17
Wir brachten ihn zum Palast zurück, wo ich an seinem Bett stand, während Docteur Paré die Wunde untersuchte. Henri war ohnmächtig geworden, so fahl, dass sich blaue Adern unter seiner Haut abzeichneten. Paré bereitete ein Kataplasma aus Mohnsamen zu und applizierte es auf dem verletzten Auge, bevor er den herausragenden Splitter vorsichtig mit Gaze umwickelte. Dann winkte er mich und Monseigneur ins Vorzimmer.
»Na?«, blaffte der Kardinal. Seine sonst so gedämpfte Stimme klang seltsam schrill. »Wird er leben?«
Ich fuhr zu ihm herum. »Wie könnt Ihr es wagen? Das ist Hochverrat!«
Er musterte mich verächtlich und zerstreute damit alle Zweifel, die ich bezüglich seines Wesens noch gehabt haben könnte. »Madame«, sagte er, »wir müssen das Wohl des Reiches bedenken. Die Wunde Seiner Majestät könnte tödlich sein.« Er sprach ohne sichtbare Gefühlsregung, als sei Henri irgendein Köter, der unter die Räder seiner Kutsche geraten war.
Meine Wut, die bei allem, was die Guises betraf, stets dicht unter der Oberfläche schwelte, drohte mich zu ersticken. Ich wollte ihn gerade hinausbeordern, als Paré sagte: »Monseigneur, die Verletzung ist zwar schwer, aber nicht unbedingt tödlich. Wir müssen erst den Splitter entfernen, ehe wir das Ausmaß des Schadens ermessen können.«
Es lief mir kalt über den Rücken. Ich hatte Gefahr vorhergesehen, aber niemals gedacht, dass es Henri treffen könnte. Ich wandte mich ab von Monseigneurs berechnendem Blick. »Wir müssen alles tun, was wir können«, sagte ich zu Paré und konnte nicht verhindern, dass meine Stimme zitterte. »Das Leben Seiner Majestät liegt in unseren Händen. Vielleicht sollte ich Nostradamus herbeirufen. Er hat schon einmal geholfen, meinen Gemahl zu heilen.«
»Das war eine Fleischwunde am Bein«, entgegnete Paré sanft. »So gelehrt Nostradamus auch ist, so ist er doch kein Chirurg. Es würde zu lange dauern, bis er hier ist, und der Splitter muss so schnell wie möglich entfernt werden, bevor die Wunde zu schwären beginnt. Ich habe schon Operationen durchgeführt, auf dem Schlachtfeld, aber ich brauche erst ein Modell, zum Experimentieren.« Er sah mich ernst an. »Ich brauche Köpfe, Hoheit, so viele wie möglich.«
»Lasst zehn Gefangene exekutieren und bringt mir ihre Köpfe«, befahl ich Monseigneur.
»Dürfte ich vorschlagen«, erwiderte der Kardinal, »dass einer dieser Köpfe der von Montgomery wäre?«
Ich funkelte ihn an. »Es war ein Unfall. Wir ahnden keine Unfälle.«
»Montgomery ist Hugenotte. Es war kein Zufall, dass er zuerst meinen Bruder herausgefordert hat. Seine Majestät ist ein Feind der Ketzer; dies war ein hugenottischer Racheakt.«
Ich trat so nah an ihn heran, dass ich den teuren Moschus an seinen Gewändern riechen konnte. Er widerte mich an mit seiner aalglatten Art, seinen manikürten Händen, der Leichtigkeit, mit der er sein monströses Wesen verbarg. »Ich rate Euch, mich nicht noch mal zu reizen«, sagte ich. »Geht. Tut, was ich Euch geheißen habe. Jetzt.«
Montgomery war mir vollkommen gleichgültig, doch er sollte nicht sterben, nur weil es Monseigneur so passte. Als der Kardinal in die Galerie hinauseilte, wo man die Höflinge nach Neuigkeiten rufen hörte, legte der Doktor bedenklich die Stirn in Falten. Ich konnte es nicht ertragen, den Zweifel in seiner Miene zu sehen, also verließ ich ihn und kehrte an Henris Seite zurück. Ich zog einen Stuhl ans Bett und ergriff die Hand meines Gemahls.
Er würde leben. Er musste leben.
