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Ich, Dray Prescot, Lord von Strombor und Krozair von Zy, habe auf Kregen ein turbulentes, schelmenhaftes Leben geführt. Es wurde mir nicht nur durch die Machenschaften der Herren der Sterne aufgezwungen. Pflicht, Neigung und eigene Interessen haben mich von Land zu Land und von Kontinent zu Kontinent geführt. Ich habe viele Freunde und viele Feinde auf dieser großartigen und schrecklichen Welt gefunden, die vierhundert Lichtjahre von dem Planeten meiner Geburt entfernt liegt. Mein persönlicher tiefer Wunsch ist es, mich mit Delia in Esser Rarioch niederzulassen, unserem Heimatpalast in Valka. Nun, vielleicht wird dieser Wunsch eines Tages in Erfüllung gehen. Wie es scheint, legen die Everoinye Aufgaben in meine Hände, die zum Besten Paz' erfüllt werden müssen.
Sobald die Herren der Sterne wieder Kontakt mit mir aufgenommen hatten – und die Idee, daß sie nicht wußten, wo ich mich auf Kregen aufhielt, war eine interessante Annahme, die einem Schock gleichkam, bei Krun! –, würden sie mich bestimmt holen, wo immer ich mich auch gerade aufhielt, und mich irgendwo aussetzen, damit ich mein Schicksal weiter erfüllen könnte.
Der verdammte dumme Skorpion hatte mich abstürzen lassen. Nun, um gerecht zu sein, ihn hatten die giftgrünen Stöße Ahrinyes aus dem Gleichgewicht gebracht. Wie dem auch sei, meinem nächsten Ausflug mit dem blauen Phantom-Skorpion sah ich mit einem gewissen Argwohn entgegen.
Im Augenblick mußten wir damit weitermachen, was wir gerade taten. Ornol Skobog säuberte sich in einem netten kleinen Bach, der ein hübsches Wäldchen durchfloß. Wir holten die Vorräte heraus, die sie mitgebracht hatten, und der Bogenschütze des Ersten ZBH, Nath der Dorvenfull, erlegte einen prächtigen Hirsch. Wir verspeisten alle riesige Mengen.
Dann wandte ich mich mit einem Teil der schönen alten Autorität an Ornol und die anderen.
Während der gefühlsbelasteten Debatte schickte ich Rollo weg. Ich befahl ihm, sich in Lupu zu versetzen und sich mit seinem alten Lehrer Gal-ag-Foroming in Verbindung zu setzen, um ihm einen ehrlichen Dank zu übermitteln, daß er die Nachricht weitergeleitet hatte. Das tat ich nicht nur, um Rollo aus der Debatte mit meinen Jungs herauszuhalten. Ich hielt es für angebracht, dem Zauberer aus Loh zu danken. Schließlich war ich recht grob mit ihm umgesprungen.
Als die Jungs meines Wachkorps davon überzeugt waren, daß ich allein nach Süden fliegen mußte, war Rollo noch nicht aus dem Wald zurückgekehrt. Also ging ich ihm nach, da ich plötzlich fürchtete, er könne wieder in Schwierigkeiten stecken.
Ich fand ihn auf einer kleinen Lichtung. Er saß bequem da, den Rücken an einen Baum gelehnt. Er sah auf, als ich näher kam.
»Ah, Dray! Ich dachte mir, daß du bald kommen würdest.«
Die Stimme gehörte nicht Rollo dem Läufer. Ich kannte die keuchende Stimme.
»Deb-Lu!«
Rollo saß entspannt da, und Deb-Lu-Quienyin sprach durch den Jungen zu mir.
Er erzählte mir, daß es einiges Aufsehen gegeben hatte. Die beiden Piloten des Luftdienstes hatten einige blaue Flecken abbekommen, waren aber sonst unverletzt und bedauerten ihre Dummheit sehr. Ganz Vondium war wegen dieser Geschichte aufgebracht. »Aber, Jak, ich glaube nicht, daß du über das Ergebnis erfreut sein wirst.«
»Das kann ich mir denken«, stöhnte ich.
»Ja, sie waren alle sehr beharrlich. Der Herrscher hat angeordnet, daß jeder Mann deines Wachkorps sich freiwillig melden darf, wenn er möchte.«
»Das bedeutet, die ganze wilde Mannschaft!«
»Natürlich.« Die krächzende alte Stimme, die über die vielen Meilen von Vallia aus mit mir sprach, gluckste vor Vergnügen.
