Samstag, 25. September 2010

 

 

Lena und Kokoschansky haben sich in einer kleinen Pension in Liesing, im 23. Bezirk am Wiener Stadtrand, einquartiert. Nachdem sie von Mitnick aufgebrochen waren, sprachen sie noch lange über Sonjas sonderbares Verhalten und woher ihr abgrundtiefer Hass auf Kokoschansky rühren könnte. Er wiederum versuchte, nochmals ihre Ehe zu analysieren. Die paar Jahre, die er mit Sonja zusammengelebt hatte, waren harmonisch, und er kann sich an keinen gröberen Streit erinnern, abgesehen von kleineren Reibereien und Geplänkel. Lena kennt diese Geschichte zur Genüge, Kokoschansky hatte nie Geheimnisse vor ihr.

Während des Frühstücks in dem winzigen Gastraum sind beide schweigsam und unausgeschlafen. Es sind nur zwei weitere, männliche Pensionsgäste anwesend. Wahrscheinlich Handelsvertreter, schätzt Kokoschansky. In näherer Umgebung ist ein riesiges Industriegebiet mit zahlreichen Firmen und Einkaufszentren.

Inzwischen wurde, den neuesten Nachrichten nach, die Leiche von Branko Daramcić in Montenegro identifiziert, und die wildesten Spekulationen brechen in den Medien aus. Besonders die Tatsache, dass der Kroate mit einem Messer und nicht durch eine Kugel wie die anderen ermordet wurde, bildet die Grundlage für alle möglichen Theorien. Inzwischen konnten Gerichtsmediziner herausfinden, dass der ehemalige General nicht durch einen tödlichen Messerstich getötet wurde, sondern durch einen gezielten Messerwurf.

Es ist kurz vor 9 Uhr, als Lena und Kokoschansky sich wieder in ihr Zimmer zurückziehen. Der Journalist schnappt sich die Fernbedienung und schaltet den Fernseher ein. Gerade rechtzeitig für die Aufmachermeldung des Tages. »Auf dem Stilett, das im Rücken des ehemaligen kroatischen Generals Branko Daramcić steckte«, so der Moderator, »stellten Kriminalisten Fingerabdrücke des geflohenen Wiener Unterweltbosses Ratko Perković alias Robert Saller fest. Es wird angenommen, dass Saller bei Madeo in Montenegro Unterschlupf gefunden hat. Damit sind Verbindungen Sallers zur `Ndrangheta offensichtlich, ebenso wie zu Daramcić, der auch mit Salvatore Madeo engen Kontakt zu haben schien.

Trotz intensivster Suche auf dem Anwesen Salvatore Madeos, dem dieser Anschlag gegolten hatte, konnte Sallers Leiche nicht gefunden werden. Es wird vermutet, dass es dem Gangster gelungen ist zu fliehen. Ob verletzt oder unversehrt, ist unbekannt.

In einem Zimmer der Villa wurde ein geöffneter Tresor gefunden, der aufgeschossen ist. Was gestohlen wurde, ist unbekannt.

Inzwischen steht auch die Opferbilanz fest. Insgesamt vierunddreißig Menschen, darunter Frauen, Jugendliche und Kinder, starben während dieses Massakers. Über die Ursache und die genaueren Zusammenhänge herrscht bei den Behörden nach wie vor große Unklarheit. Wir informieren Sie laufend, sobald neue Ermittlungsergebnisse vorliegen. Nun zur österreichischen Innenpolitik …«

Kokoschansky schaltet den Apparat ab.

