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Das war der Moment, da ich den Anblick einiger Juruks meiner Jungs vom Wachkorps mit äußerster Inbrunst willkommen geheißen hätte; ja, bei Vox!
Wie es aussah, mußten wir uns an den Plan halten und tun, was wir konnten.
»Bogen!« Ich spie das Wort rauh aus.
Wir hatten einen unschätzbaren Vorteil: Unsere Schützen waren Bogenschützen und Bogenschützinnen aus Loh. Natürlich ist nicht jeder Bewohner Lohs Bogenschütze. Und nicht alle Bogenschützen erreichen auch nur annähernd die phantastischen Fähigkeiten Segs – nun, dies ist eine dumme und überflüssige Bemerkung. Meiner Meinung nach – und in diesem Fall ist diese Meinung von nicht geringem Wert – gibt es auf zwei Welten keinen Bogenschützen, der Seg Segutorio gleichkommt.
Diese verdammt alten Gedanken wirbelten mir durchs Hirn, als sich unsere Bogenschützen aufstellten, die Sehnen spannten und die Pfeile auf die Reise schickten.
Die Dustrectium ergoß sich aus Geröllhaufen, aus zerborstenen Wänden und aus Häuserfassaden, die wie Zahnlücken aussahen.*
Die Pfeile verdunkelten den Himmel, wie man in Clishdrin sagt.
Ich stand aufrecht da, schoß mit meinem Bogen und zielte auf die dicht geschlossenen Reihen der Fischköpfe, als sie nach vorn trampelten, dazu bereit, den letzten Ansturm einzuleiten.
Shanks kreischten und stürzten durchbohrt in den Staub. In ihre Reihen wurden Lücken gerissen. Aber sie rückten immer noch vor. Shanks sind außerordentlich tapfer und hartgesotten. Sie waren zudem wild, gnadenlos und dazu entschlossen, uns alle zu töten oder zu versklaven.
»Schießt! Schießt!« brüllte ich und bearbeitete meinen Bogen mit dem gleichmäßigen fließenden Rhythmus, für den Seg ein so schönes Beispiel bietet. Ich konnte es meinem Kameraden gleichtun – manchmal, nicht oft –, und an diesem Tag schoß ich auf eine Weise, die Seg sicherlich gefallen hätte.
Blutgestank würde von den Leichen aufsteigen, die bei dem Angriff zurückblieben, der Gestank ätzender grüner Flüssigkeit; das Blut, das in den Adern der Fischköpfe fließt. Ihr Geschrei steigerte sich, als sie weiterstürmten.
Larghos die Drossel legte den Bogen nieder. Er griff nach seiner Strangdja.
Ich stimmte dem zu. Ich schickte den letzten Pfeil auf die Reise. Er durchbohrte einen Fischkopf, der eine grüngoldene Fahne schwenkte, und als er auf sein Fischgesicht fiel, nahm ich den Dreizack, der bereitlag.
Die beiden fliegenden Schiffe, die gelandet waren, um den Haufen auszuladen, stiegen in die Höhe.
Ich schätzte, daß man etwa einhundertundfünfzig Shank-Soldaten abgesetzt hatte. Wir hatten fürchterlich unter ihnen gewütet. Die Überlebenden kreischten unbeeindruckt weiter, und im nächsten Moment kam es zum Handgemenge.
Sie versuchten, über das Geröll zu klettern und ihre Dreizacke in die Lücken zu stoßen, durch die wir geschossen hatten. Die stinkende Ausdünstung verfaulten Fisches brach über uns herein. Wir hielten dem ersten Angriff stand. Sie hatten nicht die Kraft, uns mit einem einzigen wilden Angriff zu überwältigen. Wir hielten ihnen stand und trieben sie zurück; Leichen türmten sich vor unserer Verteidigung auf.
In dem Augenblick, als sie zurückwichen, brüllte ich: »Bogenschützen!«
Erneut ergoß sich der hagelnde Todesregen auf sie.
Ein schneller Blick nach oben bestätigte meinen Verdacht, wie ihr nächster offensichtlicher Schritt aussehen würde. Beziehungsweise die nächsten beiden Schritte.
