20

 

 

Nach dem ersten aufflackernden Begreifen der schrecklichen Vereinbarung, die zwischen den Shanks und Katakis abgeschlossen worden war, stand in meinem Bewußtsein ein Gedanke an erster Stelle: Ich durfte den arroganten und unbarmherzigen Bastard von einem Peitschenschwanz nicht töten.

Wenn ein Sklave einen Aufseher tötete, war die Vergeltung so entsetzlich, daß alles zuvor Erlittene zur Bedeutungslosigkeit verblaßte.

Seine Peitsche zog mich zu ihm hin. Er war ein großer Bursche, mit einem Kettenhemd bekleidet; lebensstrotzend und bullig, stand er gut im Fleisch. Sein verzerrtes Katakigesicht mit den vorstehenden Zähnen und den dunklen Augen blickte auf mich herab.

»Bei Koskei mit dem Dolchtragenden Schwanz! Ein Trick, der keinen grünen Jungen täuschen würde! Komm her, du Cramph, ich werde dich auspeitschen!«

Er rechnete damit, daß ich versuchte, mich ihm entgegenzustemmen, mich von ihm zu entfernen. Statt dessen drängte ich mich nach vorn, in die Peitschenschnur hinein. Mit der linken Hand befreite ich mich von ihr. Mit der rechten Faust umschloß ich seinen Schwanz genau über der Stelle, an der der Dolchgriff mit Lederbändern und polierten Messingschnallen festgemacht war. Ich riß dran und stieß ihn sofort vor.

Jetzt tobte er vor rasendem Zorn.

Schnell mußte ich einem Schlag seiner behandschuhten Faust ausweichen. Jetzt trat ich zu, da ich mich im richtigen Gleichgewicht befand. Gleichzeitig zwang ich den Schwanz in Richtung seines Leibes. Ich trat ordentlich und hart zu, dorthin wo es weh tut, genau zwischen Wind und Wasser.

Meine Zehen sind hart. Ich spürte den weichen Aufprall, und er wurde von der Wucht in die Höhe gehoben. Er war im Begriff, sich zusammenzukrümmen, als meine linke Faust über den schmalen Katakikiefer fuhr. Er stürzte zu Boden, und sein Schwanz fiel zur Seite.

Ein Tumult folgte; Sklaven schrien in Todesangst, darunter mischten sich die heiseren und wütenden Schreie weiterer Kataki-Aufseher.

Ein schneller Blick an den Schatten und der Sklavenreihe vorbei zeigte mir sich nähernde Wachen, die ihre Peitschen wirbeln ließen, während die vermischten Sonnen sich funkelnd auf ihren stählernen Schwanzspitzen spiegelten. Zeit zum Rückzug.

Imjim der Randell war verschwunden; zusammen mit seinem Sack Garsunmehl eilte er zu einer unserer geheimen Vorratsstellen. Bargard der Pellin stand in einer dunklen Ecke, auf seinem wilden Brokelshgesicht zeigte sich eine Mischung aus Angst und Überraschung. Der Sandsack ruhte immer noch auf seinen Schultern.

»Laß den Sack fallen, Bargard! Lauf!«

Der Sack landete auf dem Ziegelfußboden, und der Brokelsh verschwand wie ein von Hunden aufgeschreckter Hirsch. Ich eilte hinter ihm her, um die Ecke des Lagerhauses in die stinkende Gasse dahinter. In der Quermauer am Ende gab es ein bestimmtes Loch, und Bargard warf sich hinein – und hindurch. Ich folgte ihm und büßte dabei am Ellenbogen ein Stück Haut ein.

Der Lärm hinter uns ließ nach. Wir waren jetzt in einem finsteren Durchgang, der an der zweiten Mauer vorbei zur Straße des Meeres führte. Der Schein der Sonnen funkelte rot und grün auf den Fischschuppen und Knochen, die das Straßenpflaster bedeckten, und ein paar Sklaven waren damit beschäftigt, Fässer in das sich hier befindliche Lagerhaus zu schaffen. Wir mußten sie erreichen und uns unter sie mischen, einfach zu zwei weiteren Fischen unter anderen werden.