Deb-Lu erzählte mir, daß Drak seine eigene Wache für ausreichend hielt. Die Namensänderungen waren unbedeutend. Die SWPM – die Schwertwache des Prinz Majister – würde als Regiment für Draks Sohn verbleiben, wenn dieser geboren war. Die Wachleute, die die derzeitige SWPM bildeten, hatten sich alle freiwillig für das Regiment des neuen Herrschers gemeldet, die Ersten Roten Jacken des Herrschers. Wenigstens wurden damit einige der Probleme gelöst.
Deb-Lu versorgte mich mit Einzelheiten über den Stand der Dinge in den Teilen Kregens, die von unmittelbarem Interesse waren und über die ich Bescheid wissen mußte. Man kümmerte sich um das Problem Pandahem, wie Sie zur gegebenen Zeit hören werden. Mein guter Kamerad Gloag, der für mich Strombor führte, hatte sich von der Insel Mehzta gemeldet. Die Insel war brutal von den Shanks angegriffen worden. Obwohl Gloag völlig in Strombor heimisch geworden war, hatte er doch das Bedürfnis, seinem Geburtsort mit einer Expeditionsstreitmacht auszuhelfen. Das konnte ich verstehen.
»Bestell Gloag, er soll sich aus Strombor nehmen, was er braucht. Er muß nur daran denken, eine ausreichende Truppe zu Hause zu lassen. Er kann sich mit Hap Loder in Verbindung setzen. Der wird sich auf eine solche Gelegenheit stürzen. Und die Klansmänner sollten die Shanks in Angst und Schrecken versetzen!«
»Gut. Von Delia weiß ich nichts Neues. Seg und Inch sind in Staatsgeschäften unterwegs, Turko denkt übers Heiraten nach ...«
»Höchstens in ferner Zukunft!«
Deb-Lu lachte. »Er denkt daran, einige seiner Leute zu verheiraten ...«
»Oh!«
Es gab noch andere Neuigkeiten. Dann fragte ich: »Übrigens, Deb-Lu, was ist mit Khe-Hi und Ling-Li? Ich habe von den Zwillingen gehört.«
»Sie wachsen und gedeihen. Khe-Hi ist eifrig mit einem Plan beschäftigt, den wir geschmiedet haben. Ich halte dich auf dem laufenden. Die Verbindung ist wesentlich leichter geworden.«
Es folgte noch etwas Klatsch. Zum Abschluß sagte ich: »Der kluge Tunichtgut Ra-Lu-Quonling – er nennt sich Rollo der Läufer – ist durch die Prüfung gefallen. Würdest du ihn aufnehmen?«
»Mit Vergnügen. Ich spüre, daß er ein großes Potential hat. Er muß bloß – wie man deiner Behauptung nach in Clishdrin sagt – seinen Weg finden.«
»Vielen Dank, Deb-Lu. Ich glaube, aus ihm wird noch etwas Anständiges.«
Rollo der Läufer bewegte sich, seufzte auf und streckte sich.
»Bist du zufriedenstellend fertig geworden, Drajak?«
»Vielen Dank, Rollo. Das war sehr freundlich von dir.« Ich erzählte ihm, was für seine Zukunft beabsichtigt war. »Deb-Lu ist ein großartiger Mann und ein sehr mächtiger Zauberer. Du könntest es nicht besser treffen.«
»Was das angeht, würde ich lieber mit dir als Bogenschütze aus Loh Abenteuer erleben.«
»Du auch noch!« seufzte ich. »Das ist nicht möglich, Junge. Wohin ich gehe, da ist es sehr ungesund.«
Wie Sie sich sicherlich schon gedacht haben, wußte ich, wie meine nächsten Schritte aussahen und welche Richtung ich einschlagen mußte. Und es war sehr ungesund, bei Krun!
»Ich verstehe nicht ...«, fing er rebellisch an. Die ganze Herablassung, die ich in ihm gespürt hatte, als ich ihm erstmals begegnet war, brach wieder durch. »Schließlich habe ich mit meinem Wissen euer aller Haut gerettet, oder etwa nicht?«
»Das hast du, und dafür danken wir dir. Aber was vor mir liegt ...«
»Schlimmer als ein Shuckerchun?«
»Viel schlimmer.«
Er schwieg.
