32
Drei Tage später versammelten wir uns in Notre-Dame, um Navarras Konversion zu feiern. Als er sich vor dem Altar niederkniete und vom unablässig feixenden Monseigneur die Hostie entgegennahm, konzentrierte ich mich nur noch auf Navarras Rücken, um mir das triumphierende Grinsen der katholischen Adeligen und Höflinge zu ersparen, die das Gemetzel überlebt hatten, das schon jetzt als »die Blutnacht« in einer Reihe mit den berüchtigtsten Massakern der Weltgeschichte genannt wurde.
Bei aller Erschütterung gab ich mir jede Mühe, eine ungerührte Miene zu wahren, denn niemand sollte mir Scham oder Furcht anmerken angesichts dessen, was ich getan hatte. Nachdem ich alles darangesetzt hatte, mit der Verbindung zwischen Margot und Navarra Frieden zu schaffen, stand dieser Friede bereits wieder auf des Messers Schneide. Frankreich drohten größere Gefahren als je zuvor, und darum saß ich Tag und Nacht an meinem Pult, um Erklärungen an England und die Niederlande sowie andere lutheranische Mächtige zu verfassen, während gleichzeitig deren empörte Verurteilung und die schadenfrohen Glückwünsche aus Spanien und Rom eintrafen.
Abgesehen von Notre-Dame war ganz Paris in Blut gebadet. Kaum hatte das Massaker begonnen, hatten sich nur noch wenige damit aufgehalten, zwischen Protestanten und Katholiken zu unterscheiden. Die Volksmassen hatten einfach die Gunst der Stunde genutzt, um ungestraft aufeinander einzuschlagen, sodass Hunderte von Unbeteiligten dem Gemetzel zum Opfer gefallen waren. Leichen trieben die Seine hinunter; Gassen und Brücken waren mit Toten übersät. Die Furcht vor Seuchen breitete sich aus, und während die Überlebenden mit allem, was sie tragen konnten, flohen, ließ ich außerhalb der Stadtmauern Massengräber ausheben, wo die Toten abgeladen und mit ungelöschtem Kalk bedeckt wurden, damit sie schneller verwesten.
Verstört und schuldbewusst legte mein Sohn Henri bei mir die Beichte ab. Schweigend lauschte ich seiner Schilderung darüber, wie er und Guise mit ihren Männern in Colignys Stadthaus eingedrungen waren und die völlig ahnungslosen hugenottischen Adeligen überrumpelt hatten. Und während diese Männer im Kampf für ihren Anführer das Leben hingaben, stürmte Guise die Treppe hinauf, zerrte Coligny aus dem Bett und stach immer wieder auf ihn ein, ehe er ihn aus dem Fenster warf. Selbst in Blut gebadet, beobachtete er dann triumphierend, wie Coligny auf dem Kopfsteinpflaster aufprallte und einer seiner Gefolgsmänner dem Toten den Kopf abhackte. Später hängte Guise den Schädel wie eine Trophäe an seinen Sattel und preschte damit durch die Straßen, um die Meute noch weiter anzustacheln. Wer es von den Hugenotten nicht schaffte, sich hinter verrammelten Türen zu verschanzen, fiel dem Hass der entfesselten Katholiken zum Opfer und wurde in einem wahren Blutrausch abgeschlachtet.
»Ich schwöre Euch, ich habe versucht, es zu beenden«, beteuerte Henri mit zitternder Stimme. »Aber Guise hatte Geheimbefehle ausgegeben, und seine Gefolgsleute hatten im Louvre bereits begonnen, jeden umzubringen, der das Armband nicht trug. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Es war ein einziger Albtraum, dem ich nicht entkommen konnte.«
Ich nickte. Mir fehlte die Kraft, ihn zu verdammen. Noch nie hatte ich ihn so gesehen. Zumindest zeigte er Reue. Allein schon seine versteinerte Miene bewies mir, dass er sich nicht willentlich an diesem Gemetzel beteiligt hatte. Seine Jugend und Unerfahrenheit hatten ihn in die Irre geführt. In seinem Eifer hatte er jedes Maß und Ziel aus den Augen verloren.
»Du hast dich gegen meinen Willen mit Guise verschworen«, hielt ich ihm mit leiser Stimme vor. »Aber dich trifft keine Schuld. Das alles war mein Fehler. Ich hätte nicht noch einmal versuchen dürfen, Coligny zu töten, nachdem der erste Anschlag missglückt war. Geh jetzt. Achte gut auf Navarra und sorge dafür, dass Guise Paris auf der Stelle verlässt. Er soll sich von der Hauptstadt fernhalten, bis ich anderweitig entscheide. Er ist zu weit gegangen.«
Nachdem mein Sohn sich entfernt hatte, kehrte Birago, erschöpft von seinen Bemühungen, das Chaos unter Kontrolle zu bringen, zurück. Er meldete mir, dass Hugenotten aus allen Teilen Frankreichs in wilder Flucht die Grenzen nach Genf überrannten. Dort wurde ich jetzt als die biblische Königin Jezebel gebrandmarkt. Auf gedruckten Pamphleten wurden sämtliche niederträchtigen Gerüchte wiederholt, die im Laufe der Jahre über mich verbreitet worden waren: Ich war die italienische Schlange, ein abscheuliches Ungeheuer, das mit Spanien ein Komplott geschmiedet hatte, um den Glauben der Hugenotten auszurotten. Während ich früher jede Schuld sofort voller Empörung von mir gewiesen hätte, bat ich jetzt Birago leise, nichts zu unternehmen. Sollten ruhig alle Verleumdungen auf mir abgeladen werden, solange nur keine Vorwürfe an meinen Söhnen hängen blieben.
Was Coligny betraf, war die Abwesenheit von Gefühlen über seinen brutalen Tod eine rein persönliche Angelegenheit, über die ich nicht einmal mit meinen engsten Vertrauten sprach. Als ich in der Nacht allein in meinen Gemächern weilte und hörte, wie meine Bediensteten draußen die Korridore schrubbten, wartete ich darauf, von der Trauer überwältigt zu werden, und machte mich auf einen Schmerz gefasst, der mir das ganze Ausmaß meiner Schuld schonungslos vor Augen führen würde. Da nichts dergleichen geschah, fürchtete ich, all der Hader und Verrat hätten mein Herz versteinern lassen und für Gefühle jeglicher Art verschlossen. Als ich erfuhr, dass Colignys verstümmelte Leiche immer noch so, wie Guise sie zurückgelassen hatte, an dem improvisierten Galgen hing, ließ ich sie abnehmen und den Kopf zu mir bringen.
