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Nach zwei Wochen auf See gingen wir in der Bucht von Marseille vor Anker. Es war eine fürchterlich stürmische Überfahrt gewesen, auf der ich mir schwor, niemals mehr das Festland zu verlassen. Falls ich geneigt war, über die Unwägbarkeiten des Schicksals nachzugrübeln, das mich in ein fremdes Land zu einem fremden Ehemann geführt hatte, so ließ die übermächtige Erleichterung, etwas anderes als rollende Wellen zu sehen, jede Schwermut verfliegen.

Lucrezia und Anna-Maria holten eines meiner neuen Gewänder aus dem Lederkoffer, glätteten die verknitterten Falten und schnürten mich hinein – ein Brokatpanzer, so steif von Juwelen, dass ich kaum fähig war, an Deck zu wanken, geschweige denn, durch Marseille zu dem Palast zu reiten, wo der französische Hof wartete. Zum ersten Mal setzte ich auch meine Herzogskrone auf, die mit den sieben Perlen. Derart feierlich herausgeputzt, verharrte ich an Bord, bis mein neuer Schatzmeister, René Birago, mir kundtat, dass Hofmarschall Montmorencys Boot gekommen war, um mich an Land zu bringen.

Ich nickte. »Dann muss ich ihn wohl begrüßen gehen.«

Birago lächelte. Er war Florentiner, Mitte zwanzig, und von Papa Clemens dazu ausersehen, meine Finanzen zu überwachen. Trotz eines leichten Hinkens, das angeblich an der Gicht lag, besaß er eine alterslose Anmut, die erkennen ließ, dass er sein ganzes Leben am päpstlichen Hof verbracht hatte; seine schlanke Gestalt wurde von einem scharlachroten Wams im eng anliegenden, italienischen Stil zur Geltung gebracht, und sein glatt von der kantigen Stirn zurückgekämmtes, hellbraunes Haar betonte die Hakennase und die klugen dunklen Augen.

»Madama«, sagte er mit einer Stimme, die für heimliche Einflüsterungen wie geschaffen war, »ich rate Euch hierzubleiben. Zwar ist Montmorency Konnetabel von Frankreich und Stallmeister Seiner Majestät, doch Ihr seid die Herzogin von Urbino und die zukünftige Duchesse d’Orléans. Lasst Frankreich doch zur Abwechslung einmal Italien seine Reverenz erweisen.«

Es war eine gewitzte Bemerkung von einem geistreichen Mann, die dazu angetan war, mir ein Lächeln zu entlocken. Wenigstens hatte ich ein kleines Stück Italien zum Schutz an meiner Seite, dachte ich und hob eine Hand zur Brust; unter meinem Mieder spürte ich noch ein weiteres Stück Italien – Ruggieris Phiole.

Meine Frauen scharten sich um mich, als die Franzosen an Bord der Galeone kamen, prachtvoll mit blitzenden Juwelen an Kappen und Wämsen geschmückt. Ohne den Blick von ihnen abzuwenden, wisperte ich Lucrezia zu: »Wer von ihnen ist der Konnetabel?«

»Der dort neben Birago«, wisperte sie zurück. »Das muss er sein; so barbarisch groß und ganz in Schwarz.«

Sie hatte recht. Montmorency sah aus wie ein Titan, seine Schultern verdunkelten die Sonne, und seine steife Halskrause wirkte seltsam puppenhaft an seinem Stiernacken. Birago hatte mir erzählt, dass er Ende dreißig sei, ein Veteran vieler Gefechte, der in dem Krieg um Mailand wie ein Löwe gekämpft hatte. Ich war auf jemanden gefasst, der den Italienern kaum wohlgesinnt sein konnte, nachdem er sein Schwert mit dem Blut so vieler meiner Landsleute besudelt hatte. Doch als er sich über meine Hand beugte, sah ich, dass trotz der ledrigen Haut und der strengen graublauen Augen seine Miene nicht unfreundlich war.

»Es ist mir eine Ehre, Eure Hoheit im Namen Seiner Majestät François des Ersten willkommen zu heißen«, verkündete er mit monotoner Stimme. Ich neigte den Kopf und entgegnete auf Französisch: »Monseigneur, von Euch begrüßt zu werden, verleiht mir das Gefühl, als sei Seine Majestät selbst hier anwesend und dieses Reich meine Heimat.«

Die Falten um seine Augen vertieften sich. Obgleich er kein Wort sprach, während er mich zum Landungsboot geleitete, sagte mir der feste Griff seiner Hand an meinem Ärmel, dass ich meinen ersten französischen Freund gewonnen hatte.


