12
Der Voller flog durch das Apfelgrün und Rosarot eines prächtigen kregischen Morgens nach Westen. Eine Stimme hinter mir sagte: »Hier bist du also!«
An den Kontrollen stehend, wandte ich mich langsam um, damit ich nach hinten sehen konnte. Langsam, da ich die brodelnde Wut in mir beherrschen mußte. Er stand da, weder lächelnd noch stirnrunzelnd. Statt dessen bot er ein Bild des Jammers, das dazu angetan war, mich schuldig zu fühlen. Sein Unterkörper schimmerte und hatte sich nicht vollständig materialisiert. Der Oberkörper schien schief zu schweben, und unruhige kleine Flammen hüllten ihn mit flackerndem Feuer ein.
»Du garstiger, undankbarer, ränkeschmiedender Hulu! Du ... Du ...« Er kam nicht weiter. Er keuchte. Seine lupale Projektion zeigte es überdeutlich.
Die Erleichterung mußte auf meinem Gesicht zu sehen sein, denn gerade als ich sprechen wollte, brach es aus ihm heraus: »Bei Lingloh! Ich sehe, du bist überglücklich, mich losgeworden zu sein!«
In einem Ton, vielleicht barscher als beabsichtigt, erklärte ich: »Du mußt eine Aufgabe erledigen. Ich habe dich nicht darum gebeten, mir bei meinen Abenteuern zu folgen. Da du es aber aus freiem Willen wolltest, mußt du es auch richtig anstellen.«
»O ja! Ich soll die Amme für eine Gruppe deiner Jurukker spielen, während du den tollsten Erlebnissen entgegenfliegst ...«
Er sah, daß echter Zorn in mir aufblitzte, als ich ihn anschrie: »Also glaubst du wirklich, daß ich einfach so losfliegen will?« Die Bitterkeit meiner Worte ließ seine lupale Projektion zurückzucken. »Glaubst du nicht, daß ich viel lieber wie jeder vernünftige Mensch zu Hause wäre?«
Er erholte sich von diesem bitteren Zornesausbruch. »Vielleicht. Nicht jeder will hinter dem Ofen hocken ...«
»Du mußt noch viel lernen, Rollo. Ich bete nur, daß du dabei am Leben bleibst.«
Trotzdem lag etwas Wahres in seinen Worten. Es war nicht sosehr das Problem, daß ich in irgendein Abenteuer flog, sondern daß Delia nicht dabei war, um die Aufregung mit mir zu teilen. Daß ich nicht im Traum daran gedacht hätte, sie mitzunehmen, in jene Gefahren, die ich erwartete, war nebensächlich. Wie ich bereits sagte, ist es etwas Großartiges, wenn man sich einem Abenteuer allein stellt; wenn man die Brust dehnen und die wunderbare Luft Kregens einatmen kann – selbst wenn einem in Tsungfaril sandiger Staub wie ein Film auf der Zunge liegt. Und ein Abenteuer mit ein paar Klingengefährten ist eine wirklich großartige Sache. Die Qualität und der Sinn, der hinter sogenannten Abenteuern steckt, diktieren ihren Wert.
Vielleicht sah er etwas davon in meinem Gesicht, da er mürrisch sagte: »Ich habe vor, die ganze Anzahl jener Jahre zu leben, die mir das Schicksal zubilligt, vielen Dank.«
Sein Bild löste sich auf. Wie er zugegeben hatte, war die Beherrschung seines Kharmas noch launenhaft. Eines Tages würde sein Kharma unter der Anleitung Deb-Lus zu jener mächtigen Kraft werden, über die die anderen Zauberer verfügten, meine Kameraden. Dann würde er – wie sie – sein Bild in so fester Form projizieren, daß die Zuschauer glaubten, er sei tatsächlich anwesend.
»Remberee!« rief er, und ich erwiderte den Gruß, als der letzte Rest seines Abbildes fortflimmerte.