Das Eis in mir brach erst in dem Augenblick auf, als der mit dieser Mission beauftragte Soldat den Leinensack öffnete und zurückwich, damit ich das leblose Gesicht betrachten konnte. Alle Wunden waren mittlerweile gewaschen worden, sodass es eher einer Wachsbüste irgendeines Menschen glich, den ich einmal gekannt hatte. Von der gefährlichen Lebenskraft, die ich einst geliebt und zu fürchten gelernt hatte, war keine Spur zu erkennen, nichts an dieser erstarrten Miene zeugte von dem Stolz, an dem ich mich so ergötzt hatte. Zögernd streckte ich eine zitternde Hand aus, um seine kalten, weißen Lippen nachzuzeichnen, die jetzt für immer zu einer Grimasse des Schmerzes verzerrt waren, und plötzlich brach all mein Kummer aus mir heraus.
Ich wandte mich ab. »Nein«, flüsterte ich. »Dio mio, no…«
Lucrezia verscheuchte den Soldaten mit einer Geste, dann nahm sie mich in die Arme, während ich mein Nein! ein ums andere Mal wiederholte. In diesem Moment wusste ich, dass mit Coligny auch etwas in mir gestorben war und ich nie wieder dieselbe sein würde. Nichts mehr war übrig von dem Mädchen, das ich einst gewesen war, oder von der naiven Heranwachsenden, die zum ersten Mal in ihrem Leben französischen Boden betrat. Coligny war von Anfang an da gewesen; er hatte meine Unschuld erkannt. Von all den Menschen in meinem Leben hatte er als Einziger die Person berührt, die ich einst zu werden gehofft hatte.
Und jetzt war er tot, weil ich es befohlen hatte.
Obwohl er als Verräter gestorben war und seine Ländereien damit an die Krone fielen, ließ ich seine Leiche zu einem Staatsbegräbnis nach Châtillon bringen und gewährte der Witwe mitsamt den Kindern für seine jahrelangen Dienste eine Rente auf Lebenszeit. Das war meine Wiedergutmachung, mein letztes Geschenk für ihn – sonst hätte ich nicht gewusst, wie ich mich von ihm hätte verabschieden können.
Unterdessen kehrte Navarra mit steinerner Miene, die nichts darüber verriet, welchen Preis er für sein Leben gezahlt hatte, zu uns zurück. Während ich ihn aufmerksam beobachtete, vermochte ich nicht länger, mich vor der Öffentlichkeit zu zügeln. Ich spürte selbst, wie sich ein Ausbruch all dessen, was sich an Erschöpfung und Angst in mir gestaut hatte, anbahnte, und als Navarra neben Margot Platz nahm und sie mir einen finsteren Blick zuwarf, konnte ich ihn nicht länger unterdrücken. Ich warf den Kopf zurück und lachte laut.
Ich war immer noch eine Medici. Ich würde überleben.
Wir zogen nach St. Germain und überließen den Louvre sich selbst und seinen Gespenstern. Ich sorgte mich um Charles, der einen Fieberanfall erlitten hatte. Dr. Paré untersuchte ihn umgehend und meldete mir, dass das Fieber zwar ernst sei, aber beizeiten fallen würde. Doch Charles hätte ihm anvertraut, dass er nicht schlafen könne. Darum empfahl Paré eine tägliche Dosis verwässerten Mohn und mahnte uns, alles von Charles fernzuhalten, was seine Sinne reizen konnte; seiner Meinung nach hatten die Nerven meines Sohnes der Belastung durch die jüngsten Ereignisse einfach nicht mehr standgehalten.
Navarra zog mit uns um. Nach außen hin war er kein Gefangener, auch wenn Henri ihn im Auge behielt. Er hatte dem Ketzertum abgeschworen und wirkte ruhig und gefasst. Er hatte seine eigenen Gemächer, ritt täglich aus, übte das Bogenschießen und verbrachte auch einen Teil seiner Zeit mit Margot. Sie musste ihm von Charles’ Krankheit erzählt haben, denn zu meiner Überraschung fing er an, meinen Sohn zu besuchen. Mehrmals erzählte mir Birago, dass Charles und Navarra wie Freunde den Nachmittag zusammen verbracht und viel gespielt und gelacht hatten. Diese Entwicklung kam mir allerdings so merkwürdig vor, dass ich misstrauisch wurde und die beiden unangemeldet aufsuchte, um mir selbst ein Bild davon zu machen,wie es wirklich um diese neu gefundene Freundschaft bestellt war.
Bei meinem Eintreten spielten sie Karten und tranken Wein, während Margot und Hercule, die sich ebenfalls in dem Zimmer aufhielten, die Köpfe zusammensteckten. Seit dem Massaker hielt sich mein Jüngster ständig in der Nähe seiner Schwester auf und zeigte für ihr Eingreifen in jener Nacht eine regelrecht sklavische Dankbarkeit. Wie er das sah, hatte sie ihm das Leben gerettet, obwohl sich darüber streiten ließ, ob ihm tatsächlich Gefahr gedroht hatte.
Alle beide erstarrten, als sie mich bemerkten. Charles blickte ruckartig auf.
»Ist das nicht nett?«, rief ich mit fröhlicher Stimme, die in dem geschlossenen Raum zu laut klang.
Margots Miene gefror, wie das dieser Tage immer geschah, sobald sie meiner ansichtig wurde. Ohne weiter auf sie zu achten, ging ich zu dem Tisch hinüber, an dem Charles in seiner mit Pelz verbrämten Robe saß. Neben Navarras kräftiger Statur wirkte er blass und kraftlos. Und angesichts Navarras gestählter Muskeln, seiner gesunden Gesichtsfarbe und des vollen rotgoldenen Kinnbartes, den er sich hatte wachsen lassen, befiel mich plötzlich eine Vorahnung, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Wegen einer Vision, die ich vor Jahren gehabt hatte, hatte ich darum gekämpft, ihn zu retten, zumal Nostradamus mir eingeschärft hatte, dass dieser Prinz für mein Schicksal von entscheidender Bedeutung sei. Was, wenn ich mich getäuscht hatte? Im Grunde seines Herzens war Navarra schließlich immer noch ein Hugenotte. Ich machte mir bestimmt nicht vor, dass eine mit der Spitze eines Schwerts erzwungene Konversion den alten Glauben in ihm ausgemerzt haben könnte. Mit der Zeit, hatte ich mir gesagt, würde er den neuen Glauben mit vollem Herzen annehmen, doch als ich sein müheloses Lächeln über mein Lob sah, fragte ich mich plötzlich, ob ich nicht dabei war, in meinem Schoß eine neue Bedrohung für die Sicherheit Frankreichs zu nähren.