Als wir langsamer wurden und ein halbes Dutzend fässertragende Sklaven hinter uns gelassen hatten, kam die nächste Wache vor uns in Sicht. Ich atmete tief aus. Es waren alles Shanks.

Die Shanks konnten wir überlisten; wir konnten auch die Katakis überlisten, wenn das Glück des fünfhändigen Eos-Bakchi auf unserer Seite stand, ansonsten – niemals!

An diesem Abend hielten wir eine Notversammlung der Freiheitskämpfer von Taranjin ab.

Es waren die Leute anwesend, die Sie schon kennen, dazu kamen einige Neulinge, die der Erfolg unserer Gruppe angezogen hatte. Jeder machte ein langes Gesicht. Die Stimmung war düster. Es brauchte nur wenig gesagt zu werden, da wir alle das Problem verstanden, dem wir gegenüberstanden. Dieses Problem hatte sich tausendfach verstärkt. Katakis waren Menschenverwalter und wußten nur zu gut, wie man mit Sklaven umgehen mußte.

»Trotzdem müssen wir irgendwie weitermachen«, sagte ich.

Bargard wollte wissen, wann die vielgerühmte Armada zu unserer Rettung eintreffen und die Freiheitskämpfer auf dem Land zu uns stoßen würden.

Da ich in letzter Zeit mit Deb-Lu keinen Kontakt über die unheimlichen Zwischenwelten gehabt hatte, konnte ich ihm keine genaue Auskunft geben. Ich gab die gewohnheitsmäßige Antwort, versprach das Eintreffen der Armada, und sah, daß ihr Selbstvertrauen und ihr Glaube abnahmen.

Wir saßen zusammengezwängt in einer kleinen Schlammsteinhütte, die von Meister Chan Tang Lui bewohnt wurde. Hier gab es kein Licht, und nur der Schein der Jungfrau mit dem Vielfältigen Lächeln fiel auf unsere besorgten und kläglichen Gesichter. Aber auch so spürten die Kataki uns bei unserer geheimen Versammlung auf. Sie hätten uns alle erwischt, wären wir nicht durch ein vorbereitetes Schlupfloch in die Dunkelheit entwischt. Es wurde eine knappe Sache. Und all das ereignete sich gleich am ersten Tag nach der Ankunft der Peitschenschwänze!

Ein paar Tage später, als die Shanks mit keiner Methode mehr überlistet werden konnten, mußte ich mich mit der Tatsache abfinden! Unser Widerstand gegen die Invasion der Shanks war zusammengebrochen.

Etwa im Laufe der folgenden Sennacht wurden alle unseren schlau ausgedachten Gaunerstücke von den Katakis aufgedeckt. Die Bastarde waren Experten, wenn es darum ging, Komplotte aufzuspüren, die sich verzweifelte Sklaven ausgedacht hatten. Die durchgängige Mauer entdeckten sie allerdings nicht. Aber es erwies sich, daß sich daraus unangenehme Folgen ergaben. Die meisten Freiheitskämpfer hatten nämlich jetzt zuviel Angst, sie zu benutzen. Ich betrat das Lagerhaus und besorgte ein Faß mit in Öl eingelegten Fischen, aber allein war das schwere Arbeit. Mit dem Fisch als Köder versuchte ich, einige der Freiheitskämpfer wieder für die Sache zu gewinnen; es waren nur wenige interessiert.

In ihrer überlegenen Klugheit erhöhten die Katakis einige Rationen, die an Sklaven ausgeteilt wurden. Das half, die Bereitschaft der Sklaven zu vermindern, die schrecklichen Bestrafungen zu riskieren, die diejenigen erlitten, die man beim Stehlen erwischte.

Die kleine Werkstatt, in der Meister Palandi der Iarvin seine Brandsätze herstellte, wurde von den Peitschenschwänzen nicht aufgespürt. Er gab mir sechs Zünder und erklärte, daß er nicht weitermachen wolle. Seine Furcht war völlig verständlich. Ich hatte sechs Stück; ich bedrängte ihn nicht weiter.

