Das anfängliche Aufsehen und der mediale Aufruhr, den die Massakerfotos auf FNews ursprünglich ausgelöst haben, ebben kontinuierlich ab, was in einer Zeit der totalen Überinformation und Reizüberflutung nicht verwunderlich ist. Die Mehrheit in der öffentlichen Meinung und in der Mediengesellschaft ist oft viel zu schnell besänftigt und wendet sich rasch anderen Themen zu. Im Untergrund, unsichtbar für Außenstehende, gärt es dafür gewaltig.
Kokoschansky kann es nur recht sein, so gewinnt er Zeit, sich immer tiefer in die Materie einzuarbeiten und einzulesen. In Mitnicks Refugium liegen auf einem großen Tisch drei Stapel. Einer mit den Unterlagen aus Salvatore Madeos Villa, einer mit Pankers Ermittlungsergebnissen und der Dritte mit den Abhörprotokollen von Pointinger sowie von Konschak. Dazu noch die Videos aus dem Wächterhaus in Montenegro, die der Journalist kurzerhand einsackte, als er sich aus dem Staub gemacht hatte.
Lena, Kokoschansky und Mitnick schwirren die Köpfe, wobei es den Hacker noch am besten getroffen hat. Er muss sich nur um seine Computer kümmern, versuchen, Wege zu finden, um virtuell einbrechen zu können, und Passwörter knacken, während die beiden aus dem Material, das sie bisher durchackern konnten, die richtigen Zuordnungen und Verbindungen schaffen. Eine wahre Sisyphusarbeit in einem Gewirr von Firmenverflechtungen, Tochtergesellschaften und obskuren Stiftungen, die allesamt nur wegen optimaler Gewinnmaximierung für die Betreiber und deren Hintermänner gegründet wurden, vorbei an der Steuer, sämtliche Gesetzeslücken ausnutzend und mit hohem kriminellen Potenzial ausgestattet.
»Für mich ergeben sich derzeit drei wesentliche Punkte«, denkt Kokoschansky laut. »Wenn wir wissen, was es wirklich mit Bortners Tod auf sich hat, sind wir wahrscheinlich einen großen Schritt weiter. Das Gleiche gilt für die Vorgänge in Nazeem al-Qatrs Haus, und ich würde gerne das Autowrack von Marius Höger sehen.«
»Pfff«, lässt Mitnick Dampf ab, »ich glaube, dass es wohl am einfachsten ist, etwas über Bortner herauszubekommen. Bisher konnte ich nicht viel zumindest für uns Brauchbares aus seinem PC in der Staatsanwaltschaft herausholen, auch nichts Verwertbares im System des Justizministeriums. Auf der Suche nach seinen privaten Rechnern bin ich bisher nur ins Leere gelaufen, aber ich bleibe natürlich dran.«
»Auf keinen Fall, Koko, was immer du auch jetzt ausheckst«, wehrt Lena ab und stemmt die Hände in die Hüften, »wirst du mir in die Araberbude eindringen. Das ist viel zu gefährlich. Du hast gehört, was unsere Leute darüber für eine Meinung haben. Und die Idee mit dem Wrack halte ich für absoluten Schwachsinn. Das ist doch längst verschrottet.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher«, hält Kokoschansky dagegen. »Nimm doch nur einmal das Unfallauto von Lady Di her. Wie lange liegt ihr Tod zurück? Bis heute tauchen regelmäßig Gerüchte auf, das Auto wäre noch immer vorhanden und wird irgendwo versteckt. Höger war doch in seinen Kreisen in Kärnten nahezu gottgleich. Ich glaube, es wird sicherlich einen Menschen geben, der in einer Scheune, Schuppen, wo auch immer, dieses Wrack noch aufbewahrt. Als Reliquie, Devotionalie, mein Gott, es gibt doch genügend Verrückte. Ich halte das nicht für besonders abwegig.«
»Mag sein«, Mitnick ist ebenfalls nicht überzeugt, »wahrscheinlich der einfachste und vor allem nutzbringendste Weg ist, an Bortners Familie ranzukommen, um vielleicht da einiges an Informationen holen zu können.« Der Hacker steht auf, massiert seinen Nacken und drückt das Rückgrat durch. »Leute, ich muss mal raus an die frische Luft, ein bisschen die Beine vertreten. Dann fahre ich rüber zu McDonalds, mir hängt der Magen in den Kniekehlen. Soll ich euch etwas mitbringen?«
Lena und Kokoschansky verziehen die Gesichter und lehnen dankend ab. Für sie ist es unerklärlich, welche Unmengen Junkfood Mitnick in sich hineinstopfen kann und dennoch schlank bleibt.
»Lass dir ruhig Zeit«, sagt Kokoschansky, »wir haben genug zu tun. Uns wird bestimmt nicht langweilig.«
»Ich lege mich für ein paar Minuten auf der Liege hin«, beschließt Lena, »mir fallen bereits die Augen aus dem Kopf.« Sie streckt sich durch und macht dabei ein paar einfache Gymnastikübungen. »Ich hoffe, dieser Zirkus dauert nicht mehr allzu lange. Damit endlich wieder das Leben in geordneten Bahnen verläuft«, murmelt sie vor sich hin.
»Was sagst du, Schatz?«
»Nichts von Bedeutung.«
Lena schaltet das Radio ein und lässt sich von dem Einheitsmusikbrei, der nahezu auf allen Sendern gleich ist, berieseln, während Kokoschansky weiterhin über den Papieren brütet, sich Notizen macht und nicht ablenken lässt.
Plötzlich richtet Lena sich auf ihrer Liege kerzengerade auf, dreht das Radio lauter.
»Hör mal …«
»Was ist?«, fragt Kokoschansky gedankenverloren und unwirsch, weil er aus seiner Konzentration gerissen wird.
»… wie erst jetzt bekannt wurde, kam es gestern Abend zu einem mysteriösen Überfall in einem Wiener Wohnhaus. Das Opfer ist ein derzeit suspendierter Beamter des Bundeskriminalamtes Wien, der ersten Erhebungen nach brutal zusammengeschlagen und dabei schwer verletzt wurde. Gefunden wurde der Mann von einem heimkehrenden Mieter. Das Opfer konnte bisher zu den näheren Umständen der Tat nicht befragt werden, da es in künstlichen Tiefschlaf versetzt wurde. Das Motiv liegt derzeit völlig im Dunkeln. Die Polizei ersucht etwaige Zeugen, sich direkt im Bundeskriminalamt oder in einer der Polizeiinspektionen zu melden …«
»Lackner oder Erharter?« Lena ist wieder hellwach. »Wen hat es erwischt?«
»Die gute Tat zum Tag«, bemerkt Kokoschansky zynisch ohne eine Spur von Mitgefühl. »Da hat wohl noch jemand eine Rechnung offen gehabt. Um herauszufinden, wen es von den beiden erwischt hat, genügt ein Telefonanruf.«
»Ja, das verursacht wirklich keine Mühe.« Lena hat sich vor die Monitore gesetzt, die ihre gemeinsame Wohnung überwachen, spielt mit dem Joystick herum und glaubt, ihren Augen nicht zu trauen, als sie den Bereich vor der Eingangstüre abtastet. »He, Koko! Das musst du dir ansehen!«
Edmund Katterka tritt von einem Fuß auf den anderen, während er den Klingelknopf drückt.
»Interessant«, Kokoschansky sieht nahezu belustigt zu, obwohl ihm Düsteres durch den Kopf geht. »Der wird doch wohl nicht auch unser Klo benutzen wollen, weil er gar so hektisch herumsteigt.« Dann wird er sehr ernst. »Katterka glaubt wohl, ich hätte mit der Sache zu tun. Einen anderen Grund gibt es wohl nicht, dass er bei uns antanzt.«
»Hm, mir fällt auch nichts anderes ein. Eigentlich war ich nicht begeistert, dauernd unsere Aufenthaltsorte zu wechseln, doch was ich sehe, bestärkt mich. Es war die richtige Entscheidung.«
Inzwischen hat Katterka es aufgegeben und verlässt das Haus.
»Ich habe gerade überlegt, ob es klug ist, ihn anzurufen oder einfach zu ihm ins Büro zu fahren«, sagt Kokoschansky, »aber wozu?«
»Nein, das wäre nicht klug«, ist Lena mit ihm einer Meinung und zündet sich eine Zigarette an. »Wir sind noch immer die berühmte Nasenlänge voraus. Wir sind quasi untergetaucht, nur für bestimmte Leute erreichbar. Katterka ist ein kluger Kopf und gerissen. Ich bin überzeugt, dass er bereits seine Schlüsse gezogen hat. Er wird inzwischen wissen, dass du in Montenegro warst und sich seinen Reim darauf machen.«
»Trotzdem will ich wissen, ob es Lackner oder Erharter erwischt hat. Ich werde Cench anrufen. Vielleicht kann er mir auch helfen, Bortners Familie ausfindig zu machen.«
*
Die drei Männer umrunden den romantischen Weiher auf dem weitläufigen Landsitz von Adolphe Mannsbergkh-Souilly in der Steiermark nun schon zu dritten Mal. Tief ins Gespräch vertieft, haben sie kein Auge für die wunderschöne Herbstlandschaft.
Markus Schloimo hielt Wort, hatte sofort den Grafen verständigt, als Tilman Hannover sich aus Berlin angesagt hatte. Mannsbergkh-Souilly schlug sein Anwesen als ungestörten Treffpunkt vor. Hannover reiste alleine an und wurde vom Flughafen Schwechat von einem Angestellten des Grafen abgeholt und direkt in diese abgeschiedene Gegend gefahren. Nach einem üppigen Lunch im Schloss stapfen sie nun gemächlich am Ufer des Weihers entlang, die Hände tief in den Manteltaschen vergraben, da es doch empfindlich frisch ist, obwohl die Sonne noch ihre letzten Kämpfe gegen den bevorstehenden Winter ausficht.