Zu Beginn seines Redens hatte ich geglaubt, er habe sich wie zuvor an Bord geschlichen. Ich atmete aus. Selbst dann wäre es kindisch von mir gewesen, überrascht zu sein. Zauberer aus Loh waren in der Lage, magische Wunder zu vollbringen, bei Zair!
Als ich ruhig durch die süße kregische Luft flog, lag unter mir ein Gebiet, das nicht sonderlich einladend wirkte. Nun flog ich über eine richtige Wüste. Dwabur nach Dwabur erstreckten sich ringsum bis zum Horizont rollende Dünen aus Sand. Es war eine richtige Wüste, wie die Sahara.
Eine Berührung der Kontrollen ließ das Flugboot höher steigen. Weiter oben verschwand der schale, staubige Geschmack auf der Zunge, die Hitze ließ nach – wenn auch nicht viel, bei Krun! –, und die Atmosphäre wurde angenehmer. So weit ich sehen konnte, erstreckten sich wogende Dünen aus hellem Sand bis zum Horizont.
Sobald man Makilorn in Richtung Westen verlassen und Orphasmot passiert hatte, waren Oasen die einzigen menschlichen Siedlungen. Ich flog an zwei Oasen vorbei, Claransmot und Hanjhin, die relativ kurz aufeinander folgten, dann gab es nur noch Wüste, bis ich Taranik erreichte. Hier hielt ich eine Landung für erforderlich, um mich nach meinen Freunden zu erkundigen.
Das Erscheinen eines Flugbootes in diesem abgelegenen Flecken erregte unglaubliches Interesse, das auch eine kleine Spur religiösen Aberglauben enthielt. Nur wenige Augenblicke lang hatte ich das vage Gefühl der Besorgnis, von einer erschreckten und feindseligen Menge überrannt zu werden, dann bahnte sich der Crebent, dem Kuong das Kommando überlassen hatte, einen Weg durch die Menschenmenge. Er war ein gutaussehender Mann mit einer Mähne schwarzen Haares und einem Gewand, das eher hellgelb als ockerfarben war. An seiner Seite hing ein langes Schwert. Seine Gesichtszüge verrieten Autorität und Fürsorge. Schnell vollzog ich das Pappattu und versorgte diesen T'sien-Fu mit Neuigkeiten, da man jeden Augenblick mit dem Eintreffen der nächsten Karawane rechnete. Er drückte sein Bedauern darüber aus, daß Königin Leone auf so schreckliche Weise gestorben war, und erzählte, er habe gehört, Kirsty sei die neue Königin. Er schüttelte den Kopf in Unkenntnis über den Aufenthaltsort seines Herren Trylon Kuong; er wußte lediglich, daß Kuong nach Makilorn gereist war. Er hatte nie von Mevancy nal Chardaz oder Llodi der Stimme gehört.
Obwohl mich Mevancys Abwesenheit ärgerte, war ich doch erleichtert, daß ich mit ihr nicht die gleichen fruchtlosen Diskussionen führen mußte wie mit Rollo. Crebent T'sien-Fu bedrängte mich, die Gastfreundschaft anzunehmen, die er mir bieten konnte. Was die Oase von Taranik selbst anging, so stellen Sie sich bitte kein Wasserloch in der Wüste vor, das von ein paar Palmen umgeben war. Der Ort wurde Oase genannt, weil er genau das darstellte: eine Wasserquelle in der Wüste. Taranik lag um einen See mit einem Durchmesser von etwa fünfundzwanzig mal zwanzig Meilen. Taranik mit seinen kultivierten Feldern und Tierherden hatte eine starke Ähnlichkeit mit den großen Oasen an der Seidenstraße Zentralasiens.
Außerdem pflegten die Bewohner angenehmerweise hellere Kleidung als die allgemein üblichen ockerfarbenen Wüstengewänder zu tragen. Stuckhäuser mit dicken Wänden und kleinen Fenstern erinnerten an die Zeltbehausungen jener Zeit, als diese Menschen noch Nomaden gewesen waren. Das brachte mich auf den Gedanken, daß die Wüste das Ergebnis ernster klimatischer Störungen gewesen sein mußte. Kein Nomade wäre wohl gern in jener Wüste umhergezogen, die ich gerade überflogen hatte. Wahrlich, die Wunder von Kregen hören nie auf.