Der Mechanismus dieser Exemplare basierte auf Säure, die sich durch eine Membran fraß, um die gespannte Schnur auszulösen. Wenigstens war auf die Weise der kleine Nachteil der Exemplare mit den Fischköpfen beseitigt, auch wenn ich davon überzeugt war, daß die Shanks den Geruch von frischem Fisch inmitten des Miasmas aus verfaultem Fisch, in dem wir alle lebten, nicht bemerkten.

Die Zukunft stellte sich in düsterem Licht dar. Wenn ich keinen großen Kreuzzug der Freiheitskämpfer anführen konnte, mußte ich allein sehen, was ich tun konnte, um die Macht der Shanks anzukratzen. Folgerichtig verschaffte ich mir durch Shan-lao Ortyghan eine Stellung als Nik- oder Shal-Waffenschmied eines Fisch-Führers. Er war uns Sklaven als Lord bekannt, und nur so wurde er auch von uns angesprochen. Die Rivalität zwischen den Shankbefehlshabern, sich der Dienste der am besten ausgebildeten pazianischen Sklaven zu versichern, brachte uns einen Vorteil. Ich wurde als Hilfs-Waffenschmied angenommen, und meine Arbeit bestand hauptsächlich darin, Waffen und Rüstungen zu säubern. Ich fand mich inmitten der Ausrüstungsgegenstände für Kampf und Krieg wieder. Zusätzlich hatte mich der Shank-Lord durch einen Kataki-Aufseher an Bord seines fliegenden Schiffes bringen lassen, damit ich dort putzen und polieren sollte. Nun, also wenn Dray Prescot aus dieser Situation nichts zu machen wußte, und keinen Plan schmiedete, der für die Fischgesichter äußerst unangenehm werden sollte, dann verdiente er es nicht, Herrscher aller Herrscher, Herrscher von Paz zu sein, nein, bei Zim-Zair!

In der kleinen schmuddeligen Segeltuchtasche, in der ich meine Säuberungsausrüstung verstaute, ruhten die sechs Flammeneier, wie Palandi sie nannte, da sie Feuer ausbrüteten. Die Säuberungsausrüstung – es klingt schon großartig – bestand aus Ziegelstaub, Öl und Lumpen. Spucke war die andere wichtige Zutat. Damit säuberte ich die Kampfausrüstungen.

Das Metall, das wir zur Seite gebracht hatten, damit Shan-lao ein Schwert schmieden konnte, reichte nicht aus. Jetzt war ich von Waffen umgeben! Die Shanks waren vielleicht bösartige und gnadenlose Mörder; bei der Überwachung ihrer Sklaven waren sie nachlässig. Die Katakis aber nicht, und vor der Tür der Waffenkammer stand die ganze Zeit eine Wache, wenn Sklaven sich in der Nähe der Waffen befanden. Die Tür war von außen verschlossen. Ich spuckte und polierte.

Das war eine Zeitspanne, in der ich eine Menge über die fliegenden Schiffe der Shanks und die Waffen der Fischgesichter lernte.

Eines Tages ergab es sich aus Zufall, daß mein Sklavenkamerad, ein kleiner Och, Onso die Mücke, Bauchschmerzen hatte und daher fehlte. Ich war allein. Ich säuberte und polierte emsig. Dann, in einer heftigen Aufwallung aus Verlangen und Verzweiflung, überkam mich die Versuchung, eine der Waffen zu nehmen und zu verstecken.

Dieser Versuchung mußte widerstanden werden. Das alte Sprichwort: »Ich kann allem widerstehen, nur nicht der Versuchung« mußte widerlegt werden. Die Katakis schlossen zwar unsere Ketten auf, wenn wir uns an Bord der fliegenden Schiffe aufhielten – trotzdem blieben sie Sklaventreiber. Ein einzelnes fehlendes Schwert würde sofort auffallen, wenn der Sklavenaufseher den Bestand zählte. Und dann – ich verspürte kein Bedürfnis, über dieses besondere Dann nachzudenken.

Gerade als ich zu dieser nüchternen Schlußfolgerung kam, öffnete sich die Tür der Waffenkammer und zwei Jibrfarils standen da; die schwarzen herabbaumelnden Peitschen bildeten einen grotesken Gegensatz zu ihren dolchbewehrten Schwänzen. Sie strahlten etwas Bedrohliches aus.

