10

 

 

In mittlerer Höhe jagten wir an Chems Küste entlang.

Die Zwillingssonnen warfen weiterhin ihre vermischten rotgrünen Strahlen vom wolkenlosen Himmel. Wenn sich in diesem Teil Kregens Wolken formten, taten sie es regelmäßig und mit Strenge. Der Himmel würde sich schwarz verfärben. Der Regen würde in einem Wasserfall niederpeitschen, der den Niagara begraben hätte, so wie der Niagara einen Forellenteich unter sich begraben hätte. Die Bäume backbords bildeten einen einzigen dunkelgrünen Teppich. Gelegentlich gab es eine Lücke in dem gleichförmigen Laubwerk. Die Küste bildete entweder eine Reihe von Kurven, an denen Sandstrände zum Baden einluden, oder sie erstreckte sich in einer geraden Nordsüdlinie, an der sich unbarmherzig die Wellen brachen.

Rollo informierte mich darüber, daß es sich bei diesen Bäumen wahrscheinlich um die berühmten Brellambäume handelte. Ein Fach des sehr umfassenden Lehrplans von Whonban war Naturkunde gewesen, und das hatte er gründlich studiert. Die verführerische Hexe Pynsi mußte für eine Menge geradestehen, bei Krun!

»Sie wachsen gerade und sehr hoch. Sie entwickeln breite Zweige und drehen die Blätter in einer dicht geschlossenen Masse von Kelchen nach oben. Sie hindern das meiste Licht der Sonnen und den Regen daran, den Boden zu erreichen, und halten die Flüssigkeit in ihrer Zellenstruktur fest. Folglich ist der Boden unter ihnen ziemlich frei von niedrigem Pflanzenwuchs.«

»Der zweifellos parasitärer Natur wäre.«

»Hier in Chem auf jeden Fall. Die Brellambäume gibt es besonders an dieser Küste, Slaptras und Slaptras eher tiefer im Landesinneren.«

»Ich möchte sie nicht finden«, seufzte ich inbrünstig.

Er zog eine Grimasse. »Wahrhaftig.«

Aus dem grünen Teppich vor uns erhoben sich Punkte. Ich beschirmte die Augen mit der Hand und schaute hin.

Bei dieser Bewegung drehte sich Rollo schnell um und starrte nach vorn. Ich spürte die Anspannung in ihm, die seinen Körper zur Unbeweglichkeit versteift hatte.

»Möge Jallalak der Gnadenlose jetzt widerborstig sein!« verkündete er mit krächzender Stimme. »Xichun! Verdammte Xichun, die aufgestiegen sind, um uns zu verschlingen!«

Die fliegenden Tiere erhoben sich von ihrem luftigen Sitz. Es dauerte nur wenige Momente, und sie waren wie windgetriebene Blätter über uns. Körper glänzten grün und golden, mit rotgeränderten Schuppen; stark gekrümmte Schwingen schlugen heftig, und die geschlängelten Hälse und peitschenähnlichen Schwänze verliehen ihnen eine lange bedrohliche Form, die von den kleinen Köpfen, deren Rachen mit nadelspitzen Zähnen vollgestopft waren, abgerundet wurden. Diese fliegenden Echsen waren die Könige und Königinnen der Raubtiere unter den Lebensformen des Waldhimmels. Jetzt sollten wir ihnen als Mittagessen dienen.

Sie ähnelten den Xi der Stratemsk. Schillernde Schwingen umflatterten uns. Schwänze peitschten, keilförmige Köpfe stießen vor.

Aber unsere Form mußte sie verblüfft haben. Wir hatten keine Flügel. Was haben wir denn da? mußten sich ihre Echsenhirne fragen.

Sie umkreisten uns, flogen hoch und stießen herab, ständig im Kreis. Sehr bald würden sie sich auf uns stürzen und uns als Beute beanspruchen.

»Jetzt«, sagte ich zu Rollo, »hast du Gelegenheit, ein Bogenschütze aus Loh zu sein.«

Da war ich herzlos und gemein. Rollo wußte nichts von der Fähigkeit der Voller, schneller zu sein als die meisten Arten fliegender Tiere und Vögel. Die Xichun konnten wahrscheinlich kurze Zeit mithalten, dann würden ihre Muskeln unweigerlich ermüden, und der Voller würde weitereilen. Aber er wollte sich wie ein tapferer Bogenschütze aus Loh benehmen, der auf Abenteuer aus war. Das war seine Gelegenheit.

