9

An dem Abend erlitt ich einen Anfall wegen meines Giftentzugs. Er war so schlimm, dass er meine Eingeweide förmlich zerfleischte. Ich wurde von Krämpfen gepackt, und mein Bitoo, den ich am späten Nachmittag wieder angezogen hatte, war feucht von meinem Schweiß. Meine Hacken trommelten auf den Boden, mein Rücken bog sich durch, meine Augen verdrehten sich in ihren Höhlen. Diese Krämpfe weckten Savga aus ihrem rastlosen Schlaf. Sie beobachtete meinen kurzen, heftigen Kampf, während sie eine Hand in ihren Mund schob und sich auf die Knöchel biss.

Als ich schließlich nach diesem Anfall erschöpft und zitternd auf dem Boden lag, erwartete ich, dass sie endlich redete. Aber nein. Sie blieb stumm, kauerte sich in eine Ecke der Kammer und umklammerte ihren mageren Leib.

Ich verachtete meinen Körper, weil er auf diese Weise sowohl mich als auch ein Kind im Stich ließ, das gerade erst etwas so Verheerendes erlebt hatte. Außerdem war ich wütend auf Drachenjünger Gen, weil er mich nicht davor gewarnt hatte, dass seine Reinigungszauber nur eine begrenzte Zeit wirksam sein würden.

»Mir geht es gut, Savga«, behauptete ich krächzend. »Ich brauche nur … eine Medizin. Vielleicht hat Yimtranu ja eine.«

Kaum hatte ich diese Worte geäußert, kam mir diese Idee äußerst verlockend vor. Sicher hatte Yimtranu etwas in ihren uralten Schränken, was meine Sucht lindern könnte. Geistige Getränke, Maska-Wurzeln, Traumpilze, Mohnextrakt … Sie hatte selbst gesagt, dass man in ihrem Haus früher einmal großartige Medizin hergestellt hatte.

Nass und unsicher wie ein neugeborenes Kitz stand ich auf und taumelte zum Treppenabsatz, mich an Wand und Türpfosten festhaltend. Unten flackerten Kerzen, und ich hörte Yimtranu mit jemandem reden. Mit einem Mann. Ich raffte alle Kraft zusammen, um die Treppe hinabzusteigen, blieb aber wie angewurzelt stehen, als ich hörte, was Yimtranu sagte.

»… brauche mehr Drachenmilch. Die übliche Menge zum üblichen Preis.«

Die Antwort des Mannes war ein unverständliches Brummen, dem ein Fluch von Yimtranu folgte.

»Er spielt ein gefährliches Spiel, wenn er einfach den Preis erhöht«, krächzte sie. »Also gut, geh zu ihm und sieh zu, ob du diese Kröte herunterhandeln kannst. Wenn nicht … dann geh einfach weg. Er wird den Preis in spätestens einer Woche senken, wenn er nicht riskieren will, dass sein Herr seinen gestohlenen Schatz entdeckt.«

Der Mann antwortete brummend, dann klickten Münzen, Schritte ließen die Dielen knarren, und die Tür öffnete sich quietschend.

Meine Gedanken überschlugen sich. Wenn Yimtranu tatsächlich so weit gesunken war, dass sie Schwanzstärker für Bayen zusammenbrauen musste, um ihre Familie zu ernähren, war es durchaus vorstellbar, dass sie verbotenerweise Drachenmilch, also Gift, in ihren Produkten verwendete, wegen ihrer mächtigen, aphrodisierenden Wirkung. Und nach dem, was ich gerade belauscht hatte, schien dieser Mann sie mit diesem Gift zu versorgen.

Ich hastete in die Kammer zurück, wo Savga immer noch in der Ecke kauerte, riss den Riegel der Fensterläden hoch, stieß sie auf und beugte mich weit hinaus. Da war er, eine einsame Gestalt auf der Straße, die gerade um eine Ecke bog.

»Bleib hier!«, stieß ich an Savga gerichtet hervor und wirbelte herum. »Ich komme spätestens morgen früh wieder zurück.«

Die Furcht in ihrem Blick traf mich bis ins Mark.

»Ich komme zurück«, wiederholte ich, aber das konnte ihre Furcht nicht vertreiben. Gereizt bückte ich mich, hob sie auf meine schmerzende Hüfte und trampelte die Treppe hinab.

»Die Kleine hat sich beschmutzt«, rief ich Yimtranu im Vorübergehen zu. »Ich muss sie waschen.«

»Nur Huren gehen zu dieser Stunde auf die Straße!«, fuhr Yimtranu mich an, aber ich war schon durch die Tür gestürmt. Savga hüpfte auf meiner Hüfte auf und ab.

Draußen packte ich sie fester und rannte zum Ende der Gasse. Ich bog um die Ecke, hinter der der Mann verschwunden war, und kam an einer Gruppe alter Männer vorbei, die auf dem Boden würfelten. Und an einem Jungen, der an eine Wand pinkelte, während ein Hund ihn jaulend umkreiste.