Ein Hauch seines früheren Hochmutes war immer noch zu spüren, als er nach einem Moment des Nachdenkens sagte: »Man braucht kein Genie zu sein, um zu vermuten, daß du gegen die Shanks zu Felde ziehst. Ich habe die Gerüchte gehört. Sind die Fischköpfe denn so schrecklich?«
Ich faßte ihn ins Auge. »Ja.«
Er hielt die Luft an. Leute, die tief im Landesinneren leben, müssen, wenn es um das Meer geht, erst einmal geschult werden, und man muß ihnen zeigen, wie Seeleute etwas in die Hand nehmen. Wissen sie erst einmal Bescheid über das Meer und alles, was damit zusammenhängt, können sie eine Flotte aufbauen, die der einer Insel in nichts nachsteht. Nach Rollos Meinung waren die Horrorgeschichten, die über das Unwesen der Shanks kursierten, um so übertriebener, je tiefer sie ins Landesinnere getragen wurden. In seinem jugendlichen Überschwang reduzierte er diese Meldungen auf ein harmloses Maß. Ich nahm ihm seine Illusionen und stellte ihm die schrecklichen Geschichten kaltblütig als die Tatsachen dar, die wirklich geschehen waren.
»Egal«, beharrte er aufsässig. »Ich würde trotzdem ...«
»Du bekommst die beste Gelegenheit, die sich einem angehenden Zauberer aus Loh bietet, nämlich bei Deb-Lu in die Lehre zu gehen. Vallia ist herrlich. Dir wird es dort gefallen.«
»Noch mehr lernen!«
»Wenn du weiterkommen willst ...«
»Das sagt sich so leicht. Ist Weiterkommen denn das wichtigste?«
»Das wichtigste ist der Versuch, daß man sich zusammen mit seinen Mitmenschen ein Leben schafft, das so glücklich wie möglich ist. Das ist zumindest meine Meinung. Und wenn man im Leben weiterkommt, so fördert das im allgemeinen dieses Streben. Aber nein, du hast recht – es spielen noch viele andere Faktoren mit, und je weiter du kommst, desto unglücklicher kannst du werden.«
»Na also!«
Ich machte mich auf zu den Flugbooten. »Dem mußt du dich einfach stellen, Rollo. Hör mal, versuch es doch ein paar Jahre lang mit Deb-Lu. Sieh zu, wie es sich entwickelt.«
»O ja! Das bedeutet – du wirst mich los.«
»Mach es dir selbst nicht schwerer als nötig.«
Danach gingen wir schweigend durch den Wald zu den Vollern. Meine Gedanken konzentrierten sich auf die Frage, was die verdammten Herren der Sterne vorhatten.
Nach allem, was ich auf Kregen erlebt hatte, konnte ich es irgendwie nicht glauben, daß die Everoinye meinen Aufenthaltsort nicht kennen sollten. Sie interessierten sich wahrscheinlich nicht im mindesten dafür, womit ich mich beschäftigte, und hatten nicht vor, mich in unmittelbarer Zukunft zu beschäftigen. Doch sie hielten sich sicherlich über meinen Aufenthaltsort auf dem laufenden. Ihr Bote und Spion, der prächtige goldrote Raubvogel namens Gdoinye, würde über mir kreisen und sein rundes Auge auf mich und meine Taten werfen. Oder ein kleiner rötlich-brauner Skorpion würde hervorgekrochen kommen, arrogant mit seinem Stachel winken und mir auf bildhafte Weise meine Zukunft schildern.
Mit Sicherheit mußten meiner Meinung nach sowohl Ahrinye und Zena Iztar wissen, wo ich mich aufhielt, da sie meinen Sturz abgebremst hatten. Das nahm ich zumindest an. Zena Iztar, von allen übermenschlichen Wesen wahrscheinlich die geheimnisvollste, hatte ihre eigenen Pläne. Ich glaubte ganz fest, daß sie mir eine Freundin war. Ahrinye würde es den Herren der Sterne wahrscheinlich aus Trotz oder Halsstarrigkeit nicht sagen. Also war ich immer noch unterwegs, mein eigener Herr, und konnte meine eigenen Pläne verfolgen.
