kapitelziffer_12

Ein Hund bellt einen Regenbogen an. Das ist  erstaunlich, denn Hunde sind farbenblind. Dennoch scheint ein Hund die Existenz des Regenbogens zu spüren. So ähnlich verhält es sich mit Menschen und der Zeit. Der Mensch spürt die Zeit durch die Veränderungen, die mit ihrem Verlauf verbunden sind. Aber er kann die Zeit nicht sehen, kann sie in ihrer Existenz als Ergänzung zum Raum nicht begreifen. Räume sehen wir, die Zeit ist unsichtbar. So betrachtet, fühle ich mich wie ein Hund vor einem Regenbogen.

Das Verrinnen der Zeit an diesem Nachmittag. Ich sehne mich danach, in den Garten zu laufen, den Lorbeer zu betreten und mich der Wirkung zu vergewissern. Flüssigen Tod habe ich versprüht und bin voll Neugier, ob meine Tat das gewünschte Ergebnis bringt. Sinnlos, ich weiß. Die Wirkung des Pestizids zeigt sich erst nach 24 Stunden. Wie soll ich 24 bange Stunden überstehen? Mit Arbeit? Manchmal hilft sie. Heute ist eher Sisyphos mein Schutzpatron. Wie soll eine Keksdose mich davon ablenken, was in meinem Garten geschieht?

Raffinesse. Ein dummer Name, ein oberflächlicher. Er baut auf das nationale Minderwertigkeitsgefühl meiner Landsleute, dass es in Frankreich bessere Süßigkeiten gäbe. Frankreich, das Land der Feinschmecker, lautet die Werbestrategie, deshalb wählte der Kekshersteller den französischen Namen Raffinesse. Gewöhnliche Kekse, mit Schokolade, mit Haselnussfüllung, mit Marmelade. Rosy und ich knabbern sie seit Wochen zum Tee. Die Werbeagentur hat mir ein Riesenpaket davon geschickt. Allmählich wird die Firma ungeduldig, man will ein Ergebnis sehen – die ultimative Keksdose.

Ich bin Designer von Keksdosen. Mehr habe ich beruflich nicht vorzuweisen. Es sind nicht immer Keksdosen, manchmal gestalte ich auch das Outfit für einen Fliesenkleber oder die optimistische Verpackung eines Abführmittels. Ich bin Gebrauchsgrafiker. Mein Vater hatte nichts dagegen.

»Wenn du schon arbeiten musst, ist eine Arbeit so gut wie die andere«, sagte er. Von einer Karriere, angetrieben durch Ehrgeiz, hielt der 35.  Earl, hielten alle Escroynes wenig. Mit ein Grund, warum das Manuskript meines ersten Romans noch immer in der Schublade schlummert. Nicht mal Rosy gegenüber habe ich je erwähnt, dass ich mir vorstellen könnte, Bücher zu schreiben. Entweder ist man sowieso zu Großem geboren, dann stellt das Schicksal einen an den entsprechenden Platz. Oder man hat das Privileg, eine noble und anonyme Existenz abseits der gehetzten Welt zu führen. Das galt den Escroynes von jeher als erstrebenswerter. Man könnte es als unseren Wahlspruch bezeichnen.

Ich habe mit fotografischen Motiven experimentiert, einer Ansicht von Paris oder einem südfranzösischen Lavendelfeld. Darüber der Schriftzug – Raffinesse. In den Regalen würde eine solche Keksdose nicht auffallen. Ich habe es mit Schnörkeln und Kringeln versucht, Hinweis auf lange Erfahrung in der traditionellen Backkunst. Jetzt rücke ich den verdammten Cookies postmodern zu Leibe. Nichts soll die Dose zieren als die Farben Blau, Weiß, Rot. Mehr Frankreich geht nicht, denke ich, die Trikolore macht mich zuversichtlich. Bis mir auffällt, dass man die Keksdose versehentlich mit holländischen Süßigkeiten verwechseln könnte. Vielleicht liegt mein Scheitern darin, dass ich eigentlich etwas anderes tun will: in meinen Garten gehen. Dieser labile Zustand verwandelt die Zeit an diesem Nachmittag zu etwas Greifbarem, das sich schwer dahinschleppt.