Schließlich erreichten wir eine Kreuzung. Schwer atmend blieb ich stehen, blickte nach links und nach rechts …

Da war er. Er war es ganz bestimmt. Die schlanke Gestalt des Mannes war leicht gebeugt, als müsste er gegen Wind ankämpfen. Ich holte bebend Luft, setzte Savga auf die andere Hüfte, ignorierte den Schmerz in meinen Rippen und folgte ihm durch diese und die folgenden Gassen. Ich hielt mich im Schatten und ignorierte die Blicke der Leute, an denen wir vorüberkamen.

Plötzlich standen wir auf dem dunklen, verlassenen Marktplatz von Xxamer Zu. Rechts von uns erhob sich der Tempel der Brutstätte. Der Mann überquerte den Marktplatz und ging zu zwei verlassenen Gebäuden.

»Kannst du eine Weile laufen, Savga?«, keuchte ich. Es war grausam, zu fragen, weil sie schwach war und den ganzen Tag nichts gegessen hatte, aber in meinem Brustkorb brannte der Schmerz der gebrochenen Rippen, und ich wollte auf keinen Fall die Chance versäumen herauszufinden, wo ich vielleicht eine Quelle für das von mir so ersehnte Gift finden konnte, nur weil ich das Kind tragen musste …

Sie nickte kurz.

Ich ließ sie rasch zu Boden, packte ihre Hand und zog sie hinter mir her über den leeren Marktplatz.

Unsere Füße klatschten auf den harten Lehmboden, der noch warm von der Hitze des Tages war. Der Wind trieb einen Ball aus trockenem Gras vor uns über den Weg, und einige Männer, die vor einer Taverne standen, riefen uns höhnische Bemerkungen zu. Savga sah mich ängstlich an.

Närrin!, zischte eine Stimme in meinem Kopf. Du hättest sie zurücklassen sollen. Geh zurück, bevor ihr beide Schaden nehmt!

Der Mann verschwand in einer Gasse zwischen den zwei verlassenen Gebäuden. Ich zog Savga hinter mir her.

Sie sog scharf die Luft ein, verängstigt von der Dunkelheit und der Enge der Gasse, in der es nach menschlichen Exkrementen stank. Meine Instinkte warnten mich unüberhörbar davor weiterzugehen. Doch statt umzukehren, packte ich Savgas Hand fester und zerrte sie in die Dunkelheit hinein.

Vor uns huschte eine Ratte durch die Gasse. Eine heruntergekommene Gestalt lag schnarchend auf dem Boden. Savga wimmerte.

»Wir sind fast da, geh einfach weiter«, murmelte ich.

Wir erreichten die Hauptstraße der Bayen. Der schlanke Mann hatte offenbar seine beiden weiblichen Schatten nicht bemerkt und betrat den Garten eines mit Blüten überwucherten Hauses, das hell erleuchtet war.

»Schnell«, sagte ich. Mein Puls raste. Ich konnte den Ruf des Giftes beinahe hören. Ich zerrte Savga weiter, die mir stolpernd folgte, während mein Blick keine Sekunde von dem Haus wich, das von Licht und Musik erfüllt war.

An der staubigen Einfahrt des Hauses hielt ich inne. In der Dunkelheit wirkte die weiße Fassade unheimlich, gespenstisch. Die Lichter, die in jedem Raum brannten, warfen schwache Schatten über die zahlreichen Rikschas, die in kunterbuntem Durcheinander vor dem Haus standen, über den von Blättern übersäten Springbrunnen, der aussah, als wäre noch nie Wasser aus ihm in die Höhe gesprudelt. Von den Balkonen im Obergeschoss des Hauses hingen üppige Blumen herab, die in der Dunkelheit schwarz aussahen. Der Geruch von gerösteten Zwiebeln und Wild hing in der Luft. Aus den offenen Fenstern des Anwesens drangen Gelächter, berauschender Rauch und die Musik von Zimbeln und Flöten.

Offenbar war hier eine Feier in vollem Gang. Ich vermutete, dass entweder der Gastgeber oder einer seiner Gäste Gift zu der Festlichkeit mitgebracht und Yimtranus Bote irgendwie davon erfahren hatte.

»Hinten herum, zum Dienstboteneingang«, murmelte ich.

»Savga, bleib stumm, auch wenn jemand dich anspricht, verstanden?«

Ihre Augen wirkten wie schwarze Knöpfe, und ihre kleine Brust hob und senkte sich unter ihren angestrengten Atemzügen. Sie spitzte die Lippen und nickte. Sie zitterte. Ich packte ihre Hand, hob den Kopf, straffte die Schultern und marschierte die Auffahrt hinauf.

Unter unseren Füßen knirschten Kieselsteine. Die Rikschafahrer blickten von ihrem Würfelspiel hoch. Ich ignorierte sie und setzte meinen Weg zur Rückseite des Hauses fort.

Eine Bayen auf einem Balkon kicherte und wehrte sich gegen die gierigen Hände eines Adligen. Aber ihr Kichern hatte einen scharfen, atemlosen Unterton, und ihr Kampf gegen seine Aufdringlichkeit wirkte echt, nicht nur gespielt. Er zog sie aus.

»Geh weiter«, murmelte ich Savga zu.

