Donnerstag, 16. September 2010
Als hätte er nicht genug Probleme am Hals! Sonjas grotesker Verführungsversuch macht ihm schwer zu schaffen. Jeden Eid hätte Kokoschansky geschworen, dass ihre gemeinsame Beziehung endgültig abgeschlossen ist und sie eine ganz normale Patchworkfamilie sind.
Mehr als eine Stunde lief Kokoschansky ziellos durch die Straßen, wollte einfach einen klaren Kopf bekommen, bis ihm schließlich bewusst wurde, dass Sonja auf Lena eifersüchtig sein muss. Bisher konnte sie das meisterhaft kaschieren und verbergen. Seine größte Sorge gilt nun Günther, da er annimmt, der Junge wird für die Abfuhr büßen müssen. Das Sorgerecht ist bei der Mutter, er als Vater hat uneingeschränktes Besuchsrecht, doch der Fauxpas gestern Abend stellt alle vor eine völlig neue Situation. Auch nimmt Kokoschansky seiner Exfrau die Entschuldigung nicht ab. Für ihn war das nur eine billige Show, ebenso peinlich wie ihr kläglich gescheiteter Versuch, ihn ins Bett zu bekommen.
Während er planlos seine Runden drehte, überlegte er fieberhaft, ob er Lena davon erzählen solle. Schließlich ist er sich keiner Schuld bewusst, wem sonst soll er sich anvertrauen?
Lena schlief bereits, als er nach Hause kam, und heute Morgen musste sie in ihrer neuen Dienststelle antreten, als er noch im Bett lag. Ungewaschen, unrasiert und übel gelaunt überprüft Kokoschansky zuerst sein Handy. Keine neuen Nachrichten, Petranko konnte also bisher nichts erreichen. Dann fährt er seinen Computer hoch, sieht in den neu eingegangenen Mails nach. Auch nichts Wichtiges außer ein paar neuen Interviewanfragen. Er ist mit seinen Gedanken noch immer beim vergangenen Abend. Wie wohl Lena reagieren wird, wenn er ihr von dem Vorfall erzählen wird?
Er bekommt einen Hustenanfall und dämpft wütend die angefangene Zigarette ab. Kein Wunder, außer zwei Tassen schwarzen Kaffees und vier Zigaretten hat er bisher noch nichts konsumiert. Gedankenverloren glotzt er auf den Bildschirm mit der Liste unbeantworteter Mails und hat auch nicht vor, sich in nächster Zeit mit ihnen zu befassen.
Woran liegt es, dass ausgerechnet er Probleme wie ein Magnet anzieht? Kaum ist es ruhiger, privat alles im Lot, finanziell in trockenen Tüchern, und kaum hat er Zeit, sich auf einige geplante Buchprojekte zu konzentrieren, kommt es wieder knüppeldick von allen Seiten.
Plötzlich verscheucht ein eingehendes Mail Kokoschanskys trübe Gedanken. Die Betreffzeile »Nachricht R. S.« erregt seine Aufmerksamkeit. Der Inhalt des Mails ist kurz und bündig. »Heute, 22 Uhr, im Headquarter. R. S.«
Jetzt versteht Kokoschansky gar nichts mehr. Mit Headquarter – Hauptquartier – ist nichts anderes als das La Femme am Gürtel gemeint. Zu Sallers Glanzzeiten diente ihm das Lokal als seine Zentrale. Hält er sich nach seiner Flucht tatsächlich noch in Wien auf? Das kann sich der Journalist nicht vorstellen. Dem Absender nach zu schließen, wurde das Mail aus einem Internetcafé abgeschickt. Zwar sind Kokoschanskys PCs dank Mitnick immer auf dem neuesten Stand der Sicherheit, doch er traut dem Frieden dennoch nicht, ist eigentlich überzeugt davon, dass seit Lackners und Erharters Auftritt bei ihm zumindest versucht wird, sich in seine Computer einzuhacken. Dieses Mail kann ebenso gut eine Falle sein, um ihm, da die getürkte Koksgeschichte nicht sofort den erwünschten Erfolg brachte, abermals ein Bein zu stellen. Was Lena davon halten wird, kann Kokoschansky sich bereits jetzt ausmalen.
*
Das Wetter ist angenehm warm und lädt geradezu zum Sitzen im Freien ein, was die drei Männer auch nützen. Beim Birner, einem alten, traditionsreichen Gasthaus an der oberen Alten Donau in Floridsdorf, im 21. Bezirk, haben sie es sich an einem der hinteren Tische auf der Terrasse gemütlich gemacht. Am frühen Vormittag herrscht noch nicht voller Betrieb, daher können sie ungestört miteinander reden.
»Mich wundert das alles nicht mehr.« Am letzten Bissen seines kleinen Gulaschs kauend, wischt Thomas Petranko sich mit der Serviette den Mund ab. »Eigentlich hätte man damit rechnen müssen. Zumindest in Österreich.«
»Wir waren schon so nahe dran, so nahe«, sagt Adrian Konschak und zeigt mit Daumen und Zeigefinger einen Abstand von wenigen Millimetern, »bis uns Katterka und die gesamte Brut dazwischenfunkten. Seit Monaten haben wir nichts anderes mehr gemacht. Die Kopfhörer waren uns beinahe schon angewachsen.«
Konschak, sein Kollege Hermann Pointinger und Petranko kennen sich seit vielen Jahren, waren allerdings in verschiedenen Abteilungen, arbeiteten nur bei manchen Fällen eine Zeit lang zusammen. Jedenfalls ist die Wertschätzung füreinander immer vorhanden gewesen.
»Und was ist nun mit euren gesammelten Werken?«, fragt Petranko.
»Unser Material hat Katterka eingezogen, und auf den Akt kam der Geheime-Verschlusssache-Stempel. Aktendeckel zu, verstauben lassen, bis Gras darüber gewachsen ist, und alles in Butter. Der Herr Oberstaatsanwalt darf weiterhin seine dröhnende Stimme in den Gerichtssälen erheben, und Katterka ist auf dem besten Weg, die Politlaufbahn einzuschlagen. Doch Hermann und ich sind uns einig, wir spielen dabei nicht mehr mit.«
»An eure Beweise kommt ihr aber nicht mehr ran«, gibt der ehemalige Chefinspektor zu bedenken.
»Nun«, lächelt Pointinger, »so ganz von gestern sind wir auch nicht. Von jedem Gesprächsmitschnitt gibt es eine Sicherheitskopie und als Fleißaufgabe auch eine für uns, von der außer dir bisher niemand weiß. Natürlich haben wir auch Seite für Seite des Aktes abgelichtet. Alles liegt an einem sicheren Ort.«
»Genau das wollte ich hören«, schmunzelt Petranko, »aber ihr könnt doch damit niemals an die Öffentlichkeit, ohne selbst aufzufliegen, und über die Folgen brauche ich euch wohl nicht aufzuklären.«
»Das ist vollkommen richtig«, bestätigt Konschak, »natürlich könnten wir sofort unsere Bombe dem ORF anbieten oder an das Profil23 verkaufen. Dann hätten wir vielleicht ein hübsches Zubrot verdient, das sofort wieder für Anwalts- und Gerichtskosten draufgehen würde. Obendrein arbeitslos, sollten wir diese Geschichte überhaupt überleben. Wir wären nicht ersten Kiberer in diesem Land, denen plötzlich etwas zustößt oder die sich aus heiterem Himmel das Leben nehmen. Diese Variante scheidet grundsätzlich aus.«
»Ich bin mir gar nicht sicher, ob überhaupt ein österreichisches Medium sich über diese Story trauen würde«, ergänzt Pointinger.
»Herr Ober! Noch drei Bier!«, winkt Petranko dem Kellner, bevor er sich wieder seinen Kollegen zuwendet. »Ein bisschen etwas habe ich ja inzwischen mitbekommen, doch klärt mich näher auf.«
»Im Grunde ist es ein gewaltiger Wirtschaftskrimi«, beginnt Konschak mit seinen Ausführungen, »da müssen wir ein bisschen das Rad der Zeit zurückdrehen. Begonnen hat eigentlich alles, als Marius Höger sich im Oktober 2008 mit seinem Dienstwagen in seine Bestandteile auflöste, wobei ich, ohne mich jetzt zu den Verschwörungstheoretikern zu zählen, nicht darauf wetten möchte, dass nicht doch nachgeholfen wurde. Wir wissen, Politiker vertragen einiges, und der Großteil tschechert24 und fährt auch besoffen durch die Gegend. Er war in diesem Punkt eine rühmliche Ausnahme. Zumindest drang nichts von derartigen Eskapaden an die Öffentlichkeit durch. So viel hatte er nicht intus, als es ihn zerriss. Zu Lebzeiten konnte er das Gefüge, das dieser Wirtschaftskrimi darstellt, zusammenhalten. Schließlich war in Kärnten sein Wort Gesetz. Das ist die eine Seite der Medaille, für die andere müssen wir noch ein paar Jahre mehr zurückblicken, als die Sozialdemokraten aus der Bundesregierung verschwanden, dafür diese unselige Koalition ans Ruder kam und Kärnten politisch in Österreich, natürlich durch Högers konsequentes Betreiben, ungeheurer Aufschwung widerfahren ist. Im Zuge dessen sind auch seine Getreuen über Nacht aus dem Nichts emporgeschossen. Gilbert Ährenbach, Sigmund Sauslinger, Kurt-Friedrich Midas und einige andere Lemuren. Midas schaffte es sogar für einige Zeit bis zum Wirtschaftsminister, und in dieser Ära begannen die Machenschaften.
Für Höger und seine hochtrabenden Pläne war der wichtigste Partner die Estate Carinthia Bank, die er quasi als persönlichen Selbstbedienungsladen betrachtete. Ein Anruf genügte, und die Bankdirektoren spurten.« Konschak nimmt einen Schluck Bier. »Diese Informationen hatten wir uns längst von den Kollegen für Wirtschaftskriminalität besorgt, weil es nicht unser unmittelbares Ressort ist. Midas war für Höger der Vollstrecker der windigen Geschäfte und spielte brav mit. Immerhin hatte er seinem Mentor diese Blitzkarriere zu verdanken. Höger, klug und gerissen, wie er war, hielt sich im Hintergrund, doch ohne seine Zustimmung lief gar nichts.
