4

Die Angehörigen des Arbiyesku trotteten kurz vor Mit ternacht auf den Hof.

In der Dunkelheit suchte ich Fwipi. Tansans Säugling schlief unruhig in der Schlinge auf ihrem gebeugten Rücken. Fwipis Schultern waren eingefallen, und sie hatte die schweren Lider über ihre entzündeten Augen gesenkt, als sie mit einem bloßen Nicken meine heisere Schilderung der Geschehnisse kommentierte. Ein dunkelhäutiger Djimbi, der einen der Karren an einem Joch zog, das er sich auf die Schultern gelegt hatte, fluchte, als er meine Worte hörte. Er warf das Joch ab und schritt davon.

Ich fragte mich, in welcher Beziehung er wohl zu Tansan stand.

Fwipi sah ihm nach, bis er in einer dunklen Hütte verschwunden war, während ich eine zusammenhanglose Entschuldigung stammelte.

»Sie musste ihnen gefügig sein, Kazonvia, ob mit dir oder ohne dich.« Sie spie in den Staub. »Ihre Schönheit ist ein Fluch!«

Der dichte, stechende Rauch von dem Drachendung, den ich als Brennmaterial in der Kochgrube benutzte, quoll langsam zu dem endlosen Sternenozean über uns hinauf. Kinder wimmerten schlaftrunken, als Mütter und Tanten sie von den stinkenden Karren des Arbiyesku hoben, ihnen ihre dürftige Kleidung auszogen und im Dunkeln ihre zitternden Körper schrubbten.

»Muss Tansan oft mit den Adligen gehen?«, wollte ich wissen.

»Einmal ist oft.« Fwipi suchte müde meinen Blick. »Nach mehr als einem Mal zählt man nicht mehr.«

Ich fragte nicht weiter.

Die Suppe, die ich unter Savgas Anleitung kochte, war so zäh wie Paste und so geschmackvoll wie Staub. Doch es beschwerte sich niemand. Alle waren erschöpft bis auf die Knochen und hatten keine Kraft mehr zum Reden. Als wir fertig gegessen hatten und nachdem die Karren mit Sand gesäubert, wieder ins Lagerhaus geschoben, Babys gewickelt, gestillt und in den Schlaf gewiegt worden waren, legte sich Savga in dem Frauenhaus neben mich.

Ich war über ihre Entscheidung ebenso erschrocken wie dankbar. Es wäre unerträglich gewesen, hätte Savga mich wegen des Verschwindens ihrer Mutter verachtet.

Auf ihre Bitte hin streichelte ich ihr den Rücken, bis sie einschlief.

Tansans Baby wimmerte vor Hunger und nuckelte nur kurz an der Brust einer anderen Frau; sein klägliches Schreien hielt mich in dieser kühlen Nacht lange wach. Als ich endlich einzuschlafen wagte, träumte mir, ich fiele in einen gähnenden Schlund, und ich erwachte mit hämmerndem Herzen. Als die Morgendämmerung aufzog, war ich aufgeregt und erschöpft, und in diesem nervösen Zustand beschwor ich die Erinnerungen an meine Kindheit in Brut Re, versuchte herauszufinden, ob dieses »Netzeauswerfen« auch dort übliche Praxis gewesen war.

Xxamer Zu war im Vergleich zur Größe und Bevölkerungsdichte Res nur ein Nest, also war es durchaus vorstellbar, dass es auch dort dieses »Netzeauswerfen« gegeben hatte, nur dass es nicht so oft vorgekommen war, denn das Gelände meines Geburtsclans war eine halbe Tagesreise von den Bayen-Anwesen der Brutstätte entfernt gewesen. Aber ich konnte mich an keinen solchen Vorfall in Re erinnern. Ich musste Ghepp sagen, dass er dieser Praxis in Xxamer Zu ein Ende bereiten musste. Und zwar augenblicklich.