»Ich versichere euch nochmals, meine Herren«, betont der schlaksige, smarte, vierzigjährige Tilman Hannover, »unsere Geschäfte und Investments sind bestens abgesichert. Alles in trockenen Tüchern. Da können Heerscharen von Staatsanwälten aufmarschieren, sie werden nichts finden. Vielleicht wird man unsere Namen das eine oder andere Mal im Zusammenhang mit der Estate Carinthia Bank in der Presse lesen, wenn schon. Von meiner Seite aus gibt es in Deutschland diesbezüglich keinerlei Probleme. Allerdings ist bei euch Ösis einiges aus dem Ruder gelaufen, wie ich sehe. Midas, Ährenbach und Sauslinger sind eure Sargnägel. Gegen sie müsst ihr schleunigst etwas unternehmen und sie aus dem Verkehr ziehen. Sie sehen nur die schnelle Kohle und sind nicht in der Lage, über den eigenen Tellerrand zu gucken. Denen fehlt der Durchblick, dieses Trio entwickelt sich mehr und mehr zu einer Gefahr. Das sagt mir mein Gefühl. Dass unser Klotz am Bein, wobei ich noch am wenigsten davon betroffen war, endlich unter der Erde ist, finde ich persönlich mehr als erfreulich. Aber das müssen die Dümmsten erkennen, Selbstmord mit einem Jagdgewehr und sich dabei in den Hinterkopf schießen? Das ist doch mehr als durchsichtig.«
»Wir sind dran, die wahren Hintergründe aufzudecken«, unterbricht Schloimo Hannovers Monolog, »aber auf unsere Weise. Dafür brauchen wir keine Polizei.«
»Immerhin bist du Wahlösterreicher«, fügt Mannsbergkh-Souilly hinzu und fühlt sich ein wenig in seinem Patriotismus angegriffen, weil Hannover etwas abfällig über die Österreicher herzieht, »genau genommen bist du ein Wahlkärntner.«
Der gebürtige Berliner Tilman Hannover bleibt in der Welt des Geldadels eine undurchsichtige, mysteriöse Figur. Einige zweifeln, dass sein ungewöhnlicher Name überhaupt echt ist. Offiziell tritt er als Vermögensverwalter und Großinvestor auf, doch woher sein Reichtum tatsächlich stammt, liegt im Unklaren. Selbst Schloimo und Mannsbergkh-Souilly, sonst stets wohlinformiert, müssen bei Hannover passen, und er selbst hält sich bedeckt. Wegen seiner Einheirat in eine österreichische, alteingesessene Aristokratenfamilie pendelt er stets zwischen Berlin, wo sich sein Firmenhauptsitz befindet, und Kärnten.
»Nun ja«, lacht Hannover und rechtfertigt sich gleichzeitig gegenüber Mannsbergkh-Souilly, »ich habe zwei Nester, in denen ich mich zu Hause fühle, aber meine Geburtsstadt Berlin liegt mir eben mehr am Herzen. Ich finde es sehr gut, was unsere gemeinsamen Geschäfte betrifft, dass in Österreich die Behörden bei Ermittlungen in großem Stil immer nachhinken, vieles unter den Teppich gekehrt und verschleiert wird, um international und besonders in der EU das Sauberlandimage zu bewahren. Im Gegensatz zum Massaker in Montenegro, das niemand ahnen konnte, ist Bortners Tod eine unnötige Störaktion gewesen, noch dazu extrem dilettantisch. Wenn er weg muss, dann durch einen fingierten Autounfall, das fällt weniger auf als dieser dämliche Kopfschuss. Als Höger starb, war das eine klare Sache, auch wenn sehr rasch Verschwörungstheorien die Runde machten, die ebenso schnell wieder verstummten. Obwohl auch ich nicht an einen astreinen Unfall glaube. Gut, Höger war als rasanter Fahrer bekannt, trank auch einmal mehr als erlaubt, das passt. Trotzdem … Meiner Meinung nach wurde der Wagen manipuliert, und ich kann mir auch denken, von wem. Interessant wäre, was aus dem Wrack wurde. Ob es kriminaltechnisch wirklich genau untersucht worden ist?«
Mannsbergkh-Souilly und Schloimo werfen sich einen vielsagenden Blick zu.
»Sagen wir es ihm, Adi?«, fragt Schloimo den Grafen.
»Wir teilen so viele Geheimnisse miteinander, da kommt es auf ein weiteres nicht an«, lautet die Antwort.
Tilman Hannover schaltet sofort. »Ihr verfügt über das Wrack?«
»Ach, Tilman«, Schloimo atmet tief durch, »ist die Luft hier nicht herrlich? Würzig und gesund. Adis Familie wusste schon, warum sie sich ausgerechnet hier angesiedelt hat. Eigentlich ein tolles Motiv, dieser Weiher. Ideal für einen Maler mit dieser Lichtstimmung.«
Der Berliner versteht den Wink mit dem Zaunpfahl. »Kommt, ihr wollt mir doch nicht weismachen, dass ihr mit mir nun über die Schönheiten der Natur plaudern wollt. Am Grund dieses Weihers liegt euer Geheimnis. Wie habt ihr das bloß geschafft?«
»Müssen wir dir, Tilman, das wirklich erklären?«, fragt Mannsbergkh-Souilly, und sein teigiges Gesicht verzieht sich zu einem vielsagenden Lächeln. »Bei unseren Behörden finden sich immer Leute, die sich gerne schwarz ein Zubrot verdienen möchten. Ein wohlgefülltes Kuvert da, eine lang gewünschte Reise für einen anderen, und die Sache ist aus der Welt.«
»Und seine Familie?« Tilman Hannover ist ehrlich verblüfft.
»Denen war es nur recht«, klärt Schloimo ihn auf, »sie wollten ihre Ruhe und waren nur daran interessiert, dass sehr schnell Gras über diese Angelegenheit wächst. Die Geschäfte laufen weiter, wenn auch jetzt unter anderen Voraussetzungen und Bedingungen.«
»Das verstehe ich alles«, der Berliner kann nur schwer sein Erstaunen im Zaum halten, »aber es gibt genügend Journalisten, die noch immer heiß darauf sind, Högers Tod lückenlos aufzuklären. In Österreich können sie zurückgepfiffen werden, das ist nicht neu. Aber SPIEGEL- und FOCUS-Leute oder die Macher von Monitor und anderen Magazinen lassen sich nicht gängeln. Schon gar nicht von Ösis.«
»Wenn ihnen das Objekt ihrer Begierde abhandengekommen ist, können sie auch nur wie alle anderen mit Wasser kochen und müssen sich mit allen möglichen Verschwörungstheorien begnügen«, stellt Mannsbergkh-Souilly lakonisch fest, »und mein Weiher ist tief genug.«
»Wer hat eurer Meinung nach für Högers spektakulären Abgang gesorgt?«, will Hannover es genau wissen.
»Auf wen tippst du?«, lautet Schloimos Gegenfrage.
»Die al-Qatrs. Nazeem auf Befehl seines Vaters.«
»Salvatore Madeos Tod ist die große Unbekannte in unserem Spiel. Die Nammoliti-Familie wird wer anderer weiterführen und nachdem wieder Ruhe eingekehrt ist, können wir weiterhin mit der `Ndrangheta zusammenarbeiten. Das Problem ist dieses Interregnum. Die italienischen Antimafia-Staatsanwälte werden zusammen mit den Kroaten, die besonders an Daramcić interessiert sind, mit meinen Landsleuten, aber sicherlich auch mit den Österreichern alles umkrempeln, und da lege ich nicht meine Hand ins Feuer, dass nicht einiges ans Tageslicht kommt, was uns kräftig in die Suppe spuckt. Die `Ndrangheta steckt diesen unliebsamen Zwischenfall, mehr ist es für sie nicht, locker weg. Diese Organisation wurde immer unterschätzt. Klammheimlich ist sie zur mächtigsten Mafia in Europa aufgestiegen, zieht auch weltweit die Fäden. Stärker als Camorra und Cosa Nostra jemals waren. Ausgenommen die Triaden, die in einer noch höheren Liga spielen. Es wird auch für uns der Tag kommen, an dem wir uns mit den Schlitzaugen an einen Tisch setzen müssen, wenn unser Projekt eines Schatteneuropas weiterhin Bestand haben soll. Madeos Tod ist mir im Grunde egal, aber dass jemand Fotos aus dem Innern schießen konnte und sie auch noch ins Internet stellt, stinkt mir gewaltig. Eigentlich ist es nur logisch, dass dieser Unbekannte auch hinter diesen ominösen FNews steckt.«
»Ich weiß«, sagt Schloimo, »es gibt inzwischen eine vielversprechende Spur. Mehr kann ich noch nicht darüber verraten …«
*
Lena hält die Stellung bei Mitnick, während Kokoschansky zu Alfred Cench aufgebrochen ist. Zwar hat der heute seinen freien Tag, aber nachdem er die Nachricht erhielt, dass Erharter übel mitgespielt worden war, fuhr er sofort ins Büro, um nachzuforschen, was wirklich Sache ist.