Der Ritt durch Marseille verschwamm wie im Nebel. Als wir den Palast erreichten, wurde mir nur ein kurzer Moment der Erholung gewährt, bevor ich am Arm des Konnetabels in die Halle trat, wo Hunderte von Adligen zu beiden Seiten eines Ganges aufgereiht standen, der zu einem karmesinrot ausgeschlagenen Podest führte.

Ein Händeklatschen ließ die Menge verstummen. »Eh bien! Die Braut ist da!«

Mit katzenhafter Anmut stieg ein Mann von der Empore, von Kopf bis Fuß in Silberstoff gekleidet; die rotbraunen Haare fielen ihm bis auf die Schultern, und der gestutzte Bart betonte die verschwiegenen Lippen und die große Adlernase. Ich staunte. So ein Antlitz hatte ich noch nie gesehen. Es war, als habe das gesamte Spektrum des Lebens sich mit selbstgewisser Arroganz in seine Züge eingegraben. Er war schon weit jenseits seiner vielgepriesenen Jugend; doch François I. von Frankreich war noch immer großartig anzusehen, ein König, für den die Macht zu einem Accessoire geworden war, der alles genoss, was das Leben zu bieten hatte, außer der Selbstverleugnung.

Wir maßen uns mit den Blicken. Unter den schweren Lidern blitzten seine grünen Augen ironisch auf. Beschämt besann ich mich auf meinen Hofknicks. Als ich in die Knie sank, wedelte er abwehrend mit der beringten Hand.

»Mais non, ma fille.« Er umarmte mich, was spontanen Applaus hervorrief. »Bienvenue en France, petite Cathérine«, raunte François I. mir ins Ohr.

Er brachte mich zu seiner Familie. Ich küsste die Hand von Königin Eleonore, der Schwester des Kaisers, einer steifen spanischen Prinzessin, die von ihren Hofdamen umzingelt war. Dann begrüßte ich den ältesten Sohn des Königs aus seiner ersten Ehe mit der verstorbenen Königin Claude. François, der Thronerbe, le dauphin genannt, war ein hochgewachsener junger Mann mit sanften braunen Augen und der Blässe eines chronischen Invaliden. Fast stieß ich mit den Prinzessinnen Marguerite und Madeleine zusammen, die sich vor Aufregung zugleich mit mir verneigten. Als wir gemeinsam zu kichern begannen, sah ich, dass sie ungefähr in meinem Alter waren, und dachte, wir könnten vielleicht Freundinnen werden.

Ich wandte mich zum König um. Er lächelte ein wenig verkniffen. Ich verstand. »Ist Seine Hoheit Prinz Henri nicht da?«, fragte ich.

François’ Miene verdüsterte sich. »Er ist ein Stoffel«, murmelte er. »Er hat keinen Begriff von Anstand. Und eine Uhr hat er anscheinend auch nicht. Doch keine Sorge. Die Hochzeit findet morgen statt, und bei Gott, er wird zur Stelle sein.«

Es klang eher nach einer Drohung als nach einer Ermutigung. Ich hob das Kinn. »Wie auch nicht?«, sagte ich laut genug, dass alle es hören konnten. »Es passiert ja nicht jeden Tag, dass Frankreich Gelegenheit hat, Italien zu heiraten.«

François schwieg. Er senkte den Blick zu mir herab, und seine Hand glitt in die meine. »Die Worte einer echten Prinzessin«, murmelte er und reckte unsere vereinten Hände in die Höhe. »Lasst das Fest beginnen!«

Er führte mich in einen Bankettsaal, wo ich neben ihm auf der Empore saß. Der Hofstaat versammelte sich um die Tische unterhalb von uns; während die Dienerschaft Platten mit kandiertem Reiher und gerösteten Schwänen auftrug, wandte der König sich mir zu und flüsterte: »Mag mein Sohn auch unwillig sein, Freude an seiner Braut zu bekunden, ich jedenfalls, kleine Cathérine, bin bezaubert.«

Ohne zu zögern, entgegnete ich: »Dann sollte ich vielleicht lieber Eure Majestät heiraten.«

Er lachte. »Euer Mut ist dieser hübschen schwarzen Augen würdig.« Er hielt inne, musterte mich forschend. »Ich frage mich, ob mein Sohn Euch zu schätzen wissen wird, Cathérine de Medici.«

Ich zwang mich zu einem Lächeln, obwohl es mir bei seinen Worten kalt über den Rücken lief. War ich von so weit hergekommen, um die Frau eines Prinzen zu sein, der nichts mit mir zu tun haben wollte?