Ich deutete auf einen Stapel Münzen vor ihm. »Wie es scheint, bist du am Gewinnen.«
Er zuckte die Schultern. »Heute ist es das erste Mal.«
»Das stimmt«, bestätigte Charles mit fiebriger Begeisterung. »Erst heute ist das Glück auf seiner Seite.« Er und Navarra schauten sich über den Tisch hinweg an. »Ist es nicht so, mein Freund?«
»Allerdings.« Navarra lehnte sich in seinem Stuhl zurück und griff nach dem Kelch. »Seine Majestät ist großzügig. Ein anderer König würde jemanden wie mich nicht so ohne Weiteres gewinnen lassen.«
Ich spürte bei ihren Worten eine unterschwellige doppelte Bedeutung. Um mich zu vergewissern, warf ich Margot einen scharfen Blick zu. Sie hatte die Hände auf die von Hercule gelegt, und beide beobachteten mich gebannt. Wie Jagdhunde, die auf den Befehl warten, sich auf die Beute zu stürzen.
Ich wandte mich wieder zu Charles um. »Verlier nicht zu viel«, murmelte ich und legte ihm die Hand auf die Stirn, da er mir plötzlich völlig überhitzt vorkam. Obwohl er zurückwich, spürte ich dennoch, wie heiß seine Haut war. »Du hast Fieber«, sagte ich. »Denk an Parés Rat: Du darfst dich nicht überanstrengen. Ich finde, für heute hast du genug aufs Spiel gesetzt.«
Charles wollte schon protestieren, als Navarra sich erhob. »Deine Mutter hat recht.« Er bedachte meinen Sohn mit einem zärtlichen Lächeln. »Ich würde nicht wollen, dass du meinetwegen krank wirst. Vielleicht können wir morgen weiterspielen, nachdem du gut ausgeschlafen hast?«
Sein mitfühlender Ton wärmte mir das Herz. Das klang wahrhaftig so, als ob Charles ihm etwas bedeutete.
»Aber morgen können wir doch nicht«, begehrte Charles auf. »Weißt du nicht mehr? Wir gehen bei Vincennes auf die Jagd!«
Navarra zögerte. »Ach ja, das hatte ich ganz vergessen.«
Mit einem gezwungenen Auflachen legte ich Charles die Hand auf die Schulter. »Ich halte es nicht für klug, den ganzen Tag zu Pferde zu verbringen, solange das Fieber nicht gesunken ist.«
»Aber das habe ich ihm versprochen!« Charles riss sich von mir los und stand mühsam auf, um dann hastig die Robe um seine schmale Gestalt zu wickeln. Neben Navarra wirkte er wie ein Kind in Königsgewändern; selbst seine Stimme klang quengelig. »Mir geht es schon viel besser, und ich will auf die Jagd gehen! Ich habe es satt, ständig eingesperrt zu sein!«
»Wir werden sehen«, beschwichtigte ich ihn, um mich dann an Navarra zu wenden. »Wenn Ihr das Bedürfnis nach Ertüchtigung verspürt, spricht nichts dagegen, dass Henri mit Euch ausreitet. Ich bin sicher, dass auch Margot einen Tag lang für Charles’ Unterhaltung sorgen kann. Das kannst du doch, meine Liebe?«
»Habe ich denn eine Wahl?«, grummelte meine Tochter.
Ich lächelte. »Gut, dann ist das geregelt. Morgen reitet Henri mit Navarra nach Vincennes, und wenn es Charles bis zum Abend besser geht, können wir als eine große Familie speisen.«
Navarra hielt meinem prüfenden Blick stand. Ich vermochte nicht, in seinen Augen irgendetwas zu erkennen. Nicht eine Regung gaben sie preis, ganz so, als wären sie aus lichtundurchlässigem Glas. »Es wäre mir eine Freude«, sagte er.
Sobald er uns mit Margot und Hercule verlassen hatte, half ich Charles ins Bett. Dann kehrte ich in meine Gemächer zurück und rief Henri zu mir. Er fand sich etwas zerknittert bei mir ein, denn er war aus seinem Nachmittagsschlaf gerissen worden.
Er spürte meine Anspannung sofort. »Was ist geschehen?«
Während ich ihm von meinem Besuch erzählte, schritt ich in meinem Gemach hin und her. Das sollte mir helfen, Klarheit in meine Gedanken zu bringen und aus dem rätselhaften Grauen in mir schlau zu werden. »Es war fast so, als führten sie etwas im Schilde«, schloss ich.
Henri lachte. »Wenn die Entscheidung bei Margot läge, hätte ich daran keine Zweifel. Sie verachtet uns, weil wir ihre Hochzeit mit der Tötung ihrer hugenottischen Gäste zu einer Farce gemacht haben – als ob sie sich je um Häretiker geschert hätte. Aber der arme Charles will die ganze Zeit Wiedergutmachung leisten. Er fühlt sich schrecklich wegen dieser Nacht; schließlich war er es, der Navarra gezwungen hat zu konvertieren. Aber was kann Navarra uns denn schon anhaben? Die Hugenotten sind geschlagen und rennen um ihr Leben. Und Navarra ist kein Coligny.«
»Er könnte sich immer noch gegen uns erheben«, wandte ich ein, nur um mir im nächsten Moment auf die Zunge zu beißen. Aber jetzt war es geschehen, ich hatte meine heimliche Sorge ausgeplaudert. Eilig fügte ich hinzu: »Ich weiß, er ist Margots Gemahl, und ich habe keinerlei Beweise gegen ihn, aber trotzdem will ich ihn nicht so nahe bei Charles haben.«
Henri nickte. »Was soll ich tun?«
Ich überlegte. »Nimm ihn morgen mit auf die Jagd wie geplant, aber sieh zu, dass sie länger dauert und ihr die Nacht im Schloss von Vincennes verbringen müsst. Um den Rest wird sich Birago kümmern.«
Seine Augen weiteten sich. »Maman, Ihr wollt doch nicht …?«
»Nein!«, sagte ich scharf. »Natürlich nicht. Töten will ich ihn nicht. Aber ich brauche die Gewähr, dass er sich nicht gegen uns wenden kann. Eine Zeit lang werde ich ihn in Vincennes festsetzen und bewachen lassen. Margot kann dann zu ihm kommen. Und wenn er sie erst einmal geschwängert hat, wissen wir, wem seine Loyalität gilt.«
Er berührte meine Wange mit den Lippen. »Dann auf nach Vincennes.«
Den nächsten Vormittag verbrachte ich in meinen Gemächern mit Warten. Auch wenn ich versuchte, mich meiner Korrespondenz zu widmen, schweiften meine Gedanken immer wieder ab. Nach mehreren Stunden, in denen ich nicht mehr als zwei Briefe erledigte, erhob ich mich schließlich, um mein Mittagsmahl einzunehmen, als Birago hereinstürzte.