Zwei weitere Schiffe schwebten im Landeanflug heran, zwei andere kreisten direkt über uns. Von den schwarzen Rümpfen würden Feuertöpfe fallen, um uns zu rösten.
Nun, es war nicht so ohne weiteres machbar. Die von uns ausgewählten Ruinen waren ziemlich zerstörte, ausgebrannte Mauerreste. Wir mußten den nächsten Frontalangriff durchstehen. Danach ... Nun, ich beschloß abzuwarten, ob wir die Fischköpfe aufhalten konnten – oder ob sie uns überrannten.
Frische Truppen wurden ausgeladen. Sie formierten sich in starren Reihen. Das Schimmern und Funkeln der Waffen, das Flattern der grünen und goldenen Fahnen, der Lärm ihrer Trompeten – mit alledem sollte erreicht werden, daß wir vor Angst erstarrten. Ich hielt es für angemessen, unsere Gegenwart noch auf andere Weise spürbar zu machen, aus einfach nur durch das Töten von Shanks.
Ich brüllte mit aller Kraft, schrie dem Feind entgegen:
»Paz! Paz!«
Andere nahmen den Ruf auf. Wir schleuderten unsere Verachtung in ihre Fischgesichter. Dann hörte ich, wie ein anderes Wort gerufen wurde, das sich über dem Lärm erhob und dem Gegner wie ein Pfeil entgegengeschleudert wurde.
»Paz! Chaadur! Paz! Chaadur!«
Nun, also ...
Wir schossen auf sie, als sie erneut gegen uns anstürmten. Wir mähten sie nieder, während sie versuchten, sich auf uns zu stürzen. Wir hielten ihnen stand. Gutes rotes Blut floß und vermischte sich mit grünem. Aber wir hielten ihnen stand.
Von allen Seiten des Kyros schnellten Pfeile in ihre Reihen. Die beiden Flieger hoben ab; zwei weitere landeten. Diesmal schleusten die Shanks aus beiden Flugbooten schätzungsweise nur fünfzig Mann aus. Vielleicht war das der Rest. Vielleicht waren die anderen vier Flieger Kampfschiffe, keine Truppentransporter. Falls das so war, waren unsere Chancen entscheidend gestiegen. Die achthundert, die in Deckung lagen, sollten es eigentlich mit vierhundert aufnehmen können, die über die offene Fläche angriffen!
Aber es waren Shanks, die angriffen.
Ich sagte zu Larghos und Moglin: »Wir haben Ihnen zweimal standgehalten. Sie werden wieder angreifen, vielleicht noch zwei- oder dreimal. Aber sie sind schwächer geworden und werden noch schwächer werden. Ihr werdet sie abwehren. Ich gehe jetzt, um den letzten Teil des Planes durchzuführen.«
»Quidang, Prinz!«
Die Anführer der anderen Banden, aus denen sich die Armee zusammensetzte, kannten den Plan. Sie würden in den Geröllhalden und verbarrikadierten Kellern kämpfen und Shanks töten, während ich ihn durchführte.
»Fan-Si!« Ich schlug einen schroffen Ton an. »Hol dein halbes Dutzend Mädchen und folge mir.«
Wir acht kletterten zurück durch das zerstörte Gebäude. Im hinteren Teil bemannte eine kleine Gruppe unter Deldar Tongo die Peitsche einen Ausguck. Sie berichteten, in unserem Rücken sei nichts von unseren Feinden zu sehen. Ich schickte alle bis auf zwei zurück, um unsere Front zu verstärken.
»Das ist mir bei den Schtarkins aufgefallen«, sagte ich zu Fan-Si und ihren Mädchen, als wir die Zweige und Blätter wegräumten. »Sie neigen dazu, sich auf frontale Angriffe zu konzentrieren, und bleiben bei dem, was sie einmal geplant haben. Ich könnte mir vorstellen, daß die Shants, die sich sehr von den Shanks unterscheiden, viel flexibler sind.«
Schnell hatten wir die Tarnung entfernt. Ich sprang in den Voller, ohne dem Fantamyrrh besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Die Mädchen folgten mir behende. Ich hatte sie gründlich gedrillt, und sie wußten, was sie zu tun hatten.