Die körperlosen Köpfe lieferten keine schlüssigen Erkenntnisse, und Paré beschloss, den Splitter zunächst zu kappen, um die Heilung der Wunde zu erleichtern. Das Fleisch rings um das verletzte Auge sah schlimm aus, rot, geschwollen, und aus Angst vor Wundbrand sandte ich einen Eilboten zu Nostradamus nach Salon, mit der dringenden Bitte um Hilfe. Während ich auf seine Antwort wartete, wich ich nicht von Henris Seite, unterstützt von Marguerite und meiner Elisabeth. Von Zeit zu Zeit gelangte er wieder zu Bewusstsein, und immer, wenn er erwachte, sah er mich. Ich benetzte ihm Gesicht und Hals mit Rosmarinwasser; ich lächelte und gab mich zuversichtlich. Niemals ließ ich ihn die Angst sehen, die mir die Luft nahm wie eine allmählich sich zuziehende Schlinge.
Am dritten Tag fieberte er, und seine Haut hatte die Farbe von Sand. Nostradamus hatte geantwortet, er käme sofort, wenn er helfen könne, doch leider sei er kein Chirurg und könne nur seinen Rat anbieten. Seinem Brief hatte er ein Rezept für ein Kataplasma beigelegt. Inzwischen war Henris Auge ein eitriger Sumpf, und seine Diener mussten ihn mit aller Kraft niederhalten, damit Paré ihm den Verband wechseln und das Kataplasma auflegen konnte. Trotz ihrer Entschlossenheit, bei mir auszuharren, wirkte Elisabeth so erschöpft, dass ich sie mit Marguerite fortschickte.
Marguerite kam zurück, sobald sie meine Tochter zu Bett gebracht hatte. Paré war fertig, und ein Knäuel besudelter Gaze bauschte sich zu seinen Füßen. Ich spürte, wie sich mir die Haare im Nacken sträubten, so unheilverkündend war der Eitergeruch, der deutlich anzeigte, dass die Wunde infiziert war. Henris Stirn war in eisigen Schweiß gebadet. Er hatte sich aufgebäumt und gebrüllt wie ein Tier; nun lag er so still da, dass ich das Schlimmste befürchtete.
»Er rührt sich nicht mehr«, flüsterte ich Paré zu. »Gibt es denn nichts, was wir noch für ihn tun können?«
»Ich fürchte, der Splitter hat das Auge Seiner Majestät durchstoßen und die schützende Membran seines Gehirns verletzt«, murmelte er. »Das Kataplasma hilft vielleicht gegen die Entzündung, doch wenn der Splitter noch tiefer eindringt …« Seine Worte endeten in vielsagendem Schweigen.
»Und was ist mit einer Operation?«, wollte ich wissen. »Wenn die Schwellung abklingt, könntet Ihr den Splitter doch entfernen?«
Er schüttelte den Kopf. »Dazu müsste der Schädel trepaniert werden, und im Moment ist Seine Majestät zu schwach dafür. Vielleicht, wenn das Kataplasma gewirkt hat, oder vielleicht wird es auch gar nicht nötig sein. Er könnte von selbst genesen.«
»Mit einem Splitter im Auge?« Ich starrte ihn an. »Soll das heißen, das ist alles, was wir tun können?«
Paré nickte betrübt. Ich wandte mich meinem Gemahl zu. Blut und Eiter sickerten schon wieder durch den Verband. Als ich nach seiner Hand fasste, öffnete sich plötzlich sein unverletztes Auge. Ich beugte mich ganz nah zu seinen ausgetrockneten Lippen vor.
»Marguerite«, wisperte er, »ihre … Hochzeit … kümmere dich darum.«
Hinter mir hörte ich ein Aufschluchzen. Ich brauchte Marguerite nicht anzusehen, um zu wissen, dass auch sie der Verzweiflung erlegen war.
Um Mitternacht vermählte sich Monseigneur Filbert von Savoyen mit Marguerite. Es gab keine Feier. Ich umarmte sie beide, wünschte ihnen mit matter Stimme Glück und kehrte zu Henri zurück.
Draußen vor seiner Tür begann schon der Streit um die Macht. Ich wusste, dass die Guises und ihre Speichellecker sich im Verborgenen trafen und Allianzen schmiedeten. Ihre Intrigen ließen mich kalt, nicht weil sie mir gleichgültig waren, sondern weil ich ohnehin nichts dagegen tun konnte, selbst wenn ich die Kraft dazu gehabt hätte.
Mein Gemahl, mit dem ich sechsundzwanzig Jahre lang gelebt hatte, entglitt mir unwiderruflich, und alles, was ich tun konnte, war zusehen, unfähig, ihn gegen die Feinde von innen und außen zu verteidigen.
Einer nach dem anderen kamen sie, um Abschied zu nehmen. Unser Sohn François an Marys Hand, ein unreifer Junge von fünfzehn Jahren und ein siebzehnjähriges Mädchen, deren behütetes Leben nun in Scherben lag. Tränenüberströmt stammelte François, er wolle nicht König werden; er wolle nicht, dass sein Vater stürbe. Mary nahm ihn in die Arme und warf mir einen bangen Blick zu. Ich fragte mich, ob die Guises ihr wohl schon mit der Schwere der Verantwortung als zukünftige Königin Angst gemacht hatten, damit sie eher bei ihnen Rat suchte als bei mir.