Rosy hat es eilig. Man hat ihr kurzfristig Audienz gewährt. Sie fährt allein zu Familie Gaunt. Ralph hat sich nach Swindon aufgemacht, er prüft das Alibi von Mr Black. Rosys Dezernat hat genügend Mitarbeiter, sie könnte die Gaunts zu zweit besuchen, doch sie findet es strategisch besser, allein zu kommen. Eine Frau, die einer Frau Fragen stellt, heikle Fragen.

Rosy ist nicht nur ein feiner Mensch, sondern bei aller Direktheit eine sensible Polizistin. Sie geht nicht ins Haus einer Familie und fragt: »Mr Gaunt, hatten Sie was mit Ihrer Studentin? Gibt es ein Geheimnis, das Sie Ihrer Frau verheimlichen?«

Rosemary fährt nach Carleen, einem Zweistraßendorf unweit von Cheltenham. Hauptstraße, Nebenstraße, kein Pub, kein Lebensmittelladen. Nur Natursteincottages mit gepflegten Gärten, das Haus der Gaunts macht da keinen Unterschied. Der Rasen ist gestutzt, die Fenster sind geputzt, die Gardinen haben den rechten Faltenwurf.

Mrs Gaunt ist eine kleine schlanke Frau mit staunenden Augen. Sie hat weiche Lippen, die sie beim Sprechen kaum öffnet, vielleicht weil ihre Zähne etwas schief stehen. Ihr aschblondes Haar ist streng nach hinten frisiert.

»Bitte. Hier entlang.«

Mrs Gaunt trägt etwas, das man als Nachthemd bezeichnen könnte, doch es ist ein bodenlanges Hauskleid. Sie hat keine Einwände, als Rosy den Wohnzimmerteppich mit Straßenschuhen betritt. Rosys Bergschuhe, ihr Markenzeichen.

»Mein Mann verspätet sich ein wenig.« Sie bietet den Besuchersessel an, er steht abseits der Couchgarnitur.

»Wie ruhig Sie es hier haben.«

»Ja. Sehr ruhig.«

»Sie mögen die Stille nicht?«

»Doch. Ich brauche sie sogar.« Die Frau stützt eine Hand auf die Lehne und lässt sich langsam auf das Sofa nieder. »Ich bin, wie sagt man, etwas angegriffen.«

»Hoffentlich nichts Ernstes.«

Ein trauriges Lächeln. »Dein Körper, das unbekannte Wesen.« Sie wischt die Hände ab, als ob sie schwitzen würde. »Sie kommen wegen Miss Perry.«

»Kannten Sie sie?«

»Oh, natürlich.«

»Wieso ist das natürlich? Kennen Sie viele Studenten Ihres Mannes?«

»Miss Perry war nicht irgendeine Studentin. Sie war der Schützling von Harriet.«

Rosy versteht, von wem die Rede ist. »Sie sind mit Mrs Lancaster befreundet, nicht wahr?«

»Seit der Schulzeit. Wir stammen beide aus der Gegend und sind nie von hier weggekommen.«

»Wären Sie gern weggekommen?« Rosy sitzt zu tief und rutscht nach vorn.

»Ich hätte am liebsten Archäologie studiert. Der Blick in die Geschichte hat etwas Beruhigendes. Er nimmt einem die Angst.«

»Die Angst wovor?«

»Vor dem Leben«, antwortet Mrs Gaunt ganz selbstverständlich.

