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Nath der Ron wandte sich von den Sträuchern ab, die die Böschung krönten, und rutschte in die Tiefe. Nachdem ich der Straße noch einen letzten Blick gewidmet und mir alles eingeprägt hatte, folgte ich ihm.
»Nun?«
»Der Fisch-Konvoi«, sagte er, und sein schimpansenähnliches Gesicht verzog sich vor Erwartung.
»Es waren zwölf Karren, die meisten wurden von Mytzers oder Quoffas gezogen. Ich habe dreiunddreißig Wachen gezählt ...«
»Ich bin auf dreißig gekommen. Das ist die rundere Zahl.«
»Ganz hinten waren drei – Bogenschützen, die von dem letzten Karren verdeckt wurden. Sie kamen in Sicht, nachdem du die Böschung hinuntergerutscht bist.«
»Ah!« Er schüttelte den Kopf. »Dieses Banditentum ist wahrlich eine Sache, die ein Bursche erst lernen muß, genau wie die Grundkenntnisse in der Schule.«
Ich erwähnte nicht, daß ein Fehler in der Schule einem vielleicht Prügel einbrachte; ein Fehler als Bandit konnte dazu führen, daß man einen Kopf kürzer gemacht wurde oder ein Tänzchen in der Luft vollführte.
Weiter entfernt zu unserer Linken lagen hinter einem Baumbestand die Ruinen einer Stadt, und in den Außenbezirken hatten die Shanks ein kleines Fort erbaut. Die Besatzung der Garnison mußte natürlich verpflegt werden, und der Fisch, die Hauptnahrung der Shanks, mußte von der Küste herbeigeschafft werden. Kovneva Layla hatte mir erzählt, daß die Schtarkins frischen Fisch entweder nicht essen konnten oder wollten. Hier gab es endlich eine kleine Schwachstelle in einer scheinbar unbesiegbaren Stärke. Ich starrte nach oben, während ich neben Nath und den anderen lag und auf die Geräusche des Konvois wartete. Der Himmel über uns war klar und heiter; ein paar dünne Dunstfetzen versuchten zu einer Wolke zu verschmelzen. Der Tag war schön und warm, und der kräftige Geruch der ländlichen Blüten auf der Böschung wäre unter normalen Umständen das heitere Beiwerk eines fröhlichen Picknicks gewesen. Ich schaute allein aus einem Grund nach oben – um zu sehen, ob dort irgendwelche verdammten Flugboote mit schwarzem Rumpf kreisten. Alle Informationen wiesen darauf hin, daß es den Shanks ernsthaft an Flugbooten mangelte, und die vorhandenen Voller waren normalerweise mit Patrouillenflügen beschäftigt. Layla hatte darauf hingewiesen, daß es nicht dem Wesen der Shanks entsprach, große und teure Flugboote einzusetzen, um Fische zu transportieren.
Das Trampeln und Scharren der Hufe erreichte uns. Ich schaute mir die Männerreihe hinter der Böschung an. Dieser Haufen unterschied sich wesentlich von den armseligen Gesetzlosen, die mir in Laylas und Naths Banden begegnet waren. Sie machten das hier nicht zum erstenmal. Ich hatte sie angeschrien. Wir hatten Rekruten aufgenommen. Jetzt kommandierten wir mehr als zweihundert Männer und Frauen mehrerer Rassen.
Natürlich waren die meisten immer noch Amateure. Sie lernten. Eigentlich hatten die Jurukker meiner Schwertwache unter sehr ähnlichen Bedingungen angefangen. Unter uns befanden sich ein paar erfahrene Leute. Sie hatten einiges erklärt und mir erzählt, daß Tarankars Berufssoldaten, die Armee und die Söldner, gegen die Shanks gekämpft und entweder getötet, gefangen oder in alle Winde zerstreut worden waren. Es waren nur sehr wenige am Leben geblieben. Der König und die Königin der herrschenden Rasse der Diffs – die Riffims, die Trylon Kuong in Taranik soviel Schwierigkeiten bereitet hatten – waren zusammen mit der gesamten königlichen Familie gnadenlos erschlagen worden. Jetzt herrschten die Shanks im verlassenen Tarankar.
Die wunderschöne Fristle-Fifi neben mir an der anderen Seite kroch gerade auf den Gipfel der Böschung zu. Ich ergriff ein herrlich geformtes Fußgelenk und zog sie zurück. Sie rutschte herunter und wandte mir das Gesicht mit den riesigen Augen zu, um mich wild anzustarren.
