Phyllis Eisenstein
Tabu
„Für mich sehen sie immer noch alle gleich aus“, sagte der Kapitän. Er war ein hochgewachsener Mann und hielt sich so gerade, als hätte er einen Besenstiel verschluckt. Den Schweiß, der ihm in Bächen die Wangen herunterrann, ignorierte er. Seine makellose Uniform hing ihm schlaff am Leib. Die lastende Hitze des Zentralgestirns, das die Eingeborenen das „Tageslicht“ nannten, tat ihre Wirkung.
„Sie kommen eben nicht oft genug hierher“, sagte Martina.
„Ich war schon viel zu oft hier“, erwiderte der Kapitän.
Sie betrachtete ihn mit einer Mischung aus Mitleid und Verärgerung. Er stammte aus einem gemäßigten Klima und litt immens unter der subtropischen Hitze. Aber er weigerte sich, bei seinen regelmäßigen Besuchen in der Station auf seine Uniform und ein würdevolles Auftreten zu verzichten; es sollte nie in Vergessenheit geraten, daß er das Kommando hatte. Und weil er das Kommando hatte, bestanden die Eingeborenen jedesmal, wenn er kam, auf einer ausführlichen Empfangszeremonie, gerade so, wie sie einen Häuptling vom Nachbarstamm begrüßt hätten. Jetzt tanzten sie zum unregelmäßigen Rhythmus ihrer Trommeln; der rituelle Holzstoß war bereits entzündet und die rituelle Segnung abgeschlossen. Der Kapitän würde noch eine geraume Weile in seiner schweißverklebten Uniform ausharren müssen, bis er die Begrüßung offiziell erwidern und sich in die gekühlte Ruhe der Station zurückziehen konnte.
Wie die anderen Mitglieder der Expeditionsgruppe ähnelte auch Martina Hopewell eher einem Urlauber als einem wissenschaftlichen Mitarbeiter der interstellaren Forschungsbehörde. Sie trug Shorts und eine dünne Bluse, ein durchsichtiger chemischer Sonnenschutzfilm schützte ihre nackten Arme und Beine. Auf dem Kopf trug sie einen breitkrempigen Hut, den Jack Evanson, der Chefbiologe, aus schilfähnlichen Pflanzen geflochten hatte. Der Kapitän würde einen solchen Hut niemals aufsetzen, daher hielt Martina einen Sonnenschirm aus Schilf über seinen Kopf. Gegen die Sonneneinstrahlung und einen Hitzschlag bot die Uniformmütze nur einen armseligen Schutz. Überhaupt war die Hitze auch im Schatten kaum zu ertragen. Selbst jetzt, mitten im Winter und an der Südspitze des südlichsten Kontinents, betrug die Durchschnittstemperatur immer noch gut vierzig Grad Celsius. Der Sonnenschirm erfüllte noch eine zweite Funktion – er hob Martina in der Achtung der Eingeborenen. Ihre haarigen Körper und tiefliegenden Augen waren für die Hitze unempfindlich. Sie betrachteten den Schirm als ein Zeichen der Häuptlingswürde, also mußte auch sein Träger eine bedeutende Person sein.
Diese Achtung hatte es ihr ermöglicht, mit allen ins Gespräch zu kommen, sogar mit dem Häuptling, der sich durch ihr Interesse geehrt fühlte. Sie nahm nicht an, daß er sie weniger achten würde, wenn er herausfände, daß sie eine Frau war, doch bisher hatten die Eingeborenen den Unterschied zwischen menschlichen Frauen und Männern ohnehin noch nicht bemerkt. Den Grund hierfür sah Jack in der starken Unterschiedlichkeit, der ihre Geschlechter voneinander trennte: Die weiblichen Jinrah waren dichter behaart, ihre Körper und Gliedmaßen waren kürzer und gedrungener. Die Eingeborenenfrauen hielten sich von der Station fern. Für den Kapitän sahen die Teilnehmer an der Begrüßungszeremonie alle so gleich aus, weil es sich ausschließlich um Männer handelte.