Wir bogen um die Ecke zur Rückseite des Hauses und blieben abrupt stehen. Vor uns auf dem Hof befand sich eine offene Küche, in der ein geschäftiges Treiben herrschte. Unter Bratspießen loderten Feuer. Djimbi hackten Holz, Frauen arbeiteten geschäftig an Ziegelöfen und aufgebockten Tischplatten. Messer blitzten, und überall flogen Federn von gerupften Vögeln herum. Kinder rannten hierhin und dorthin, trugen Stangen mit toten Singvögeln und schleppten Wassereimer. Ein Geruch von heißem Teig, kochendem Knoblauch, menschlichem Schweiß und bratendem Fleisch umhüllte uns. Savga wich zurück.

Hastig ließ ich meinen Blick über die Szenerie gleiten. Der schlanke Mann war uns entkommen.

Ich stieß einen Fluch aus, wiederholte ihn. Aber noch würde ich nicht aufgeben. Ich zog Savga weiter.

Junge Rishi-Frauen, allesamt Senemeis, trugen mit Speisen beladene Platten von der Außenküche über eine kurze Treppe hinab ins Haus. Sie trugen saubere Bitoos aus reinem, weißem Leinen, und die Kurven ihrer Brüste und Hüften zogen die Blicke auf sich, wenn sie gingen. Mein Bitoo konnte sich kaum mit den ihren messen, und ebenso wenig vermochte mein schlanker, harter Körper mit ihren weichen Kurven mitzuhalten … aber ich wollte verdammt sein, wenn mich das aufhielt.

Vollkommen unverfroren marschierte ich zu einem der Tische und griff nach einer Platte. Eine große, schwitzende Djimbi arrangierte gerade rohe Paprika und in Würfel geschnittene Eier um einen ganzen gerösteten Leguan, der eine verkohlte Mango in seinem aufgerissenen Maul hielt.

Ich nahm die Platte hoch, noch während die Frau weitere Eier darauf platzierte.

»Sie ist noch nicht fertig!«, fuhr sie mich an, wischte sich mit dem Arm über die Stirn und hinterließ dabei einen Rußfleck.

»Mein Herr verlangt jetzt danach.« Ich hob gebieterisch das Kinn. »Dieses Mädchen und ich bieten ihm eine besondere Art von Vergnügen, auf das er beim Verzehr von geröstetem Leguan großen Wert legt. Er wartet bereits viel zu lange darauf.«

Die große Frau blickte mit einer Mischung aus Verachtung und Mitleid von mir zu Savga und kehrte uns dann den Rücken zu. Sie war zu beschäftigt, um sich mit einem Streit aufzuhalten.

»Bleib dicht bei mir, Savga«, zischte ich, während wir uns durch das Getümmel wanden und die feuchte Treppe hinab in das hell erleuchtete Haus gingen. Savga umklammerte mit einer Hand meinen Bitoo, während sie mir folgte.

Ich vermutete, dass die Schlafgemächer im Obergeschoss des Hauses lagen. In meiner Jugend hatten einige der anzüglichen Lieder, die die Frauen des Danku Re bei ihrer Arbeit in der Töpferwerkstatt gesungen hatten, von solchen Bayen-Feiern gehandelt. Wir Kinder spielten später das skandalöse Benehmen der betrunkenen Reichen nach und verwandelten in unserer Phantasie unsere geheimen Verstecke auf dem Töpfergelände in die Bettkammern der Aristokraten.

Sollte man hier nun gegen das Gesetz verstoßen und Gift nehmen, würde ich es oben finden, neben den Betten in den Privatgemächern.

Im Haus gab es noch eine Küche, in der sich Rishi drängten. Töpfe klapperten, Rauch lag in der Luft, und durch die allgemeine Kakophonie hallten gebrüllte Befehle. Ich hielt die Platte hoch über meinen Kopf, drängte mich durch das Gewimmel und folgte einer der weiß gekleideten Senemeis, die ebenfalls eine mit Speisen beladene Platte trug. Ohne es zu wissen, führte sie mich durch das Chaos der Küche zu einer Treppe. Wir stiegen hinauf, an die Wand gedrückt, um einem Strom von weiß gekleideten jungen Frauen Platz zu machen, die mit leeren Platten herunterkamen.

Oben an der Treppe standen zwei große, muskulöse Rishi-Männer Wache. Sie trugen lächerlich wirkende rote Turbane und dazu passende Lendenschurze. Sie hatten sich rechts und links neben der Treppe aufgebaut, die Arme verschränkt, die dicken Beine gespreizt, die Rücken uns zugewandt. Ich ging weiter.

Am oberen Ende der Treppe blieb ich stehen und trat hinaus in das Licht und die Hitze hunderter Kerzen, die in einem gläsernen Leuchter brannten, der von der gewölbten Decke herabhing. Bayen beiderlei Geschlechts tummelten sich in eleganten Roben unter diesem gewaltigen Leuchter, während Rishi-Kinder in winzigen eisernen Käfigen, die ebenfalls von der Decke herunterhingen, mit großen Federfächern den Aristokraten, die sich unter ihnen ergingen, Luft zufächerten.

Eine fleischige Hand packte meinen Oberarm und hielt mich fest.

»Kein Zutritt!«, sagte einer der hünenhaften Djimbi, die die Treppe bewachten. Seine Miene war von unerbittlicher Gleichgültigkeit, als er mich ansah. In seiner Unterlippe trug er einen goldenen Ring.

Hochmütig hob ich den Kopf und wiederholte die Lüge, die ich der Djimbi in der Küche aufgetischt hatte.