Dazu muß ich sagen, daß ich mich für diese Erklärung schäme, denn etwa einen Herzschlag später wurde mir etwas klar. Es war sicher verdienstvoll, diesen jungen Draufgänger in den Härten eines abenteuerlichen Lebens zu unterrichten, aber das wog nichts im Vergleich zu einer weitaus wichtigeren Überlegung. Bei den süßen Lehren Opaz': Ich beabsichtigte tatsächlich, lebende Kreaturen mit Pfeilen zu spicken, zu töten und zu vernichten, um einem jungen Draufgänger eine Lehre zu erteilen!

Ich kann Ihnen sagen, in diesem Augenblick fühlte ich, Dray Prescot etc., etc. mich außerordentlich klein. Winzig, bei Krun!

Ich schob die Kontrollen auf volle Geschwindigkeit und vollen Auftrieb.

Die Xichun fühlten sich durch diese Bewegung offensichtlich bedroht, da sie in diesem Moment angriffen. Mit einem wilden Fauchen und starkem Flügelschlag begannen sie ihren Angriff und stießen auf uns herab.

»Da kommen sie!« schrie Rollo.

»Töte den, der am bedrohlichsten ist!« brüllte ich zurück.

Er hob den Bogen und schoß. Und verfehlte das Ziel.

»Wie kannst du bei dem Gegenwind, den der Apparat verursacht, geradeaus schießen? Jeder Pfeil wird zur Seite geweht!«

»Darf ich? So.«

Mein Pfeil traf den Xichun an der Spitze des Rudels in den Flügelansatz. Er drehte ab und flatterte sofort auf die grünen Baumwipfel zu. Er tat mir leid, gleichzeitig freute ich mich darüber, daß ich mein Ziel genau getroffen hatte.

Rollo schoß erneut und verfehlte wieder. Ich schaltete einen zweiten Xichun aus, dann rasten wir weiter in die Höhe, und die Flugechsen schlugen weit hinter uns vergeblich mit den Flügeln.

Rollo schaute zurück. Sein Gesicht nahm langsam wieder die gewöhnliche Farbe an.

»Bei Lingloh! Wir sind entkommen!«

Ich hielt es für klug, nicht zu erwähnen, was sich wirklich abgespielt hatte.

Und dann ... Als ich mich umdrehte, um wieder nach vorn zu sehen, waren sie da und flogen in einer geraden Linie vor uns. Der schwarze Rumpf und die rechtwinkligen Aufbauten waren unverwechselbar.

Sehr beherrscht sagte ich: »Sieh mal nach vorn, Rollo! Behalte im Gedächtnis, was du siehst.«

Und ich schob die Hebel wild zurück. Der Voller stürzte senkrecht durch die dünne Luft. Es gab eine Chance. Fanden wir eine Lücke in den Brellambäumen, konnten wir zwischen den weitauseinanderstehenden Baumstümpfen hindurch den Flugschiffen mit den schwarzen Rümpfen und der verdammten Shankbesatzung entfliehen.

Rollo taumelte, als das Flugboot fiel, und griff nach der Reling. Er starrte nach oben. Er war schlau genug, um sofort zu verstehen, in welche Falle wir geraten waren.

Mit dünner Stimme fragte er: »Glaubst du, sie entdecken uns?«

»Sie haben Augen.«

Seine rechte Faust umklammerte die Reling, die linke den Langbogen. Bewußt – er zwang sich dazu, wie ich sehen konnte – blickte er über Bord. Der grüne Waldboden wurde nach oben katapultiert. »Da ist eine Lücke.«

»Dondo!«

»Vielleicht.«

Ich wußte genau, was er meinte.

Die exakte Schiffslinie dort oben wendete, und die fliegenden Schiffe der Shanks zielten in unsere Richtung. Zwei, die sich ganz vorn in der Linie befanden, senkten sich rasch und stürzten in die Tiefe. Es gab keinen Zweifel, daß sie uns gesehen hatten; jetzt waren sie hinter uns her.

