kapitelziffer_7

Haben sich die beiden wie Jungverliebte benommen?«

Es ist zehn Uhr nachts, Rosy lässt nicht locker. Im Augenblick bin ich nicht ihr Verlobter, der Mann, der ihr ein Omelett mit Frühlingszwiebeln servierte, ich bin ein Zeuge. Mit Zeugen kann Rosy ziemlich ruppig umgehen.

»Wie benehmen sich Jungverliebte? Ich habe Miss Perry und den Mann nur ein paar Sekunden lang gesehen.«

»Sie kam von Doktor Rogers?«

»Zumindest aus dem Haus, wo er seine Praxis hat.«

»Sie hat geweint, sagst du?«

»Da waren Tränen in ihren Augen. Vielleicht hat sie eine unangenehme Diagnose bekommen.«

Ich sitze vor Rosemarys Laptop, wir haben die Website der Cheltenham-Universität vor uns. Sie lädt die Fotos der Studenten hoch.

»Wenn du Miss Perrys Gesicht in der Zeitung wiedererkannt hast, solltest du dich auch an ihren Begleiter erinnern.« Rosy zeigt auf das Bild eines verwegen dreinschauenden Burschen mit langem Haar. »Der vielleicht?«

»Der sieht aus wie Che Guevara.«

»Das ist James Ogilvy.«

»An den könnte ich mich erinnern. Nein, der junge Mann war schmal, irgendwie fein. Er könnte Künstler gewesen sein.« Auf ihren erstaunten Blick sage ich: »Das ist meine Art, mich zu erinnern, in Bildern, Assoziationen.« Müde lümmle ich vor dem Monitor.

»Wenn er eine Pflanze wäre, wie würdest du ihn beschreiben?«

Das bewundere ich an Rosy. Sie redet mit jedem in seiner eigenen Sprache. Bei mir ist es die Sprache der Pflanzen.

»Als Moos«, antworte ich. »Erdnah, unauffällig, fein gewoben, sein Äußeres ist unregelmäßig gezähnt.«

»Präziser könnte man jemanden kaum beschreiben.« Sie lächelt mit diesen reizenden Falten in den Augenwinkeln. »Unregelmäßig gezähnt – trug er einen Bart?«

»Ich glaube.« Ich ziehe ihre Hand an meine Wange. »Moose sind vorwiegend monözisch.«

»Was heißt das?«

»Selbstbefruchtend, sie können sich nicht sexuell vermehren. Diesen Eindruck machte der Mann auf mich.«

»Nun hör aber auf. Du hast einen flüchtigen Blick auf ihn geworfen.«

»Ich meine, er hat die junge Frau nicht überschwänglich umarmt oder geküsst. Als sie zu ihm trat, schaute er über sie hinweg und hakte sie unter. Nebeneinander gingen sie die Straße hinunter. Er kam mir nicht wie ihr Freund vor, eher wie ein Bruder.«

»Leider hatte Miss Perry keinen Bruder.« Rosy beugt sich zu mir. Ein zarter Zwiebelgeruch weht mich an. »Genug von ihr. Was ist mit deinem Lorbeer los?«

Rosy wäre nicht Rosy, wenn sie sich nach vollzogenem Verhör nicht auch meinem Problem widmen würde.

»Danke, Rosy.« Ich küsse ihre Fingerspitzen.

Bis jetzt haben wir über ein Drama unter Menschen gesprochen, im Reich der Pflanzen findet auch eine Tragödie statt. Im Lorbeer wütet der Tod.

»Ich glaube, mein Killer ist eine Abart der Napfschildlaus. Ich habe in Merediaths Standardwerk keine andere Spezies gefunden, bei der so viele Merkmale übereinstimmen.«

»Hast du gecheckt, ob in letzter Zeit ein neuer Schädling bei uns eingeschleppt wurde?«

»Wieso?«

»Du bist als Gärtner ein Ass. Ich kenne keinen, der dir das Wasser reicht. Ich behaupte sogar, du musst im früheren Leben eine Pflanze gewesen sein. Wenn du nicht weißt, was für ein Vieh über deine Lorbeerblätter herfällt, wer dann?«

»Eine neue Spezies«, flüstere ich fasziniert.

