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Krank, sehr krank
stanley wußte was los war er mochte zwar krank sein aber er war nicht schwachsinnig und auch nicht blind oder taub und es waren die frauen wieder einmal die frauen denn denen reichte es nicht mit ihm zu mittag zu essen oder bei eistee in der cabaña mit ihm zu plaudern und war es nicht einfach unglaublich was die franzosen dieses jahr wieder mit der rocklänge gemacht hatten nein es war ihnen nicht genug daß er ein gentleman war der brave sohn seiner mutter der sich so gut hielt und auch an der banalsten konversation teilnahm und sie nicht bestrafte und ihnen das gab was sie brauchten und verdienten und wollten nein sie mußten ihn in der nacht heimsuchen gespenstisch mit ihrer weißen haut und ihrem feuchten zungenlosen mund und ihrem geruch wie eine läufige hündin wie eine läufige hündin und ihn dort unten packen wo er am verletzlichsten war dabei haßte er das es gab nichts nichts nichts nichts was er mehr haßte als das und seine Richter hatten ihn davor gewarnt und ihn geschlagen und gezüchtigt und gepeitscht deswegen und doch war es nun wieder passiert und dabei hatte sie nicht einmal einen namen aber es war nicht katherine o nein nicht katherine niemals katherine da war er sicher denn es war irgendeine hure gewesen eine verkommene dreckige prostituierte von der straße die mit ihm hatte anstellen können was sie wollte und er hatte es auch beinahe gespürt beinahe beinahe hätte er sich ihr entgegengeschoben und ihr gezeigt was ein mann war ein richtiger mann so wie sein vater der präsident und sein bruder der präsident und harold der vizepräsident mit seinen beiden frauen wie ein pascha und seinen affendrüsen und seiner wunderhübschen kleinen reizenden kind frau tochter muriel...
beinahe...
aber beinahe war eben nur beinahe und so gewann man nicht den wettlauf oder schlug den ball über den zaun oder erfand die mähmaschine aus dem nichts oder auch den stachelrochen der gottes eigene mähmaschine war der sensenmann des meeres der im wasser lauerte und wer konnte besser wissen daß er dort war und was er gern tat und was er ganz bestimmt tun würde als katherine die schließlich wissenschaftlerin war die biologin die lateinische namen für jedes tier und jede pflanze und jedes hüpfende eichhörnchen heraussprudelte wenn der fahrtwind im auto ihr ins gesicht pfiff ihr wunderschönes gesicht katherine dexter und er dachte darüber nach brütete sann darüber nach den ganzen tag des stachelrochens und den tag in den dieser hinüberglitt weil sie es getan hatte weil sie wollte daß er tot und ertrunken war weil sie witwe sein wollte so wie mrs. jane alle beide witwen weil sie sein geld wollte und er durchschaute sie genau weil dr. kempf mit seinen freien assoziationen und tintenklecksbildern – »Sagen Sie, Stanley, wenn ich ›Boxer‹ sage, woran denken Sie dann?« – ihn gelehrt hatte sich zu beherrschen gerade so als trüge er wieder sein geschirr ein unsichtbares geschirr keine riemen oder drähte oder fesseln aber das war das ende von katherine keine katherine mehr o nein niemals wieder nicht nachdem dieses stinkende dreckige vieh von hure und welchen wissenschaftlichen namen hatte die wohl das fragte er sich die sie ihm in sein eigenes schlafzimmer geschleppt hatte um ihn zu erniedrigen und zu demütigen während nick und pat im dunkeln geatmet hatten o ja er hatte sie gehört und gespürt aber nie mehr und nie wieder niemals wieder mach mir ein baby stanley mach mir ein baby...