»Ihr müsst sofort kommen!«, keuchte er. »Seiner Majestät geht es schlechter!«
Wir eilten zu Charles’ Gemächern. Dort sah es aus, als hätten Sturmböen Stühle und Tische durcheinandergeworfen, die Teller vom Kaminsims gerissen und die Schränke umgestoßen. Wie vom Donner gerührt nahm ich wahr, dass Docteur Paré Charles an den Schultern gepackt hatte und mit Gewalt auf die Matratze niederdrückte. Mein Sohn schlug wild um sich. Aus seinem Mund sprudelte rot gefleckter Schaum.
Birago rang die Hände. Paré versuchte unterdessen, Charles einen Lederriemen zwischen die Zähne zu schieben, doch mein Sohn stieß ein Kreischen aus und stemmte sich jäh mit solcher Wucht nach oben, dass Paré zu Boden fiel. Ich schnappte entsetzt nach Luft, als sich Charles’ Rücken durchbog und sein Kopf beinahe die Füße berührte, sodass sich das Nachthemd über der Brust immer mehr spannte, bis es riss. Hektisch kletterte Paré aufs Bett zurück, als eine neue Welle von Krämpfen über Charles hereinbrach. Endlich löste ich mich aus der Erstarrung. Ich stürzte vor und packte Charles an den Armen, während Birago ihn an den Füßen erwischte, sodass Paré endlich den Riemen zwischen seine Zähne zwängen konnte. Die Energie, die mein Sohn entwickelte, war schier unmenschlich. Mit all meiner Kraft stemmte ich mich gegen ihn, doch mir stockte der Atem, als ich sah, wie sich Charles’ Augen in den Höhlen verdrehten und Blut aus seiner Nase quoll.
Abrupt erstarrte er; nur seine Brust hob sich mit einem gurgelnden Geräusch.
»Was ist das?«, japste ich. »Was hat er?«
»Ich weiß es nicht«, ächzte Paré. »Ich wollte ihm seine Nachmittagsmixtur bringen, aber Ihre Hoheiten Margot und Hercule waren gerade bei ihm zu Besuch. Darum habe ich das Getränk stehen lassen und bin später noch einmal gekommen. Da waren Ihre Hoheiten schon gegangen, und er schlief. Ich habe draußen noch ein wenig gewartet, als ich auf einmal ein Würgen hörte. Da bin ich hineingestürzt und habe ihn in diesem Zustand vorgefunden. Dabei hat er heute Morgen schon leidlich erholt gewirkt … Er hatte kein Fieber. Ich habe es gemessen.«
»Margot war da?« Ich blickte Birago bestürzt an.
»Seht Euch nur seine Brust an«, flüsterte er.
Ich warf einen Blick auf seinen entblößten Oberkörper. Auf der weißen Haut lag ein Amulett aus mattem Silber mit einem eingravierten, archaischen Motiv. Ich erstarrte. Mittlerweile hatte sich Paré erhoben und war zu dem Durcheinander vor einem der umgestürzten Tische gehastet. Ich sah, wie er einen Kelch in die Hand nahm und daran schnupperte.
Er prallte zurück. »Mandeln.« Entsetzt ließ er den Kelch fallen und hob die Augen zu mir. »Das ist eine Form von Arsen! Das war in seinem Trank! Gott im Himmel, der König ist vergiftet worden!«
»Unmöglich«, flüsterte ich, doch das Amulett hatte ich sofort erkannt. Cosimo hatte es mir gegeben, als ich ihn in Chenonceau aufgesucht hatte. Zuletzt hatte ich es an dem Tag gesehen, als ich meinen ersten und letzten Zauber gesprochen hatte. Danach hatte ich es zu den Wachsfiguren in die Schachtel gelegt und nie wieder getragen. Aber von Umzug zu Umzug hatte ich die Schachtel stets mitgenommen, auch wenn sie unter meinen übrigen Habseligkeiten in Vergessenheit geraten war.
Paré fiel auf die Knie. »Ich habe es nicht getan. Hoheit, ich schwöre Euch, das war nicht ich!«
Diese jämmerlichen Unschuldsbeteuerungen stammelte ein Mann, der nicht einmal in den letzten Stunden meines Gemahls und meines ältesten Sohnes die Fassung verloren hatte. Plötzlich begann alles um mich herum zu kippen, als kenterte das ganze Zimmer und versänke langsam in einem tosenden, dunklen Meer.
»Margot«, flüsterte ich und stolperte hinaus.
Ich eilte in meine Gemächer und rannte vorbei an meinen erschrockenen Hofdamen in die Schlafkammer, um hektisch meine Frisierkommode zu durchwühlen. Die Schachtel war verschwunden. Ich wirbelte herum und stürmte zu Margots Räumen, wo sie zusammen mit Hercule auf der Fensterbank saß. Als sie mit wirbelnden Röcken aufsprang, registrierte ich ihre verwirrte Miene, die nach wochenlanger schnippischer Gleichgültigkeit Bände sprach. Ich beäugte ihr weißes Seidengewand, die traubengroßen Perlen in ihrem Haar und dachte bei mir, dass sie sich wie für eine Feier hergerichtet hatte. Dann musterte ich Hercule. Er wich ängstlich zurück. Sein Gesicht wurde kreidebleich.
Jetzt war mir alles klar.
»Wo ist sie?«, fauchte ich. Noch näher trat ich nicht auf Margot zu, denn sonst hätte ich sie womöglich mit bloßen Händen erdrosselt.