Die Tänzer ließen sich auf den Boden sinken, wobei sie dem menschlichen Besucher als Zeichen ihrer Unterwürfigkeit die Kehrseiten zuwandten. Nur der Häuptling blieb stehen und brachte so seine Gleichrangigkeit zum Ausdruck. Zum förmlichen Gruß hob er die Arme und spreizte die dreifingrigen Hände, womit er zu erkennen gab, daß er keine Waffen trug. Der Kapitän tat es ihm nach, und die Zeremonie war abgeschlossen.
In der Station warteten die vier anderen Mitglieder der Forschungsgruppe im Halbkreis, während der Kapitän einen großen Wasserbecher in tiefen Zügen leerte und sich mit einem Tuch Gesicht und Nacken trocknete. Sie räkelten sich in ihren Stühlen, vom leichten, lockeren Khakistoff ihrer Kleidung zeichneten sich dunkel ihre sonnengebräunten Glieder ab. Sie hätten in der Station gern völlig auf Kleider verzichtet, doch die Jinrah kamen gelegentlich hierher, und die Frauen wollten nicht, daß ihr Geschlecht erkannt wurde.
„Verflucht sollen sie sein“, grollte der Kapitän, „und ihr auch, weil ihr noch nicht herausgefunden habt, wie sich die Zeremonie vermeiden läßt. Schließlich wird von euch erwartet, daß ihr euch mit der Denkungsart dieser Wesen auskennt!“
Martina zuckte die Achseln und rückte sich einen Stuhl an einer Seite des Halbkreises neben ihrer Assistentin Chris zurecht. „Es tut mir leid, Sir, aber die Zeremonie ist so wichtig, daß wir nicht auf sie verzichten können. Sie zeigt ihnen, daß wir einer eigenen Herrschaftsstruktur unterliegen. Daher sind wir von ihren Gesetzen ausgeschlossen. Ich glaube nicht, daß das so bleiben würde, wenn wir alle gleichberechtigt erschienen.“ Sie schlug die langen Beine übereinander. „Ich möchte Ihnen vorschlagen, Sir, daß Sie in Zukunft Ihren Vertreter entsenden, dann blieben Ihnen diese Unbequemlichkeiten erspart.“
„Würden sie mit ihm den gleichen Zirkus veranstalten?“
„Da er Ihr Vertreter ist, ja. Vielleicht … würden sie ihn aber auch für Sie halten.“
Der Kapitän schnitt ihr eine Grimasse, dann grinste er. „Sie können uns nicht auseinanderhalten, hm?“
„Es ist eine Frage der Vertrautheit, Sir.“ Martina warf einen Blick über ihre Mitarbeiter. „Ich weiß, daß sie uns voneinander unterscheiden können – sie sprechen jedenfalls immer nur mit Chris und mir.“
„Wir anderen haben immer so viel zu tun, daß wir keine Zeit für ein Schwätzchen haben“, warf Jack ein. Seine geschickten Finger webten gerade einen Flicken in einen beschädigten Hut ein. „Ein bißchen verstehen wir nämlich inzwischen auch von ihrer Sprache.“
„Eigentlich bist du kein schlechter Linguist“, sagte Chris, „wenn man bedenkt, daß du dich immer nur mit Pflanzen unterhältst.“
Jack warf ihr einen warnenden Blick zu.
„Kinder …“, setzte Martina an. Sie war die Leiterin der Gruppe und wollte sich nicht in das kleinliche Gezänk verstricken, das durch erzwungene Intimität so leicht entsteht. Von allen Wissenschaftlern brachte sie die meiste Zeit im Freien zu, da ihr die Hitze offensichtlich am wenigsten zusetzte.