Katherine konnte nicht wissen, was ihr Mann dachte – sie wußte nie, was er dachte, auch wenn er auf dem Teppich saß, den sie mit an den Strand genommen hatten, und mit Muriel über den Malemute Kid sprach oder pingelig an den Rändern eines Sandwiches mit geräuchertem Lachs knabberte, das Giovannella in aller Frühe zubereitet hatte. Sie wußte nur eines: er hatte sich so gut entwickelt, war einen weiten Weg gegangen und wieder zu dem geworden, der er war, ihr Stanley, Stanley mit dem zurückhaltenden Wesen und den leuchtenden Augen, doch jetzt war er ihr wieder entrissen worden – und sie wollte verdammt sein, wenn sie sich noch einmal von seinem Leben abschneiden ließ. Deshalb beauftragte sie Newton Baker, ihren alten Bekannten und Kollegen aus Kriegszeiten und dem Frauenausschuß für Landesverteidigung, in ihrem Namen beim Gericht von Santa Barbara den Antrag auf die alleinige Vormundschaft über ihren Mann zu stellen:
IN DER ANGELEGENHEIT DER VORMUNDSCHAFT ÜBER DIE PERSON DES STANLEY MCCORMICK, UNZURECHNUNGSFÄHIG:
NO. 7146
ANTRAG AUF STREICHUNG EINZELNER VORMUNDSCHAFTSBERECHTIGTER
AN DEN EHRENWERTEN VORSITZENDEN DES GERICHTSHOFES FÜR DEN STAAT KALIFORNIEN IM BEZIRK SANTA BARBARA:
DIE ANTRAGSTELLERIN, KATHERINE DEXTER MCCORMICK, TRÄGT BEI ALLEM RESPEKT FOLGENDES VOR:
Daß Kempf sie im Auftrag von Cyrus und Anita der Zuneigung ihres Ehemannes entfremdete und ihm die endokrinologische Behandlung verweigerte, die ihm möglicherweise Heilung bringen konnte, und daß sie als Stanleys Frau besser wußte als seine Geschwister, was gut und richtig für ihn war, und daß sie ohne deren Einmischung auch leichter für ihn sorgen konnte. Daß es den Geschwistern lediglich darum ging, das Vermögen der McCormicks zusammenzuhalten. Daß sie, Katherine, während all dieser unsicheren, ungewissen Jahre den Besitz ihres Mannes verwaltet hatte, und zwar gegen das automatische Zwei-zu-Eins-Stimmverhältnis in jeder wirklich wichtigen Frage, wie zum Beispiel der Ausgabe von zehntausend Dollar pro Monat für einenNervenarzt, der daran glaubte, daß die Psychoanalyse faule Zähne heilen konnte, und daher wollte sie eine Änderung dieses Zustandes, und zwar jetzt.
Jane stärkte ihr den Rücken. Und ihre Mutter auch. Und obwohl sie den Presserummel haßte und bereits mit Schrecken daran dachte, wie die Zeitungen die Sache aufblasen würden, konnte sie es doch kaum erwarten, vor Gericht aufzustehen und allen einmal so richtig die Meinung zu sagen. Und warum? Um Stanleys willen natürlich. Nur um Stanley ging es ihr – und um ihre Schuldgefühle, weil sie ihn so viele Jahre lang vernachlässigt hatte, denn bei aller Loyalität hatte sie ihn ja wirklich vernachlässigt und es zugelassen, daß die Favills und Bentleys und Hamiltons dieser Welt und nun auch Anita und Cyrus sie bedrängt und alles verschleppt hatten. Aber sie würde nicht aufgeben. Diesmal nicht. Denn nur sie allein wußte, wie schmerzhaft und entsetzlich es gewesen war, Stanley zu verlieren, schon damals beim erstenmal, ihn strampeln und sich wehren und schließlich untergehen sehen zu müssen, und niemand hatte ihm eine Rettungsleine zugeworfen, niemand außer ihr...
Zugespitzt hatte sich die Krise nach ihrer Rückkehr aus Maine, nach jenem fortwährenden, ungemilderten Alptraum der Waldhütte in Maine, im Herbst 1905. Alles, was sie versucht hatte – Geduld und Verständnis, Strenge, Vernunft, Liebe –, war gescheitert, das war ihr klar, und Stanley war in einer abwärtsgerichteten Spirale gefangen, die auch sie in die Tiefe zu reißen drohte. »Sexual-hypochondrische Neurasthenie und inzipiente Dementia praecox« lautete Dr. Trudeaus eisige Diagnose, und als einziger Ausweg blieb ihr nur der Versuch, Stanley von allem abzuschotten, was ihm ungebührliche Unruhe verursachen könnte – von seiner Mutter vor allem, aber auch von der Mähmaschinenfirma und, leider, leider, von ehelichen Beziehungen. Sie hatte ihn zu weit gedrängt, war zu rasch vorgegangen, und nun mußte sie ein Stück zurück, ihn beschwichtigen und von neuem hegen und pflegen.
Am Tag ihrer Rückkehr nach Boston – dem 21. November – fuhren sie zum Hafen, um ihre Mutter abzuholen, die von einem längeren Aufenthalt in Prangins zurückkam. Es war ein trüber, kalter Tag, die Luft roch nach Regen, und der tiefe, wabernde Himmel war mit grauen Wolken vollgestopft, die sich zu einer langen Prozession übers Meer sammelten. Das Schiff legte gerade an, als der Kutscher ihnen den Verschlag öffnete, und sie eilten zu dem Tor, das auf den Pier führte, wobei sie weder auf die wimmelnde Menschenmenge achteten noch auf den Mann mit Mütze und einer mit goldenen Paspeln geschmückten Lodenjacke, der an einer Seite des Durchgangs stand.Katherine hielt nach ihrer Mutter Ausschau und sah zugleich auf Stanley, der den ganzen Vormittag steif und unansprechbar gewesen war, und sie schenkte dem Mann keinen zweiten Blick, denn sie hätte nicht im Traum gedacht, daß man Passierscheine brauchte, um den Hafenbereich zu betreten, und daß dieser Mann dort in offizieller Funktion postiert war, um diese Passierscheine zu kontrollieren.
