5
Giovannella Dimucci
O’Kane hatte von Rosaleen geträumt – oder von einer Frau wie ihr, einem silbrigen Sukkubus mit federweichen Lippen und begierigem Fleisch, zum Greifen nahe, doch unerreichbar –, als ihn wie jeden Morgen das gepreßte, röchelnde Krähen von Sal Oliveirios zerfleddertem Hahn aufweckte. Gefolgt von brüllenden Kühen, einer konfusen Debatte von drei, vier italienischen Stimmen, und dann, nach einer Weile, vom Geruch eines Holzfeuers und dem starken Duft nach Kaffee und brutzelnden Spiegeleiern. Er stand nicht sofort auf – sein Dienst begann erst um acht Uhr –, sondern blieb liegen, starrte zur Decke empor und auf den dünnen Lichtfilm auf den Fenstern und hoffte, in den Traum zurückgleiten zu können. Er hatte einen Ständer – irgendwie hatte er in letzter Zeit dauernd einen Ständer, Tag und Nacht, und das lag daran, daß er wie ein Mönch in der Klosterzelle lebte –, und er streichelte sich mit langsamem, sehnsüchtigem Rhythmus, dachte dabei an Rosaleen, an die junge Frau im Zug, an Katherine, bis der Moment der Erleichterung kam und er wieder ruhig daliegen konnte.
Doch er fand keinen Schlaf mehr, und das war ärgerlich, denn Schlaf war eine Abwechslung von der Langeweile, und er war gelangweilt, das mußte er sagen – nervös und rastlos und gelangweilt. Man schrieb Mitte Juli, er war jetzt sieben Wochen in Kalifornien, lebte im Erdgeschoß des großen Steingebäudes, in einem Zimmer des Dienstbotentrakts, während die Dienstboten – Itaker zumeist, aber es waren auch ein paar Spanier oder Mexikaner dabei – sich in den Hütten hinter dem Haus zusammenpferchten. Mart wohnte im Nebenzimmer, aber Nick und Pat hatten sich Wohnungen im Ort gesucht, als ihre Familien eingetroffen waren – und Rosaleen hätte eigentlich auch mitkommen sollen, vor zwei Wochen war das, aber O’Kane hatte abgewinkt. Begründet hatte er es damit, daß er noch keine anständige Wohnung für sie und das Baby habe, und das stimmte ja auch – er hatte tatsächlich nichts gefunden. Allerdings war er seit seiner Ankunft genau viermal in Montecito gewesen, und wenn er dort gewesen war – am Abend, zusammen mit Mart und Roscoe LaSource, dem Chauffeur –, dann hatte er nicht nach einer Wohnung gesucht.
Er hatte ein schlechtes Gewissen deshalb, sein Sohn fehlte ihm – und Rosaleen auch, vielleicht sogar seine Eltern und Onkel Billy und seine Schwestern mit dazu –, aber er wollte Kalifornien auf eigene Faust erleben, wollte diesem unirdischen Land, in dem Eidechsen über die Felsen huschten, die Blumen so groß wie Bäume waren und der Ozean sich bis zum fernen China erstreckte, alles entlocken. Es war genau, wie er es sich ausgemalt hatte, nur viel üppiger und komplexer, so als wäre seine Vorstellung von Kalifornien gerade die erste Seite einer riesigen Enzyklopädie von Vorstellungen gewesen. Hier gab es sechs Meter hohe Farne und Bäume, die statt dem Laub ihre Rinde abwarfen, Palmen so dünn wie Laternenmasten und Blumen, überall Blumen – die ganze Welt bestand hier aus Blumen. Es war trockener, als er geglaubt hatte – während der gesamten Zeit, die er hier war, hatte es nicht einen Tropfen geregnet, wenn man einmal von dem Tau absah, der sich nachts über alles legte und jeden Morgen in einen verblassenden Traum verwandelte –, und er hätte nie gedacht, daß Riven Rock und all die anderen großen Landsitze so fern von der Stadt waren, über acht Kilometer weit weg. Vielleicht sollte er sich ein Fahrrad zulegen – oder Flügel wachsen lassen. Himmel, jedenfalls rühlte er sich fast so eingesperrt wie der arme Mr. McCormick, denn das vermißte er am meisten: Saloons, Geschäfte, Gehsteige, Straßenlaternen, Zivilisation.
Er hatte noch nie auf dem Land gelebt, war nie von Hähnen und Kühen geweckt worden, und er hatte nie soviel Zeit mit Ausländern verbracht – also mit Italienern. Sie waren überall, schlurften in ihren ausgebeulten Hosen und schweißfleckigen Hemden über die Schotterwege, hauten Steine zurecht, schnitten Hecken, hackten Unkraut in den Obstgärten, jeder Kuh und jeder Ziege der Gegend klatschten sie sechsmal am Tag aufs Hinterteil, sie walkten die Wäsche in großen Wannen draußen im Hof, oder sie schlichen mit Schrubbern und Besen und einer Miene schmieriger Ergebenheit durchs Haus. Aber sie waren ganz in Ordnung, die Italiener. Die meisten sprachen Englisch, zumindest eine Variante davon, die er und Mart entwirren konnten, und abends saß er meist mit Sal und Baldy und ein paar von den anderen im Orangenhain, wo sie einen Krug Rotwein oder eine Flasche von diesem flüssigen Feuer herumgehen ließen, das sie Grappa nannten. Und ihre Frauen waren gar nicht übel, vor allem die jungen. Eher der ländliche Typ, nicht so wie Miss Ianucci zum Beispiel, aber eine oder zwei von ihnen waren ihm angenehm aufgefallen.
Und die Orangen. Die hingen hier einfach an den Bäumen, nicht anders als im Osten die Äpfel und Birnen, und es verging kein Tag, ohne daß er morgens nach dem Aufstehen in der würzigen Luft herumspazierte und sich zwei oder gar drei davon pflückte; dann schälte er sie im Gehen, die Sonne schien ihm ins Gesicht, die Kolibris hingen über den Blüten wie in der Luft schwebendes Buntpapier, und die Berge, die vor ihm aufragten, waren in Dunst gehüllt wie auf einem Ölgemälde.
Trotzdem mußte er an Rosaleen denken, als er sich jetzt aus dem Bett hievte, etwas Wasser ins Gesicht klatschte, das Haar nach hinten kämmte, seinen Unterkiefer im Spiegel musterte und dabei überlegte, ob er sich das Rasieren sparen konnte. Vielleicht sollte er sie doch nachkommen lassen – die McCormicks zahlten die Reise. Er könnte eine Wohnung im Ort finden, in einer dieser Straßen bei der alten Mission mit schönen schattigen Bäumen, und er wäre in der Nähe der Saloons und Grill-Imbisse und der chinesischen Wäscherei, er würde es jeden Abend besorgt kriegen und müßte sich auch nicht mehr von diesen verdammten Hühnern wecken lassen und sich so einsam und ausgelutscht fühlen. Darüber sann er nach, als er vor dem Spiegel stand, sich die Krawatte band und langsam ernsthaft ans Frühstück dachte, an Sam Wahs Haferkuchen und drei Spiegeleier, in Butter gebraten und mit einer Scheibe Schinken, dazu das frischgebackene Brot, das er bereits riechen konnte, und dann fiel sein Blick auf den Brief auf dem Schreibtisch. Er war von Rosaleen, vor zwei Tagen gekommen, und obwohl er ihn schon sechsmal gelesen hatte, konnte er in seiner augenblicklichen Geistesverfassung nicht umhin, ihn aufzuheben. Und sobald er ihn in der Hand hatte, entfaltete er ihn beinahe unwillkürlich und strich ihn auf der kühlen Marmorplatte glatt:
Liber Eddie:
Die Sone schaint ich hab für Eddie Junjor ein neues paar kurtze Hosen gekauft Vielen dank für das Geld. Er is so süs und ich will jede nacht das du mir dein Ding reinschtekst ich bin wie eine frau die fahungat und fon irngwo weet der geruch von gebratnen schpek durch die luft und desweegen bitte Eddie schik uns bald die farkarten weil Mildred Tompsn und Ernestine sind schon seit zwei wochen weg mit ihren Jungs und ich fermis Dich so.
In Libe & Lust
Deine Rosaleen
Er hörte ihre Stimme und sah sie vor sich, in einer zuckenden Serie von Posen, größtenteils sexuellen, so wacklig und vergänglich wie eines von Edisons bewegten Bildern, und er wurde weich. Dann aber sah er nochmals auf ihre ungelenke, nach hinten kippende Krakelschrift und diese Rechtschreibung, die nie über die dritte Klasse hinausgekommen war, und er fragte sich, was in ihn gefahren war, sie je zu heiraten. Als sie ihm damals im September sagte, sie sei schwanger, sie kamen gerade Hand in Hand von »Brophy’s Bar & Grill« nach Hause, der Himmel hing voller Sterne und ihre Lippen waren prall wie Schwämme und so süß, als leckte er den Deckel eines Honigglases ab, da hätte er abhauen sollen, ohne sich umzusehen, nach Alaska, Sibirien, sonstwohin. Aber er tat es nicht. Er heiratete sie. Stand vor dem Altar und schwor vor Gott und Pater Daugherty, für den Rest seines Lebens bei ihr zu bleiben. Ja. Aber jetzt war sie in Waverley, daheim im Schoß ihrer Familie, bei ihren Eltern und ihren glotzäugigen Halbidioten von Brüdern, und er war hier, in Kalifornien, ohne irgendeine Sorge auf der Welt. Was konnte man dem entgegenhalten?