»Können wir das im Bett besprechen? Ich bin todmüde.« Sie streift den Morgenmantel ab. Rosy trägt grüne Unterwäsche. Sie läuft voraus. Die geliebte Rundung, mit der ihre Hüfte in den Po übergeht.

»Rosy?«

»Ja?«

»Du bist nicht monözisch.« Ich folge ihr.

»Du bist darauf angewiesen, dich sexuell zu vermehren.«

»Du meinst –?«

»Ist die Zeit nicht immer noch günstig für unser Projekt?« Ich umarme sie.

»Es war ein langer Tag. Ich bin erledigt.«

»Lass mich nur machen.« Meine Klamotten sind so weit, dass ich sie nur fallen zu lassen brauche. Rosy ist die Erste im Bett, ich will zu ihr schlüpfen.

»Stop. Wo bleibt mein Neandertaler?«

Wir zwei haben ein albernes Ritual. Bevor ich zu ihr darf, muss ich den Urwaldmenschen spielen.

»Na schön.« Seufzend hebe ich die Arme, präsentiere meine Muskeln, ziehe den Bauch ein und gröle. Der adelige Tarzan bringt Rosy zum Lachen. Jetzt darf ich unter die Decke. Wir kuscheln uns aneinander, liegen einfach nur so da.

»Die Napfschildlaus hat keine Flügel.« Ich küsse Rosys Hals. »Sie überzieht Blätter und Äste des Lorbeers mit einer wachsartigen Wolle. Dabei scheidet sie Kot aus, der auf den Ästen haftet und die Sonnenstrahlen abhält.«

»Faszinierend.« Sie erwidert meine Küsse. »Jetzt halt die Klappe.«

Im Dunklen sind Rosys Augen auf mich gerichtet. Ich erkenne die Silhouette ihres Haares, der Arme, die sie auf meine Schultern stützt. Nach einer Weile geschieht etwas, das wir länger nicht mehr erlebt haben. Wir verlieren uns. Ich schalte meine Gedanken an die Napfschildlaus aus, Rosy scheint den tieferen Sinn unserer Übung zu vergessen. Die Nacht bedeckt uns. Wir sind nicht länger ein friedliches Pärchen, wir sind zwei Tiere, die sich paaren. Wollüstig treiben wir dahin. Als ich schneller keuche, presst mich Rosy eisern an sich. Sie hat es nicht vergessen, sie verbindet das Angenehme mit dem Praktischen.

Danach liegen wir beisammen und lauschen, wie unser Atem sich beruhigt.

»Ich liebe dich, Arthur.«

»Ich liebe dich, meine Schwertlilie.« Ich lecke das Salz von ihrem Hals.

»Hat das Biest denn keine natürlichen Feinde?« Sie kuschelt sich in meinen Arm.

»Feinde, was?«

»Dein Killer.«

Ich hatte die Schildlaus fast vergessen. »Doch. Marienkäfer und Schlüpfwespen. Aber bei der Katastrophe im Lorbeer bräuchte ich Heerscharen von Marienkäfern. Ein einziges Weibchen der Napfschildlaus legt bis zu 3000 Eier.«

»Beneidenswert.« Rosy gähnt.

»Wann musst du morgen raus?«

»Wie gewöhnlich.«

»Könntest du einen Blick in den Garten werfen, bevor du fährst?«

»Na klar.«

»Ich fürchte, der Killer treibt mich schon im Morgengrauen aus dem Bett.«

»Mich meiner auch.« Rosy küsst mich.

Ich schaue an die Decke. Trotz Dunkelheit zeichnet sich der tragende Balken ab. »Als Erstes setze ich die Brennnesseljauche an. Leider werde ich die Ameisen auch vernichten müssen. Die verschleppen sonst die jungen Läuse auf andere Gewächse.«

Rosemarys gleichmäßige Atemzüge machen mir klar, dass ich mit mir selbst spreche.