»Haben Sie Ihr Studium abgebrochen?«

»Nicht einmal angefangen habe ich.«

»Was ist dazwischengekommen?«

»Die Liebe natürlich.«

»Sie meinen Ihren Mann?« Rosy schmunzelt. »Deshalb hätten Sie trotzdem studieren können.«

Mrs Gaunt erwidert das Lächeln. »Diese Antwort hätte von meinem Vater stammen können. Er wollte immer, dass ich selbstständig bleibe, auch in der Ehe. Die Wahrheit ist, ich besitze keine besonders starke Entschlusskraft.« Mrs Gaunt will aufstehen, wieder der Griff an die Lehne. »Entschuldigung, was darf ich Ihnen anbieten?«

»Ehrlich gestanden, gar nichts.«

Mit einem Seufzer sinkt sie zurück. »Als wir heirateten und durch Edwards Anstellung bei der Uni klar wurde, dass wir kein zweites Einkommen brauchen würden, habe ich meine Berufspläne aufgegeben.«

»Haben Sie Kinder?«

Eine gewöhnliche Frage, doch Mrs Gaunt reagiert darauf mit einem irritierten Blick. »Nein. Ich bin auf allen Ebenen ein Versager.«

»Unsinn«, antwortet Rosy herzlich. »Ich habe auch keine Kinder. Es interessiert mich nur, was Sie hier draußen den ganzen Tag machen.«

»Ich lese. Manchmal arbeite ich für einen kleinen Verlag. Ich berate sie, welches Manuskript man veröffentlichen könnte.«

»Warum haben Sie Miss Perry den Job bei den Toddlers verschafft?«

»Ich fand das selbstverständlich. Edward sagte, da ist ein begabtes Mädchen, das sich etwas dazuverdienen will. Natürlich bat ich Harriet um Hilfe.«

»Warum hat Ihr Mann es nicht selbst getan?«

»Die beiden sind sich nicht besonders grün.« Sie zupft am Ohrläppchen. »Ein dummer Streit. Das soll er Ihnen besser selbst erzählen.«

»Sie sind also zu Ihrer Freundin gegangen –?«

»Zusammen mit Miss Perry.«

»Sie kannten Gwendolyn demnach näher?«

»Das nicht. Wir haben uns ein paarmal gesehen.«

»Mochten Sie sie?«

»Doch, ja. Ich bewunderte ihr … ihre Lebensbejahung.«

»Wann haben Sie sie zuletzt getroffen?«

»Das ist schon länger her. Warten Sie –« Weiter kommt Mrs Gaunt nicht, da draußen die Tür geht.

»Edward!« Lebendiger als vorhin steht sie vom Sofa auf, will zu ihm, stützt sich dabei geschickt an den Möbeln ab.

»Bleib doch, bleib sitzen, Emily.« Gaunt wirft eine Sporttasche auf den Stuhl, betritt das Zimmer und schließt seine Frau in die Arme. Er bemerkt den leeren Couchtisch. »Hast du unserem Gast nichts angeboten?«

Ihre freudige Aufwallung verfliegt. »Nein, Edward. Entschuldige.«

»Ich möchte nichts«, springt Rosy ein. »Guten Tag, Mr Gaunt.«

»Detective«, antwortet er aufgeräumt. Überhaupt erscheint es Rosy, als habe der Tutor blendende Laune.

»Wie war dein Tag?« Mrs Gaunt will ihm einen Drink mixen.

Er kommt ihr zuvor. »Bestens. Wenn die Polizei nicht in meinem Hause wäre, ginge es mir noch besser.« Er gießt sich ein.

Rosy quittiert den Scherz mit einem Nicken. »Sie sind mich bald wieder los.«

»Ihr Sergeant hat uns doch schon aufgesucht. Geht es immer noch um mein Alibi?«

»In gewisser Weise.«

Das Glas in der einen Hand, hakt er seine Frau unter. »Wozu habe ich deinen Stock reparieren lassen, Darling, wenn du ihn nicht benutzt?«

Rosy folgt dem Blick der beiden. In der Ecke lehnt ein schwarzer Stock mit Silberknauf.

»Nicht zu Hause, Edward.« Sie lässt sich von ihm zum Sofa führen. »Zu Hause benutze ich ihn nie. Edward war Dienstagabend hier«, sagt sie, zu Rosy gewandt. »Das habe ich Mr Bellamy schon gesagt.«

»Was haben Sie beide an dem Abend unternommen?«

»Nichts Besonderes. Fern gesehen.«

»Welche Sendung?«

»Ein bisschen hiervon und davon«, antwortet er. »Die Spätnachrichten. Wir sahen die Meldung von der Schlammlawine in Österreich.«

»Und die Talkshow mit Steven Fry, weißt du noch?«

»Stimmt. War unglaublich witzig, wie er sagte, wer beißt zuerst zu, der Terrier oder der Premierminister?« Er setzt sich neben Emily.