Da wurden Geschäftsbeziehungen zur al-Qatr-Sippe in Nordafrika angebahnt, und Nazeem al-Qatr, der Lieblingssohn des Diktators, wurde zu einem der besten Freunde des Landeshauptmannes25. Was da genau gelaufen oder noch immer im Gange ist, wissen wir nicht, weil es unser Job war, nur die Verbindungen untereinander aufzudecken. Aber ich kann mir vorstellen, dass es um Erdöl und Erdgas ging. Ratko Perković alias Robert Saller, selbst Kroate, fädelte wiederum für Branko Daramcić, einen ehemaligen kroatischen General aus dem Jugoslawienkrieg, den Kontakt zur Estate Carinthia Bank ein. Dabei ging es um illegale Waffenschiebereien in großem Stil. Nach Kriegsende suchte der General eine geeignete Bank, um sicher seine Kohle zu bunkern. Saller und Daramcić kannten sich aus früheren Armeetagen. Die Bank profitierte enorm von diesem Deal. Fahr runter nach Kroatien, und beinahe in jedem Fischerdorf wirst du eine Filiale finden. Daramcić wollte mit Hilfe Sallers groß in die Telekommunikationsbranche einsteigen. Schließlich war nach dem Krieg alles zerstört und zusammengebrochen. Das musste wieder aufgebaut werden. Da flossen Schmiergelder von Millionen Euro zwischen Kroatien und Österreich hin und her.
Natürlich wusste die damalige kroatische Regierung bestens Bescheid, spielte und schnitt vor allem kräftig mit, ließ den General in Ruhe, bis es bis nach Brüssel durchdrang und die EU ordentlich Druck machte. Kroatien will in diesen Verein und warf den ehemaligen General auf den Markt. Vergleichbar mit Mladić und Serbien in jüngster Zeit, wenn auch unter anderen Voraussetzungen. Fast zeitgleich mit Saller ist auch Daramcić aus seinem Gefängnis ausgebrochen und untergetaucht. Na, wenn da kein Zusammenhang besteht?«
»Das heißt, Midas ist eine der Schlüsselfiguren nach dem Tode Högers, wie auch immer dieser passiert ist«, versucht Petranko zusammenzufassen.
»Genau«, löst Pointinger seinen Kollegen ab. »Wie bereits erwähnt, der Alte hat alles zusammengehalten, und plötzlich gab es ihn nicht mehr. Midas und seine Leute standen alleine da. Wir wissen, dass der Großteil dieser Menschen zwar bauernschlau und raffiniert ist, jedoch der Intellekt oft hinten nachhinkt und vor allem die maßlose Gier nach mehr zur Falle wird. Darum passierten Fehler auf Fehler, bis der Estate Carinthia Bank endgültig die Luft ausging und schleunigst gehandelt werden musste, um Österreich, oder besser Kärnten, vor einem mörderischen Bankencrash zu bewahren, was wiederum dem Land als europäischem Finanzplatz und Investmentstandort fürchterlich geschadet hätte. In weiser Voraussicht gelang es Höger ein paar Monate vor seinem Tod, eine bayrische Großbank zu überzeugen, bei der Estate Carinthia Bank einzusteigen. Natürlich waren die offiziellen Bilanzen, Gewinne und sonstige wichtige Unterlagen gefälscht und frisiert. Doch die Bayern waren anders gestrickt, kamen bald dahinter, ließen sich das nicht bieten und schalteten die Staatsanwaltschaft in München ein. Damit kam der Stein endgültig ins Rollen, und somit mussten auch wir reagieren.«
»Gut«, sagt Petranko und lehnt sich zurück, »das habe ich alles verstanden. Immerhin haben darüber doch auch unsere Medien berichtet und besonders Midas aufs Korn genommen. Wenn auch ziemlich lau.«
»Weil sie eigentlich nicht viel wissen«, bemerkt Pointinger, »einer betet dem anderen nach. Und vor allem, selbst wenn sie besser Bescheid wüssten, würden manche Chefredakteure auf Geheiß der Herausgeber es nicht durchgehen lassen.«
»Ich habe dafür nur eine Erklärung«, meint Konschak, »KFM wird vorgeschoben. Er spielt mit, wird dafür von ganz oben gedeckt, um von noch größeren Schweinereien abzulenken. Er hat zwar eine Menge Verfahren am Hals, aber bisher konnte ihm noch niemand wirklich ans Bein pinkeln. Hausdurchsuchungen, Einvernahmen, alles summa summarum Schüsse in den Ofen. Nach außen spielt er das Unschuldslamm, weist jegliche Anschuldigungen entrüstet von sich und gibt vor, nichts zu verbergen.«
»Mir stellt sich die Frage«, wirft Petranko ein, »warum Saller und Daramcić wirklich beinahe zusammen abgehauen sind. Eines ist klar. Nach seiner Verhaftung war Saller sein Imperium los. Seine Gegenspieler Hermann Honsa und der Grieche scharrten doch bereits in den Startlöchern und warteten nur darauf, bis Saller abserviert wird. Einzig das La Femme ist noch übrig, wird eisern von Husky und Rambo gehalten. Doch ist es auch nur mehr eine Frage der Zeit, bis Honsa und der Grieche es übernehmen werden. Allerdings glaube ich mit sehr blutigem Ausgang. Da muss mehr, viel mehr dahinterstecken. Gut, Saller saß sehr lange in U-Haft, und in absehbarer Zeit hätte er seinen Prozess bekommen. Nach meinen Informationen ist von der langen Liste an Anschuldigungen nicht viel übrig geblieben. Saller wäre mit einem blauen Auge davongekommen und wie seinerzeit Al Capone wegen Steuerhinterziehung für ein paar Jahre eingebuchtet worden. Meine Theorie basiert auf Verrat und Rache. Saller wurde von Honsa und vom Griechen angeschwärzt, weil der Kroate die beiden im Rotlichtmilieu entmachtet hatte und weil er Katterka hochgehen ließ.«
»Die Geschichte mit den Kontrolllisten«, unterbricht Pointinger.
»Genau. Doch was tatsächlich dran war«, setzt Petranko fort, »kam nie wirklich heraus. Tatsache war, bei Razzien im Milieu wurden Honsas Puffs stets wie rohe Eier angefasst oder gar nicht auseinandergenommen, während Sallers Lokale ständig im Fadenkreuz standen. Allerdings stolperte Katterka letztendlich darüber, und dahinter steckt mit hoher Wahrscheinlichkeit Saller. Katterka schaffte es, sich zumindest nach außen hin reinzuwaschen. Vielleicht mit ein Grund, weshalb der Kroate getürmt ist? Klar bekam er auch im Häfen mit, dass sein Feind wieder am Drücker ist, und er konnte sich leicht ausrechnen, was ihm blühen kann. Ein selbstgebas-teltes Messer ist schnell zur Hand.«
»Tja, und was tun wir jetzt mit unserem gebündelten Wissen?«, fragt Konschak und sieht Petranko erwartungsvoll an, der von Beginn an geahnt hat, worauf ihre Unterhaltung hinauslaufen wird.
»Ich kenne einen«, sagt der ehemalige Chefinspektor leise und beugt sich vor, »der hat nicht nur Mumm dazu, sich darüber zu trauen, sondern auch die Möglichkeit, wie das unter die Leute kommen kann, ohne dass ihr auch nur annähernd in Verdacht geraten könnt. Fragt mich jetzt nicht, wie, aber ich bin mir sicher, er wird eine optimale Lösung finden. Weil es eine Story ganz nach seinem Geschmack ist.«
»Genau das wollten wir hören«, grinst Konschak.
»Ich nehme an«, meldet Pointinger sich wieder zu Wort, »wir meinen alle drei die gleiche Person … Kokoschansky, Heinz Kokoschansky.«
»Mmh«, nickt Petranko, »das kommt hin. Ich kann ja einmal vorfühlen.«
»Dann tu das«, bestärkt ihn Konschak, »und halte uns auf dem Laufenden. Ich hoffe, dass es ihm gelingt, Lackner und Erharter abzuschießen. Damit würde er dem gesamten BKA einen Riesendienst erweisen.«
»Wenn wir schon dabei sind«, fällt Petranko ein, »ganz ehrlich. Hängt irgendwer von euch in Kokoschanskys Telefonen oder hackt in seinen PCs rum?«
»Dezidiert nein«, versichert Konschak, »offiziell nicht. Was allerdings hinter unserem Rücken abläuft, das wissen wir nicht. Trotzdem soll er vorsichtig sein. Und du, Thomas, wirst deinen Koko erstmal ein wenig anfüttern, damit er später ordentlich zubeißen kann.«
»Wir müssen doch zusehen, dass dir als Pensionist nicht langweilig wird«, lächelt Pointinger und besteht darauf, die gesamte Zeche zu übernehmen.
*
Einer von Alfred Cenchs Kollegen klopft an dessen Bürotüre, steckt kurz den Kopf herein und teilt ihm mit, jemand will ihn dringend sprechen. Cench knurrt etwas von soll hereinkommen oder Ähnliches.