Viele Mädchen trugen einen Kopfschmuck, der aus zusammengeknüpften Silbermünzen bestand. Ich vermutete, daß dies ihre Mitgift war, die von der Mutter auf die Tochter weitervererbt wurde. Man nannte diese Tracht Reddkhansixes, was wohl nicht ganz richtig war, und die hellen Münzen unterstrichen noch die strahlende Lebendigkeit der Mädchen. Hier herrschte eine spürbar lebendigere Atmosphäre als weiter hinten in den Hauptgebieten Tsungfarils.
Trotzdem hatte ich das Gefühl, es sei nicht ratsam zu bleiben, selbst wenn es sich nur um einen kurzen Besuch handelte. Bedauernd lehnte ich Crebent T'sien-Fus großzügiges Angebot ab und stieg wieder in das Flugboot, wobei ich auf das Fantamyrrh achtete, denn ich war der Überzeugung, daß dieser einfache alltägliche Akt helfen würde, diesen Menschen die Scheu vor dem Flugboot zu nehmen. Die Remberee-Rufe hallten in der Luft wider, als der Voller sich erhob, und ich ließ ihn steil nach oben steigen, in Richtung Westen.
Wie ich bereits früher gesagt habe, ist Kregen nicht überall feindlich und schrecklich; auf dieser wunderbaren Welt kann man überall freundliche, einfache Menschen antreffen.
Die Öde der Wüste wurde, sofern es überhaupt noch möglich ist, noch schlimmer, je weiter ich nach Westen gelangte.
Als Luz und Walig gegen Abend weit vor mir in flammenden Strömen versanken – Chromgrün und Karmesinrot wetteiferten darum, den Himmel in einem Farbenrausch zu bemalen –, machte ich am fernen Horizont einen dunklen Streifen aus, der das ganze Land bedeckte. Gleichzeitig erkannte ich, daß Wolken nötig waren, um dieses wie von einem ausgelaufenen Farbkasten verursachte Spektakel hervorzubringen. Vor mir waren Wolken. Wenn ich mich nicht sehr irrte, mußte die dunkle Linie, die sich während meines Näherkommens rasch verbreiterte, Vegetation sein. Als wollten sie diese Vermutungen augenblicklich bestätigen, berührten die untergehenden Sonnen mit ihren flammenden Strömen einen Flußlauf, der sich rechtwinklig zu meinem Weg von Norden nach Süden schlängelte.
Die geographischen Gegebenheiten dieser Gegend schienen also nach den üblichen Vorstellungen normal zu sein. Am östlichen Ufer – man hatte mir erzählt, der Name des Flusses ändere sich in seinem Verlauf, und werde hier Trennende Dame genannt – schien die Wüste einen sandigen Rand zu bilden; am westlichen Ufer begännen wohl die künstlichen Bewässerungsgräben und die Felder.
Kregens erster Mond, die Jungfrau mit dem Vielfältigen Lächeln, erhob sich hinter mir und erglühte rosarot in den letzten Strahlen der Sonnenuntergänge. Er würde über meiner rechten Schulter kreisen und sein verschwommenes rosafarbenes Licht verbreiten, so daß man die Nacht nur schwerlich als Zeit der Finsternis bezeichnen konnte. In Anbetracht dessen entschied ich mich, weiterzueilen.
Die Zwillinge mußten bald ebenfalls aufgehen, dann würde es tatsächlich sehr hell sein.
Trotz der Überflusses an nächtlicher Helligkeit genießt es jeder guter Kreger, wenn sein Handeln von viel Licht beleuchtet wird – jene, die aus unterschiedlichen Gründen nichts davon halten, zählen nicht. Das brachte mich auf den ironischen Gedanken, daß auch ich nicht immer Gefallen daran finde, wenn das strahlende Licht der Sonnen meine Aktivitäten beleuchtet – nein, bei Krun!
