11
Nach vierzigtägiger Staatstrauer traten Henri und ich zum ersten Mal als Königspaar an die Öffentlichkeit.
Es fiel mir immer noch schwer zu begreifen, dass mein Schwiegervater tot war, dass die ganze Welt sich verändert hatte und ich nun Königin war. Ich legte die weißen Trauergewänder an und begann, wie so oft in Zeiten der Niedergeschlagenheit, mich um Unwichtiges zu sorgen: Ob das Weiß mich fahl aussehen lassen würde? Meine Schwangerschaft war schon sichtbar, und ich spürte die Blicke des gesamten Hofes auf mir, wie sie mich auf meine Eignung hin abschätzten, den Thron mit einem Valois zu teilen.
Anders als ich war Henri die Ruhe selbst. Weiß stand ihm ausgezeichnet, hob den Bernsteinschimmer in seinen Augen und seine dunklen Locken hervor. Der Anflug von Silber in seinem Bart verlieh ihm, dem Dreißigjährigen, zusätzliche Würde, und er zeigte sich leutselig und geduldig, während die eifrigen Höflinge sich in langer Schlange anstellten, um uns ihren Gruß zu entbieten. Auch ich musste an jeden ein paar Worte richten, und mir schmerzte der Nacken vom wohlwollenden Kopfnicken zu ihren hohlen Glückwünschen. Schon wollte ich erleichtert aufseufzen, als der Letzte sich vor uns verneigte, da gewahrte ich auf der Schwelle des Thronsaals eine Gestalt, die mir den Atem stocken ließ.
Francis de Guise, genannt le Balafré, der Narbige, kam am Kopf seines Klans in den Saal stolziert und schnitt eine Schneise durch den versammelten Hof. Sobald er sie entdeckte, sprang Henri auf und ließ mich allein auf unserem Podest zurück. Ungläubig sah ich zu, wie mein Gemahl, der neue König, diese üble Brut so herzlich begrüßte, als sei sie ihm ebenbürtig. Nachdem er le Balafré kameradschaftlich auf die Schulter geklopft hatte, küsste er die Hand seines Bruders, des Kardinals de Guise, den ich nie hatte leiden können.
Obgleich noch in den Zwanzigern, war Monseigneur ein erfahrener Diplomat, der die Interessen der französischen Geistlichkeit in Rom vertreten hatte. Wie seine Brüder war er dazu bestimmt, große Reichtümer zu erben, und er benahm sich, als hätte er nie etwas anderes gekannt. Mit seiner raschelnden roten Robe und Scheitelkäppchen, seinen feuchten Kalbsaugen, den dicken Lippen und zarten Händen erinnerte Monseigneur mich an meinen verstorbenen päpstlichen Oheim. Zu einem ausschweifenden Luxusleben erzogen, verbarg er hinter seiner eleganten Fassade unersättlichen Ehrgeiz, und fast zog ich ihm noch seinen Bruder vor, den finsteren Balafré, der keinen Hehl machte aus seiner Verachtung für alles, was nicht adelig, französisch und katholisch war.
»Schaut sie Euch an«, flüsterte ich meiner Schwägerin Marguerite zu. »Sie tun so, als ob er ihnen gehörte.«
»Mein Bruder ist dieser Sippe gegenüber mit Blindheit geschlagen«, wisperte sie indigniert. »Sie wissen genau, wie sie mit ihm umgehen müssen. Ihr seid weise, ihnen zu misstrauen. Die Guises wollen sich ganz Frankreich untertan machen, obwohl sie ihr Herzogtum nur haben, weil mein Vater es ihnen geschenkt hat.«
Ihre Worte waren wie ein unheimliches Echo der Warnung ihres verstorbenen Vaters. Ich hob trotzig das Kinn und ließ mir meine Unruhe nicht anmerken, als Henri mit den Guises an seiner Seite vor den versammelten Hof trat.
