Und so starb er als Gefangener, Stanley
Robert McCormick, zweiundsiebzig Jahre alt und mit Haaren so weiß
wie ausgebleichte Knochen, gutaussehend, großgewachsen und verrückt
bis zum Schluß. Schwester Gleason war samt ihrem stämmigen Charme
gegangen, Muriel hatte ihre Besuche aufgegeben, um ihr eigenes
Leben zu leben, und obwohl der neue Arzt – Dr. Russell – eine
leuchtend goldgelbe Butterblume von Sekretärin hatte, obwohl in den
Tiefen des Hauses seit neustem eine Person mit zwei Brüsten tätig
war, die seine Diät zubereitete, und obwohl die Italienerin, Eddie
O’Kanes Frau, weiterhin in der Küche arbeitete, bekam Stanley keine
von ihnen jemals zu Gesicht oder konnte sie gar in die Arme nehmen,
so wie seine Mutter ihn in die Arme genommen hatte, oder so wie
Katherine. Katherine fuhr weiterhin fast jeden Tag zu ihm, oder
jeden zweiten, denn manchmal wollte er sie nicht sehen, weigerte
sich einfach, schroff und entschieden, und dann konnte ihn niemand
umstimmen, obwohl sie den weiten Weg von ihrem Haus im Zentrum von
Santa Barbara auf sich genommen hatte, einem Haus mit geräumigen,
modernen Zimmern und einem Gymnastikraum, den sie für ihn hatte
bauen lassen, wenn er sie einmal besuchen sollte, aber er besuchte
sie nie.
Auch sie konnte er
nicht berühren, weil er im Yukon Territory gewesen war mit Sitka
Charley und dem Malemute Kid und einem ansehnlichenHundegespann,
und sie war nicht Frau genug für ihn – nein, sie war eine ältliche
Dame von der schicklichsten, steifsten Sorte geworden, setzte sich
immer zu ihm, las ihm aus der Zeitung vor und brachte ihn dazu, ihr
jedesmal ein Küßchen auf die Wange zu geben, wenn sie kam oder
ging. Irgendwann holte er sich eine Lungenentzündung, und die
grellbunten Gesichter und die lebhaften, ungeformten Dinge suchten
ihn von neuem heim, sie ergriffen Besitz von ihm und stimmten ein
heilloses Gekreische von Stimmen in seinem Innern an, und auch die
Richter waren wieder da in ihren flatternden schwarzen Roben, ohne
Unterlaß. Mit einunddreißig Jahren hatte er zum erstenmal die
Blockierung im Kopf verspürt, damals war er sechs Millionen Dollar
schwer gewesen, und das alles wußte er, denn er war ja
Rechnungsprüfer und konnte zwei Zahlenreihen so gut addieren wie
jeder Mensch oder Mathematiker auf dieser Erde. Und als er starb,
als er endlich in eine Welt ohneMauern, Riegel und Eisengitter
entlassen wurde, da war er über vierunddreißig Millionen schwer,
denn sie hatten ja nicht sein Geld eingesperrt – nur seinen Körper.
Und seinen Geist.
Katherine erbte dieses Vermögen, das gesamte,
und alles übrige auch – die Immobilien in Chicago, die Gold wert
waren, die Aktien und Wertpapiere, Stanleys achtfach abgestufte
Unterwäsche und das Haus in Riven Rock mit den vergitterten
Fenstern, den fünfunddreißig Hektar Land rings herum, der Aussicht
auf die kahlen, versengten Channel Islands im Pazifik und den
Pflegern, die jetzt ausgepflegt hatten. Sie verkaufte das Anwesen,
um die Erbschaftssteuer zu bezahlen, und was übrigblieb, spendete
sie den Institutionen und Bewegungen, die ihr am Herzen lagen – dem
Massachusetts Institute of Technology, der League of Women Voters,
dem Kunstmuseum von Santa Barbara und Dr. Gregory Pincus, einem
alten Bekannten von Roy Hoskins, der später eine kleine gelbe Pille
auf Progesteronbasis entwickelte, mit der die Frauen sich für immer
von sexuellen Zwängen befreien würden. All das waren gute Taten,
doch ihren Prozeß seinerzeit hatte sie verloren, auch wenn die
Zeitungen es anders darstellten. Kempf mußte die Koffer packen,
zumindest das hatte sie erreicht, aber die McCormicks waren immer
noch da, mit ihrer Hartnäckigkeit und ihrem Starrsinn, und der
Richter vergrößerte das Vormundschaftsgremium um drei
schnurrbartzwirbelnde Ärzte, so daß das Gezerre ewig weiterging.
Vielleicht war es ein Teilsieg gewesen, aber darin lag nur wenig
Trost. Denn was sie am meisten gewollt hatte – ihren Mann –, das
bekam sie niemals, nicht bis er gestorben war.
Und dann war es zu spät.