»Fan-Si«, sagte ich und imitierte das Zischen eines Katzenmannes, so gut ich konnte, »sitz still!«
»Oh, du ...«, keuchte sie, und Mevancys Bild geisterte durch mein Bewußtsein. »Ich will mich auf sie stürzen! Sie haben meine Mutter und meinen Vater getötet und meinen Bruder verschleppt! Du ...«
»Wir können nicht angreifen, bis sie an der Kovneva vorbei sind.«
Sie ließ den silbergrauen Schweif vorschnellen. Allerdings achtete sie darauf, den für eine Fristle-Fifi normalen Sinn fürs Spielerische nicht zu übertreiben. Sie stieß mich nicht mit dem bezaubernden Schweif an, da ihr einfiel, daß ich ein Prinz war. Ha! »Und woher weißt du, wann sie an der Kovneva vorbei sind?« fragte sie.
»Indem ich lausche ... wenn du deine hübschen Lippen geschlossen hältst.«
Sie schmollte. »Du erfährst es durchs Lauschen?«
»Wenn bestimmte charmante Fifis mir die Gelegenheit dazu geben, Fan-Si.«
Nath mischte sich ein. »Fan-Si! Shastum!«
Durch den direkten Schweigebefehl des Kovs gab Fan-Si es auf.
Das Quietschen der Karren, das Rollen der Räder und das Stampfen der Hufe kamen näher. Eines Tages würde Fan-Si lernen, wie man Entfernungen anhand von Geräuschen richtig abschätzte. Nun, man sagt, der Mensch sät, damit Zair die Sichel schwingt. Als sich der Lärm auf meiner Höhe befand, zählte ich im Kopf bis hundertundfünfzig. Dann flüsterte ich: »Jetzt, Nath!«
»Den strahlenden Augen des wahren Trogs sei Dank!« Er stand auf und winkte mit den Armen.
Sofort erhoben sich Männer und Frauen und robbten die Böschung hinauf. Die Bogenschützen suchten sich Ziele und begannen zu schießen. Ich bewegte mich schnell nach oben, nahm die Situation in mich auf, sah einen Haufen Shanks zwischen zwei Karren und stürzte mich kopfüber auf sie. Ich schwenkte mein Schwert – eine ziemlich nutzlose Handlung, zu der ich sonst nicht neige, hier aber hielt ich sie für angebracht. Nath kam mit mir. Shanks fielen, von langen lohischen Pfeilen durchbohrt. Der Aufruhr stieg in den Himmel, Schmerzensschreie und zorniges Gebrüll. Unter den Füßen wogte der Staub.
Wir erreichten die Shanks, die vor den Pfeilen in Deckung gegangen waren. Ihre Dreizacke wirkten scharf und unangenehm. Sie stießen ihren schrillen Kriegsruf aus.
»Ishti! Ishti!«
Von ein paar anderen Befehlswörtern abgesehen, waren dies die einzigen Worte der Shanksprache, die die Menschen von Paz verstanden. Ich hörte, wie einer der Fischköpfe zischte: »Schießt auf die Bogenschützen! Schießt auf die Bogenschützen!«
Mein Schwert sauste nach unten und stach zu, entging einem Dreizack und endete in den Eingeweiden eines Fischmannes. Sofort zog ich es – mich duckend und herumwirbelnd – heraus und schlug auf den nächsten ein. Nath brüllte, schrie und schlug wild um sich. Fan-Si war da, ließ sich äußerst anmutig aufs Knie fallen und stieß wie ein Risslaca nach oben. Ihr Gegner ließ den Dreizack fallen und griff sich nach dem schuppigen Leib. Er fiel zu Boden, und Fan-Si sprang ihm aufs Gesicht.
Ein Pfeil flog über meine Schulter, und ein Shank taumelte mit seinem kleinen kurzen Bogen zurück; der Schaft ragte aus einem Fischauge.
Am Ende des Konvois führte die Kovneva Layla ihre Gruppe heran und verhinderte eine Flucht, und vorn blockierte der Khibil Farantino das weitere Vorgehen.
Fan-Si war wieder auf den Beinen und rannte flink hinter einem Shank her, der unter eine Karre zu kriechen versuchte. Wenn er glaubte, dort sicher zu sein, erlag er einem gewaltigen Irrtum.
