Michael McCollum
Eine größere
Unendlichkeit
1
Der Regen, der uns seit Mitternacht immer wieder durchnäßt hatte, erstarb endlich mit einem feinen Nieseln, und geisterhafte Nebelschwaden begannen, sich ihren Weg in das Tal hinunterzubahnen. Eine Schicht tiefhängender Wolken warf die Begrenzungslichter der verschachtelten Schutzkuppeln auf dem Grund des Tales zurück und legte ein surrealistisches Muster aus blendender Helligkeit und tintenschwarzem Dunkel über die Hügel, wo wir lagen und warteten.
Ich hob mein Nachtsichtglas und suchte den Wald vor mir schnell ab. Irgendwo dort unten, gerade an der Grenze dieses Lichtkreises, warteten tausend bewaffnete und gepanzerte Männer. Von beiden Seiten konnte ich die gedämpften Vorbereitungen der Kanoniere und hinter mir das leise Zischen von abgelassenem Dampf hören, während die Mannschaft des Katapults auf die Dämmerung wartete.
Ich sah auf mein Armband-Chronometer, seine grünen und goldenen Digitalziffern blitzten unnatürlich hell in dem unwirklichen Schatten, in dem ich lag. Fünfundzwanzig centi-bora noch – in unserer Ausdrucksweise fünf Minuten. Ich packte den hölzernen Schaft meiner Muskete fest und leckte meine Lippen wohl zum hundertsten Male, seitdem wir unseren Wachtposten an diesem kalten und dunklen Berghang bezogen hatten.
Wenn nur dieses verdammte Warten vorbei wäre!
Zu meiner Rechten war ein kurzes Rascheln im Gebüsch, schnell gefolgt vom Klappern einer Rüstung dicht bei mir. Ich sah flüchtig in die Richtung und erkannte Lord Ryfik, der neben mir auf dem Bauch lag und angestrengt in das Tal hinabschaute. Er machte ein finsteres Gesicht.
„Jeder in Position?“ fragte ich mit zu einem heiseren Flüstern gesenkter Stimme. Neben meinen anderen Sorgen hatte ich die Befürchtung, daß ich mir durch das Liegen auf dem feuchten Boden eine böse Lungenentzündung zuziehen könnte.
„Ja, Duncan MacElroy. Jeder ist bereit. Und Ihr?“
„Ich denke, ich bin so bereit wie ich jemals sein werde.“
„Viele werden an diesem Morgen sterben.“ Ryfiks Stimme war bar jeden Gefühls. Kaltblütig wartete er darauf, daß die Schlacht begann.
Ich gab keine Antwort. Es gab nicht viel, was ich hätte sagen können. Er hatte recht. Die Dalgiri in der Forschungsstation waren gut bewaffnet und geschützt. Ich hoffte nur, daß wir genug Kampfkraft hatten, um ihre Verteidigung mit der ersten Welle hinwegzuschwemmen. Wenn nicht, würden Dal und ich den Rest unseres Lebens als Flüchtlinge auf dieser kalten, nassen Welt unter einem Volk verbringen, das nicht unseres war. Haret würde jedoch einen höheren Preis zahlen. Wenn der Angriff mißlang, würde sie sterben.
Ich schaute ein weiteres Mal auf mein Chronometer. Noch zwei Minuten.