19
»Grak! Grak!«
Das hassenswerte Wort schnitt durch die satten Peitschenhiebe und qualvollen Schmerzensschreie. Die allgegenwärtige gedankenlose Grausamkeit hatte viele Menschen in den Wahnsinn getrieben. Die Überlebenden arbeiteten und taten, was ihnen befohlen wurde – und aßen.
Es gibt genug Grausamkeit auf zwei Welten. Ich brauche in meiner Erzählung auf diese Tatsache nicht einzugehen, es ist nicht nötig, den Katalog des Schreckens unaufgefordert zu vergrößern, den die arme, leidende Menschheit durchmachen muß.
Wenn man zwei nackte Frauen gesehen hat, beides Mütter kleiner Säuglinge, die wegen eines verfaulten Fischkopfes in der Gosse kämpfen, einander kratzen, würgen, beißen; dann, mein Freund, spricht man nicht leichtfertig vom Entsetzen.
Die Shank-Aufseher waren offensichtlich aus jenen Fischgesichtern ausgewählt worden, die mit ein paar drohenden Gebärden und dem Gebrauch einiger kregischer Befehle die Sklaven unter Kontrolle halten und ihnen Arbeit zuweisen konnten. Nahrung war der beherrschende Faktor, von dem jedermann besessen war. Um eine Bevölkerung so zu beeinflussen, daß sie tut, was man von ihr verlangt, muß man sie nach diesem Plan als erstes schwächen, damit ein Aufstand zum Scheitern verurteilt ist, bevor er richtig ausbricht. Dann muß man sie halb verhungert halten und abhängig machen, damit sie schuften, bis man ihnen einen Bissen zwischen die Lippen schiebt.
Es gab tatsächlich viele – und ich habe sie gesehen –, die sich einfach weigerten, sich mit der Situation abzufinden; die sich weigerten, zu arbeiten. Sie verhungerten, wenn sie nicht zuvor mit einem Shank-Dreizack in den Eingeweiden zu den Eisgletschern von Sicce geschickt wurden.
Übte man in jenen Tagen in Taranjin ein Handwerk aus, war es wie ein Passierschein durch die Hölle zum Leben.
Und trotzdem wurde Lao-Chan der Stab kurzerhand getötet, weil er einen Langbogen zuviel herstellte, mit dem man nicht geradeaus schießen konnte.
Was unser Kamerad Moglin der Pfeil, der Fristle-Bogenschütze gesagt hatte, erwies sich als wahr. Als ich eines Tages ein Bündel Bogenstäbe auslieferte, erhaschte ich einen Blick auf eine Abteilung Fischgesichter, die versuchte, ihre Langbogen einzuschießen. Sie machten ein trauriges Schauspiel daraus. Pfeile steckten in der Holzwand am anderen Ende des Schießstandes, doch recht wenige steckten in den Strohzielscheiben. Ich verhielt mich so still wie ein Woflo, lieferte die Stäbe ab und machte mich aus der Kaserne davon. Das Gebäude war einst der stolze Palast eines Riffim-Edelmannes gewesen.
Wie ich mich erinnere, war dies mein Tagwerk gewesen, als ich Brokelsh Bargrad den Pellin, Fristle Foke den Clis und Apim Nath den Rumpador benachrichtigte, daß in meiner engen Hütte ein Treffen stattfand. Auf diese drei setzte ich die größte Hoffnung.
Ich erzählte ihnen, daß die Armada unterwegs war. Ich mußte dafür sorgen, daß man den Freiheitskämpfern außerhalb Taranjins ein Signal übermitteln konnte. An Dem Tag, sagte ich, am Tag der Befreiung mußten wir zuschlagen.
»Das Volk wird sich nicht erheben«, sagte der Brokelsh auf seine derbe Art. Sein schwarzes, borstiges Körperhaar sah grau aus. »Ihr Ib ist gebrochen.«
»Das mag schon sein. Aber die Shanks sind keine Pazianer. Wir haben bereits Methoden entdeckt, mit denen man sie überlisten kann. Wenn man zeigt, daß sie fehlbar sind, schöpft das Volk neuen Mut.« Ich hieb mir mit der Faust aufs Knie. »Sie müssen es!«
»Ja«, fauchte der Fristle. »Wir überlisten sie und stehlen Nahrung aus den Lagerhäusern. Aber das müssen wir teuer bezahlen.«
Ich sagte: »Ein schönes Feuer müßte helfen.«
»Verbrenn die Shints zu Schutt und Asche.« Nath der Rumpador strich sich über den angeschwollenen Kiefer, wo das stumpfe Ende eines Shank-Dreizacks ihn getroffen hatte. »Ja, das gefällt mir!«
Wir redeten und diskutierten und beschlossen schließlich, bestimmte Kasernen niederzubrennen, die eine Kompanie besonders unangenehmer Schtarkins beherbergte.
