KAPITEL DREIZEHN

Elizabeth Martin Ross

Als ich im Scotland Yard ankam und meine Neuigkeiten und die Nachricht von Ben überbrachte, erhielt ich einen kurzen, nichtsdestotrotz deftigen Vortrag von Superintendent Dunn.

»Sehen Sie, Mrs. Ross? Das kommt davon, dass Sie Ihre Informationen zurückgehalten haben, anstatt sofort damit zu uns zu kommen! Irgendjemand wäre schon gestern zu Jenkins geschickt worden, um ihn zu befragen, und wenn er etwas Wichtiges gewusst hätte, so hätten wir es erfahren. Er hätte uns zu seinem Klienten geführt. Er wäre vielleicht noch am Leben. Ich mache Sie nicht verantwortlich für die Taten eines Mörders, aber es hätte alles ganz anders ausgehen können!«

»›Wenn das Wörtchen wenn nicht wär‹«, pflegte mein Vater immer zu sagen. Es gelang mir, seinen Ausspruch Dunn gegenüber nicht zu zitieren und stattdessen schweigend seiner Predigt zu lauschen und zu nicken.

»Von jetzt an …«, verkündete er, »… von jetzt an werden Sie sich aus den weiteren Ermittlungen in dieser Angelegenheit heraushalten. Überlassen Sie diese Arbeit den Experten.«

Angesichts der Tatsache, dass die Experten keine Ahnung von der Existenz Jenkins’ gehabt hatten und von seinem Clownskostüm, seiner französischen Klientin und seinem Auftrag, Tapley zu finden, war ich versucht, ihn darauf hinzuweisen, wie wertvoll mein Beitrag gewesen war. Doch das wäre nicht gut aufgenommen worden. Der Superintendent hatte, so viel musste ich zumindest mir selbst gegenüber eingestehen, wenn schon nicht ihm, nicht ganz Unrecht. Die Verzögerung hatte den armen Jenkins möglicherweise das Leben gekostet.

»Aber ich muss zurück nach Camden«, sagte ich. »Zusammen mit Sergeant Morris.«

Dunns Augen quollen hervor.

»Es gibt eine Zeugin, eine Miss Poole«, fuhr ich hastig fort. »Sie ist sehr erschüttert, steht am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Selbstverständlich wird die Polizei ihre Aussage aufnehmen, aber wenn ich bei ihr sitzen könnte, würde sie sich ein wenig sicherer fühlen … und sie würde möglicherweise offener reden.«

Ich dachte, Dunn würde vor Ärger losbrüllen und mein Anliegen rundheraus ablehnen. Doch da hatte ich ihn unterschätzt. Nachdem er mich für eine Sekunde nachdenklich gemustert hatte, verschränkte er die Hände auf dem Schreibtisch und beugte sich vor.

»Sie sind eine äußerst gerissene Person, Mrs. Ross. Ich billige Ihre Einmischung in Polizeiangelegenheiten nicht, und ich heiße sie auch in keiner Weise gut. Das habe ich Ihnen mehr als deutlich zu verstehen gegeben; kommen Sie nicht auf die Idee, Sie könnten das einfach ignorieren. Auf der anderen Seite gestehe ich, dass ich manchmal wünschte, einige meiner Beamten hätten Ihre schnelle Auffassungsgabe. Ich bin einverstanden, dass Sie mit Morris nach Camden zurückkehren und bei Mrs. Poole sitzen und sich um die Lady kümmern. Aber Sie werden mit keinem anderen Zeugen reden. Sie werden Miss Poole nicht ausfragen. Sie werden ihr überhaupt keine Fragen stellen und ihr auch keine Ideen in den Kopf setzen, haben Sie das verstanden? Sollte sie sich jedoch aus eigenen freien Stücken und ohne Aufforderung Ihnen anvertrauen, dann werden Sie dies – ganz gleich wie trivial – sofort Ihrem Mann oder einem anderen Beamten mitteilen.«

»Selbstverständlich, Sir!«, versprach ich.