Wie Sie wissen, erforderten diese Pläne einen einfachen nächsten Schritt, der direkt in den Schrecken führte.
Im Süden hatten wir in Makilorn Leone vom Thron gestürzt, damit Kirsty Königin werden konnte, wie es die Everoinye wünschten. Aber war durch den Erfolg dieser Verschwörung sichergestellt, daß die Pläne der Herren der Sterne nun Gestalt annähmen? Ihre Pläne entwickelten sich über viele Jahre hinweg. Ich hatte Menschen für sie gerettet, damit die Kinder dieser Menschen sich auf der Bühne der Geschichte zur Schau stellen konnten. Aus welchem Grund einige der Männer und Frauen von mir gerettet werden mußten, blieb ein Geheimnis; zweifellos würden in den kommenden Jahren die Gedankengänge der Herren der Sterne zutage treten, die diese Menschen betrafen: bei irgendeiner welterschütternden Katastrophe, bei einer neuen Religion, dem Tod einer Dynastie oder wenn ein einfacher Mensch sich zur richtigen Zeit am richtigen Ort befand, um die Geschehnisse der Welt zu beeinflussen.
Hier und jetzt war nicht die Zeit, um solch umwälzende Ereignisse zu erwarten. Hier und jetzt waren die Shanks in Tarankar und hatten eine Teufelei vor. Hielte man sie nicht bald auf, würden sie sich wie ein Krebsgeschwür ausbreiten, um das ganze Land zu verschlingen. Und sie würden sich weiter ausbreiten. So groß Loh auch sein mochte, wer konnte so kühn sein und sagen, wo die Fischköpfe innehielten?
Wenn die Herren der Sterne dies nicht sahen, waren sie wirklich senil.
Natürlich bestand noch die Möglichkeit, daß dieses ganze verdammte wilde Durcheinander nur ein Spiel für sie war.
»Bei Vox, Jis!« rief Ornol, als wir die Voller erreichten. »Du siehst aus, als hättest du etwas gegessen, das dir schreckliche Bauchschmerzen verursacht.«
»Nicht gegessen, Ornol. Gedacht.«
»Ah, ja«, nickte er weise. »So ist das.«
Und Rollo lachte.
»Dieser junge Racker kehrt mit nach Vallia zurück. Paß auf, daß er dabei nicht aus dem Voller fällt. Zumindest nicht über Land.«
»Quidang!«
Die wenigen erforderlichen Vorbereitungen waren schnell erledigt. Alle gingen an Bord des einen Flugbootes, und ich steuerte das andere in herrlicher Einsamkeit.
In dem anderen Voller gab es eine Verzögerung, und ich hörte Rufe und ein paarmal den Fluch »Bei Vox!« Loptyg brüllte: »Der Kendur hat gesagt, du kommst mit uns!« Dann ertönte Rollos helle junge Stimme voller Herablassung: »Ich habe beschlossen, nicht zu fliegen. Ich muß hier einige Dinge erledigen.« Ornol schrie mit tiefer Stimme und so, als wäre es selbstverständlich: »Vielleicht hast du ein paar Dinge zu erledigen, mein Junge. Der Kendur hat einen Befehl gegeben, und dieser Befehl wird befolgt.« Coram der Pfeil, ein Dwa-Hikdar vom Zweiten SWH, brüllte: »Aye, Bürschchen! Befolgt bis in den Tod!«
Diese Sache überließ ich am besten den Jungs, die wurden schon damit fertig. Es gab noch einigen Aufruhr und viele flehentliche Rufe an Götter, Heilige und Dämonen der verschiedensten Glaubensrichtungen – dann folgte eine merkwürdige Stille. Kurz darauf hob der Voller ab. Eine Reihe von Köpfen erschien über dem Schanzkleid, und eine Salve Remberees dröhnte herunter. Ich erwiderte die Remberees brüllend, und das Flugboot schoß hinauf in den klaren Himmel Kregens, wurde zu einem kleinen Punkt im Norden und verschwand. Ich seufzte. Sie würden bald zu Hause in Vallia sein.
Entschlossen wandte ich das Gesicht dem Süden zu. Eine Berührung der Kontrollen, und ich schwebte in der Luft.