Sie wandte sich zu einer Truhe um, nahm die Schachtel heraus und reichte sie mir mit weit ausgestreckten Armen. In ihrem Innern entdeckte ich die achtlos hineingeworfenen Wachspuppen. Das Pochen meines Herzens dröhnte mir in den Ohren. Mit mechanischen Bewegungen ließ ich den unter dem Futter verborgenen Riegel zurückschnappen, öffnete das Geheimfach, und das Fläschchen, das Cosimo mir gegeben hatte, kam zum Vorschein. Es war leer. Ein prüfendes Schnüffeln, und der beängstigende Geruch von Mandeln stieg mir in die Nase.
»Wie … wie konntest du das tun?« Meine Stimme war nur ein Flüstern.
»Cosimo.« Ihr Ton verriet einen Anflug von Furcht.
»Du … hast Cosimo …?«
»Ich habe ihm geschrieben. Er hat mich aufgefordert, die Schachtel zu suchen. Schwierig war das nicht. Ihr hattet sie ja nicht wirklich versteckt.«
Ich war zu keiner Regung fähig. Die Schachtel lag schwer wie Marmor in meiner Hand. »Warum?«, hörte ich mich fragen.
Ihre Augen glühten. »Charles will wegen all dem, was Ihr getan habt, sterben. Ihr habt seine Untertanen getötet und alle Hugenotten gegen ihn aufgebracht.« Sie machte eine Pause. »Aber was das Wichtigste ist: Ihr habt Coligny umgebracht, den er wie einen Vater liebte.«
»Das ist eine Lüge!«, zischte ich. »Diese Sache hat nichts mit Charles zu tun. Du hast das getan, weil du Guise liebst und ich dich zu der Hochzeit mit Navarra gezwungen habe, und jetzt glaubst du, ich hätte …« Ich verstummte benommen, als ich ihren wissenden Blick bemerkte.
»Was, Maman?«, gurrte sie. »Dass Ihr plant, Navarra als Nächsten umzubringen? Ist nicht das der Grund, warum Ihr ihn mit Henri auf die Jagd geschickt habt, damit Ihr ihn im Wald töten und das als Jagdunfall ausgeben könnt? Dann besteht keine Möglichkeit mehr, dass er zum Anführer der Hugenotten wird. Ihr werdet sein Reich an Euch reißen, den Rest der Hugenotten aus dem Weg räumen und mich erneut dorthin verheiraten, wo es Euch gerade passt.«
»Sie hasst uns«, knurrte Hercule, als wäre ich gar nicht anwesend. »Maman hasst uns, und sie hat uns nicht vor dem Massaker gewarnt. Sie will, dass wir alle sterben.«
In fassungslosem Entsetzen starrte ich meine Tochter an. Was hatte ich nur getan, dass ich einen derart verderbten Menschen geschaffen hatte? Ich hatte doch all meine Kinder geliebt und mich so gut um sie gekümmert, wie mir das möglich war. Und ich hatte darum gekämpft, ihnen Geborgenheit schenken zu können. Gewiss, in ihrer frühen Kindheit konnte ich nicht bei ihnen sein, aber doch nur, weil Diane sie mir gestohlen hatte. Nach dem Tod meines Gemahls hatten sie wieder mir gehört, und ich hatte nie darin nachgelassen, sie zu beschützen. Wie hatte Margot, die von solcher Schönheit und voller Versprechen war, zu einer so niederträchtigen Fremden werden können? Ich versuchte, meine ganze Wut zu sammeln und sie mit einem vernichtenden Schlag zu demütigen, doch auf einmal entfaltete sich die Wahrheit vor meinen Augen, und ich konnte ihr nicht länger ausweichen.
Margot schreckte in ihrer Rachsucht vor nichts zurück. Sie war eine Medici – mein Blut war ihr Fluch.
»Ich habe Charles das Amulett und das Gift gegeben«, fuhr Margot freimütig fort, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Denn das hatte mir Cosimo geraten: sein Vertrauen gewinnen, indem man ihm zeigt, wozu man in der Lage ist.«
Die Schachtel fiel mir aus der Hand, doch ich hörte nicht, wie sie auf dem Boden aufprallte.
»Aber das ist noch nicht alles.« Um ihre Lippen spielte ein boshaftes Lächeln. »Charles wollte Navarra nach Vincennes entkommen lassen. Aber dann seid Ihr hereingeplatzt und habt ihm seine letzte Hoffnung auf Erlösung geraubt. Jetzt glaubt er, dass Navarra dem Tode geweiht ist. Das ist der Grund, warum er das Gift geschluckt hat. Er kann mit seiner eigenen Schuld nicht länger leben.«
Ich starrte ihr ins Gesicht, in diese hartherzigen Augen, dann packte ich sie und schüttelte sie, bis die Perlen sich aus ihren Haaren lösten und über den Boden kullerten. »Er glaubt, Navarra wird sterben, weil du ihm den Kopf mit Täuschungen vollgestopft hast! Weißt du, was du getan hast? Weißt du das? Dein Bruder stirbt wegen dir!«
Sie lachte mir ins Gesicht. »Es ist Euer Gift, Euer Amulett. Jeder wird sagen, dass Ihr das wart, genauso, wie Ihr Königin Jeanne umgebracht habt, genauso, wie Ihr mich für die Ehe mit Navarra benutzt habt, damit Ihr die Hugenotten nach Paris locken könnt, um sie abzuschlachten. Die Leute werden sagen, dass Ihr Euren Sohn umgebracht habt, und niemand wird Euch jemals wieder trauen.«
Hercule duckte sich. »Ich hab’s nicht getan«, lallte er. »Ich war’s nicht.«
Ich stieß Margot von mir und trat einen Schritt zurück. »Sobald ich mich um deinen Bruder gekümmert habe, werde ich mit dir verfahren, wie du es verdienst.«
Ich stellte Wachen vor den Räumen meiner Jüngsten auf und sandte Soldaten nach Chaumont, damit sie Cosimo verhafteten und in die Bastille abtransportierten, was umgehend geschah.
Bei Anbruch der Nacht begab ich mich mit Birago zu ihm. Als ich die schmutzige Zelle tief in der Festung betrat, überlief mich ein eisiger Schauder beim Anblick meines bis auf einen zerfetzten Lendenschurz völlig nackt an einen Stuhl geketteten Astrologen. Im Schatten an der Wand hinter ihm hingen alle möglichen Zangen und sonstigen Folterwerkzeuge.