Ben war überrascht, mich wiederzusehen, und alles andere als erfreut. »Es gibt hier nichts, was du tun könntest, Lizzie! Ich habe bereits mit Miss Poole gesprochen! Sie weiß nichts, was uns interessieren könnte.«

»Superintendent Dunn hielt es für eine gute Idee.«

Das brachte Ben für volle dreißig Sekunden zum Schweigen. »Ich weiß nicht, wie du es geschafft hast, Dunn um den Finger zu wickeln«, sagte er schließlich. »Aber welches Ass er auch im Ärmel haben mag oder was er dir auch immer erlaubt hat, das hier ist mein Fall und meine Ermittlung. Er hat mir die Leitung übergeben, und in dieser Eigenschaft stimme ich – nicht Dunn, sondern ich! – zu, dass du dich noch einmal mit Miss Poole unterhältst. Geh und tröste sie! Aber ich will einen vollständigen Bericht! Ich will wissen, wann sie sich geschnäuzt und wann sie sich die Augen gewischt hat!«

»Den wirst du bekommen!«, versprach ich.

Miss Poole schien wenig überrascht, mich zu sehen, und sie hatte keine Einwände, dass ich Tee für uns beide zubereitete. Sie beobachtete mich, wie ich den Samowar inspizierte und den kleinen Spirituskocher darunter anzündete.

»Es war ein Geschenk …«, sagte sie beinahe unhörbar leise.

»Der Samowar? Er ist sehr hübsch.«

»Er stammt von meiner früheren Arbeitgeberin, die mich als Hutmacherin ausgebildet hat. Sie musste aufhören, als ihre Augen zu schlecht wurden, und ich gründete mein eigenes Geschäft. Sie wünschte mir alles Gute und schenkte mir die Teekanne. Ja, sie nannte es einen Samowar. Sie hatte ihn aus ihrer Heimat mitgebracht. Ich glaube, sie kam aus Russland.« Ihre Stimme gewann an Zuversicht und wurde lauter, als sie über diesen Haushaltsartikel sprach. »Sie hat immer einen Klumpen Zucker zusammen mit den Teeblättern hineingegeben und dann heißes Wasser darübergegossen. Sie hat nie Milch im Tee getrunken, wie wir Engländer es machen. Manchmal nahm sie eine Scheibe Zitrone. Ich fürchte, ich habe weder das eine noch das andere …« Ihre Stimme versagte, und sie klang betrübt. »Ich hatte nicht mit Besuch gerechnet …«

Ich brachte ihr die Teetasse. »Liebe Miss Poole, machen Sie sich deswegen keine Gedanken. Ich nehme nur selten Milch in meinem Tee. Ich ziehe ihn ohne Milch vor.«

Sie nahm ihre Brille ab und blinzelte mich aus kurzsichtigen Augen an. Ich überlegte mitfühlend, dass die anstrengende Arbeit dicht vor den Augen, häufig bei schlechtem Licht, ihr Sehvermögen genauso beeinträchtigt hatte wie das ihrer ehemaligen Arbeitgeberin. Wenn Miss Poole gezwungen war, sich von der Hutmacherei zurückzuziehen, wovon würde sie dann leben? Hatte sie ein wenig Geld beiseitelegen können? Und falls ja, wie lange würde es reichen? Hatte sie Familie, an die sie sich wenden konnte? Ich schätzte ihr Alter auf Mitte vierzig.

Ich konnte nicht anders, ich musste immer wieder daran denken, dass mir das gleiche Leben gedroht hatte. In einem Zimmer wie diesem leben, über einem Geschäft, und mit irgendetwas den Lebensunterhalt verdienen. Tante Parry hatte mich – trotz aller ihrer sonstigen Fehler – davor bewahrt.

»Mein Mann hat gesagt, Mr. Jenkins hätte Ihnen das Wasser hier hinaufgetragen?«

»Oh ja. Er war sehr hilfsbereit. Deswegen habe ich auch gerne Tee gemacht für seine Klienten.«

»Haben Sie den Tee nach unten in sein Büro gebracht?«

»Ja, aber ich bin nie hineingegangen. Ich habe immer nur angeklopft, und dann kam er zur Tür und nahm mir das Tablett ab. Ich habe seine Besucher nicht gesehen. Er hat mir einmal erklärt, seine Arbeit wäre sehr privat. Seine Klienten, wie er sie nannte, wären häufig ausgesprochen scheu.«