„Ja“, sagte der Kapitän knapp. „Das ist ein Grund, warum ich nicht meinen Vertreter schicke, sondern persönlich komme: Ich will aus erster Hand erfahren, was mit euch Kindern los ist. Bevor also der offizielle Teil unseres Treffens beginnt … stellt jemand einen Antrag auf zeitweilige Dienstbefreiung? Gehen vielleicht jemandem die anderen so sehr auf die Nerven, daß er eine Weile im Schiff oben ausspannen möchte?“
Sie sahen einander an, zwei Männer und drei Frauen, die die letzten acht Standardmonate zusammen auf diesem Planeten verbracht hatten. Es gab keine sexuelle Beziehung, die sie noch nicht ausprobiert hätten, keine Freundschaft, die nicht zerbrochen wäre, keine Feindschaft, die sie nicht wieder geschlichtet hätten. Sie hatten, alle miteinander, einen vollen Kreis beschrieben und hatten mehr als einmal wieder von vorn angefangen. Vier Monate sollten sie noch miteinander zubringen.
Endlich ergriff Chris das Wort. Ihre blassen Augen waren zu schmalen Schlitzen zusammengezogen. „Mir scheint, daß ich sogar Jack noch eine Weile ertragen kann.“ Sie sah den Kapitän an. „Und überhaupt, was sollten wir denn auf dem Schiff anfangen? Unsere Aufgabe stellt sich hier unten.“
„Es ist meine Pflicht, Sie zu fragen“, antwortete der Kapitän. Er wandte sich an Martina. „Was denken Sie?“
„Wir werden uns schon nicht gegenseitig umbringen.“
Sein Blick wanderte von einem zum anderen, den ganzen Halbkreis entlang. „Das höre ich gern. Sie wissen, daß ich Sie alle für etwas sehr jung für diesen Auftrag halte; ich hatte um … etwas reiferes Personal gebeten. Die Zentrale hat sich für Ihre Fähigkeiten und für Ihre Persönlichkeitsprofile entschieden. Doch der Streß verändert manche Menschen. Wenn etwas passiert, dann bedeutet das auch für meine Karriere eine dunkle Stelle. Ich brauche mir wohl nicht die Mühe machen, Sie noch einmal zu guter Zusammenarbeit zu ermahnen?“
„Wir kommen schon zurecht“, antwortete Jack. Die anderen nickten.
„Na fein“, sagte der Kapitän. „Dann möchte ich Ihre Berichte hören.“
Martina begann. Sie zählte die einzelnen Punkte an ihren Fingern auf. „Wir brauchen mehr Fahrzeuge, wir haben zu viele Pannen, dadurch entstehen Verzögerungen. Wir brauchen eine häufigere Frachtverbindung zum Schiff, in unseren Labors stapeln sich die Proben. Wir benötigen Maschinen, damit wir mehr Glasperlen für die Eingeborenen herstellen können. Die Nachfrage ist so groß, daß wir nie genug haben können.“
„Jeder verdammte Eingeborene auf diesem Planeten wird bald diese Klunkern um den Hals tragen“, murmelte Jack.
„Sie erleichtern mir die Arbeit“, gab Martina zurück.
„Schon gut, es kann nichts schaden, wenn die Mannschaft oben etwas zu tun bekommt. Sie sitzen sonst nur herum und spielen Karten.“
„Sir“, Martina wandte sich an den Kapitän, „Tauschgüter waren in der Xenologie schon immer von zentraler Bedeutung. Umsonst bekommt man keine Informationen.“ Sie sah Jack von der Seite an. „Medizin konnten wir ihnen bisher noch nicht anbieten.“
Jack verzog den Mund. „Wenn du mir mal ein paar Frauen hierherschicken würdest, käme ich bedeutend schneller voran. Wie soll ich mir über die Physiologie klar werden, wenn ich immer nur ein Geschlecht studieren kann?“
„Du mußt es eben draußen versuchen, Jack. Sie kommen nicht in die Station.“
„Warum überredest du sie nicht? Wie wäre es mit der Tochter des Häuptlings – sie würde dir bis zum fernsten Mond folgen.“
„Der fernste Mond ist eben nicht tabu.“
Jack schnaubte. „Tabu! So ein Blödsinn. Sie sind einfach dickköpfig! Ich wette, daß sie hierherkommt, wenn du ihr nur genügend Perlen anbietest. Dann vergißt sie ihr Tabu.“
Chris schaltete sich ein: „Stell dich nicht dümmer, als du bist, Jack! Wenn wir die Tabus der Eingeborenen nicht beachten, dann verlieren wir ihr Vertrauen. Wenn wir also deinem Ziel dienen, müssen wir unseres opfern.“
„Du hast einfach Angst, es zu versuchen“, murmelte er.