»Mein Vater, François der Erste, ist von uns gegangen«, erklärte er. »Obgleich ich um ihn trauere, muss ich nun aus eigener Machtvollkommenheit regieren. Ich werde der König eines neuen Zeitalters sein und Frankreichs Glorie wiederherstellen, damit wir in Frieden leben können, geschützt vor unseren Feinden und in der Gnade des einzig wahren Glaubens.«
Begeisterter Applaus brandete auf. Ich wusste nicht, warum mir so unbehaglich zumute war, bis er hinzufügte: »Ihr seht einen Herrscher vor euch, der sicher ist, am rechten Platz zu sein, im Herrschen jedoch noch unerfahren. Daher werde ich meinen Kronrat neu zusammenstellen, angefangen« – er streckte die Hand zum Kardinal aus – »mit Monseigneur als oberstem Ratsherrn und seinem Bruder, Francis le Balafré, Duc de Guise, als meinem persönlichen Ratgeber.«
Diesmal lösten seine Worte betroffenes Schweigen aus.
»Und Konnetabel Montmorency«, fuhr Henri fort, »der meinem Vater so loyal gedient hat, wird einen Ehrensitz im Rat erhalten; sein Neffe, Gaspard de Coligny, wird zum Admiral ernannt und übernimmt die Verteidigung unserer Häfen.«
Die Erwähnung Colignys beruhigte mich ein wenig. Ich hatte ihn seit Jahren nicht gesehen, da er selten an den Hof kam, doch ich hatte ihn stets als Freund betrachtet, den ich vielleicht einmal brauchen würde; sein Oheim, der Konnetabel, war bekannt für seinen Hass auf Diane und die Guises. Vielleicht würde Montmorency sich den Guises entgegenstellen, dachte ich, bis ich das selbstzufriedene Lächeln sah, das um die dicken Lippen des Kardinals spielte. Den Konnetabel in den Rat aufzunehmen, war natürlich seine Idee gewesen, da es weiser war, einen potentiellen Gegner am Hof zu haben, wo man ihn im Auge behalten konnte, anstatt ihn anderswo Unruhe stiften zu lassen.
Henri hatte alle Forderungen der Guises erfüllt.
Und jetzt, wie auf ihr Stichwort hin, erschien sie, glanzvoll in Hermelinärmeln und lila Brokat. An ihrem Mieder funkelte ein gigantischer Saphir. Es durchzuckte mich; die Letzte, die dieses Schmuckstück getragen hatte, war die Duchesse d’Etampes gewesen. Es war Teil der Kronjuwelen, die Königin Eleonore nie angelegt hatte. Indem sie den Schmuck heute trug, erhob Diane einen Anspruch, den keiner, am wenigsten ich, übersehen konnte.
Sie glitt an den tuschelnden Höflingen vorbei zum Podest, mit einer Miene, die an Gleichgültigkeit nicht zu übertreffen war. Als sie vor mir in einem Hofknicks versank, hob sie die Augen, und ich wusste sogleich, dass sie mir eine Warnung zukommen ließ. Eine schreckliche Rache hatte Madame d’Etampes ereilt, und im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin hatte Diane nicht die Absicht, sich mit dem ihr zukommenden Platz zu begnügen.
»Madame de Poitiers«, verkündete Henri, »Sénéchale de Normandie, wird hiermit zur Duchesse de Valentinois ernannt, in Anerkennung der unermüdlichen Dienste, die sie meiner Gemahlin, der Königin, erwies.«
Ich entsann mich der Nächte, als sie an unserem Bett gestanden und unsere Paarung dirigiert hatte, als wären wir ihre Marionetten; nun, da mein Schoß fruchtbar war, nahm sie nicht mehr daran teil, doch selbst das wäre mir lieber gewesen als diese öffentliche Demütigung. Ich wäre auf der Stelle aufgestanden und gegangen, hätte ich nicht Marguerites Hand auf der Schulter gespürt. Und während der Zorn mir den Verstand benebelte und ich Eisen auf der Zunge schmeckte, hörte ich Papa Clemens säuseln: Die Liebe ist ein trügerisches Gefühl. Du wirst besser ohne sie auskommen. Das haben wir Medici im mer getan.
Obgleich ich die Königin war, lebte ich in einer Welt, die von Diane beherrscht wurde. Wie befürchtet, hatte sie tatsächlich Rache an Madame d’Etampes genommen, indem sie sich ihrer Güter bemächtigte und sie in den Ruin trieb. Von ihren prächtigen neuen Gemächern aus übernahm Diane auch den Haushalt meines Sohnes François, ernannte sich zu seiner offiziellen Gouvernante und wählte seine Dienerschaft aus.