Sie hatten vermutlich allen Grund dazu, dachte ich. »Sie haben die französische Lady nicht gesehen, die ihn besucht hat?«

Sie zögerte. »Er hatte nur selten weiblichen Besuch. Ich kann mir nicht vorstellen, warum eine Lady einen Privatdetektiv konsultieren sollte! Aber vor ein paar Wochen kamen eine Lady und ein Gentleman zusammen her. Ich habe sie nur von hinten gesehen, verstehen Sie, als ich das Tablett mit Tee an Mr. Jenkins’ Tür brachte. Ich habe ihre Gesichter nicht gesehen. Sie waren gut gekleidet.« Miss Pooles Stimme hatte einen Unterton von professioneller Begeisterung. »Der Hut der Lady fiel mir ins Auge. Sie hatte satt kastanienrotes, kunstvoll frisiertes Haar. Darauf saß ein kleiner runder Hut mit einem Saum aus Spitze und lavendelfarbenen seidenen Rosenknospen ringsum. Die Oberseite war mit dunkelgrünen Seidenrüschen verziert. Er wurde von lavendelfarbenem Seidenband gehalten, das hinter ihren Ohren verlief und hinten im Nacken höchst kleidsam zu einer Schleife gebunden war. Ich hätte mir den Hut zu gerne von vorn angesehen, doch die Lady drehte sich nicht in meine Richtung um. Ich fand ihn sehr schick und sehr modisch, und er sah aus, als stammte er geradewegs aus einem Damenmagazin. Kein Hut für den Winter, bestimmt nicht. Der Regen hätte ihn sofort ruiniert.«

»Seidene Rosenknospen und Rüschen? Ja, schlechtes Wetter hätte ihn ruiniert. Sie haben den Mann oder die Frau nicht reden hören?«

Hatte Miss Poole nicht. »Ich dachte, ich könnte den Hut vielleicht kopieren, beispielsweise als Hochzeitsaccessoire, falls eine Kundin so etwas wünscht. Nicht mit lavendelfarbenen Rosen selbstverständlich, es sei denn, die Trägerin wäre in Halbtrauer. Pink vielleicht.«

Sie verstummte, und nach der Art und Weise, wie die Lebhaftigkeit aus ihr strömte, nahm ich an, dass die Erinnerung an den Hut durch eine traurigere Erinnerung verdrängt worden war. »Sein Büro war so schrecklich unordentlich vorhin, als ich Sie und Ihren Ehemann dort vorfand. Waren Sie das?«

»Was denn, ob wir alles durchwühlt haben? Oh nein. Das war mit ziemlicher Sicherheit der Mörder.«

»Aber warum?« Sie richtete ihren Blick auf mich und blinzelte frische Tränen weg. »War es nicht genug, den armen Mr. Jenkins zu ermorden? Warum musste der Mörder überhaupt so eine schreckliche Tat begehen?«

Ich wählte meine Worte mit Bedacht, auch im Hinblick auf Superintendent Dunns Warnung, ihr keine Ideen in den Kopf zu setzen. »Die beiden Begebenheiten standen möglicherweise in einem Zusammenhang.«

»Sie meinen, er hat einen Einbrecher aufgescheucht?«

»Keinen gewöhnlichen Einbrecher vermutlich. Eher jemanden, der nach etwas Speziellem gesucht hat, etwas, von dem er glaubte, Jenkins hätte es irgendwo versteckt.«

»Oh …«, sagte Miss Poole nachdenklich.

Ich würde nie irgendetwas erreichen, solange ich Dunns Instruktionen wortwörtlich befolgte. »Miss Poole …« Ich legte ihr eine Hand auf den Arm. »Hat Mr. Jenkins Sie je gebeten, irgendetwas für ihn aufzubewahren? Einen kleinen Gegenstand, den Sie für ihn verstecken sollten, hier oben in Ihrem Zimmer? Immerhin waren Sie eine Freundin.«

Ich wusste sofort, dass ich einen Volltreffer gelandet hatte. Sie lief puterrot an. »Nun, ich … ich schätze, nun, da Mr. Jenkins tot ist, sollte ich es der Polizei übergeben.«

»Das sollten Sie in der Tat«, pflichtete ich ihr bei. »Was auch immer es sein mag. Ich könnte Sie nach unten begleiten, und sie könnten es gleich meinem Mann übergeben.«