Chris und Martina wechselten zornige Blicke und preßten die Lippen zusammen.
Jack warf den Hut auf den Boden und sprang auf. „Dauernd kommen mir diese Tabus in die Quere, Kapitän. Es muß doch einen Kompromiß geben.“ Er stemmte die Fäuste in die Hüften. „Wissen Sie eigentlich, daß ich von bestimmten Pflanzen keine Proben bekomme, weil sie tabu sind?“
Der Kapitän sah Martina an, sie breitete die Hände zu einer ohnmächtigen Geste aus. „Sie haben geheiligte Haine, dort stehen Bäume …“
„Es sind gar keine Bäume“, unterbrach sie Jack. „Sie haben keine Holzanteile.“
Martina richtete sich im Stuhl auf. „Du hast dich ihnen genähert? Gegen mein ausdrückliches Verbot?“
Er winkte ab. „Nein, ich besitze schließlich ein Fernglas! Ich kann Holz von Kraut unterscheiden, auch ohne daß ich es anfasse.“
„Schon gut.“ Martina zwang sich zur Ruhe. „Sie besitzen also Pflanzen, die sie heilig halten. Jede Familie hat einen eigenen Hain, der für jedermann sonst tabu ist, auch für uns. Tabu! Das heißt, wir dürfen uns den Pflanzen nicht nähern, vom Abpflücken ganz zu schweigen. Die Haine sind genau begrenzt.“ Sie faltete die Hände im Schoß. „Kapitän, Sie müssen sich darüber klarwerden, wie bedeutungsvoll diese Tabus sind. Ich kann gar nicht genug betonen, daß wir sie auf keinen Fall übertreten dürfen.“
„Und wenn wir es doch tun?“ fragte der Kapitän.
„Dann werden sie uns davonjagen“, antwortete Chris, „wenn sie sich damit begnügen.“
„Was meinen Sie damit?“ fragte der Kapitän.
„Bisher waren sie sehr freundlich zu uns“, antwortete Martina, „aber sie besitzen Waffen.“ Sie beugte sich im Stuhl nach vorn. „Sehen Sie, Sir, bei allen intelligenten Lebensformen im Universum begegnen wir dem Gedanken der Tabus. Es gibt in jeder Kultur gewisse Dinge, die bestimmten Mitgliedern dieser Kultur verboten sind. Auch in unserer Zivilisation gilt diese Regel, man darf sich nicht vormachen, daß nur primitive Gesellschaften Tabus kennen. Sie werden immer sehr ernst genommen. Eine Mißachtung der Jinrah-Tabus würde unsere Beziehung zu diesen Wesen für immer verderben.“
Jack stöhnte empört. „Und wennschon! Es gibt noch eine Menge anderer Eingeborener auf diesem Planeten. Wir könnten einfach die Station verlegen.“
„Was?“ schnappte Chris. „Du hast leicht reden. Zu Pflanzen braucht man keine Beziehung aufzubauen. Es kümmert dich einen Dreck, wieviel Mühe es uns gekostet hat, bis wir ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Leuten aufgebaut hatten. Ich denke nicht daran, wegen einer blöden Pflanze noch einmal ganz von vorn anzufangen!“
Martina sah den Kapitän an. „Sie müssen doch auch zugeben, daß man das nicht von uns verlangen kann.“
Er wandte sich an die Wissenschaftler, die bisher geschwiegen hatten. „Was meinen Sie dazu?“
Paul Bordes, der Geologe, zuckte die Achseln. „Ich brauche mir über meine Beziehung zum Gestein zwar keine Sorgen zu machen, aber ich verstehe den Standpunkt der Xenologen. Jack ist seit Wochen von diesen Pflanzen besessen, ich begreife gar nicht, was so wichtig an ihnen ist.“
„Alles ist wichtig“, versetzte Jack.