»Guten Tag«, hört Cench eine männliche Stimme mit unverkennbarem osteuropäischem Akzent in seinem Rücken. »Sie Herr Cench?«
»Der bin ich. Was gibt’s?« Alfred Cench dreht sich um und mustert den Besucher. Ein schmächtiges Bürschchen, vielleicht zwanzig bis maximal dreiundzwanzig Jahre alt mit spärlichem Bartwuchs und strubbeligen dunklen Haaren, in einer abgewetzten Cordhose, verwaschenem T-Shirt und schwarzer Jacke steht vor ihm. »Und? Was ist los?«
»Ich … ich«, druckst der junge Mann herum, »ich Aussage machen.«
»Aussage? Worüber?«
»Über Frau, was gefunden in Teilen worden ist.«
»Interessant.« Cench verbirgt gekonnt seine Überraschung und bietet ihm Platz an. »Setz dich, Junge. Willst du etwas trinken?«
»Nur Wasser, bitte.«
»Wenn du eine Aussage machen willst, muss ich vorher deine Personalien aufnehmen.« Cench stellt das Glas auf die Tischplatte. »Verstehst du mich? Ich brauche deinen Namen, Adresse, Geburtsdatum, wer du bist.«
»Mein Aussage sehr wichtig. Sie mir glauben. Bitte, ich wollen nicht sagen, wer ich bin.«
»Dass du kein Österreicher bist, höre ich. Bist wohl illegal hier?«
»Bitte«, der Ton des Burschen ist nun um eine Nuance schärfer geworden, »was sein wichtiger? Wer ich bin, oder was ich wollen aussagen über Galina?«
»Galina?« Der Name versetzt Cench ins Staunen. »Woher hast du diesen Namen? Okay, ich vergesse erstmal, dass ich mit Mister Unbekannt rede.«
»Ich gesehen Ring von Galina gestern Abend in Fernsehen, als gezeigt wurde auch in großer Aufnahme Inschrift … äh … stimmt so?«
»Du meinst Gravur.«
»Ja. Galina, mein Herz. 27.3.2009. Ring ich geschenkt Galina zur Verlobung, verstehen?«
»Ja. Galina war also deine Verlobte.«
»Wollten heiraten. Nun tot und in Teile geschnitten. Ohne Kopf. Oder Kopf schon gefunden?«
Cench verneinte. »Dann kannst du uns ja Galina beschreiben.«
»Ich haben Foto von ihr.« Er zieht ein zerknittertes Bild aus der Brusttasche seiner Jacke. »Das war mein wunderschön Galina.« Er reicht es über den Tisch zu Cench, während er sich mit dem Ärmel über die Augen wischt. »Können Foto kopieren, will Bild wiederhaben. Einzig Erinnerung an Galina.«
»Ja, kein Problem. Aber jetzt erzähl mal, wie ihr euch kennen gelernt habt.«
»Galina hat gearbeitet in St. Petersburg in Küche von Restaurant. Ich sie zufällig getroffen, weil ich suchte Arbeit und dann bekam Job als Tellerwäscher dort. Dann wir uns verliebt haben. Galina immer am Abend gesehen, wenn reiche, schöne Frauen mit Juwelen und Pelzen kommen in Begleitung von fein Herren in edle Anzug in Restaurant. Galina ist von kleine Dorf irgendwo in Russland gekommen, sie alles nicht gekannt. Sie wollte auch sein so wie reiche, schöne Frauen. Ich immer warnen, Galina nicht gut diese Menschen, das alles Mafia. Wenn du mit denen einlassen, du bald tot. Und jetzt ist tot.«
Eifrig macht Cench sich Notizen und hat eigentlich keinen Grund, an der Geschichte zu zweifeln. »Wie heißt Galina mit vollem Namen? Nachname, verstehst du?«
»Galina Jekaterina Schuschkostrowa.«
»Gut, danke. Und wie ging es mit euch weiter?«
»Ich gesagt, ich werden arbeiten. Alles an Job, was kriegen kann. Dann genug Geld zusammen, um heiraten und Familie gründen. Ich komme auch …«, im letzten Moment bemerkt er, dass er sich beinahe versprochen hätte, »… ich schnell bemerkt, dass nicht leicht Arbeit bekommen, die auch bezahlt wird gut. Galina wollte nicht so lange warten, ich immer sie bitten um Geduld. Dann kam an eine Tag plötzlich Kosta. War schlechter Mann, ich sofort gespürt, dass mit diesem Mann nix stimmt. Hat Galina gemacht schön Augen, ihr versprochen, sie bringen in Westen nach Wien, wo gut Arbeit und gut Geld sie bekommt. Galina war begeistert sofort. Ich ihr sagen, das nicht gut und schwere Fehler, aber sie nix wollen hören auf mich. Dann dieser Kosta wiedergekommen in Begleitung von eine zweite Mann, einem aus Wien.«
»Weißt du seinen Namen?«
»Immer gesprochen als der Grieche.«
»Wie? War das sein Name? Oder war damit die Nationalität gemeint, weil er wie ein Grieche aussah oder aus Griechenland kam?«
»Sicher nicht Name, nur Spitzname. Eben der Grieche.«
»Und dann?«
»Galina hat nicht verstanden, dass sie mit Kosta und diesem Griechen in ihr Unglück rennt. Ich aber haben gefühlt ganz tief. Kosta war bekannt, dass er Mädchen in Westen bringt und dort müssen Mädchen mit fremden Männern schlafen. Sie verstehen?«
»Ja, klar. Wie alt war Galina, als du sie zuletzt gesehen hast?«
»Vor knapp einem Jahr. Galina neunzehn.«
»Dann ist Galina mit den beiden Männern nach Wien gefahren.«
»Ja. Sie hat gesagt noch, sie mir schreiben wird und wenn genug Geld sie hat, ich kommen zu ihr, und dann wir heiraten.«
»Und hat sie geschrieben?«
»Nein, nie. Ich nur gestern ihre Ring in Fernsehen gesehen.«
In der Zwischenzeit hat Cench das Foto eingescannt und gibt es dem Burschen wieder zurück. Um auf Nummer sicher zu gehen, stellt er ihm noch eine Frage, die nur jemand beantworten kann, der Galina sehr gut gekannt haben muss.
»Fällt dir ein besonderes Merkmal an Galina ein?«
»Hm, sie hatte unter linker Brust, genau in Falte von Haut, drei Male von Mutter nebeneinander, die nur der sehen konnte, der mit ihr … Sie wissen schon …«
»Muttermale.«
»Ja.«
Somit ist endgültig bewiesen, sein Besucher lügt nicht.
»Und du willst mir nicht verraten, wer du bist?«
»Bei mir zu Hause sagt man, wer zwei Hasen jagt, wird keinen fangen«, lächelt der Bursche, »ich denken, war fair von mir. Ich haben Informationen geliefert, und im Gegenzug bleibe ich Galinas ehemaliger Verlobter. Nichts weiter. Ist okay?«
»Ist okay«, sagt Cench, »und jetzt verschwinde. Pass auf dich auf. Und … spassiba26.«
*
In Gegenwart Nazeem al-Qatrs hat Kurt-Friedrich Midas sich noch nie richtig wohlgefühlt, obwohl die arabische Gastfreundlichkeit in dieser Grinzinger Villa niemals zu wünschen übrig lässt.
»Von dem Couscous musst du unbedingt probieren«, lädt Nazeem al-Qatr seinen Gast ein, »das ist nach einem besonderen Rezept meiner Mutter. Ich lasse mir immer einen Vorrat einfliegen. In Wien gelingt es einfach nicht, es so zuzubereiten wie zu Hause. Es fehlt vor allem der Geruch der Wüste, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Natürlich, Nazeem«, KFM hält sich den Bauch, »aber ich kann wirklich nicht mehr. Ich platze gleich.« Ob der Geruch der Wüste oder der von Kamelen fehlt, ist ihm völlig gleichgültig. Er will nur schleunigst wieder raus hier.
»Nur ein paar Bissen«, beharrt Nazeem al-Qatr hartnäckig, »meiner Mutter zuliebe.«
Sein Tonfall duldet keinen Widerspruch. Umgehend kommt er zum eigentlichen Kern ihres Treffens. »Robert Sallers überraschte Flucht bereitet mir schlaflose Nächte. Auch dass dieser General, dieser Branko Daramcić verschwunden ist, bedeutet nichts Gutes. Zwar sind unsere Geheimdienstleute ausgeschwärmt, doch die beiden sind wie vom Erdboden verschluckt. Dabei brauchen wir diese zwei dringend. Du weißt, der Süden meines Landes rebelliert offen gegen meinen Vater. Täglich laufen mehr zu diesen Hundesöhnen von Rebellen über. Uns fehlt es dringend an besonderen Vernichtungswaffen, um ein für allemal diesen Unruheherd und diese Kreaturen zu eliminieren. Die beiden Kroaten haben uns schon in der Vergangenheit geholfen und uns über ihre Kanäle Waffen besorgt, doch es reicht nicht. Über deine Bank …«
»Die Estate Carinthia Bank ist nicht meine Bank!«, protestiert KFM energisch.
»Aber du hängst in der ECB mit drin«, kontert Nazeem al-Qatr, »auch sämtliche Waffendeals liefen darüber, und mein Vater hat Millionen an Petrodollars in diese Bank fließen lassen!
Was habt ihr mit dem Geld gemacht? Du und deine Kumpane. Vergiss nie, ich spreche exzellent deutsch. Immerhin lebe ich lange genug hier. Ich sehe euer Fernsehen, höre eure Nachrichten und lese eure Zeitungen. Ich bin nicht der reiche Kameltreiber, für den mich einige von euch halten. Keiner aus meiner Familie. Denk immer daran! Andauernd tauchst du in den Medien auf, musst dich ständig rechtfertigen, und inzwischen hast du auch deinen Bonus in der Öffentlichkeit verspielt.«
»Diese mediale Hetzjagd ist doch ein abgekartetes Spiel«, rechtfertigt sich Midas.