Mart war im Eßzimmer, saß über den Teller gebeugt und kaute mit hirnloser Unentwegtheit, als O’Kane zum Frühstück hereinkam. Der Doktor und Mrs. Hamilton waren noch nicht auf. Sie wohnten mit ihrem plärrenden Baby in einem der Gästeräume im Ostflügel, bis sie ein passendes Haus in der Gegend gefunden hätten. Die Dienstboten aßen in der Dienstbotenküche hinten im Haus, und Mr. McCormick wurde von seinen Pflegern mit einem Schlauch gefüttert, um Punkt neun Uhr. Deshalb war an diesem Morgen, an dem die Sonne fahl, weiß und geradezu gespenstisch in einem Äther von Dunst hing, der jeden Hintergrund verschwimmen ließ, so daß das Haus ebensogut ein Schiff auf hoher See sein konnte, Mart mit O’Kane allein beim Frühstück. »Schönen guten Morgen, Mart«, krähte Ound klappte den Deckel der Servierschale auf, umschwirrt vom Hausmädchen, einer geschlechtslosen Jungfer von Mitte Dreißig namens Elsie Reardon, mit einem großen Krug voll frisch gepreßtem Orangensaft in der einen Hand und einer funklenden Silberkanne mit Kaffee in der anderen.
Martin knurrte eine Antwort. Er hatte sich das Haar gewaschen, das er nach vorn kämmte, um die riesige schimmernde Fläche seiner Stirn zu vertuschen, und die nassen Haarsträhnen sahen aus wie auf eine Glühbirne gepappte Holzwolle. An seinem Kinn klebte Ei.
»Ich weiß nicht, wie du das aushältst«, seufzte O’Kane und sank auf den Stuhl neben ihm nieder. »Ich meine, ohne Frau hier draußen in dieser Einöde, wo deine Brüder jeden Abend mit ihrer Alten ins Bett hüpfen, sogar Dr. Hamilton hat seine Frau dabei... und die Itaker, die vögeln da draußen in ihren Hütten wie die Karnickel. Ich halt das nicht mehr aus. Ich werd noch verrückt hier.«
Mart wirkte interessiert. Er legte die Gabel weg und tupfte sich das Kinn mit der Serviette ab. Elsie goß mit entrüsteter Miene Kaffee ein und stampfte dann aus dem Zimmer. »Was ist denn mit Rose?«
O’Kane winkte ab. »Ich meine heute, jetzt, diese Nacht. Ich bin dran gewöhnt, es besorgt zu kriegen, verstehst du? Aber klar, mit wem rede ich denn hier – du hast ja wahrscheinlich noch nie im Leben ordentlich gebumst, oder?«
Mart protestierte, aber nur sehr matt, und O’Kane wußte, daß er ins Schwarze getroffen hatte.
»Es ist wie mit dem Schinken hier« – und er hielt die rosa Scheibe auf den Gabelzinken hoch, knusprig vom Braten und überzogen von glänzendem rauchigem Fett. »Wenn Elsie dir morgen keinen gibt, wirst du nichts sagen. Aber wenn zwei Tage ohne vergehen, drei, eine Woche – verstehst du, was ich meine? Und Sex – also, das ist ein echtes körperliches Bedürfnis, genau wie Essen und Wasser und die Verdauung...«
»Und Whiskey«, ergänzte Mart mit verschlagenem Grinsen. »Vergiß den Whiskey nicht.«
O’Kane grinste zurück. »Was meinst du? Sollen wir Roscoe überreden, daß er heute mit uns in die Stadt fährt?«
Und dann folgte die morgendliche Routine. Gute Nacht sagen zu Nick und Pat, die ihre Schicht jetzt beendeten, und hallo zu Mr. McCormick, der zusammengekrümmt wie eine Brezel im Bett lag. Danach hieß es, Mr. McCormick das Nachthemd auszuziehen und die Bescherung aufzuwischen, die er in der Bettwäsche hinterlassen hatte, das ganze Zeug für die Wäscherin zu bündeln und Mr. McCormick sein Duschbad zu verabreichen; dabei mußte O’Kane die ganze Zeit an Robert Ogilvie denken, den Leiter des Peachtree Asylum in Stone Mountain/Georgia, der seine Katatoniker an einem Gestell in einer großen Metallwanne aufhängte, Tag und Nacht, und nur das Wasser wechseln ließ, wenn es dreckig wurde. Keine Flecken, kein Gestank, keine Wäsche – nur ein Ablauf und ein Wasserhahn. Also, wenn das kein Fortschritt war.
»Er sieht heute nicht besonders gut aus«, bemerkte O’Kane, als sie im Zimmer das verdreckte Bett und die Haltung betrachteten, in der Mr. McCormick darin lag.
Mart war etwas abwesend. Er nickte nur mit dem großen Kopf, auf dem das Haar zu Fransen getrocknet war, und starrte auf ihren Arbeitgeber hinab wie auf ein Möbelstück. »Hab’n schon schlimmer gesehen.«
Irgendwann in der Nacht hatte Mr. McCormick sich wie ein Fötus im Mutterleib zusammengerollt, und es war ihm gelungen, den einen Fuß so in den anderen zu verhaken, daß es unbequem, ja geradezu schmerzhaft aussah – eine Haltung, wie sie einem Swami oder einem Schlangenmenschen anstand. Er atmete schwer, der Brustkorb arbeitete, als wäre er gerade fünfzehn Kilometer gelaufen, seine Augen standen weit offen, die Hände waren unentwirrbar ineinandergeklammert, aber er reagierte nicht auf sie. Sie hatten keine Wahl, als ihn so aus dem Bett zu heben, wie er war, jeder eine Hand unter eine Achsel und eine Hinterbacke, und in die Dusche hinüberzuwuchten, wo das Wasser einiges von der Kruste abspülte und sie den Rest mit Palmolive-Seife und Scheuerbürsten beseitigen konnten, und es schien alles nicht viel anders als jeden Tag, bis auf diese Körperhaltung. Trotzdem war es ein seltsames Gefühl, einen erwachsenen nackten Mann durch die Gegend zu schleifen, der unvorstellbar viele Millionen schwer, aber leblos wie eine Rinderhälfte am Fleischerhaken war. Nur seine Augen bewegten sich, aber sie nahmen nicht allzuviel wahr – höchstens einmal sahen sie zu den Wassernadeln der Brause auf oder zu dem durchs Fenster hereindringenden Licht, dann ging der Blick wieder ins Leere.
Es war unheimlich. Beklemmend. Egal, wie oft O’Kane es erlebt oder bei wie vielen Patienten er es schon gesehen hatte – und er hatte in der Irrenanstalt von Boston genug von ihnen gebadet, zwanzig auf einmal, und danach mit dem Schlauch abgespritzt wie Schweine im Stall –, es ging ihm immer noch nahe. Wie konnte jemand so leben? So sein? Und was mußte passieren, daß der Mechanismus kaputtging, daß der Normale abnormal wurde, daß ein Mann wie Mr. McCormick, der alles besaß und noch mehr, selbst die Fähigkeit, das zu wissen, verlieren konnte?
»Ich wünschte, er würde da rauskommen, Mart«, sagte er, nachdem sie ihn im Wasserstrahl der Dusche auf die Seite gelegt hatten. »Auch wenn er wieder durchdreht – alles lieber als das.«
»Soll das ein Witz sein?« Mart rieb sich die Stelle über dem linken Auge, wo ihr Arbeitgeber ihn im Zug erwischt hatte. Dampf stieg vom Boden auf. Wasser prasselte gegen die Fliesen. Mr. McCormicks Haut glitzerte jetzt, und sein Haar war ein dunkles Käppi, das an seinen Schläfen klebte und sich den Nacken hinunterzog; er grunzte leise.
»Denk doch mal nach, Mart, das ist Stanley McCormick, einer der reichsten Männer der Welt, und er hat nicht mal eine Ahnung davon. Ich meine, ich war schon so sturzbesoffen, daß ich nicht mehr wußte, wo ich bin, hab in einem Hinterhof gepennt, und einmal bin ich an einem Strand aufgewacht, mit ekligen Krabben überall am Körper – aber ich wußte immer noch, daß ich Eddie O’Kane bin.«
Mart schien nicht ganz zu begreifen. Er starrte nur kopfschüttelnd zu der gekrümmten Gestalt auf den nackten Kacheln hinab. »Ich wünsch mir, daß er immer so bleibt, schön still und ruhig.« Und dann senkte er die Stimme, da man ja nie wußte, was Mr. McCormick dachte und woran er sich erinnern würde. »Wenn er je wieder gesund wird, dann braucht er uns nicht mehr, das ist mal klar – und was wird dann aus uns?«
Um neun Uhr, nachdem sie Mr. McCormicks Füße entwirrt und ihn massiert hatten, um ihn ein wenig zu entkrampfen, drückte Mart dem Patienten mit einem Holzspatel die Kiefer auseinander und O’Kane schob ihm das Rohr zwischen die Zähne. (Und Mr. McCormick hatte gute, kräftige Zähne, nur wurden sie inzwischen gelb, weil er nicht imstande war, sie zu pflegen.) Das Gerät bestand aus einem ausgehöhlten Stück Bambus, wie es Kopfjäger zum Verschießen ihrer Pfeile benutzten, sowie einem gewöhnlichen Küchentrichter, und zum Frühstück bekam Mr. McCormick das gleiche wie sie – Schinken und Eier, Toast und Kaffee –, allerdings von Sam Wah, dem chinesischen Koch, gründlich zu einem dicken schwarzen Brei verarbeitet. Während O’Kane damit beschäftigt war, vor Mr. McCormicks weit offenem Mund zu lauern wie ein flugunfähiger Vogel vor einem übergroßen Küken, dem langweiligen Tropfen des Nahrungsbreis zuzusehen, dem Patienten immer wieder Mund und Kinn abzuwischen und ihm die Nase zuzuhalten, um den Schluckreflex auszulösen, mußte er unwillkürlich darüber nachdenken, wie wenig Fortschritte Mr. McCormick im Lauf der letzten zwei Monate doch gemacht hatte.