„Genau“, murmelte Martina.
„Vielleicht wächst die Pflanze irgendwo wild, wo sie nicht tabu ist“, sagte der Kapitän.
„Das hoffe ich auch“, antwortete Jack. „Ich habe schon überall danach gesucht. Aber ich fürchte, ich werde sie nicht finden, es ist eine Kulturpflanze, und das möchte ich gern beweisen. Kulturpflanzen kommen bei den Jinrah sonst nicht vor. Fragen Sie die Xenologen: Ihre Lebensweise ist die von Sammlern und Jägern.“
„Dieser Stamm schickt sich möglicherweise gerade an, mit der Zähmung von Tieren und Pflanzen zu beginnen. Das wäre ein entscheidendes Stadium in seiner Entwicklung. Auf jeden Fall ist es für uns ein weiterer Grund, warum wir die Verbindung jetzt nicht abbrechen dürfen.“ Martina hatte den letzten Satz sorgfältig betont.
„Du willst doch nur ein Buch über sie schreiben und die Publicity ernten“, höhnte Jack.
„Deine Motive sind natürlich blütenrein, oder?“ schnappte Chris.
Martina legte Chris die Hand auf den Arm. „Wir leisten alle eine sehr wertvolle Arbeit hier, Jack.“
„Und eigentlich sollten wir einander helfen, doch ich habe von eurer Seite noch keine Hilfe erfahren“, erwiderte er.
„Immerhin sorgen wir dafür, daß uns die Eingeborenen freundlich gesinnt bleiben. Oder wäre es dir lieber, wenn dich zwei Leibwächter auf deiner Suche nach biologischen Proben begleiten müßten?“
„Wir brauchten nur ein wenig Stärke zu zeigen, dann würden sie sich nicht mehr in unsere Nähe trauen.“
„Das wäre für uns nicht sehr hilfreich, begreifst du das nicht?“
Plötzlich sprang der Kapitän auf. „Setzen Sie sich, Evanson!“ sagte er. „Wir werden weder unsere Stärke zeigen, noch werden wir die Wilden einschüchtern. Sie müssen eben weiter nach einer wild wachsenden Pflanze suchen oder auf diese Pflanze verzichten.“
Jack blieb stehen und starrte den Kapitän finster an. „Die Eingeborenen widmen den Pflanzen sehr viel Aufmerksamkeit. Sie sollten einmal sehen, wie sie sie wässern und bestäuben. Sie hocken sich vor sie hin und beten sie an, ich habe es selbst beobachtet. Kennen Sie eine Pflanze, Kapitän, die Sie anbeten würden?“
„Sie sind heilig“, ergänzte Martina. „Vielleicht stellen sie die Verkörperung irgendeines Fruchtbarkeitsgottes dar. Aber ich habe noch nichts Genaueres erfahren. Die Wilden sprechen nicht gern darüber; es ist immer schwierig, ein Gespräch über Tabu-Themen zu führen.“
„Drogen“, sagte Jack. „Es gibt unzählige Kulturen, die geheiligte, Rauschmittel absondernde Pflanzen verehren.“ Er streckte dem Kapitän in einer einladenden Geste die Hand entgegen. „Halluzinogene, Narkotika, Opiate? Niemand kann sagen, wie wertvoll die Pflanzen unter Umständen für uns sein könnten.“
„Du suchst wohl nach einem neuen Stoff, hm?“ sagte Chris angewidert. „Die alten Drogen reichen dir nicht mehr.“