»Du, Apim«, sagte der eine durch seine vorstehenden Zähne. »Nimm dein Putzzeug. Du gehst mit uns.«

Mit der baumelnden Putztasche an der Hand ging ich mit ihnen nach draußen. Was genau war schiefgelaufen?

Die Waffenkammer lag unter dem Topdeck des Hinterkastells, und wir gingen nach vorn. Ich sah mich auf dem Flaggschiff um. Es war eins der neueren großen Fahrzeuge, deren Rümpfe mit Platten abgedeckt waren, und entlang des Steuerbordschanzkleid zählte ich die Kolben von zehn Vartern. Diese Wurfgeschütze beeindruckten mich, da sie der anderen Shankartillerie, die ich zu Gesicht bekommen hatten, weit überlegen waren; die hatte in keiner Weise an die Qualität der Gros-Varter Vallias herangereicht. Das Schiff verfügte über zwei Kampftürme und einen hochgezogenen gepanzerten Befehlsturm. Das Deck war – für einen Kapitänleutnant eines Vierundsiebzig-Kanonen-Schiffes der Royal Navy – absolut dreckig.

Vorn, auf dem Vorkastell, drohten vier weitere kleinere Wurfgeschütze und ein Paar Katapulte. Das hier war Offiziersgebiet, und ich wurde durch eine mit Messing verzierte Tür geschubst. Die Kabine war mit Mineralöllampen hell erleuchtet. Eine Luke wurde von einem halb zurückgezogenem Vorhang teilweise verdeckt. Der Geruch von Öl und Poliermitteln drang durch den allgegenwärtigen, nicht mehr auffälligen Fischgestank in meine Nase. Ich sah mich um.

Als der Kataki erklärte, warum ich hier war, atmete ich etwas leichter.

Der Lord wollte etwas Persönliches geputzt haben. Wie viele Krieger unterhielt er ein Trophäenzimmer, eine Exzentrizität barbarischen Stolzes, nur für jene lachhaft, die nicht in den persönlichen Siegen der Vergangenheit schwelgen. Das ist mein privater Standpunkt; es ist wichtig, daß Soldaten wissen und schätzen, was ihr Regiment in der Vergangenheit geleistet hat, damit sie die Traditionen von Pflicht, Ehre und Tapferkeit fortführen können.

Ziemlich spontan dachte ich an andere Trophäenzimmer, die ich gesehen hatte, und besonders an das von Gafard, dem Königskämpfer, See-Zhantil. An Bord eines grünen Seglers aus Magdag hatte er einen Trophäenraum eingerichtet, damit er den Besitz bestimmter persönlicher Dinge eines bestimmten Krozairs behalten konnte, der ebenfalls als See-Zhantil bekannt war.

Zu dieser Zeit hatte ich durchschaut, was die Rangabzeichen der Shanks bedeuteten, und das Fischgesicht, daß ich als Schiffs-Deldar einstufte, redete auf eine sehr unterwürfige Art und Weise zu dem Lord. Ich muß ihre Unterhaltung in einfacher, ungeschmückter Prosa wiedergeben, da das Anhören ihrer seltsamen, platschenden, schnalzenden fischartigen Sprache ein äußerst unangenehmes, um nicht zu sagen unheimliches Gefühl in jedem Pazianer hervorruft.

»Und du garantierst persönlich für die Sicherheit hier?« verlangte der Lord zu wissen.

»Absolut, mein Lord. Die Sklaven fürchten die Katakis. Sie nennen sie Greeshes, oder Jibrfarils.«*

Als die pazischen Wörter aus dem Fischgerede hervorschnalzten, versteiften sich die Katakis und ihre dolchbewehrten Schwänze schossen nach oben. Sie ärgerten sich darüber, und sie konnten nicht anders, als es zu zeigen. Ich bemerkte, daß zwischen Dienstherren und Untergebenen keine Zuneigung herrschte, trotz des teuflischen Vertrags zwischen Shank und Kataki.