Er war nicht immer so gewesen. Als er vor zwei Jahren zum erstenmal ins McLean eingeliefert wurde, hatte er nur einen Zusammenbruch gehabt, und die Prognose war gut. Natürlich war er schwer gestört, vor allem während der ersten Tage, da ging er auf jeden los, der ihm näher als einen Meter kam, und er schimpfte wüst über alles mögliche – über Jack London, seinen Vater, Zahnärzte, die Mähmaschinenfirma und auf Frauen, vor allem auf Frauen, er brüllte »Fotze«, »Schlitz« und »Hure«, bis die Wände vibrierten und sein Gesicht so ausgebleicht war wie ein Blatt Papier im Schnee –, aber nachdem er eine Woche lang festgebunden war, besserte er sich. Mit einemmal wurde er ruhig und vernünftig, ein würdevoller Gentleman, der sich morgens ohne Tics oder sonstigen Blödsinn ankleidete und mit den anderen Patienten und deren Verwandten herumscherzte und plauderte, so daß ihn bald alle für einen der Ärzte hielten. Und Mr. McCormick, für Späße immer zu haben, spielte mit: er gab Ratschläge, ging Arm in Arm mit enttäuschten Eltern, dem Cousin aus Bayonne, dem unwirschen Bruder und dem grimmigen Ehemann den Flur entlang und verhielt sich auch Frauen gegenüber tadellos: er war die Höflichkeit selbst mit der sanftesten, einfühlsamsten und leutseligsten Stimme, die O’Kane je gehört hatte.
Innerhalb einer Woche erkannte er O’Kane – er nannte ihn »Eddie« und fragte speziell nach ihm –, und sie unternahmen gemeinsam lange Spaziergänge auf dem Sanatoriumsgelände, spielten Golf, Croquet, Schach und andere Brettspiele. Er beharrte darauf, daß ihm gar nichts fehlte – nur die Nerven und Überarbeitung, das war alles –, und er sprach und kleidete sich ganz normal, hatte für jeden ein Lächeln übrig, so daß O’Kane es beinahe auch glaubte. An den Abenden hielt er die ganze Station in Bann mit Geschichten von seinen Reisen – er war schon überall gewesen, in allen Hauptstädten Europas, in Ägypten, in Albuquerque, Carson City und San Francisco –, und jeder, ob Ärzte, Pfleger oder Patienten, mußte über seine Witze lachen. Er riß dauernd Witze – keine bösen Streiche, nichts Gemeines oder Gestörtes, wie man das von vielen anderen Patienten kannte, überhaupt nichts dergleichen. Er traf auch immer den richtigen Ton. Und auch wenn die Witze schon zu Zeiten seiner Mutter alte Kamellen gewesen sein mußten (»Was sagt die Sonne am Abend zum Ozean? – Hilfe, ich gehe unter!«), hatte er so offenkundigen Spaß daran – seine Miene öffnete sich zu diesem breiten Lächeln, mit dem er gesegnet war, und die Augen legten sich in winzige Fältchen –, daß sie unwiderstehlich waren, auch wenn man sie schon zum zehntenmal hörte.
Alle waren optimistisch. Alle waren erleichtert. Nur die Nerven, sonst nichts. Dann aber, eines Morgens, nach einem längeren Besuch seiner Frau, wollte er nicht mehr aufstehen. Das Lächeln war verschwunden, die Witze tot und begraben. Auf einmal sprach und aß er nicht mehr, ging nicht mehr auf die Toilette und wusch sich nicht mehr. Dr. Hamilton, Dr. Cowles und Dr. Meyer versuchten ihn zurückzuholen, sie redeten sich den Mund fusselig, sie argumentierten, ermahnten, lockten und drohten – sie holten sogar den ehrwürdigen Dr. Emil Kraepelin aus dem weit entfernten München, damit der sein Glück versuchte –, aber Mr. McCormick schien nur immer tiefer in sich selbst zu versinken, wie ein Mann, der bis zum Kinn im Treibsand steckte, und niemand auf der ganzen Welt konnte ihm helfen. Bald danach attackierte er Schwester Doane – Arabella – und mußte erneut am Bett festgebunden werden.
Man hatte gehofft, daß Kalifornien einen Umschwung herbeiführen würde, aber soweit O’Kane sah, war das eine ziemlich sinnlose Übung. Bisher jedenfalls. Mr. McCormick war so blockiert wie noch nie, so tief versunken in seinen Halluzinationen und Phobien, daß er nicht einmal seine Pfleger wiedererkannte. Und es schien keinen zu kümmern – nach Riven Rock hatte man ihn fest verschnürt wie einen preisgekrönten Truthahn verfrachtet, und auch ohne viel mehr Bewußtsein als so ein fettes Federvieh, und damit war der Fall erledigt, aus den Augen, aus dem Sinn. Für alle, bis auf Mrs. McCormick. Katherine. Sie war die ganze Zeit über dageblieben, lange nachdem Mr. McCormicks Mutter und Geschwister abgereist waren, sie fuhr jeden Morgen zum Anwesen hinaus, wo sie Hamilton und die Pfleger ausfragte und die Dienstmädchen, den Butler und sogar den Koch mit seinem verhunzten Englisch verhörte. Was hat mein Mann zum Frühstück bekommen? Ißt er jetzt wieder? Wie ist seine Gesichtsfarbe? O’Kane hatte sie zweimal mit einem Opernglas in der Hand draußen im Gebüsch herumkriechen sehen, von wo sie einen kurzen Blick auf ihren Mann zu erhaschen hoffte, wenn er auf die Sonnenveranda hinausgerollt wurde. Auch Nick und Pat hatten jedes Interesse verloren, sie behandelten ihren Arbeitgeber wie einen dieser Sabberlappen auf der geschlossenen Abteilung; Mart schien die ganze Sache vollkommen gleichgültig zu sein, und Hamilton war so sehr mit seinen Affen beschäftigt und damit, ein Haus zu suchen und seine Frau wegen des Umzugs aus Massachusetts zu besänftigen, daß er nicht mal mehr die Zeit fand, den Kopf zur Tür hereinzustecken.
Und O’Kane? Der saß in den Kulissen des Paradieses fest, mit einem Haufen Itaker um sich herum und einem Ziehen in den Lenden, das schlimmer war als Fieber, und wartete darauf, daß Mr. McCormick eines Tages wieder gesund würde, um ihm seine Ausdauer und Loyalität zu vergelten, und das wäre dann der Tag, an dem seine eigenen Orangen schwer an den Zweigen hingen und er endlich, zu guter Letzt, einmal selbst im Mittelpunkt stehen und das Drama des eigenen Lebens beginnen lassen könnte.
Am Nachmittag saß er am Schreibtisch im oberen Flur, direkt hinter der verriegelten Tür zu Mr. McCormicks Zimmerflucht, er legte Patiencen und klappte alle dreißig Sekunden die Taschenuhr auf, um den schildkrötenhaften Fortgang der Zeit persönlich zu überwachen, als Dr. Hamilton hektisch und außer Atem die Treppe heraufgestolpert kam. »Edward«, rief er, »Edward, Sie müssen sich das ansehen!«
O’Kane blickte von den Karten auf, erfreut über die Abwechslung. Er sah kurz Mart an und die gekrümmte Gestalt auf dem Bett hinter ihm, dann erhob er sich, um die Tür aufzuschließen, die »drei Ps« immer im Sinn. »Was ist denn los?« fragte er und drehte die Schlüssel. »Ein neuer Hominide?«
Im Licht der unermüdlichen kalifornischen Sonne, das durch die Fenster im ersten Stock hereinströmte, schien der Kopf des Arztes zu glühen. Er ließ in letzter Zeit eine Menge Kopfhaut sehen, bleiche Streifen unter den graubraunen Strähnen seines Haars, und O’Kane bemerkte mit Schrecken, daß der Haaransatz tatsächlich zurückgewichen war – wann hatte das angefangen? Auch sein Gesicht – die Furchen waren tiefer geworden, und da war noch etwas, etwas völlig Merkwürdiges... aber natürlich, er hatte sich den Bart abrasiert. »Sie haben sich rasiert«, hörte O’Kane sich sagen.
Der Arzt winkte ab, als wäre das nicht der Rede wert, doch das war es sehr wohl, denn dieser Bart hatte ihn als Psychiater ausgewiesen, er war praktisch ein Zwilling jenes Barts gewesen, der im Gesicht des Dr. Freud sproß. Wie konnte er ohne Bart überhaupt die Psychiatrie praktizieren? Es war undenkbar. »Meine Frau hatte nie viel Freude damit«, erklärte Hamilton, der vor Anstrengung schwer atmete, »und außerdem wurde er mit den Hominiden allmählich zum Risiko – Mary hatte Angst, er könnte Flöhe anlocken. Oder Schlimmeres. Aber genug von meinem Bart – ich möchte Ihnen etwas zeigen, Edward, etwas wirklich Erstaunliches, meinen bisher besten Fund. Kommen Sie, kommen Sie schon – worauf warten Sie denn?«
Und dann eilten sie die Treppe hinunter, durch die Küche und zur Hintertür hinaus, auf dem Weg zum Hominidenlabor, und der Doktor war so aufgewühlt, daß er am liebsten gerannt wäre. O’Kane hörte das Gekreische und Gekeife der Affen, lange bevor sie den Pfad erreichten, der sich in das Eichenwäldchen schlängelte, und bald roch er sie auch – ein scharfes, beißendes, von Schmeißfliegen wimmelndes Gemisch aus Hominidenschweiß und Hominidenkotze und der betäubende Gestank nach mit Exkrementen verklebtem Affenfell. Und er nannte sie jetzt ganz einfach Affen, jedenfalls solange Hamilton nicht zuhörte, denn nichts anderes waren sie: neun Rhesusäffchen und ein Paar olivfarbener Paviane. Primaten, so hatte sich gezeigt, waren nicht so leicht aufzutreiben. Der Doktor hatte bei jedem Händler mit exotischen Tieren, jedem Zirkus und jedem Zoo entlang der gesamten Küste nach ein paar Schimpansen gesucht, aber es waren einfach keine zu haben.