Die schwarzen Augen des Wächters blieben starr. »Kein Zutritt.«

»Du weißt wohl nicht, wem du da den Zutritt verwehrst«, erwiderte ich eisig. »Ich bin die Wai-Ebani des Wai Vaneshor. Er hat mich, dieses Mädchen und diese Speise zu sich bestellt, und er erwartet …«

»Kein Zutritt.«

Innerlich bebte ich. Aber von dem Wissen getrieben, dass ich einer Quelle des Giftes nah war, so nah, machte ich weiter.

»Du kannst mir den Zutritt nicht verbieten!« Ich erhob meine Stimme. Die weißgekleideten Djimbi-Frauen warfen mir verstohlene Seitenblicke zu, ehe sie hinter mir die Treppe hinabstiegen. Und auch ein Bayen und seine Begleiterin drehten sich um und blickten stirnrunzelnd zu uns hinüber.

Der Muskelberg, der mich immer noch erbarmungslos festhielt, wandte sich um und beugte seinen Stiernacken zu einem sehr jungen Rishi-Mädchen hinab, das nicht älter als acht Jahre sein konnte und an der Seite der Treppe saß. Es war ebenfalls in Weiß gekleidet und trug einen furchtsamen Ausdruck auf dem Gesicht.

Er blaffte ihr etwas zu. Sie sprang auf und rannte geschickt durch das Gewühl der Aristokraten.

Wenn Drachenjünger Gen nicht anwesend war – und es gab keinen Grund anzunehmen, dass er hier war -, würde mir nicht nur der Zugang zu dem Haus und damit zu dem Gift verwehrt, das in diesen vornehmen Wänden versteckt war, sondern ich würde wegen meiner Lüge und meines Eindringens hart bestraft werden.

So wie auch Savga, die hinter mir stand.

Als wäre eine Glasscheibe, die mich bis jetzt umgeben hatte, zerplatzt, erkannte ich zum ersten Mal an diesem Abend das Ausmaß meines Wahnsinns.

Ich drehte mich zu Savga um. Lauf, befahl ich ihr lautlos.

Ihr Griff um meinen Bitoo verstärkte sich, und sie schob trotzig die Unterlippe vor, während ihr die Angst deutlich anzusehen war. Dennoch schüttelte sie den Kopf.

»Verflucht seist du, Savga. Geh. Lauf so schnell, dass man dich nicht fangen kann. Du weißt, wohin du gehen musst.«

Der Muskelberg ließ sich nicht anmerken, ob er meine Worte gehört hatte. Zum Glück war er ein Djimbi und würde dem kleinen Mädchen hinter mir erlauben, meinem Schicksal zu entrinnen. Falls sie genug Verstand besaß, es überhaupt zu versuchen.

»Savga …«, zischte ich, aber die Hand um meinen Arm riss mich herum.

Ich starrte in die Augen von Rutgar Re Ghepp.

Sein dunkles Haar war leicht zerzaust, und die vollen Lippen in seinem elfenbeinfarbenen, vornehmen Gesicht waren vor Erstaunen leicht geöffnet. Seine walnussbraunen, mit goldenen Punkten gesprenkelten Augen verdunkelten sich jedoch rasch, als er seine Überraschung überwand.

Da er mich betrachtete, blähten sich seine Nasenflügel wie die eines aufgeregten Drachen. Dann blickte er weg. Ich glaube, wir erinnerten uns beide an unser letztes Treffen auf einem Hof voller toter Inquisitoren. Hinter Ghepp hatte sich eine Schar von Aristokraten versammelt und starrte mich angewidert und empört an.

Ghepp blickte zu dem Muskelberg, der mich festhielt. »Schaff sie nach draußen«, befahl er kühl. »Zwei meiner Paras bringen sie in den Kerker. Ich werde mich später um sie kümmern.«

Hinter mir spürte ich plötzlich eine schnelle Bewegung.

Ich wagte nicht, über die Schulter zu blicken, weil ich die Aufmerksamkeit nicht auf das sechsjährige Mädchen lenken wollte, das hinter mir durch das dichte Gedränge auf der Treppe flüchtete.

 

Zwei Paras führten mich über die Hauptstraße. Ich musterte sie mit einem kurzen Seitenblick. Einen erkannte ich; es war der, welcher mir Gens Unterpfand in die Hand gedrückt hatte, damals, als Savga und ich vom Arbiyesku weggeführt worden waren. Seine Gegenwart beruhigte mich ein wenig, obwohl seine zusammengebissenen Zähne und seine Weigerung, mir in die Augen zu sehen, für mich auch Alarmzeichen waren.

Die beiden führten mich zu der dunklen Gasse, durch die Savga und ich kurz zuvor gerannt waren. Wo sie wohl stecken mochte? Ich betete, dass sie klug genug gewesen war, zurück zu Yimtranus Hütte zu laufen, um dort die Nacht abzuwarten und erst am nächsten Morgen zu ihrem vertrauten Arbiyesku zu flüchten.

Es tut mir leid, Savga. Verzeih mir.