Während mir ein Teller nach dem anderen vorgesetzt wurde und François Becher um Becher gewürzten Wein leer trank, fing ich an, mich unsichtbar zu fühlen, bis er meine Hand berührte und sagte: »Montmorencys Neffen möchten Euch begrüßen, meine Liebe. Lächelt. Sie sind sein ganzer Stolz, die Söhne seiner geliebten verstorbenen Schwester.«

Ich straffte mich. Vor mir standen der Konnetabel und drei junge Männer.

Sie beeindruckten mich sogleich mit ihrem gebräunten Teint, der von den schlichten weißen Wämsen hervorgehoben wurde, und mit der gelassenen Familienzusammengehörigkeit, die sie ausstrahlten.

Montmorency sagte: »Darf ich Euch meinen ältesten Neffen vorstellen, Gaspard de Coligny, Seigneur de Châtillon.«

Ich beugte mich vor. Gaspard de Coligny hatte dichtes, hellbraunes Haar und fast durchsichtig blassblaue Augen; sein markantes Gesicht war von Melancholie überschattet. Er hätte Mailänder sein können, anziehend und doch abwesend, wie die Edelleute jener Stadt so oft wirkten. Ich hielt ihn für Anfang zwanzig. Tatsächlich war er gerade erst sechzehn geworden.

»Ich bin geehrt«, sagte er mit leiser Stimme. »Ich hoffe, Eure Hoheit werden hier glücklich sein.«

Ich schenkte ihm ein bebendes Lächeln. »Ich danke Euch, Seigneur.«

Er schwieg, sah mir tief in die Augen. Ich dachte, er würde noch etwas sagen, doch er verbeugte sich nur und kehrte mit seinen Brüdern zu ihrem Tisch zurück. Wie gebannt blickte ich ihm nach; als hätte er mir etwas Kostbares offenbart, das ich niemals wiederfinden würde.

François seufzte. »Sein Vater ist vor Kurzem gestorben. Darum trägt er Weiß, das ist hier die Farbe der Trauer. Madame de Coligny ist vor Jahren schon dahingegangen, sodass Gaspard nun das Oberhaupt seiner Familie ist. Der Konnetabel ist ganz vernarrt in den Jungen.« Er warf mir einen Seitenblick zu. »Ihr könntet schlechter wählen, was neue Freunde betrifft. Montmorency ist einer der loyalsten meiner Vertrauten, und sein Stammbaum reicht weit zurück. Sein Neffe besitzt die gleichen Qualitäten, und bei Hofe, ma petite, ist die Abstammung alles.«

Gaspard de Coligny war also Waise wie ich. Fühlte ich deswegen eine solche Seelenverwandtschaft zu ihm?

Eine endlose Schar weiterer Höflinge folgten, stolperten fast übereinander in ihrer Hast, den König sehen zu lassen, dass auch sie seiner neuen Schwiegertochter Achtung zollten. Nach dem zwanzigsten Gedeck und doppelt so vielen Begrüßungen verzweifelte ich langsam an der Aufgabe, mir all die Namen und Titel einzuprägen. Ich war dankbar, als der König sich erhob und verkündete, ich sei nun müde. Er geleitete mich vom Podest hinab und zu dem Podest gegenüber, wo Königin Eleonore den ganzen Abend lang in eisernem Schweigen ausgeharrt hatte.

Sie tat mir leid. Wie ich war Eleonore auf dem royalen Heiratsmarkt verschachert worden und hatte sich offenbar nicht eingewöhnen können. Ich hatte gehört, dass die Spanier so seien, stolz auf ihre Eigenart, und ich wusste, dass es weiser wäre, ihrem Beispiel nicht zu folgen. Komme, was da wolle, ich musste mich anpassen, eins mit diesem Hof werden, der meine neue Heimat war, im Guten wie im Bösen. Als ich am Konnetabel vorbeiging, warfich einen Blick auf seinen Neffen. Gaspard hielt den Kopf gesenkt; vergebens hoffte ich darauf, seine Augen noch mal zu sehen.

Pagen in den blau-weißen Farben der Valois’ öffneten die Tür. François ließ mich in der Obhut meiner Frauen zurück; ich sprach nicht mit ihnen, als sie mich aus meiner Robe befreiten, begegnete nur Lucrezias wissendem Blick, als ich mich in das unvertraute Bett niederlegte.

Endlich allein, lag ich wach und dachte, dass meine Tante Clarissa sich vielleicht geirrt hatte.

Ich war wohl doch nicht so wichtig.