Nath und Fan-Si ergriffen je einen Fuß und zogen ihn hervor. Die Fristle-Fifi stach als erste zu und trieb ihr Schwert gnadenlos durch den Hals des Fischmannes direkt über dem Ansatz der geschuppten Rüstung. Er fiel in sich zusammen.
Nath keuchte, sein Schimpansengesicht leuchtete.
»Sind noch welche übrig?« brüllte ich. »Seht genau nach, Fanshos!«
Wir schauten nach. Kein Shank war mehr am Leben.
Die Fahrer saßen zusammengekauert auf ihren Bänken, die Zügel schlaff in den Händen.
Nur zwei von ihnen waren von Pfeilen getroffen worden, beides Rapas. Die anderen, hauptsächlich Apims, Fristles, Ochs und ein einzelner Brokelsh, saßen stumm da.
Ich schrie sie heftig an. »Wir werden euch nicht töten!«
Der Brokelsh, der nur aus schwarzem Körperhaar und Grobheit bestand, rief: »Wir wurden versklavt! Wir sind keine Freiwilligen!«
Ich glaubte ihnen.
»Auf die Karren!« rief ich im Befehlston, sehr energisch. »Bewegt euch! Bratch!«
Jene Mitglieder unserer Bande, die für die Karren eingeteilt waren, gehorchten. Die anderen halfen mit viel Schieben und Zerren mit, die Karren umzudrehen; dann fuhren wir alle polternd und quietschend die Straße zurück. Zwei Dwabur weiter bogen wir in einen schmalen überwachsenen Seitenweg ab. Dieser führte in den Wald, in dem wir in diesem Teil Tarankars unser Hauptquartier aufgeschlagen hatten. Wir hatten die öden östlichen Gebiete verlassen und stießen nun in den Hauptteil des Landes vor. Während wir dahinmarschierten, feilschte man fleißig um die Beute des gerade beendeten Kampfes und tauschte untereinander. Aus Prinzip sammelten wir alle Dreizacke auf; es war auffällig, daß sich trotz der anerkannten Wirksamkeit dieser Shank-Waffe keiner darum riß, einen Dreizack zu nehmen und als Waffe zu benutzen.
Der Himmel wurde nicht nur von den dazu abgestellten Wachen beobachtet, sondern von fast allen.
Meine Härte hinsichtlich der Luftüberwachung, meine brutalen Warnungen, was geschehen konnte, wenn man beim Marschieren nur auf die Füße starrte, hatte sich endlich ausgezahlt. Unsere kleine Gruppe war außerordentlich wachsam bei der Ausschau nach Flugbooten.
Als sich die ersten Blätter über unseren Köpfen schlossen, die Geräusche des Waldes aus jeder Richtung zwischen den Bäumen zu uns drangen und die Gerüche anfingen, sich von denen des offenen Landes zu unterscheiden, rief ich fröhlich: »Laßt uns ein oder zwei Lieder singen! Larghos die Drossel: Fang an, wenn du magst.«
Larghos die Drossel verfügte über eine schöne Stimme. Er fing sofort mit dem ›Lied des Milchmädchens‹ an, und wir alle brüllten den Refrain. Danach folgten ›Glücklich ist der Tag der Schur‹ und dann ›Die Quelle, die nie versiegt‹.
Farantino kam in mein Blickfeld, und ich bemerkte, daß er nicht sang. Seine Lippen waren fest aufeinandergepreßt; sein Gesichtsausdruck bestätigte meinen Beschluß, dem Khibil nicht den Rücken zuzuwenden.
Unser Lager war einfach. Wir sahen den Wald als unsere Heimat an. Patrouillen und Posten wachten zu jeder Zeit. Nur zweimal hatten Shank-Gruppen versucht, tief in den Wald vorzustoßen. Beim ersten Mal waren sie den halben Nachmittag herumgestolpert, hatten nichts gefunden und sich dann wieder zurückgezogen.
Das zweite Mal war für uns niederschmetternd, nicht weil sie sich geschickter verhielten, sondern wegen der Methode dieser Verbesserung. Wie Hunde aneinandergekettet, führten menschliche Sklaven den Suchtrupp der Shanks an. Wieder fanden sie nichts. Wir beobachteten sie aus dem verborgenen, und ich muß zugeben, daß es mir außerordentlich schwerfiel, mich nicht auf die verdammten Fischköpfe zu stürzen, um sie in ein lärmendes Handgemenge zu verstricken. Wir hätten anfangs durch den Überraschungsangriff vielleicht einen winzigen Vorteil gehabt, aber im direkten Kampf würden die Shanks meine kleine Amateurgruppe niedermetzeln.