Mutterlos und trauernd hatte ich sie direkt in die Gefahr geführt. Sie war jetzt wahrhaftig allein, und es schüttelte mich, als ich mir vorstellte, wie sie sich, klein und schwach, durch diese dunklen Gassen kämpfen musste. Ein Betrunkener, ein Rudel hungriger Hunde oder ein Mann mit primitiven Bedürfnissen und ohne irgendwelche Skrupel könnte sich mit Leichtigkeit über sie hermachen und ihr den Tod bringen. Es widerte mich an, dass ich sie in diese schreckliche Lage gebracht hatte. Sie war doch erst sechs Jahre alt.

Auf Befehl eines der mich flankierenden Paras wurde das riesige Eisengitter vor dem Kerker der Drachenjünger geöffnet, und ich wurde hineingeführt. Wir gingen über eine bucklige Steinbrücke, dann eine feuchte Treppe hinauf, durch zwei große, glänzende Türen aus gehämmertem Zinn, einen von Fackeln beleuchteten Gang entlang, durch den der erstickende Geruch von Weihrauch waberte, an weiteren gehämmerten Zinntüren und etlichen Drachenstatuetten vorbei, die in Nischen in den weißen Steinwänden standen. Mehrfach begegneten wir Drachenjüngern oder Akolythen, die sich hastig in eine dieser muschelförmigen Nischen flüchteten, damit wir weitergehen konnten.

Man führte mich wortlos in den stickigen, mit Kissen überladenen Raum, wo ich Drachenjünger Gen in seiner Verkleidung als Wai Vaneshor zum ersten Mal begegnet war. Die Tür schloss sich mit einem Knall hinter mir. Dann wurde von außen mit einem metallischen Schaben ein Riegel vorgeschoben. Ich stellte mir vor, wie die Paras zu beiden Seiten der Tür Stellung bezogen.

Ich ließ mich auf einem Haufen klumpiger Kissen nieder, aus denen eine Staubwolke aufstieg. Ich hustete, nieste und starrte auf die Öffnung des Fensterschachts hoch oben an der gegenüberliegenden Wand. Es war schrecklich heiß in dem Raum, und ein übler Geruch lag in der Luft. Als hätte sich ein Vogel oder eine Maus hierher verirrt und wäre gestorben.

Dunkle Schatten glitten gemächlich an der düsteren Wand entlang, während die Nacht verstrich. Mein Bitoo klebte verschwitzt an meinem Körper. Meine Schläfen pulsierten schmerzhaft. Ich war förmlich ausgetrocknet. Der Druck der bleiernen Wolken schien sich auf meinen Nacken zu legen, als wollte die Luft mich zwingen, vor ihr auf die Knie zu gehen. Der Himmel stöhnte, schwanger von Regen.

Ich wartete und betete unaufhörlich und lautlos, dass Savga bei Yimtranu in Sicherheit war.

In der Dunkelheit wirkten die Kissen wie missgebildete Kreaturen, die mich lauernd beobachteten. Einen Moment überkam mich die schreckliche Vorstellung, ich wäre wieder in den Gemächern der Viagand, eingekerkert in dem verborgenen Gefängnis des Tempels, und alles andere wäre nur ein Traum gewesen; meine Flucht, meine Rückkehr zu den Stallungen des Drachenmeisters, mein Kampf in der Arena, meine Zeit im Arbiyesku von Xxamer Zu.

»Sei nicht albern!«, knurrte ich mir zu. Zitternd stand ich auf und watete durch das Kissenmeer, um in einer Ecke zu urinieren.

Draußen donnerte es. Der Knall war so heftig, dass meine Backenzähne vibrierten. Ich zog meinen Bitoo von meiner Haut und versuchte mir damit Kühlung zuzuwedeln. Das funktionierte nicht. Ich lehnte mich an eine Wand und sank mit gespreizten Beinen daran herunter. Ich fühlte mich wie eine schmelzende Kerze.

Schließlich hörte ich Geräusche vor meiner Tür. Jemand gab knappe Befehle. Dann klirrte ein Riegel, und die Tür schwang auf. Ich erhob mich.

Das Licht einer Laterne fiel in den Raum. In ihren Strahlen tanzte funkelnd der Staub. Eine Silhouette trat ein, ein Mann, und hinter ihm schloss sich die Tür klickend.

Langsam gewöhnten sich meine Augen an die Helligkeit. Ghepp stand vor der verschlossenen Tür und hielt die Laterne hoch. Er hatte mich noch nicht gesehen. Ich trat vor. Laterne und Silhouette drehten sich in meine Richtung.

»Ich hätte dich für intelligenter gehalten«, sagte Ghepp. Er sprach abgehackt, als würde er in eine saure Zitrone beißen. Und seine Stimme klang heiser, als hätte er die ganze Nacht mit jemandem gestritten.

Ich näherte mich ihm, wobei ich darauf achtete, nicht über diese verdammten Kissen zu stolpern, die den Boden wadenhoch bedeckten. Als wir voreinander standen, schwiegen wir einen Moment.

»Was hattest du vor?«, fragte er leise.