Ein schneller Blick nach unten zeigte mir die Lücke, die Rollo gesehen hatte. Einer der riesigen Brellambäume war umgestürzt. Die Lichtung zwischen den Baumwipfeln hatte als Durchmesser die Länge der größten Äste. Unser kleiner Voller hatte gerade genug Platz, um genau dort einzutauchen.

»Wir werden es schaffen!« Rollos Stimme wurde schrill vor Erleichterung. »Wir kommen da durch. Und die Schiffe der Shanks sind zu groß, um uns zu folgen!«

Ich zögerte nur ein paar Herzschläge lang. Es war besser, wenn er sofort richtig im Bilde war. Ich sagte: »Sie werden kleinere Boote ausschleusen.«

»Oh.«

»Und«, fügte ich hinzu, »da kommen die verfluchten Xichuns wieder.«

Er starrte hinter uns in die Tiefe. Die Flugechsen hielten zielstrebig auf die Lücke zwischen den Bäumen zu. Sie hatten es zeitweilig aufgegeben, uns zu verfolgen; aber nun kamen sie wieder, um ihre Klauen und Zähne in uns zu schlagen.

»Wir müssen ihre Reihen direkt durchbrechen.« Er ließ die Reling los und griff mit der Rechten nach einem Pfeil.

Ich konnte es mir bildlich vorstellen; es war eine jener blitzartigen geistigen Visionen, die einem Wachoffizier aus einer finsteren Nacht vor Brest so vertraut waren. Es war ein Problem, das gelöst werden mußte, angewandte Trigonometrie. Natürlich handelte es sich nicht um blutleere Theorie, sondern um pralles Leben. Trotzdem wurden unsere Handlungen von den gleichen abstrakten mathematischen Gesetzen gelenkt.

Unsere Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf die kleine Lichtung, eine Art lebenden geometrischen Ort. Die Xichuns strömten darauf zu, die mit nadelspitzen Zähnen gespickten Rachen weit geöffnet. Die Schiffe der Shanks stürzten darauf zu, und bald würden sie Flugpinassen und Langboote aussetzen. Wir flogen darauf zu, in dem verzweifelten Versuch, als erste durchzuschlüpfen.

»Komm schon! Komm schon!« Ich redete mit mir selbst, die Lippen fest aufeinandergepreßt.

Rollo starrte abwechselnd nach oben zu den Shanks und nach hinten hinunter zu den Xichuns. Die Faust, in der er den Bogen hielt, zitterte kaum merklich.

Der Wind pfiff an uns vorbei. Die Sonnen schienen. Die Luft roch widerlich nach dem Dschungel Chems. Ich dachte an Delia – eine dumme Bemerkung: wann denke ich nicht an sie? – und versuchte, die Kontrollhebel über die Haltemarkierung hinauszuschieben. Wie ein Stein stürzten wir auf die Lücke im grünen Meer der Baumwipfel zu.

»Sie stoßen kleine Flugboote aus!« rief Rollo.

»Ich sehe es.« Ein halbes Dutzend kleiner Flugboote löste sich von den größeren Flugschiffen. Sie stürzten ebenfalls wie ein Stein in die Tiefe; ich hoffte, das Loch in dem Teppich aus Baumwipfeln passiert zu haben, bevor sie uns erreichen würden. Es stellte sich nur die Frage: Würden wir durchgeschlüpft sein, bevor uns die Xichuns erwischten?

Die Frage wurde sehr schnell von einem Tumult schlagender Flügel, peitschender Schwänze und vorschnellender Köpfe beantwortet. Die Xichuns umgaben uns, als ich die Sinkgeschwindigkeit des Vollers verringerte, damit wir unter den Baumwipfeln nicht zerschmettert würden. Wir stürzten immer noch schnell genug, bei Krun, aber ich mußte mit dem einen Auge die Kontrollen beobachten und mit dem anderen die Xichun.

Rollo ließ die Bogensehne vorschnellen und verfehlte; er fluchte und legte den nächsten Pfeil ein.