»Bei Lackner, Erharter, Katterka und der gesamten Brut läuten jetzt sämtliche Alarmglocken. Sie werden kombinieren und denken, wo Saller ist, wird auch dieser Kokoschansky nicht weit sein. Zumindest werden sie annehmen, dass ich weiterhin mit ihm in Kontakt stehe.«

»Irgendwer wird auch deine weggeworfene Maschinenpistole und die Waffe aus dem Auto finden, der du dich ja ebenfalls entledigt hast, Koko.«

»Darum mache ich mir die wenigsten Sorgen, Lena«, schwächt Kokoschansky ab, »ich glaube kaum, dass jemand von den Einheimischen, wenn er Waffen findet, damit schnurstracks zur Polizei rennt. Ich denke an etwas ganz anderes. Es ist ein internationaler Fall, in dem Montenegro, Italien, Kroatien, Österreich und auch Deutschland – schließlich lebte Madeo in München – verwickelt sind. Daher werden die Behörden der involvierten Länder sehr eng kooperieren.«

»Was willst du damit sagen?«

»Sie werden alles auf den Kopf stellen und genauestens untersuchen, was sie auf Madeos Grundstück finden. Somit stellen sie jede Menge DNA-Spuren sicher. Darunter auch meine. Am Geschirr und den Gläsern, woraus ich gegessen und getrunken habe, in dem Zimmer, in dem ich übernachtete, im Bad, auf der Toilette.«

»Du bist aber nirgends registriert.«

»Das sagt gar nichts. Das lässt sich organisieren, wie wir bereits erlebt haben.«

»Das stimmt. Wie gehen wir weiter vor?«

»Wir müssen schneller als alle anderen sein und starten heute noch FNews, indem wir die Fotos weltweit ausstrahlen. Ich schreibe dazu einen kurzen Kommentar, Freitag wird synchronisieren. Das lässt sich bei Mitnick machen. Freitag spricht zwar perfekt Deutsch, aber mit Akzent. Damit schaffen wir Verwirrung und FNews kommt unter die Leute. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Wir werden auch eine Fanseite für FNews auf Facebook und Twitter gründen. Und die Fotos auf YouTube stellen. Inzwischen ist Freitags Seite dermaßen abgesichert, dass kein Hacker eindringen kann. Wir packen und hauen ab. Begleichst du die Rechnung? Ich will verhindern, dass mich momentan zu viele Leute zu Gesicht bekommen. Schließlich war meine Visage in letzter Zeit zu oft im Fernsehen und in den Zeitungen. Auch meine Größe ist jetzt nicht besonders dienlich.«

 

*

 

Erharter schnaubt vor Wut. Zornig stapft er in seiner Wohnung herum, verwünscht alle und alles, was ihm in den Sinn kommt. Dieses Telefonat mit seinem Noch-immer-Kollegen Lackner hat ihm den Rest gegeben. Sagte der ihm doch glatt, nachdem Erharter ihn über den neuesten Stand der Vorfälle in Montenegro zu informieren versuchte, weil Lackner keine Ahnung hatte, dass er nicht gestört werden wolle. Er wäre mit ihm fertig, durch seine Blödheit wäre er in diese Scheiße geraten. Dann legte er auf.

Nachdem Erharter sich halbwegs beruhigt hat, ruft er Sonja an, faselt etwas, dass er sie sofort irgendwie treffen muss, und hat Glück. Kokoschanskys Exfrau hat einen freien Tag, Günther ist zu einer Kinderparty eingeladen. Der glücklose Mann verfolgt einen teuflischen Plan.

 

*

 

Der ehemalige Wirtschaftsminister Kurt-Friedrich Midas blickt auf den kleinen Videoschirm der Gegensprechanlage neben der Eingangtüre seiner Wiener Stadtwohnung.

»Gott sei Dank«, atmet er tief durch, »jetzt muss es nur noch gut gegangen sein.« Dann drückt er den Türöffner. Er ist alleine zu Hause, seine Frau Graciella weilt noch immer auf Capri, was ihm nur mehr als recht ist. So kann er ungestört arbeiten und sich Verteidigungsstrategien überlegen, wenn man ihm wieder auf die Pelle zu rücken gedenkt. Daramcićs Tod kommt ihm einerseits sehr gelegen, andererseits bereitet er ihm Unbehagen. Die Ermittlungen werden sich nun ausführlich mit der Verbindung des Kroaten zu dem ermordeten `Ndrangheta-Boss beschäftigen, was für ihn äußerst unangenehm werden kann.