»Jetzt klingst du wie eines unserer Klageweiber!«, entrüstet Nazeem al-Qatr sich. »Mit Marius konnte man Geschäfte machen, bei ihm galten noch ein Wort und ein Handschlag unter Männern. Leider ist er tot. Würde er noch leben, wärst du mit deinen Freunden noch immer in der zweiten Reihe, wo ihr auch hingehört! Weißt du was, für diskrete Geschäfte im Millionen- und Milliardenbereich vorbei an allen staatlichen und steuerlichen Instanzen seid ihr schlicht zu blöd. Wozu braucht ihr all diese Lobbyisten und Agenturen, die für euch Kontakte knüpfen und auch noch mächtig dabei über den Tisch ziehen. Doch bis ihr das merkt, steht es bereits in der Zeitung. Du warst einmal Minister. Sehr schön. In meinem Land hättest du mit diesen Fähigkeiten keine Woche überlebt, und mein Vater würde dich in einem unserer hübschen Gefängnisse verrotten lassen! Durch eure Misswirtschaft musste doch die ECB auffliegen! Die Bayern konntet ihr nur kurze Zeit für dumm verkaufen. Doch du hast mehr Glück als Verstand. Und jetzt hör mir sehr gut zu.« Nazeem al-Qatr rückt noch ein Stück näher an Midas heran und flüstert beinahe. »Neulich feierten die 50.000er wieder eine nette Party. Dieses Mal in meinem Haus. Eigentlich sollte ich es dir gar nicht sagen, aber ich tue es dennoch, weil ich dich doch in der Hand habe. Leider passierte ein bedauerlicher Zwischenfall, weil eine Hure die vielen Schwänze nicht verkraftete und am letzten erstickte. An diesem Monstrum hängt aber dein Erzfeind …«
»Ich weiß«, unterbricht Midas abermals, »… Oberstaatsanwalt Bortner. Sauslinger hat mir alles erzählt. Und die zerstückelte Frau ist wohl diese Galina.«
»Was weiß ich, wie dieses Miststück geheißen hat?«, braust Nazeem al-Qatr auf. »Das ist mir auch scheißegal!«
»Und es gibt diesen Ring mit der Gravur, der in den Zeitungen und im Fernsehen gezeigt wurde.«
»Na und? Es gibt Millionen Galinas in der Ukraine, in Russland, Moldawien oder sonst wo.«
»Die Leichenteile wurden im gleichen Bezirk gefunden, nicht allzu weit weg von deiner Villa. Die Polizei ist nicht dumm. Wer immer dafür gesorgt hat, eine effiziente Arbeit war das nicht.«
»Da stimme ich dir zu. Aber du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ein Bulle es jemals wagen würde, seinen Fuß auf dieses Grundstück zu setzen, geschweige denn, meine Villa zu betreten. Vergiss nicht, Bortner bleibt gar nichts anderes übrig, als zu spuren. Ich genieße diplomatischen Status, bin tabu und unantastbar. Im Gegensatz zu euch. Du wirst gefälligst dafür sorgen, dass du die Probleme mit der ECB bereinigst, die Bayern auf Linie bringst. Wie du das anstellst, ist deine Sache. Doch lass dir nicht zu lange Zeit. Bedenke, du hast Familie. Wenn mein Vater zornig wird, kann selbst ich ihn nicht stoppen. Und jetzt verschwinde, ich muss mich um meine Schwimmhalle kümmern, damit sie endlich fertig wird.«
*
Es war nicht anders zu erwarten. Am späteren Vormittag klingelt der Postbote und übergibt Kokoschansky einen Einschreibebrief. Der Absender, eine renommierte Wiener Rechtsanwaltskanzlei, fordert ihn mit dem Schreiben auf, binnen vierundzwanzig Stunden öffentlich entweder über ein Print- oder ein elektronisches Medium seine Anschuldigungen gegenüber Lackner und Erharter zu widerrufen. Sollte das nicht der Fall sein, wird nach Ablauf der Frist Klage wegen Verleumdung, Ruf- und Kreditschädigung eingereicht. Er legt den Wisch auf seinen Schreibtisch, murmelt etwas von das könnte euch so passen, verbrämt mit dem Götz-Zitat.
Langsam wäre es an der Zeit, dass Petranko sich meldet. Kokoschansky überlegt, ob er ihn anrufen soll, verwirft aber den Gedanken und will noch ein Weilchen zuwarten.
Die Untätigkeit macht ihn beinahe verrückt. Sicher, er hätte genügend zu tun, aber er kann sich nicht konzentrieren. Ohne Petranko ist er aufgeschmissen und solange der nichts von sich hören lässt, wird er sich gedulden müssen.
Er blickt aus dem Fenster, das Wetter ist gut, beinahe windstill. Spontan entschließt er sich, ein bisschen durch die Gegend zu radeln. Ein paar Minuten später steckt er in seinen Radklamotten. In die Pedale treten und dabei nachdenken, das hat ihm beim Lösen von Problemen immer noch geholfen. Hirn auslüften nennt er es und solange die Wetterlage es zulässt, will er das nützen.
Auf dem Weg in den Keller, wo sein Rad eingestellt ist, schaut er noch bei den Briefkästen vorbei. Nichts Besonderes darunter. War wieder einmal zu viel Arbeit für den Herrn Postboten, dass er ihm gleich die Post mit hochgenommen hat, denkt sich der Journalist. Er will den Packen Werbung zusammenknüllen, als ihm ein Kuvert auffällt, das dazwischengerutscht ist. Kein Absender, unverschlossen. Sofort steigt Misstrauen in ihm auf. Vorsichtig untersucht er den Umschlag, kann nichts Ungewöhnliches oder Verdächtiges feststellen. Er fasst hinein und zieht ein gefaltetes A4-Blatt heraus. Es sind nur ein paar Zeilen, auf dem Computer getippt. Nachdem er den Text gelesen hat, weiß er nicht, ob er sofort durchdrehen oder darüber lachen soll.
Kokoschansky schiebt das Papier wieder zurück in das Kuvert und steckt es in eine der Rückentaschen seines Trikots.
*
Der elegant gekleidete Mann, der an der Bar des Laufhauses in der Triester Straße sitzt, winkt das leicht bekleidete Mädchen zu sich, beugt sich leicht vor und sagt leise: »Sei so nett, und hol mir doch mal deine Bosse her. Egal, ob Honsa oder den Griechen. Wenn sie beide hier sind, dann im Doppelpack.« Alfred Cench lächelt, als er ihre heimliche Handbewegung unter die Theke bemerkt. »Du brauchst nicht den Alarmknopf zu drücken. Ich bin ein Bulle.«
Trotz des schummrigen Lichts ist erkennbar, wie das Animiermädchen die Farbe wechselt und rasch verschwindet. Cench nutzt die Zeit, sich ein bisschen umzusehen. Er ist zum ersten Mal hier, bisher hatte er noch keinen Grund, gegen den Puff einzuschreiten. Nun, das Gelbe vom Ei ist es nicht, denkt er sich. Was haben sie groß in der Szene herumposaunt, dieses Laufhaus wird das Nonplusultra! So etwas hätte es in Wien noch nie gegeben! Dann haben sie keine Ahnung, wie Laufhäuser wirklich aussehen. Beispielsweise im Frankfurter Bahnhofsviertel oder in anderen deutschen Städten. Das ist ein billiger Abklatsch nach der Devise, ich will, aber ich kann nicht.
Laufhäuser und Clubsaunas sind der neue Trend im Rotlichtmilieu. Die Inhaber dieser Etablissements stellen die Räumlichkeiten zur Verfügung. Die Mädchen zahlen Tagesmieten, Vereinbarungen zwischen ihnen und potenziellen Freiern entziehen sich offiziell der Kenntnis der Betreiber.
»Sieh an, sieh an! Wer beehrt uns denn?« Der Grieche mit seinen zurückgekämmten, ölig glänzenden schwarzen Haaren und im dunklen Anzug, ungefähr vierzig Jahre alt, setzt ein gekünsteltes Lächeln auf, als er Cench erblickt. Dass der Bulle nicht privat hier ist, kann er sich denken. Die beiden kennen sich seit vielen Jahren.
»Nun?«, fragt der Grieche scheinheilig. »Braucht die hohe Staatsgewalt ein bisschen Entspannung? Selbstverständlich auf Kosten des Hauses. Manus manum lavat, wie der Lateiner sagt. Eine Hand wäscht die andere. Vielleicht vorher einen Drink?«
»Grieche«, antwortet Cench seelenruhig, »ich könnte dich jetzt wegen versuchter Beamtenbestechung hochgehen lassen. Wie würde dir das gefallen?«
Der Grieche grinst schmalzig und gibt dem Mädchen hinter der Bar, das sich bemüht, die Unterhaltung mitzuverfolgen, einen energischen Wink zu verschwinden, was auch umgehend geschieht.
»Und«, provoziert Cench, »bist du jetzt endlich der Capo von dem Laden? Darauf hast du doch hingearbeitet. Oder mischt Honsa noch mit? Oder hängt ihr bereits am Gängelband anderer, die das Milieu kontrollieren?«
»Geschäftsinterna«, der Grieche gibt sich keine Blöße, »für euch Bullen ohne Belang.«
»Hm, da bin ich anderer Ansicht. Schon mal den Namen Kosta gehört?«
»Wer?«
»Du hast mich schon verstanden. Zum Beispiel im Zusammenhang mit St. Petersburg.«
»Die Eremitage soll sehr schön sein«, der Grieche gibt sich betont lässig, aber Cench lässt sich nicht beeindrucken, »die würde ich mir gerne mal ansehen.«
Sein unbekannter Informant hatte den Griechen ziemlich gut beschrieben, vor allem dessen Gelhaar war ihm sofort aufgefallen.
»Dann solltest du dir bei deiner nächsten Tour in Sachen Mädchenhandel etwas Zeit für die Kultur nehmen, wenn du in St. Petersburg bist.« Cench legt die Kopie von Galinas Foto auf die Theke. »Die kennst du doch, oder nicht?«
»Wer soll das sein?«
»Galina … Galina Jekaterina Schuschkostrowa, um präzise zu sein.«
»Kenne ich nicht.« Der Grieche spielt den Unwissenden perfekt. »Was habe ich damit zu tun?«
»Ich denke, sogar sehr viel. Kosta ist dein Partner in Russland, der dir die Mädels besorgt und die dann illegal nach Österreich gebracht werden. Hier übernimmst du ihren Weiterverkauf? Weiß eigentlich Honsa davon, oder ziehst du das im Alleingang durch?«
Der Grieche rückt ganz nahe an Cench heran und flüstert: »Spinnst du, Bulle?«
»Galina ist das Mädchen, das zerstückelt gefunden wurde. Nur der Kopf fehlt noch. Und sie hat ein besonderes Merkmal. Drei nebeneinanderliegende Muttermale unter ihrer linken Brust. Das müsste dir doch aufgefallen sein. Schließlich bist du bekannt dafür, dass du jedes eurer Mädchen ausgiebig testest.« Die Augen des Griechen haben sich zu engen Schlitzen verengt, in denen tödlicher Hass sich widerspiegelt, doch Cench lässt sich nicht einschüchtern. »Soll ich eure Bude auseinandernehmen lassen? Zeitgleich mit euren anderen Büros, Häusern und Wohnsitzen? Vielleicht finden wir ja Galinas Kopf? Und die Pässe eurer Mädels, die ihr natürlich in Verwahrung genommen habt. Vielleicht sind auch Galinas Papiere darunter?«
Cench weiß, dass er damit nicht punkten kann, weil er außer Galinas Foto nichts in der Hand hat, und eigentlich bereut er bereits, dass er Galinas Verlobten gehen ließ. Der Kriminalbeamte will nur den Griechen und Honsa unter Druck setzen, um sie aus der Reserve zu locken. Doch den Griechen lässt die Drohgebärde kalt, und dementsprechend ist seine Reaktion.