Plötzlich ertönte hinter ihnen ein Ruf, barsch und beleidigend, und da stürmte der Mann – ein Italiener, nahm sie an, dunkle Haut und schwarze Augen – den Pier entlang auf sie zu: »Hee!« schrie er, an Stanley gewandt. »Wo zum Teufel wollen Sie denn hin, Mister?«
Katherine spürte, wie ihr das Blut zu Kopf stieg. Sie traute ihren Ohren nicht. Gleichzeitig spürte sie, wie Stanley sich anspannte – sie hatte sich bei ihm eingehakt. Er musterte den auf sie zuhastenden Wachmann mit wildem Blick, dann war der Kerl bei ihnen, etwas außer Atem, und packte Stanley am Arm.
Er konnte unmöglich wissen, was er da tat. Denn in diesem Moment wurden in Stanley sämtliche Enttäuschungen in einem aufwallenden Lavastrom nach oben gespült – Maine, seine Mutter, die Farce der Flitterwochen, sein Versagen im Bett –, und es kam zum Ausbruch. Er schüttelte den Mann ab wie ein lästiges Insekt, schleuderte ihn quer über die Planken, in einem Durcheinander von strampelnden Beinen und fuchtelnden Armen. Und als sich der Mann fluchend aufrappelte und erneut auf ihn losging, da brachte Stanley seinen Schirm ins Spiel, mit dem er auf Gesicht und Kopf seines Widersachers einprügelte, bis er nur noch Fetzen und verbogenen Draht in der Hand hatte und der benommene Wachmann, mit blutverklebtem Haar und grellroten Flecken auf dem Jackett, taumelnd den Rückzug antrat.
Sie waren beide wütend, sie ebenso wie Stanley, und sie hielt sich an seinem Arm fest, während sie sich einen Weg durch die sprachlose Menge bahnten, die beim Anblick von Stanleys grimmigem, blutleerem Gesicht und der demolierten Trophäe, die einst sein Regenschirm gewesen war, automatisch vor ihnen zurückwich. »Eine Unverschämtheit von diesem Kerl«, sagte sie. »Wenn wir zu Hause sind, werde ich gleich als erstes einen Brief an die Schiffahrtslinie schreiben – wenn die niemanden anstellen können, der den Menschen manierlich gegenübertritt, dann sollten sie besser überhaupt niemanden anstellen. Du bist doch nicht verletzt, oder?«
Er schüttelte den Kopf, die Lippen aufeinandergepreßt.
»Gut«, sagte sie, »Gott sei Dank.« Aber sie spürte, daß er zitterte und innerlich vibrierte wie eine gezupfte Saite. Sie hatten den Dampfer fast erreicht, sein gewaltiger Rumpf verstellte den halben Horizont, die Menschenmenge hinter ihnen wurde dichter. War das ihre Mutter dort oben, die sich über die Reling beugte und mit dem Taschentuch winkte? Nein, nein, es war jemand anders.
»Ich kann nicht«, sagte Stanley plötzlich und blieb abrupt stehen. »Ich – ich muß weg von hier. Sie werden die Polizei holen.«
»Sei doch nicht albern. Der Mann hat dich angegriffen – dafür gibt es Zeugen. Wenn irgendwer die Polizei zu fürchten hat, dann er.«
»Nein«, sagte er bebend, und er hatte wieder diese Miene, die tief eingesunkenen Augen, seine Lippen zuckten und legten die Zahnhälse frei, und er knirschte mit den zusammengepreßten Zähnen. »Sie-sie werden mich ins Gefängnis stecken, ich bin ruiniert. Gitterstäbe«, sagte er, »eiserne Gitterstäbe«, und damit wandte er sich in einem krampfartigen Ruck von ihr ab, kehrte ihr den Rücken und ging den Pier zurück in Richtung des Tors.
»Stanley!« rief sie, doch er war bereits außer Hörweite, vom Gewimmel verschluckt, verlorengegangen.
Erst spät am Abend sah sie ihn wieder – es war nach zehn –, und während sie ihre Mutter begrüßte, mit ihr zu Abend aß und die kleinen Geschenke auspackte, die Josephine ihr aus Paris mitgebracht hatte, verzehrte sie sich fast vor Sorge. Sie war sicher, daß Stanley in irgendwelche Schwierigkeiten geraten war (sie dachte an den alten Mann am See und daran, was wohl passiert wäre, wenn er nicht hätte schwimmen können) – Schwierigkeiten, aus denen ihm vielleicht keine noch so hohe Summe mehr heraushelfen würde. Am Pier war er rasend gewesen. Außer Kontrolle. Bereit, auf jeden einzuschlagen, der sich ihm in den Weg stellte, und sei es aus Versehen und Unwissenheit. Und während ihre Mutter von Prangins und Madame Fleury und Katherines Hochzeit plapperte, die dort immer noch Stadtgespräch war, mußte Katherine an die Polizei denken. Sollte sie sie anrufen? Aber was konnte sie sagen – daß ihr der Mann weggelaufen war? Daß Stanley Robert McCormick mit all seinem Savoir-faire, seinem Talent und Vermögen nicht imstande war, sich in der Öffentlichkeit frei zu bewegen? Daß er verrückt und gestört war und an sexual-hypochondrischer Neurasthenie litt?