»Stelle ständig zwei als Wache ab.«

»Ja, Lord.«

Damit befreiten die Shanks uns von ihrer widerlichen Gegenwart. Ich sah mich um. Die Katakis gingen zu einem kleinen Tisch, der neben einem Innenschott stand, und nahmen zu einem merkwürdigen Spiel Platz, bei dem sie ihre Schwanzdolche gegeneinander schlugen. Einer von ihnen grollte: »Grak, Sklave!«

Ich holte mein Putzzeug hervor und machte mich an die Arbeit. Die Trophäen standen in Glasschränken, verziert mit Muscheln, Fischen und Tintenfischmotiven. Viele der Stücke stammten aus Kämpfen zwischen Shank und Schtarkin, soweit ich erkennen konnte, und zwischen Schturgin und Shant. Zu meinem Kummer waren auch viel zu viele Stücke darunter, die von Soldaten und Seeleuten aus Paz stammten. Ich erkannte einige Wappen. Zwei Schilde der Eisernen Legion Hamals, ein zerrissener und blutiger Lanzenwimpel Hyrklanas, ein Helm und ein Kettenhemd aus den Ländern des Sonnenuntergangs, ein Wagenrad voller Schwerter aus vielen der um das Verschleierte Meer gelegenen Nationen, eine starke Armbrust, die einst einem Swod aus einem Canopsregiment gehört hatte. Ich entdeckte auch die Hälfte einer vallianischen Flagge, die voller Pracht abgesondert in einem Schrank hing. Der Tresh war sorgfältig gesäubert worden, und was übriggeblieben war, versetzte meinem Herz einen Stoß. Die Regimentszahlen fehlten; ich vermutete, daß sie einem Regiment Grünröcke gehört hatte, vallianischen Speerträgern, die in der Schlacht der aufrührerischen Vosks beinahe ausgelöscht worden wären.

Als ich dann sah, was man sorgfältig in einen eigenen Glaskasten aufgehängt hatte, erstarrte ich.

Nun, sie entfernen sich nicht oft vom Auge der Welt. Ein Krozair ging während seines Lebens nur ein- oder zweimal auf Wanderschaft. Sie wurden vielleicht von der Wanderlust gepackt, die Zair in seiner Weisheit schickte, dann gingen ein paar Gefährten an längeren Küsten auf die Suche nach Abenteuern und Glück. Soweit ich auf dem neuesten Stand der Ereignisse war, waren die Fischgesichter nicht bis Turismonds Binnenmeer vorgestoßen. Die scharlachroten und bronzefarbenen Ausrüstungsgegenstände, das große Krozair-Langschwert, waren von einem Krozairbruder getragen worden, der in einer zum Scheitern verurteilten Sache gegen die Shanks gekämpft hatte.

Als ich die Krozairausrüstung herausholte, um sie mit der zehnfachen Sorgfalt zu reinigen, hielt ich das Schwert ehrfurchtsvoll in Händen. Mir fiel auf, daß ich zitterte. Sofort sagte ich mir ernsthaft und mit leidenschaftlicher Verachtung, daß ich mich an die Realitäten halten mußte. Schwerter sind lediglich eine Metallmasse, die in eine bestimmte Form geschmiedet wird, damit man mit ihnen eine unangenehme Arbeit erledigen kann. Ein Stück Metall, das zu einem Pflug geschmiedet wird, ist von unendlich größerem Wert, außer – außer unter bestimmten Umständen. Und, bei Zim-Zair, die besonderen Umstände hatten mich mein Leben lang verfolgt!

Mir kam der makabere Gedanke, daß das das Werk der Herren der Sterne gewesen war. Nach unserem letzten Treffen würden sie sicherlich dafür sorgen, daß mir irgendeine Hilfe zuteil wurde. Auch war es etwas Neues, daß ich eine Audienz bei den Everoinye eher als Treffen denn als Konfrontation ansah. Die Vorstellung, daß sie mir das Krozair-Langschwert als Hilfe zukommen ließen, war zwar phantastisch, aber nicht unwahrscheinlich.

Das Langschwert hatte einem Krozair von Zamu gehört. Ich konnte die geheimen Zeichen ohne Schwierigkeiten lesen. Es war perfekt ausbalanciert – nun, dies ist allerdings eine überflüssige Bemerkung, da die perfekte Ausgewogenheit ein Rezept für die Herstellung des prächtigen Krozair-Langschwertes ist.