»Schleich dich, Bulle«, zischt er leise und drohend, »und tauch erst wieder auf, wenn du wirklich etwas gegen uns vorbringen kannst. Sobald du draußen bist, beschwere ich mich bei deinem Boss über dich.«
»Dann richte Katterka einen schönen Gruß von mir aus«, grinst Cench, »wir sehen uns wieder. Sehr bald sogar. Darauf kannst du wetten.«
*
Seit Stunden redet man sich in einem der Salons der riesigen Wohnung in dem prächtigen Gründerzeitpalais an der Wiener Ringstraße die Köpfe heiß. Kurt-Friedrich Midas hat diesen Ort für die Krisensitzung vorgeschlagen. Hier können sie ungestört und offen sprechen.
»Was gedenkst du wirklich zu tun, KFM?« Ährenbach versucht erst gar nicht, seinen Zorn zu unterdrücken. Seit Stunden dreht die Diskussion sich im Kreis, und bisher hat sich kein brauchbares Ergebnis abgezeichnet.
»Gar nichts«, antwortet Midas gelassen, »absolut gar nichts. Durch Bortners Dummheit sind meine Karten besser denn je. Ich werde einfach abwarten. Jeden verklagen, der auch nur im Ansatz versucht, mich anzuschwärzen. Besonders das Journalistenpack. In den Kanzleien meiner Anwälte stehen reihenweise Ordner mit gewonnenen Presseprozessen der letzten Jahre.«
»Gut!« Sauslinger steht auf, streckt sich durch und dreht einige Runden im Salon. »Du vergisst allerdings, mein Lieber, dass wir drei zusammenhängen. Sämtliche Firmen, dieses gesamte Konglomerat inklusive unserer Strohleute läuft unter unserer Patronanz, wobei du wieder der Federführende bist und die Entscheidungen triffst.«
»Ja, und?« Midas bleibt gelassen. »Worauf willst du hinaus? Ist doch alles bestens verlaufen bisher, oder nicht? Sämtliche Anzeigen gegen euch wegen betrügerischer Krida und so weiter sind im Sand verlaufen, nicht einmal Anklagen wurden erhoben. Mir versucht man, seit Jahren Amtsmissbrauch und andere hässliche Dinge anzuhängen. Und was ist bisher herausgekommen? Nichts! Unsere Geschäfte werden weiterlaufen, als ob nichts geschehen wäre.«
»Du übersiehst dabei«, wendet Ährenbach ein, »die Leute wollen dich hängen sehen. Auch in der Partei. In unseren Reihen gibt es genug, die mit dir nichts mehr zu tun haben wollen.«
»Wenn schon!« Kurt-Friedrich Midas lässt sich nicht beirren. »Du, Sigmund, sitzt bereits wieder fest im Sattel. Gilbert und ich werden wieder zurückkehren. Spätestens nach den nächsten Nationalratswahlen werden wir unsere Gegner eliminiert haben. Einen nach dem anderen. Ich lasse nicht zu, dass Marius’ Lebenswerk dermaßen demontiert wird und vor die Hunde geht. Was wird denn schon groß gemacht? Unter uns, ausgezeichnet bereichert, weil unsere Gesetze es zulassen, und die haben wir nicht gemacht.«
»Doch es wirft kein gutes Licht auf uns«, wirft Sauslinger ein, »für die Öffentlichkeit ist es eine schiefe Optik.«
»Ach was!« Erregt wischt Midas den Einwand vom Tisch. »In der Politik gibt es niemals eine gerade Optik. Das wissen wir drei wohl am besten.«
»Ich gebe zu bedenken«, lässt Ährenbach nicht locker, »dass wir im internationalen Waffenhandel verstrickt sind. Immerhin hast du uns den Deal mit dem Grafen für die al-Qatrs schmackhaft gemacht.«
»Damals wart ihr Feuer und Flamme dafür, soweit ich mich erinnere.« Nun ist auch Midas von seinem schweren Lederfauteuil aufgestanden. »Höre ich am Ende aus euren Argumenten Aussteigertendenzen heraus? Der Graf ist abgesichert. Und zwar für alle Zeiten. Oder muss ich euch daran erinnern, dass selbst Scotland Yard und der MI6 ihm nichts anhaben konnten? Selbst die eine Woche U-Haft in London schadete ihm nicht, er konnte sogar Kapital daraus herausschlagen, indem er eine sechsstellige Entschädigung kassierte. Der Graf wird niemals umfallen, merkt euch das. Ich sage euch, was wir tun werden. Sigmund, du wirst dich mit Bortner treffen und ihm gehörig Dampf machen. Wie, überlasse ich dir.«
*
Kokoschansky steht am Fenster, versucht, einfach nur die Zeit totzuschlagen, kann sich nicht konzentrieren, zu viel geistert in seinem Kopf herum. Am liebsten möchte er an die eine Hand Lena nehmen, an die andere seinen Sohn und nichts wie weg. Irgendwohin, wo sie alle drei zufrieden und glücklich sein können.
Es reicht ihm, und er mag nicht mehr. Nicht zum ersten Mal ist er in einer derartigen Verfassung, aber die Abstände zwischen diesen Tiefs werden kürzer. Immer häufiger stellt er sich die Frage, was noch alles passieren muss.
Jetzt ist es dieses untergeschobene Kokain, und er weiß nicht, ob sein öffentliches Ausposaunen vom erhofften Erfolg gekrönt sein wird. Auf der anderen Seite ist es seine Exfrau, die ihn durch ihr mehr als eigenartiges Verhalten in eine völlig neue, unbekannte Situation getrieben hat.
In Gedanken versunken, merkt er nicht, dass die Stereoanlage heruntergedreht wird. Erst Lenas vertraute Stimme lässt ihn zusammenzucken.
»Sag mal, spinnst du? Im gesamten Treppenhaus plärrt die Musik!«
»Hallo, Schatz! Ich habe dich gar nicht kommen gehört.«
Kokoschansky will ihr einen Kuss geben, doch sie wendet sich verärgert ab.
»Kein Wunder! Ich wusste gar nicht, dass du Udo-Jürgens-Fan bist. Und warum gerade Das Ehrenwerte Haus?«
»Darum.« Kokoschansky hält ihr den anonymen Brief unter die Nase, den er heute im Briefkasten vorgefunden hat. »Die Mietergemeinschaft findet, dass wir aufgrund des Polizeieinsatzes untragbar geworden sind und den Hausfrieden erheblich belasten. Daher sollen wir raus. Angeblich haben sie schon den Hauseigentümer verständigt. Natürlich hat sich keines der feigen Schweine getraut, mit seinem Namen zu unterschreiben. Seit zwei Stunden ärgere ich sie damit, dass ich das Lied immer wieder spiele.«
»Koko, du spinnst!« Lena liest zum wiederholten Male die Zeilen, bevor sie den Brief achtlos auf den Tisch wirft. »Und was machen wir jetzt?«
»Nichts.«
»Wie? … Nichts.«
Lena starrt ihn verwundert an.
»Einfach abwarten. Vielleicht will einer sich nur wichtigmachen. So leicht bekommt man uns hier nicht raus. Immerhin gibt es Gesetze, wie Mieterschutz und so fort. Das ist wirklich meine geringste Sorge. Wie war dein Dienst?«
»Eher eine ruhige Kugel. Nichts Besonderes los. Hat Petranko sich gemeldet?«
»Leider nein. Langsam mache ich mir Sorgen.« Kokoschansky hat sich spontan entschlossen, einstweilen nichts von Sonjas plumpem Verführungsversuch zu erzählen und die Sache auf sich beruhen zu lassen. Warum die Pferde kopfscheu machen? »Ich soll heute noch ins La Femme.«
»Was? Das ist doch ein Puff von Saller, oder irre ich mich?«
»Nein, du liegst richtig, Lena.«
»Und warum?«
»Da bin ich wirklich überfragt. Ich erhielt ein Mail, dass ich heute um 22 Uhr dort sein soll. Unterschrieben war es mit R. S. Dreimal darfst du raten, auf wen diese Initialen passen.«
»Saller wird sich doch nicht nach seiner Flucht weiterhin in Wien aufhalten? Andererseits wäre das beinahe schon genial. Er wird weltweit gesucht und ist gar nicht weg. Ich glaube es trotzdem nicht. In der Szene bleibt nichts lange geheim. Saller wäre längst schon verpfiffen worden.«
Kokoschansky zuckt mit den Achseln.
»Keine Ahnung. Langsam weiß ich selbst nicht mehr, was ich glauben soll. Abgeschickt wurde das Mail jedenfalls aus irgendeinem Internetcafé in Montenegro, nehme ich einmal an. Die Kennung .me stimmt auf jeden Fall.«
»Das kann man steuern.«
»Auch wieder wahr.«
»Wirst du hingehen?«
»Ich denke schon.«
»Und wenn es eine Falle ist?«
»Daran habe ich auch schon gedacht.«
»Kann vielleicht Mitnick herausfinden, wo das Mail abgeschickt wurde?«
»Daran habe ich zwar gedacht, aber vorerst lasse ich es bleiben.«
Lena nimmt sich eine von Kokoschanskys Zigaretten. »Wenn es eine getürkte Geschichte ist, ich weiß nicht. Vielleicht von Lackner und Erharter ausgeheckt? So, wie die beiden drauf sind? Wenn du hinfährst, komme ich mit.«
»Hm«, erwägt Kokoschansky, »gut, einverstanden. Aber hinein gehe ich alleine. Wenn es wirklich ein Legerl27 ist, dann kannst du mir von draußen gewissermaßen Feuerschutz geben.«
»Ich habe einen Mordshunger? Du nicht auch?«
»Doch.«
»Dann lass uns runtergehen ins Wirtshaus an der Ecke, eine Kleinigkeit essen.«
»Na ja«, Kokoschansky verzieht das Gesicht, »eigentlich habe ich keine richtige Lust. Bestellen wir uns eine Pizza.«
*
Parteisekretär Sigmund Sauslinger blickt auf seine Armbanduhr. Gut, fünf Minuten Verspätung sind genehmigt. Noch von Midas’ Wohnung aus hatte er Oberstaatsanwalt Lukas Bortner angerufen und ihm mitgeteilt, er müsse ihn heute noch treffen. Zuerst zierte dieser sich, bis ihm Sauslinger in barschem Ton befahl, gefälligst sämtliche Termine platzen zu lassen und seinen Arsch schleunigst zu dem vorgeschlagenen Treffpunkt zu bemühen.
Sauslinger entschied sich für die Kirche Maria am Gestade in der Nähe der Wipplingerstraße im 1. Bezirk. Etwas abseits gelegen und für Touristen eher ein Insidertipp. Daher der ideale Ort für ein konspiratives Gespräch.