Deshalb war ich nicht allzu überrascht, als kreisförmige Feuer unten am Boden ihr Licht verbreiteten.
Jetzt mußte ich eine Entscheidung treffen.
Ich befand mich hier, weil ich eine Aufgabe zu erfüllen hatte. Aufgrund der Gefahren, die die Situation mit sich brachte, war diese Aufgabe mit gewissen Risiken verbunden. Es gab keinen anderen Weg – zumindest keinen Weg, den ich erkennen konnte –, auf dem ich ohne ein gewisses Risiko das Ziel erreichen konnte, das ich anstrebte.
Mit diesem ernsten Gedanken lenkte ich den Voller in die Tiefe.
Ich vollbrachte eine gute Landung auf dem weichen Untergrund, der von vielen kleinen Büschen gesäumt war. Ich blieb etwa eine Bur lang in dem Voller sitzen, und nachdem eine Stunde irdischer Zeitrechnung vergangen war, hatte ich mich überzeugt, daß keiner der um die Lagerfeuer Versammelten die Landung des Flugbootes beobachtet hatte.
Ich stieg aus. Ich trug Wüstengewänder; an meiner Seite hingen Schwerter, auf dem Rücken trug ich einen Langbogen.
Durch frühere Erfahrungen glaubte ich zu wissen, wer die Burschen waren, die um die Lagerfeuer herum saßen.
Die richtige Richtung hatte ich im Gedächtnis, denn am Boden konnte ich nicht das schwächste Anzeichen des Lagerfeuers sehen.
Die Menschen in Loh waren auf Luftstreitkräfte absolut nicht vorbereitet und konnten sich so etwas wohl auch nicht vorstellen.
Und wie Sie sich sicher denken können, heiterte mich dieser Gedanke nicht im geringsten auf.
Ihren Gebräuchen zufolge hatten sie einen guten Wächter postiert. Vor mir bewegten sich rosafarbene Schatten, die Büsche wurden zahlreicher und bildeten Gruppen, und ein paar Bäume erhoben sich über die mittlere Höhe hinaus. Ich entdeckte ein metallenes Aufblitzen in einem Baum. Ich fühlte einen Kloß in der trockenen Kehle.
Ich blieb stehen und rief: »Llahal, Doms!«
Eine scharfe Stimme rief zurück: »Halt still! Beweg dich nicht, wenn dir dein Leben etwas wert ist!«
»Oh, es ist mir etwas wert!« rief ich zurück. »Dennoch hoffe ich, daß du mich hier nicht lange warten läßt.«
Sie wuchsen aus dem Boden vor mir in die Höhe. Ein Seil schlängelte sich um meine Beine, und bevor ich umfiel, hatten sie mich schon gepackt. Nun, wenn man anfängt, Risiken einzugehen, muß man damit weitermachen, ohne zurückzuweichen.
Wie ein schlecht verschnürtes Bündel wurde ich schnell zum Feuerschein getragen, wo man mich besser in Augenschein nehmen konnte.
Es waren Burschen von der Sorte, wie ich sie erwartet hatte, aber kleine Unterschiede erzeugten in mir die Vorstellung – sogar die Hoffnung –, daß sie besser waren als befürchtet.
Es waren Gesetzlose, das war völlig offensichtlich. Sie trugen alte Gewänder, Reste von Rüstungen und waren alle schwer bewaffnet, sowohl die Männer als auch die Frauen. Unter ihnen befanden sich viele Diffs, obwohl die Apims die Mehrzahl bildeten.
Sie teilten nicht die Trägheit der Menschen Walfargs, die so lange nach dem Verlust ihres Reiches noch immer kraftlos waren, oder die Apathie der Menschen in Tsungfaril, die in ihren Träumen vom Paradies des Giliums befangen sind. Im Zusammenhang mit der Hoffnung auf den Gilium ist eine Anmerkung von Wert: Wenn man aufgrund begangener Verbrechen keine Hoffnung mehr hat, ins Paradies zu kommen, neigt man dazu, etwas rücksichtsloser als seine Mitbrüder zu sein. Das hatte ich bei der Bande festgestellt, die Kei-Wo der Dipensis in Makilorn angeführt hatte. Da herrschte der Glaube, daß die Erlösung durch eine großzügige Amnestie Tsung-Tans erfolgen werde.