Ich machte keine Anstalten, meinen Bogen zu benutzen. Der Voller ging schnell auf Tiefe, und mit einem vorsichtigen Stoß des Vorwärtshebels schob ich ihn in genau die richtige Position. Ein Xichun verbiß sich im hölzernen Schanzkleid unter der Reling. Er wurde mit uns gezerrt und schlug dabei wild mit den Flügeln. Eine weitere Echse landete mit großem Geflatter an Deck. Rollo stieß eine Warnung hervor.

Mit Bedauern riß ich mein Schwert heraus, verließ die Kontrollen, sprang den Xichun an, wich dabei seinem Schlag aus und hieb den Hals unter dem kleinen Kopf zur Hälfte durch. Sein schriller Schrei verstummte wie abgeschnitten, und er brach an Deck zusammen; Flügel und Schwanz hingen leblos über der Reling. Es blieb keine Zeit, das arme Geschöpf über Bord zu werfen. Es wurde durch die Kräfte der Natur dazu gezwungen, uns zu töten und zu fressen; wir hatten keinen derartigen Trieb.

Es blieb nur Zeit dafür, an die Kontrollen zurückzuspringen und den Voller sauber durch die Lücke zwischen den Bäumen zu steuern.

Über uns sah ich die Masse schlagender Flügel und biegsame, sich windende Hälse und Schwänze. Sie wirbelten wie wahnsinnig um das Loch in den Blättern herum, aber sie folgten uns nicht. Diese Tatsache verursachte bei mir eine Reihe von düsteren Vorahnungen.

Rollo keuchte: »Sogar die Xichuns fürchten sich vor dem, was hier lebt!«

Die Echse, die sich in den Voller verbissen hatte, wurde tollwütig. Ihre Flügel verursachten einen Sturm, der über das Deck fuhr. Schließlich gelang es ihr mit einer unglaublichen Kraftanstrengung, den Kopf freizureißen. Sie hinterließ einen Klumpen nadelspitzer Zähne im Schanzkleid, wäßrig-grünes Blut tropfte herunter. Die Echse flog mit einer Reihe ruckartiger Bewegungen in die Höhe, um sich draußen im Licht der Sonnen zu ihren Artgenossen zu gesellen. Denn hier unten, unter dem geschlossenen Dach aus Baumwipfeln, war das Licht wie tief im Meer, grün, grau und fleckig, nicht sehr einladend.

Die durch die Lichtung fallenden vermischten grünen und rubinroten Sonnenstrahlen enthüllten eine andere Welt. Hier ragten die großen geraden Stämme der Brellambäume vom Waldboden bis hinauf zu den herabhängenden Wipfeln, und an den mächtigen Baumstämmen wuchsen zahllose efeuähnliche Pflanzen.

Der Boden tief unter uns wurde vom Zwielicht verborgen.

Der Dschungelgestank hatte sich hier auf unmerkliche Weise verändert. Die kelchförmigen Blätter erreichten eine beträchtliche Größe und fielen dann herab, um von neuem Wachstum ersetzt zu werden. Der Erdboden war also gut gedüngt. Aber da gab es noch eine Kleinigkeit, die einen bestimmten Geruch verursachte. Kleine verstohlene Bewegungen auf den Baumstämmen und inmitten der Kletterpflanzen stammten wahrscheinlich von winzigen Geschöpfen, die eine bestimmte Nische in der Lebenskette besetzten. Ich hatte eine böse Vermutung, wer dort unten wohl lebte und die Xichuns so erschreckte.

Aus der Mitte der Lichtung kam eine bootförmige schwarze Silhouette zum Vorschein. Sofort wurde sie von wütenden Xichuns umringt.

Ich sagte: »Wenn die Shanks vorhaben, uns zu folgen, werden sie so wie wir mit den Xichuns verfahren. Zeit genug, um von hier wegzukommen.«

»Wir können den Wald nicht in Richtung Westen verlassen ...«

»Das stimmt. Aber laß uns weiter nach Süden vordringen.«

»Was? Und dabei hoffen, den Shanks ganz aus dem Weg zu gehen?«

»Wir können es nur versuchen.«

Ich bemerkte, daß ich mich Rollo gegenüber nicht gerade hilfsbereit verhielt, aber in Gedanken war ich einige Jahre zurückgewandert – in die Zeit, als Delia, Seg, Thelda und ich von den Gipfeln der Stratemsk herunter geflogen waren, um die Unwirtlichen Gebiete zu überqueren. Wir waren von riesigen kohlrabenschwarzen Impitern angegriffen worden, die genauso wild wie die Xichuns gewesen waren. Unser Voller war böse herumgestoßen worden und hatte nicht entkommen können. Wir wären von den Impitern wahrscheinlich übel verprügelt worden – selbst wenn sie es nicht geschafft hätten, uns alle aufzufressen –, hätte uns nicht ein Schwarm winziger gelber und rosafarbener Vögel gerettet. Sie lagen mit den Impitern in Fehde, und sie siegten.*

