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Ich unterdrückte ein Niesen und schaute auf mein Armband-Chronometer. Weniger als dreißig Sekunden jetzt. Unten im Tal bewegte sich nichts in den ineinander verschachtelten Silberkuppeln. Seitdem wir um Mitternacht hoch oben in den Hügeln Position bezogen hatten, hatten wir von der Besatzung der Forschungsstation nichts bemerkt.

Es war zwei Zehntage her, daß wir von den Überresten der Concorde nach Fyalsorn zurückgekehrt waren, um die Burg als Ruine vorzufinden. Diese drei Wochen waren die geschäftigsten und die unruhigsten meines Lebens gewesen. Nicht eine Stunde ging vorüber, ohne daß einer von uns – Dal, Ryfik, Gosfik oder ich – nervös zum Himmel aufblickte. In der Erwartung, den schwarzen Schatten eines dalgirischen Shuttles aus der Wolkendecke über unseren Köpfen materialisieren zu sehen.

Zwischen Visionen des Schreckens arbeiteten wir an der gigantischen Aufgabe, die fast eintausend Krieger im geheimen die hundert Kilometer bis zur Forschungsstation zu führen. Sie ritten in Gruppen zu sechst oder zu siebt und versteckten sich in den dichten Wäldern. Wir sandten Boten zu den benachbarten Burgen – jede mehr als hundertfünfzig Kilometer entfernt –, um deren Kontingente zu den Treffpunkten zu geleiten. Am siebzehnten Tag waren unsere Kavalleristen überall in den Bergen verstreut. Jeder Trupp wurde von einem hartgesottenen Offizier begleitet, der den Befehl hatte, den ersten zu erschießen, der es wagte, ein Feuer anzuzünden.

Ich weiß nicht, wie wir es geschafft haben, aber wir schafften es. Ich bezweifle, daß irgendeine nichtmotorisierte Armee meiner eigenen Zeitlinie einen solchen Marsch unter ähnlichen Bedingungen durchgestanden hätte. Selbst hier wäre die Operation unmöglich gewesen, wenn das Wetter nicht auf unserer Seite gestanden hätte. Die dalgirische Besatzung der Station bestand offenbar aus Technikern und Besatzungstruppen, die anscheinend nicht sehr begeistert waren, wenn es darum ging, in dem kalten, feuchten Nieselregen Aufklärungsflüge zu absolvieren.

Ich konnte ihren Standpunkt verstehen, da ich selbst ständig dem Nieselregen ausgesetzt war.

Drei Tage lang versteckten wir unsere Armee, unsere Kanonen und unser Katapult im Wald, während die Kälte in uns hineinsickerte. Wir warteten geduldig auf das Zeichen, daß das Portal offen war. Kurz vor der Abenddämmerung des dritten Tages galoppierten unsere Kundschafter mit der Nachricht, die wir erwartet hatten, ins Lager: Ein Shuttle war in der dalgirischen Basis gelandet.

Unsere Streitmacht kam mit der Geschicklichkeit von Männern, die in diesen Hügeln geboren waren, in Fahrt. Sie nahmen ihre Positionen knapp außerhalb der beleuchteten Grenzlinie der Station ein und bewegten sich wie eine Legion von Geistern durch die pechschwarze Nacht. Als wir unsere Stellungen erreicht hatten, kapselten wir uns gegen die Kälte und die Feuchtigkeit ab, machten unseren Frieden mit unseren verschiedenen Göttern … und warteten auf die Morgendämmerung.

Ich blickte ein letztes Mal auf mein Chronometer und zählte die Sekunden bis zur Stunde Null.

„Drei … zwei … eins, jetzt!“

Ich hörte hinter mir ein lautes Peitschen, Reißen und Zischen, als ein Dutzend dunkler Objekte auf ihrem Weg zum Ziel über mich hinwegrauschten. Das Dampfkatapult hatte die wenigen Unterbrecher, die wir aus den geborgenen Teilen hatten konstruieren können, weggeschleudert. Ich hielt den Atem an, als ich sah, wie die kleinen, schwarzen Würfel zwischen den erleuchteten Kuppeln landeten.

Die erste Katapult-Ladung gab das Signal für die großen Feldkanonen, die auf dem Hügelkamm aufgereiht waren. Das fahle Grau des Schauplatzes wurde zerrissen vom langanhaltenden Echo grollenden Donners, gefolgt vom zischenden Kreischen des Dauerfeuers.