»Ja, ja. Was für eine liebe Person Sie doch sind, Mrs. Ross. Ich wäre viel zu nervös, alleine nach unten und zur Polizei zu gehen. Warten Sie, ich hole es eben.«

Sie erhob sich und ging hinter den Vorhang, der ihr Bett vom restlichen Zimmer abschirmte. Nach einem Augenblick kehrte sie mit einem Umschlag in den Händen zurück. »Das ist es. Es ist nicht viel, zugegeben. Er hat mich gebeten, es für eine Weile aufzubewahren, damit er es nicht verliert.«

Ich hätte den Umschlag am liebsten aufgerissen, um zu sehen, was er enthielt, doch das durfte ich nicht. Stattdessen drängte ich Miss Poole die Treppe hinunter zur ersten Etage, wo sie Ben den Umschlag mit zitternden Fingern übergab.

Ben öffnete ihn sogleich und nahm ein Stück Karton hervor. Ich sah, dass es eine Photographie war – ärgerlicherweise konnte ich nicht erkennen, was sie zeigte.

»Ich danke Ihnen, Miss Poole«, sagte Ben zu der Hutmacherin. Er schob die Photographie zurück in den Umschlag und steckte beides ein.

Ich hätte schreien können vor Enttäuschung. Miss Poole sah sich traurig in Jenkins’ Büro um, doch sie vermied es, zu der Stelle zu blicken, wo sein Leichnam lag, verborgen vor neugierigen Blicken durch den heruntergerissenen Samtvorhang, der zuvor die Schlafecke abgetrennt hatte.

»Das wird mir sicher noch lange zu schaffen machen«, sagte sie. »Die Erinnerung wird mich bis in den Schlaf verfolgen. Ich … ich werde seine Freundschaft vermissen. Manchmal, wenn er nichts zu tun hatte, kam er nach oben in meine Werkstatt und saß einfach nur da, während er Tee trank und mich unterhielt. Er erzählte mir von seinen Abenteuern in Amerika. Ich habe die Geschichten geliebt. Es war immer sehr behaglich, mit ihm dazusitzen. Ich habe mir manchmal überlegt, ob wir nicht …« Sie verstummte. Die Tragödie war vollkommen. Miss Poole hatte sich Hoffnungen auf Mr. Jenkins gemacht.

Inspector Benjamin Ross

Lizzie brachte Miss Poole zurück in ihre Werkstatt, doch wie nicht anders zu erwarten, war sie in Sekundenschnelle wieder zurück.

»Was ist es?«, fragte sie eifrig, als ich den Umschlag erneut öffnete.

»Eine Photographie«, antwortete ich.

»Ja, das sehe ich selbst! Aber wen zeigt die Photographie?« Sie beantwortete sich ihre Frage gleich selbst. »Ist es das Bild, das die französische Lady Jenkins gab, damit er Mr. Tapley erkennt?«

»Es könnte sein. Ja, ja, schon gut! Es stimmt. Aber sprich zu niemandem darüber, hörst du?« Ich steckte die Photographie ein.

Lizzie sah sich in dem durchwühlten Zimmer um. »Sie wollte es offensichtlich zurück. Warum hat sie es nicht zurückverlangt, als sie Jenkins bezahlt hat? Das wäre naheliegend gewesen, oder? Sie hat ihm sein Geld gegeben, und er hätte ihr die Photographie zurückgeben müssen.«

»Aber das hat er nicht«, sagte ich. »Jenkins war ein vorsichtiger Mann. Er kannte die Person auf diesem Bild«, ich klopfte auf meine Tasche. »Es war die Person, die er selbst aufgespürt hatte und die gleich darauf ermordet wurde. Diese Photographie war quasi Jenkins’ Lebensversicherung. Der Beweis, dass die Französin ihn wegen Tapley aufgesucht hat. Ich weiß nicht, was für eine Ausrede er hatte, um sie nicht zurückgeben zu müssen. Vielleicht hat er gesagt, er hätte sie verloren. Seine Auftraggeberin wird wütend gewesen sein, aber es gab nicht viel, was sie tun konnte.«

»Du meinst, eine Frau hat das Verbrechen begangen?« Lizzie war entsetzt.