Dafür hatte er kleinere Affen bekommen, und es sollten noch mehr werden. Nachdem die ersten beiden rattenartigen Viecher gestorben waren – das Blut war ihnen aus Ohren und Anus geronnen –, hatte der Doktor Glück gehabt und neun neue Affen auf einen Schlag von einem der Millionäre aus der Gegend kaufen können, einem Exzentriker, der auf seinem Grundstück eine ganze Menagerie frei herumlaufen ließ: Strauße, Känguruhs, Boa constrictors, Impalas und Buschböcke, und die Paviane hatte er in dem heruntergekommenen Zoo von Muchas Vacas in Mexiko aufgetrieben, wo ein paar Pesos einen noch weit brachten. O’Kane war nur froh, daß er sich um die Bestien nicht zu kümmern brauchte – sie waren noch keine zwei Wochen hier gewesen, da hatte Hamilton schon davon angefangen, aber schließlich hatte er dann zwei magere braune Männlein angeheuert, einen Itaker und einen Mexikaner, die ihm die Käfige gebaut hatten und jetzt jeden Morgen die stinkenden Kackehaufen mit dem Wasserschlauch wegräumten.
Affen übten auf O’Kane überhaupt keinen Reiz aus – sie erinnerten ihn viel zu sehr an die Sabberer und Scheißeschmierer, mit denen er die letzten sieben Jahre verheiratet gewesen war, und diese Ära wollte er gern für immer hinter sich lassen. Er war jetzt Oberpfleger von Stanley McCormick, und nicht mehr lange, dann würde er Orangenpflanzer oder Erdöl-Tycoon sein, der mit Panamahut durch die Empfangshalle des Potter Hotel schlenderte, während sein eigenes Automobil vor der Tür wartete. Natürlich mußte er, solange er unter Hamiltons Fuchtel stand, zumindest Interesse an den Hominiden heucheln, aber er sah wirklich keinerlei Sinn darin – auch eine ganze Wagenladung Affen würde Mr. McCormick nicht von seinem Leiden kurieren. Und soweit er es beurteilen konnte, hatte Katherine auch nicht viel für diese Hominiden übrig und nahm sie nur widerwillig hin, wohl in der Hoffnung, Hamiltons Experimente könnten zur Heilung ihres Mannes beitragen, und so verbrachte sie den Großteil ihrer Besuche unter den Eichen und hörte Hamilton zu, der über die hominide Blasenentleerung, Autoerotik und Kopulationsfrequenz erzählte. Der Doktor hatte den Affen Namen wie Maud, Gertie und Jocko gegeben, und so, wie er von ihnen sprach, konnte man meinen, er hätte sie alle persönlich gezeugt. (»Jocko hat gestern sechsmal mit Bridget kopuliert, und dann noch zweimal mit Gertie«, sagte er zum Beispiel, oder: »Sobald ich Jimmy zu Maud in den Käfig lasse, nimmt sie die sexuelle Demutshaltung ein und bietet ihre Genitalien dar.«) Nach O’Kanes Ansicht war die ganze Geschichte etwas, na ja, übertrieben. Um nicht zu sagen: schweinisch.
Und jetzt stand Hamilton zwischen dem grinsenden Spaghettifresser und dem grinsenden Tortillafresser und machte Anstalten, eine schmutzige karierte Tischdecke von einer Art Käfig wegzuziehen, der hinter ihm stand. Er strahlte wie ein Zauberer. Die Affen kreischten und verströmten Gestank. Mildes Sonnenlicht flutete durch die Bäume. »Fertig, Edward? Voilà!«
Die Tischdecke flatterte zu Boden, und der Käfig war freigelegt. Darin befand sich eine orangegelbliche Ansammlung von Gliedmaßen und Haar, die an nichts mehr erinnerte als an einen Haufen vertrockneter Palmwedel, bis sie sich plötzlich bewegte. O’Kane sah die beiden schwimmenden Augen, Nüstern wie zwei Löcher in einem Gummischlauch, das nackte Affengesicht. »Jesus, Maria und Joseph«, sagte er, »was ist denn das?«
»Ein Orang-Utan«, sagte der Doktor. »Wörtlich heißt das ›Mann des Waldes‹. Sein Name ist Julius, und er kommt aus dem fernen Borneo zu uns, durch die freundliche Vermittlung eines Kollegen von Kapitän Piroscz, Benjamin Butler von der Siam.« Der Arzt grinste jetzt übers ganze Gesicht. »Unser erster Menschenaffe.«
O’Kane trat einen Schritt zurück, als Hamilton daranging, die Maschendrahttür des Käfigs zu entriegeln. Er dachte an den einäugigen Schimpansen damals in Donnellys Bar, der Frank Leary spielend im Armdrücken besiegt hatte – in diesen Sachen waren die Menschenaffen doch ganz groß, oder?
»Keine Sorge«, beruhigte ihn Hamilton, »er ist völlig zahm. Er ist Menschen gewöhnt. Komm schon, Julius«, lockte er mit jenem hypnotischen Flüstern, mit dem er seinen Irren und Tobsüchtigen begegnete, »komm doch raus.« Zwei Orangen, verführerisch in die Höhe gehalten, waren der Köder.
»Sind Sie sicher, daß...« begann O’Kane.
»O ja, kein Problem«, sagte Hamilton über die Schulter. »Sie hatten ihn an Bord des Schiffes, seit er ganz klein war, und alle haben ihn geliebt, die ganze Mannschaft, sie wollten ihn mir gar nicht geben, aber natürlich jetzt, wo er ausgewachsen ist, da wurde es etwas gefährlich, mit den vielen Schnüren und Wanten und Fässern mit heißem Teer und so weiter... Ja, komm doch, so ist’s brav.«
Geräuschlos entwand sich die zerfledderte orangegelbe Kreatur dem Käfig und kauerte auf ihren haarigen Armen wie eine Riesenspinne. O’Kane trat noch einen Schritt zurück, und die beiden Wärter wechselten einen nervösen Blick – das Vieh war fast so groß wie sie und auf jeden Fall wesentlich schwerer. Und wie alle anderen Hominiden stank es natürlich wie eine Bootsladung voller Wasserleichen.
Julius schien sich nicht allzusehr für die Orangen zu interessieren, schob sie aber in den Schlitz mitten in seinem plastischen Gesicht, als wären es Pferdepillen, dann schlurfte er durch den Staub dahin, wo die Paviane und die anderen Affen an ihren Käfigtüren rüttelten und sich die Kehle aus dem Leib kreischten. Er tauschte verschiedene Körperflüssigkeiten mit ihnen aus, den Kopf gesenkt und teilnahmslos, während sie sich am Gitter festkrallten und die Zähne fletschten, dann setzte er sich auf die Erde, beschnüffelte lustvoll seine Finger und Zehen, ehe er sich lässig in den nächstgelegenen Baum hinaufhievte, wo er prompt einschlief wie ein fetter Käfer. Oder auch starb. Es war schwer zu sagen – er wirkte so absolut ungerührt und leblos, daß es aussah, als hätte jemand einen nassen Teppich in die Astgabel gesteckt.
O’Kane fühlte Hamiltons Blick. »Na?« fragte der Arzt. »Was halten Sie davon? Großartig, was?«
Die beiden Wärter waren in die große Einfriedung zurückgewichen, die Hamilton als Gemeinschaftsbereich bestimmt hatte, wo seine Hominiden, wie er es nannte, »interagieren« konnten. Dort bauten sie die Gerätschaften für dieses oder jenes rätselhafte Experiment des Doktors auf. Die in ihren Einzelkäfigen eingesperrten Affen betrachteten sie mit glänzenden Augen. Sie wußten, was Dr. Hamiltons Experimente verhießen: fressen, kämpfen und vögeln, wenn auch nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. O’Kane war um Worte verlegen.
»Sie sehen nicht eben enthusiastisch aus, Edward«, bemerkte Hamilton, dessen bartloses Kinn bleicher als der Rest seines Gesichts war, wie die aufgeweichte Haut unter einem Pflaster. Seine Pupillen hüpften kurz.