Da dies alles mit Erlaubnis meines Gemahls geschah, kümmerte es keinen, wie ich mich dabei fühlte. Niemand glaubte, dass ich zu irgendetwas anderem taugte als zur königlichen Zuchtstute. Wie so viele Königinnen vor mir musste ich nur der Erwartung genügen, jedes Jahr ein Kind zu gebären und die Untreue meines Gatten ohne Vorwürfe zu dulden.
Kurz und gut, es gab nichts, womit ich ihr hätte beikommen können, außer Mord.
Diese Möglichkeit nagte an mir wie ein Laster, zumal die Schwangerschaft mich misslaunig und grüblerisch machte und mich noch mehr in den Hintergrund drängte. Jedes Mal, wenn ich von einem Festmahl hörte, das sie und Henri abgehalten hatten, oder von einem Jagdausflug, den sie unternahmen, war ich so wütend, dass ich mich kaum beherrschen konnte, mein Gift zu verwenden, um sie ein für alle Mal los zu sein, ungeachtet der Konsequenzen. Seit François’ Tod war noch kein Jahr vergangen, und ich konnte kaum aus meinen Gemächern treten, ohne ihren und Henris verschlungenen Initialen zu begegnen, die auf Wandteppichen und Balken sprossen wie Pilze nach dem Regen. Gott behüte, sagte ich mir, dass Diane je etwas von meinem Eigentum begehrte, denn ich hätte nicht gewusst, wie ich es verteidigen sollte.
Nichts unterstrich diese Tatsache deutlicher als der Zwischenfall mit Chenonceau.
Es war ein paar Monate nach Henris Krönung, im Herbst. Das Wetter war mild, die Felder standen in üppiger Frucht, und die Bäume schimmerten golden. François hatte immer gesagt, die Loire sei im Herbst am herrlichsten, und ich beschloss, mein Château zu besichtigen, bevor der Winter kam. Leider tat ich meine Absicht eines Abends beim Mahle kund, und prompt kam Diane am nächsten Morgen in meine Gemächer gerauscht, strahlend in schwarzem Damast und Nerz, das graumelierte Haar zu einer griechischen Coiffure aufgesteckt, die ihren Entschluss bezeugte, sich in der klassischen Manier der Antike zu stilisieren.
Wenn sie die leichtfüßige Diana war, dann war ich die erdverhaftete Juno, im siebten Monat schwanger, Hände und Füße geschwollen, mit schmerzendem Rücken und alles andere als erfreut, sie zu so früher Stunde zu sehen. Sie neigte kurz den Kopf, um der Schicklichkeit Genüge zu tun. »Wie ich höre, möchte Eure Hoheit an die Loire reisen. Seine Majestät hat mich gebeten, Euch zu begleiten, da sich so manches Unheil ereignen könnte.«
»Das wird nicht nötig sein«, entgegnete ich. »Ich habe den Architekten Philibert de l’Orme gebeten, mir Geleit zu geben und mir bei der Instandsetzung zu helfen, und ich habe mehr als genug Bedienstete, die für meine Sicherheit sorgen.«
»Ah, aber keinen, der Euch so ergeben ist wie ich.« Sie blickte vielsagend auf meinen schwangeren Bauch. Ich hätte sie ohrfeigen können. Es war alles entschieden. Auf ging es an die Loire, mit der Schlange im Schlepptau.
Chenonceaus Schönheit glänzte trotz des Verfalls. Der Park war von Wildschweinen verwüstet, und die Weinberge waren ungepflegt, doch das Château prunkte mit Türmchen und Erkern, die über den Cher hinwegblickten – ein Haus aus Perlmutt und Nebel, wie geschaffen für das Zartgefühl einer Frau.
Es war Liebe auf den ersten Blick. Auch bei Diane. Sie schwebte durch die leeren Räume, während dieser Kretin de l’Orme (der sehr wohl wusste, wer von uns besser geeignet war, seinen Ruf zu fördern) hinter ihr herschwänzelte und ihre launigen Einfälle getreulich notierte. Ich wurde in einem Sessel in der Halle zurückgelassen, wo ich trübsinnig die charmant schiefen Deckengewölbe betrachtete.
