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„Alles hat mit dem Urknall angefangen, jener kosmischen Katastrophe, die den ganzen Weltraum erschütterte und das große Ur-Atom zu einer fast unendlichen Weite von Sternen und Galaxien auseinanderplatzen ließ. Materie und Energie wurden gewaltsam über Milliarden Lichtjahre hinweg verstreut, und selbst die Zeit war auf ihre ursprünglichen Bestandteile reduziert.
In diesem fließenden Kessel aus chemischen, atomaren und temporalen Reaktionen wurde die Parazeit geboren.
Ein außenstehender Beobachter, der in der Lage ist, die fünfdimensionale Gestalt des Universums zu erkennen, würde wahrscheinlich hinabschauen auf das glühende Bersten von Sternen, und jede Zeitlinie würde von einem einzigen leuchtenden Zentrum nach außen abstrahlen. Aber so wie die Form einer Spiralgalaxis viel einfacher zu verstehen ist, wenn man sie von außen betrachtet, so gilt dies auch für die Form der Parazeit. Von innen ist ihre Struktur chaotisch, zufällig und ungeformt.
Die meisten Zivilisationen erkunden das Konzept der ´Parallel-Universen´ kurz nach Entdeckung der wissenschaftlichen Arbeitsmethoden. Normalerweise stellen sie sich die Zeitlinien als eine Serie von Filmstreifen vor, die sich, nebeneinandergelegt, jeweils geordnet von den entferntesten Ursprüngen der Zeit bis in die unendliche, endlose Zukunft erstrecken. Als philosophisches Modell ist dies elegant bis ins Extrem.
Elegant, aber falsch.
Alternativ-Universen sind nicht ´parallel´. Sie berühren, vereinigen und trennen sich wieder mit nichtvorhersehbarer Unregelmäßigkeit. Und da sie tatsächlich unendlich an Zahl sind, ist es unvermeidlich, daß in jedem Universum ein Punkt existiert, der genau mit einem korrespondierenden Punkt in einem der anderen Universen übereinstimmt. Und wo immer diese Übereinstimmung stattfindet, für welche Spanne linearer Zeit auch immer, dort gibt es ein ´Tor´ zwischen den Welten, ein Portal für jene, die es zu benutzen wissen.“
Die trockene Stimme der Lernmaschine in meinem Kopf war so real wie an dem Tag, als sie mir diese Lektion eingetrichtert hatte. Der Gleiter suchte sich bockend seinen Weg durch schlimme Hitzeströmungen, als wir zur Akademie rasten. Wir mußten immer an die doppelte Säule der Zerstörung denken, die klar im hinteren Sichtschirm erkennbar war. Das dalgirische Shuttle war ein tintenschwarzer Fleck, der sich von uns weg auf den unsichtbaren Punkt im Raum zubewegte, der das Zeittor zwischen dieser Zeitlinie und der nächsten darstellte. Es war unmöglich zu erkennen, ob es sich zurückzog oder angriff.
Ich schaltete die Vergrößerung hoch, bis das Shuttle sich als schwarzer Kreis gegen das leuchtende Blau des Himmels abhob. Plötzlich materialisierten darum herum zwölf weitere Flecke im offenen Himmel. Das Herz sank mir in die Hose, als mir klar wurde, daß wir so gut wie tot waren. Dreizehn dalgirische Shuttles hatten genug Macht, um Salfa Eins für den Rest der Ewigkeit unbewohnbar zu machen.
Ich hatte Zeit, noch einmal zu schlucken, bevor wieder ein leuchtender Blitz hinter uns aufzuckte, viel heller als die anderen. Der Sichtschirm explodierte. Mein Kopf und meine Schultern glühten plötzlich, wo sie sich vom Rumpf des Gleiters abhoben. Haret schrie, als die Schwebegeneratoren ihr leises Summen einstellten und der Gleiter im freien Fall auf das klare Blau eines Bergsees unter uns zuschoß.
Ich öffnete meinen Mund zu einem Schrei, als die Nase des Gleiters sich in das blaue Naß bohrte, und wieder verschlang mich eisige Kälte.