»Es muß wie ein Unfall aussehen.« Ich klang bedrückt und müde. »Wenn die Rasts auf den Verdacht kommen, das es sich um Brandstiftung und Sabotage handelt ...«
»Die Vergeltung wird furchtbar sein«, nickte Nath der Rumpador.
»Wir werden es schaffen«, knurrte Bargrad der Pellin. »Ich werde den alten Palandi den Iarvin dazu bringen, daß er einen Apparat herstellt. Er ist ein heimtückischer Khibil, sehr von sich überzeugt ...«
»Und sehr geschwächt, sehr geschwächt«, sagte Foke der Clis.
»Sein Ib ist gebrochen«, bestätigte der Brokelsh, »aber ich werde mit ihm reden.«
Nachdem das geregelt war, holte ich einen halben Laib Brot hervor, der nur ein wenig schimmelig war, und teilte ihn auf. Ich hatte ihn von einem vorbeifahrenden Wagen gestohlen.
Nun, wir brannten die Kaserne nieder.
Es folgte ein großes Durcheinander, aber die Brandursache wurde auf einen Unfall zurückgeführt. An den drei folgenden Tagen regnete es stark. Eine Sennacht lang legten wir kein Feuer mehr, dann brannten wir eine Schmiede nieder, in der Pfeilspitzen hergestellt wurden. Auch das wurde einem Zufall zugeschrieben, in Anbetracht der Gefahr eines Feuers an einem solchen Ort.
Da die Shanks die Angehörigen einer Rasse Apims oder Diffs nicht auseinanderhalten konnten, gelang es uns, ein paar Pläne auszuarbeiten, die in jeder anderen Umgebung nicht durchführbar gewesen wären. Ich verschaffte mir Zugang zu einer Arbeitergruppe, indem ich die Stelle eines anderen einnahm. Die Shanks zählten einfach nach, wie viele von uns sich in einer Gruppe befanden, und überprüften diese Anzahl immer wieder. So konnten meine Gefährten und ich uns in Taranjin relativ frei bewegen. Wir mußten die Botschaft weiterleiten und verbreiten, daß Der Tag nahte. Und daß alle bereit waren.
Durch diese Methode bot sich mir auch die Gelegenheit, die Stärke der Shanks in Erfahrung zu bringen. Sie waren ungeheuer stark. Sie waren ganz eindeutig der Brückenkopf für einen Angriff. Die in Taranjin konzentrierten Truppen waren aber nicht so zahlreich, daß sie einem gemeinsam ausgeführten Überfall widerstehen konnten; sogar nur ein kleiner Teil der Truppen, die wir auftreiben konnten, hätte ihn durchführen können. Das Problem lag darin, die Truppen zusammenzubringen.
Als es mir gelungen war, einer Gruppe von Apim-Waffenschmieden beizutreten, hatte ich den Plan in meinem Kopf ziemlich genau ausgearbeitet. Shan-lao Ortyghan mißfiel meine Anwesenheit zuerst. Er leitete die Werkstatt und war sich darüber im klaren, daß er, wenn er nicht das herstellte, was die Shanks brauchten, nichts zu essen bekommen oder von einem Dreizack durchbohrt werden würde. Er war ein dicker Apim, dessen früher prächtig hervorquellender Leib eingefallen war.
Er hatte die Fertigkeiten Naghans des Hammers verloren, und bevor er mich als Ersatz akzeptierte, mußte ich ihn davon überzeugen, daß ich ein fähiger Waffenschmied war, der sich auf allen Gebieten dieser schwierigen Wissenschaft auskannte. Dann wurde er etwas freundlicher.
Als ich sagte, daß ich ein Schwert brauchte, wandte er sich einfach ab.