Eine Laterne blitzte vor meinem Gesicht auf.
»Bringt den Shint hier herüber, damit wir ihn begutachten.«
Ich wurde auf die Füße gerissen und auf einer Bank abgesetzt. Sie drängten sich waffenstarrend um mich; haarig, schuppig, voller Warzen. Das Licht verlieh der Drohung Gestalt, die sich in Augen, Zähnen und Reißzähnen zeigte.
»Bei der heilenden Spucke des wahren Trog! Welch häßlicher Kerl!«
Die Frau, die sprach, war beherzt und frech. Sie hatte blondes Haar, ein dunkles Gesicht und trug riesige Ohrringe aus Gold. Sie trug ein Kettenhemd und hatte nicht weniger als drei Schwerter um die kräftige Taille gegürtet. Die Füße steckten in festen Lederstiefeln, und die nackten braunen Beine waren befehlsgewohnt gespreizt.
»Lahal, Herrin!« begann ich höflich.
»Ich bin die Kovneva Layla nal Borrakesh, und wenn du mich nicht als Dame anredest, werde ich dir die Zunge herausschneiden lassen!«
»Dame Kovneva«, sagte ich, wieder so höflich, wie ich nur konnte.
»Nun, Ragamo, nenn uns deinen Namen, sag, woher du kommst und warum du uns ausspionieren wolltest. Danach werden wir uns etwas einfallen lassen, wie wir dich in die Todesdschungel von Sichaz schicken können.«
Ich schüttelte den Kopf. Ragamo – oder Ragama für eine Frau – ist im allgemeinen eine Beleidigung, die gewöhnlich benutzt wird, wenn man sich nicht sicher ist, ob es sich bei der angesprochenen Person um einen echten Shint handelt oder nur um einen Hulu oder Fambly. Beleidigungen in Paz auf Kregen sind säuberlich abgestuft. Die Kovneva benutzte die Anrede, um sicherzugehen, daß ich ihre Stellung und ihre Macht zur Kenntnis nahm.
Ich sagte: »Ich war weit davon entfernt zu spionieren, ich näherte mich offen und gab mich zu erkennen.«
Jemand rief aus dem Hintergrund: »Das hat er getan, bei den fettigen Haaren des wahren Trog!«
»Ich bin nach Tarankar gekommen, um Shanks zu töten«, fuhr ich fort.
Das ließ sie jählings innehalten. Es herrschte völliges Schweigen, das nur von dem schweren Atmen der Kovneva unterbrochen wurde.
Dann sagte sie mit veränderter Stimme: »Dann bist du gekommen, um deinen Tod zu suchen, Hulu. Die Shanks beherrschen in Tarankar alles.«
»Das wurde mir berichtet. In meinem Land haben wir den Shanks Schlachten geliefert und sie besiegt, haben viele getötet und die erbärmlichen Überlebenden in die Flucht geschlagen.«
Daraufhin erhoben sich ein paar Schreie. »Er lügt! Er lügt!«
»Wir haben die Schtarkins auch bekämpft«, sagte sie, als man sie verstehen konnte. »Wir haben verloren.«
»Und doch bist du hier, bewaffnet und gerüstet. Du bist keine Sklavin.«
»Wir haben einen Pakt geschlossen, daß wir lieber vorher sterben.«
»Das glaube ich gern. Aber ich muß weiterziehen, um Informationen über die Fischköpfe zu sammeln ...«
»Man muß nur eines wissen: wie man ihnen aus dem Weg geht.«
Als hätte sie mich nicht unterbrochen, redete ich in einem Tonfall weiter, der so beschwichtigend wie möglich war.