Lena blättert in den Unterlagen des Privatdetektivs Wolfram Panker, der bald ihr neuer Chef sein wird. Tatsächlich ist der Name des geheimnisvollen Auftraggebers, wie Panker es gesagt hat, auf unterschiedlichen Papieren sehr sorgfältig geschwärzt. Natürlich plagt Lena die Neugier, hält das eine oder andere Blatt gegen das Licht, doch vergebens. Je mehr sie sich einliest, umso empörter wird sie, was hier schwarz auf weiß zu lesen ist, mit welcher Unverfrorenheit Midas, Ährenbach und Sauslinger fuhrwerken, sich um keinerlei Gesetze scheren und sich gebärden wie absolutistische Herrscher, denen das Land gehört. Besonders Kurt-Friedrich Midas tritt mit einer Selbstherrlichkeit, Arroganz und Selbstgefälligkeit auf, die geradezu krankhaft ist. Plötzlich sticht ihr ein Papier ins Auge, bei dem Panker schlampig war. Im Gegensatz zu den anderen geschwärzten Stellen, alle mit dem PC durchgeführt, ist der Name nur oberflächlich mit einem dicken Filzstift durchgestrichen. Lena sucht nach einer Lupe, zieht die Schreibtischlampe tiefer, und tatsächlich kommen Buchstaben, wenn auch schwach, aber trotzdem erkennbar, zum Vorschein. Sie buchstabiert vor sich hin und schreibt auf einen Notizblock: C, O, R, N, E, L, I, U, S, R, Ü, G, G, E, L, E – Cornelius Rüggele.
Das ist also der geheimnisvolle Auftraggeber, der KFM beschatten und ausspionieren lässt. Damit hat Lena nicht gerechnet. Niemals im Leben! Der schwerreiche Vorarlberger Industrielle Cornelius Rüggele, niemand Geringerer als Midas’ Schwiegervater, steckt dahinter.
Damit wird einiges klar. Die Familie Rüggele lebt abgeschottet im Ländle, gilt als extrem pressescheu und geheimnisumwittert, lässt nur wenige Personen an sich heran und kaum jemand dringt in den innersten Kreis des Clans ein. Sein Geld scheffelt der Rüggele-Konzern mit erlesenen Textilwaren, die in die ganze Welt exportiert werden und für die Upperclass bestimmt sind. Politisch wird das Oberhaupt der Familie, Cornelius, als streng konservativ mit Tendenz nach rechts eingeschätzt. Die drei Söhne der Familie sind ganz nach dem Willen des alten Rüggele geraten, werden von ihm sukzessive aufgebaut und sollen später zu gleichen Teilen das Imperium übernehmen. Nur Tochter Graciella, Midas’ Gattin, gilt als schwarzes Schaf der Familie. Ausgeflippt, eine Luxusfrau durch und durch, die sich nur im Jetset wohlfühlt und am liebsten von Party zu Party reist. Anfänglich war Cornelius Rüggele für eine Heirat mit Kurt-Friedrich, als Midas kurz davor stand, Wirtschaftsminister zu werden. Davon versprach der Konzern sich einiges, doch Midas enttäuschte alle bitter. Nachdem er immer häufiger mit dubiosen Machenschaften in Verbindung geraten war, kaum ein Tag verging, an dem er nicht für negative Schlagzeilen sorgte, Hausdurchsuchungen in den Wohnsitzen und Büros stattfanden, reichte es Cornelius Rüggele. Er erinnerte sich an Wolfram Panker, der ihm, als er noch Beamter in der Abteilung Wirtschaftskriminalität war, den entscheidenden Hinweis lieferte, und eine internationale Produktfälscherbande ausgehoben werden konnte, die unter anderem auch die Erzeugnisse des Rüggele-Konzerns kopierte und zu Schleuderpreisen auf den Markt warf.
Jetzt hat Lena den Beweis vor sich liegen, wer dahintersteckt. Gleichzeitig plagt sie das schlechte Gewissen, sieht es als Vertrauensbruch gegenüber ihrem zukünftigen Chef an. Sie legt ihr Cryptophone wieder zur Seite. In einer ruhigen Minute wird sie dieses Wissen Kokoschansky anvertrauen.
Langsam könnte Mitnick wieder zurückkehren. Zwar hat er sich die Pause redlich verdient, doch bisher hielt er seine Auszeiten sehr knapp. Inzwischen ist mehr als eine Stunde vergangen, und langsam macht sie sich Sorgen. Nicht unberechtigt, plötzlich ertönt höhnisches Gelächter aus den Lautsprechern, die neben einem der PCs stehen. Der Monitor mit der FNews-Seite wird plötzlich dunkel, und aus der Finsternis taucht ein Punkt auf, der sich rasch zu einer Männerfaust aufbaut und den ausgestreckten Mittelfinger zeigt.
*
»Was grinst so blöd, Langer?«, fährt Hermann Honsa seinen neuen Bugl33 an. »Hast du nichts zu tun? Kümmere dich lieber um die Weiber. Heute ist Samstag, endlich blüht wieder das Geschäft.«
»Du bist raus, Hermann«, tönt es mit brummiger Bassstimme von oben herab.
»Hast du zu viel gesoffen, Husky?«
»Nein, keinen Tropfen. Ich werde den Puff übernehmen.«
»Was?« Honsa ist aufgesprungen, stützt sich am Schreibtisch ab, starrt ungläubig in Huskys ausdrucksloses Gesicht. »Okay, du hattest deinen Spaß, aber nun mach wieder deinen Job. Einmal sei dir verziehen.«
»Husky wird sofort wieder seine Arbeit aufnehmen, aber hinter deinem Schreibtisch.«
Der massige Körper Huskys verdeckt Honsa die Sicht, aber die Stimme kommt ihm mehr als bekannt vor. Dann tritt der Unbekannte ins Licht, und Honsa glaubt, ein Gespenst vor sich zu sehen, schiebt die Schuld auf zu viel Koks und den Alkohol, beginnt plötzlich zu zittern, und Schweiß tritt ihm auf die Stirn.
»Du?«
»Ja. Und wie du siehst, lebe ich.«
Husky tritt einen Schritt zurück, und Robert Saller steht vor seinem Erzfeind Hermann Honsa. Zur Tarnung hat er sich einen Vollbart wachsen lassen. In Salvatore Madeos Villa bekam er nur einen Streifschuss ab, der zwar fürchterlich blutete, aber niemals lebensbedrohend war. Es gelang ihm, sowohl Kokoschansky wie auch Daramcić zu täuschen, indem er den Schwerverletzten mimte. Nachdem der Journalist auf Erkundungstour gegangen war, schnappte Saller sich eine der zahlreichen auf dem Areal herumliegenden Waffen, entwendete ein Auto, suchte zuerst einen schweigsamen Arzt auf, der ihn gegen Bares erstklassig versorgte, bevor er nach Durres in Albanien fuhr und von dort mit einer Fähre nach Italien übersetzte, wo ihn Freunde versteckten. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, um noch eine alte Rechnung zu begleichen, bevor er sich endgültig aus Österreich verabschieden wird.
Langsam nimmt Saller seine verspiegelte Sonnenbrille ab. »Eigentlich wollte ich dich umnieten oder umlegen lassen. Doch das ist nicht mein Stil. Aber wie du siehst, erledigen sich manche Dinge von selbst. Den Griechen hat es bereits erwischt, doch ich habe mich entschlossen, dich noch ein bisschen am Leben zu lassen.«
»Du Ratte steckst also dahinter.«
Als Antwort erhält Honsa nur Sallers Lächeln.
»Du wirst jetzt Husky und Rambo deine Hütte übertragen. Die beiden erhalten diesen Puff als meinen Dank und Anerkennung dafür, dass sie mir nie in den Rücken gefallen sind. Damit die Formalitäten schnell abgewickelt werden können, habe ich gleich meinen Anwalt mitgebracht. Dr. Kerner, bitte.«
Der Advokat stellt einen Aktenkoffer auf den Tisch. Darin liegen ein wasserdichter Übernahmevertrag und ein Revolver.
»In Südamerika nennen sie das plomo o plata«, sagt Saller gewohnt ruhig. »Blei oder Silber. Such es dir aus.«
»Was ist, wenn ich diesen Scheißwisch unterschreibe?«
»Dann packst du dein Zeug und setzt nie wieder einen Fuß ins Rotlicht. Du wirst schon nicht verhungern. Einiges wird du dir schon beiseitegeschafft haben. Und du verschwindest aus Wien. Für immer. Komm gar nicht erst auf den Gedanken, dich vielleicht in einem Bundesland zu etablieren und dort Huren für dich arbeiten zu lassen. Du wirst Österreich den Rücken kehren, als hättest du nie existiert. Such dir eine Bleibe an einem schönen Fleckchen, dieser Planet ist groß genug. Aber du wirst immer in Angst leben, eines Tages finde ich dich wieder. Dann klären wir unsere Probleme wie Männer. Nur du und ich.«
Hermann Honsa rinnt der Schweiß in Strömen über das Gesicht, einzelne Tropfen fallen auf die lederne Schreibtischunterlage und hinterlassen hässliche Ränder. »Wenn ich mich weigere zu unterschreiben?«
»Das ändert nicht sehr viel. Husky und Rambo werden die neuen Herren, du wirst mieser behandelt werden, als du deine Putzfrauen schikanierst. Du bist kein Kämpfer, du hältst Terror nicht lange durch.«
»Dann packe ich bei den Bullen aus.«
»Du bist wirklich ein dummer Mensch, Hermann. Tu es, dann bist du sofort eingezogen und landest wieder einmal im Häfen. Baust du auf deinen Spezi Erharter? Der wird nicht gut auf dich zu sprechen sein, so wie du ihn hast zurichten lassen. Da staunst du, was? Man darf eben nicht alles vor seinen Untergebenen ausplaudern, und Husky hört verdammt gut. Dann kommen deine Deals mit den Georgiern heraus, deine Koksquelle in der Asservatenkammer versiegt und noch weitere dreckige Touren von dir. Deine Leute sind bereits zu Husky und Rambo übergelaufen. Du hast sie nie gut behandelt und noch schlechter bezahlt. Das rächt sich nun. Deine Mädchen werden übernommen. Also, hier …«
Saller hält Honsa einen goldenen Kugelschreiber unter die Nase.