»Wann sind Sie schlafen gegangen?«

»Nach dem Seminar komme ich erst um neun Uhr heim. Bis ich gegessen hatte … Wann sind wir ins Bett, Darling?«

»Elf, halb zwölf wahrscheinlich.«

Beide sehen Rosy abwartend an. »Das wussten Sie ja schon. Gibt es sonst etwas, eine neue Entwicklung in dem traurigen Fall?«

Rosemary schweigt.

»Ich würde sonst nämlich gern duschen. Ich komme vom Sport.«

»Welchen Sport betreiben Sie?«

»Nichts Besonderes. Ich laufe.«

»Er trainiert für den Halbmarathon.« Der Stolz in Emilys Stimme ist nicht zu überhören.

Rosy schaut aus dem Panoramafenster. Sie bedauert, ohne Ralph hier zu sein. Mit einem zweiten Polizisten wäre die Einzelbefragung leichter. Soll sie den Tutor in Anwesenheit seiner Frau mit einer möglichen Affäre konfrontieren? Rosy entscheidet sich dagegen.

»Ihre Stechpalme blüht früh.«

»Ich dünge schon im Februar«, antwortet er. »Das danken einem die Pflanzen.«

»Sie sind der Gärtner hier im Haus?«

»Da draußen, das ist sein Reich.« Mrs Gaunt lächelt bescheiden.

»Wollen Sie einen Blick hinauswerfen?«

Darauf hat Rosy gebaut. Stolze Gärtner lieben es, ihre Zöglinge zu präsentieren.

»Soll ich euch Limonade bringen?«, fragt Mrs Gaunt.

»Danke, nein. Mir fehlt die Zeit.«

Rosy folgt dem Tutor auf die Terrasse. Die Strahlen der sinkenden Sonne schaffen idyllische Gebilde zwischen Hecken und Bäumen.

»Interessieren Sie sich für Stechpalmen?« Gaunt überquert den Rasen.

Rosy lässt einige Sekunden verstreichen. »Mehr noch interessiert mich Ihr Verhältnis zu Miss Perry.«

»Das habe ich Ihnen geschildert«, sagt er über die Schulter.

»Oder sollte ich sagen: Ihr Verhältnis mit Miss Perry.«

Er bleibt stehen, einen Moment sieht sie nur seinen Rücken. »Ich weiß, was Sie jetzt annehmen«, antwortet er mit erstaunlicher Ruhe. »Bitte bauschen Sie das Ganze nicht auf.«

»Sie geben es also zu?«

»Warum nicht?«

»Sie hatten eine Affäre mit der Ermordeten?«

»So muss man es wohl nennen.«

»Weshalb haben Sie das nicht früher erwähnt?«

»Weil ich wusste, dass Sie die falschen Schlüsse ziehen würden. So wie Sie es gerade tun.«

»Welche Schlüsse?«

»Dass mein kleines Tralala mit Gwen und ihr Tod in einem Zusammenhang stehen.«

»Tut es das?«

»Natürlich nicht.«

»Helfen Sie mir bitte mit Details. Wann hat die Sache mit ihr begonnen?«

»Vor mehr als einem Jahr. Es war schön, es war romantisch und wild. Es war alles, was ein Mann in meinem Alter sich ersehnt. Aber nach ein paar Monaten ging es zu Ende. Aus dem gleichen Grund, aus dem es anfing: Sie war jung. Gwen war viel zu jung für mich. Irgendwann hatten wir uns nichts mehr zu sagen, und der Sex verliert, wie wir alle wissen, mit der Zeit seine Wirkung.«

»Und Ihre Frau?«

Wie auf Stichwort taucht Mrs Gaunt in der Tür auf. »Wenn Sie keine Fragen mehr haben, würde ich mich gern ein bisschen hinlegen«, ruft sie.