Bortner blieb nichts anderes übrig, als einzuwilligen. Schließlich teilen beide ein furchtbares Geheimnis. Ein Café kam nicht infrage. Zu belebt und man kann nie sicher sein, ob sich nicht, blöde Zufälle gibt es genug, ein Journalist dort aufhält. Beide Männer sind Personen des öffentlichen Lebens, ihre Gesichter bekannt.
Sauslinger hat sich in eine der hinteren Bänke gesetzt. Außer ihm ist nur eine ältere Frau anwesend, die vorne beim Altar kniet und den Rosenkranz betet. Er hört ein knarrendes Geräusch, Bortner ist eingetroffen. Sauslinger hätte ihm auch nichts anderes geraten. Der Oberstaatsanwalt ist nervös und fahrig, wirkt wie ein gehetztes Tier und entdeckt den Parteisekretär, der ihm kurz winkt und ein Stück zur Seite rückt, damit Bortner neben ihm in der Kirchenbank Platz nehmen kann.
»Ich musste mir tausend Ausreden einfallen lassen, um mich loseisen zu können«, flüstert der Oberstaatsanwalt, »was ist los?«
»Midas will dich sprechen.«
»Was? Offiziell?«
»Sicher nicht. In seiner Wohnung.«
»Warum?«
»Das kannst du dir wohl denken.«
»Wann?«
»Morgen, um 16 Uhr.«
»Kann ich nicht.«
»Dann wirst du es arrangieren, dass du für diesen Termin frei bist.«
»Und wenn ich nicht komme.«
»Dann du bist du dran. Du wirst nicht mit leeren Händen kommen.«
»Was heißt das?«
»Dann denke darüber kurz nach.«
Obwohl es in der Kirche angenehm warm ist, beginnt Oberstaatsanwalt Lukas Bortner zu frösteln.
»Das kann ich nicht tun«, murmelt er kaum verständlich, »das ist mein berufliches und gesellschaftliches Todesurteil.«
»Du bist tot, wenn du es nicht tust.«
»Wie soll ich das vor der Ministerin rechtfertigen?«
»Dein Problem. Außerdem wird sie es nicht erfahren. Hast du oder ich diese Galina auf dem Gewissen?«
»Ich habe sie doch nicht umgebracht!«
Bortners etwas lauterer Ton veranlasst die gläubige Frau, sich kopfschüttelnd in Richtung der beiden Störenfriede umzudrehen.
»Mann, reiß dich zusammen«, zischt Sauslinger und stößt den Oberstaatsanwalt mit dem Ellenbogen in die Rippen.
»Ich habe sie nicht umgebracht«, wiederholt Bortner leise.
»Das stimmt. Sie ist wegen deiner Hemmungslosigkeit draufgegangen, und du hast uns dadurch gewaltige Scherereien eingebrockt.«
»Was kann ich dafür, dass hier Stümper am Werk waren und ihre Leiche sofort gefunden wurde! Noch dazu haben sie diesen verräterischen Ring übersehen, diese Idioten!«
»Tja, das ist nun einmal nicht zu ändern. Geschehen ist geschehen. Du wirst morgen zur vereinbarten Zeit bei Midas erscheinen.«
»Sigmund, wir sind doch Parteifreunde.«
»Darum rette ich auch deinen Kopf aus der Schlinge.«
»Ich habe auch über deine diversen Machenschaften hinweggesehen. Auf die ermittelnden Kriminalbeamten, die Staatsanwälte und U-Richter Druck ausgeübt, dass sie dich in Ruhe lassen.«
»Du vergisst einen wesentlichen Punkt, mein Lieber. Du hast dir durch mich dein nicht ganz unbeträchtliches Gehalt erheblich erhöhen lassen. Das ist eine Geschichte. Die andere ist etwas komplizierter, wie du weißt. Auch Midas ist wie wir beide in der gleichen Partei. Er ahnt bis heute nicht, dass Ährenbach und ich ihn dir auf dem Silbertablett serviert haben. Der gute, naive KFM glaubt noch immer, dass er Högers legitimer Nachfolger ist. Doch Ährenbach, ich und einige andere sehen das allerdings ganz anders. Du bist fein raus gewesen, Lukas, denn du bist verpflichtet, dich an die Gesetze des Landes zu halten, und öffentlich wird es dir hoch angerechnet, dass du selbst massiv gegen einen Parteifreund vorgehst, sobald die Rechtslage es erfordert. Dann passiert dir der fatale Lapsus mit dieser Hure. Plötzlich ist die Lage eine völlig andere. Ährenbach und ich dachten, dass wir Midas demnächst vom Hals haben. Nein, jetzt haben wir ihn wieder dank dir und deinem Sexwahn als Klotz am Bein, weil du dich selbst aus dem Rennen genommen hast.« Sauslinger öffnet seine Aktenmappe, zieht ein vorbereitetes Blatt Papier heraus. »Das wirst du jetzt unterschreiben. Kopie gibt es keine. Du wirst verstehen, dass ich eine Rückversicherung brauche, nach allem, was passiert ist und auf dem Spiel steht.«
Der Oberstaatsanwalt überfliegt die Zeilen, wird leichenblass und ringt um Fassung.
»Du bist verrückt! Wie soll ich das anstellen? Wenn das herauskommt, bin ich fertig.«
»Da«, Sauslinger hält ihm einen Kugelschreiber hin, »unterschreibe. Du bist geliefert, wenn du nicht bei Midas aufkreuzt und jetzt nicht unterschreibst.«
Bortners Jackett ist etwas verrutscht, und der Parteisekretär bemerkt sofort dieses winzige rote Pünktchen, das verräterisch durch den Stoff der Brusttasche an seinem weißen Hemd blinkt. »Du solltest darauf achten, genügend Band zur Verfügung zu haben oder neue Batterien einlegen.« Mit einem Ruck zieht er Bortner das kleine Tonbandgerät aus dem Hemd. »Ich darf doch?« Ohne eine Antwort abzuwarten, lässt Sauslinger den neugierigen Spion in seiner Aktenmappe verschwinden. »Wenn du schon mitschneidest, dann bitte etwas professioneller. Siehst du, beispielsweise so.« Der Parteisekretär lüftet kurz seine Krawatte, und darunter verbirgt sich ein winziges Mikro mit einem hauchdünnen Kabel, das in die Innenseite seines Jacketts führt. »Unterschreib jetzt endlich«, herrscht er ihn flüsternd, aber im Befehlston, an.
Mit zitternden Fingern und in krakeliger Schrift fetzt der Oberstaatsanwalt seinen Namen auf das Schriftstück und stürzt aus der Kirchenbank. Tränen rinnen ihm über die Wangen.
*
»Die sind aber flott«, lobt Lena anerkennend, als es an der Tür klingelt, in der Meinung, es ist der Pizzaservice, »mir hängt der Magen bereits in den Kniekehlen. Komme schon!« Mit schnellen Schritten eilt sie in den Flur, öffnet, ohne sich ganz entgegen ihrer üblichen Gewohnheit zu vergewissern, wer draußen steht, und ist mehr als erstaunt. »Du?«
»Guten Abend, allseits«, lacht der pensionierte Chefinspektor Thomas Petranko, »keine Sorge, es wird nicht zur Gewohnheit, dass ich nun ständig unangemeldet hereinschneie. Aber ich bringe gute, sehr gute Nachrichten. Ist dein Koko auch zu Hause?«
»Na klar bin ich das!«, tönt Kokoschanskys sonore Stimme aus dem Wohnzimmer. »Rein mit dir.«
»Wenn du magst, kannst du gleich mit uns mitessen«, bietet Lena an, »der Pizzaservice muss jeden Augenblick kommen.«
»Die Einladung nehme ich gerne an und«, dabei grinst Petranko breit über sein ganzes Gesicht, »die habe ich mir auch verdient.« Er lässt sich auf einen Stuhl plumpsen, zieht ein Kuvert aus seiner Jacke und überreicht es Kokoschansky. »Das wird dich besonderes interessieren.«
»Sag nicht, du …« Ungeduldig zieht der Journalist ein Papier aus dem unverschlossenen Umschlag, sieht nur eine für ihn unverständliche mehrfarbige Grafik und liest den Begleittext. »Bingo!«, ruft er aus und kann gar nicht anders, als auf Petranko hinzustürzen, ihn zu umarmen und ihn fest an sich zu drücken. »Danke, Alter, du hast mich vor dem Untergang bewahrt. Langsam hatte ich schon Zweifel, ob ich nicht doch zu weit übers Ziel hinausgeschossen habe.«
Lena fällt Petranko um den Hals, küsst ihn auf beide Wangen. »Das heißt, die DNA auf dem Kokspäckchen und unserer Abdeckung von der WC-Spülung sind identisch.«
»Ja, mein Schatz! Ja!«, jubelt Kokoschansky. »Jetzt reiße ich denen den Arsch auf! Jetzt werden sie mal den Koko so richtig kennen lernen.«
»Und ich werde morgen endgültig kündigen«, sagt Lena ruhig und mit einer gewissen Wehmut in der Stimme, »jetzt habe ich allen Grund dazu. Ich will nicht mit solchen Leuten im gleichen Betrieb arbeiten.«
»Willst du das wirklich?«, fragt Petranko. »Natürlich hast du allen Grund dazu, aber Lackner und Erharter werden die längste Zeit eine Polizeimarke getragen haben, sobald das öffentlich wird.«
»Und was ändert sich?« Lena lässt sich in ihrem Beschluss nicht beirren. »Zwei Arschlöcher weniger, doch die nächsten stehen schon in den Startlöchern bereit. Solange nichts Entscheidendes in den Grundstrukturen geschieht, wird es immer der gleiche Trott bleiben.«
Wieder klingelt es, doch dieses Mal ist es tatsächlich der Pizzabote. Während Lena draußen ist, rät Petranko Kokoschansky, dass Lena noch eine Nacht darüber schlafen soll.
Noch nie hat Kokoschansky eine Pizza, obwohl der Belag nicht überragend ist, so gut geschmeckt wie diese. Petranko erzählt von seinem Besuch im BKA, auch davon, dass sich, für sein Empfinden, ein ehemaliger Kollege etwas zu viel für das Verhältnis zwischen ihm und Kokoschansky interessierte und wie er einen von Erharter benutzten Löffel in der Kantine mitgehen ließ, um völlig auf Nummer sicher gehen zu können. Der Löffel, die Abdeckung und das Kokainpäckchen – auf allen drei Gegenständen ist eindeutig Erharters DNA nachzuweisen. Besser könnte es gar nicht sein.