»Nein, daran liegt es nicht – ich überlege bloß gerade, ob Sie wohl noch mehr, äh, Hominiden wie den orangen da kriegen können. Die müssen ziemlich selten sein. Muß zugeben, daß ich so was wie den noch nie im Leben gesehen hab.«
»O ja, das sind sie. Aber gerade Menschenaffen wollen wir ja haben, Edward. Macacus rhesus ist ein hervorragendes Tier zum Experimentieren, und wir können froh sein, daß wir welche haben, auch die Paviane, aber die Menschenaffen sind unsere nächsten Verwandten, und je mehr wir davon bekommen, desto gründlicher – und aussagekräftiger – werden meine Studien sein. Begreifen Sie das?«
O’Kane bohrte die Schuhspitze in den körnigen gelblichen Erdboden und beschrieb ein Muster aus konzentrischen Kreisen, von denen jeder den nächsten schluckte. Er brauchte einen Drink. Er brauchte eine Frau. Er wollte in der Stadt sein, mit Mart und Roscoe LaSource, die Ellenbogen auf einen Tresen aus poliertem Mahagoniholz gestützt, ein Schälchen mit gesalzenen Erdnüssen in Reichweite. »Dr. Hamilton?« fragte er, den Kopf gesenkt, immer noch mit dem Schuh in der Erde kratzend. »Eines beschäftigt mich schon seit längerem, und ich möchte hier bestimmt nicht respektlos erscheinen oder Ihre Methoden irgendwie in Frage stellen, aber ich verstehe nicht ganz, wie das alles Mr. McCormick helfen soll. Also, ich meine, die Affen hier draußen werden auf Herz und Nieren geprüft, und er liegt da drin im Haus, verdreht wie ein Stück Draht – und vielleicht irre ich mich ja, aber ich sehe ihn nicht gesünder werden.«
Der Arzt ließ die Augen einmal, zweimal hüpfen; O’Kane mußte an einen Ochsenfrosch denken, der etwas zu schlucken versuchte, das in seinem Kopf steckengeblieben war. Lange Zeit herrschte Schweigen, die Affen schnatterten in gedämpfter Vorfreude auf ihre Entlassung in den Gemeinschaftsbereich, der Wind drehte kaum merklich, wehte ihren Geruch noch konzentrierter heran. O’Kane fragte sich, ob er zu weit gegangen war.
»Zunächst einmal, Edward«, sagte Hamilton schließlich, seine Augen lauerten unter der blinkenden Fläche seiner Brille wie die eines Schuppentiers, »möchte ich Ihnen sagen, wie sehr es mich freut, daß Sie ein so aktives Interesse an Mr. McCormicks Zustand haben. Wie ich schon einmal sagte, ist er der Schlüssel zu allem, was wir hier tun, und diese Tatsache dürfen wir nie aus den Augen verlieren. Dr. Kraepelin mag ihn als unheilbar eingeschätzt haben, aber sowohl Dr. Meyer als auch ich sind mit dieser Diagnose nicht einverstanden – wir sehen keinen Grund, weshalb es eine vollständige Heilung, zumindest aber eine Besserung seiner Symptome und eine allmähliche Wiedereingliederung in die Gesellschaft nicht möglich sein sollte.«
Plötzlich ertönte ein lautes Krachen aus der Richtung des großen Käfigs, gefolgt von einem Duett aus mexikanischen und italienischen Flüchen – puta/puttana, puta/puttana –, und O’Kane sah, wie die beiden Wärter mit einer bunt angestrichenen Holzkiste von der Größe eines Klaviers hantierten. Er erkannte das Ding als die Trichterkonstruktion, die der Doktor zum Testen der geistigen Beweglichkeit der Affen entworfen hatte: sie bestand aus vier Fächern mit je einem Türchen, und die Affen mußten sich daran erinnern, welches davon unverschlossen war und zu der Belohnung führte: einer Banane. Im selben Moment warf Hamilton verärgert den Kopf herum und fauchte die beiden an: »Seid ja vorsichtig damit, ihr unfähigen Idioten! Wenn ihr auch nur den Lack zerkratzt, kürz ich euch den Lohn, das könnt ihr mir glauben!« Und dann schimpfte er auch noch auf italienisch – vielleicht war es auch Mexikanisch. Die Adern an seiner Kehle traten hervor, und sein Gesicht nahm die Farbe der Pflaumentomaten an, die die Itaker hinter ihren Hütten anbauten. O’Kane war beeindruckt.
Er zeterte gut eine Minute lang in ihrer Sprache auf sie ein, dann wandte er sich wieder O’Kane zu, als wäre überhaupt nichts gewesen, der besonnenste Mensch der Welt, die Stimme erneut zu seinem gewohnten hypnotischen Flüsterton gesenkt: »Gewiß ist Mr. McCormicks Fall ganz besonders schwierig, Edward, und ich kann Ihnen versichern, wie sehr es mich beunruhigt, daß er derzeit so vollkommen blockiert ist, aber das gibt mir nur um so eher Grund, außergewöhnliche Maßnahmen zu ergreifen, Gebiete zu betreten, die noch niemand vor mir erkundet hat, um die psychologischen Grundlagen der infrahumanen – also der sexuellen – Verhaltensmuster zu untersuchen, so daß wir sie alsbald auf unsere eigene Spezies übertragen können, und zwar insbesondere auf Mr. McCormick, dessen Großzügigkeit all dies hier überhaupt nur ermöglicht hat.«
Aber wie lange würde das dauern, wollte O’Kane wissen. Sechs Monate? Ein Jahr? Zwei Jahre? Drei? »Aber letzten Herbst hab ich noch Golf mit ihm gespielt«, hörte er sich sagen, »und jetzt kann er nicht mal mehr reden. Und da sagen Sie, ein paar Affen oder Hominiden, oder wie Sie sie auch nennen wollen, die sechsmal am Tag miteinander rammeln, können ihn aus diesem Bett wieder rausholen?«
Wiederum Schweigen. Der Arzt klopfte seine Taschen ab, bis er Pfeife, Tabak und Streichhölzer gefunden hatte. Er nahm sich Zeit zum Entzünden der Pfeife und musterte O’Kane dabei nachdenklich. Er hatte diese Situation in der Hand, und er würde sich nicht drängen oder provozieren lassen. »Ich sage Ihnen eines, Edward«, sagte er und betonte den Namen auf seine irritierende Weise. »Wie Charcot, Breuer und Chrobak alle bereits festgestellt haben, und wie Dr. Freuds brillante Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie nochmals bestätigen, gibt es an der Wurzel jeder nervösen Störung immer eine genitale Komponente. Und wollen Sie etwa auch nur einen Moment lang bezweifeln, daß Mr. McCormicks Problem ein sexuelles ist? Sie haben doch gesehen, wie er auf diese Frau im Zug losgegangen ist und auf die Krankenschwester im McLean – wie hieß sie schnell?«
»Arabella Doane«, antwortete O’Kane mechanisch.
»Sex ist die Wurzel und der Urgrund allen menschlichen Tuns, Edward, vom morgendlichen Aufstehen und dem Gang zur Arbeit bis zum Erobern fremder Nationen, von der Erfindung der Glühbirne bis zum Kauf eines neuen Mantels, vom Fleischverzehr bis zum Taxieren jeder vorbeigehenden Frau als potentielle Paarungspartnerin. Sex ist das A und O, unser Daseinszweck, eine unbezwingbare Lebenskraft.« Der Doktor war einen Schritt näher getreten. O’Kane sah die dunklen stoppligen Pfefferkörnchen an seinem Kinn. »Wir sind Tiere, Edward, vergessen Sie das nie, und Tiere – ja, diese Hominiden, die so wenig Eindruck auf Sie machen – werden uns eines Tages unsere verborgensten Geheimnisse enthüllen.« Wie aufs Stichwort heulte einer der Affen in orgiastischer Ekstase los. Die Augen des Doktors loderten. »Unsere sexuellen Geheimnisse«, setzte er mit ersterbendem Zischen hinzu.
Gerade in diesem Moment, gerade als Hamilton diese Worte aussprach, blickte O’Kane zufällig auf und sah Giovannella Dimucci hinter ihnen in einem grellen Fleck Sonnenlichts über den Weg gehen. Sie trug Holzschuhe, und er betrachtete ihre nackten Beine, die unter dem Saum ihres Rocks verschwanden, die schimmernde wehende Flagge ihres Haars, ihre Brüste, die unter dem Stoff der Bluse bebten, und ihre Arme, die sie mit rhythmischer Eleganz beim Gehen hin und her schwenkte, bis sie um die Ecke bog. O’Kane sah zurück auf den Doktor, auf die Affen, die sich lustvoll und hoffnungsfroh an ihre Gitterstäbe klammerten, und auf den großen orangefarbenen Fellhaufen in der Astgabel über ihm. Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, wie um alles wegzuwischen. Er schwitzte, und er war sich andererseits einer Trockenheit in der Kehle bewußt: die Drangsal des ausgedörrten Heiligen in der Wüste.
»Tja«, sagte er seufzend, als könnte er sich kaum losreißen, »wirklich einen schönen Menschenaffen haben Sie da, Doktor, und besten Dank auch, daß Sie sich Zeit genommen haben, ihn mir zu zeigen und mir alles zu erklären – jetzt fühl ich mich besser, wirklich –, aber ich muß wieder zurück... Mart fragt sich bestimmt schon, wo ich bin. Also dann. Auf Wiedersehen.«
Giovannella Dimucci war die Tochter von Baldessare Dimucci, der in seinem quietschenden Pferdefuhrwerk von Crawfords Molkerei den Kuhmist abholte und an Orangenpflanzer und reiche Witwen mit Blumenbeeten und riesigen Rasenflächen verkaufte. Sie war siebzehn, mit kräftigen Schultern versehen, fleißig und hilfsbereit, und sie arbeitete seit einer Woche in der Küche, während die normale Köchin, eine bucklige kleine Warze von Frau namens Mrs. Fioccola, sich von der Geburt ihres zwölften Kindes erholte, allesamt Mädchen. O’Kane holte sie ein, als sie gerade die Hintertreppe hinaufging, in der Hand einen leeren Abwascheimer. »Giovannella«, rief er und sah zu, wie sie sich umdrehte, ihn erkannte und ein Lächeln aufblitzen ließ, das sich von den Lippen zu ihren Augen ausbreitete.