»Ich habe nach Gen gesucht …«

»Um noch mehr Chaos anzurichten, wie mit deiner dummen Forderung, dass ich vom Sklavenhandel Abstand nehmen sollte?«

Ich zwang mich, nicht die Fäuste zu ballen, ihm nicht hitzig zu antworten. »Bayen Hacros, ich möchte Euch an Euer Ziel erinnern. Der Handel mit Sklaven wird überflüssig sein, sobald ich das Geheimnis in Erfahrung gebracht habe, wie man Drachenbullen in Gefangenschaft züchtet. Wenn Ihr schneller einen giftigen Drachen besorgen könntet, würden wir uns auch diesem Ziel schneller nähern.«

Die goldenen Punkte in Ghepps Augen funkelten im Licht der Laterne. »Hast du vergessen, mit wem du sprichst?«

»Verzeiht mir, Bayen Hacros«, erwiderte ich ruhig und senkte kurz den Blick, bevor ich ihm wieder in die Augen sah. »Aber vielleicht vergesst Ihr ja, mit wem Ihr redet.«

»Du überschätzt dich, Rishi Via.«

»Ihr unterschätzt mich.« Ich musste mich zusammenreißen, damit meine Stimme nicht zitterte. »Ich bin die Dirwalan Babu.«

»Ah. Ruf mir doch kurz in Erinnerung, was genau das ist.«

»Ihr habt den Himmelswächter gesehen, über den ich verfüge. Ihr wisst, was ich damit tun kann.«

»Ich habe diese Kreatur einmal gesehen, in der Brutstätte meines Bastards von einem Bruder. Ich habe diese Kreatur noch nie dort auftauchen sehen, wo er sich nicht befindet.«

Ich starrte ihn an. »Ihr glaubt, Kratt lenkt den Himmelswächter?«

»Ich habe guten Grund, das anzunehmen.«

»Das ist lächerlich …«

»Nein!«, fuhr er mich an. Unvermittelt fiel mir wieder ein, was Drachenjünger Gen über ihn gesagt hatte. Man muss sehr vorsichtig vorgehen, wenn man mit einem Mann wie Ghepp zu tun hat, einem Mann, der Furcht vor Größe hat, aber dennoch davon träumt. »Gestern hat mein Bruder den Lupini von Brutstätte Cuhan abgesetzt und die gesamte Familie des Lupini eingekerkert. Der Tempel hat das Vorgehen meines Bruders gutgeheißen. Weißt du, warum?«

Plötzlich war nicht mehr genug Luft in der Kammer. Ich musste mich setzen, musste fort.

Das heiße Licht der Laterne fiel über Ghepps Gesicht. »Ein Himmelswächter wurde in Brut Re gesichtet. Laut meinem Bruder hat diese Kreatur dich verlassen, um Kratt in seinem Kampf zu unterstützen und Malacar von deiner Gegenwart zu befreien. Er behauptet, Lupini Cuhan wäre dein Verbündeter gewesen. Das lieferte ihm einen legitimen Grund, sich Cuhans zu entledigen, heho!«

Waivia hatte den Geist meiner Mutter zu Kratts Gunsten eingesetzt.

»Wo ist dein anderweltlicher Vogel jetzt?«, fuhr Ghepp fort. Seine Worte klangen wie Peitschenhiebe. »Warum warte ich immer noch darauf, ihn in meiner Brutstätte zu sehen? Warum ist er nicht aufgetaucht, als die Heerschar des Tempels dich angegriffen hat?«

»Es gab keinen Himmelswächter in Brut Re«, erwiderte ich heiser. »Euer Bote hat Euch nur Propaganda von Kratt …«

»Ruf deinen Himmelswächter. Zeig mir deinen anderweltlichen Vogel.«

»Wir brauchen ihn nicht.«

Ghepp legte den Kopf auf die Seite, was eine Hälfte seines Gesichts in Schatten tauchte. Ich starrte auf einen einäugigen Mann, eine Kreatur mit nur einem halben Gesicht. »Ich erinnere mich daran, dass Kratt dich einmal gezwungen hat, den Himmelswächter zu rufen, damals in Brut Re. Er hat dich auspeitschen lassen. Soll ich das auch tun?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Dann ruf deinen Vogel. Wir werden ihn brauchen, wenn Kratt kommt, um sich diese Brutstätte ebenfalls zu holen.«

»Das wird er nicht tun!«

»Ruf deinen verdammten Vogel!«

»Das kann ich nicht!« Ich musste mich zwingen, seinem Blick standzuhalten. »Gen hat mich gezwungen, meine Fähigkeit, den Himmelswächter zu rufen, mit ihm zu teilen, meine Macht über ihn zu teilen. Ich kann ihn nur rufen, wenn er dabei ist.«

Ghepp verzog angewidert die Lippen. »Wie passend, dass er gerade nicht hier ist.«

»Er ist … nicht hier?«

Ghepp wirbelte auf dem Absatz herum und ging zur Tür. Er riss sie auf und deutete abrupt mit seiner Laterne auf mich. Die Schatten tanzten wie verrückt gewordene Pendel über die Wände.

»Schafft sie in eine Zelle!«, befahl er den Wächtern vor der Tür. »Und kein Wort zu niemandem.«

 

Nur aufgrund des grauen Lichts, das unter der schweren Holztür in meine Zelle sickerte, konnte ich vermuten, wann es Tag war und wann Nacht.

Dämmerung.

Dunkelheit.

Dämmerung.

Dunkelheit.

Noch mehr Dämmerung und noch mehr Dunkelheit.

Vier Tage verstrichen.