»Ich wusste schon, die beiden sind keine Leuchten«, sagt Petranko, »doch für solche Volltrottel habe ich sie wahrlich nicht gehalten. Natürlich wird Erharter die volle Breitseite abbekommen, doch Lackner hängt mit drin. Daran gibt es nichts zu rütteln. Und ich getraue mich zu wetten, er wird Erharter in den Rücken fallen und alles tun, um seine Hände in Unschuld zu waschen. Was hast du jetzt vor, Koko?«
»Nun, morgen werde ich den Chefredakteur der Zeit im Bild anrufen und ihm die Geschichte anbieten. Ich denke nicht, dass er ablehnen wird. Inzwischen glauben bestimmt einige Kollegen, mein lautstarker Auftritt vor den Kameras während der Hausdurchsuchung war ein Bluff. Einige würden sich bestimmt sehr freuen, wenn der bissige Kokoschansky endgültig aus dem Geschäft ist. Leider, leider wird dem nicht so sein.«
Sämtliche Vorsätze sind wieder über den Haufen geworfen, jetzt zählt nur mehr die Story und was wirklich dahintersteckt. Er wird nicht aufgeben, bis er es und wenn es sein muss, mit allen Konsequenzen, herausgefunden hat.
Er weiß es, Lena und Petranko ebenfalls. Sie braucht nur in Kokos Gesicht zu sehen, hat gelernt, darin wie in einem Buch zu lesen. Kokoschansky wird so lange weitermachen, wie sein Geist und sein Körper es zulassen oder er dabei eines Tages ins Gras beißt. Nein, sie will es gar nicht so genau wissen. Sie wird wohl oder übel wieder einmal mehr mitziehen. Mit ungewissem Ausgang.
»Hast du noch weitere Interviewanfragen bekommen?«, fragt Petranko.
»Ja, aber nicht mehr so viele wie zu Beginn. Außerdem lenkt die zerstückelte Frauenleiche ab, was mir nur recht ist. Heute ist es bereits zu spät, noch etwas in der Koksangelegenheit zu unternehmen, außerdem muss ich noch ins La Femme.«
Petranko fragt dreimal nach, bevor er kapiert, worum es geht.
»Und wenn es eine Falle ist?«
»Das habe ich auch schon in Erwägung gezogen«, sagt Lena, »aber Koko glaubt nicht daran.«
»Saller hat keinen Grund, ihm ein Bein zu stellen«, meint Petranko nach einigem Überlegen.
»Und wenn wieder das BKA dahintersteckt?«, bleibt Lena skeptisch. »Wieder unsere zwei Komiker?«
»Das wäre dann die Quadratur der Blödheit«, entgegnet Kokoschansky, »nein, ich glaube, Saller will mir etwas über seine Leute mitteilen lassen.«
Petranko pfeift durch die Zähne. »Das wäre der absolute Hammer, wenn Saller im La Femme ist.«
»Das wird sicherlich nicht der Fall sein.« Kokoschansky bleibt bei seiner Überzeugung. »Das ist eine Botschaft Sallers. Nichts weiter. Lena fährt mit. Du auch, Thomas?«
»No na.«
*
Seit Tagen liegt der junge Mann auf der Lauer und beobachtet das eingezäunte Areal zu den unterschiedlichsten Zeiten. Etwas abseits gelegen von der viel befahrenen Triester Straße, einer wichtigen Durchzugsverbindung, steht hier das Happy Times. Eine ehemalige Lagerhalle, die zur Clubsauna und zum Laufhaus umgebaut worden ist. Der Parkplatz für die Freier ist nicht einsehbar, in einem abgetrennten Bereich stehen die Autos der Betreiber.
Der junge Mann wird das Gebäude nicht betreten. Es ist zu gefährlich, da er weder Räumlichkeiten noch Sicherheitsvorkehrungen kennt, die ihm seine Flucht vereiteln könnten. Manchmal hört er Hundegebell, und, dem Klang nach zu schließen, handelt es sich bestimmt nicht um Schoßhündchen. Außerdem ist das Gebäude videoüberwacht, der Parkplatz nicht.
Inzwischen kennt er das Auto seines Opfers. Dort wird er zuschlagen und seinen Rachefeldzug beginnen. Nach Betriebsschluss in den frühen Morgenstunden dauert es meist noch ein Weilchen, bis einer der beiden Chefs auftaucht und alleine wegfährt. Anscheinend haben die Bosse Arbeitsteilung und lösen sich jeden Tag ab. Die Mädchen werden entweder abgeholt oder nehmen sich ein Taxi.
Der Luxusschlitten ist leicht zu knacken. Darin kennt sich der junge Mann bestens aus. Schließlich ist er als Autoknacker ausgebildet und immer auf dem neuesten Stand der Technik. So ausgetüftelt kann die Elektronik gar nicht sein, er findet eine Lösung, sie blitzschnell zu überlisten.
Heute Nacht wird er zuschlagen. Es wird Zeit für ihn, sich fertigzumachen. Die ersten Mädchen verlassen bereits das Bordell, der Freierparkplatz ist leer und kaum beleuchtet, was ihm zugutekommt. Geduckt hastet er in seiner dunklen Kleidung zu dem Auto, geht in die Hocke und wartet. Es ist ein immenser Vorteil, dass er von kleiner, schmächtiger Statur ist. Lautlos bedient er sich seines Spezialwerkzeugs, und in wenigen Sekunden ist das Fahrzeug geöffnet, ohne sichtbaren Schaden anzurichten.
Er wundert sich jedes Mal, wie nachlässig Autohersteller sind. Bei elektronischem Schnickschnack wird nicht gespart, komplizierte Wegfahrsperren und anderer Kram werden eingebaut, doch bei Türschlössern wird gespart. Er hatte damit gerechnet, dass die sicherlich vorhandene Alarmanlage nicht eingeschaltet ist. Kein Autodieb ist so unvorsichtig, oder besser, blöd, eine Karosse in dieser Preisklasse vom Parkplatz eines Puffs zu stehlen. Er kauert sich zwischen Vordersitze und Rückbank, baut auf den Überraschungsmoment. Sein Plan ist, den Griechen noch im Auto auf dem Parkplatz zu töten, die Leiche hinauszuwerfen und mit dem Wagen zu verschwinden.
Vielleicht eine halbe Stunde harrt er in seinem Versteck aus, bis sich Schritte nähern. Natürlich hat er das Auto wieder von innen abgesperrt, daher ist nichts Verdächtiges zu erkennen. Er hört das Knacken der Verriegelung, als der Wagen mit der Fernbedienung geöffnet wird. Die Fahrertüre wird geöffnet, der Grieche schwingt sich auf den Sitz, steckt den Schlüssel ins Zündschloss und startet. Der Bordellbetreiber gähnt herzhaft, bemerkt nicht, dass sich hinter ihm der Tod versteckt. Langsam fährt er an und spürt plötzlich kaltes Metall an seiner Schläfe.
»Bleib stehen«, befiehlt der junge Mann in der schwarzen Jeansjacke mit ruhiger Stimme und richtet sich vollends auf. »Langsam Hände in Nacken. Keine Tricks, sonst du tot.«
Dem Griechen bleibt nichts anderes übrig, als sich zu fügen. Fieberhaft überlegt er, wie er an das Handschuhfach gelangen kann, dort liegt griffbereit eine Pistole. Es würde ihm nichts mehr nützen. Trotz seines jugendlichen Alters ist der Junge ein Vollprofi, hat gründlich das Auto untersucht, die Knarre entdeckt und sie in seinen Hosenbund gesteckt.
»Wer bist du, und was willst du von mir?«
Der Grieche riskiert einen Blick in den Spiegel, da aber die Innenbeleuchtung nicht brennt, kann er nur schemenhaft ein unmaskiertes Gesicht erkennen.
»Schöne letzte Grüße von Galina aus St. Petersburg.«
»Mach keinen Scheiß«, versucht der Grieche, Zeit zu gewinnen, »wer soll das sein? Ich kenne keine Galina, und in diesem Petersburg war ich auch noch nie.«
»Und Kosta dir natürlich auch unbekannt.« Der angeschraubte Schalldämpfer auf der Pistole drückt schmerzhaft gegen seinen Kopf. »An wen du Galina verkauft, du Scheißkerl? Du sie danach zerstückelt wie ein Stück Vieh?«
Der Schweiß fließt in Strömen über den Nacken des Griechen und durchtränkt seinen Hemdkragen.
»Ich habe keine Ahnung, wovon du laberst?«
»Ist auch egal. Ich weiß, du Galina verschachert, und darum du jetzt krepieren.«
Die Kugel dringt am Hinterkopf ein und tritt oberhalb der rechten Augenbraue wieder aus. Das Projektil bleibt in der Sonnenblende stecken. Blitzschnell packt Galinas ehemaliger Verlobter den leblosen Körper am Jackenkragen und fängt ihn ab, damit die Leiche nicht auf das Lenkrad kippt und die Hupe auslöst. Der Killer blickt sich um. Keine Menschenseele weit und breit zu sehen.
Er steigt aus, zündet sich eine Zigarette an. Dann reißt er das Hemd des Griechen auf, verpasst ihm drei nebeneinanderliegende Brandmale unter der linken Brustwarze. Er ist sich sicher, die Botschaft wird verstanden. Danach dämpft er die Zigarette ab, steckt die Kippe ein, zerrt die Leiche aus dem Auto, lässt sie liegen, nicht ohne vorher noch voller Verachtung auf sie zu spucken. Dann steigt er ein und fährt in die Nacht hinaus. Gerade noch rechtzeitig, bevor zwei kraftstrotzende Rottweiler bellend und zähnefletschend um die Ecke zu dem Toten hinpreschen.
*
Mit nun doch flauem Gefühl in der Magengrube steht Kokoschansky vor dem Eingang des La Femme. Lena und Petranko warten im Auto in einer Seitengasse. Sie haben vereinbart einzugreifen, sollte Kokoschansky nicht binnen dreißig Minuten wieder zurück sein.