*
Geistesgegenwärtig stopft Lena das gesamte herumliegende Material in mehrere Taschen und vergisst auch nicht auf die Videobänder, als das Klopfen immer stärker wird.
Der Hacker hatte ihnen einen Fluchtweg für den Ernstfall gezeigt. Ein Regal ist getürkt, das mit einem versteckten Schalter zur Seite bewegt werden kann.
Dahinter ist eine schmale Türe, und über eine steile Treppe gelangt man in einen kleinen Raum, Teil eines vergessenen Bunkers aus dem Zweiten Weltkrieg, den Mitnick zufällig entdeckt und für seine Zwecke adaptiert hatte. Vom Bunker aus lässt sich wieder mit einem Schalter das Regal verschieben, und niemand bemerkt dieses geheime Versteck.
Wieder klopft es lautstark. Das Regal bewegt sich wie von Geisterhand, Lena öffnet die Türe, wirft die Taschen die Treppe hinunter. Im letzten Moment denkt sie an ihr Cryptophone, saust zurück, schnappt es und verschwindet in dem Keller. Gott sei Dank hat Mitnick daran gedacht, eine schwache Lichtquelle zu installieren. Sie hofft, dass das Regal wieder an seinem ursprünglichen Platz steht. Dann macht sie etwas, woran sie sich nicht mehr erinnern kann, wann es zuletzt war. Sie faltet die Hände und betet inständig, dass Mitnick am Leben ist, ihm nichts passiert ist.
Per SMS verständigt sie Kokoschansky, was los ist. Gott sei Dank funktioniert der Empfang trotz der dicken Bunkermauern. Er soll seinen Termin mit Cench sausen lassen, umkehren, sie unter keinen Umständen anrufen. Er muss aufpassen. Zu gefährlich!
Dann bleibt ihr nichts anderes übrig, als zu warten. Schwach dringen von oben Geräusche durch.
*
»Wer sind die anderen beiden? Die Frau und der Mann? Der Mann ist weggefahren, die Frau nicht? Wohin ist der Mann gefahren?«
Mitnick hört die Fragen nur von weiter Ferne, und jedes Wort klingt in seinem Kopf mit mehrmaligem Echo nach. Seine Erinnerung kehrt langsam zurück. Er saß bei McDonalds, aß seinen Cheeseburger. Dann kamen zwei Typen an den Nebentisch, beide in verschmutzter Maurerkleidung, obwohl das halbe Lokal leer war, und redeten kein Wort. Er dachte sich noch beiläufig, wahrscheinlich Pfuscher oder Schwarzarbeiter, und interessierte sich nicht weiter für sie. Später suchte er die Toilette auf. Als er zurückkam, saßen sie noch immer am gleichen Platz. Er trank von seinem Cola, aber irgendwie schmeckte es sonderbar. Dann stand er auf, verließ das Lokal und kurz danach war ihm plötzlich äußerst komisch zumute. Alles begann sich zu drehen, die Konturen verschwammen, die Beine versagten ihren Dienst. Er merkte nicht, wie ihn die falschen Maurer unterhakten und zu einem Lieferwagen schleppten und hineinstießen. Die wenigen Leute, die in dieser gottverlassenen Gegend unterwegs waren, dachten wohl an einen Betrunkenen, den seine Kumpels nach Hause bringen.
*
Kokoschansky blickt in den Rückspiegel. Der schwarze Ford Mondeo klebt noch immer an ihm, und das behagt ihm überhaupt nicht. Als ihn Lenas SMS erreichte, wollte er noch auf einen Kaffee gehen, da ihn Cench angerufen hatte, dass er sich ein wenig verspäten werde. Der Journalist machte auf dem Absatz kehrt. Da fiel ihm das Verfolgerauto noch nicht auf. Noch während Kokoschansky fuhr, verständigte er Petranko, der wiederum Panker informierte.
Auch Freitag blieb nicht im Ungewissen. Das hatte Kokoschansky übernommen. Einige Minuten überlegte er, ob er Cench einweihen soll und tat es schließlich doch.
Jetzt ist Gefahr in Verzug, da kann er auf Mitnick keine Rücksicht nehmen. Lena setzte noch eine weitere SMS an Kokoschansky ab mit dem Inhalt, dass der Hacker nicht zurückgekehrt ist, dafür lautes Klopfen zu hören ist und sie vorsichtshalber den Fluchtweg in Anspruch genommen hat. Daher kann es nur von Vorteil sein, dass ein aktiver Bulle dabei ist.
Sternförmig rasen sie auf das Industrieviertel zu. Kokoschansky hofft, dass Lena nichts passiert ist und Mitnick unversehrt zurückkehrt. Er versucht einige Tricks, doch der Verfolger an seiner Stoßstange lässt sich nicht abschütteln: Soweit Kokoschansky erkennen kann, sitzen zwei Männer in dem Fahrzeug.
*
»Wer ist der Mann? Wer ist die Frau? Steckst du hinter FNews?« Der schlanke, durchtrainierte Typ in seiner verdreckten Maurerkluft spult ununterbrochen seine Fragen ab. Mitnicks Augen sind längst verschwollen und verquollen, nur aus kleinen Schlitzen nimmt er seine Umgebung wahr. Er hustet und spuckt Blut. Mit der Zungenspitze fühlt er einige Zahnlücken, die ausgeschlagenen Zähne liegen um ihn verstreut am Boden. Man hat ihn nackt auf einen Thonetstuhl gefesselt, die geflochtene Sitzfläche wurde mit einem Messer herausgeschnitten.
»Wer ist der Mann? Wer ist die Frau? Steckst du hinter FNews?« Der Akzent ist unüberhörbar, doch der Hacker kann ihn nicht zuordnen. Danke, Koko, schießt es durch Mitnicks Gehirn, dass du mir das eingebrockt hast.
»Wer bist du?«
Der falsche Maurer schwingt das dicke Tau, an dessen Ende ein fester Knoten ist, und schlägt erbarmungslos von unten zum wiederholten Male präzise auf seine Weichteile. Mitnick brüllt, sackt zusammen und presst ein gequältes Lachen hervor. »Wer ich bin?« Er keucht, zerrt an den Stricken, die tief in seine Hand- und Fußgelenke einschneiden. »Bond, James Bond.” Wieder einer dieser fürchterlichen Schläge auf die Kronjuwelen. »Ihr Arschlöcher habt euch wohl zu viel Casino Royale reingezogen?« Wieder ein Schlag. Mitnick schreit wie am Spieß, kippt mitsamt dem Stuhl zur Seite.
Sein Folterknecht dreht sich zu dem Mann im Hintergrund, fährt sich mit dem Finger über den Hals als Zeichen des Umbringens. Der Mann schüttelt nur den Kopf und verlässt den Raum.
*
»Wohin fährst du gerade?«
Kokoschansky hat sein Cryptophone auf den Beifahrersitz gelegt und den Lautsprecher eingeschaltet.
»Ich komme vom Rennweg und bin jetzt am Anfang der Simmeringer Hauptstraße, Freitag. Und du?«
»Ich habe soeben den Schwarzenbergplatz passiert und bin jetzt ebenfalls auf dem Rennweg.«
»Pass auf! Ich habe einen Verfolger. Einen schwarzen Ford Mondeo mit Wiener Kennzeichen. W 26 … Ach, Scheiße! Jetzt hat sich so ein Idiot hineingedrängt.«
»Hör zu, Koko. Fahr langsamer … Diese verfluchten Ampeln! Hol dir bei einem Automaten Zigaretten. Tu irgendetwas, damit ich dich einholen kann.«
»Was hast du vor, Freitag?«
»Lass mich nur machen.«
Kokoschansky hält nach einer Trafik Ausschau, und wenige hundert Meter weiter entdeckt er eine, bleibt in zweiter Spur stehen und lässt sich Zeit. Seine Verfolger überholen ihn. Gemächlich steigt er aus, kramt in seinen Taschen nach Kleingeld, dabei nicht den schwarzen Wagen aus den Augen lassend, der sich tatsächlich in einiger Entfernung einparkt und wartet. Kokoschansky will gerade zu dem Automaten gehen, als ihn Freitag stehen sieht und kurz mit der Lichthupe Signal gibt. Sofort springt Kokoschansky in sein Auto zurück, startet und fährt langsam weiter. Wütende Lenker hinter ihm hupen und zeigen ihm den Vogel, als sie ihn überholen.
Die beiden Männer im schwarzen Ford Mondeo haben sich abgeduckt, als Kokoschansky sie passiert. Kaum ist er an ihnen vorüber, schert ihr Auto aus der Lücke heraus und will sich wieder in den fließenden Verkehr eingliedern. Genau darauf hat Freitag gelauert. Im Rückspiegel sieht Kokoschansky, wie sein schwarzer Freund aufs Gas steigt und punktgenau in das linke Vorderrad des Ford Mondeo kracht, was einen sofortigen Achsbruch zur Folge hat und die beiden unbekannten Verfolger außer Gefecht setzt. Niemand wird verletzt. Ein Problem weniger, Freitag wird sich bestimmt herausreden und die Schuld den anderen in die Schuhe zu schieben versuchen.
Kokoschansky startet wieder einen Rundruf, teilt Petranko, Panker und Cench mit, dass Freitag die Verfolger ausschalten konnte, sie ihre Autos abseits parken und das letzte Stück zu Mitnick per pedes zurücklegen sollen. Danach fragt er Lena per SMS, ob sich etwas Neues ergeben hat. Ihre prompte Antwort lautet: Lage unverändert. Zumindest sie ist derzeit sicher.