„Still“, flüsterte Martina. Zu Jack sagte sie: „Ich streite nicht ab, daß du auf wertvolle Erkenntnisse aus bist. Jede Art von Wissen ist wertvoll. Aber es sind schon viele Pflanzen angebetet worden, die keine Rauschmittel produzierten. Oft werden Pflanzen von den Kulturen symbolisch überhöht und dadurch bedeutungsvoll. Alles andere sind Nebeneffekte. Es kann sein, daß gar nichts dahintersteckt. Wir haben bisher keinerlei Anzeichen dafür, daß die Jinrah irgendeinen Teil dieser Pflanzen verzehren. Wir wissen bisher nur, daß sie bei den heiligen Pflanzen meditieren.“ Sie schaute zum Kapitän hinüber. „Ich habe Verständnis für seinen Wunsch, Sir, doch, das habe ich wirklich. Aber ich muß mich für das kleinere Übel entscheiden, und als Leiterin der Station empfehle ich Ihnen, daß Sie ihn anweisen, diese heiligen Pflanzen nicht zu berühren.“
Der Kapitän sah Jack an. „Ich fürchte, ich muß mich Doktor Hopewells Entscheidung anschließen.“
Jack wandte dem Kapitän den Rücken zu und stapfte mit steifen Schritten ins Badezimmer. Geräuschvoll schlug hinter ihm die Tür ins Schloß.
Die anderen starrten schweigend auf den Boden, als der Kapitän sie sehr leise fragte: „Sind Sie sicher, daß es nicht doch jemanden gibt, der einen Erholungsurlaub nötig hat?“
„Er wird sich wieder beruhigen“, antwortete Martina.
„Er ärgert sich über die Eingeborenenfrauen, und das kann ich gut verstehen.“
Der Kapitän runzelte die Stirn. „Was ist denn mit diesen Frauen?“
Martina seufzte. „In den ersten Wochen kamen sie häufig in die Station, aber dann haben die Ältesten entschieden, daß die Station für sie tabu ist, und seitdem kommen sie nicht einmal mehr in ihre Nähe.“
„Aber … warum?“
Sie zuckte die Achseln. „Scheinbar hat es mit geschlossenen Räumen zu tun, das ist jedenfalls meine Vermutung. Sie gehen auch nicht in Höhlen. Sie betrachten die Station wohl als Höhle. Allerdings betrifft es nur die Frauen, die Männer kommen immer noch gern hierher, besonders wenn wir Geschenke für sie haben.“
„Wir können unsere Ausrüstung nicht nach draußen schaffen, Sir“, sagte Jacks Assistentin Fiona. Offensichtlich war ihr das Benehmen ihres Vorgesetzten sehr peinlich, sie schaute kaum vom Boden auf. „Wir hatten gerade erst mit unseren Studien begonnen, als die Frauen plötzlich wegblieben.“
„Ja, haben Sie sie denn verletzt, oder ist sonst etwas vorgefallen?“
„Das kann ich mir nicht vorstellen. Vielleicht haben wir sie verängstigt?“
„Sind sie sehr scheu?“
„Sie sind schüchtern“, sagte Martina, „doch wenn man sie näher kennt, sind sie sehr freundlich.“
„Ja“, ergänzte Fiona, „draußen haben sie keine Angst vor uns. Sie wollen nur nicht hier hereinkommen.“
„Sie können mir glauben, Sir“, sagte Martina, „daß wir alles versucht haben, um sie hierherzulocken. Aber mit geschenkten Glasperlen kann man keine Tabus überwinden.“
„Dann versuchen Sie es doch mit etwas Wertvollerem.“
„Kapitän, außer ein paar persönlichen Habseligkeiten besitzen wir nichts, das attraktiv für sie ist.“ Sie zögerte. „Abgesehen von modernen technischen Gerätschaften und unseren Waffen natürlich.“
„Nein, das dürfen wir nicht anbieten.“ Der Kapitän schüt-