Ich befahl Rollo: »Hol festes Segeltuch! Breite es an Deck aus und steh bereit, dich darunter zu verstecken. Laß keine Öffnungen frei.«

»Was soll ich ...?«

»Du hast verstanden.«

»Aber ...«

»Und hol auch ein paar der gefütterten seidenen Fliegerjacken heraus.«

»Nun gut.« Er hatte den häßlichen Unterton in meiner Stimme bemerkt.

Auf dem Erdboden unter der kleinen Lichtung fand zwischen den jungen Brellambäumen und der kargen Vegetation, die dort aus Samen entstanden war, eine unselige Schlacht statt. Am Ende würde sich ein junger Brellambaum gegenüber den anderen Pflanzen durchsetzen; er würde sich seinen Brüdern oder auch Schwestern entledigen, indem er ihnen Wasser und Sonnenlicht vorenthielt. Wenn die neue Blätterfläche nicht genau in das Loch paßte, würde er sich anpassen. Die Brellambäume spielten sich als die Herren auf, und sie beabsichtigten, das Gleichgewicht der Natur auf diese Weise zu halten. Was die verschiedenen Tierarten betraf, die auf den Stämmen lebten – sie würden unbehelligt bleiben. Ich hielt alles in dem grünen Zwielicht zwischen den dicht geschlossenen Baumreihen scharf im Auge.

Das gedämpfte, dunkelgrüne, unterwasserähnliche Zwielicht konnte den Geist stark beeinflussen. Ich glaubte nicht, daß der Wald Menschen, die hier leben wollten, in ausreichender Form ernähren konnte – obwohl es durchaus möglich war; natürlich besitzt der Mensch eine teuflische Anpassungsfähigkeit. Ich war davon überzeugt: Sollten wir auf eine der vergessenen Städte Chems stoßen, waren die Einwohner sicher ein mürrischer Haufen.

»Die von Whoorn verlassenen Shanks sind durchgebrochen. Sie folgen uns!«

Ich schaute zurück. Zwei der Pinassen flogen zwischen den Baumstämmen nach unten; das Licht der Sonnen funkelte zum letzten Mal auf den Waffen, die die Shanks an Bord hatten. Sie nahmen mit offenbar mörderischen Absichten die Verfolgung auf.

»Jetzt wird vollendetes fliegerisches Können gefordert«, sagte ich, um die verzweifelte Situation etwas aufzulockern.

»Hu?«

»Wir müssen uns fluttklepper flick zwischen diesen Bäumen bewegen.«*

»Wir müssen entkommen ...«

»Achte auf alle kleinen Vogelschwärme!«

Er öffnete den Mund, schloß ihn wieder und sagte nur: »Nun gut.«

Er wußte nicht, wovon ich sprach, noch nicht. Havilfar ist der Kontinent der Sattelflugtiere. Soweit mir bekannt war, gab es in Loh keine Vögel oder fliegenden Tiere, die groß oder kräftig genug waren, um ein menschliches Wesen zu tragen, und die man dafür hätte abrichten können. Wenn sie aber groß genug waren – wiederum soweit mir bekannt war –, waren sie störrisch. Wir mußten fluttklepper flick zwischen den Bäumen hindurch und sie umfliegen, denn wenn sie uns erwischten, würde es auf Kregen keinen Dray Prescot mehr geben.

Die Shanks flogen hinter uns her. Wir jagten weiter. Ich mußte die relativen Geschwindigkeiten ausrechnen, da ich nicht wissen konnte, wie schnell die Flugpinassen der Shanks waren. Farris hatte mir einen guten Voller geschickt; er gehörte nicht zu den besten, aber er war ganz schön schnell. Während wir im Dämmerlicht um die Bäume herumrasten, näherten sich die Shanks Stück für Stück.