Als ich nicht locker ließ, sagte er: »Die Shanks können zählen.«
»Also stehlen wir hier und dort ein bißchen Metall. Du, Shan-lao Ortyghan, wirst mir genug gutes Metall besorgen, damit ich ein Schwert schmieden kann, das die Fischgesichter nicht vermissen werden.«
Ich will nicht alle Einzelheiten schildern, die dazu nötig waren, Shan-lao Ortyghan den Waffenschmied zu überzeugen. Es genügt, daß er brummte: »Nun gut, Prinz Chaadur, wir werden das Metall für dich stehlen. Und möge der Wahre Trog unsere Bemühungen segnen. Denn wenn wir erwischt werden ...«
»Das wird nicht passieren. Man kann die Shanks überlisten. Haben wir es nicht bewiesen?«
»Aye.« Das mußte er widerstrebend zugeben. Wir konnten die Fischköpfe tatsächlich beschwindeln. Es war riskant, aber zu dieser Zeit war es unsere einzige Waffe.
An einem grauen, windigen und regnerischen Tag, an dem sich dunkle Wolken auftürmten, trafen vom Meer her weitere fliegende Schiffe der Shanks zur Verstärkung ein. Wir zählten die Schwadronen. Es waren fünf, die aus je dreizehn Schiffen bestanden. Die Schiffe waren wieder von einem anderen Typ als die, an die wir uns gewöhnt hatten, wenn sie über Taranjin patrouillierten.
»Beim leuchtenden Bridzilkelsh!« fluchte Bargard der Pellin und starrte in die Höhe, während der Regen auf sein streitsüchtiges Brokelshgesicht prasselte. »Diese Shints! Es werden immer mehr. Das verändert das Gleichgewicht, Prinz Chaadur!«
»Aye.«
Die in einer starren Linie durch den Sturm fliegenden Schiffe kreisten und gingen hinter den Außenbezirken des Hafens nieder. Sie verschwanden hinter den Dächern und landeten auf dem ihnen zugeteilten Feld. Sie veränderten in der Tat das Gleichgewicht.
Wenn Deb-Lu das nächste Mal mit mir Kontakt aufnähme, würde ich dafür sorgen, daß er meine Interessen gegenüber Drak, dem Herrscher von Vallia, eindringlich vertrat, damit dieser mehr Voller des Vallianischen Luftdienstes freistellte. Nun gut, ja, ich wußte, sie waren gebunden und wurden anderswo benötigt. Ich mußte einfach versuchen, Drak zu überzeugen, daß wir sie hier im Süden brauchten.
Zur gleichen Zeit hatte ich auch die Entschlossenheit Palandis des Iarvins gestärkt. Ich hatte auf durchtriebene, aber geradlinige Weise an die natürliche Geschicklichkeit appelliert, die in der Selbsteinschätzung eines jeden Khibils tief verwurzelt ist. Er legte das typische verletzende und überlegene Getue eines Khibils an den Tag, als er sagte: »Ich habe den Apparat erfunden, Prinz.« Er zeigte mir die kleine Holzkiste. Ich gab mir Mühe, seine Arbeit angemessen zu bewundern.
Das Ding war wirklich ein kleines Wunder. In dem Kästchen wurde eine Frucht an jedem Ende mit Stäben verbunden, die eine straff aufgewickelte Schnur in Ruhestellung hielten. Er hatte vorgeschlagen, eine Gregaria zu nehmen; man konnte alles verwenden, was ähnlich beschaffen war: eine Orange, einen Apfel, alles, was verfaulte. Wenn die Frucht ausreichend verfault war, setzte sie die Schnur frei, die sich wie eine Feder abspulte. Dadurch wurden an einem mit Feuerstein besetzten Rad Funken geschlagen. Die Funken fielen auf den vorbereiteten Zunder. Der Rest des Kästchens war mit leicht entflammbarem Material gefüllt. So besaßen wir zwar nicht unbedingt eine Zeitbombe, aber immerhin einen Apparat, der nach gewisser Zeit zum Brandsatz wurde.
»Dondo!« sagte ich und gratulierte Palandi.
»Oh, aye«, schniefte er und strich sich über die Schnurrbarthaare, in denen das Rot zu einem stumpfen Grau verblaßt war. »Dadurch werden sie brennen, möge Bil der Khib sie rösten.«
Entscheidend war, eine Frucht im letzten Stadium des Verfaulens auszusuchen. Aber man erinnere sich, Nahrungsmittel waren kostbar und so schwer zu bekommen, daß es unvorstellbar war, eine ganze Frucht für unseren Brandsatz zur Seite zu legen.
»Ein Fischkopf«, sagte ich entschlossen. »Jede Frucht liegt außerhalb unserer Möglichkeiten.«
»Sogar an einen stinkenden Fischkopf«, sagte Foke der Clis mürrisch, »wird man schwer rankommen.«
Also stellte ich schließlich einen Fischkopf zur Verfügung, den ich natürlich aus einem Abfallkübel hinter einer Shank-Kaserne besorgte. Man mußte sogar darum kämpfen, an den Abfall heranzukommen.