Ein äußerst sorgfältiger Blick nach oben war erforderlich. Ich wollte nicht direkt unter einem Shank-Boot aus den Ruinen emporsteigen.
Mir war die Bedeutung dieses Augenblickes bewußt, als ich die Kontrollhebel nach vorn schob; wir schwebten gleichmäßig nach oben, bis wir uns auf gleicher Höhe mit der zerborstenen oberen Mauerkante befanden. Ein Shank flog gerade in Richtung Kyro vorbei, etwa zweihundert Fuß über uns. Ich wartete, bis er sich entfernt hatte. An der anderen Seite waren zwei weitere emsig damit beschäftigt, Feuertöpfe von Bord zu werfen. Wir hatten freie Bahn.
Sofort schob ich die Hebel auf volle Steigung und Geschwindigkeit. Wir schossen nach oben in das strömende Mischlicht der Sonnen Scorpios.
Wieder die saubere, süße Luft atmen zu können! Der Gestank der Schlacht wich aus meiner Nase. Der Lärm von unten breitete sich aufdringlich aus, aber wir flogen schnell nach oben in die reine Luft.
Wir stiegen so schnell, daß es mir gelang, über dem Shank zu schweben, der in Richtung Platz flog. Fan-Si, die sich sehr gebieterisch und streng gab, warf den ersten Feuertopf.
»Ein Schlag ins Herz!« rief sie erfreut aus. Herz ist der Begriff, mit dem in Loh, wo man das Bogenschießen gekonnt betreibt, das Auge des Chunkrahs bezeichnet.
Die Shanks unter uns waren schlau. Unser Feuertopf wurde hoch über die Seite geschleudert, aber Fan-Sis Mädchen warfen noch mehr ab, und als ich auf die anderen Flieger zuhielt, ging der Bursche unter uns in Flammen auf.
Öliger schwarzer Rauch wehte zur Seite, als er beidrehte, um einen Landeplatz zu finden.
Ich schlug auf den Süll. »Komm schon! Komm schon!« Wir taten einen Satz nach vorn, die Luft versetzte uns einen Schlag, doch nur mein Haar wurde von der Brise zerzaust.
Fan-Si hatte natürlich nur Fristle-Fifis für diese Aufgabe ausgesucht!
Die Shanks hatten uns gesehen. Sie stiegen höher. Nun, jetzt war die Zeit gekommen um festzustellen, ob Farris mir ein ausgezeichnetes oder lediglich ein gutes Fahrzeug geschickt hatte. Ich wußte, daß es nicht zu den schnellsten zählte; aber bei einem solchen Spiel waren Manövrierbarkeit und Steigungsfähigkeit die entscheidenden Eigenschaften. Etwas wie der Senkrechtstarter Harrier wäre also einem normalen Flugzeug überlegen.
Mit einem jähen Sturzflug durch die dünne Luft brachte ich den Voller neben den nächstliegenden Shank, der in die Höhe stieg. Pfeile stiegen auf, ohne jedoch ihr Ziel zu erreichen. Der kurze Bogen der Shanks war unter diesen Umständen nur wenig von Nutzen, so wirkungsvoll er auch bei den Segelschiffen der Shanks auf dem Meer sein mochte. Die Fifis warfen Feuertöpfe in die Tiefe. Das zweite Fischgesicht brannte.
Jetzt befanden wir uns über dem Kyro. Dort unten waren die Steinplatten überall von Shank-Leichen bedeckt. Ich traf eine schnelle Entscheidung; ich änderte leicht die Richtung, um das dritte fliegende Shank-Flugboot zu erwischen; die beiden am Boden befindlichen mußten warten.
Ich schrie: »Haltet nach den anderen Schiffen Ausschau. Es müssen fünf sein.«
Fan-Si kreischte: »Ich kann sie nicht sehen!«
»Gut, wir müssen uns zuerst um den Shint vor uns kümmern.« Unser Voller passierte den Shank vom Heck bis zum Bug, und Feuertöpfe regneten herab.
Wir flogen zurück, drehten uns in der Luft mit der Breitseite um die eigene Achse und passierten den Kyro ein zweites Mal.