Wie Sie sehen, hätte sich der alte Dray Prescot brüllend in den Kampf geworfen, ›Hai Jikai!‹ gerufen und alle seine neuen Freunde auf diese Weise umgebracht.
Ich hatte trotzdem – trotzdem, bei Zair! – beschlossen, daß wir die von Opaz verlassenen Shanks, wenn sie das nächste Mal hierher vorstießen, mit Pfeilen spicken, mit ihnen spielen, sie quälen und schließlich, wie ich hoffte, erledigen würden.
Doch das lag noch in der Zukunft. Jetzt marschierten wir singend in unser Lager und freuten uns auf ein schönes Fischessen.
Nicht daß ich Fisch mag; das ist Ihnen bekannt. Doch es gibt ein paar Fische, die gut schmecken: zum Beispiel Lachs und Sardinen. Der Konvoi der Schtarkins bestand zum Teil aus Kisten mit Stockfisch. Ich zog eine Grimasse, und Fan-Si lächelte spöttisch.
Auf jeden Fall begnügte ich mich mit den Überresten des Abendessens und setzte mich nachdenklich mit dem Rücken an einen Baumstamm. Dieses Leben war sehr schön, frei und romantisch. Hier waren wir, eine Horde von Gesetzlosen im Wald, die davon lebten, was sie stehlen oder erlegen konnten, und ein Ärgernis für die Shanks waren. Aber es war alles unbedeutend, trivial, nicht weltbewegend. Andererseits: Gerät man in einen simplen Kampf, und eine Lanze oder ein Schwert bohrt sich durch die Eingeweide ...
Nein, bei der Heiligen Dame von Belschutz und dem Hühnerauge auf ihrer großen linken Zehe. Die Städte lockten. Ich würde einen Monat voller Sonntage brauchen, um mit diesen Methoden und diesen Menschen eine richtige Armee aufzustellen.
Den Kov und die Kovneva von Borrakesh konnte man als Anführer gelten lassen. Sie sollten die Bande weiter vergrößern, indem sie meine Methoden anwendeten. Ich mußte weiter. Es gab ein paar Leute, die ich gern mitgenommen hätte – einmal Larghos die Drossel, dann Fan-Si und drittens Moglin den Pfeil.
Sie konnten mir bei der Gründung und Ausbildung einer neuen Bande helfen. Das erinnerte mich an etwas; ich rief Fan-Si an, als sie mit leichten Schritten vorbeieilte. Sie sah sehr verführerisch aus und trug, wie gewöhnlich, Seidenhemd und Lendenschurz. Sie sah mich, lächelte und kam herüber.
»Ja, Prinz Chaadur?«
»Ich wollte dir noch etwas sagen, junge Dame. Was war heute mit deiner Rüstung?«
Sie verzog das Gesicht und wedelte mit dem Schweif. »Oh, du weißt, daß ich es nicht ertragen kann, in eine Lederhülle eingeschlossen zu sein!«
»Wenn wir das nächste Mal ins Gefecht gehen, trägst du deine Rüstung, ob es dir gefällt oder nicht.«
Ihr Schweif zuckte zwischen den Beinen hin und her. »Es ist so eng und heiß, außerdem kann ich mich darin nicht bewegen! Wie soll ich Shanks durchbohren, wenn ich mich nicht ...«
Ich stand auf. »Die Rüstung soll für deinen Schutz sorgen. Ich stimme dir zu, daß sie dich vielleicht ein wenig behindert, aber du übertreibst.«
Sie schmollte und wollte etwas sagen, zweifellos etwas Schroffes, aber ich fuhr fort: »Du wirst deine Rüstung im Lager tragen, bis ich dir sage, daß du sie ablegen darfst. Du wirst dich bald daran gewöhnen.«
»Das ist nicht fair! Es ist furchtbar! Und du bist ein Prinz?«
Es Schossen mir so viele billige Antworten durch den Kopf, daß ich mich abwenden mußte. Ich brachte ein »Du kannst gehen!« zustande und eilte zu den Lagerfeuern, wo der Kov und die Kovneva gerade ihren Fisch aufgegessen hatten.
Ohne Vorrede sagte ich: »Die Zeit ist gekommen, daß ihr hier weitermacht. Inzwischen wißt ihr, was getan werden muß.«
»Aber Prinz ... Wo willst du hin?«
»Dorthin, wo Shanks zu bekämpfen sind.«
Sie schüttelten den Kopf. »Sie sind überall.«
»Und ihr werdet euch um jene kümmern, die dieses Gebiet unsicher machen.« Ich erzählte ihnen, daß ich gern Larghos, Fan-Si und Moglin mitnehmen würde, und das konnten sie einem Prinzen ja schlecht abschlagen, oder?