Sie brach zusammen, als ihre Mutter gerade eine Geschichte über Emily Esterbrook erzählte, aus der Familie Worcester-Esterbrook, die auf der Überfahrt von Europa die Luxuskabine ihr gegenüber bewohnt hatte und die den Part der zweiten Violine von Beethovens Harfenquartett pfeifen konnte, und zwar bis zum Ende, ohne eine Note auszulassen. »Emilys Tochter ist mit einem wirklich reizenden Mann verlobt«, sagte ihre Mutter, als Katherine auf einmal zu schluchzen begann, und sie konnte nicht mehr aufhören, nicht einmal als Stanley endlich die Treppen heraufpolterte.
»Stanley!« rief Josephine aus und erhob sich, um ihn zu begrüßen. »Wie schön, Sie wiederzusehen«, doch dann stockte sie. Stanley stand mitten im Salon, aber auf seinem Gesicht lag ein höchst seltsamer Ausdruck, so als würde er das Zimmer – oder die Menschen darin – nicht wiedererkennen. Er hatte einen Öl- oder Fettfleck auf der Stirn, und sein rechtes Auge war zugeschwollen und verfärbt, als würde ein kleiner Teil von ihm zu verwesen beginnen. Sein Jackett hatte ebenfalls gelitten, der linke Ärmel hing nur noch an dünnen Fäden, der rechte war ganz abgerissen. Etwas, das wie Blut aussah, bildete eine Kruste am Ellenbogen des freigelegten Hemdsärmels.
»Aber Stanley, was ist nur passiert?« fragte Josephine beunruhigt und ging durch das Zimmer auf ihn zu, um seine Hand zu nehmen, und sie dachte an ihren eigenen Sohn, den verstorbenen Sohn, voll mütterlicher Sympathie und Sorge, und Katherine liebte sie dafür von Herzen. Was Stanley betraf – ihre Reaktion auf sein Erscheinen –, so war sie wie gelähmt, völlig gelähmt. Sie konnte weder Was? noch Wie? sagen oder auch nur den Mund öffnen. »Kommen Sie«, gurrte Josephine, »lassen Sie es mich mal sehen. Hier, etwas mehr ins Licht.«
Als ihre Mutter ihn berührte, schien Stanley sich anfangs zu fügen, er senkte den Kopf und entspannte die Schultern, doch dann entriß er ihr plötzlich seine Hand, als hätte sie hineingebissen. »Dummes altes Weib!« brüllte er, und jede Sehne seines Halses trat angespannt hervor. »Du dummes lästiges altes Weib, faß mich bloß nicht an – wag es ja nicht, mich anzufassen!«
»Stanley!« stieß Katherine hervor, auf einmal fand sie ihre Stimme wieder und wurde wütend, als sie sah, wie das Gesicht ihrer Mutter immer länger wurde – dieser gütigsten Frau der Welt, die es stets gut meinte –, sie wurde bitter und böse und war bereit, Schluß zu machen mit... diesem Wahnsinn. »Stanley, du entschuldigst dich auf der Stelle!«
Jetzt aber wandte er sich gegen sie, er war außer Kontrolle, außer jeder Kontrolle, auch der eigenen, seine Miene ein flatterndes Banner der Wut. »Halt’s Maul, du Schlampe!«
Am Morgen, noch ehe die Welt sich rührte, fuhren sie in einer privaten Kutsche nach Brookline. Stanley saß so tief in die Kissen gesunken, daß man ihn von der Straße aus kaum sehen konnte, er streckte die langen Beine weit von sich, Kopf und Schultern befanden sich auf der Höhe von Katherines Hinterteil. Beide Backenknochen waren schlimm angeschwollen – er hatte Schläge eingesteckt, böse Schläge, das sah sie jetzt –, was ihm eine schlitzäugige Undurchsichtigkeit verlieh, so als hätte er sich im Schlaf in einen Tatarenhäuptling verwandelt. Er sagte nichts. Kein Wort. Keine Erklärung, keine Entschuldigung. Sobald sie zu Hause waren, brachte sie ihn zu Bett, und er schlief den ganzen Tag und die Nacht bis zum nächsten Morgen.