Der Journalist stellt sein Auto bei einer Firmeneinfahrt ab, und es fällt ihm ein, dass ihm vielleicht unbemerkt ein Peilsender verpasst worden ist. Darauf hatte er in der Hektik gänzlich vergessen. Trotz genauer Untersuchung entdeckt er nichts Verdächtiges.
Aus der entgegengesetzten Richtung schlendern Petranko und Panker herbei, spielen Spaziergänger, die sich unterhalten. Der schlaue Privatdetektiv hat sogar seinen Golden Retriever mitgebracht, und so erwecken sie den Eindruck zweier Männer, die mit einem Hund Gassi gehen. Nur von Cench ist weit und breit nichts zu sehen.
Kokoschanskys Cryptophone kündigt eine neue SMS-Nachricht an. Dieses Mal stammt sie von Petranko. Zwei verdächtige Männer machen sich an einer Türe zu schaffen, ein Dritter steht Schmiere. Der Journalist beschleunigt seine Schritte. Seine momentane Position ist ungünstig, Petranko und Panker haben eindeutig das bessere Sichtfeld. Nach ein paar Schritten kann auch Kokoschansky die Lage überblicken. Noch werden sie von dem Trio nicht bemerkt.
Alfred Cench schlägt sich durch die Büsche, er ist nur mehr wenige Meter vom Aufpasser entfernt. Kokoschansky überquert die Straße, mimt einen fröhlichen Spaziergänger, pfeift vor sich hin, und es gelingt ihm, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Der Schmieresteher dreht den Kopf in Kokoschanskys Richtung und lässt ihn nicht mehr aus den Augen. So sieht er nicht, wie sich Petranko und Panker mit seinem Hund trennen, um die zwielichtigen Männer in die Zange zu nehmen. Cench steht nun knapp hinter dem Aufpasser. »Polizei! Was tun Sie hier?«
Der Überrumpelte wirbelt herum, versucht, in seine Jacke zu greifen, doch Cench ist schneller. Blitzschnell reißt er seine Glock aus dem Holster und hält den Unbekannten in Schach. Langsam hebt der Fremde die Hände.
Als seine Komplizen ihn mit erhobenen Händen sehen, ergreifen sie die Flucht.
»Fass, Sherlock! Fass!«
Der junge Golden Retriever sprintet los. Schon nach wenigen Metern holt das Tier den Ersten der beiden ein, springt ihm in den Rücken, beißt seiner Beute in den Arm und lässt sie nicht mehr los. Verzweifelt versucht sich der Mann loszureißen, doch gegen den Hund bleibt er chancenlos. Sein Partner versucht, auf Sherlock hinzutreten, doch schon ist Panker zur Stelle. Ein Schuss in die Luft aus seiner Pistole reicht, und die beiden stellen ihren Widerstand ein.
»Aus, Sherlock, aus!«
Folgsam gehorcht der Hund. Sein Opfer bleibt am Boden liegen und hält sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den blutenden Arm.
»Steh auf«, schnauzt Panker ihn an. »Stell dich zu deinem Kumpel.« Anscheinend sind sie der deutschen Sprache nicht mächtig oder tun zumindest so. Der Privatdetektiv wird energischer, deutet ihm aufzustehen. Unter strenger Bewachung Sherlocks rappelt der Mann sich hoch. Petranko hat nun ebenfalls seine Privatwaffe in der Hand. Kokoschansky hat befürchtet, durch den Schuss unliebsame Zuschauer zu haben. Doch glücklicherweise ist das Areal am späteren Samstagnachmittag wie ausgestorben, niemand hörte den Schuss, oder zumindest interessiert es keinen.
Während Panker und Petranko das unbekannte Trio bewachen, hält Cench ihnen seinen Dienstausweis unter die Nase und durchsucht sie. Alle sind bewaffnet, jedoch ohne Ausweispapiere. Cench wirft die sichergestellten Pistolen außer Reichweite ins Gras. Dazu auch deren Handys. Erleichtert teilt Kokoschansky Lena mit, dass sie außer Gefahr ist. Von Mitnick allerdings fehlt nach wie vor jede Spur.
»Polizei!«, versucht Cench es nochmals. »Was habt ihr hier zu suchen?«
Verbissenes Schweigen.
»Police, what you are doing here?”
Panker geht ein paar Schritte abseits und hebt die abgenommenen Pistolen auf. Alle drei sind gleicher Bauart und Typs, israelische IWI Jericho 941. »Das ist ja hochinteressant«, murmelt der Privatdetektiv vor sich hin und winkt Kokoschansky herbei. »Sieh dir das an, Koko.« Kokoschansky nimmt eine der Waffen an sich.
»Was machen wir nun mit den drei Galgenvögeln?«, fragt Cench.
Doch statt eine Antwort zu geben, baut Kokoschansky sich vor den drei Einbrechern auf. »Ich bin mir sicher, die Scheißkerle verstehen bestens Deutsch. Wo ist unser Freund? Habt ihr ihn gekidnappt?« Die Antwort sind hasserfüllte Blicke. »Na schön. Ist die Knarre entsichert?« Panker nickt. »Wem soll ich zuerst ins Knie schießen? Dir oder dir? Vielleicht dir? Wer stellt sich freiwillig zur Verfügung?«
»Koko, mach keinen Blödsinn!« Cench fällt auf Kokoschanskys Bluff herein.
»Was ist? Wo ist unser Freund? Ach ja, zwei von euch sind bereits aus dem Verkehr gezogen. Nämlich die, die mich verfolgt haben. Kleiner Autounfall. Wo ist unser Freund? Wie viele von euch sind noch unterwegs? Wer schickt euch? Wer ist euer Auftraggeber?«
Kurzerhand hat Kokoschansky das Kommando übernommen, und seine Verbündeten lassen ihn gewähren. »Und? Warum höre ich nichts? Ich bin hundertprozentig überzeugt, ihr versteht jedes Wort.« Ansatzlos schlägt der Journalist zu. Sein mächtiger Faustschlag reißt den Typ, den Cench zuerst stellte, von den Beinen. Blut sickert ihm aus einem Mundwinkel. Breitbeinig stellt Kokoschansky sich vor den zusammengekrümmten Mann. »Wenn sich keiner von euch freiwillig meldet, musst du daran glauben. Wo ist unser Freund?« Schweigen. »Linkes oder rechtes Knie? Such es dir aus. Wir wissen, wer ihr seid«, setzt Kokoschansky nun alles auf eine Karte, »ihr seid Israelis. Aber keine normalen israelischen Staatsbürger. Ihr seid Geheimdienstler. Ihr seid vom Mossad. Auch wenn ihr keine Ausweispapiere mit euch führt. Dafür habt ihr israelische Waffen bei euch. Schwerer Fehler, aber warum soll dem angeblich besten Geheimdienst der Welt nicht ein Lapsus passieren? Für euch gibt es nun zwei Möglichkeiten. Wir überlassen euch der österreichischen Polizei, dann wird es sehr eng für euch. Was meint ihr wohl, was geschieht? Ihr seid als Ausländer bewaffnet auf österreichischem Territorium gestellt worden, habt einen österreichischen Staatsbürger entführt. Dafür wandert ihr für ein paar Jahre hinter Gitter, werdet danach abgeschoben. Ich glaube nicht, dass sie mit euch eine besondere Freude haben werden, wenn ihr wieder nach Hause zurückkehrt. Wer weiß, vielleicht geschieht euch auch etwas und ihr werdet klammheimlich zum Beispiel in der Negev-Wüste verbuddelt? Nicht unbedingt die besten Zukunftsaussichten. Oder wir lösen es auf österreichische Art. Wir vergessen alles, dafür sagt ihr uns, wo ihr unseren Freund versteckt haltet, wer euch den Auftrag erteilt hat und wie viele von euch sich noch bei uns herumtreiben. Wir lassen euch laufen, natürlich ohne Waffen und Handys. Ihr werdet euch schon durchschlagen. Eure Entscheidung …«
*
Der Unfall zieht immer mehr Schaulustige an, obwohl nur Blechschaden entstanden ist. Der Stau auf der Simmeringer Hauptstraße wird länger und länger. Zuerst wollten die beiden, die Freitag in ihrem Auto abgeschossen hatte, die Angelegenheit ohne Polizei regeln, aber der Schwarzafrikaner bestand darauf. Da die Straße zu belebt ist, ist an Fahrerflucht nicht zu denken.
Freitag flucht und tobt herum, will dadurch Kokoschansky Zeit verschaffen. Die Funkstreifenbesatzung ist ziemlich gefordert. Einerseits hält der Taxifahrer sie auf Trab, andererseits haben die Beamten, eine Frau und ein Mann, noch nie mit einem dermaßen komplizierten Verkehrsunfall zu tun gehabt. Die beiden Männer weisen sich mit gefälschten Diplomatenpässen aus Paraguay aus, sprechen gebrochen Deutsch, aber fließend Spanisch, und verweigern sämtliche Auskünfte, bestätigen nur ihre falschen Personalien. Das erschwert die Amtshandlung, da die beiden absolut nicht bereit sind zu kooperieren und darauf drängen, ihrer Wege ziehen zu dürfen. Den jungen Polizisten fallen die Fälschungen nicht auf, sie sind viel zu sehr beschäftigt, diesen Fall vernünftig und zur Zufriedenheit aller Beteiligten zu lösen.
»Wer bezahlt mir nun den Schaden?«, jammert Freitag. »Wie soll ich Geld verdienen, wenn mein Taxi hin ist? Ich habe Familie, die ich ernähren muss! Nur weil die zwei glauben, in Österreich brauchen sie keinen Blinker einzuschalten, wenn sie ausparken und weiterfahren wollen!« Ausgerechnet Freitag sagt das, der, wann immer es möglich ist, Verkehrsregeln gänzlich ignoriert.