Tausend brüllende Krieger erhoben sich aus ihren Verstecken, griffen in Dunst und Nebel des Talbodens an und schossen, während sie vordrangen. Sehr bald war es unmöglich, irgend etwas anderes in dem Geschehen zu erkennen als das Aufblitzen der Musketen und den gelegentlichen Lichtblitz von einem der Strahler, die die Station schützten. Hinter uns trat wieder das Katapult in Aktion, und diesmal schleuderte es einen tonnenförmigen Sprengkopf, der in der Spitze seines Flugbogens explodierte. Plötzlich prasselte ein Regen aus Metallfolien auf den Kampfplatz nieder. Dieser Streuregen bestand aus von der Concorde ausgebautem Isolationsmaterial, das von den Frauen der Burg Fyalsorn in lange Streifen gerissen worden war. Er sollte die dalgirischen Beobachtungssensoren, die die Waffen an der Begrenzung kontrollierten, verwirren.

Als Dal von dem Hügel kletterte, von wo er das Katapult-Feuer dirigiert hatte, stand ich auf und streckte meine Beine, um Krämpfe zu lösen. Wie ich hatte er sich in volle fyalsornische Rüstung geworfen und hielt eine überlange Muskete in den Händen.

„Gut getroffen“, meinte ich. „Alle Ladungen gingen innerhalb des Grenzkreises zu Boden.“

„Hoffentlich nahe genug am Shuttle, um etwas auszurichten. Wollen wir in den Kampf eingreifen?“

Es war nicht genauso, wie ich mir meine erste Teilnahme an einem Kampf vorgestellt hatte. Wir schlenderten gemütlich über den weiten Hügelhang hinunter in das Massaker.

Plötzlich war ich sehr damit beschäftigt, mich am Leben zu erhalten. Durch Rauch und Dunst rannte ich dem Kampflärm entgegen. Einmal zuckte ein lautloser Lichtblitz so nahe über meinen Kopf, daß ich die Hitze fühlen und Ozongeruch wahrnehmen konnte. Ich duckte mich tiefer und lief schneller.

Schnell befand ich mich in der Nähe des gelandeten Shuttles. Jemand feuerte mit einem Strahler durch die offene Eingangsluke und nietete dreißig unserer Schützen um, die ihrerseits in das Innere des Shuttles feuerten und versuchten, einen Keil in die Phalanx der Verteidiger zu treiben. Unschlüssig blickte ich über die Kante einer niedrigen Mauer und erkannte den Grund, weswegen die Dalgiri das Shuttle nicht in die Luft gebracht hatten.

Drei Leichen lagen dort halb innerhalb und halb außerhalb der Luke. Eine davon war ein Dalgiri, der anscheinend getroffen worden war, als er versuchte, die zwei Fyalsorner zu entfernen, die die Luke ursprünglich blockiert hatten. Ich sah mich um, um Dal nach seinem Rat zu fragen, mußte aber feststellen, daß er nicht da war. Ich schluckte meine Angst, plötzlich ganz allein zu sein, hinunter und wandte mich wieder dem Kampfgeschehen zu.

Mir fiel ein bläuliches Flimmern ins Auge.

Unter dem gekrümmt ansteigenden Rumpf des Shuttles lag dicht bei der offenen Luke ein dalgirischer Strahler. Ich erkannte ihn an dem ständigen Fluß von Cherenkov-Strahlung, die dem gläsernen Lauf entströmte. Ich flüsterte dem mir am nächsten stehenden Mann einige Instruktionen zu und eilte zurück zu der niedrigen Mauer.

Mein Plan war einfach. Wenn ich an das hintere Ende des Shuttles gelangen konnte, ohne gesehen zu werden, hatte ich eine gute Chance, es bis zu dem Strahler zu schaffen. Was ich damit tun würde, wenn ich ihn erst hatte, wußte ich noch nicht genau. Wenn es weiter nichts gab, konnte ich den einsamen Scharfschützen niederhalten.

Ich gelangte ohne Zwischenfall zum Shuttle und lag unter der Rumpfkrümmung auf dem Bauch. Das Vordringen verlief langsam. Ich kroch langsam einige Schritte vorwärts und stoppte dann kurz, um den Wunsch weiter zu kriechen zurückzugewinnen. Die Fyalsorner steigerten ihr Deckungsfeuer, als ich die letzten paar Meter zurücklegte.

Plötzlich hatte ich den Strahler in der Hand. Er fühlte sich warm an, als ich seine Energieladung überprüfte. Der letzte Besitzer konnte keine große Chance gehabt haben, ihn zu benutzen. Er war voll geladen.

Ich versteifte mich und nickte meinen Freunden zu, die das Feuer mit allem, was sie hatten, eröffneten. Ich hoffte, daß der Dalgiri im Innern sich lange genug vor dem Zurückfeuern verbergen würde, damit ich den Innenraum mit einigen Strahlschüssen abfächern konnte.

Dann war es vorbei, und die Krieger rannten, aus voller Lunge schreiend, auf mich zu. Sie warteten nicht, bis sich der Lukenraum abkühlte, sondern schwangen sich unbekümmert in die glühende Hitze, und ihre Triumphschreie hallten durch die Gänge des Shuttles. Ich wartete einige Sekunden, um mich zu beruhigen, und folgte dann.