Die bleiche Haut von oben bis unten durch Blutergüsse entstellt, sah Cosimo aus wie ein Kadaver. Kaum hatte er mich erkannt, schien alles Leben, das noch in ihm steckte, in seine Augen zu schießen, und das brachte mir die Erinnerung an den kleinen Jungen zurück, dem ich vor dem Haus seines Vaters begegnet war. Ich kannte ihn seit meiner Kindheit; er war nur unwesentlich jünger als ich. Vor allem war er ein Landsmann, ein Florentiner. Einen Moment lang befielen mich lähmende Zweifel. Was, wenn die Erwähnung von Cosimo Teil von Margots Rache war? Was, wenn sie die Schachtel selbst gefunden, ihr Gift Charles in die Ohren geträufelt und so einen ohnehin schon anfälligen Menschen vollends in den Wahnsinn getrieben und die Beschuldigung Cosimos erst im Nachhinein mit ihren Plänen verwoben hatte?
»Madama«, murmelte Birago, »wir müssen zügig handeln. Das Leben Seiner Majestät hängt davon ab.«
Ich nickte, woraufhin Birago sich an einen kleinen Tisch setzte und aus seinem Tornister Papier und Feder nahm, um die Unterredung zu protokollieren. Cosimo starrte mich an, ohne ein einziges Mal mit der Wimper zu zucken, womit er noch mehr Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit heraufbeschwor, die mich auch dann noch innerlich glühen ließen, als Biragos wohltönende Stimme den kleinen, kalten Raum füllte.
»Cosimo Ruggieri, Ihr werdet der Verschwörung gegen Seine Majestät beschuldigt, mit der Absicht, dessen Tod durch Gift herbeizuführen. Ihre Hoheit ist zu Euch gekommen, um das Rezept für das Gegengift in Erfahrung zu bringen. Wenn Ihr es ihr gebt, verspricht sie, Euch am Leben zu lassen.«
Cosimo zeigte keine Regung; es war nicht einmal klar, ob er überhaupt etwas gehört hatte.
»Cosimo«, ergänzte ich, »du weißt, dass ich nicht den Wunsch habe, dir Schmerzen zuzufügen. Verrate mir einfach, was ich tun muss, um meinen Sohn zu retten. Du kennst die Zutaten zu dem Gift. Worin besteht das Gegengift?«
Seine Wange zuckte. Birago beugte sich eilig über den Tisch. »Wenn Ihr nicht sprecht, wird die Wahrheit mit Gewalt aus Euch herausgepresst. Jedes Gift trägt auch ein Heilmittel in sich. Das wisst Ihr, und das werdet Ihr uns auch sagen. «
Cosimos Mund verzerrte sich. Ein Lachen wie Metallsplitter drang heraus. »Ihr versteht es wohl immer noch nicht, wie? Ich habe mein ganzes Dasein dafür hingegeben, das Geschenk zu erlangen, das in Eurem Innern anzunehmen Ihr Euch geweigert habt. Alles, was ich gelernt, alles, was ich entdeckt habe, das habe ich in Eure Dienste gestellt. Ich habe das getan, was selbst zu tun Ihr nicht die Kraft hattet. Ich bin Euer Werkzeug.«
Ich erschauderte. »Du bist … bist verblendet! Wie kannst du es wagen, einen Anspruch auf mein Leben zu erheben?«
»Weil ich Euch gehöre!« Seine Rippen stachen unter seinen Fesseln hervor. »Ihr habt nie an mich gedacht! Ihr habt mich allein gelassen und ignoriert, aber ich … ich habe immer Euch gehört! Während Ihr Eure Aufmerksamkeit nur Eurem Narren Nostradamus geschenkt habt, der Euch außer Gedichten und Versen nichts gab, habe ich die dunkelsten Bereiche erforscht, die Euch zu Eurem Herzenswunsch führen. Aber Ihr habt mich verschmäht. Ihr habt mich fallenlassen, und jetzt …«
»Genug!« Ich schlug ihm mit aller Kraft ins Gesicht, sodass er mit seinem Stuhl nach hinten kippte. Ich sah, wie er die Augen aufriss und Blut aus seiner geplatzten Lippe spritzte. »Hast du meiner Tochter von der Schachtel erzählt? Hast du sie dazu aufgehetzt, das Vertrauen meines Sohnes zu mir zu zerstören und ihm weiszumachen, ich hätte Navarra ermordet? «
Wieder brach dieses schrille, höhnische Lachen aus ihm hervor, und noch mehr Blut spritzte. »Ja! Das alles habe ich getan! Und jetzt könnt Ihr Eure Raserei an mir auslassen; jetzt könnt Ihr die Königin werden, zu der Ihr geboren wurdet: so mächtig und furchterregend, dass man Euch für alle Zeiten in Erinnerung behalten wird. Ich habe Euch immer gekannt, obwohl Ihr mich nie geliebt noch an mich geglaubt habt.« Er reckte mir das Gesicht entgegen. »Oder glaubt Ihr, dass die Lanze, die Eurem Gemahl das Leben raubte, Zufall war?«
Ich erstarrte. »Nein. Das ist … das kann nicht wahr sein.«
Ein groteskes Lächeln erschien auf seinen Lippen. »Könnt Ihr es nicht spüren? Es ist um uns herum, jeden Moment; es fesselt uns für alle Zeiten. Jeder Schritt, den Ihr seit jenem verhängnisvollen Tag getan habt, war vorherbestimmt. Ihr werdet bis zu Eurem Tod Königin sein; Ihr werdet Frankreich vor der Zerstörung bewahren; aber die Blutlinie, um deren Bewahrung Ihr bis zum letzten Atemzug kämpfen werdet, der unfruchtbare Samen, der Eure Familie ist – das alles ist verdammt.«
Birago sprang auf. Er zitterte vor Zorn. »Er ist verrückt. Wir müssen den Folterknecht holen.«
Ich musste an die Warnung denken, die Nostradamus vor Jahren vor Chaumont ausgesprochen hatte: Er spielt mit dem Bösen. Und Böses wird er bewirken. Das ist sein Schicksal. Ich fixierte Cosimo. »Entweder du verrätst mir auf der Stelle, wie ich meinen Sohn retten kann, oder ich verspreche dir, dass du, noch bevor dieser Tag vorbei ist, um meine Gnade flehen wirst.«
»Ich brauche keine Gnade mehr«, flüsterte er. »Und es gibt nichts, was Ihr tun könnt. Es ist zu spät.«
»Dann«, sagte ich, »ist es auch für dich zu spät.« Ich wandte mich an Birago. »Schneidet ihm die Zunge und die Hände ab, damit er seine schändliche Kunst nie wieder ausüben kann. Wenn er das überlebt, setzt ihn in eine Galeere nach Italien.«
Ich wandte mich zur Tür. »Nein!«, brüllte Cosimo mir nach. »Verlasst mich nicht, meine Duchessina!«
Diesmal blickte ich nicht zurück.