»Bitte, Herr Querantino«, versucht die Polizistin, den scheinbar aufgeregten Freitag zu beruhigen, »seien Sie doch froh, dass Sie unverletzt geblieben sind und die anderen auch. Zum Glück ist es nur verbeultes Blech.«
»So kommen wir nicht weiter«, beschließt ihr Kollege. »Nachdem wir den Unfallhergang abgeschlossen haben, müssen wir uns an höhere Stellen wenden. An dem Busserer34 stimmt etwas nicht.«
*
Der Mann, den Sherlock gebissen hat und der zugleich der Jüngste des Trios ist, hält sich noch immer seinen stark blutenden Arm. Er ist das nächste Opfer des Journalisten.
»Du siehst aus, als ob du dringend einen Arzt brauchst. Je länger ihr schweigt, desto schlimmer wird es für dich. Ihr wisst, was uns interessiert. Also, was ist nun mit der Plauderstunde?«
Der junge, vermutliche Agent kämpft zusehends mit sich selbst. Immer wieder blickt er zu seinen Gefährten, die ihn nur regungslos ansehen, bevor er sich endgültig durchringt, den Mund aufzumachen. »Bekomme ich mildernde Umstände oder vielleicht Straffreiheit, wenn ich rede? Was ist mit meinen Kameraden?« Er spricht blütenreines Deutsch.
»Du kennst den Deal«, antwortet Kokoschansky ihm, »wenn wir von dir erfahren, weshalb ihr hier seid und wo unser Freund steckt?«
»Mit dir rede ich nicht«, sagt der junge Mann unverblümt, »du bist kein Bulle, er«, dabei deutet er mit dem Kopf in Richtung Cench, »er schon. Er konnte sich ausweisen, du und die anderen habt es bisher nicht getan. Es ist auch egal, wer ihr seid. Wir wissen, wer du bist. Dein Name ist Heinz Kokoschansky, und du bist von Beruf Journalist. Wir haben genug Fotos von dir.« Jetzt ist es Kokoschansky, dem beinahe die Kinnlade herunterklappt. »Dein martialisches Auftreten und dein lächerliches Schmierentheater kannst du dir in den Arsch schieben, das kaufen wir dir nicht ab. Es schert mich einen Dreck, weshalb wir diesen Auftrag ausführen sollten, und noch weniger, worum es eigentlich geht. Doch eines ist klar. Ihr lasst uns nicht laufen, ihr liefert uns aus.«
Plötzlich wechselt er die Sprache, redet Hebräisch mit seinen Leuten, wobei einer anfänglich heftig dagegen zu sein scheint, dann jedoch mehr und mehr einlenkt, während der Zweite sich zurückhält und sich mit seinem weiteren Schicksal bereits abgefunden zu haben scheint. Dann wendet sich der junge Mann wieder Cench zu.
»Ich habe keine Lust wegen dem Scheißköter vielleicht meinen Arm zu verlieren. Ich will in einem Krankenhaus behandelt werden. Wir werden unsere Identitäten nicht preisgeben. Wir wollen faire Behandlung und unseren Botschafter sprechen.«
»Dazu müssen wir wissen, woher ihr kommt«, wirft Cench ein.
»Euer Langer hat es doch bereits ausgesprochen«, antwortet der mutmaßliche Geheimdienstmann nach kurzer Überlegung, »was ist nun mit mildernden Umständen oder Straffreiheit?«
»Das habe ich nicht zu entscheiden. Das obliegt der Justiz. Aber ich verspreche dir, wenn es zu einem Prozess kommt, werde ich aussagen, dass du mit uns zusammengearbeitet hast. Allerdings wissen wir noch immer nicht, wo unser Freund ist.«
»Unser Auftrag lautete, FNews kaltzustellen und den Urheber auszuschalten. Wir wissen, dass dort hinten die Zentrale liegt. Den Langen und die unbekannte Frau haben wir schon ein Weilchen observiert. Heute wollten wir zuschlagen, und wir haben auch gesehen, wie der Lange und sie da hineingegangen sind. Wir warteten noch ein Weilchen, als plötzlich dieser andere Mann herauskam, den wir vorher noch nie gesehen hatten, euer Freund eben. Daher beschlossen wir, ihn zu schnappen. Danach wollten wir eindringen, und wir hätten es sicher geschafft, wenn ihr nicht aufgekreuzt wärt. Keine Ahnung, wie ihr davon Wind bekommen habt.«
»Ihr hättet nicht so viel Lärm machen dürfen, eure Klopferei hat euch verraten. Sehr stümperhaft.«
Plötzlich steht Lena wie aus dem Boden gewachsen da, und der Israeli verzieht das Gesicht, als sie Kokoschansky in den Arm nimmt und fest an sich drückt.
»Hör zu, Junge«, fordert Cench den Agenten auf, »wir wollen hier keine Wurzeln schlagen. Sag uns jetzt endlich, wo ihr unseren Mann hingebracht habt.«
»Wir haben ihn dort hinten vor dem McDonalds entführt. Er ist in einer Jagdhütte an einem See. Inzwischen werden unsere Leute längst wissen, wer er ist. Wir haben da so unsere Methoden.«
»Wir auch, verlass dich darauf«, fährt Cench ihn an, »spuck jetzt endlich den Namen dieses verdammten Sees aus!«
»Irgendetwas mit Er… Keine Ahnung. Diese Jagdhütte war nur für unvorhergesehene Zwischenfälle reserviert. Bekanntlich ist der eingetreten, als dieser Typ herauskam und essen ging.«
»Dann kann es sich wohl nur um den Erlaufsee handeln«, fixiert Wolfram Panker den Israeli, »stimmt’s?«
»Kann sein. Ich weiß es nicht genau. Es war nicht Teil meines Auftrags. Darum kümmerten sich die anderen.«
»Dann ist es sicherlich Bortners Jagdhütte. Jetzt fügt sich einiges zusammen. Mannsbergkh-Souilly, ein passionierter Jäger, pachtete das Grundstück vom wahren Eigentümer Markus Schloimo, und der Graf stellte die Hütte dem Oberstaatsanwalt zur Verfügung. Alles in meinen Unterlagen nachzulesen. Ist Schloimo euer Auftraggeber? Habt ihr auch einen Oberstaatsanwalt Lukas Bortner umgelegt?«
Schweigen.
»Weshalb sprichst du so ausgezeichnet Deutsch?«, will Kokoschansky wissen.
»Weil ich Deutsche und Österreicher nicht leiden kann. Meine Großeltern wurden in Mauthausen ermordet. Grund genug? Darum bin ich dabei.«
»Du hast vorhin etwas von Methoden erwähnt«, sagt Cench völlig ruhig und tritt nahe an den jungen Mann heran, dessen Schmerzen immer stärker werden. »Wer von euch dreien hat das große Sagen?«
»Er«, der Israeli deutet mit einem Kopfnicken zu dem mittelgroßen Mann in den Vierzigern mit dem Bürstenhaarschnitt.
»Gut. Welches ist sein Handy?«
»Das graue Nokia.«
»Koko, bring es mir bitte.«
»Okay.« Cench nimmt das Mobiltelefon und wendet sich wieder dem jungen Israeli zu. »Sag ihm, er soll euren Auftraggeber anrufen. Alles wäre in bester Ordnung. Auftrag ausgeführt. Kokoschansky und die Frau sind tot. Wir bringen gerade die Sprengladungen an. Genau mit diesen Worten. Spricht er ebenfalls Deutsch?«
»Ja.«
»Ausgezeichnet!« Plötzlich hält Cench seine Pistole an den Kopf des kooperativen jungen Mannes. »Er wird jetzt genau mit diesen Worten in deutscher Sprache euren Auftraggeber informieren und danach das Telefonat beenden. Sollte er irgendwelche Tricks versuchen oder eine versteckte Warnung aussprechen, bist du tot. Dann kam es zu einem Schusswechsel, ich musste in Notwehr handeln. Es gibt genügend Zeugen, die es bestätigen werden, auch wenn deine beiden Kumpane etwas anderes aussagen, wir sind in der Mehrheit.«
Alfred Cenchs entschlossene Miene lässt keinen Zweifel offen, dass er es tatsächlich ernst meint. »Die Nummer …«
»0656 770 13 490 …«
»Und diese Nummer kommt mir mehr als bekannt vor«, flüstert der Privatdetektiv dem neben ihm stehenden Petranko zu.
Cench wählt und übergibt das Telefon an den bisher stummen Wortführer, der, sobald die Verbindung zustande gekommen ist, zuerst befehlsgemäß genau das spricht, was verlangt wird, dann plötzlich einige hebräische Brocken schreit, das Telefon zu Boden wirft und zertritt. Dreist grinst er den BKA-Beamten an. Im gleichen Augenblick stößt Cench ihm den Lauf seiner Pistole in den Mund. Wimmernd bricht der Mann zusammen, spuckt Blut und Zähne.
»Du hast Scheißkameraden«, meint Cench völlig emotionslos. »War ein netter Versuch von mir und von ihm. Ihr seid verhaftet.«
*
Erharters Verletzungen sind zwar schwer, jedoch nicht lebensbedrohend. Daher konnte er bereits wieder aus dem künstlichen Tiefschlaf zurückgeholt werden. Langsam lichten die Nebel sich, und die wabbernde Masse seines Krankenzimmers verfestigt sich, bekommt wieder Farbe und Konturen. Das verzerrte Gesicht dicht vor seinem dick bandagierten Kopf nimmt normale Züge an, die Stimme, die leise zu ihm spricht, kennt Erharter nur zu gut.