Am nächsten Morgen schälten Savga und ich die restlichen schrumpeligen Coranüsse der letzten Ernte, damit sie zu Paste verarbeitet werden konnten. Bis auf einige alte Frauen, die Garn aus zerstoßenen Jutefasern spannen, und zwei alte Männer, die die Messer einiger Mahlwerke schärften, waren Savga und ich allein auf dem Hof. Nachdem die Angehörigen des Arbiyesku mit düsteren Mienen die Reste des gestrigen Abendessens zum Frühstück verzehrt hatten, waren sie mit Hacken und Handpflügen auf die trockenen Felder getrottet, die das Gelände wie ein Flickenteppich umgaben.

Eine der alten Frauen war Tiwana-Tante, eine furchteinflößende Bucklige mit einer Stimme, die wie Geröll klang, das einen Berg hinunterprasselte. Sie war Fwipis älteste Schwester und so verrunzelt wie eine uralte Feige.

Plötzlich spannte sich Savga neben mir an wie ein Hund, der ein Wiesel wittert. Sie sprang so hastig auf, dass die Coranüsse in alle Richtungen davonflogen und auf der staubigen Erde landeten. Tansan betrat den Hof auf demselben grasigen Pfad, auf dem gestern Abend die Rikscha aufgetaucht war. Hinter ihr in der dunstigen Ferne schimmerte die gigantische Kuppel des Tempels von Xxamer Zu wie ein riesiges Drachenei.

Tansan hob eine Hand, als wollte sie ihre Tochter abwehren. Savga blieb daraufhin unsicher stehen. Dann sprach Tansan mit ihr und legte ihr eine Hand auf den Kopf. Wortlos kamen die beiden näher.

Auf dem Weg zum Frauenhaus musste Tansan dort vorbeigehen, wo ich im Schatten der Baracke saß. Sie ging langsam, unterdrückte ihren Schmerz und hielt sich mit der anmutigen Wildheit einer Kreatur aufrecht, die man niemals fangen kann. Sie würdigte mich keines Blickes, und auch ich vermochte sie nur kurz anzusehen. Sie war ebenso zerschunden wie ich. Der fischige Geschmack der Suppe, die ich gefrühstückt hatte, brannte in meiner Kehle.

Erneut fiel mir Tansans Ähnlichkeit mit meiner Schwester Waivia auf.

Ich hörte sie die wacklige Treppe emporsteigen, vernahm das Knarren der primitiven Angeln, die aus Stricken bestanden, als sie die Tür zum Frauenhaus öffnete. Dann herrschte einen Moment Ruhe; Tansan betrachtete mich, und ich fühlte, wie ihr Blick auf meiner Haut brannte.

Ich hob den Kopf und erwiderte ihren glühenden Blick.

»Dies hier«, Tansans Geste umfasste den Hof, das Lagerhaus mit den Kokons und die endlos scheinende hügelige Savanne dahinter, »dies alles wird eines Tages von uns beherrscht werden. Es wird uns gehören, den Djimbi, den Rishi. Es wird meiner Tochter gehören.« Ihr Blick verhärtete sich. »Ich glaube, du bist kräftig genug, um morgen auf den Feldern zu arbeiten, Zweite Tochter.«

Dann drehte sich Tansan um und verschwand im Frauenhaus. Savga folgte ihr auf dem Fuße, und hinter ihr fiel die Tür knarrend zu. Nach einer Weile öffnete sie sich wieder, und Savga sprang die Treppe hinunter. Sie gesellte sich zu mir, ihr Gesicht war umwölkt.

»Mama will schlafen.« Sie klang, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen oder einen Wutanfall bekommen.

Sie entschied sich für Letzteres und sah mich trotzig an. »Mama ist eine Myazedo. Sie tut, was sie sagt, oh ja. Sie wird mit diesem Fa-pim-Dreck in dieser Brutstätte aufräumen, und dann kann ihr keiner mehr wehtun.«

»Halt deinen vorlauten Mund, Kind«, krächzte die alte Tiwana-Tante. »Unsinn reden kann töten.«

Savgas Trotz verpuffte. Sie senkte den Blick, biss sich auf die Lippen und sah mich dann schüchtern an.