»Eddie«, sagte sie, und nun war er mit dem Grinsen an der Reihe. »Was für eine Überraschung, dich um diese Zeit zu sehen.« Sie stellte den Eimer ab und ließ ihr Lächeln noch mehr erblühen. Hinter dem Maschengitter der Tür war Bewegung – Sam Wah stand am Herd, mit dem Rücken zu ihnen, und eines der anderen Dienstmädchen, O’Kane konnte es nicht genau erkennen, wusch gerade einen Berg von Geschirr ab. Um die Ecke, von der Garage her, hörte man Roscoe an den Autos basteln, er ließ einen Motor abwechselnd aufheulen und leise säuseln, und der süßliche Geruch nach Benzin drang schwach zu ihnen. Immer noch lächelnd, einen Finger im Mund, fragte Giovannella etwas leiser: »Mußt du nicht bei Mr. McCormick sein? Oder habt ihr die Schichten getauscht?«
Wie in Trance ging O’Kane auf sie zu und setzte sich ihr zu Füßen auf die unterste Treppenstufe. Er roch ihren Körper, die Seife an ihren Händen, den sauren Essiggeruch des Abwascheimers. »Ja, eigentlich schon« – ein Zwinkern, bei dem er sie der Länge nach abmaß und den Blick in die Sonne hob, die ihren Kopf und die Schultern und die dunkle Kamee ihres Gesichts umrahmte –, »du kennst meinen Zeitplan aber genau, was?«
Sie wurde nicht rot, nur das Lächeln erlosch einen Moment lang, ehe es zurückkehrte. Sie sah kurz über die Schulter auf Sam Wahs Silhouette, dann zupfte sie an ihrem Rock und setzte sich behende neben ihn. »Sicher doch. Ich kenne von jedem den Zeitplan –sogar von Mr. McCormick.«
»Schlaues Mädchen«, sagte er.
»Ja, ich bin ein schlaues Mädchen.« Ein Hauch von Akzent. Sie war neun Jahre gewesen, als ihr Vater aus Marsala ausgewandert war, und sie war ebenso amerikanisch wie alle anderen, zum Beispiel wie Rosaleen, nur dunkler, wesentlich dunkler, dunkler, als es sich ein Ire je vorstellen konnte. Rosaleens Haut war weiß wie Porzellan, kreideblaß, mondbleich, so hell, daß die Adern an den Knöcheln, den Handgelenken und zwischen den Brüsten blau hervortraten; Giovannellas Haut dagegen war wie Darjeeling, der zu lange in der Kanne gezogen hatte und in eine Tasse mit heißer Milch gegossen worden war, Tropfen für Tropfen. Er liebte diese Haut. Er wollte ihre Finger lecken, ihre Hände, ihre Füße.
»Er ist ein sehr gefährlicher Mann«, sagte O’Kane, um sich abzulenken.
»Wer?«
»Mr. McCormick.«
Die Sonne, die Blumen, das leise Gegacker der Hühner, das Dröhnen des Motors. Giovannella hob die Augenbrauen.
»Er ist das, was man einen Triebtäter nennt – weißt du, was das ist?«
Sie wußte es nicht. Oder tat jedenfalls, als wüßte sie es nicht.
»Er braucht – na, also er hat ständig ein körperliches Bedürfnis nach Frauen, verstehst du? Er wird gewalttätig. Und wenn er seinen Willen nicht kriegt, dann dreht er bei der ersten Gelegenheit durch und geht auf eine Frau los, auf irgendeine – sogar auf seine eigene.«
Ihr Gesicht hatte sich verdüstert, und er fragte sich, ob er zu weit gegangen war, sie schockiert hatte, doch dann verflog die Maske; sie beugte sich dicht zu ihm heran und legte ihm die Hand auf den Ellenbogen. »Klingt wie ein ganz normaler Mann für mich.«
O’Kane durchzuckte es heiß. Es war, als ob in ihm eine Brandbombe geplatzt wäre – schlagt Alarm und holt die Feuerwehr! »Hör mal«, sagte er, »du weißt doch, daß ich dich sehr mag, du bist nämlich wirklich witzig, aber hier ist es so gräßlich langweilig, oder?Ich meine, ich könnte vielleicht Roscoe überreden, uns heute abend mit einem von den Packards in die Stadt zu fahren, das heißt, wenn du mitkommen willst... mit mir, meine ich... wir beide.«
Sie sah erneut über die Schulter, als könnte jemand sie belauschen. Sie senkte den Kopf und sie blickte sich verstohlen um. Ihr Vater würde sie niemals gehen lassen, das war O’Kane klar, obwohl Baldy keine Ahnung hatte, daß O’Kane verheiratet war. So waren die Italiener nun mal, wenn’s um ihre Frauen ging – vor allem um ihre Töchter. Sie mißtrauten jedem männlichen Wesen zwischen elf und achtzig, außer er war Priester, und ganz egal wie beschickert sie von ihrem Grappa und ihrem Bardolino waren, ein Auge hielten sie immer offen, sie waren wachsam, auf der Hut, sprungbereit. Er war sicher, daß sie nein sagen würde, daß sie sich hinter dem Verbot ihres Vaters verstecken würde, hinter dem Hexenschuß ihrer Mutter und der dringenden Notwendigkeit, sich um ihre zerlumpten, barfüßigen kleinen Geschwister zu kümmern und das Feuer unter dem großen Topf mit pasta e fagioli in Gang zu halten, doch sie verblüffte ihn. Sie preßte die Lippen aufeinander und holte tief Luft, sie suchte mit Blicken den Hof ab, um ihn schließlich rundheraus anzusehen und zu flüstern: »Also wann?«
O’Kane war betrunken, als er in den Wagen stieg und, während Mart auf dem Beifahrersitz herumzappelte, Roscoe instruierte, bei der Olivenmühle an einem dunklen Weg haltzumachen, wo die ganz in Weiß gekleidete Giovannella barfuß aus einer Lücke in den Oleanderbüschen huschte und neben ihn auf den Ledersitz kletterte, die Schuhe in der Hand und nach Knoblauch, Basilikum und zerlassener Butter riechend, daß ihm das Wasser im Mund zusammenlief, und er war auch betrunken, als Roscoe mit der Gangschaltung kämpfte, Mart starr nach vorn glotzte und Giovannella sich unter seinen Arm schmuggelte und ihr Gesicht an sein Gesicht schmiegte.
In der Stadt hatten sie einen Riesenspaß, sie gingen zu viert in einen Imbiß und aßen dort Bratkartoffeln und Eiersandwiches mit Ketchup, was O’Kane genügend ausnüchterte, um sich darauf zu konzentrieren, wie sich Giovannellas Lippen um den Strohhalm in ihrem Sarsaparillasaft schlossen, danach zogen sie weiter in Cody Menhoffs Saloon, wo O’Kane mit Whiskey und Bier sein Feuer neu schürte, bis er auf einer Bank vor dem Potter Hotel praktisch über Giovannella herfiel. Das Erstaunliche war, daß sie gar nichts dagegen zu haben schien, sie hielt ebenso leidenschaftlich mit, und als sie später wieder aus dem Wagen hüpfte, um durch die Oleanderbüsche zu entschwinden wie eine süße Erscheinung, da war es nach Mitternacht, und O’Kane war verliebt.
Nach einer Woche ließ sie ihn alles mit sich machen, unter dem Sternenhimmel am Hot Springs Creek, wo sie stundenlang nackt auf einer Steppdecke herumkugelten, die seine Großmutter bei Kerzenschein daheim in Killarney zusammengenäht hatte. Er paßte immer auf, daß er ihn herauszog, bevor er kam, aber sie war unbeherrscht und heftig, zappelte ungestüm unter ihm und preßte sich mit derartiger Wildheit gegen seine Schultern und Lenden, daß es ihm fast unmöglich war, sich loszureißen, und in dem Augenblick, wenn er den unaufhaltsamen Schwall in sich kommen spürte, war es jedesmal wie ein Ringkampf, wie Krieg, wie Geburt und Tod und Wiederauferstehung von etwas ebenso Schrecklichem wie Schönem. Aber er war kräftiger, deshalb gewann er. Er hatte schon einem Mädchen ein Kind gemacht, und er sollte verdammt sein, wenn ihm so etwas noch einmal passierte.
Im verwaschenen Mondlicht setzte sich Giovannella zitternd auf und weinte über seinem vergeudeten Samen, sie tauchte die Finger in die glänzende Pfütze auf ihrem straffen braunen Bauch und schleckte sie ab, bis auch ihre Lippen glänzten. »Eddie«, schluchzte sie immer wieder, »liebst du mich denn nicht? Willst du mir nicht ein Baby schenken? Eddie, das ist Sünde, Todsünde ist es, und du liebst mich nicht, ich weiß es!« Er flüsterte ihr dann zu, das sei Unsinn, versprach ihr alles mögliche, bis sie sich eine Zeitlang beruhigte, und er nahm einen tiefen Schluck aus dem Weinkrug, reichte ihn ihr, und sie trank ebenfalls, ihre Brüste bebten und schwangen, wenn sie die Arme bewegte, und er griff mit der Hand nach ihnen, drückte seinen Mund auf ihren, um die Tränen wegzuküssen, und bald trieben sie es wieder, ineinander verkeilt wie Gegner, wie Liebende.