»Komm rein«, winkt der Expolitiker den Mann herein, »wir setzen uns ins Arbeitszimmer. Du kennst den Weg.« Midas vergewissert sich, ob nicht jemand zufällig im Treppenhaus ist, bevor er die Türe wieder schließt, und geht vor.

Dr. Andreas Thornwalder schleppt einen schweren Pilotenkoffer und stellt ihn ächzend vor Midas’ Schreibtisch ab, bevor er sich setzt, seine Krawatte lockert und den obersten Knopf seines Hemdes öffnet.

»Bist du gleich direkt hergekommen?«, fragt Midas.

»Ja, ich war auch gar nicht erst in der Kanzlei. Ich bin bis auf drei Pinkelpausen durchgefahren. Von Vaduz nach Wien ist es doch eine ziemliche Strecke. Aber es hat sich gelohnt.«

»Dann hast du es also geschafft?«, strahlt Midas.

»Es geht doch nichts über einen alten Studienkollegen, mit dem ich in der gleichen Studentenverbindung war. Das sind Seilschaften fürs Leben. Es war nicht einfach, aber es ist gelungen, wenn es dich auch einiges kosten wird.«

»Geld ist mir gleichgültig, davon habe ich genug. Schließlich habe ich Graciella nicht grundlos geheiratet. Hast du die Akten?«

»Natürlich«, der Anwalt klappt die Deckel des Pilotenkoffers auf, nimmt einige Mappen heraus und legt sie auf den Schreibtisch, »mein Studienfreund konnte es deichseln, ich bekam beim liechtensteinischen Staatsanwalt Akteneinsicht, er stellte mir sogar ein freies Büro zur Verfügung, ließ mich unbeaufsichtigt. Ich konnte seelenruhig einiges kopieren, was für uns von außerordentlicher Wichtigkeit ist. Ich würde dir raten, diese Unterlagen nicht zu Hause aufzubewahren. Auch in meiner Kanzlei kann ich nichts deponieren. Zu gefährlich, Hausdurchsuchungen sind jederzeit möglich. Hast du einen Ort? Am besten außer Landes?«

»Ja. Es wird wohl am klügsten sein, das Material auf Capri in Graciellas Villa zu verwahren. Ich fliege gleich morgen runter. Außerdem, eine kleine Luftveränderung schadet mir nicht. Ich mache mir große Sorgen. Bortner und Daramcić sind tot. Das ist sehr gut, aber das kann erhebliche Probleme nachziehen. Dass Saller noch immer nicht gefasst wurde, ist auch kein gutes Zeichen.«

»Ich habe es auf der Rückfahrt von Vaduz in den Nachrichten gehört.«

»Sag mal, Andreas, ich habe läuten gehört, bei Bortners Selbstmord soll es nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Angeblich schoss er sich mit seinen Jagdgewehr in den Hinterkopf. Schwer vorstellbar. Wie soll das gehen?«

»Das kann ich dir auch nicht beantworten. Es wird sicherlich dauern, bis neuerliche Ermittlungen in deinen Angelegenheiten in Bewegung kommen. Er kann dir nicht mehr schaden. Ich muss dir aber nicht erklären, dass mein Trip nach Liechtenstein ziemlich gefährlich gewesen ist. Wenn das hochkommt und publik wird, KFMs Anwalt hat Teile seiner Strafakte kopiert und einiges daran manipuliert, bin ich geliefert und kann als Anwalt zusperren. Sämtliche anderen Konsequenzen noch nicht einmal erwähnt.«

»Ich werde dir einen angemessenen Bonus auf dein spezielles Konto in Monaco überweisen, Andreas. Schließlich bin ich einer deiner besten Klienten, und mit mir bist du bislang nicht schlecht gefahren.«

 

*

 

»Hast du noch das Badetuch, mit dem Kokoschansky sich abgetrocknet hat, als er zuletzt bei dir duschte?«, fragt Erharter und stellt die Tasse zurück auf den Untersetzer. »Hoffentlich noch nicht gewaschen.«