»Dich hat es sauber erwischt«, sagt Lackner und setzt sich auf die Bettkante. »Ich habe es immer gewusst, dass du eines Tages dafür bezahlen musst. Deine windigen Geschäfte konnten auf Dauer nicht gut gehen.«
»Hau ab«, wispert Erharter, »dich brauche ich jetzt am allerwenigsten. Und deine Moralpredigt kannst du dir sparen.«
»Du warst immer ein Besserwisser. Das ist jetzt der Preis dafür. Du hast dich schmieren lassen, und ich habe dich gedeckt. Waren es Honsas Leute, die dich so übel zugerichtet haben?«
»Warum interessiert dich das?«, stöhnt Erharter. »Du willst doch nichts mehr mit mir zu tun haben?«
»Weil ich ebenso drinhänge wie du! Hast du das noch immer nicht kapiert?«
»Das ist mir scheißegal. Zieh du ruhig dein Ding durch, ich mache meines. Vielleicht packe ich aus? Zurück kann ich nicht mehr. Ich habe nichts mehr zu verlieren.«
»Bitte, gehen Sie.« Die Krankenschwester steht in der Tür. »Der Herr Doktor hat nur fünf Minuten erlaubt.«
»Ja, ja, ich weiß«, dreht Lackner sich zu ihr hin, »nur noch eine Minute. Es ist sehr wichtig.«
»Gut, eine Minute, keine Sekunde länger.« Leise schließt die Krankenschwester die Türe.
»Wenn du singst, bin ich ebenfalls dran und Katterka auch. Mit ihm werde ich schon noch einig. Ich kenne zu viele seiner dunklen Geheimnisse. Und ich habe vor, weiterhin im BKA zu bleiben. Ich drehe mich schon aus den Disziplinarverfahren heraus. Das ist auch anderen vor mir gelungen. Es gibt nur ein Hindernis, nämlich dich.«
»Leck mich am Arsch …«
Erharter schließt die Augen. Unbemerkt streift Lackner sich Latexhandschuhe über, greift nach dem Kissen auf dem Bett daneben. Ein Glücksfall, dass Erharter alleine in einem Dreibettzimmer liegt. Noch ein Blick zur Türe, dann drückt Lackner ihm das Kissen auf das Gesicht. Erharter ist zu keinerlei Gegenwehr fähig. Seine Arme und Beine sind eingegipst, sein Organismus viel zu schwach, um sich aufzulehnen. Es dauert nur ein paar Sekunden, bis der kleine Monitor des Herzüberwachungsgerätes eine grüne Linie zeigt und ein gleichmäßiger Summton ertönt. Blitzschnell legt Lackner das Kissen zurück, streicht es glatt, zieht seine Handschuhe aus, stürzt hinaus auf den Flur.
»Schnell, Hilfe!«, schreit der Mörder eine Krankenschwester an. »Mit meinem Freund scheint etwas nicht zu stimmen!«
*
Markus Schloimo ist außer sich. Jetzt nur klaren Kopf bewahren, keine unüberlegten Handlungen setzen. Dann wird es auch gut gehen. Trotz schwerster Misshandlungen ist dieser Idiot nicht zum Reden zu bringen. Damit hat Schloimo nicht gerechnet. Und dann scheitert auch noch die Aktion gegen das Hauptquartier von FNews. Ein verfluchter Scheißtag! Die Operation ist misslungen, daher ist auch Mitnick für ihn wertlos geworden.
Im Geist geht der Industrielle noch einmal seinen Plan durch. Der Mann, der nicht einmal bereit ist, seinen Namen preiszugeben, wird in einem Teppich gewickelt und erhält nach altbewährter Mafiamanier Betonschuhe verpasst und verschwindet danach für immer im Erlaufsee. Anschließend wird die Jagdhütte abgefackelt. Das morsche Holz brennt auf jeden Fall wie Zunder.
Zuerst hat Schloimo überlegt, den Mann mitverbrennen zu lassen, doch mit den heutigen kriminaltechnischen Methoden wäre es sicherlich ein zu hohes Risiko. Selbst wenn sich nur Knochenreste finden, kann anhand derer die Identität eines Menschen herausgefunden werden. Daher ist das Versenken im See der sichere Weg, der See ist groß und tief.
Schloimo verabschiedet sich von den beiden Mossad-Agenten, die soeben im Begriff sind, den bewusstlosen Mitnick in einen Teppich zu wickeln und zu verschnüren, instruiert sie nochmals, zeigt ihnen, wo der Eimer mit dem schnell härtenden Flüssigbeton steht, der eigentlich für die Ausbesserung der Zufahrt zur Jagdhütte bestimmt war.
Danach steigt Markus Schloimo in seinen Jaguar und fährt Richtung Flughafen Schwechat. Über Internet hat er einen Businessclass-Flug mit der Spätmaschine nach Tel Aviv gebucht. Nachdem er die Bundesstraße erreicht hat, fallen ihm zwei extrem tief fliegende Hubschrauber des Innenministeriums auf, und er gibt Gas.
*
Seinen Geburtstag im Kreise der Familie hat sich BKA-Chef Edmund Katterka gänzlich anders vorgestellt. Mitten im schönsten Essen in diesem noblen Innenstadtrestaurant wird er zuerst vom Journaldienst angerufen, und der diensthabende Kollege teilt ihm mit, dass ein brisanter Kidnapping-Fall in Niederösterreich im Gange ist, er aber auch nicht mehr momentan wisse. Außerdem wären drei verhaftete männliche Personen vermutlich israelischer Herkunft ins BKA überführt worden. Daher wurde auch das LVT, das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, eingeschaltet.
Kurz danach meldete sich Katterkas Kollege, der Chef des LPK Niederösterreich, des Landespolizeikommandos, redete von einer äußerst delikaten Angelegenheit, die es sehr behutsam zu behandeln gälte. Schließlich soll ein bislang unbekanntes Entführungsopfer sich auf einem Grundstück befinden, das im Besitz des Industriellen Markus Schloimo ist, und man spricht von einer Jagdhütte, die wiederum Adolphe Mannsbergkh-Souilly gepachtet haben soll.
Ausgelöst hat die Fahndung Alfred Cench, und daher wurde unverzüglich die COBRA35 alarmiert. Die Elitepolizisten sind schon auf dem Weg zum Einsatzort. Leider wisse man über das Entführungsopfer gar nichts, weder Name noch Wohnadresse. Anscheinend gibt es auch keine Angehörigen. Was der Wahrheit entspricht.
Katterka weiß nicht mehr, wo ihm der Kopf steht. Schließlich erfährt er noch, dass zwei angebliche paraguayanische Staatsbürger mit Diplomatenpässen nach einem Verkehrsunfall mit einem schwarzafrikanischen Taxifahrer vorübergehend festgenommen wurden und ebenfalls ins BKA gebracht worden sind. Der Funkstreifenbesatzung war diese Amtshandlung zu heiß, und sie verständigte das LVT. Nachdem festgestellt werden konnte, dass der Ford Mondeo erst am Vortag in Wien gestohlen worden war und sich die Pässe als erstklassige Fälschungen erwiesen, die beiden Männer auch dem Botschafter von Paraguay unbekannt waren, wurde nicht lange gefackelt.
Unverzüglich verlässt Katterka die Geburtstagstafel und rast schleunigst in sein Büro, wo ihn bereits der nächste Schock erwartet. Kokoschansky!
»Was soll das?«, ruft der BKA-Chef bereits von Weitem, als er über den Flur hastet. »Ich habe jetzt keine Zeit!«
»Dann werden Sie sich diese nehmen«, fordert Kokoschansky ihn keck auf, »oder wollen Sie nicht wissen, wer hinter FNews steckt?«
Nachdem die Israelis unter Verschluss sind und Cench sich um Mitnicks Entführung kümmert, konnten Kokoschansky, Lena, Petranko und Panker zuerst einmal durchschnaufen. Panker schlug vor, sämtliche Unterlagen vorübergehend an sich zu nehmen, da sie in seinem Büro derzeit am sichersten sind. Rasch wurde in einem Café Kriegsrat gehalten, nachdem auch Freitag dazugestoßen war. Der Schwarze brauchte eine Weile, um zu verdauen, dass sein Baby FNews vorübergehend auf Eis gelegt werden muss, aber bald wieder wie ein Phoenix aus der Asche steigen wird. Schließlich sah er ein, dass dies wohl der klügste Weg sei, zumal Kokoschansky eine spektakuläre Pressekonferenz für den kommenden Montag plant und sie den morgigen Sonntag nützen werden, um alles gründlich vorzubereiten. Jetzt möchte Kokoschansky schnellstens zu Katterka, um ihm die Augen zu öffnen, die anderen sollen in Pankers Büro so weit wie möglich alles vorbereiten. Ohne Mitnick FNews wiederzubeleben, ist sinnlos. Jetzt zählt nur das Leben des Hackers.
»Diese FNews interessieren mich momentan überhaupt nicht«, keift Katterka, »ich habe ganz andere Sorgen.«
»Hören Sie zu, Herr Katterka«, bleibt Kokoschansky ruhig, »vielleicht schaffen Sie es, Ihre aus welchen Gründen auch immer gegen mich gehegten Animositäten für eine Weile zu vergessen. Hinter FNews stecken ich und ein paar andere Leute. Unser kleines unabhängiges Medium hält noch viele Überraschungen parat, die alle in einem einzigen Zusammenhang stehen.« Dass die Website inzwischen gehackt worden ist, bindet er Katterka nicht auf die Nase.