Rosy zögert. Sie hat hundert Fragen. »Ein andermal vielleicht. Danke, Mrs Gaunt.«

Die Frau im langen Kleid verschwindet im Zwielicht des Hauses.

»Sie hätten Emily ruhig fragen können.« Gaunt mustert die Kommissarin. »Jetzt verstehe ich, warum Sie in den Garten wollten. Um meine Frau zu schonen?«

»Weiß sie davon?«

»Wollen wir uns nicht setzen?« Der Tutor zeigt auf die Gartengarnitur, wartet, bis Rosy Platz genommen hat, und setzt sich gegenüber.

»Meine Frau ist ein fragiler Mensch. Das war sie immer. Es gibt Menschen, die sich von der Welt, von der Wirklichkeit, mit der wir uns herumschlagen, überfordert fühlen. Emily ist so, das macht ihren Reiz aus, auch die Verzauberung, die sie als junge Frau verströmte.« Ernst sieht er Rosy an. »Ich liebe meine Frau, das sollen Sie wissen. Was ich jedoch früh erkennen musste, war, dass unsere Verbindung im Geistigen und Seelischen liegt. Emily ist wie ein – wie soll ich das nennen? –, ein Elfenwesen, das nicht auf die Erde herabgezogen werden will.«

»Mit Erde meinen Sie das Körperliche, die körperliche Liebe?«

»Emily macht sich nichts aus Sex. Nicht das Geringste. Zu Beginn hat sie die Ferkelei, wie sie sagt, mitgemacht, um mir einen Gefallen zu tun und weil es zur Ehe dazugehört. Eigentlich ekelt sie sich davor. Sie mag die Gerüche nicht, die damit verbunden sind, die Geräusche, die Menschen dabei machen, sie findet das Prozedere abstoßend.« Er hebt die Arme. »Das ist eine schwierige Voraussetzung für eine glückliche Ehe.«

»Wie sind Sie damit umgegangen?«

»Ich habe mich bemüht, jahrelang. Wir sind immerhin seit vierzehn Jahren zusammen. Dann sagte ich zu Emily, dass es so nicht weitergehe. Ich habe erwogen, mich scheiden zu lassen. Das war die schlimmste Vorstellung für sie. Damals sagte sie – es war ein verregneter Palmsonntag, als sie das sagte: Wenn es nur an der Ferkelei liegt, dann amüsiere dich um Gottes willen, Edward.«

»Sie gab Ihnen einen Freibrief?«

»Gewissermaßen.« Als ob die Polizistin seine Verbündete wäre, lächelt Gaunt sie an. »Die Basis unserer Abmachung war und ist, dass Emily nicht wissen will, was ich mit anderen Frauen treibe.«

»Sagten Sie nicht, Ihre Frau habe über Gwendolyn Bescheid gewusst?«

»Das ist eine heikle Geschichte.« Er verschränkt die Finger. »Ich habe Emily nichts von der Affäre erzählt. Irgendwann bat ich sie aber, für meine Studentin ein gutes Wort bei Mrs Lancaster einzulegen. Wir drei kennen uns seit vielen Jahren. Harriet hat Gwen tatsächlich eingestellt. Aber die alte Giftspritze konnte es nicht lassen, Emily aufzutischen, dass ich und Gwen etwas miteinander haben.«

»Weiß Mrs Lancaster nichts von der Abmachung in Ihrer Ehe? Als beste Freundin Ihrer Frau?«

»Emily schämt sich, darüber zu sprechen. Sie hat kein besonders starkes Selbstbewusstsein. Unser Deal lässt sie noch mehr als Versagerin dastehen.«

»Wie hat Ihre Frau reagiert, als Mrs Lancaster sie einweihte?«

»Bewundernswert. Sie sagte, das sei ausschließlich meine Angelegenheit. Sie kümmere sich nicht darum, und Harriet solle das Gleiche tun.«

»Kam es zum Streit zwischen Ihnen und Mrs Lancaster?«

»Dazu ist mir die Lady nicht wichtig genug. Ich habe ihr bloß meine Meinung über frustrierte Klatschtanten gesagt, die keinen Mann abkriegen und sich mit Mädchenseelsorge trösten. Seither herrscht Funkstille zwischen uns.«