Und so verging diese schreckliche Zeit – hier ein Plan, dort eine Brandstiftung, hier ein Spähtrupp und dort eine Zählung der Streitkräfte.
Während dieser Periode entdeckten wir weitere Möglichkeiten, wie man die Shanks überlisten konnte.
Shan-lao Ortyghan erwies sich nicht nur als guter Waffenschmied, sondern auch als hervorragender Graveur. Er konnte eine Schwertklinge mit den schönsten Mustern versehen. Als eine Gruppe von Shank-Offizieren in einem Hinterraum der Schmiede Proben seiner Arbeit entdeckten, waren sie – wie Shan-lao es ausdrückte –: »völlig entrückt vor Staunen und Bewunderung über diese Kunstfertigkeit.« Sie waren erst zufrieden, als auch ihre Schwerter hübsch graviert waren. Sie bevorzugten Muster von Fischen und Schiffen und Wolken, und die spiralförmigen keltischen Linien, die aus einer Klinge ein Artefakt der Kunst und Schönheit machen.
»Ich hätt' ablehnen soll'n«, sagte Shan-lao trübsinnig, »aber sie bezahlen mit zusätzlichen Lebensmittelrationen.«
»Ganz recht«, sagte ich.
»Aber Prinz ...?«
»Du brauchst Säure. Starke Säure. Du und deine Helfer werden die Schwerter der Fischgesichter verschönern.«
Hier durchbohrte ich zwei Vögel mit einem Pfeil.
Zuerst einmal, wenn wir Säure in die Hand bekamen, konnte Palandi der Iarvin einen Zeitzünder herstellen, der durch Säure ausgelöst wurde, indem diese sich durch eine Membran fraß, statt durch einen verfaulten Fischkopf.
Zweitens erklärte ich dem Waffenschmied: »Du wirst die Klingen der Shanks mit den wunderbarsten Mustern versehen. Wenn es bei ihnen zur Mode wird, werden wir es zu unserem Vorteil nutzen.«
»Prinz, es fällt mir schwer, die verdammten Fischgesichter zu unterstützen.«
»Sicherlich. Guter Shan-lao, du wirst die Muster sehr tief einschneiden. Sehr tief. Die Farbe wird die Tiefe verbergen, die durch die Säure eingeätzt wurde. Verstehst du?«
»Oh, aye, ich verstehe. Und wenn das Schwert im Kampf zerbricht, kommen sie zurück und stoßen mir einen Dreizack in den Leib.«
»Wenn der Kampf stattfindet, sind wir alle da und kämpfen. Wenn es uns nicht gelingt, verdienen wir es nicht, Erfolg zu haben. Ist der Sieg unser, wird die Tiefe der Gravuren keine Rolle mehr spielen. Unterliegen wir an Dem Tag, ist danach sowieso alles egal.«
»Bei den Heiligen Tränen des Wahren Trog! Da sprichst du die Wahrheit aus!«
»Dann laß die Säure tief zubeißen, Shan-lao, und verdammen wir alle Shanks tief in ihre höllische Hölle!«
»Darauf ein Quidang, Prinz!«
Auf ähnliche Weise überredete ich einen flinken Schurken, der beim Langfingrigen Diproo fluchte, bei einem Plan mitzumachen, den ich, glaube ich, in einem Moment göttlichen Schwachsinns geschmiedet hatte.
Luan-Chi der Gelenkige diskutierte mit mir und Bargard dem Pellin darüber, wie wir Palandis Brandsatz am besten einsetzten.
»Kasernen sind gut«, sagte ich, »aber sollten wir nicht vielleicht ein Lebensmittellager niederbrennen ...«
Luan-Chi, ein Thanko mit einem Wust staubigen schwarzen Haares und der langen Schluppnase seiner Rasse, sagte schnell: »Das wäre nicht klug.«
»Ich würde sie alle niederbrennen«, grollte Bargard auf seine streitsüchtige, ungehobelte Brokelsh-Art. »Aber Luan-Chi hat recht, Prinz. Wenn wir Lebensmittel vernichten, reduzieren wir die Menge, die wir von den bolstedverseuchten Shanks bekommen.«
»Außerdem kann man so etwas nur unter größten Schwierigkeiten verbrennen«, fügte der Dieb beschwörend hinzu.