»Dann werden wir jetzt eine Niederschrift mit Ihnen machen, Herr Kokoschansky, und Sie erzählen, was Sie wissen. Sie übergeben mir sämtliche Ihrer Unterlagen, die Sie doch sicherlich haben.«
»Weder das eine noch das andere«, bleibt Kokoschansky weiterhin gelassen, »einen Scheißdreck werde ich. Es wird ein Vier-Augen-Gespräch. Sie und ich. Keinerlei schriftliche Notizen, keine Niederschrift, kein mitlaufendes Tonband. Und sicher nicht in Ihrem Büro. Ich traue Ihnen nicht. In diesem Gebäude wird es wohl einen Raum geben, der nicht besetzt ist. Kapieren Sie endlich, dass ich vielleicht einen entscheidenden Beitrag leisten kann, damit Sie Ihren Arsch doch noch retten können. Oder ich bin wieder eine Wolke.«
Katterka kratzt mit einem Fuß über den Boden, überlegt. »Also gut, kommen Sie mit.«
Ein nüchterner, kahler Raum mit nicht mehr als zwei Stühlen und einem Tisch ist rasch gefunden. Kokoschansky setzt sich, zündet sich eine Zigarette an, was Katterka missfällt und dem Journalisten gleichgültig ist.
»Was haben Sie neulich vor meiner Wohnung zu suchen gehabt, Herr Katterka«, eröffnet Kokoschansky das Duell, »hatten Sie Sehnsucht nach mir? Ich nehme nicht an, dass Sie mir auch ein bisschen Koks unterjubeln wollten. Oder waren Sie auf meine DNA scharf?«
»Woher wissen Sie, dass ich dort war, wenn Sie nicht zu Hause waren?«
»Hm, die moderne Technik macht’s möglich. Brauchen Sie meine DNA, um sich zu überzeugen, ob ich in Montenegro gewesen bin? Das wissen Sie doch sicherlich schon. Ich spare Ihnen Arbeit. Die Fotos, die Sie sicherlich auf FNews gesehen haben, stammen von mir.«
»Jetzt kann ich Sie sofort wegen Behinderungen von Ermittlungen, Hinterziehung von Beweismaterial, und einiges andere wird mir auch noch einfallen, festnehmen.«
»Tun Sie sich keinen Zwang an, aber das hilft Ihnen auch nicht mehr weiter. Seit wann gehört Montenegro eigentlich zu Österreich? Ich bin nicht alleine, hinter mir stehen profunde Leute …«
»Ihr Busenfreund Thomas Petranko. Ein ehemaliger Chefinspektor, der den Pensionsschock nicht verkraftet. Toll … Und Ihre Lebensgefährtin Lena Fautner, eine ehemalige kleine Polizistin. Superteam, gratuliere.«
»Jetzt verstehe ich, warum Sie bei Ihren Untergebenen so überaus beliebt sind.« Kokoschansky lässt Katterkas Spott kalt.
»Sie behaupten also, die Fotos des Massakers in Salvatore Madeos Villa stammen von Ihnen.«
»Genau.«
»Dann zählt ein `Ndrangheta-Boss, neben Robert Saller, zu Ihren Bekannten. Auch ein gewisser Branko Daramcić?«
»Selbst wenn es so wäre, ist es nicht strafbar, solange ich mich nicht auf illegale Geschäfte mit solchen Leuten einlasse.«
»Wer weiß …«
»Katterka, Sie sind wirklich eine dumme Nuss. Und so einer ist BKA-Chef. Außer blöd herumreden können Sie anscheinend gar nichts. Ich weiß auch, dass Sie inzwischen einige Mossad-Leute im Haus sitzen haben. An Ihrer Stelle würde ich mir schleunigst einen fähigen Untersuchungsrichter und einen ebenso mutigen Staatsanwalt, die nicht solche Hosenscheißer wie Sie einer sind, suchen. Es kann nur zu Ihrem Vorteil sein. Ich wollte Ihnen nur auf die Sprünge helfen, aber Sie sind beratungsresistent. Okay, dann rennen Sie in Ihr Unglück. Ich werde sicherlich mein Material nicht zurückhalten, aber ich rücke es erst heraus, wenn ich es für richtig halte. Sie hatten Ihre Chance und haben sie blöderweise wieder verspielt. Ich habe zwar keinen Beweis, aber ich bin felsenfest überzeugt, dass Sie hinter der Koksgeschichte stecken. Lackner und Erharter sind nicht so intelligent. Gut, Erharter hat es inzwischen erwischt. Selbst schuld, wenn er sich von Honsa schmieren lässt. Das sind kleine Fische. Ein paar Größere sind hier drauf.« Kokoschansky knallt ein Videoband auf den Tisch. »Netter Nachtfilm für Sie. Sie können die Kassette ruhig verschwinden lassen, falls die große Flatter Sie wieder überkommt. Nur nützt es Ihnen nichts, es ist eine Kopie. Das Original besitze ich. Unterlassen Sie es auch, mich zu beschatten, es wird nichts bringen. Ach, ja«, Kokoschansky steht langsam auf, wirft seine Kippe provozierend zu Boden und tritt sie aus, »meine kleine ehemalige Polizistin und ich schlafen ab heute wieder zu Hause. Schminken Sie sich eine Hausdurchsuchung ab, sollten Sie eine in Erwägung ziehen, auch nicht bei Petranko. Sie werden nichts finden, nicht einmal einen Computer. Schönen Abend noch.«
*
Als die ersten Elitepolizisten der COBRA-Einheit bei der Jagdhütte am Erlaufsee eintreffen und zum Sturm ansetzen, wird von den beiden Geheimagenten sofort das Feuer eröffnet, doch sie verfügen nur über ihre beiden IWI Jericho 941-Pistolen mit viel zu wenig Munition, um ernsthaft Widerstand leisten zu können. Gegen die Übermacht haben sie keine Chance. Mit seiner letzten Kugel versucht einer der beiden noch auf einen der hereinstürmenden COBRA-Männer zu schießen, bemerkt nicht den roten Punkt des Laserzielfernrohres auf seiner Stirn, und der Scharfschütze trifft genau. Daraufhin ergibt der zweite Agent sich widerstandslos, wird niedergerissen, auf den Bauch gedreht, und es werden ihm Handschellen angelegt.
Der Einsatzleiter gibt über Funk die Erfolgsmeldung durch. Keine eigenen Verluste, das Entführungsopfer ist gefunden worden, zwar schwer verletzt, aber lebend, ein toter mutmaßlicher Kidnapper. Nach der Erstversorgung wird Mitnick, noch immer bewusstlos, mit einem Hubschrauber ins nächstgelegene Krankenhaus geflogen.
Längst weiß Alfred Cench, dass Mitnick, ohne dessen Spitznamen oder gar seine wahre Identität zu kennen, nur der große Unbekannte in Kokoschanskys Quartett sein kann und sicherlich ein Hacker ist, der in dem Industrieviertel, wo der Überfall stattfinden sollte, seine Operationsbasis hat. Ihm ist es recht. Hauptsache, der Bursche überlebt, aber nach Auskunft des Notarztes sieht es schlecht aus.
Der Kriminalbeamte Wolfram Panker klärte Cench über die Handynummer auf, die der BKA-Mann dem Mossad-Agenten entlockt hatte. Es ist die Direktverbindung zu Markus Schloimo. Sofort veranlasste Cench eine Großfahndung nach dem Industriellen, auch der Flughafen Schwechat wird überwacht. Doch die Beamten kamen um einige Minuten zu spät. Die Maschine nach Tel Aviv war bereits abgehoben.
*
»Das glaube ich einfach nicht.« BKA-Chef Katterka sitzt mit weit aufgerissenen Augen vor seinem Flatscreen im Büro und sieht sich Kokoschanskys Videoband immer wieder an, das der Journalist mit anderen Kassetten aus dem Wächterhaus auf Salvatore Madeos Anwesen hatte mitgehen lassen.
Darauf sind einige Personen zu sehen, wie sie die Durchfahrt des Grundstücks passieren, stehen bleiben, aussteigen, gefilzt werden, bevor sie zum Haupthaus weiterfahren dürfen. Zwei Männer stechen ihm besonders ins Auge. Die Föhnwelle ist unverkennbar. Kurt-Friedrich Midas, der ehemalige Wirtschaftsminister, zu Besuch bei der `Ndrangheta am 15. Oktober 2009, leicht nachvollziehbar und sichtbar durch das eingeblendete Insert am oberen rechten Bildrand. Ob das Band geschnitten wurde, lässt sich so nicht feststellen, doch für die Kriminaltechniker ist das ein Klacks. Wiederum werden Leute kontrolliert, die Katterka unbekannt sind. Dann erscheint am 3. Dezember 2009 ein zumindest in den österreichischen Medien bekanntes Gesicht. Adolphe Mannsbergkh-Souilly wird von der Wachmannschaft wie ein alter Freund begrüßt und nur pro forma perlustriert.
»Mir ist dieser Kokoschansky dermaßen unsympathisch«, murmelt Katterka vor sich hin und holt sich ein Bier, »aber dieser Schweinehund pfeift sich tatsächlich um nichts. Prost, Edmund, auf diesen verschissenen Geburtstag.«
Jetzt ist der BKA-Chef gezwungen zu handeln, Kokoschansky wird sich nicht zurückhalten lassen. Wer weiß, wer noch hinter diesen FNews steckt? Wenn jetzt Katterka noch wer helfen kann, dann jemand von ganz oben. Einen Anruf kann er sich sparen. Der Generaldirektor für Öffentliche Sicherheit ruft an und will umgehend einen Bericht, was den Zwischenfall mit Israel betrifft, wie er sich ausdrückt. Dafür läutet Katterka die Innen- und Justizministerin aus dem Schlaf.