»Vorsicht damit, Shint«, stieß der Kataki mit den blauen Kultnarben auf den Wangen hervor.

Sein Gefährte fauchte höhnisch: »Das große Stück Eisen? Das ist nutzlos. Bei Takroti! Ich verstehe nicht, warum dieser Kiko von einem Shant-Lord das blöde Ding verwahrt.«

»Was er sich nimmt, behält er.«

»Aye.«

Ich säuberte also die Trophäen des Shant-Lords. Die letzte war ein neben der Tür befindlicher Stux, ein schwerer Wurfspieß, der am Übergang von Schaft zum Kopf mit roten Federn verziert war. Dann war ich fertig und wurde nach draußen gedrängt.

Als sie mich wieder angekettet hatten, warf man mir zur Belohnung irgend etwas Häßliches aus dem Abfall einer Shandishalah-Bude zu, die den Fischereikai säumten.

Da ich mich dazu entschlossen hatte, einen wirkungsvolleren Schlag als dieses verlegene Herumtappen auszuführen, ließ ich mich von Shan-lao wieder bei einer Sklavenarbeit unterbringen. Ich belieferte die Flotte mit Kästen voller Pfeile. Ich hatte den Eindruck gewonnen, daß man hier nur schwer an Fässer kam, da es nur wenige Böttcher gab, und man benutzte nicht das englische System, um Pfeile in Fässern zu verstauen. Also fuhr ich unter den aufmerksamen Blicken der Wachen einen quietschenden, vierrädrigen Karren, der von zwei Myztern gezogen wurde, zu dem Feld. Die fliegenden Schiffe der Shanks waren in sauberen Reihen verankert. Ich lieferte die Pfeilkästen mit der richtigen Demutshaltung aus. Sechs der Shankschiffe erhielten einen Kasten, der ein Flammenei enthielt.

Das letzte der sechs Schiffe war das Flaggschiff des Lords.

Als ich wieder an Deck kam, nachdem ich die Kästen hinten im Magazin verstaut hatte, traten meine beiden Kataki-Wachen an mich heran und befahlen mir auf brutale Weise, mich in den Trophäenraum zu scheren. Der Lord wollte, daß seine Trophäen erneut gereinigt wurden. Wie zuvor entfernten sie meine Ketten und setzten sich hin, um sich mit ihrem Schwanzdolchspiel zu beschäftigen. Ich machte mich an die Arbeit, spuckte, nahm den Ziegelstaub und polierte. Ich hatte einen Wetzstein mitgebracht und verpaßte einigen Klingen einen ordentlichen Schliff. Die Katakis brummten dazu lediglich zögernde Zustimmung. Ich verwandte eine Menge Zeit für die Krozair-Fabrikate.

Den scharlachroten Lendenschurz hatte man säubern und plätten lassen – zweifellos von einem weiblichen Sklaven –, und der Gürtel aus Lestenhaut war mit Öl geschmeidig gemacht worden. Die Schwertscheide war von dem bronzenen Ortband gelöst worden. Grundsätzlich gab es zwei Arten von Scheiden für ein Krozair-Langschwert; einmal den verzierten Krosturr-Stil, zu dem diese gehörte, und dann den üppig verzierten Hyrzim-Stil. Allerdings wiesen beide die Zeichnung des Nabenlosen Rades mit Speichen auf.

Draußen entstand ein Tumult. Die beiden Peitschenschwänze nahmen zuerst keine Notiz davon, doch dann erlagen sie der Neugier, gingen zum Schott und starrten hinaus.

Wie ich bereits gesagt habe, ist die Versuchung eine Gebieterin, die einem äußerst schwere Aufgaben stellt.

Mit geschmeidigen und geübten Bewegungen entledigte ich mich des grauen Sklavenlendenschurzes, legte den ansehnlichen alten Scharlachroten an und zog den Gürtel fest. Es fühlte sich gut an!

Ich nahm das große Krozair-Langschwert.