Dann war ich überzeugt, dass man mich in dieser unterirdischen Zelle vergessen hatte. Ich hörte kein Husten, kein Murmeln, kein Schnarchen außerhalb meiner Zelle, und ich hatte keine Schatten von jemandem gesehen, der vor meiner Zellentür auf und ab ging, kein Licht von Fackeln, das durch den Türschlitz fiel. Die Soldaten hatten mich einfach in diese steinerne Zelle gesteckt, die Tür hinter sich verriegelt und waren gegangen, die feuchte Treppe hinaufgestiegen, über die sie mich hinabgeführt hatten.

Bis auf Ghepp waren sie die Einzigen, die wussten, wo ich war. Der Gedanke war alles andere als tröstlich.

Ich schlief. Ich wachte. Ich maß die Länge und Breite meiner Zelle anhand der Länge meines Fußes. Ich dachte an Savga und betete, dass sie den Weg zurück in ihren Arbiyesku gefunden hatte und bei Oblan und Runami in Sicherheit war. Ich fragte mich, warum wir nicht an dem Tag, als wir versklavt wurden, in diese Zellen gebracht worden waren. Ich konnte mir die verschiedenen Gründe nur ausmalen. Weil man uns hatte nach Diri fliegen wollen, um uns am nächsten Tag einzutauschen; weil in dem Drachenstall Wasser vorhanden war, wohingegen in dieser Kerkeranlage Akolythen schwere Eimer die feuchten Treppen hätten herunterschleppen müssen. Das wäre sehr mühsam gewesen. Außerdem wussten nur sehr wenige Menschen um diese Verliese.

Der letzte Grund schien mir der wahrscheinlichste zu sein. Ghepp wollte mich nicht nur einkerkern, sondern auch verstecken. Er wollte mich irgendwo festsetzen, wo ich sterben und verfaulen konnte, ohne dass es jemandem auffiel, falls Drachenjünger Gen nicht wieder zurückkam und mich als die prophezeite Frau der Macht und der Veränderung verteidigte.

Ich versuchte nicht daran zu denken, dass dies passieren, dass ich in der Zelle verrecken würde, und ebenso bemühte ich mich, alle Gedanken an Kratt und meine Schwester zu vermeiden. An Hunger und Durst dachte ich ebenso wenig und auch nicht daran, dass nur mein wahnsinniges Verlangen nach Gift mich in dieses Verlies geführt hatte. Aber weil ich versuchte, nicht an mein Verlangen nach Gift zu denken, konzentrierte ich mich immer mehr darauf.

Ich dachte an das Lied der Drachen, an die sublimen Mysterien, die ich erfahren hatte, als ich es hörte, und an die Sehnsucht nach etwas, was so weit außerhalb meiner Reichweite war, und die so mächtig gewesen war, dass ich verzweifelte. Mein Kopf tat weh. Ich litt unter Magenkrämpfen, ich zitterte, schwitzte. Ich begann zu würgen, erbrach mich. Der Durst wütete in mir.

Als diese Entzugserscheinungen langsam abgeklungen waren, eine Stunde oder einen Tag später, was spielte das für eine Rolle, schleppte ich mich in eine Ecke des Verlieses und sehnte mich nach Bewusstlosigkeit.

Schritte ertönten vor meiner Tür.

Der hölzerne Riegel glitt mit einem rauen Schaben zurück. Die Angeln quietschten wie Kreide auf Schiefer. Das Licht einer Fackel flackerte auf dem Boden meiner Zelle.

Jemand kam herein.

Es war ein Soldat, das erkannte ich an den beiden doppelten Knoten über seiner Stirn. Er bückte sich, stellte einen Krug mit Wasser auf den Zellenboden und ließ etwas daneben fallen, vielleicht eine geröstete Kadoob-Knolle.

Dann richtete er sich langsam auf. Er war groß, so groß wie ein Bär, und füllte die ganze Tür aus. Es war keiner der beiden, die mich in diese Zelle geführt hatten. Seine Brust hob und senkte sich langsam unter seinen Atemzügen. Er wartete, bis sich seine Augen auf die Dunkelheit eingestellt hatten.

Kein Wächter bringt weiblichen Gefangenen tief in der Nacht etwas zu essen, nachdem er sich tagelang nicht um sie gekümmert hat, es sei denn, er hat dafür ein besonderes Motiv. Ich rührte mich nicht.

Er grunzte, als er meine Gestalt erkannte, und trat die Tür dann hinter sich zu.

»Komm her, Rishi Via.« Er hob seinen ledernen Lendenschurz und zog seinen Phallus heraus, einen fleischigen Prügel, der sich deutlich gegen das schwarze, gegerbte Leder seiner Uniform abhob.

Ich atmete schneller. Er stand da. Offenbar erwartete er, dass ich gehorchte.

Besser, du tust es, sagte eine müde Stimme in mir. Wenn du dich wehrst, wird er dich bewusstlos schlagen und dann sein Verlangen stillen. Gehorsam erspart dir zumindest die Prügel.

Langsam stand ich auf und lehnte mich an die Wand. »Soll ich mich ausziehen?«, fragte ich tonlos.