Blass, aber gefasst, gab Elisabeth ihrem Vater einen Abschiedskuss und begab sich dann wieder zu den jüngeren Geschwistern, die ich zum Louvre hatte bringen lassen. Charles weinte untröstlich nach seinem Papa und umklammerte den Jagdhundwelpen, den Henri ihm geschenkt hatte. Ich wollte sie nicht dem Anblick ihres gequälten Vaters aussetzen; ich schrie Paré an, bis er Henri so viel Opium gab, dass es ein Pferd umgehauen hätte.
Doch er starb noch immer nicht.
Er kämpfte wie der Soldat, der er stets gewesen war, während das Fieber anstieg. Manchmal kam er zu sich und keuchte, man solle François II. zu seinem Nachfolger ausrufen lassen. Dann liebte ich ihn mehr denn je; er hatte wie ein König gelebt und würde wie ein König sterben, bis zuletzt darauf bedacht, dass Frankreich nicht mit ihm unterging.
Ich war am Ende bei ihm, an einem Julinachmittag von unbändiger Schönheit. Er delirierte seit geraumer Zeit, murmelte unzusammenhängende Worte. Als ich mich neben ihn kniete, wandte er mir den Kopf zu und sah mich mit klarem Blick an. Das Fieber hatte nachgelassen, auf dass er noch einmal er selbst sein könne.
Seine rissigen Lippen öffneten sich. Er hauchte nur ein Wort: »Cathérine.«
Dann schloss er die Augen. Und verließ mich.
Ich überließ seinen Leichnam den Einbalsamierern, die sein Herz entnehmen würden, um es in dem Alabasterschrein an unserem unvollendeten Grab in Saint-Denis beizusetzen. Ich überantwortete ihn der klagenden Dienerschaft, die ihn jahrelang umsorgt hatte, und dem Konnetabel Montmorency, der am Totenbett Wache hielt, und seinen Bestattern, den Guises, die sich mit absichtsvoller Hast in Weiß gehüllt hatten.
Durch Korridore, die noch von seinen Schritten widerhallten, kehrte ich in meine Gemächer zurück. Meine Frauen erhoben sich alle auf einmal, alle mit rot geweinten Augen. Lucrezia streckte mir den Arm entgegen. Etwas in meinem Blick ließ sie innehalten. Sie sah wohl, dass ich bei der ersten liebevollen Berührung zusammenbrechen würde.
Ich ging allein in mein Schlafgemach. Mir war, als wäre ich hundert Jahre fort gewesen. Alle meine Besitztümer befanden sich hier: meine venezianischen Silberbürsten mit dem verschlungenen HC auf dem Griff, Phiolen mit Parfüm oder Salben, die Bilder meiner Kinder an der Wand. Ich sah das alles, nahm es wahr, und doch kam es mir vor, als hätte ich mich an einen fremden Ort verirrt.
Blind vor Tränen presste ich die Hand auf den Mund.
Da vernahm ich ein Rascheln, ein Scharren von Absätzen, und sah sie aus dem Schatten neben dem Bett treten. Hätte sie einen Dolch gezückt, ich hätte mich nicht rühren können. Diane sah mich ebenso starr an wie ich sie. Ein Rubin bebte auf ihrer Brust, die Schließe ihres schwarzen Umhangs. In den Händen hielt sie eine silberne Schatulle.
»Ich habe Euch diese hier gebracht.« Sie legte die Schatulle auf meinem Frisiertisch ab und klappte feierlich den Deckel auf. Drinnen lagen auf purpurnen Samt gebettet Diamantanhänger und Ringe, Perlenohrringe, Rubinbroschen und Smaragdketten. »Ich gebe sie zurück, damit Ihr sie der Königin von Frankreich zukommen lasst.«
»Puttana!« Ich schlug sie mit aller Kraft ins Gesicht. Sie taumelte zurück, mein Handabdruck feuerrot auf ihrer Wange.
Sie hob das Kinn. »Davon träumt Ihr wohl schon seit Jahren. Ich fühle mich geehrt, Euch diesen letzten Dienst erweisen zu können.«
Mein Atem ging stoßweise, meine Hände ballten sich zu Fäusten, und ich war drauf und dran, das zu tun, wovon ich immer geträumt hatte – diese dämonische Maske zu zerfetzen und zu sehen, ob sie blutete wie jeder andere auch.