»Ich muß über ihre Stärke Bescheid wissen, über ihre Bewaffnung, ihre Flugboote, ihre Schwächen ...«
Sie stieß ein kurzes schmerzerfülltes Lachen aus. »Du erwähnst Flugboote, dann plapperst du wie ein Narr über Schwächen. Die Shanks haben keine Schwächen.«
»Und doch haben wir sie in großen Schlachten besiegt.«
»Nun, uns haben sie in kleinen Schlachten besiegt.«
Ich richtete meinen Blick auf sie und schaute ihr in die Augen.
»Glaubst du mir, Dame Kovneva?«
Das hatte noch mehr Rufe zur Folge; einige waren für mich, andere gegen mich. Layla nal Borrakesh holte zischend Luft. »Ich muß darüber nachdenken. Du wirst nicht getötet, zumindest jetzt noch nicht.«
Ein Khibil drängte sich vor, sehr arrogant, sehr überlegen. Sein schlaues Fuchsgesicht mit den borstigen roten Schnurrbarthaaren war zu einer Grimasse verzogen.
»Meine Dame, frag den Shint, wieviel Zeit verstrichen ist, seit er das Lager von Nath dem Ron verlassen hat!«
Das hatte einen Chor aus Geheul und Schreien zur Folge, und der Khibil strich sich in einer Anwandlung von Zufriedenheit über die Schnurrbarthaare.
Die Kovneva hob die Hand, und es kehrte wieder etwas Ruhe ein.
»Nun, Shint? Wann hast du Nath den Ron das letzte Mal gesehen?«
»Noch nie von dem Burschen gehört. Nun muß ich aber wirklich ...«
Das hatte wieder einen Aufruhr zur Folge. Man brauchte kein großes Genie zu sein, um zu vermuten, daß Nath der Ron Anführer einer ähnlichen Bande wie der der Kovneva war und daß es sich um einen Rivalen handelte.
Der Strick, den man um mich geschlungen hatte, wurde lästig. Ich entwand meinen linken Arm dem Griff des Brokelsh, der ihn festzuhalten versuchte, und streifte den Strick ab.
Der Brokelsh wollte mich schlagen. Ich sprang auf die Bank, hob den linken Fuß und trat ihn – nicht all zu hart – auf die Nase, woraufhin er laut kreischte und umherspuckte. Blut tropfte, was mir leid tat – zumindest ein klein wenig.
»Er entkommt!« rief der Khibil.
»Ich fliehe nicht, du dummer Onker!« schrie ich ihn an.
Die Kovneva trat einen Schritt zurück. Der Bursche, der sich immer noch an meinem rechten Arm festklammerte – ein Thanko mit gebogener langer Nase und gekräuseltem Haar, das wie ein dreckiger Mop aussah –, trat ebenfalls zurück und ließ mich los. Ich streckte mich. Ich sah Layla nal Borrakesh an, und etwas von der alten Dray Prescot-Teufelsfratze zeigte sich auf meinem Gesicht.
»Hört zu, ihr Haufen Famblys!« Ich benutzte meine weitreichende Vordeckstimme. »Ich bin hier, um die Shanks zu bekämpfen. Ich bin nicht hier, um in eure kleinlichen Streitereien verwickelt zu werden. Ihr könnt Nath den Ron bekämpfen, wenn ihr wollt. Dazu wünsche ich euch allerdings kein Glück, da Ron Nath und ihr euch zusammenschließen solltet, um mir dabei zu helfen, die Shanks zu bekämpfen und zu überwältigen, bis in Tarankar kein einziger Fischkopf mehr übrig ist!«
Nun, das war schwülstig und angeberisch, Worte, die Dray Prescot sonst fremd waren. Zu diesem Zeitpunkt hielt ich es aber für erforderlich.
Ich glaube, es sprach nur eine Sache für mich – ich war kein Shank.
Unschlüssigkeit verdüsterte Layla nal Borrakesh' Gesicht. Einige der anderen diskutierten heftig miteinander. Zu welchem Ergebnis sie auch gelangten, ich hatte beschlossen, nicht hierzubleiben. Ich würde flüchten. Sicher waren viele von ihnen Bogenschützen aus Loh, aber ich würde ihren Pfeilen auszuweichen wissen.