»Schneller, Drajak! Schneller!«

»Sieh selbst: Der Geschwindigkeitshebel ist bis zum Anschlag eingerastet!«

»Dann sind wir diesmal verloren ... Es gibt kein Entkommen!«

»Diesmal sind wir verloren«, äffte ich ihn nach. »Was ist das für ein erbärmlicher melodramatischer Schwulst? Wenn wir erledigt sind, wenn wir sterben müssen, dann sprich es auch aus, um Beng Pulphans willen!«

»Schon gut, schon gut! Schnall deine Schwerthülle enger!«*

Ich reagierte nicht direkt auf diese spitze Bemerkung, aber ich war sehr erfreut darüber, daß er sich so gut hielt. Eine gefahrvolle Situation dieser Art würde die meisten Leute mit Sicherheit in tiefste Verzweiflung stürzen. Er hatte Abenteuer erleben wollen, und bei Krun, er bekam einen Geschmack davon, was das bedeutete!

Wir rasten weiter zwischen den zeitlosen Baumstämmen dahin. Das graugrüne Licht überflutete uns leichenblaß. Die Shanks kamen näher. Unser Voller konnte nicht noch schneller fliegen. Das Fliegen war anstrengend: zwischen den Bäumen hindurch auf die nächste Lücke zuhalten, dann ein schnelles Ausweichmanöver, um dem Baumstamm auszuweichen, der plötzlich direkt den Weg versperrte. Ich mußte mich völlig auf die Steuerung konzentrieren; womit Rollo sich jetzt beschäftigte, blieb ihm überlassen. Er konnte vielleicht ein paar Shanks mit Pfeilen durchbohren, bevor sie uns überholten.

Durch die gewaltsamen Manöver wurde wenigstens der unglückliche Xichun vom Deck entfernt. Er rutschte zur Seite, als ich ziemlich scharf einem Baumstamm auswich, und plumpste von Deck, um nach unten zu fallen. Er würde sicherlich irgendwann den Bäumen als Nährstoff dienen.

Schließlich sah ich sie – vor uns.

Zuerst dachte ich, es seien Insekten, ein Bienenschwarm. Sie füllten das Stück zwischen zwei Bäumen mit einer schwarzen Wolke.

Als wir näher kamen – ich wagte nicht, die Geschwindigkeit zu verringern –, ergriff ich die zurechtgelegten Fliegerjacken aus Seide und Pelz und zog sie mit einer Hand an. Ich hob das Segeltuch hoch, und Rollo war zur Stelle, um zu helfen.

»Kümmere dich um dich selbst ...«, fing ich an.

»Jetzt verstehe ich, was du gemeint hast. Kannst du dieses Ding sicher steuern?«

»Ich weiß es nicht. Ich muß nach vorn sehen können, um den Baumstämmen auszuweichen.«

»So können sie dich aber erwischen ...«

»Bedeck dich und laß keine Öffnungen übrig!«

Ich schaute nicht zurück, während Rollo sich zudeckte. Ich konnte durch eine winzige Lücke sehen, einen Spalt, groß wie ein Auge. Es war ein Alptraum, so zu steuern, das kann ich Ihnen sagen! Der Voller sauste weiter zwischen den Baumstämmen hindurch.

Die vorausliegende schwarze Wolke löste sich zu einer Vielzahl winziger Punkte auf. Es waren Vögel von der Größe eines Spatzen; sie hatten kurze stumpfe Flügel, lange Schwänze und Schnäbel – diese Schnäbel! Sie waren lang, gebogen und sehr scharf. Wenn ein Xichun durch eine Lücke hier herunterflog, würde man ihn in Stücke reißen. Das wußte ich.

Und wir waren hier, bereit, uns mitten in einen wütenden Schwarm dieser wilden kleinen Vögel zu stürzen. Ich holte tief Luft, nahm mit dem Voller Kurs auf die Öffnung zwischen den Bäumen und warf mir das Stück Segeltuch übers Auge.

Beim nächsten Herzschlag hallte der Voller von der Gewalt hunderter wütender kleiner Vögel wider, die sich auf uns stürzten.