Wichtig war die Tatsache, daß ich ihnen den Eindruck vermittelt hatte, daß ich zwar ein Prinz war, doch mein richtiger Name nicht Chaadur lautete. Sie glaubten es, da die alten romantischen Geschichten in ihren Köpfen herumspukten über verkleidete Prinzen, die ihre Königreiche bereisten. Allerdings wußten sie sicher, daß ich kein Mitglied der herrschenden Klasse Tarankars war, da ich ein Apim und kein Riffim war.
Nath und Layla waren zwar Apims, aber ihre Länder und Titel gingen auf längst vergangene Zeiten zurück, bis in die Zeit vor der Invasion der Riffim und deren Machtübernahme. Sie hatten durch die Fähigkeiten, die Klugheit und die Kriecherei ihrer Vorfahren überlebt. So etwas war nun nicht mehr möglich, da die Shanks die Herren waren.
Als ich an die Menschen in anderen Ländern dachte, wurde mir klar, daß meine Leute in Vallia, Djanduin oder Strombor nicht so ohne weiteres einem Burschen gehorcht hätten, der so einfach herangestürmt kam, Befehle erteilte und behauptete, ein Prinz zu sein. Nein, ich glaubte schon, daß sie etwas weniger leichtgläubig waren. Aber die Menschen hier waren verloren gewesen; man hatte ihnen bis auf ihr Leben alles genommen; sie hatten wirklich nicht gewußt, was sie tun sollten, und hatten ihre Hoffnungslosigkeit dadurch ausgedrückt, daß sie untereinander stritten. Sie hatten einen Prinzen gebraucht, bei Krun!
Ich fand Moglin den Pfeil, als er sorgfältig einen Pfeil durch einen Strecker zog. In diesem Wald waren Qualitätspfeile Mangelware. Wir konnten zwar unsere eigenen Pfeile herstellen und befiedern, aber keine von höchster Qualität. Ich dachte an Meister Twang und seine elfenhaften Töchter und seufzte.
»Ha, Moglin!« rief ich ganz vergnügt.
Er erwiderte meinen Gruß höflich und arbeitete weiter an seinem Pfeil. Ich sagte ihm, er könne mich, wenn er wolle, begleiten, da ich andere Banden zusammenstellen und ausbilden wollte.
Er ließ die Arbeit ruhen und strich sich über die glatten Schnurrbarthaare. Anders als ein Pachak oder ein Ildoi hatte er keine Schwanzhand. Obwohl Katakis, die man gewöhnlich als Sklavenherren verabscheute, gewöhnlich zwölf Zentimeter Dolchstahl an ihren Schwanz banden, taten Fristles dies nur selten. Moglin der Pfeil aber war bekannt dafür, daß er sich einen Dolch an den Schwanz band.
Vorsichtig sagte er: »Ich bin geehrt, Prinz. Äh ... Ist Fan-Si ...?«
»Ja, ich könnte dich doch nicht zum Mitkommen auffordern, wenn Fan-Si hierbleiben müßte. O ja, sie begleitet uns. Larghos die Drossel schließt sich an, und ihr habt alle die Erlaubnis vom Kov.«
»Dann wirklich gern, Prinz. Ich möchte diese Shanks das Fürchten lehren. Bei Numi Hyrjiv dem Prächtigen! Sie haben Fardo den Spalter verschleppt; er war mein bester Freund und Fan-Sis Bruder.« Moglins Katzengesicht verzog sich zu einer Grimasse des Hasses. Sein Fell war von einem tiefen Rotbraun, und er war wie ein Bogenschütze gebaut; seine Schultern waren fast so breit wie die meinen.
»Moglin, sag deiner Fan-Si, daß sie bei unserem nächsten Kampf eine Rüstung tragen muß.«
»Quidang, Prinz. Ich stimme dir zu. Aber sie ist eigensinnig und halsstarrig. Sie lacht und verachtet ...«
»Ich weiß, ich weiß. Nun, bei Chuzpotz! Sie wird es eben tun müssen, das ist alles!«
»Quidang!«
Ich ging, um Larghos die Drossel von unserem beabsichtigten Ausflug zu unterrichten. Er saß auf einem umgefallenen Baumstamm und sang leise vor sich hin, ein Liedchen über den Bauer, der für eine Sklavin zehn Goldstücke bezahlt, sie dann heiratet und das Gold von ihrem Besitzer als Mitgift zurückfordert. Man nennt es das ›Man-kann-nicht-alles-haben‹-Lied. In dem seltsamen kregischen Humor heißt es auch ›Die zurückgebrachte Miscil‹.