»Oh, nein, sie hatte zweifellos Hilfe. Ich glaube nicht, dass sich eine Frau in Mrs. Jamesons Haus geschlichen und Tapley erschlagen hat. Ein derart brutaler Angriff ist das Werk eines Mannes. Ich sehe auch nicht, dass Jenkins von einer Frau niedergestochen wurde. Wer auch immer Jenkins getötet hat, er weiß, wie man ein Messer benutzt. Wir suchen nach jemandem, der mit ziemlicher Sicherheit das ist, was du einen Profi nennen würdest.«

»Sie hat einen Mörder gedungen?« Lizzie glotzte mich aus großen Augen an.

»Ich sage nicht, dass es so war. Ich sage nur, dass sie einen männlichen Begleiter hatte, einen Komplizen.« Ich sah, wie Morris mir einen warnenden Blick zuwarf. Seiner Meinung nach sollte ich wohl nicht so freizügig mit meiner Frau über den Fall diskutieren. Aber Lizzie blickte ebenfalls unzufrieden drein.

Sie sah Morris an, der den Wink verstand und sich in das Treppenhaus und außer Hörweite zurückzog.

»Ben«, sagte meine Frau zögernd. »Ich war dumm und eitel, wirklich unerträglich eitel.«

»Das fällt mir schwer zu glauben«, erwiderte ich aufmunternd. Es gab also noch etwas, und sie hatte es mir nicht gesagt. Aus Eitelkeit? Kaum vorstellbar, dass Lizzie so einer törichten Regung nachgab. Doch sie war puterrot angelaufen.

»Da war ein Mann …«, begann sie und berichtete von dem Kerl in Tweedjacke und Knickerbockern. (Ich hatte zufälligerweise erst wenige Stunden zuvor von einem derart albernen Aufzug gehört.) »Er hat dieses Haus beobachtet, als ich herkam, weißt du? Er hat so getan, als würde er Früchte auswählen, und damit Zeit geschunden. Er wollte herausfinden, ob Jenkins einen Besucher hatte, und als Bessie und ich kamen, wurde er belohnt. Wahrscheinlich ist er nach oben geschlichen, um sich zu überzeugen, dass wir tatsächlich zu Jenkins gegangen waren, oder vielleicht hat er uns durch das Fenster gesehen. Wie dem auch sei, er ist uns hinterher gefolgt. Ich hätte es erkennen müssen!«

Das ist unser Mann, dachte ich mit einer Mischung aus Triumph und Frustration. Das war zweifellos Hector Guillaume – aus Ermangelung eines anderen Namens. Wo zum Teufel steckt der Kerl jetzt?

»Hatte Miss Poole sonst noch irgendetwas Interessantes zu erzählen?«, fragte ich.

Lizzies Miene hellte sich ein wenig auf, und sie berichtete von ihrer Unterhaltung mit der Hutmacherin, ganz die präzise Zeugin, die sie normalerweise ist.

»Danke sehr«, sagte ich, als sie fertig war. »Das war sehr hilfreich. Aber jetzt musst du nach Hause. Nimm eine Droschke. Bitte den örtlichen Constable, mit dir nach unten zu gehen und eine für dich zu rufen.«

»Du meinst, damit du sicher sein kannst, dass ich nach Hause fahre!«, brauste Lizzie ungehalten auf. »Keine Sorge, ich fahre nach Hause. Was wirst du mit dieser Photographie anfangen?«

»Sie ist ein Beweismittel.« Ich klang sehr dienstlich. Meine Frau bedachte mich mit einem Blick, der Bände sprach, dann wandte sie sich ab und marschierte hoch erhobenen Hauptes nach draußen.

»Sergeant!«, rief ich Morris zu. »Sie übernehmen für den Moment das Kommando hier! Ich kehre auf direktem Weg zum Yard zurück und informiere Superintendent Dunn.«

»Sehr wohl, Sir«, sagte Morris phlegmatisch. »Der Polizeiarzt wird ohnehin bald eintreffen. Auch wenn er uns wahrscheinlich nicht mehr erzählen kann, als wir ohnehin bereits wissen und mit eigenen Augen gesehen haben.«

Draußen auf der Straße blickte ich mich suchend nach Lizzie um, doch es war nirgendwo eine Spur von ihr zu sehen. Der Constable, der auf meinen Befehl hin mit ihr gegangen war, trottete auf mich zu.

