstätte werden dieses Jahr davon betroffen sein, he? Wessen Kinder wird man fesseln und verkaufen? Deine?«

Dann wandte sie sich wieder an die Versammelten. »Wollen wir wieder nur danebenstehen und untätig zusehen? Nein! Wir sollten unser Land jetzt in Besitz nehmen, solange noch keine Soldaten in der Brutstätte sind!«

Der Jüngling neben ihr räusperte sich. »Es gibt Soldaten hier, Tansan. Der neue Vorsteher hat nicht alle Paras weggeschickt, die nach des Roshus Abtreten geblieben sind. Während wir hier diskutieren, wählt er unter ihnen aus und wird einige Bewaffnete in seinen Diensten behalten. Und da ist noch etwas, heho!«

Er betrachtete langsam die Zuhörer. »Der neue Vorsteher rekrutiert Soldaten aus den Reihen der Rishi.«

Der Breitbrüstige schlug sich auf den Schenkel. »He, was für eine Chance! Die Hälfte von uns sollte sich freiwillig melden. Unser Feind wird uns Waffen geben, und wir bekommen Zutritt zu der Bastion der Drachenjünger!«

Viele Versammelte stimmten ihm aufgeregt murmelnd zu. Tansan erhob ihre Stimme und übertönte sie alle. »Du redest, als hätten wir Zeit! Wo ist diese Zeit, frage ich dich? Die Treibjagd beginnt sehr bald! Wie viele Nächte müssen wir noch dieselben Worte reden, sie immer und immer wieder durchkauen wie Maht? Wir müssen jetzt handeln!«

»Und wirst du die Verantwortung für diese Entscheidung tragen?«, rief jemand. »Wenn Chinion zurückkehrt, wirst du dann vortreten und sagen: ›Ich habe das Kommando übernommen, nachdem du gegangen bist‹?«

In Tansans Augen spiegelten sich die Flammen des Lagerfeuers. »Unbedingt. Wölfe verschwenden nicht ihre ganze Zeit damit, den Mond anzuheulen. Sie jagen. Wir sind Wölfe, und jetzt ist die Zeit der Jagd gekommen.«

Einige Männer forderten Tansan auf, sich zu setzen. Andere standen selbst auf. Keau legte ihr eine Hand auf den Arm und versuchte sie auf den Boden zu ziehen. Alliak aus dem Arbiyesku stand auf und übertönte den Tumult. Er sagte, sie hätten heute Nacht eine Entscheidung gefällt, seiner Meinung nach hätte Tansan recht und sie sollten nicht mehr länger warten und …

Etwas traf mich in den Rücken. Ich landete ausgestreckt auf dem Boden, während der Schmerz in meinen Rippen brannte. Ich konnte kaum atmen. Dann trat mir jemand Staub in die Augen, und ich rollte mich instinktiv herum, um mich zu schützen. Doch im selben Moment packten mich Hände, zerrten mich grob auf die Füße und bogen meine Arme auf den Rücken. Ich holte schmerzerfüllt Luft, während ich mit Gewalt gezwungen wurde, zum Feuer zu marschieren.

Die Diskussionen der Menge erstarben schlagartig, als mein Häscher mich nach vorn stieß. Alle sahen uns an, und die Wut, die eben noch unter ihnen getobt hatte, konzentrierte sich jetzt auf mich.

»Ich habe sie da drüben gefunden!« Mein Häscher bewegte sich ruckartig hinter mir, als würde er mit dem Arm deuten. »Sie hat alles mit angehört.«

Schreie ertönten, und die von Narben entstellten Gesichter verzerrten sich vor Wut.

Der breitbrüstige junge Mann trat vor. »Wer bist du, Aosogi Via?«

Ich holte trotz der Schmerzen, die es mir bereitete, tief Luft und antwortete, so fest ich konnte: »Ich komme aus dem Arbiyesku.«

Daraufhin sahen die Versammelten Tansan an, deren Augen so schwarz wie Gift wurden. Ich hatte Mitgefühl mit ihr; es war unfair, dass man ihr allein die Schuld an meiner unerwünschten Gegenwart gab, wo doch Alliak, Keau, Piah und Myamyo vom Arbiyesku neben ihr standen. Aber selbst in Xxamer Zu, wo die patriarchalischen Sitten des Imperators durch die Isolation und die Djimbi-Gebräuche verwässert waren, schien es am einfachsten zu sein, den Frauen die Schuld zuzuschieben, während die Männer frei von jeglichen Fehlern waren.