»Ihr könntet mich verhaften lassen«, sagte sie. »Doch ich glaube nicht, dass Seine Majestät das gutheißen würde.«
»Ihr habt kein Recht, seinen Namen auszusprechen!«
»Ich spreche nicht von Henri. Ich spreche von dem neuen König, François dem Zweiten. Ich war eine Mutter für ihn. Wenn es sein muss, wird er mich beschützen.«
Henris Leichnam wurde just in diesem Moment von den Einbalsamierern entweiht, und sie stand hier und verkündete ihre Unantastbarkeit, als sei es eine Tugend. Da wusste ich, dass sie ihn nie geliebt hatte. Sie war unfähig dazu. Sie war so leblos wie ihr Pantheon in Anet.
»Madame«, sagte ich leise, »ich könnte Euch auf dem höchsten Schlossturm aufspießen lassen, und niemand, nicht einmal mein Sohn, wäre fähig, mich davon abzuhalten.«
Ihre Augen weiteten sich. Endlich sah ich, was ich mir ersehnte: Angst. Vor mir. Da fielen aller Zorn und Hass, alle Mordlust von mir ab. Sie bedeutete mir nichts mehr.
Ich trat einen Schritt zurück. »Aber ich werde es nicht tun. Stattdessen befehle ich Euch, den Hof zu verlassen.«
»Ich hatte nicht die Absicht zu bleiben.« Sie rauschte an mir vorbei, königlich sogar noch in der Niederlage. Doch das Schandmal meiner Finger auf ihrer Haut würde sie bis zu ihrem Todestag an sich tragen. Mochte der Abdruck auch verblassen, die Schmach würde bleiben – als Erinnerung daran, dass ich es ihr schließlich heimgezahlt hatte.
An der Tür wandte sie sich um. »Ich kann Euch noch einen Dienst erweisen, den Ihr vielleicht zu schätzen wisst. Die Intrigen und Kabalen, die Bestechungen, Begünstigungen, Komplotte, die ständige Sorge um Sicherheit – all das überlasse ich Euch; niemand verdient es mehr als Ihr; niemand weiß besser damit umzugehen.« Ihre Lippen verzogen sich zu einem eisigen Lächeln. »Aber es ist nicht so leicht, wie Ihr denkt. Als Frau allein in dieser Welt zu bestehen, verlangt den Einsatz aller Waffen, die Ihr besitzt, aller Härte und Widerstandskraft. Ihr schneidet Euch ins eigene Fleisch, ohne es zu merken, so lange, bis Ihr zugleich alles und nichts habt. Es ist jetzt alles Eures, um damit nach Gutdünken zu verfahren.«
Sie wandte sich zum Gehen. »Madame«, sagte ich, »Ihr seid noch nicht entlassen.«
Ihre Hand erstarrte auf dem Türriegel.
»Ihr habt mir etwas genommen, das nicht Eures war. Jetzt will ich es zurück.«
»Er ist dahin«, fauchte sie. »Ich kann den Toten kein Leben einhauchen.«
»Ihr seid anmaßend. Er war immer der Meine. Er wird in unserer Gruft bestattet, wo ich eines Tages neben ihm ruhen werde, als seine Frau und Königin. Ihr dagegen werdet gar nichts sein. Also versucht nicht, mich zu reizen. Ich bin die Mutter des Königs. Ein Wort von mir, und Ihr endet weit schlimmer als jede Eurer Rivalinnen.«
Sie funkelte mich an. »Was wollt Ihr denn? Sagt es, damit ich gehen kann. Ich bin dieser Spielchen müde.«
»Chenonceau. Ihr werdet mir die Besitzrechte abtreten, bevor Ihr diesen Raum verlasst.«
Sie brach in schrilles Gelächter aus. »Ist das alles? Nehmt es, macht es zu einer Zuflucht für Eure Witwenschaft. Ich habe immer noch Anet. Es war mein Eigentum durch meine erste Ehe, und Henri hat es mir noch einmal überschrieben, für den Fall, dass ein Tag wie dieser kommen würde. Er kannte Euch gut, Madame. Er wusste, was Ihr für eine Krämerstochter seid.«
Sie hob den Riegel, im Glauben, wie immer das letzte Wort zu haben.
In einer plötzlichen Eingebung riss ich die Schublade meines Frisiertischs auf, holte eine Goldbörse hervor und warf sie ihr vor die Füße. »Hier habt Ihr Eure Bezahlung. Ihr werdet sehen, dass Ihr Profit macht, ohnehin das Einzige, was Euch je interessiert hat.«
Sie begegnete meinem Blick, bevor sie die Börse aufhob. Dann ging sie, ohne sich noch einmal umzusehen.
Der Atem wich mir aus den Lungen. Die Knie gaben nach.
Auf dem Boden, das Gesicht in den Händen vergraben, gab ich mich meiner Trauer hin wie eine Florentinerin.