Die Flieger am Boden versuchten zu starten. Es gelang ihnen nicht.
Sie brannten.
Jetzt konnten wir unsere ganze Aufmerksamkeit auf die Suche nach den übriggebliebenen fünf fliegenden Schiffen der Shanks konzentrieren.
Fan-Si machte schließlich drei von ihnen aus, die in einiger Entfernung schnell und in geringer Höhe dahinjagten, von der Stadt weg.
»Was, in einer Herrelldrinischen Hölle, haben sie vor?« brummte ich.
Dann sah ich es. Unter den Shanks rannten und stolperten kleine Punkte und stürzten einer nach dem anderen zu Boden.
Eine unserer Banden hatte offenbar aufgegeben und flüchtete. Ich wußte nicht, wer das Kommando hatte, und in diesem Moment wollte ich es eigentlich auch gar nicht wissen.
»Die letzten beiden«, brüllte ich. »Wo, zum Teufel, sind sie?«
Diesmal antwortete Finsi die Silberne laut rufend und zeigte in die entsprechende Richtung. Ja, da waren sie; sie flogen hoch und schnell in Richtung Nordost.
»Sie fliehen!« stieß ich überrascht hervor.
Jetzt konnte ich nur noch so schnell wie möglich den drei Fliegern hinterhereilen, die die am Boden fliehenden Pazianer peinigten.
Viele Punkte lagen im Gras und bewegten sich nicht.
Wir glitten dahin, und ich stieg, um größere Flughöhe zu erreichen.
»Meldung über den Zustand der Feuertöpfe.«
Fan-Si sagte sofort: »Wir haben noch zwanzig Stück.«
Braves Mädchen! Sie war ein erstklassiger Oberleutnant!
Die drei Shanks vor uns stiegen höher. Sie kreisten einmal, und ich erstarrte innerlich, als ihr Bug auf uns zeigte. Sie vollendeten die Kreisbahn, bis ihr Heck sichtbar war. Dann flogen sie fort.
Die einzige Erklärung, die mir für dieses seltsame Benehmen einfiel, war, daß sie alle Bodentruppen verloren hatten und nun vermuteten, daß auf unserer Seite weitere Luftstreitkräfte auf den Einsatz warteten. Schließlich waren wir aus dem Nichts aufgetaucht und hatten ihnen einen gewaltigen Schreck versetzt. Sie hatten ihre Chancen abgewägt. Ihre Bodentruppen und die Hälfte ihrer Luftwaffe waren verloren. Sie mochten vielleicht unflexibel sein und einen Plan blind befolgen, nachdem sie sich einmal für ihn entschieden hatten; doch in dieser Situation waren sie klug genug um zu wissen, wann sie sich zurückziehen mußten.
Ich stand an den Kontrollen, nahm die Geschwindigkeit zurück und sah den davonfliegenden Fischköpfen nach. Mir war klar, daß mein Gesicht eine nachdenkliche, feindselige Entschlossenheit ausdrückte. Sie mochten fürs erste weg sein, doch sie würden wiederkommen!
Wenn sie es taten, mußten wir entweder ein ganzes Stück weit weg oder auf sie vorbereitet sein.
Sanft schwang ich den Voller zurück zu der zerstörten Stadt Clovangjin.
Es gab eine Menge aufzuräumen. Wir trauerten um gute Leute, die ihr Leben verloren hatten. Auch wenn der Schmerz durch unseren unbestreitbaren Sieg etwas betäubt wurde, die Pein blieb.
Mit düsteren Gefühlen brachte ich den Voller an einer Seite des Kyro zu Boden. Larghos, Moglin, eine wahre Flut von Leuten stürmte herbei, drängelte sich jubelnd und waffenschwingend um uns. Jemand schrie »Hai, Jikai!«, und der laut schallende Ruf wurde aufgegriffen, bis der ganze Platz unter diesem Geräusch erzitterte. Der jubelnde Lärm erhob sich sowohl über den roten als auch den grünen Blutgestank, über die hingestreckten Leichen, Shanks und Pazianer; er stieg wie ein Dankgebet in die Höhe.
Hai Jikai!