Einige Nächte nach unserer Rückkehr suchte Henri mich auf. Als er mir eröffnete, Diane wolle mein Château haben, starrte ich ihn an, als hätte er mich aufgefordert, zu ihrer Kurzweil nackt durch den Schlosshof zu laufen.
»Aber das Anwesen ist meines«, sagte ich. »Euer Vater hat es mir überschrieben.«
Er trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. In schwarzen Brokat gekleidet, ihren silbernen Halbmond auf den Ärmeln eingestickt, verkörperte er das Idealbild eines Königs. Sein Bart war voll und weich, gerade so, wie ich ihn mir für unsere Hochzeitsnacht erträumt hatte. Wir brauchten Diane nicht mehr, um uns beim Vollzug unserer ehelichen Pflichten anzuspornen, und ich konnte mir das Gefühl seiner Hände auf mir vorstellen, während ich so dasaß. Ich schob den Gedanken beiseite, beschämt ob meiner Schwäche und meines Verlangens nach einem Akt, den wir nur zum Zwecke des Kinderzeugens genossen.
»Sie wird Euch Chaumont dafür geben«, sagte er. »Das ist ein fairer Tausch.«
»Ebenso könnte man eine Bauernkate mit den Pyramiden vergleichen. Ist ihr denn Anet nicht mehr gut genug?«
Das hätte ich lieber nicht sagen sollen. Anet war ihrer beider Zufluchtsort vor dem Hof und vor mir; seine Stimme wurde hart. »Anet gehört ihr. Sie kann damit machen, was sie will.«
»Ganz recht, solange sie mir das Gleiche zugesteht.« Ich hielt seinem Blick stand, ohne die Augen niederzuschlagen, zum Zeichen meiner Kampfbereitschaft. »Sagt ihr, ich werde mich nicht von meinem Château trennen, und wenn sie mir den Louvre dafür böte.«
Er schob das Kinn vor. »Es bestehen Zweifel, ob mein Vater das Château rechtmäßig erworben hat.«
»Na und? Besitz anstelle von Schulden einzuziehen ist eine bewährte königliche Gepflogenheit.«
»Nichtsdestotrotz«, sagte er zu meiner Verblüffung, »werde ich ein Tribunal abhalten lassen, um über die Sache zu befinden. « Er marschierte hinaus und schlug die Tür zu, als einziges Zugeständnis an seinen unterdrückten Zorn.
Das Urteil lautete, François habe widerrechtlich gehandelt. Chenonceau wurde zur Auktion gebracht, von der ich als Königin ausgeschlossen war. Es gab einen Bieter: Für die lachhafte Summe von fünfzigtausend Livres erwarb Diane mein Château samt Liegenschaften und Schlossgraben.
Um mich für den Verlust zu entschädigen, überschrieb sie mir Chaumont »als Geschenk«. Verdrossen darüber, dass ich mich in diese Machenschaften hatte hineinziehen lassen, bestand ich darauf, für Chaumont zu bezahlen, damit keiner sagen konnte, ich hätte etwas von ihr angenommen. Dann machte ich mich auf, mein neues Château zu besuchen.
Ohne jeglichen Komfort, umgeben von einem dichten Nadelwald, der die Schlossmauern ewig feucht hielt, lag Chaumonts einziger Reiz in dem Blick über die Loire. Ich brach in Tränen aus, als ich meinen neuen Besitz sah, und ließ mich augenblicklich zurück an den Hof bringen, wo ich in meine Gemächer stürmte und Sachen gegen die Wand warf.
Ich schwor mir, nie wieder nach Chaumont zurückzukehren. Aber ich kehrte zurück, nach der Geburt meines dritten Kindes, meiner Tochter Claude. Diesmal nahm ich Cosimo Ruggieri mit. Wie benommen wanderte er durch das Schloss, so begeistert von seinem Potential als Observatorium, dass ich ihm die Schlüssel aushändigte. Er verriegelte sein Haus in Paris und zog in Chaumont ein. Was mich betraf, weigerte ich mich, noch irgendetwas damit zu tun zu haben.
Stolz war ein Luxus, den ich mir damals noch leisten zu können meinte.