Die Waffe funkelte im Licht, als ich sie herumwirbelte. Ich fühlte mich einfach großartig – die geheimen Disziplinen meiner Bruderschaft, der Krozairs von Zy, verschafften mir Einsichten und Verständnisse, die für einen Nicht-Krozair unvorstellbar sind.

Die Realität sah natürlich so aus, daß ich ein Sklave war, der ein Schauspiel darbot.

Der Aufruhr draußen war mittlerweile beträchtlich angewachsen. Schreie gellten durch die Luft. Neugierig ging ich zur Luke und sah hinaus.

Ein Schiff mit schwarzem Rumpf war vor kurzem gelandet, und aus ihm taumelte ein Zug sich voranschleppender, aneinandergeketteter Sklaven, während die Peitschen sich ununterbrochen hoben und niedersausten. Diese Leuten waren offensichtlich erst vor kurzem gefangen worden, da sie normale Kleider trugen und sich noch widersetzten. Ihre Wächter wurden immer gereizter. Staub wurde hochgeschleudert, die Sklaven holten sich rote Striemen, als sie versuchten, sich zu wehren.

Der Shank-Lord stand inmitten der glänzenden geschuppten Rüstungen seiner Offiziere und zeigte auf sie.

»Bringt die Sklaven hier herauf. Sie werden den anderen als Beispiel dienen.« Noch mehr Sklaven und Wachen kamen aus dem Flieger.

Einer seiner Adjutanten, ein Fischgesicht, das ein paar Worte Kregisch konnte, schaffte es, dem Kataki-Chuktar bei der Gruppe die Befehle des Lords mitzuteilen.

Dieser Bursche, groß, mit Eisen gerüstet, der stolz seine Federn zur Schau stellte, protestierte sofort. »Sie sind Handelsware, Lord. Sie können gezüchtigt werden ...«

»Shastum! An Bord ... Alle herbringen, sofort!«

Es gab keinen Widerspruch gegen die Macht, die die Fischköpfe ausübten. Der Kataki-Chuktar gab nach; sein Gesicht war so dunkel wie der Rumpf eines Shankschiffes. Der Lord war ein widerwärtiger Bastard mit einem Dorschgesicht. Er war mit genug Gold beladen, um eine Gold-Argenter in die tiefsten Tiefen der Risshamal-Tiefe sinken zu lassen. Er streckte die Hand aus, und ein Adjutant reichte ihm einen Dreizack.

Das also hatte er vor. Er würde sich die nächsten Murs gründlich vergnügen. Er würde an der Reihe der unglücklichen Sklaven entlanggehen, seinen Dreizack in den Leib eines jeden einzelnen stoßen, ihn rumdrehen und daran zerren. Der dreckige Zustand seines Decks würde ihn dabei nicht im mindesten stören.

Krank vor Verzweiflung und Schreck stand ich da und beobachtete, wie die Reihe schreiender Pazianer an Bord gezerrt wurde. Sie wurden gegen das Schanzkleid gestoßen.

Ich, nicht willens, Zeuge des bevorstehenden Grauens zu werden, wollte mich von der Luke abwenden. Die Pazianer blieben widerspenstig; sie mußten mit Gewalt zurückgestoßen werden. Ich wollte mich abwenden – und verharrte. Meine Fäuste legten sich um das große Krozair-Langschwert und zogen sich zu schmerzenden Klumpen zusammen.

So starrte ich, Dray Prescot, Lord von Strombor und Krozair von Zy, fassungslos auf meine Freunde.

Rollo der Läufer taumelte unter dem Schlag eines Dreizackendes. Sein Gesicht war vor Wut verzerrt, voller Prellungen, geschwärzt, grimmig. Und neben ihm standen Mevancy nal Chardaz, Trylon Kuong und Llodi die Stimme. Der Shank-Lord hob den Dreizack. In wenigen Augenblicken würde ich vier Freunde weniger auf Kregen haben.

Ich stand dort mit einem Kloß im Hals.

Ein großer Held? Eine Legende? Eine sich durch die Luft schwingende Gestalt im scharlachroten Lendenschurz, die ein blitzendes Langschwert schwang? Ich? Ein besiegter Sklave?

