Diese Pressekonferenz ist der letzte Tritt gewesen, um den entscheidenden Stein ins Rollen zu bringen, der eine Lawine auslöst, deren Auswirkungen bis heute andauern. Kokoschansky versucht, dem Rummel um seine Person weitgehend auszuweichen, stellt sich nur ausgewählten Medien zur Verfügung.
Da viele Journalistenkollegen von Kokoschansky nicht empfangen werden, versuchen sie, in seinem Umfeld mehr über ihn zu erfahren. In WIEN HEUTE werden einige Mieter interviewt, die mit ihm unter einem Dach leben. Zufällig sieht er den Fernsehbeitrag und muss schallend lachen, als einer der Bewohner mit dem Brustton der Überzeugung vor der Kamera sagt, dass die Mieter dieses Hauses sehr stolz sind, einen solchen furchtlosen Mann, der gegen die Mächtigen antritt, als Nachbarn haben zu dürfen.
Dafür genießt Freitag das Rampenlicht umso mehr, sagt bereitwillig jedem Interview zu, grast sämtliche Talkshows ab, ist jedoch so klug, nicht zu verraten, was er tatsächlich weiß, immer mit der Hoffnung, ein Angebot zu erhalten. Schon nach wenigen Tagen erfüllt sich sein lang ersehnter Traum. Er erhält ein gut dotiertes Angebot eines österreichischen privaten Fernsehsenders als Reporter in einem Doku-Magazin, was ihn den Verlust von FNews verschmerzen lässt. An seinem ersten Arbeitstag lässt er sich mit dem Taxi an seine neue Wirkungsstätte chauffieren.
Alfred Cench tritt endgültig Katterkas Nachfolge an. Im BKA wird diese Entscheidung mehrheitlich mit großer Zustimmung befürwortet.
Seine beiden engsten Mitarbeiter werden Adrian Konschak und Hermann Pointinger.
Entgegen der sonst üblichen österreichischen Vorgangsweise, heikle Fälle mit Glacéhandschuhen anzufassen, erhält Cench jegliche Unterstützung sowohl von seiner obersten Chefin, dem Generaldirektor für Öffentliche Sicherheit, der Justiz und wird zu hartem, schonungslosem Durchgreifen aufgefordert.
Tilman Hannover ist völlig überrascht, als in seiner Berliner Firmenzentrale Kriminalbeamte in sein Büro stürmen, ihm Handschellen anlegen und einen Durchsuchungsbefehl unter die Nase halten.
Markus Schloimo wird vorübergehend in Tel Aviv auf Druck der österreichischen Bundesregierung unter Hausarrest gestellt. Österreichs Außenminister fliegt in geheimer Mission nach Jerusalem, um sich mit dem israelischen Ministerpräsidenten zu treffen. Man einigt sich, Schloimo auszuliefern, und im Gegenzug werden die sechs Israelis sowie die Leiche des siebten Mannes ins Gelobte Land überstellt.
Schloimo wird noch am Flughafen Schwechat verhaftet. Auf weiteren Videos aus den Überwachungskameras von Madeos Anwesen ist er deutlich zu erkennen. In seinen Wohnsitzen in Österreich, innerhalb Europas und in Übersee, ebenso wie in seinen zahlreichen Firmen werden in einer gemeinsamen, zeitgleichen Operation Hausdurchsuchungen durchgeführt, wo weiteres belastendes Material beschlagnahmt wird. Schloimo wird eine Reihe von schweren Straftaten im Bereich Wirtschaftskriminalität zur Last gelegt, aber am schwerwiegendsten sind der Auftragsmord und der Verdacht auf Beteiligung an einer kriminellen Organisation.
Adolphe Mannsbergkh-Souilly weilt zur Jagd in Tirol. Gerade als ein prachtvoller Zwölfender aus dem Dickicht auf die Lichtung stolziert und vor seine Flinte läuft, holen ihn zwei BKA-Beamte vom Hochstand. Der Graf entrüstet sich fürchterlich, droht mit Konsequenzen und Dienstaufsichtsbeschwerden, ruft seine Anwälte auf den Plan. Jahrelang fühlte er sich sicher und unangreifbar, lachte den Ermittlern in die Gesichter und tanzte ihnen auf den Nasen herum. Jetzt ist es vorbei.
Mannsbergkh-Souillys sichergestellte Jagdwaffen werden kriminaltechnisch untersucht, im Hinblick darauf vielleicht Spuren im Zusammenhang mit Bortners vermeintlichem Selbstmord zu finden. Vergeblich.
Die Akte Bortner wird geschlossen. Die wahren Hintergründe nie aufgedeckt.
Ein findiger BKA-Beamter lässt den Weiher von Polizeitauchern absuchen. Tatsächlich finden sie am Grund Marius Högers Autowrack. Doch der Blechhaufen lag zu lange im Wasser, die Korrosion leistete ganze Arbeit. Es kann nicht mehr eruiert werden, ob tatsächlich am Fahrzeug manipuliert wurde.
Darauf angesprochen, warum Högers Wrack in Mannsbergkh-Souillys Weiher versenkt wurde, antwortet er lakonisch: »Andere sammeln Gemälde, Münzen oder Briefmarken. Ich eben so etwas.«
Sowohl Markus Schloimo wie auch der Graf bestreiten gemeinsame Geschäftsbeziehungen. Allerdings liefern Wolfram Pankers Recherchen ein völlig anderes Bild.