Um Mitternacht fand sich Birago in meinen Gemächern ein, um mir zu melden, dass Cosimo während der Folterung gestorben und seine Leiche in eine der Gruben vor der Stadt geworfen worden war, ohne dass irgendetwas seine letzte Ruhestätte kennzeichnete.
Schließlich erkundigte er sich nach Charles. In meinem Stuhl vor dem Kamin sitzend, erklärte ich mit flacher Stimme: »Paré versorgt ihn. Es gibt nichts, was wir noch tun können. Zieht Euch zurück und ruht. Ihr seht müde aus. Morgen sprechen wir weiter.«
»Madama«, sagte er leise, »Ihr könnt doch diesem Elenden nicht glauben. Der Tod Eures Gemahls war ein Unfall. Ihr wart dabei. Ihr habt es selbst gesehen.«
Der Atem blieb mir in der Kehle stecken. »Ich ertrage das nicht mehr. Geht jetzt, bitte.«
Er entfernte sich. Ich blieb allein zurück und starrte in die Flammen, die mir ihre Geheimnisse zuflüsterten.
Ihr werdet Frankreich vor der Zerstörung bewahren; aber die Blutlinie, um deren Bewahrung Ihr bis zum letzten Atemzug kämpfen werdet, der unfruchtbare Samen, der Eure Familie ist – das alles ist verdammt.
Cosimo war nie ein Seher gewesen, doch in diesem Moment glaubte ich ihm. Keiner meiner Söhne hatte Kinder. Obwohl Charles nun schon seit über zwei Jahren verheiratet war, verriet seine Gemahlin keine Anzeichen von Fruchtbarkeit. Und wenn Charles starb, würde nur noch Henri als Stammhalter übrig bleiben, denn es war nun einmal traurige Wahrheit, dass die Pocken Hercule zerstört hatten und er nie in der Lage sein würde zu herrschen. Wie ein Tier in einem Irrgarten kehrten meine Gedanken unablässig zu jenem Tag in der Provence zurück, als Nostradamus mir prophezeit hatte, dass meine Söhne das Erwachsenenalter erreichen würden. Dass sie kinderlos sterben würden, hatte er nicht gesagt, und doch stand mir diese Drohung nun vor Augen; sie war eine Wahrheit, vor der es kein Entrinnen gab und die ich nicht ignorieren konnte.
Wenn Henri keinen Sohn zeugte, würde Navarra erben. Die Zukunft würde von einem hugenottischen Prinzen abhängen, der mich für seine Feindin hielt, dessen Mutter vergiftet zu haben ich bezichtigt wurde, dessen Freunde in meinem Palast niedergemetzelt worden waren und dessen Konversion ich erzwungen hatte. Alles, wofür ich gekämpft hatte, das Vermächtnis des Friedens, den ich für Frankreich angestrebt hatte, und meine Blutlinie, würden von seinem Absatz zermalmt werden.
Ich zwang mich aufzustehen und trat ans Fenster. Draußen schwankten die vom Wind zerzausten Bäume unter einem schwarzen Himmel, der im Licht Tausender Sterne verschwamm. Während ich die unendlich weit entfernten Konstellationen betrachtete, fragte ich mich, wozu ich gekämpft, geplündert, mich durch ein selbst geschaffenes Labyrinth gearbeitet hatte, wenn meine Zukunft von vornherein festgelegt gewesen war.
Ich kehrte zu meinem Pult zurück, nur um eine schiere Ewigkeit lang den Papierstoß und die Federkiele anzustarren.
Ihr braucht einander, um euer Schicksal zu erfüllen.
Dann setzte ich mich und schrieb meine Anweisungen.
Zwei Tage später traf Henri in seiner verschmutzten Jagdausstattung ein.
»Es ist geschehen.« Er streifte seine Handschuhe ab. »Ich habe ihn zu einer Lichtung gebracht, wo wir am Vortag einen Hirsch gesehen hatten. Nachdem ich meinen Männern befohlen hatte, das Tier zu umzingeln, und mit ihm allein war, habe ich zu ihm gesagt: ›Flieh. Sonst beschließt am Ende noch einer von uns, dich umzubringen.‹«
Er stolzierte zu meiner Anrichte, um sich einen Kelch Wein einzuschenken, den er in einem Zug hinunterkippte. »Inzwischen ist er bestimmt schon auf halbem Weg zu seinem Reich.« Er stellte den Kelch ab und wirbelte zu mir herum. »Wenn Ihr wolltet, dass er frei abzieht, warum habt Ihr ihn dann nicht einfach zusammen mit Margot weggeschickt?«
»Es musste nach einer Flucht aussehen. Die Katholiken, Guise – das ist das Einzige, was sie akzeptieren würden.«
»Sicher, aber jetzt bin ich der Dummkopf, der ihn entkommen ließ.« Henri starrte mich an. »Warum habt Ihr das getan? «
Ich erhob die Augen. Wie gut mich mein Sohn doch kannte! Wie keines meiner Kinder konnte er in meine Seele schauen. Ich kämpfte den Drang zurück, ihm alles anzuvertrauen. Ich hatte keine andere Wahl gehabt, als ihn zu täuschen. Charles lag nach wie vor mit Fieber im Bett, auch wenn die Krämpfe langsam nachließen. Paré hielt es für möglich, dass er vielleicht doch noch überlebte, und forschte verzweifelt nach einem Gegengift. Cosimo war tot; Margot stand in ihren Gemächern unter Hausarrest. Ich musste die Wahrheit begraben! Henri durfte nie erfahren, was Margot getan hatte. Er musste unwissend und frei von aller Schuld bleiben. Und obwohl ich Margot so entsetzlich böse war, dass ich ihr kaum ins Gesicht sehen konnte, war sie immer noch Navarras Frau. Sie musste geschützt werden. Wenn irgendjemand anders beschuldigt wurde, Charles vergiftet zu haben, dann konnte es meinetwegen ich sein.