»Du erzählst doch keinem, dass ich das gesagt habe, heho? Dass meine Mutter eine Myazedo ist?«

Ich hatte keine Ahnung, was das Wort bedeutete. Aber ich lächelte ihr beruhigend zu. »Wir sind beste Freundinnen, Savga. Ich sage kein Wort.«

Sie seufzte bebend und nickte. »Beste Freundinnen.«

»Setz dich neben mich.« Ich klopfte auf den Boden. »Und erzähl mir noch eine von deinen Geschichten, heho.«

Sie nickte zögernd. Aber sie schälte keine Coranüsse, sondern starrte schweigend zu Boden.

»Ich vergesse es manchmal«, flüsterte sie schließlich.

»Was vergisst du?«

Sie wirkte erschöpft, leblos. »Dass Mama mich hasst.«

Meine Reaktion war vollkommen unwillkürlich und durch nichts begründet. »Deine Mutter hasst dich doch nicht!«

Sie zuckte apathisch die schmalen Schultern. »Das tut sie jedes Mal, wenn die Herren kommen und ihre Netze auswerfen. Ich bin eine Senemei.«

Auch dieses Wort kannte ich nicht.

»Eines Tages hatten drei Bayen Mama mitgenommen, als sie vom Fluss zurückkam, bevor ich geboren wurde. Daher hat sie diese Narbe. Sie hat sich gegen sie gewehrt. Und deshalb wurde auch Fwipi-Omas Gebieter getötet. Weil er Mama verteidigt hat. Ich bin eine Senemei. Das sagt Tiwana-Tante. Keau hat Mama anschließend erwählt, um ihr die Schande zu ersparen, weil sie mich bekommen hat.«

Ich warf Tiwana-Tante einen kurzen Seitenblick zu. Das runzlige Gesicht der alten Frau war eine unbewegte Maske.

Ich reimte mir zusammen, dass Senemei das Djimbi-Wort für Bastard sein musste. Keau war offenbar der Mann, der letzte Nacht in seine Hütte gestürmt war, als ich Fwipi mitteilte, dass die Bayen Tansan mitgenommen hatten.

»Deshalb liebt Mama Agawan mehr als mich«, fuhr Savga heiser fort.

»Agawan?«

»Mein kleiner Bruder.« Eine Träne lief ihr über die Wange. »Sie hasst mich jedes Mal, wenn die Herren ihre Netze auswerfen. Weil ich sie an … an sie erinnere.«

Das Mitgefühl für das Kind vor mir brannte in meinem Herzen, und ich verstand plötzlich ihr Entzücken, als ich versprochen hatte, ihre beste Freundin zu sein, und warum sie seitdem so entschlossen an meiner Seite geblieben war. Mein Auftauchen im Arbiyesku hatte Savga eine kinderlose Frau im Alter ihrer Mutter beschert, und sie hatte mich voller Leidenschaft und Verzweiflung adoptiert.

Ich zog das Kind verlegen auf meinen Schoß und hielt es in meinen Armen, während ich nochmals den Schmerz durchlebte, den ich so oft empfunden hatte, wenn meine Mutter Waivia mir vorgezogen hatte. Savga fühlte sich klein und zerbrechlich in meinen Armen an. Ich tröstete nicht nur sie, oh nein, ich tröstete ein Spiegelbild meines jüngeren Ichs.

Nach einem Moment lehnte sie ihren kleinen Kopf gegen meine Brust und weinte.

 

Am nächsten Tag arbeitete ich zum ersten Mal auf den Feldern. Es war alles andere als ruhmreich.