»Es gibt ein bestimmtes Lagerhaus in der Nähe des Hafen-Basars«, sagte ich ruhig und ließ mich nicht ablenken. »Dort lagern Fässer voller Fisch. Der Fisch wird mit Öl vor dem Verderben geschützt. Öl. Das wird ein gewaltiges Feuer.«
»Wir werden alle verhungern.«
»Die Shanks haben reichlich Vorrat an Verpflegung. Sie halten uns kurz, damit sie uns unter Kontrolle haben und uns nach ihrer Pfeife tanzen lassen können. Wenn sie ein Lagerhaus mit Fisch verlieren, haben sie noch genügend andere. Sie fahren jeden verdammten Tag zum Fischen hinaus, oder?«
»Ja ...«
»Also gut. Wir stecken das Lagerhaus in Brand und sorgen dafür, daß mindestens eine Mauer zusammenbricht.« Ich starrte sie mit der unduldsamen Überlegenheit Dray Prescots an. »Sie werden Sklaven befehlen, die Mauern wieder aufzubauen.«
»Also werden wir schuften, um die Mauern wieder aufzubauen ...«
»Wir werden die Mauern auf bestimmte Art bauen. Wir werden so verfahren, daß ein türgroßer Mauerteil schnell entfernt werden kann. Wir werden das Lagerhaus heimlich betreten und viele kostbare Fässer voller Fisch herausholen. Dann werden wir das Mauerteil so einsetzen, daß es wieder aussieht wie vorher. Sie können das Tor an der Vorderseite bewachen, wir gehen hinten ...«
»Beim Langfingrigen Diproo, Prinz! Ein toller Coup! Es wird klappen!«
»Aye. Mit Sorgfalt und Klugheit wird es die Shanks täuschen.«
Und genau so geschah es auch. Die Shanks fanden nie heraus, wieso Fässer voller Fisch in ihrem Lagerbestandverzeichnis fehlten, obwohl die Tore fest verschlossen waren und Wachen davor patrouillierten. Die Mauern standen fest und massiv. Es mußte was in ihrer Buchhaltung nicht stimmen.
Und unsere Leute aßen guten, in Öl eingelegten Fisch.
Das waren nur zwei der Pläne, mit denen wir die Shanks zu dieser Zeit hereinlegten. Die vielleicht beste Waffe unseres Arsenals war allerdings eine, die ich keiner Seele enthüllte. Seit mein Lehrer Maspero im fernen Aphrasöe mir die genetische Pille gegeben hatte, damit ich Kregisch verstand, verstand ich jede Sprache. Sogar den zischenden, fauchenden schnalzenden Radau der Shanks.
Als ich mich eines Tages wie jeder Sklave dahinschleppte, kam ich auf einen Platz, an dem die Shanks auf einer Seite eine Reihe von Pfählen angebracht hatten. Oben drauf wanden sich die armen Unglücklichen, die man wegen irgendwelcher Verbrechen verurteilt hatte. Man hatte dort siebenundvierzig Personen gepfählt. Ich zählte sie im Vorbeigehen. Die Schreie waren fast alle erstorben, und die zuckenden Bewegungen hatten aufgehört. Die Gerüche waren nicht unangenehmer als anderswo in Taranjin. Sklaven wie ich, die mit gesenktem Blick dort vorbeigingen, schauten nur einmal in die Höhe und hasteten dann weiter. Sie dankten dem Wahren Trog, daß nicht sie es waren, die dort oben hingen.
Ein paar Fischgesichter mit glänzenden Dreizacken und Schuppenrüstungen lungerten bei den Pfählen herum.
»Man kann die Leute nicht verstehen«, sagte einer von ihnen. (Das ist eine grobe Übersetzung der idiomatischen fischigen Sprache.) »Warum tun sie das?«
»Wenn sie noch lästiger werden«, zischte sein Gefährte verächtlich, »werden sie unwirtschaftlich.«
»Man sollte sie alle loswerden«, sagte ein anderer.
Als ich mit gesenktem Kopf vorbeiging, verpaßte ich beinahe die Erwiderung.