Dann folgte die Prozession der Psychiater, Neurologen und Pathologen: eine endlose Parade von Medizinern marschierte durch den Salon des Hauses in Brookline, um ihren verfallenden Mann abzuklopfen, abzuhorchen und zu untersuchen, ihn ausführlich zu laufenden Ereignissen zu befragen, ihm Bilder und geometrische Muster zur Deutung vorzulegen oder ihm den Arm um die Schultern zu schlingen und einen kleinen Spaziergang durch den Garten anzuregen. Katherine hatte Angst. Stanleys Zustand verschlimmerte sich zusehends, er entglitt ihr, und niemand schien zu ihm durchzudringen – jeder neue Arzt widersprach der Meinung seines Vorgängers, als wäre das alles nur ein komplexes medizinisches Schachspiel. Sie wollte einen Aktionsplan, eine Lösungsstrategie, einen Therapievorschlag, statt dessen wurde sie immer verwirrter. Draußen standen die Bäume wie gerupft da, der Winter rückte näher, das Licht wurde schwächer, der Wind sammelte sich, und nichts war geklärt. Sie schlief nicht mehr gut. Die Mahlzeiten wurden zur Qual. Sie konnte weder Gymnastik treiben noch lesen, nicht einmal nachdenken. In ihrer Verzweiflung kabelte sie an Nettie, in der Hoffnung auf Einsicht, einen Funken Weisheit, ein wenig Sympathie, irgend etwas. Die Antwort war schroff: WIE MAN SICH BETTET, SO LIEGT MAN.
Erst der letzte Mediziner, ein löwenmähniger Hausarzt, dem weiße Härchen aus Nase und Ohren wuchsen, konnte Stanley als einziger ansprechen – anfangs jedenfalls. Dr. Putnam war von einer von Josephines Freundinnen empfohlen worden, und obwohl er Charcot nicht von Mesmer und Freud nicht von Bloch unterscheiden konnte, hatte er doch in seinen siebenundvierzig Jahren medizinischer Erfahrung so ziemlich alles gesehen, darunter auch Demenz in all ihren Ausprägungen und die geheime Hysterie, die Frauen dazu brachte, sich in Schränken zu erhängen. Dafür, daß er in den Siebzigern war, kam er recht frohgemut die Eingangstreppe herauf, und noch ehe er Hut und Handschuhe abgelegt hatte, forderte er Stanley zu einer Partie Dame heraus. Die beiden spielten wortlos den Nachmittag hindurch bis in den Abend hinein, und am nächsten Morgen erschien der Arzt um acht Uhr mit zwei Metallstangen und mehreren Hufeisen unter dem Arm. Den ganzen Vormittag ertönte das helle Klirren, während er und Stanley gut gezielt ihre Eisen warfen, und das einzige andere Geräusch war das leise Gemurmel ihrer Stimmen beim Zusammenrechnen der Punkte.
Am nächsten Tag erschien der alte Doktor erst kurz vor drei Uhr nachmittags – er mußte bei anderen Patienten Hausbesuche abstatten, erklärte er, und Mrs. Trusock habe ihn mit ihrer Gürtelrose aufgehalten –, aber Stanley war trotz des kalten Windes schon stundenlang draußen und schleuderte die Hufeisen auf die unerbittliche Stange, wieder und wieder. Gemeinsam spielten sie bis zur Dunkelheit, dann bat der Doktor Katherine in den Salon, wo er sich am Feuer ein wenig aufwärmte, ehe er nach Hause zu seiner Frau zurückkehrte. Als sie hereinkam, saßen die beiden auf Stühlen dicht beieinander vor dem Kamin, ihre Knie berührten sich fast. »Stanley«, sagte der Doktor, als Katherine es sich ihnen gegenüber in einem Sessel bequem gemacht hatte, »Sie sind ein ziemlich gewitzter Damespieler, und ein scharfes Auge beim Eisenwerfen haben Sie auch. Also, mein Rat an Sie ist folgender: Sie sollten sich ein Hobby suchen, dem Sie nachgehen können – so etwas wirkt Wunder für die Nerven. Sagen Sie, was würde Ihnen denn gefallen, als Hobby, meine ich?«
Stanley gab keine Antwort.
»Nichts?« Der alte Mann legte den Kopf schief, als lauschte er auf eine Reaktion aus dem Nebenzimmer. »Na gut«, sagte er, schlürfte einen Schluck Tee und warf Katherine einen raschen Blick zu, »dann verschreibe ich Ihnen Lektionen in Deutsch und im Fechten. Da können Sie sich so richtig drin verbeißen. Und praktisch ist es obendrein. Nichts ist heutzutage nützlicher als Deutsch zu lernen, und der Fechtsport, nun, da lernen Sie gleich ein wenig Disziplin und Strenge, und genau das brauchen Sie, um sich von Ihren Problemen abzulenken. Geschäftliche Probleme, was? Na, hab ich mir doch gleich gedacht.« Er stellte die Teetasse mit ausgesuchter Präzision ab und erhob sich. »Ich komme in etwa einer Woche wieder vorbei und sehe nach Ihnen – da bringe ich dann meinen Säbel mit... Also«, sagte er dann, schmatzte und sah sich im Zimmer um, als hätte er soeben auf einen Streich alle Leprakranken Kalkuttas geheilt, »was kann ich sagen als auf Wiedersehen!«
Während der nächsten Tage war Stanley sehr still. Zweimal traf ihn Katherine im Garten an, wo er nachdenklich vor dem improvisierten Hufeisenspiel stand, aber wenn sie ihn darauf ansprach – ob er gern eine Runde mit ihr spielen wollte –, besaß er nicht einmal die Höflichkeit, ihr zu antworten. Bald darauf hängte Stanley eines Abends, als es schneite, die Hufeisen im Keller an einen Nagel und erwähnte sie niemals wieder. Weihnachten kam und ging – Stanleys Lieblingszeit im Jahr –, und er schien es kaum zu bemerken. Er verschickte keine Glückwunschkarten, zeigte so wenig Interesse am Schmücken der Räume, daß am Ende Katherine zusammen mit dem Dienstmädchen den Baum dekorierte, und das gegenseitige Beschenken war ein höchst banaler Akt, um es milde auszudrücken. Zu Silvester hockten sie im Haus und sprachen kaum miteinander, während der Rest der Welt tanzte und auf Empfänge ging. Stanley grübelte. Katherine fühlte sich elend.