»Nein.« Er stieß seinen Phallus vor, als könnte er so den Abstand zwischen uns verkleinern und mich gleichzeitig damit anspornen. »Komm einfach her, heho. Sofort!«

Ich schlurfte zu dem Wächter, kniete mich vor ihn hin und umfasste sein Glied.

»Mit dem Mund«, knurrte er. Aber er sprach nicht mehr mit mir, denn ich war nicht mehr da. Die Person, die ich so geschätzt hatte, war in dem Moment verschwunden, als ich ein verwaistes, sechsjähriges Mädchen auf der Suche nach Gift in die Nacht hinausgeführt hatte. Nicht ich spürte seinen klebrigen, ungewaschenen Schwanz, nicht ich roch den Gestank nach Algen, während ich mit der Hand seinen Schwanz massierte.

Er stöhnte und bewegte die Lippen. Sog die Luft ein, packte mein Haar. »Mit dem Mund, Hure, mit deinem Mund!«

Es war nicht ich, die ihre Lippen um ihn schloss.

Ich war nicht da.

Plötzlich jedoch war ich irgendwo anders: in den Gemächern der Viagand, wo ich monatelange Demütigungen hatte ertragen müssen, wo ich mitbekommen hatte, wie die eingekerkerten Frauen immer wieder vergewaltigt und misshandelt worden waren. Einige von ihnen waren vor meinen Augen gestorben.

Wut explodierte in mir. Ich biss zu.

Sein Brüllen dröhnte durch den Kerker, aber ich ließ nicht los, nicht einmal, als sich mein Mund mit dem kupfernen Geschmack von Blut füllte. Er riss an meinem Haar, versuchte mich von sich wegzuziehen. Ich gab dem nach, ohne jedoch die Kiefer zu öffnen, riss Haut und Fleisch ab, als mein Kopf zurückruckte. Genauso schnell rammte ich ihn wieder vor, in seine blutenden Lenden. Er ließ mich los und presste die Hände schützend vor seine Weichteile, während die Luft pfeifend aus seinen Lungen wich.

Als er zurücktaumelte, griff ich hastig nach dem Wasserkrug, den er neben die Tür gestellt hatte. Ich sprang hoch, holte mit beiden Händen aus und schlug ihm den Krug mit aller Kraft gegen die Schläfe.

Er stolperte zur Seite, und seine Beine wurden weich. Mit blutüberströmter Hand fasste er das Ohr, das ich getroffen hatte. Ich schmetterte ihm den Krug ins Gesicht, ließ ihn fallen und riss die Tür auf.

Dann schlug ich sie hinter mir zu und schob ungeschickt den hölzernen Riegel vor.

Einen Moment blieb ich schwer atmend vor der Tür stehen, während mein Herz wie wild raste. Heulend warf sich der Soldat mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür. Ich sprang zurück. Erneut krachte es. Der Riegel, den ich vorgeschoben hatte, knarrte bedrohlich.

Ich riss die Fackel aus der eisernen Wandhalterung und lief los.

Ich lief den kurzen Gang entlang, die feuchte, kühle Treppe hinauf, deren Schatten im Licht der Fackel übergroß über mir drohten.

Mir schwindelte, als ich schließlich den obersten Treppenabsatz erreichte und auf einen kleinen Hof hinaustrat. Hier war alles still und dunkel unter nächtlichem Himmel. Einige Männer erwarteten mich bereits. Ich erstarrte vor Angst.

Sie rührten sich nicht. Ich ebenfalls nicht. Die Zeit verstrich wie eine Ewigkeit. Die Luft war so schwer wie nasse Baumwolle, der Wind wehte nur sacht. Über mir donnerte es.

Plötzlich wurde mir klar, dass diese Silhouetten Steine waren, die in unmöglichen Winkeln auf ihren schmalen Rändern standen. Dann erkannte ich den Hof. Savga und ich waren hier entlanggekommen, am Tag unserer Entführung. Hier hatte ein Akolyth gekniet und sich ekstatisch ausgepeitscht.

Ich warf die Fackel die Treppe hinter mir hinab und machte mich auf den Weg zum anderen Ende des Hofes, schlich an den Wänden entlang und verschmolz mit dem Schatten.

Plötzlich blieb ich stehen.

Warum sollte ich den Schrecken der Arena ertragen und überlebt haben, nur um die Brutstätte, die ich so sehr gewollt hatte, einem Mann in die Hand zu geben, der sich nicht um Gerechtigkeit für die Rishi kümmerte, die er regierte? Einem Mann, der mich beim ersten Anzeichen von Ärger mit seinem Halbbruder in eine Zelle warf?

Ich wollte verdammt sein, wenn ich meiner Furcht noch länger erlaubte, mein Handeln zu bestimmen. Von jetzt an würde ich mir meine eigenen Gesetze schaffen. Warum so weit gekommen sein und dann auf halbem Wege stehen bleiben? Besser wäre es, in einem glühenden Feuer zu vergehen.

Keine Halbheiten mehr. Das würde von jetzt an mein Leitprinzip werden.

Mein überschäumendes Temperament würde meine Stärke sein. Meine unmöglichen Träume mich führen. Ich würde nicht mehr zögern. Und ich würde auch dem primitiven Verlangen meines Körpers nach Gift nicht mehr nachgeben.

Nein.

Keine Halbheiten mehr.

Das Gift der Drachen Drachen3
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