»Hast du nichts davon gehört? Die Führer haben einen Handel abgeschlossen. Beim Großen Geschuppten! Bald werden die Trockenen wieder vor Angst und Qual wimmern und brav kuschen.«
Ich eilte auf die halbgeduckte, sklavische Weise weiter und erkannte, daß es hier einige Tatsachen gab, über die man nachsinnen mußte. Ich hatte keinen der siebenundvierzig armen Teufeln gekannt; keiner war Mitglied unserer Widerstandszellen gewesen, also war mein Gewissen verhältnismäßig unberührt, was diesen Punkt anging. Wenn sie zu ihren Taten veranlaßt worden waren, weil sie von dem Widerstand in Taranjin gehört hatten, so beschloß ich, fühlte ich mich dafür nicht verantwortlich. Sobald man sich auf etwas eingelassen hatte, mußte man wie jeder andere auch die Risiken tragen.
Worum ging es also bei diesem Handel, den die Führer der Shanks abgeschlossen hatten?
Außerdem bedeutete das unausgesprochene Eingeständnis, daß zumindest die Einwohner von Taranjin nicht mehr so brav kuschten, daß unsere Kampagne etwas bewirkte.
Ein paar Tage später verübten wir ein Gaunerstück im Zusammenhang mit den Produkten, die vom Land geliefert wurden. Die Fischköpfe entfernten sich wirklich nur ungern weit vom Meer, obwohl sie in der Vergangenheit bewiesen hatten, daß sie es mit erschreckender Entschlossenheit taten, wenn es erforderlich war. Sie hatten sich daran gewöhnt, auch landwirtschaftliche Erzeugnisse zu essen. Nachdem unsere kleine Gruppe für die nötigen Ersatzleute gesorgt hatte, gingen wir zum Ghat-Tor und sahen zu, wie die beladenen Tragecalsanys und hohen Karren hereinrollten. Shanks patrouillierten, schlugen hin und wieder mit ihren Peitschen zu oder teilten hinterhältige Hiebe mit den Enden ihrer Dreizacks aus.
Das Gaunerstück war recht simpel und ließ sich deshalb durchführen, weil die Sklaven die Säcke auf die Schultern luden und in Reihen zu den Lagerhäusern marschierten. Wir besorgten uns einen Sack, der genau denen glich, die von den Karren abgeladen und ins Gebäude getragen wurden. Unser Komplize befand sich unter den Trägern. An einer geeigneten dunklen Stelle, unter einem Durchgang, direkt hinter einer Tür, verließ der Träger mit seinem Mehlsack die Reihe, und unser Mann nahm mit einem Sack voll Sand seine Stelle ein.
Es handelte sich um Garsunmehl, das von den großen Wurzeln der Gola-gola-Pflanze gemahlen wurde.
Die versuchten, hier Korn anzubauen, aber es gab keine große Auswahl, und das Klima war nicht richtig geeignet, aber aus Garsun konnte man eine großartige Teigmasse herstellen, die gewöhnliches Brot ersetzte. Wir hatten zwei Säcke fortgeschafft, und nun war ich dran, mich mit meinem Sandsack einzureihen.
Imjim der Randell huschte vorbei und duckte sich in die Schatten des Bogenganges, als ich vortrat. Sein mit Garsunmehl gefüllter Sack würde eine Menge Mäuler füttern. Mein Sandsack würde einer Shankeinheit zugeteilt werden, wie ich inbrünstig hoffte. Ich bewegte mich behende und folgte dem Burschen vor mir, da schnitt eine Stimme, unangenehm, verletzend, gurgelnd vor arroganter Wut, wie eine Peitsche durch die Luft.
»Grak! Hierher, du traurige Karikatur eines Sklaven! Du glaubst wohl, du kannst mich mit einem so uralten angestaubten Trick hereinlegen! Du Shint! Her zu mir!«
Ich senkte einfach den Kopf, wollte es nicht wahrhaben und hoffte, er meine nicht mich.
Aber er meinte mich.
»Du! Bei den drei Schwänzen des Unberührbaren Targ! Wir werden dafür sorgen, daß sich hier einiges ändert. Wir werden für Disziplin sorgen – und dafür, daß Sklaven ihren Platz kennen. Komm her, Shint!«
Das dicke, nachgiebige Tau einer schwarzen Peitsche umschlang meine Taille. Ich wurde zurückgezerrt; der Sack fiel zu Boden und verteilte gelben Sand über den Steinboden. Ich blickte auf.
Dort zog ein Kataki mit finsterer Miene an seiner Peitsche, und sein beweglicher Schwanz mit den fünfzehn Zentimetern dolchähnlichen Stahls schwebte vor meinen Augen.
Jetzt wußte ich also, was es mit dem Handel auf sich hatte. Die Shanks hatten ihn mit den Katakis abgeschlossen.