Mit vor Schmerz zusammengekniffenen Augen schlurfte ich durch die endlosen Reihen von Mehltau befallener Ölpflanzen, brach die schrumpligen Büschel mit Daumen und Zeigefinger ab und legte sie in den verschlissenen Sack, der, von einem breiten Band um meine Stirn gehalten, auf meinem Rücken hing. Ich fühlte mich am ganzen Körper wackelig, während mein Inneres von meinen gebrochenen Rippen wund gescheuert wurde. Ab und zu knackte eine von ihnen, was einen unangenehmen, blubbernden Schmerz in meiner Brust auslöste. Aber ich ließ mich auch durch den zusätzlichen Schmerz nicht von der Feldarbeit abhalten, nicht nach dem, was Tansan hatte erdulden müssen. Um der Liebe des Drachen willen würde ich auf diesen verdammten Feldern schuften.

Savga konnte weder meine Lethargie noch meine Schwäche verstehen. Wenn ich etwas von gebrochenen Rippen murmelte, reagierte sie ungeduldig, und um die Mittagszeit arbeitete sie mehrere Reihen vor mir neben zwei Mädchen ihres Alters. Mit ihren kleinen Fingern lösten sie geschickt die Ölsamen von den Stängeln.

Während ich pflückte, hätte ich über das nachdenken können, was Tansan widerfahren war. Ich hätte es tun können, vielleicht sogar tun sollen. Aber ich tat es nicht. Ich arbeitete mit sturer Entschlossenheit, wollte nur den Tag überstehen und bei Anbruch der Dämmerung auf meiner Schlafmatte zusammenbrechen.

Aber als es dunkel wurde, erlaubte man mir das nicht. Es war der Vorabend des Naso-Yobet-Opfers, also musste ich der armseligen Feier meines Clans beiwohnen. Wir aßen gemeinsam flache Kuchen, wie hart und dünn sie auch sein mochten, und mussten den Alten die Haare waschen. Zum ersten Mal wurde mein Haar während des Naso Yobet von jemand anderem gewaschen: von Savga. Sie erledigte ihre Aufgabe mit einem solchen Feuereifer, dass mir die Ohren klingelten und die Kopfhaut brannte.

Ich erinnerte mich daran, wie auch ich den Ältesten die Haare gewaschen hatte, um Ansehen zu gewinnen. Ich erinnerte mich daran, wie ich für die Freundinnen aus meiner Kindheit Stücke aus den flachen Kuchen gebrochen hatte, für Rutvia und Makvia, und sie ihnen in den Mund geschoben hatte, als Zeichen von Freundschaft und Vertrauen. Ich erinnerte mich an den Geruch von Lehm und das puderweiche Gefühl von Porzellanerde auf meiner Haut, wenn ich neben meiner Mutter in der Töpferwerkstatt gearbeitet und mondförmige Kerzenhalter hergestellt hatte. In der Nacht des Naso Yobet war jeder Hof in Brut Re von Kerzen in solchen Haltern erleuchtet gewesen, und dann … Wir hatten die Kerzen beim Klang der Naso-Yobet-Fanfaren ausgeblasen, die von den zahlreichen Tempeln in der Brutstätte schmetterten. In der darauf folgenden rauchigen Dunkelheit feierten wir, in dem Wissen, dass die Zeit des Feuers vom Odem des Reinen Drachen ausgelöscht und keine Dürre kommen würde. Sie würde ausgelöscht, genau wie diese Kerzen.

Ausgelöscht wie meine Mutter.

Naso Yobet war hier nur ein wenig verändert worden, um dem Mangel an Kerzen in diesem armen Arbiyesku Rechnung zu tragen. Statt einer Kerze repräsentierte ein glühendes Stück gepressten Drachendungs die Zeit des Feuers, das auf einem Stein zwischen Palmenblättern balancierte. Der saubere Kräutergeruch der frisch gewaschenen Haare erfüllte die Luft trotz des Rauchs des glimmenden Dungs. Mein feuchtes Haar klebte mir an den Ohren, Wasser tropfte angenehm kühl über meine Schlüsselbeine, meinen Rücken und meinen Bauch.