»Das Einzige, was du zu wissen brauchst«, sagte ich vorsichtig, »ist, dass du Frankreich verlassen musst.«
Er erbleichte. »Ihr … Ihr wollt, dass ich gehe? Warum?«
»Weil Birago mir berichtet hat, dass viele von den Hugenotten, die nach dem Massaker Richtung Genf geflohen sind, planen, zurückzukehren und gegen uns zu Felde zu ziehen. Neben mir und Guise geben sie dir die Schuld an dem Gemetzel. Ich will dich keinen Gefahren aussetzen. Ich werde deiner Tante Marguerite in Savoyen schreiben. Sie wird entzückt sein, dich aufzunehmen. Mir geht es dabei nicht allein nur um dein Wohlergehen, auch Hercule möchte ich wegschicken, sobald mir Elizabeth Tudor ihr Einverständnis gibt, sein Werben zu erhören.«
Henri schnitt eine Grimasse. »Das wird ein Anblick sein! Unser Hercule, wie er mit Elizabeth Tudor herumschäkert!« Er musterte mich unverwandt. »Das kommt alles sehr plötzlich. Erst muss ich Navarra in Vincennes einsperren, dann befehlt Ihr mir, sein Leben zu bedrohen, um ihn zur Flucht zu zwingen, und jetzt höre ich, dass Charles schwer krank ist.« Seine Augen funkelten. »Warum wollt Ihr mich wegschicken, wenn ich womöglich bald König bin?«
Ich stellte mich seinem Blick. »Ja, Charles ist krank, aber er kann noch viele Jahre am Leben bleiben. Du musst auf mich hören. Du musst von hier weg und warten, bis ich dich hole. Ich flehe dich an!« Meine Stimme überschlug sich. »Du … du kannst nicht bleiben. Sonst riskierst du dein Leben.«
Seine Augen verengten sich. »Mein Leben? Wie denn? Und sagt mir nicht wieder, dass es diese verdammten Hugenotten sind.«
»Nein, nicht die Hugenotten.« Ich senkte den Blick. »Es ist dein Bruder. Charles hat mehr als nur ein Fieber. Paré meint, dass er unter einer Art Geistesgestörtheit leidet und sich einbildet, die Toten würden ihn wegen unserer Taten verfolgen.«
»Dann lasst mich mit ihm sprechen. Er ist mein Bruder. Er muss wissen, dass ich nicht in der Lage bin, Guise aufzuhalten, wenn er mit seinen mehreren tausend auf ein Blutbad versessenen Katholiken anrückt.«
»Nein, im Moment hat es keinen Sinn, ihm gut zuzureden. Er ist nicht er selbst. Er droht, dich an Hercules Stelle nach England zu schicken. Aber lieber sterbe ich, als dich auf dieser Insel von Häretikern zu sehen. Elizabeth hat ihre Häfen für unsere hugenottischen Flüchtlinge geöffnet. In ihrem Reich wimmelt es von ihnen. Und sie hassen uns. Jeder von ihnen könnte dir etwas antun.«
Sehr zu meiner Erleichterung legte er die Stirn in Falten. Auch wenn er vielleicht das Gegenteil vorgab, waren ihm die Konsequenzen des Massakers sehr wohl bewusst, und er verübelte es sich selbst, dass er Guise in der bewussten Nacht nachgegeben hatte, denn so war der Eindruck entstanden, er hätte den Tod Tausender gebilligt.
»Hercule hatte nichts mit der Blutnacht zu tun«, fuhr ich fort. »Mit ihm wird Elizabeth folglich ihr übliches Spiel treiben und sich zieren können. Aber bei dir ginge das nicht. Sie hat erfahren, dass du in der bewussten Nacht in Colignys Haus warst.«
»Und das ist alles? Sonst gibt es nichts?«
»Nein.« Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Es wird nur für kurze Zeit sein, das verspreche ich dir. Wir können uns täglich schreiben.«
Nach kurzem Zögern nickte er. »Wahrscheinlich könnte ich etwas Abstand gut gebrauchen.« Er schmunzelte. »In Savoyen wird es bestimmt nicht so düster zugehen.« Er küsste mich auf die Wange. »Hoffentlich wisst Ihr, was Ihr mit Navarra machen wollt. Gott allein weiß, was er unternimmt, sobald er sich wieder sicher fühlt.«
»Allerdings«, murmelte ich unhörbar, als er zur Tür schlenderte.
Wieder allein, sank ich auf meinen Stuhl. Ohne an irgendetwas Bestimmtes zu denken, vergrub ich das Gesicht in den Händen und weinte wie schon seit Jahren nicht mehr. Ich trauerte um Tausende von Toten; um das Kind, das ich gewesen war, und um die Familie, die ich zurückgelassen hatte, um das Land, an das ich mich kaum noch erinnern konnte, und um das Land, für dessen Rettung ich kämpfte. Ich weinte um meine toten und um meine lebenden Kinder, die, infiziert vom Hass unserer Religionskriege, herangewachsen waren. Ich weinte um meine Freunde und Feinde; um all die verlorenen Hoffnungen und Illusionen.
Aber vor allem weinte ich um mich selbst und um die Frau, zu der ich geworden war.
Zwei Monate später saß ich an Charles’ Bett, während er sich die Lunge aus dem Leib hustete. Er war noch keine vierundzwanzig Jahre alt, doch Cosimos Gift hatte langsam seine Wirkung entfaltet und ihn von innen zersetzt, sodass er durchnässt von Schweiß und seinem eigenen Blut dalag.
Seine Finger klammerten sich um die meinen. Seine Augen waren geschlossen, seine Brust hob sich bei den flachen Atemzügen kaum noch. Vorhin hatte er ein Dokument unterzeichnet, das mir die Regentschaft bis zu Henris Rückkehr zusprach. Seine Frau Isabell war bereits in Trauer und mit ihrem Gebetspult verwachsen. Nur Birago, ich und sein treuer Jagdhund leisteten ihm Beistand, während er zwischen Halbschlaf und Bewusstlosigkeit vor sich hin dämmerte.
Kurz nach vier Uhr am Nachmittag ließ sein Fieber nach. Und während ein Regenschauer gegen die Mauern des Schlosses prasselte, öffnete er noch einmal die Augen und blickte mich an.
»Vergebt mir«, flüsterte er.