Der Journalist blickt auf seine Uhr. Zwei Minuten vor zweiundzwanzig Uhr. Noch zwei Züge, dann schnippt er die Kippe auf den Gehsteig. Mit Sicherheit hat ihn bereits die Videokamera im Eingangsbereich erfasst. Was wäre nun wirklich, wenn Lackner und Erharter ihn plötzlich in Empfang nehmen würden? Kokoschansky löscht diesen Gedanken sofort wieder aus seinem Gehirn. Na und? Dann recherchiert er eben.
Er drückt auf den Klingelknopf, ein leiser Summton ertönt, und die silberfarbene Eingangstüre öffnet sich. Diffuses rötliches Licht, in jedem Puff gleich, umhüllt ihn. Kokoschansky tritt ein, und eine in einem schwarzen Anzug gekleidete, massige Gestalt, gegen die er wie ein Schuljunge wirkt, macht eine einladende Handbewegung weiterzukommen. Es ist Husky, Sallers Mann fürs Grobe.
Im Zusammenhang mit Sallers Verhaftung in München wanderte auch Husky hinter Gitter. Doch bald schon mussten sämtliche Anschuldigungen und Anklagepunkte gegen ihn fallen gelassen werden. Er erwies sich als Steher und treuer Diener seines Herrn. Sämtliche Zeugen fielen um. Plötzlich waren manche unauffindbar und unbekannt verzogen, andere litten unter massiven Erinnerungslücken, wogegen Alzheimer einer leichten Verkühlung gleichkam. Letztlich blieb nur mehr Widerstand gegen die Staatsgewalt.
Husky geht voraus in den hinteren Teil des Bordells, wo auch Kokoschansky noch nie war. Wenn er sich mit Saller traf, dann stets auf neutralem Boden. Der Kleiderschrank klopft dreimal an eine Türe mit einem Schild Privat. Dann ein Kopfnicken. Husky spricht wenig, er argumentiert lieber im Bedarfsfall mit seinen Fäusten. Kokoschansky darf eintreten und wird von Rambo, der ebenfalls eingelocht war und dem ebenso wenig nachgewiesen werden konnte, begrüßt.
»Guten Abend, Koko«, sagt Rambo, »lange nicht mehr gesehen. Nimm Platz.«
So sieht das Innenleben der Schaltzentrale, Sallers verwaistes Büro, aus. Zweifelsohne hat der Mann Geschmack. Kokoschansky bemüht sich, jegliche Regung zu verbergen, obwohl er innerlich mehr als angespannt ist.
»Hallo, Rambo. Danke.«
Der Journalist setzt sich auf den ihm zugewiesenen Platz.
»Darf ich dir unseren Anwalt, Dr. Kerner, vorstellen? Aber ich glaube, ihr kennt euch.«
»Guten Abend, Herr Kokoschansky. Ja, wir sind uns bekannt.«
Aus dem Halbdunkel in einer der hinteren Ecken des Büros löst sich ein ebenfalls sehr elegant gekleideter Herr und gibt dem Journalisten die Hand. Also der Consigliere, wie es in Mafiakreisen heißt, ist auch anwesend, denkt Kokoschansky und bereut bislang keine Minute, hergekommen zu sein. Es wird immer interessanter.
»Danke, dass du gekommen bist, Koko«, sagt Rambo. »Robert wird das sehr zu schätzen wissen. Was willst du trinken? Soviel ich weiß, trinkst du keinen Alkohol.«
»Stimmt. Ich nehme eine Cola.«
»Okay.« Rambo gießt ein Glas ein. »Wenn du rauchen willst, bitte gerne!« Und lächelnd fügt er hinzu: »Wir sind kein Nichtraucher-Etablissement.«
»Warum bin ich hier?«
»Nun, Herr Kokoschansky«, schaltet der Anwalt sich ein, »mein Mandant hält sehr große Stücke auf Sie, und Sie haben sich dieses Vertrauens stets würdig erwiesen. Sie haben Herrn Saller immer sehr fair in Ihren Berichten und Büchern behandelt. Das vergisst er nicht. Auch im Krankenhaus haben Sie ihn nicht verpfiffen. Die Unannehmlichkeiten, die Sie sich dadurch eingehandelt haben, tun uns aufrichtig leid. Aber wir glauben, Sie werden demnächst fürchterlich zurückschlagen, und darauf sind wir sehr gespannt.«
»Darauf können Sie Gift nehmen«, sagt Kokoschansky völlig ruhig, »aber damit eines klar ist, ich gehöre nicht zu euch. Ich bin der Grenzgänger, ständig zwischen der guten und bösen Seite hin- und herpendelnd.«
»Das wissen wir, Koko, und so wird es auch bleiben.« Rambo bietet Kokoschansky eine Zigarette an.
»Warum bin ich hier?«, hakt Kokoschansky nach.
»Weil mein Mandant Sie gerne sprechen möchte«, Kerner nippt an seinem Whiskeyglas, »persönlich …«
»In Montenegro.«
»Wir haben Sie richtig eingeschätzt, Herr Kokoschansky«, Sallers Consigliere lächelt zufrieden. »Sie sind sehr schlau.«
»Nun, so schwer war es auch wieder nicht«, erwidert der Journalist. »Warum dann dieses Theater mit dem Mail? Ein Anruf hätte genügt.«
»Sagen wir so, ein kleiner Test meines Mandanten, ob er Ihnen weiterhin trauen kann und um Ihnen zu zeigen, dass mein Mandant auf der sicheren Seite ist.«
Darüber lässt sich streiten, denkt Kokoschansky.
»Wann kannst du fliegen, Koko?«, fragt Rambo.
»Sobald meine Kokainbombe explodiert ist …«
»Gut, Herr Kokoschansky. Wenn Sie bereit sind, dann seien Sie so nett, rufen Sie mich in der Kanzlei an, und wir klären die Details. Vormittags habe ich meine Gerichtstermine, doch danach bin ich meist in meinem Büro. Glauben Sie mir, es wird nicht Ihr Schaden sein.«
»Damit eines klar ist, Herr Dr. Kerner«, stellt Kokoschansky mit Bestimmtheit fest, »die Reise bezahle ich selbst, ich bin nicht korrumpierbar.«
»Ich bitte Sie«, der Anwalt hebt abwehrend die Hände, »das ist uns bekannt, und Sie haben es oft genug unter Beweis gestellt.«
»Und Sie können mir nicht sagen, worüber Saller mit mir sprechen will?«
»Ich bin nicht autorisiert, aber Sie können sicher sein, nicht mit leeren Händen in Hinblick auf wertvolle Informationen wieder nach Hause zu kommen.«
»Warum ist er geflohen?«, versucht Kokoschansky weiter, dem Anwalt auf den Zahn zu fühlen. »Sie hätten schon den richtigen Dreh gefunden, ihn aus dieser misslichen Lage herauszupauken. Es wäre nicht das erste Mal, dass Sie ihn vor den Fängen der Justiz bewahren konnten.«
»Ich saß aber nicht mit ihm in der Zelle, um ihn schützen zu können«, bleibt Kerner geheimnisvoll.
»Mit anderen Worten, Saller musste um sein Leben fürchten.« Sowohl der Anwalt wie auch Rambo nicken zustimmend. »Stecken Honsa und der Grieche dahinter?« Kokoschansky lässt nicht locker.
»Nun, Sie befinden sich auf der richtigen Spur, aber vergessen Sie diese beiden Würstchen. Ich möchte es so ausdrücken, die beiden sind nicht ungefährlich, aber im Gegensatz zu meinem Mandanten kleine Krämer im Milieu, wenn Sie verstehen, was ich meine. Wir wissen doch alle in diesem Raum, dass für ein paar tausend Euro jederzeit ein Killer aufzutreiben ist. Während des Hofgangs im Gefängnis kann leicht ein Messer zwischen den Rippen stecken bleiben. Setzen Sie Ihre Überlegungen ein paar Etagen höher an, Herr Kokoschansky. Denken Sie an die Politik in Verbindung mit der Polizei.« Kerner sagt viel, aber dennoch lässt er sich nicht in die Karten blicken.
»Warum sind diese beiden BKA-Vögel so heiß drauf, mich hereinzulegen?«
»Weil gewisse Kreise befürchten müssen, dass mein Mandant sich nach seiner Flucht mit Ihnen in Verbindung setzen wird, und Sie der Einzige in diesem Land sind, der sich nicht vor wirklich brisanten Enthüllungen scheut. Fliegen Sie nach Montenegro, Sie werden es nicht bereuen, ich kann es garantieren. Lackner und Erharter sind nur Marionetten, vorgeschoben, die mit dieser dümmlichen Aktion gegen Sie vorschnell einen Stein ins Rollen brachten, der sich sicherlich sehr bald zu einem gewaltigen Felssturz auswachsen wird. Wir sind sehr neugierig, was Sie zuwege bringen werden.«
*
Der Grieche ist noch keine Stunde tot, als seine Leiche bereits vom Wachmann einer Sicherheitsfirma entdeckt wird.
Die Hunde schlagen ununterbrochen an und sind nicht vom Leichnam wegzubringen. Die Polizisten sind gezwungen, die Tiere zu erschießen, um unbeschadet an den Tatort heranzukommen.
Die Mordkommission vermutet einen Streit unter den Geschäftspartnern, und Hermann Honsa ist ihr erster Verdächtiger.
Doch Honsa kann ein wasserdichtes Alibi vorweisen. Zum Tatzeitpunkt war er bereits zu Hause, zwar sturzbesoffen und zugekokst, aber in Begleitung von zwei Zeuginnen. Einer Albanerin und einer Slowakin, die für ihn anschaffen wollen, und er, so drückte er sich aus, testete das neue Material. Ein Projektil kann nicht sichergestellt werden. Die Ermittler nehmen an, dass der oder die Täter mit dem Auto des Griechen geflüchtet sind, und lösen eine Großfahndung aus.
Kopfzerbrechen bereiten den ermittelnden Beamten die drei Brandmale auf der Brust des Griechen unter dessen linker Brustwarze, bis Alfred Cench ein Foto des Torsos von Galina Jekaterina Schuschkostrowa mit den drei Muttermalen unter ihrer linken Brust zu Vergleichszwecken vorlegt.
Seine Kollegen ziehen die richtigen Schlussfolgerungen und vermuten einen Racheakt. Cench hüllt sich aus gutem Grund in Schweigen, murmelt nur etwas von einer Ratte weniger oder so ähnlich.
Der Mörder ist bereits auf dem Weg zurück nach St. Petersburg. Um alle Spuren zu verwischen verkauft er das Auto des Griechen auf dem Schwarzmarkt in der Slowakei.