Am Ende der ersten Januarwoche fuhren sie nach Boston; Katherine wollte sich um ihre Forschungsarbeit am Institut kümmern, und Stanley war auf der Suche nach Florett oder Degen für seine Fechtstunden. Sie nahmen ein zweites Frühstück bei ihrer Mutter ein, und Stanley brachte während der ganzen Zeit keine zwei Worte heraus, aber immerhin war er fügsam und äußerlich ruhig, danach unternahmen sie einen langen Spaziergang die Commonwealth Avenue entlang, so wie zwei Jahre zuvor als frisch Verliebte.
Stanley ging sehr gemessen und hielt sich mit einer fast fanatischen Steifheit, den Brustkorb so weit vorgeschoben, daß ihm die Mantelknöpfe abzuspringen drohten. Sie bemühte sich, Konversation zu machen, in erster Linie um sich selbst zu beschwichtigen, doch nach einiger Zeit gab sie es auf und begnügte sich mit dem schönen Tag, der frischen Luft und dem angenehmen Gefühl am Arm ihres Mannes. Deutsch und Fechten, dachte sie. So lächerlich ihr die Idee zunächst erschienen war, inzwischen erwärmte sie sich dafür – vielleicht würde es Stanley ja ebenso helfen, sich auf etwas zu konzentrieren, wie Damespielen und Hufeisenwerfen. Vielleicht verstand dieser alte Landarzt tatsächlich mehr als alle Experten, vielleicht hatte er recht, es konnte doch sein. Aber gerade dann, gerade als sie das Gefühl hatte, daß doch alles wieder gut werden könnte, begann Stanley den Fuß nachzuziehen – den rechten Fuß –, als hätte man ihm ins Bein geschossen. Anfangs versuchte sie es zu ignorieren (nur ein vorübergehender Tic, glaubte sie), aber als sie einen Block weit so gegangen waren – die Leute sahen ihnen nach, weil er den Fuß rhythmisch über den Asphalt schleifte, und der Druck auf ihrem Arm wurde immer stärker, bis es sich anfühlte, als stützte sie sein volles Gewicht –, mußte sie doch etwas dazu sagen.
»Stanley, Liebster, fehlt dir etwas?« fragte sie und paßte sich seinem langsameren Tempo an. »Bist du müde? Ist dir kalt? Würdest du gerne zurückgehen?«
Daraufhin blieb er abrupt stehen und sah sie überrascht an, als wüßte er gar nicht, wie sie dazu kam, an seinem Arm zu hängen. In seinem Gesicht arbeitete es heftig, und sie hatte die sonderbare Phantasie, daß er wie ein heliumgefüllter Ballon von ihr davonschwebte, und wenn sie auch nur einen Augenblick losließe, würde er in die Wolken entschwinden. »Ich kann nicht«, sagte er. »Weißt du, ich muß – muß einen... Deutschlehrer finden. Und zwar jetzt.«
»Aber dein Bein...?«
»Mein Bein?«
»Ja. Du hinkst so. Ich dachte, du hättest ein Steinchen im Schuh, oder...«
Er entwand sich behutsam ihrem Arm und tippte sich an den Hut. »Auf Wiedersehen«, sagte er auf deutsch und ging mit einem eigenartig schleppenden Hinken davon, immer den rechten Fuß nachziehend.
Es war eine Neuauflage der Szene am Pier, und sie hatte Angst um ihn – alles mögliche konnte passieren –, aber ihr war klar, daß sie ihn jetzt nicht aufhalten konnte, außer vielleicht indem sie ihm Halsband und Leine anlegte, und sie fächelte die matte Glut einer einzigen Hoffnung: der Deutschlehrer. Natürlich. Warum auch nicht? Also ging sie wie geplant in ihr Institut, und um zwei nahm sie ein Taxi zu dem Restaurant, wo sie zum Mittagessen verabredet waren, aber kein Stanley. Kein Stanley um zwei, nicht um viertel und auch nicht um halb drei. Sie wartete bis drei Uhr, dann hinterließ sie beim Oberkellner eine Nachricht und fuhr wieder ins Institut.