»Ist das so, Tansan?«, blaffte der Breitbrüstige sie an. »Gehört sie zu deinem Clan?«

»Sie muss uns gefolgt sein.« Tansan würdigte mich keines Blickes.

»Warum?« Die Frage war an mich gerichtet.

Ich überlegte fieberhaft. »Ich habe gehört, wie die Kinder von den Myazedo redeten. Ich wollte mehr wissen. Ich habe Angst vor dieser Treibjagd. Ich habe Angst um die Kinder.«

Ich hatte darauf gesetzt, die Aufmerksamkeit der Anwesenden von mir ab-und wieder auf die Diskussion zu lenken, die eben noch zwischen ihnen getobt hatte. Es war eine schwache Hoffnung.

Der Breitbrüstige wandte sich erneut an Tansan. »Du warst leichtsinnig, hast zugelassen, dass du belauscht wurdest und man dir folgte. Kann man ihr vertrauen?«

Tansans Miene war eiskalt, als sie mich ansah. »Sie ist noch neu bei uns. Aber man kann sie im Auge behalten. Dafür werden wir sorgen.«

»Du kannst gleich damit anfangen, sie im Auge zu behalten, weil du sie nämlich von hier fortschaffst. Wenn sie auch nur ein Wort zu jemandem sagt, dann schneide ihr die Zunge heraus.«

Tansan richtete sich trotzig auf. »Die Versammlung ist noch nicht zu Ende. Wir haben noch keine Entscheidung getroffen.«

»Wir treffen uns morgen Nacht wieder.«

»Wir müssen heute eine Entscheidung …«

»Du hast möglicherweise eine Verräterin bei uns eingeschleppt! Du hast nicht das Recht, festzulegen, wann eine Entscheidung getroffen wird!«

Tansans Gesicht wurde so hart wie Granit.

Piah trat rasch vor. »Also treffen wir uns morgen wieder und kommen zu einer Entscheidung. Das ist gut.«

»Morgen«, stimmte der Breitbrüstige zu, aber niemand rührte sich, bis Alliak meinen Arm packte und mich von dem Lagerfeuer wegzerrte. Die anderen folgten uns.

Erst als wir uns ein großes Stück von dem Gelände des Gerberclans entfernt hatten, sprach Tansan.

»Ist das so, Aosogi Via? Kann man dir trauen?« Ihre Worte klangen gleichgültig, und ihr Gang war gelassen und geschmeidig, aber sie strahlte dennoch unterdrückten Ärger aus.

»Ihr seid mein Clan!«, erwiderte ich heiser. »Ich würde nichts tun, was einem von euch schadet.«

Alliaks Griff um meinen Oberarm verstärkte sich, und niemand sprach mehr. Tansans Frage war, wie sich herausstellte, rhetorisch gemeint, denn als wir das Frauenhaus erreichten, legte sie sich neben mich zum Schlafen, band ihren linken Fuß mit einem Lederband an meinen rechten und befestigte auch unsere Handgelenke auf dieselbe Weise aneinander.

»Das ist nicht nötig!«, zischte ich und warf einen Blick auf Savga, die zusammengerollt zwischen Fwipi und Agawan schlummerte.

»Das denke ich nicht, Debu Zweite Tochter«, murmelte Tansan.

Sie schloss die Augen, die so kühl wirkten wie Mondsicheln.

Ich dagegen lag noch lange nach Mitternacht wach.

Kochend vor Wut.

Das Gift der Drachen Drachen3
titlepage.xhtml
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_000.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_001.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_002.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_003.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_004.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_005.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_006.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_007.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_008.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_009.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_010.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_011.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_012.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_013.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_014.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_015.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_016.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_017.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_018.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_019.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_020.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_021.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_022.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_023.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_024.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_025.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_026.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_027.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_028.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_029.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_030.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_031.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_032.html
Cross,_Janine_-_Drachen-Tempel-_split_033.html