Aus der Mitte von Xxamer Zu, aus den vier Fenstern des goldenen Turms des Tempels, die in die vier Himmelsrichtungen wiesen, bliesen unsichtbare Drachenjünger ihre langen Naso-Yobet-Fanfaren. Ihr Klang rollte über die Felder wie das tiefe Brüllen von Moschusochsen. Die Angehörigen des Arbiyesku warfen ihre glühenden Dungstücke zu Boden und drückten die Glut mit Steinen aus. Ich ließ meines ebenfalls fallen und warf dann den Stein einfach darauf. Mit meinen schmerzenden Rippen hatte ich nicht das Verlangen, mich zu bücken und den Dung zu Asche zu zerdrücken.

Plötzlich tauchte der Drachenmeister neben mir auf; die grüne Glasperle am Ende seines Knebelbartes schwang hin und her. Er strich sich aufgeregt mit der Hand über seinen kahlen Schädel und hinterließ Rußspuren auf seiner Haut. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, zögerte jedoch. Er stank nach faulen Zähnen und Krankheit.

Dann hielt er mir etwas hin, packte meine Hand und drückte sie, um sie zu öffnen. Er legte einen Kieselstein hinein.

»Leg ihn in die Schale«, sagte er. »Damit der Eine Drache unsere Vereinigung segnet.« Seine Worte klangen einstudiert.

Ich starrte den Kieselstein in meiner Hand an, dann den Drachenmeister. Er bestellte mich in die Paarungshütte.

Erwartete er wirklich, dass ich seinem Begehr folgte? Glaubte er tatsächlich, ich würde ihm gestatten, meinen Bitoo zu öffnen, seine Hände auf meinen Körper zu legen, zwischen meine Beine zu …? Er sollte dazu verdammt sein, auf ewig im Schlund eines Himmelswächters zu verrotten, wenn er glaubte, dass ich ihm folgen würde.

Als er meine Miene sah, verfinsterte sich sein Gesicht. »Spreizfüßige Närrin!«, zischte er und beugte sich vor. Sein Speichel landete auf meinen Wangen. »Nicht das! Denk nach, benutze wenigstens einmal dein tittenweiches Hirn!«

Es dauerte eine Weile, bis ich begriff. Er wollte, dass wir uns irgendwo ungestört unterhalten konnten.

Er hatte etwas von Gen gehört!

Adrenalin, Hoffnung und Erwartung durchströmten und belebten mich. Gen hatte uns gerufen! Er hatte einen Teil der Stallungen gesichert, hatte einen Weg gefunden, wie ich unentdeckt bei einem giftigen Drachen liegen, wieder das Lied der Drachen hören konnte, auf dass ich des Geheimnisses teilhaftig würde, wie man Drachenbullen in Gefangenschaft züchten konnte. Es wurde Zeit für mich, den Arbiyesku zu verlassen.

Die anderen beobachteten uns aus den Augenwinkeln. Fwipi sah uns zu. Ihr sehniger alter Körper war angespannt.

Der Drachenmeister blähte wütend seine Nasenflügel, weil ich nicht so reagierte, wie es einer Frau anstand, die gerade von ihrem Gebieter den Ruf zur Paarung erhalten hatte. Aber ich konnte mich beim besten Willen nicht an die schickliche Antwort erinnern, die ich ihm zu geben hatte. Ich hatte in meiner Kindheit oft gehört, was meine Mutter zu meinem Vater sagte, nachdem er ihr eine Nuss in die Hand gedrückt hatte, hatte andere Frauen die traditionelle Erwiderung murmeln hören, wenn sie von ihren Gebietern aufgefordert wurden. Aber jetzt fiel mir kein einziges Wort davon ein.

Einen Moment fürchtete ich, der Drachenmeister würde mich für meine Dummheit schlagen. Der Griff der Hand, mit der er meine noch umklammerte, verstärkte sich und presste meine Knochen zusammen. Er drückte einmal, ließ mich dann los, drehte sich um und schlurfte in seinem affenähnlichen Gang zur Paarungshütte.