Es war schon dunkel, als sie zum Haus ihrer Mutter zurückkehrte, wo sie feststellte, daß Josephine ausgegangen war, und sie setzte sich mit dem Buch von Wallace in einen Sessel, las über die natürliche Selektion unter den Säugetierarten Borneos und sah öfters auf die Uhr. Etwas später – ungefähr gegen sieben – läutete es unten, und sie hörte das Dienstmädchen durch die Halle trippeln, um zu öffnen. Darauf folgten ein Stimmengewirr – Stanley, sie erkannte Stanleys Tonfall – und lautes Getrampel auf der Treppe. Sie erhob sich aus dem Sessel, und ihr Herz flatterte wie ein Segel im Wind: Was nun?
Im nächsten Moment tauchte Stanley in der Tür zum Salon auf, an seiner Seite ein leicht verlegen wirkender Mann in grauem Mantel und mit einer goldenen Brille. Stanley hielt den Mann am Oberarm gepackt, und er hatte einen entrückten, ja ekstatischen Blick, so als hätte er den Schlüssel zum menschlichen Dasein entdeckt. »Mein – mein Deutschlehrer«, stellte er vor.
Der Mann, den er festhielt, schien sich vor ihm zu fürchten. »Tut mir leid«, sagte er, behindert durch einen schweren Akzent, und hob den Blick zu Katherine, »es tut mir sehr leid, so bei Ihnen einzudringen.« Er drehte sich zu Stanley um, der aber starrte ins Leere. »Ich heiße Schneerman, und ich bin Lehrer an der Deutschen Schule, und dieser, äh, Gentleman, also, Ihr Gatte, nehme ich an – nun, er war höchst überzeugungskräftig. Ich gebe ihm meine Karte. Ich sage ihm, daß mich meine Frau zu Hause zum Essen erwartet« – hier überschlug sich seine Stimme – »und, und meine Kinder, aber er war sehr beharrlich.«
»Deutsche Schule«, wiederholte Stanley auf deutsch. »Das Bettchen. Der Tisch. Ich bin gut. Wie geht es Ihnen?«
Katherine ging durch das Zimmer und versuchte ihren Mann von dem Deutschlehrer zu trennen, der ganz blaß geworden war und keuchende, flache Atemzüge ausstieß, als hätte er eine Art Anfall. Sie legte eine Hand auf Stanleys Arm und sagte so ungezwungen, wie sie konnte: »Sicher seid ihr beide sehr erschöpft. Wollen Sie sich nicht setzen, Mr. Schneerman?«
Stanley war schweißgebadet; weder rührte er sich, noch lockerte er seinen Griff. Der Deutschlehrer sah aus, als würde er gleich in Ohnmacht fallen.
»Wie wär’s mit einer schönen Tasse Tee, Stanley?« fragte sie. »Wir könnten uns doch mit Mr. Schneerman ein bißchen hinsetzen und über deine Lektion reden – vielleicht könnte er uns auch ein paar Tips geben, wie man die schwierigeren Lautverbindungen aussprechen sollte, die Umlaute und so weiter. Möchtest du das gern, Stanley? Hm?« Sie wandte sich an den Deutschlehrer. »Mr. Schneerman?«
»Jah!« sagte der kleine Mann. »Ja, gut. Machen wir gleich eine Lektion.«
Immer noch nichts. Stanley war wie in einer Art Trance, sein Blick fixierte die Lampe am anderen Ende des Salons, aber seine Hand packte den Arm des Lehrers so fest, daß die Sehnen unter seiner Haut hervortraten wie Drahtseile. Auf einmal hatte sie Angst. Große Angst. Wenn er den Mann nun verletzte? Wenn er einen seiner Tobsuchtsanfälle bekam? Da hatte sie den Einfall, Stanley um Hilfe mit den Möbeln zu bitten – als Kavalier, der einer Dame zur Hand ging, und das war ja sein wahrer, unabänderlicher Kern, sie wußte es: Höflichkeit, Anstand und Hilfsbereitschaft. »Stanley«, sagte sie, »hilfst du mir bitte, dieses Tischchen zu verschieben, damit sich Mr. Scheerman hier an den Kamin setzen kann?« Und damit bückte sie sich, um den Tisch von der Lampe, einer Zierdecke und diversen Nippes zu befreien, dann hob sie ihn mit einiger Anstrengung hoch und hielt ihn ihm mit zitternden Armen entgegen.