Der Khibil wollte von dem Ganzen nichts wissen.
Als die anderen streitend zurücktraten, tat er einen Schritt nach vorn. Seine Schnurrbarthaare sträubten sich mir fast entgegen.
»Ich bin Orion Farantino, den man den Rekarder nennt. Du hast bis jetzt weder deinen Namen noch deine Stellung genannt. Darum geht es aber nicht.« Er versuchte, in ruhigem Tonfall voll kalter Drohung zu sprechen, aber die Worte wurden durch die Gewalt seines leidenschaftlichen Zorns eher herausgekreischt. »Ich sage, du lügst, Shint! Du lügst!«
»Wenn du im Hyr Jikordur gegen mich kämpfen willst, muß ich dich enttäuschen.« Das sagte ich auf sehr mürrische und knurrende Art, sehr verächtlich. »Kümmre dich um deine eigene Stellung, Farantino, und steck deine Nase nicht in fremde Angelegenheiten!«
Er keuchte. Eines seiner Schwerter zischte aus der Scheide. Er stürzte mit hochrotem Gesicht vor.
Irgendwo rief die Kovneva etwas. Die Leute schrien. Der Khibil war vielleicht schnell und stark, und er versuchte mit Sicherheit, schlau zu sein. Er wollte einen richtigen Angriff unternehmen und seine Wut beherrschen, damit er sich nicht blindlings auf mich stürzte und mich einfach aufzuspießen versuchte.
Ich wandte mich schnell zur Seite und entging dem Stoß, klemmte seinen Schwertarm zwischen meinem Arm und meiner Hüfte fest, griff nach vorn und packte ihn mit der anderen Hand an der Kehle. Ich verdrehte ihm ein bißchen den Arm und drückte ihm leicht die Kehle zu. Das vor Zorn dunkle Gesicht nahm im Fackelschein eine interessante Farbe an: die von alten Stiefeln, Wurzeln und schimmeligem Käse.
Ich sprach direkt zu dieser außergewöhnlichen Visage.
»Du fragst nach meinem Namen, Dom. Ich werde ihn dir nennen, damit du ihn nicht vergißt. Das heißt, ich werde dir den Namen sagen, den du wissen darfst.« Sein Mund stand offen, die Unterlippe hing herunter, und Spucke rann heraus. Ich schüttelte ihn noch einmal, nur um ihn daran zu erinnern. Sein freier Arm hing herunter – er war ein Khibil und schlau genug, um zu wissen, was ihm passierte, wenn er mich mit dem freien Arm und der dazugehörigen Faust zu schlagen versuchte.
»Ich bin Chaadur na Dorfu, auch bekannt als Chaadur der Kämpfer, Kurinfaril.« Ich überragte alle anderen und blickte mich um, während ich diesen Namen aussprach. Es fiel mir nicht schwer, ihn aus dem Stegreif zu erfinden, da ich den Namen Chaadur bereits bei früheren Gelegenheiten verwendet hatte. Ich legte Gift in meine Stimme. »Du wirst mich mit Herr, Lord, Lynxor oder Prinz ansprechen; du wirst erst sprechen, wenn man es dir erlaubt.«
Ich warf ihn beiseite.
Nun, als ich mich unter den verzerrten Gesichtern im Schein der Fackeln und Feuer umblickte und sah, wie es in Augen und auf Zähnen und Reißzähnen funkelte, wie sich Fäuste um Bogenstäbe und Schwertgriffe schlossen, nun, da sagte ich zu mir: Dray Prescot, mein Junge, du hast ein gutes Schauspiel geboten. Aber war es auch gut genug? Ist die Zeit gekommen, um zu fliehen?
Die Frage erwies sich als überflüssig.
Eine Frau, die über ihren Rock stolperte, taumelte schreiend zum Feuer. »Nath der Ron! Nath der ...« Sie stürzte, und jeder sah den langen gefiederten Pfeil, der ihr im Rücken steckte.