Er konnte nicht genug von ihr kriegen. Den ganzen Tag, jeden Tag, spürte er ihre Berührung, die ganze Welt war Tastsinn geworden, er fühlte sich durch und durch elektrisiert, seine Kleider rieben, die Bettdecke juckte und lastete auf ihm wie ein härenes Hemd. Am liebsten wäre er ständig nackt gewesen. Er wollte bei ihr sein, wollte sie anfassen, sie schmecken, ihr mit den Fingern durchs Haar, über die Brüste, in die weiche Seide ihrer Spalte fahren. Er schrieb Rosaleen nicht zurück. Öffnete nicht mal ihre Briefe. Sie war tot und begraben – und Eddie jr. genauso: ein Fehler, ein mysteriöser Auswuchs, der aus dem Nichts entstanden war, ein Hefeklumpen, ein Giftpilz, ein Krebsgeschwür, entsprungen aus einem hastigen, hitzigen Gefecht in schweren Kleidern an einem kalten Abend in einer kalten Scheune. »Giovannella«, sagte er zu sich selbst, raunte den Namen auch dann vor sich hin, wenn er Mr. McCormick in die Dusche hob, dem Doktor bei seinen Affengeschichten zuhörte oder mit dem armen, schlichten Mart beim Frühstück das Wetter erörterte. »Giovannella«, hauchte er, »Giovannella Dimucci.«
Ein Monat verging. Und dann kam ein Abend, an dem er mit Mart und Roscoe allein in die Stadt fuhr, ohne weiter an sie zu denken. Er war betrunken, sturzbetrunken, später ging er in seinen Sachen am West Beach schwimmen und ruinierte sich die Schuhe und eine gute Hose. Um vier Uhr morgens wachte er auf, sein Hirn fühlte sich an wie aufgespießt, er war ausgetrocknet wie ein Wüstennomade, und irgendwie war sie da, in seinem Zimmer, sie hockte auf ihm, mit gespreizten Beinen und geballten Fäusten, und sie knurrte vor sich hin. »Du Dreckskerl!« schrie sie, kaum daß er im Zwielicht die Augen öffnete, und die harten kleinen Nuggets ihrer Fäuste prasselten auf sein Kinn, seine Ohren, seinen Mund nieder, in einem flatternden Ansturm, der wie ein Taifun auf See war. Er versuchte, sie zu besänftigen, weil er fürchtete, Mart könne sie aus dem Nachbarzimmer hören, oder noch schlimmer, Hamilton am anderen Ende des Hauses, und er hob die Unterarme, um ihre Schläge abzuwehren, aber er war zu schwach und zu besoffen, und ihre Fäuste trafen immer wieder. Er wich aus, wand sich in den Hüften, versuchte unter ihr wegzurollen, fluchte, war wütend und verletzt, hatte den Geschmack seines Blutes auf den Lippen, doch ihre Oberschenkel waren wie ein Schraubstock, und der Alkohol machte ihn schlaff, bis er am Ende nur den Kopf mit den Armen schützen und sie gewähren lassen konnte.
Wie lange das so ging, wußte er nicht, aber als sie fertig mit dem Schluchzen und Schlagen war und seine Unterarme nicht mehr mit Nägeln und Zähnen bearbeitete, da beugte sie sich vor, bis ihr Gesicht auf seinem lag und er die rauhe Wut ihres Atems auf der nackten Fläche seiner Augen, Lippen und Kiefer spürte. Ihr Geruch war wie Metall. Wie Säure. Er ließ ihn auf der Stelle schwach werden. »Ich würde mich umbringen für dich«, zischte sie, »und meine Eltern, meine Geschwister, die ganze Welt würde ich umbringen.« Und dann war sie weg. Zum Fenster hinaus, in die Nacht hinein, zurück auf die Strohmatratze, die sie mit ihren Schwestern Marta und Marietta in der dunklen brodelnden Festung des Dimucci-Haushalts teilte.
Am nächsten Tag versöhnten sie sich, er liebte sie wieder und wieder, auf jede Art, die er sich ausdenken oder erträumen konnte, und sie krallte sich in seinen Rücken und flehte ihn an, ein Mann, ein richtiger Mann zu sein und in ihr zu bleiben, um ihr ein Baby zu schenken, aber er tat es nicht, und deswegen stritten sie. Befriedigt, keuchend, schweißgebadet, so lagen sie nebeneinander auf der Steppdecke unter den Bäumen, schweigsam wie Feinde, bis sie hochfuhr, sich anzog und ohne ein Wort verschwand. Danach machte er sich ein paar Tage lang rar und sah sie eine Weile nicht wieder. Zur Vorsicht versperrte er das Fenster mit einem Vorhängeschloß, und er hatte ein schlechtes Gewissen dabei, aber er konnte nicht zulassen, daß Dr. Hamilton sie in sein Zimmer klettern sah. Oder Katherine – was, wenn sie es herausfände? Er fuhr in die Stadt zu Nick, um bei ihm zu Hause Ernestines Geburtstag zu feiern, und trank dort genug Bier, um ein Schiff zu Wasser zu lassen, und kein einziges Mal flüsterte er Giovannellas Namen. Tagsüber war sie nicht mehr da – Mrs. Fioccola arbeitete jetzt wieder in der Küche, und Giovannella hatte in Riven Rock nichts mehr zu tun –, deshalb blieb ihr nur die Möglichkeit, nachts herumzuschleichen und Kieselsteine an sein Fenster zu werfen. Die Kiesel prasselten wie Hagelkörner. Das Fenster schepperte wie wild im Eisenrahmen. Hunde bellten in der Nacht, und zweimal kamen die Dienstboten aus ihren Hütten gerannt und jagten Phantome im Hof. Und wie fühlte sich O’Kane dabei? Er war verärgert. Er brauchte all das nicht. Sie war eine Wahnsinnige, eine Furie, dabei hatte er doch nur ein Mädchen gewollt, etwas Unschuld, Sanftheit und die Wärme von ein bißchen Liebe.
Eine Woche verstrich, und O’Kane marschierte jeden Abend zu Fuß in die Stadt, neun Kilometer hin und neun Kilometer zurück, um den Italienern aus dem Weg zu gehen, die sich nach dem Abendessen auf dem großen Felsen im Obstgarten versammelten, um dort Dame zu spielen, auf dem Akkordeon zu musizieren und Grappa zu trinken; manchmal blieb er auch bis ein oder zwei Uhr früh bei Nick und Pat und der leise schnarchenden Hülse ihres Arbeitgebers sitzen, und er mied sein Zimmer, bis er so kaputt vor Erschöpfung war, daß er es nicht länger meiden konnte. Zu seiner Erleichterung gab es keine Kieselsteine mehr, keine nächtlichen Überraschungen. Giovannella war verschwunden. Es war vorbei. Und er versuchte sich gerade mit dieser traurigen Tatsache abzufinden, fühlte sich leicht wehmütig und deprimiert dabei, als eines schönen blumenbunten Samstagmorgens Baldessare Dimucci und sein ältester Sohn Pietro in ihrem Mistkarren den langen Steinweg zum Haus entlangrumpelten und vor der Garage parkten. Elsie Reardon kam ihn holen. »Da wollen dich zwei Männer sprechen, Eddie«, sagte sie und spähte durch die Gitterstäbe vor Mr. McCormicks Zimmer. »Zwei Itaker.«
Als Hamilton ihn an diesem Abend nach seiner Schicht in die Bibliothek rufen ließ, dachte sich O’Kane nichts dabei – normalerweise wollte der Doktor bei solchen Terminen die neuesten Fortschritte – oder deren Ausbleiben – von Mr. McCormick erfahren, entweder das, oder er redete sich den Mund fusselig über Julius’ Stuhlgang oder darüber, wie oft Gertie von Jocko bestiegen worden war und ob Mutt ihnen zugesehen hatte. Aber sobald er das Zimmer betrat, sah er Mrs. McCormick und ihre Mutter dort sitzen wie die Scharfrichter, und auch das lange Gesicht des Doktors ließ keinen Zweifel daran, daß ihm einiges bevorstand. Noch ehe Katherine mit ihrer eisigsten Stimme sagte: »Guten Abend, Mr. O’Kane, setzen Sie sich doch bitte«, die Mutter ihm gewohnheitsmäßig ein rasch verblassendes Lächeln schenkte, der Doktor sich betont räusperte und das Licht auf seinen Brillengläsern Reflexe warf, so daß man die Augen nicht recht sehen konnte, überlegte sich O’Kane, wie er den kleinen Zwischenfall im Hinterhof erklären könnte, er konstruierte bereits mildernde Umstände und bastelte an einer uneinnehmbaren Mauer aus Halbwahrheiten, plausiblen Erfindungen und eklatanten Lügen.
Aus seiner Erfahrung mit Frauen – und diese Erfahrungen waren vielfältig, ja geradezu umfassend – hatte er im Laufe der Zeit gelernt, daß es immer am besten war, alles abzustreiten. Das hatte er auch gegenüber Vater und Sohn Dimucci versucht, aber die Dimuccis waren cholerisch und handelten überstürzt, Endprodukte jahrhundertelanger Blutfehden und eines unabänderlichen ländlichen Ehrenkodex, und sie wollten davon nichts hören. »Eddie«, hatte der alte Mann so laut gebrüllt, daß jede Seele innerhalb von tausend Metern ihn hören konnte, »hast du geschändet meine Tochter Giovannella und jetzt du sie wirst heiraten«, während sein Sohn, eins dreiundfünfzig und keinen Zentimeter größer und mit einem Gesicht wie ein Fuchs in der Falle, nur Heimtücke und Haß versprühte. O’Kane versuchte ihnen klarzumachen, daß sie nicht mehr in Sizilien lebten, daß dies ein freies Land und Giovannella eine erwachsene Frau sei und ebenso Schuld trage wie er – sogar noch mehr, so wie sie immer in der Küche herumstolzierte, bei allem und jedem die Unterlippe vorschob und ihre Brüste herumbaumeln ließ wie reifes Obst in einem Beutel –, doch als er das mit dem reifen Obst erwähnte, ging Pietro auf ihn los, und er mußte ihn leider gegen die Hauswand drücken wie einen aufgespießten Schmetterling.