Stanley kehrte aus seinem abwesenden Zustand zurück. Er musterte sie mit einem prüfenden, etwas verdutzten Blick, ließ dann automatisch den Arm des Deutschlehrers los und nahm ihr das Tischchen ab. Sofort wich der kleine Mann vor ihm zurück, zog den Kopf ein und schoß zur Tür hinaus, Katherine folgte ihm auf den Fersen. »Einen Moment noch, Stanley«, rief sie über die Schultern, »ich komme gleich wieder.«
Sie holte Mr. Schneerman an der Haustür ein. »Bitte«, flehte sie und glaubte, gleich weinen zu müssen, »bitte lassen Sie mich erklären. Mein Mann, er...«
Der kleine Mann fuhr herum und beendete den Satz für sie. »... er sollte hinter Schloß und Riegel! Der Mann ist ja gemeingefährlich. Hören Sie, ich habe gute Lust, sie zu verklagen!« Hatte er eben im Salon noch geduckt und demütig gewirkt, so war er jetzt sehr selbstsicher und zeterte los, die ganze Angst und Peinlichkeit der Situation entlud sich in einem wütenden Schwall. »Was sind Sie für Menschen!« schrie er, und er hätte wohl noch mehr geschimpft, wäre nicht in diesem Moment Stanley oben an der Treppe erschienen, den Tisch immer noch in den Armen haltend. »Wo sagtest du, soll der hin, Katherine?« rief Stanley, und der Mann sank wieder in sich zusammen, riß die Tür auf und verschwand in die Nacht hinaus.
Offenkundig wurde die Situation allmählich untragbar. Sie konnte sich nichts mehr vormachen: Stanley war zu einer Bedrohung für sich selbst und andere geworden und müßte eigentlich rund um die Uhr beaufsichtigt werden, beaufsichtigt und beschützt. Sie selbst war dazu nicht in der Lage, das wußte sie, deshalb mußte die Scharade ihres häuslichen Zusammenlebens ein Ende finden, einstweilen jedenfalls. Stanley brauchte Hilfe – professionelle Hilfe, institutionelle Hilfe –, und zwar sofort.
Sie konnte ihn an diesem Abend besänftigen, indem sie ihn das gesamte Mobiliar im Salon umstellen ließ, selbst die schwersten Stücke, die er ohne die geringste Anstrengung verschob. Er arbeitete mit jener obsessiven Sorgfalt im Detail, die er jeder Aufgabe entgegenbrachte, rückte jeden Stuhl mal ein Stück hierhin, dann dorthin, immer wieder, bis alles richtig war, doch nach einer Stunde etwa begann er nachzulassen, bewegte sich nur noch mechanisch, bis er schließlich auf ihren Rat hin neben dem Kamin Platz nahm. Das Mädchen servierte ein leichtes Abendessen, und Katherine brachte ihn zu Bett. Als sie eine Stunde später nochmals nach ihm sah, schlief er tief und fest, die Decke bis ans Kinn hochgezogen, sein Gesicht so entspannt und gelassen und wunderschön, als wäre es in Marmor gehauen.
Als ihre Mutter heimkam, erörterten sie gemeinsam bei Keksen und heißem Kakao die Lage. »Oh, ich hab ihn sehr gern gemocht, bevor er sich verändert hat«, sagte Josephine und spitzte die Lippen, während sie einen Keks in ihren Kakao tunkte. »Aber so geht es eben manchmal in der Ehe – sobald sie uns sicher haben, verlieren sie allen Respekt vor uns. Wie er mit mir geredet hat... also, ich hoffe nur, ich muß so etwas nicht noch einmal im Leben hören. Man stelle sich nur vor, daß ich in meinem eigenen Salon ein dummes altes Weib genannt werde – und das vom eigenen Schwiegersohn!«
»Er ist krank, Mutter«, sagte Katherine. »Sehr krank. Er braucht Hilfe.«
»Daran besteht kein Zweifel. Sieh dir nur die Familie an. Seine Schwester. Seine Mutter. Die sind doch alle keine drei Schritte von der Irrenanstalt entfernt, und wenn er so weitermacht, dann muß ich sagen, daß ich deine Ehe mit ihm noch sehr bedauern werde.«
Es war sehr still im Zimmer. Bis auf das Zischen der Kohlen im Kamin und das leise, aber hartnäckige Ticken der Uhr war kein Geräusch zu hören. Katherine umfing die Tasse mit den Händen. Sie dachte an ihre Hochzeitsnacht, an die Szene auf dem Dampfer, an Maine, an Dr. Putnam, Dr. Trudeau und an das krankhaft bleiche, entsetzte Gesicht dieses armen kleinen Deutschlehrers. Dann betrachtete sie ihre Mutter, die Gemälde an den Wänden, die Möbel, die Vorhänge. Da saß sie, die Tochter ihrer Mutter, gut aufgehoben in diesem vertrauten Zimmer, umgeben von den Formen und Farben eines Lebens, das sie bislang geführt hatte, nur jetzt erschien ihr alles verändert, öde und kalt wie eine arktische Landschaft.
»Mama«, sagte sie und fiel damit auf eine Koseform zurück, die sie seit der Kindheit nicht mehr benutzt hatte. »Mama, ich habe Angst vor ihm.«