Die ganze Leidenschaft und Wut des alten Dray Prescot bahnte sich den Weg an die Oberfläche. Ich war nicht mehr der Dray Prescot der letzten Zeit – von der Vernunft geleitet, stets bemüht, ruhig zu bleiben und gerechte Lösungen mit Hilfe unparteiischer Diskussionen zu erreichen. Jetzt war ich ganz der wütende, unerfahrene Dray Prescot, den es anfangs auf Kregen gegeben hatte, erfüllt von wildem Haß gegen ungerechte Autorität, rachsüchtig gegenüber denjenigen, die mir geschadet hatten.

Selbst als die Leidenschaft mich durchströmte, dankte ich denjenigen – den Herren der Sterne, den Savanti nal Aphrasöe oder einer anderen großen Macht –, die die Waffe in meine Fäuste gelegt hatten, mit der ich mich gegen die Unterdrückung zur Wehr setzen konnte.

Ich bewegte mich mit einer Schnelligkeit, die ich nicht vergessen hatte.

Die beiden Katakis, die vom Schott aus zusahen, wurden mit zwei gezielten Schlägen niedergestreckt.

Ich ergriff den rotgefiederten Stux und sprang an Deck.

Der Shank-Lord hatte einen armen Teufel von einem Mionch entleibt, der schreiend zu Boden stürzte und dabei einen seiner langen Stoßzähne auf dem Deck abbrach. Der Lord nahm den Dreizack für den nächsten Stoß zurück, und die roten Federn des Wurfspießes schmiegten sich hübsch zwischen seine fischartigen Schulterblätter.

Seine Adjutanten und Offiziere stießen Schreie des Erstaunens und der ungläubigen Wut aus, als der Lord umkippte und fiel. Wie ein Mann drehten sie sich in ihren glitzernd geschuppten Rüstungen um, um sich mir entgegenzustellen.

Mevancy, Kuong, Llodi und Rollo starrten mit weit aufgerissenen und ungläubigen Augen.

Die Fischköpfe schrien zornig auf, zückten die Schwerter und schwangen die Dreizacke.

Der Gestank von verfaultem Fisch setzte plötzlich meiner Nase zu, ein Gestank, den ich schon lange nicht mehr bemerkt hatte.

Hier, an dieser Stelle, entdeckte Dray Prescot das größte und letzte Geheimnis.

»Hai Jikai!« Röte breitete sich allmählich aus. »Hai Jikai, ihr mörderischen, folternden Kleeshes von Fischgesichtern! Hai Jikai!«

Das große Krozair-Langschwert lag in dem klugen, beidhändigen Krozair-Griff; der prächtige alte scharlachrote Lendenschurz leuchtete im strahlenden vermischten Licht der Sonnen von Scorpio; und so stürzte ich, Dray Prescot, einer hoffnungslosen Übermacht gegenüberstehend, Hals über Kopf nach vorn.

»Hai Jikai!«

 


* Walfger: Herr, Mister, Monsieur – A. B. A.

* Wr. Abkürzung für Walfger – A. B. A.

* Dwabur: Fünf Meilen – A. B. A.

* Siehe ›Der Schwertkämpfer von Scorpio‹, Dritter Band der Saga von Dray Prescot – A. B. A.

* fluttklepper flick: auf Teufel komm raus – mit sehr hoher und riskanter Geschwindigkeit – A. B. A.

* Schnall deine Schwerthülle enger: Slangausdruck, bedeutet ›Reg dich ab!‹ ›Beruhige dich!‹ – A. B. A.

* Das kregische Wort für Fremder ist Autmoil – A. B. A.

* Dustrectium: Da man auf Kregen kein Schießpulver kennt, wird dieses Wort für Feuerkraft benutzt; bei Bogen, Katapulten, Wurfgeschützen, etc. – A. B. A.

* arme Glahbers: entspricht dem ›armen Teufel‹. Ein Ausdruck des Mitleides – A. B. A.

* Siehe Dray Prescot Band 37, der vierte Band des Zyklus um den Hexenkrieg, ›Der Kriegsherr von Antares‹ – A. B. A.

* Jibrfarils: Schmerzliebhaber, in dem Sinne, daß man sich am Zufügen von Schmerzen erfreut – A. B. A.