»Ich habe Mrs. Ross in eine Droschke gesetzt, Sir«, berichtete er. »Es war eine anständige Kutsche, nicht so ein neumodisches Ding. Zuerst wollte ich Ihre Frau nicht einsteigen lassen, als ich den Kutscher sah. Es war ein großer alter Bursche mit einer zerschmetterten Nase. Er sah aus wie ein Jahrmarkt-Boxer. Aber er schien Mrs. Ross zu kennen und sie ihn, also dachte ich, alles ist in Ordnung. Sie wirkte ziemlich erfreut, als sie in die Kutsche stieg, Sir.«

Der alte Bursche mit der zerschmetterten Nase konnte nur Wally Slater sein, ein alter Bekannter von Lizzie. Was für ein glücklicher Zufall. Er würde dafür sorgen, dass Lizzie sicher zu Hause ankam. Falls sie ihn nicht überredete, sie woandershin zu bringen, wo sie erneut ihre neugierige Nase in fremder Leute Angelegenheiten stecken konnte.

»Danke sehr, Constable«, sagte ich zu dem Beamten. »Gut, dass Sie eine Droschke gefunden haben. Ich denke, ich kenne den Fahrer.«

Alsdann eilte ich selbst zum Scotland Yard zurück. Als ich das Gebäude betrat, erhob sich der diensthabende Sergeant am Empfang und winkte mir zu. »Mr. Dunn möchte Sie sprechen, Sir, dringend. Er hat gesagt, Sie sollen unverzüglich in sein Büro kommen, sobald Sie hier sind, Sir.«

Ging es um Lizzie? Ich stellte mich innerlich auf eine weitere Predigt ein und eilte nach oben zum Büro von Dunn. Ich klopfte an seine Tür, öffnete, um einzutreten, und blieb wie angewurzelt auf der Schwelle stehen, sehr wahrscheinlich mit offenem Mund.

Dunn war nicht allein. Eine Frau saß in einem Stuhl vor seinem Schreibtisch. Sie drehte den Kopf und sah mich an. Sie war eine gut aussehende Person, nicht mehr ganz jung vielleicht, doch ihre frühere Schönheit war noch zu erkennen. Sie war vornehm gekleidet. Ich habe, seit ich verheiratet bin, gelernt, dass Frauen von uns Männern erwarten, dass wir ihre Kleidung bis ins Detail zur Kenntnis nehmen – als hätten wir nicht schon genug Sorgen, die uns bewegen. Wie dem auch sei, ich nahm nun zur Kenntnis, dass Dunns Besucherin einen hellgrauen Rock trug, dazu eine Jacke, die für meinen Geschmack einigermaßen militärisch aussah mit der doppelten Reihe Messingknöpfe und den Brustschnüren. Sie hatte schwarzes Haar, kunstvoll hochgesteckt, und ich fragte mich, ob sie alle echt waren. Auf der schicken Hochfrisur saß, nach vorn geneigt, eine Haube …

Ach, es hatte also doch einen Sinn, die Kleidung einer Frauensperson zur Kenntnis zu nehmen, hin und wieder jedenfalls. Ich bildete mir ein, den Hut der Dame bereits zu kennen – es war keine Stunde her, dass Lizzie ihn mir beschrieben hatte, dank der Aussage von Miss Poole. Der kleine Hut war rund mit lavendelfarbenen Blüten und einer Menge zerknittertem grünen Zeug auf der Oberseite. Er wurde an Ort und Stelle gehalten von zwei Bändern, die im Nacken vermittels einer Schlaufe zusammengebunden waren.

Dunns Gesichtsausdruck war nicht zu entziffern, während er mich dabei beobachtete, wie ich seine Besucherin musterte. »Ich freue mich, dass Sie so schnell zurück sind, Ross«, sagte er nun mit einer Stimme, die genauso bar jeglichen Ausdrucks war. »Ich möchte Ihnen unbedingt diese Lady hier vorstellen und hatte sie gefragt, ob es ihr etwas ausmache, ein wenig zu warten. Darf ich bekanntmachen: Miss Thomas Tapley.«