Das Ganze gefiel ihm nicht. Er war kein Monster. Er wollte niemandem weh tun. In seiner ganzen Zeit mit Rosaleen war er nur zweimal vom geraden Pfad der Ehe abgewichen, Giovannella nicht mitgezählt, und auch nur dann, als sie schon so schwanger gewesen war, daß sie ihn nicht mehr befriedigen konnte oder wollte. Sie weigerte sich, es ihm mit dem Mund oder auch nur mit der Hand zu besorgen, ja sie war richtig empört deswegen, als hätte er sie gebeten, den Papst zu erschießen oder ihre Seele dem Teufel zu verkaufen oder sonstwas. Und beide Male hatte ihn irgendein Judas verraten – er verdächtigte ihren älteren Bruder Liam, der seine Nase ständig in anderer Leute Angelegenheiten steckte, oder ihre Schulfreundin Irene Norman, die in Bisbys Imbiß arbeitete und jeden Fetzen Klatsch aus der Stadt dreimal täglich wiederkäute –, und Rosaleen hatte ihm die Hölle heiß gemacht, als bräuchte sie noch einen Grund für ihre Wutanfälle. Er stritt alles rundheraus ab. Sagte, wer immer ihr diesen Dreck ins Ohr geblasen habe, müsse ein gemeiner, infamer Mensch sein, der es nicht wert sei, daß man ihm zuhörte, aber Rosaleen schrie sich trotzdem die Lunge aus dem Leib und verbeulte vor Wut sämtliche Töpfe und Pfannen im Haus. »Gib es zu!« verlangte sie kreischend. »Gib’s doch zu«, flüsterte sie nach einer durchwachten Nacht, in der sie schluchzend neben ihm gelegen hatte, »gib’s zu, und ich verzeih dir«, aber er wußte es besser, er wußte, daß er in jeder Minute seines restlichen Lebens die Namen von Eulalia Tucker und Bartholomew Piersons Frau Lizzie hören würde, wenn er auch nur ein Wort sagte.
Jetzt aber, in der Bibliothek, umgeben von den prächtigen, vielfarbigen Lederrücken Hunderter wunderschöner Bücher, die Katherine in den vergangenen Wochen für den Tag der Genesung ihres Mannes auf den Teakholzregalen angesammelt hatte, war er plötzlich verlegen. Wieviel wußten sie? Wie wichtig war es überhaupt? War er denn ihr Niggersklave, den sie wegen jeder Kleinigkeit auspeitschen und tadeln und zurechtweisen konnten? Das waren seine Gedanken, während er Platz nahm und versuchte, Katherine in die Augen zu sehen, ohne den Blick zu senken und auf seine Schuhe zu starren. In die nervenzerfetzende Stille, die nun herrschte, hallte ein einsamer Affenschrei aus dem Wald herüber. »Ja?« sagte er schließlich und übernahm damit die Initiative. »Kann ich Ihnen helfen?«
Katherine richtete sich auf. Sie war in Samt gekleidet, in einem königlichen Dunkelbraun, wie es Monsignore O’Rourke immer zur Fastenzeit und im Advent angelegt hatte, dazu ein passender Hut mit langen Reiherfedern. Ihre Haltung war wie immer mustergültig, sie hielt Knie und Füße absolut gerade und züchtig aneinandergepreßt, der Rücken war so aufrecht, daß er nahezu konkav wirkte, das Kinn nach vorn geschoben und die Lippen fest geschlossen. »Das können Sie allerdings«, sagte sie, und ihr Blick ließ ihn nicht entkommen. »Vielleicht wären Sie so freundlich, Mr. O’Kane, uns eine Erklärung für diesen Vorfall – oder vielmehr diese Affäre – mit dem Bauernmädchen zu geben.«
Er versuchte ihrem Blick standzuhalten, versuchte Unschuld und Demut auszustrahlen, die offene Bereitwilligkeit, alles Menschenmögliche zu tun, um aufzuklären, was im schlimmsten Fall ein Mißverständnis war, aber er konnte es nicht. Ihre Blicke waren wie pfeifende Kugeln, Explosionen im Dunkeln. Er sah zu der Mutter hinüber, die war jedoch in einen persönlichen Traum abgeglitten, dann zu Hamilton, aber der äffte nur Katherine nach. »Ach«, sagte er und probierte sein gewinnendstes Lächeln, von dem seine Mutter meinte, es könne die Herzen von Toten wieder zum Schlagen bringen, hob den Blick, um dem ihren zu begegnen, und grinste, was das Zeug hielt, »eine ganz unschuldige Geschichte ist das, eine Schulmädchenschwärmerei, nichts weiter. Sehen Sie, das betreffende Mädchen hat eine Zeitlang hier in der Küche ausgeholfen, während Mrs....«
Katherine unterbrach ihn. Sie schob die starre Kleiderstange ihres perfekten Rückens und ihrer perfekten Schultern so weit nach vorn, daß er meinte, sie müsse gleich splitternd zerbrechen. »Ihnen ist doch klar, Mr. O’Kane, daß ich jetzt hier bestimme?« fragte sie, und er nahm den ungeduldigen Beiklang in ihrer Stimme sehr wohl wahr.
Es war nicht der Augenblick zum Improvisieren – sie war die Dirigentin und er das Orchester. »Ja, Ma’am«, sagte er, und er meinte das ernst. In den vergangenen Monaten hatte sie das ganze Haus umdekoriert, die düsteren spanischen Gemälde, die schweren schwarzen Möbel und das braune Steingut in die Dachkammer über der Garage verbannt und durch Seestücke und Landschaftsbilder, moderne Stühle und Sofas mit eckigen Kanten und niedrigen Lehnen ersetzt, außerdem hatte sie neue Vorhänge ausgewählt, die das Licht betonten und das Haus weniger wie eine Westküstenversion des McLean Hospital aussehen ließen, sondern eher wie den Wohnsitz eines wichtigen und geistig völlig gesunden Mannes, der an einer leichten, schnell vorübergehenden Unpäßlichkeit litt. Sie hatte einen neuen Obergärtner, einen Landschaftsarchitekten und ein halbes Dutzend neue Itaker und Mexikaner angestellt. Und obwohl die McCormicks immer noch Eigentümer des Hauses waren und Mr. McCormick seiner Mutter eine monatliche Miete zahlte, liefen sämtliche Entscheidungen, egal, wie banal sie waren, jetzt über Katherine. Sie bestimmte hier. Darüber bestand kein Zweifel.
»Gut«, sagte sie, »ich möchte nämlich, daß Sie daran denken, wenn Sie mir jetzt genau zuhören.«
O’Kane sah sich im Zimmer um. Der Doktor rutschte verlegen auf dem Stuhl herum; die alte Lady lächelte versonnen.
»Ich habe mit den Beteiligten gesprochen, Mr. O’Kane – auf italienisch, um bei den Tatsachen absolute Klarheit zu haben –, und ich finde Ihr Verhalten verwerflich. Sie haben mit der Liebe dieser jungen Frau ein leichtfertiges Spiel getrieben, Mr. O’Kane, ja schlimmer noch, Sie haben sie ausgenutzt – entehrt, wie man so sagt. Glauben Sie denn, eine Frau sei nichts als ein Objekt, Mr. O’Kane, ein Stück Fleisch, das nur auf dieser Welt ist, um Ihre Gelüste zu befriedigen?Glauben Sie das?«
O’Kane hielt den Kopf gesenkt, innerlich jedoch kochte er. Es war ihm verdammt egal, wer sie war, aber sie hatte kein Recht – er war doch kein Sklave – er konnte tun und lassen... »Nein«, sagte er.
Es gab eine Pause. Das Licht schillerte auf den Buchrücken und dem Kristallglas auf der Anrichte. Die alte Lady, Katherines Mutter, schien vor sich hin zu summen.
»Nun höre ich von Dr. Hamilton, daß Sie ein hervorragender Pfleger sind«, fuhr Katherine mit gepreßter Stimme fort, »und ich weiß selbst, wie sehr Sie sich meinem Gatten widmen, aber glauben Sie mir, wenn dem nicht so wäre, ich würde Sie auf der Stelle entlassen. Haben Sie verstanden?«
»Ja«, sagte er, und es war ein Quaken, er quakte wie ein Frosch, wie etwas, das man einfach zertrat.
»Denn solange Sie für Mr. McCormick arbeiten, sind Sie sein Repräsentant hier im Gemeinwesen, und Sie benehmen sich gefälligst so, wie es seinen untadeligen moralischen Maßstäben angemessen ist, oder Sie müssen sich anderweitig nach einer Anstellung umsehen. Ganz zu schweigen davon – und das ist wohl der traurigste Gesichtspunkt dieser ganzen Angelegenheit –, daß Sie verheiratet sind. Sie haben vor Gott und den Menschen das Ehegelöbnis abgelegt, Mr. O’Kane, und es gibt keine Entschuldigung auf Erden dafür, daß Sie es gebrochen haben. Sie enttäuschen mich, das tun Sie wirklich.«
O’Kane hatte dazu nichts zu sagen. Dieses Miststück. Dieses hochnäsige Miststück aus dem feinen Boston mischte sich einfach ein. Wie konnte sie es wagen, ihn wie einen Pennäler herunterzuputzen? Unglaublich! Doch er hielt den Mund wegen der Orangenbäume, wegen Mr. McCormick und der besten Chance seines Lebens. Er würde es ihr zeigen. Eines Tages. Eines Tages würde er das.
»Eines noch«, sagte sie und ließ sich nun endlich in die bequeme Rückenlehne sinken, auch wenn ihre Füße weiterhin wie an den Boden genagelt blieben. »Ich habe zwei Fahrkarten zweiter Klasse auf den Namen Ihrer Frau kaufen lassen. Ich erwarte sie Ende nächster Woche hier.«