»Was meinen Sie mit Seelsorge?«

»Die Art, wie sie sich ins Vertrauen ihrer Angestellten schleicht.«

»Daher wusste Mrs Lancaster von Ihrem Verhältnis?«

Er zuckt mit den Schultern. »Wir leben in der Provinz. Harriet wird uns zusammen gesehen haben.«

»Könnte Mrs Lancaster eifersüchtig auf Ihre Beziehung gewesen sein?«

»Einsamkeit verändert Menschen. Ich weiß nicht, was in Harriet vorging.«

»Mussten Sie als Gwendolyns Tutor nicht befürchten, Schwierigkeiten mit Ihrem Arbeitgeber zu kriegen?«

»Ich habe mich an keiner Minderjährigen vergangen«, antwortet Gaunt plötzlich gereizt. »Gwens Privatleben ging die Uni nichts an.«

»Suchen Sie sich Ihre Liebschaften vorzugsweise unter den Studentinnen?«

Sein Gesicht verhärtet sich. »Meine Frau und ich führen eine glückliche Ehe. Wir sind uns einig, was unsere Abmachung betrifft.« Er steckt die Beine im Kies aus. »So viel zu meinem Privatleben. Worauf es aber ankommt: Ich hatte keinen Grund, Miss Perry umzubringen. Ich habe alles von ihr bekommen, was ich wollte. Bewunderung, Romantik und Sex. Wir haben uns als gute Freunde getrennt. Nennen Sie mir ein Motiv, weshalb ich sie hätte töten sollen.«

»Eifersucht?«

»Auf wen?« Er hebt den Kopf.

»Miss Perry hatte einen neuen Freund.«

»Da wissen Sie mehr als ich. Wer ist es? Ogilvy?«

»Wie kommen Sie auf ihn?«

»Weil er seit Langem mit hängender Zunge hinter Gwen hertrottet.«

»Ogilvy weiß von Ihrer Affäre mit Gwendolyn.«

Gaunt steht auf. »Inspector, Sie kennen nun die Zusammenhänge. Sie wissen, wo ich mich zur Tatzeit aufhielt, nämlich hier, meilenweit vom Tatort entfernt. Das ist wohl alles, was Sie für Ihre Ermittlungen brauchen. Alles Weitere gleitet zu sehr in die Niederungen von Klatsch und Tratsch ab. Es hat mit der Frage, wer Gwen ermordete, nichts zu tun.«

Rosy weiß, wann sie hartnäckig sein und wann sie die Leine locker lassen muss. Sie baut die Lösung eines Mordfalls in der Art eines Planetensystems zusammen. Das Opfer ist die Sonne, sie wird umkreist von den Verdächtigen. Um die attraktive Miss Perry kreisten einige Planeten. Mit ihrem Lehrer war es zu einer intimen Kollision gekommen. Der junge Ogilvy umrundete Gwendolyn voll enttäuschter Hoffnungen. Mr Black kreiste um sie, weil er Wiedergutmachung verlangte. Über die Umlaufbahn von Mrs Lancaster ist sich Rosy nicht im Klaren. Zuletzt gibt es den mysteriösen Rank, der das Planetensystem in Unordnung brachte. Was hat Rank mit Gwens Tod zu schaffen? Wieso meldet er sich nicht, ist er geflohen? Weshalb kennt niemand seine Identität?

Rosemary steht auf, gibt Gaunt die Hand und lässt sich von ihm zum Auto bringen. Neben dem alten Volvo parkt der dunkelblaue Jaguar des Tutors.

»Es tut mir leid, aber ich werde Ihre Frau zur Affäre mit Miss Perry befragen müssen«, sagt sie beim Abschied.

Die Augen des Tutors werden schmal. Er zwingt sich, es mit Humor zu nehmen. »Arme Emily. Es wäre besser für uns alle, ich hätte die Finger von Miss Perry gelassen.«

Mit dieser Antwort lässt er Rosy einsteigen. Im Rückspiegel beobachtet sie, wie Gaunt ihr nachschaut, bis sie aus der Auffahrt verschwindet.