Ich schluckte und drückte meine schmerzende Hand auf meinen Bauch. Savga tauchte neben mir auf.

»Wird er dir wehtun?« Zweifellos dachte sie an die frischen Striemen und Blutergüsse auf dem Gesicht ihrer Mutter. Sie war doch viel zu jung, um sich mit so etwas zu belasten!

»Nein.« Ich lächelte. Die Anspannung fiel sichtlich von ihr ab, denn sie erkannte, dass mein Lächeln nicht gezwungen war. Das war es auch nicht. Mein Herz schwoll vor Freude bei dem Gedanken, dass Gen Erfolg gehabt hatte, dass ich Gift schmecken und das Lied der Drachen hören würde. Ich zerzauste Savgas Haar und strich ihr sanft über den Kopf. »Überhaupt nicht, kleine Ameise. Er wird mir nicht wehtun.«

Ich lächelte Fwipi zu, um auch sie zu beruhigen. Mein unbekümmertes Grinsen schien ihr zu missfallen.

Ich umschloss den Kieselstein, den der Drachenmeister mir in die Hand gepresst hatte, mit der Faust. In der Steppe gab es anscheinend keine Kugelnüsse. Rasch ging ich zwischen den plaudernden Leuten zur Paarungshütte. Ich stieg die baufällige Treppe hoch, reckte mich vorsichtig und schmerzerfüllt zum Türsturz und legte den Kieselstein in die irdene Schale, die dort stand, damit der Eine Drache meinen Leib mit dem fruchtbaren Samen meines Gebieters segnen möge.

In der Paarungshütte war es dunkel und stickig, als wäre hier lange nicht gelüftet worden. Ein schmaler Gang in der Mitte teilte die Hütte. Er war so eng, dass meine Schultern an den Trennwänden aus geflochtenem Schilf zu beiden Seiten entlangstrichen. Es war noch ein Paar hier; ihr Keuchen durchdrang die nach salzigem Moschus riechende Luft, und die ganze Hütte schaukelte sacht unter ihren Bewegungen.

Die Hütte war klein. Es gab nur vier Paarungskammern und den obligatorischen Festraum für die Männer am rückwärtigen Ende. Ich fand den Verschlag, in dem der Drachenmeister saß, sofort; ein ungeduldiges Klopfen eines Fußes auf den Boden drang heraus. Ich wartete einen Moment, bis sich meine Augen an das Dunkel gewöhnt hatten, dann schob ich mich seitlich, wegen der Enge des Gangs, zu der Kammer, in der er saß.

Ich trat ein und zog die pergamentdünne Tür hinter mir zu. Der Drachenmeister saß leicht vorgebeugt am Ende der Pritsche.

»Ihr habt von Gen gehört!«, flüsterte ich froh.

»Was?«

Ich wollte meine Worte wiederholen, aber der Komikon winkte ungeduldig ab. »Vergiss Gen. Wir werden noch Wochen nichts von ihm hören …«

»Wochen?«

Er runzelte die Stirn bei meiner lauten Antwort. »Die Mutter dieses Görs, das dir wie ein wimmerndes Kätzchen folgt, wie heißt sie? Wer ist ihr Gebieter?«

Meine Enttäuschung schlug in Boshaftigkeit um, und ich genoss es, dass ich es wusste, der Drachenmeister aber nicht. Ich wartete eine Weile, bevor ich antwortete. »Tansan. Ihr Gebieter ist Keau. Warum?«

»Diese drei Jungbullen, die an dem Abend unserer Ankunft zu ihren Füßen hockten, wer sind die?«

»Das kann ich herausfinden. Ich glaube kaum, dass diese Information ein Geheimnis ist.«

Er rollte mit den Schultern und stand plötzlich auf. »Ich habe sie belauscht, diese vier. Sie empfinden nicht gerade Liebe für die Bayen oder den Imperator. Es gibt sicher noch mehr wie sie. Ich will all ihre Namen.«

»Warum?« Das Wort, das Savga benutzt hatte, ging mir durch den Kopf. Myazedo.