Nazeem al-Qatr erkennt rechtzeitig die Gefahr und setzt sich ab. Das Auslieferungsersuchen Österreichs wird negiert, woraufhin der Botschafter aus Österreich ausgewiesen wird. Nazeem al-Qatrs Grinzinger Villa wird auf den Kopf gestellt, doch seine beiden erschossenen Handlanger werden nicht entdeckt. Blutspuren in mehreren Räumen lassen sich eindeutig der zerstückelten Prostituierten zuordnen. Ihr Kopf bleibt für immer verschollen.
In einem versteckten Tresor entdecken die Kriminalisten zahlreiche Videos und DVDs. Die Öffentlichkeit erfährt erstmal von der Existenz des Clubs 50.000 und in gewissen Gesellschaftskreisen beginnt das große Zittern.
Kurt-Friedrich Midas will seine Wiener Stadtwohnung verlassen, um sich auf den Weg nach Vorarlberg zu machen, als die Handschellen klicken.
In sämtlichen Medien und auf den Kabarettbühnen des Landes wird der einstige Wirtschaftsminister mit Spott und Häme übergossen.
Ehemalige Parteifreunde distanzieren sich von Midas. Sauslinger und Ährenbach belasten ihn schwer. Kurt-Friedrich Midas’ Sonderwunsch nach einem Föhn in der Zelle wurde abgelehnt.
Lobbyist Othmar Kaltengruber meldet Insolvenz an und schlittert mit seiner Agentur Krösus in den Konkurs. Reihenweise bleiben Kunden aus, nachdem bekannt wird, wie tief diese Firma in sämtlichen Machenschaften rund um Kurt-Friedrich Midas verstrickt ist.
Kaltengrubers Tätigkeit bestand darin, Stimmung für unterschiedlichste Konzerne in Ministerien und bei Politikern zu machen.
So schuf er einen nahezu undurchdringlichen Filz, in dem Wirtschaft, Politik und Organisierte Kriminalität kaum mehr auseinanderzuhalten sind.
Kaltengruber ist mit zahllosen Anzeigen und Ermittlungen eingedeckt, aber derzeit noch auf freiem Fuss.
Für den ermordeten Mitnick richtet Anonymous ein Kondolenzbuch im Internet ein. Bereits nach wenigen Stunden zünden über hunderttausend Menschen aus aller Welt virtuelle Kerzen für den Hacker an.
Im Hafenbecken von Marseille wird eine männliche Wasserleiche mit Brustschuss angeschwemmt. Die Identifizierung ist anhand gewisser Tätowierungen nicht schwierig gewesen. Die französische Polizei vermutet, dass Hermann Honsa in der Unterwelt von Marseille andocken wollte, was den Ganoven dieser Stadt nicht behagte. Bislang verlief die Fahndung nach dem Mörder ergebnislos.
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Ein Brief ohne Absender in seinem Briefkasten erregt Kokoschanskys Aufmerksamkeit und lässt ihn sofort Böses erahnen, aber seine Bedenken legen sich sofort, als er die Zeilen genauer liest. »… Sie kennen sicherlich Stieg Larssons unglaublich spannende Trilogie »Millenium«. Ich bewundere Sie und Ihre Leute für Ihre Arbeit. Endlich wird durch Ihre Initialzündung in diesem Sauhaufen Österreich aufgeräumt und durchgegriffen. Machen Sie weiter, Herr Kokoschansky. Gründen Sie mit Ihrem Team ein österreichisches »Millenium«, oder rufen Sie FNews wieder ins Leben. Ich finanziere alles, egal, in welcher Höhe und bleibe im Hintergrund der stille Teilhaber. Überlegen Sie es sich. Wenn Sie an meinem Angebot interessiert sind, setzen Sie sich mit Wolfram Panker in Verbindung, mit dem Sie zusammenarbeiten. Er wird Sie über den Verfasser dieser Zeilen aufklären. Es wäre mir eine große Freude und Ehre. C. R. …«
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In einem Restaurant in Montevideo, Uruguay, sitzt Robert Saller und schreibt eine Ansichtskarte an Kokoschansky. Danke für alles. Schade, dass du auf der anderen Seite stehst.
Drei Tische weiter beobachten zwei unauffällige Herren, als Touristen getarnt, Saller. Die Wiener Zivilfahnder des BKA sind auf der richtigen Spur.
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»So, ich denke, jetzt ist alles gepackt. Wahnsinn, so viel Zeug!«, stöhnt Kokoschansky, als er die Koffer und Taschen sieht.
»Du vergisst, mein Schatz, wir sind jetzt zu dritt.«
Endlich Urlaub! Zwei Wochen! Nichts wie weg.
»Sag mal, was ist das für ein Paket?«
»Ach, nichts Besonderes. Für mich.«
Ein guter Journalist ist immer neugierig. Heimlich hebt er den Deckel hoch und muss schmunzeln. Seile, Peitschen, Gerten, Handschellen, Halsbänder in unterschiedlichen Ausführungen, Korsagen. Latex- und Lederoutfits. Lena, Lena, Lena! … Was hast du nur alles für unser weiteres Liebesleben entdeckt!
Günther tapst aus seinem Zimmer, schnell schiebt Kokoschansky den Karton beiseite.
»Schau, Lena!«, er hält ihr eine Zeichnung hin.
»Das hast du fein gemacht! Für deine Mama?«
»Nein«, schüttelt der Knirps sein Lockenköpfchen, »für dich.«
»Das ist aber ganz lieb von dir. Danke!«
»Du bist meine Mama.«
Zwei winzige Tränen finden ihren Weg über Lenas glücklich strahlendes Gesicht …