Larghos stürzte sich förmlich auf die Möglichkeit, Abenteuer zu erleben und, wie er es mit seiner wohlklingenden Stimme ausdrückte: »Um eine Rechnung zu begleichen.«
Während er sprach, polierte er mit den starken braunen Händen methodisch seine Strangdja weiter, die gefürchtete und berühmte Hieb- und Stichwaffe Chems mit der stechpalmblattförmigen Spitze. »O ja, Prinz. Ich kann es kaum erwarten, ihnen mit meiner Stinja auf die Fischköpfe zu schlagen.«
Wie Sie wissen, war es nie meine Gewohnheit, meinen Waffen einen Namen zu geben. Wie ich schon öfter dargelegt habe, muß ein wahrer Krieger mit der Waffe kämpfen, die ihm gerade in die Hand fällt. Wenn er sich auf eine bevorzugte Waffe verläßt, wird er eines Tages unflexibel. Wie dem auch sei, ich schien immer neue Waffen zu bekommen und zu verlieren, und der Name von heute wäre morgen eine Erinnerung. Das galt allerdings nicht für die Savanti-Schwerter und das große Krozair-Langschwert.
So wurde alles vorbereitet. Am nächsten Tag berichteten die Spähtrupps, daß die Shanks eine beträchtliche Streitmacht ausgeschickt hatten. Es waren Karren bei dem Trupp gesehen worden; also hatte das Fort vielleicht doch noch seinen Stockfisch bekommen. Wir hatten nur erreicht, daß die Shanks einen Tag lang Unannehmlichkeiten hatten.
Ich mußte der Bande eine leidenschaftliche Ansprache halten. Ich setzte die Theatralik für einen guten Zweck ein und sagte, sie sollten sich ein großes wildes Tier vorstellen, das von einer Vielzahl Bienen gestochen werde. Als Beispiel nahm ich die Geschichte von dem Xichun und den Plagegeistern, den kleinen Vögeln. Ich ermunterte sie, mit den Nadelstichen weiterzumachen, da mit dem Anwachsen der Banden auch der Druck auf die Shanks wachsen würde. Als nächstes Ziel sollten sie sich vornehmen, das örtliche Fort zu erobern oder zu zerstören, aber ich spürte Zweifel in meinem Herzen, als ich es sagte.
Sie entwickelten sich prächtig. Ehrlich gesagt, ich fühlte mich wie ein Verräter, weil ich sie verließ. Doch meine Aufgabe lag nicht darin, in örtliche Guerilla-Operationen verwickelt zu werden, obwohl es zweifellos reizvoll war. Meine Aufgabe lag darin, mehr über die Shanks in Erfahrung zu bringen und den schwächsten Punkt zu finden, um dort zuzuschlagen.
Ich hatte das Risiko gekannt, als ich mich der Bande genähert hatte. Wie sahen die zukünftigen Risiken aus, wenn ich mich einer Stadt näherte?
»Ich werde eine Botschaft schicken«, versprach ich. »Wenn der Tag sich nähert, lasse ich es euch wissen.«
Der Kov und die Kovneva von Borrakesh standen mit der versammelten Bande da und riefen Remberees, als wir vier auf dem Waldpfad losmarschierten. Wir wollten nicht die direkte Route benutzen. Wir erwiderten die Remberees, dann schloß sich der Wald um uns.
In diesem Augenblick beschäftigten sich meine Gedanken voller Vergnügen und Spannung damit, wie meine neuen Kameraden auf das Flugboot reagieren würden. Bei Vox! Sie würden sich noch schlimmer aufführen als Rollo.
Und was den jungen Halunken anging, tat er das, was er tun sollte? Oder heckte er Mittel und Wege aus, um mir in die von Shanks wimmelnden Gefahren nach Tarankar zu folgen? Da blieb Fan-Si so plötzlich stehen, daß Moglin gegen sie lief.
»Still! Da ist jemand vor uns und hat einen Hinterhalt gelegt. Seht!« Sie streckte die freie Hand aus. »Da, im Unterholz schimmert Stahl!«