Er klatschte unmittelbar vor meinem Gesicht in die Hände. »Warum, warum, warum! Habe ich dich denn gar nichts gelehrt?«

Einen Moment kämpfte ich gegen den Drang an, seine Hände wegzuschlagen. »Ihr dürft diese Menschen nicht in Gefahr bringen!«, fuhr ich ihn an.

Seine Augen traten fast aus ihren Höhlen. »Das ist mein Volk! Glaub ja nicht, du kannst mir sagen, was ich tun darf und was nicht, Aosogi-Balg!«

Seine von geplatzten Blutäderchen marmorierten Augen glichen denen einer wilden Kreatur aus einer übernatürlichen Welt. Ich erwiderte seinen Blick mehrere Herzschläge lang, bevor ich meinen Kopf senkte. »Ich weiß, dass ich keine Djimbi bin«, murmelte ich. »Aber sie haben mich in ihren Clan aufgenommen. Und das hier ist meine Brutstätte. Ich werde nicht zulassen, dass ihnen etwas geschieht.«

»Idiotischer Welpe!«, zischte der Drachenmeister, aber sein Erstaunen nahm den Worten etwas von ihrem Gift. »Was ich mache, tue ich, um uns von der Knute des Tyrannen zu befreien!«

Ich blieb stumm und starrte weiter seine schwieligen Füße an.

»Also gut!«, spie er wütend hervor, während ich mich zusammenriss, um nicht zurückzuzucken. »Ich werde noch herausfinden, was sie miteinander tuscheln. Leb du nur weiter mit der Illusion, dass diese Menschen glücklich und zufrieden sind. Fein. Leb du mit diesem Wissen um deinen dürren Hals, bis es dich erwürgt.«

Grob packte er mein Kinn und hob es an, damit ich ihn ansah. Erneut überkam mich das Bedürfnis, seine ledrigen Hände wegzuschlagen.

»Von der Tochter des Himmelswächters wird mehr verlangt als bloßes Schweigen!«, zischte er. »Viel mehr. Ich werde dir Feuer unter den Füßen machen, bis es lodert und dich verzehrt. Damit du mir hilfst, Rishi Via. Das werde ich tun. Ich werde dich zwingen, deine Bestimmung zu erfüllen.«

Wir starrten einander an. Aus seinen Augen sprühten Frustration, Verachtung und Wut, während in meinen Abneigung und Trotz glühten.

Abrupt ließ er mein Kinn los. »Geh zur Seite«, knurrte er, während er zuckte wie eine schleimige Kröte, die man mit einem Stock aufgespießt hatte.

»Nein!«, entgegnete ich. Gewiss, ich hatte Angst vor ihm, wenn er mir so nah war, vor dem Wahnsinn, der aus seinem Blick schäumte, aber ich konnte den Mund nicht halten, auch wenn es besser gewesen wäre. Es war diese verfluchte Unverschämtheit, ein Erbe meiner Mutter, die sich wie immer Bahn brach.

Er erstarrte. Ich schwöre, dass seine Augen glühten.

»Wir sind doch angeblich hier, um uns zu paaren«, stieß ich hervor, während ich die Nasenflügel blähte. »Selbst der kürzeste Fick dauert länger als das hier.«

Es verstrich eine scheinbar unendliche Zeitspanne, in der er am Rand eines rasenden Wutanfalls schwebte und mit seinen inneren Dämonen um seine Selbstbeherrschung rang.

Schwer atmend trat er schließlich von mir zurück. Die krummen Beine gespreizt, die Hände krampfhaft zu Fäusten geballt, wartete er eine angemessene Zeit – so lange, wie ein Mann brauchen mochte, um seinen Samen in den Leib eines Weibes zu ergießen. Dann deutete er mit dem Finger zur Tür: wir sollten gehen.

Während dieser ganzen Zeit durchbohrte er mich mit seinem glühenden, animalischen Blick.

Das Gift der Drachen Drachen3
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