»Nein, es liegt noch in der Schmutzwäsche«, antwortet Sonja, »warum?«

»Sehr gut. Weil ich es brauche.«

»Wofür?«

»Darauf sind jede Menge DNA-Spuren von deinem Ehemaligen.«

»Das kapiere ich jetzt nicht.«

»Vergiss es. Bring mir lieber den Fetzen.«

Sonja geht ins Badezimmer hinüber, sucht das Wäschestück aus dem Korb heraus. Eigentlich hatte sie sich mehr erwartet, sich auf ihren Freund gefreut. Doch er verlangt nur noch nach einer Plastiktüte, verabschiedet sich mit einem flüchtigen Kuss und ist schon wieder weg. Sonja verdrängt den Gedanken, dass sie ihm längst auf die Nerven geht, weil sie ihm keine brauchbaren Informationen über Kokoschansky liefert und deshalb für ihn wertlos geworden ist. Er wartet nur auf die passende Gelegenheit, um Schluss mit ihr zu machen.

»Euch werde ich es zeigen«, murmelt er vor sich hin, während er in Richtung Triester Straße zum Laufhaus von Hermann Honsa fährt.

Honsa und Erharter verbindet eine lange Beziehung. Nach dem gewaltsamen Tod des Griechen ist aus dem Trio ein Duo geworden. Erharter liefert manche nützliche Information von der Gegenseite, Honsa revanchiert sich mit seinen Nutten und Getränken frei Haus. Erharter wird zu Unterweltpartys eingeladen, findet auch nichts dabei, wenn er dabei zusammen mit einschlägig bekannten Szenefiguren abgelichtet wird. Eigentlich wäre er der weitaus bessere Gangster geworden, als er jemals Bulle gewesen ist. Doch für einen endgültigen Seitenwechsel ist er zu feig.

Lieber verschanzte er sich hinter dem Gesetz, das er nach seinem Gutdünken missbrauchte, bis Kokoschansky ihm einen vorläufigen Riegel vorschob.

Erharter lebt nur mehr für seine Rache. Auf seiner Liste stehen weiters Petranko, den er noch nie leiden konnte und außerdem mit dem verhassten Kokoschansky befreundet ist. Lackner, der mit Erharter nichts mehr zu tun haben will und BKA-Chef Katterka, der sie beide suspendierte und nicht im Traum daran denkt, sich im Ernstfall vor seine Leute zu stellen.

Honsa empfängt Erharter in seinem Büro, ist wie üblich betrunken, aber zurechnungsfähig. Ein richtiger Spiegeltrinker, der sein tägliches Quantum braucht, um überhaupt funktionieren zu können. Auf einer kleinen Spiegelplatte liegen noch Reste einer Straße Koks, die er sich vor Eintreffen Erharters reingezogen hat. Aus einer Lade nimmt er ein Kästchen, in dem, in Samt eingeschlagen, drei wertvolle Armbanduhren liegen.

»Wie heiß?«, fragt Erharter.

»Nicht besonders«, wiegelt Honsa ab, »sie stammen von einem deutschen Schmuckvertreter. Die Georgier bekamen einen Zund, dass der Typ in einem Salzburger Hotel abgestiegen ist. Sie schmierten ihn ab30, warteten einen günstigen Moment ab, brachen in sein Zimmer ein und raubten ihn aus, als er essen war. Stand in der Zeitung, auch im Fernsehen wurde darüber berichtet. Das übrige Zeug habe ich schon verhökern können, diese drei besonderen Stücke habe ich für dich aufbewahrt. Interessiert?«

Eingehend untersucht Erharter die eleganten Uhren, legt sie am Handgelenk an, um sie nochmals näher zu begutachten, und entscheidet sich für eine Piaget.

»Wie viel willst du dafür haben?«

»Hm«, Honsa überlegt und genehmigt sich einen Schluck Whiskey, »unter Freunden, sagen wir, dreißigtausend. Im offiziellen Handel bekommst du sie nicht unter fünfzig.«

»Fünfundzwanzig …«

Honsa schüttelt den Kopf und nimmt ihm die Uhr wieder ab. »Ist nicht. Schließlich wollen die Georgier auch ihren Anteil.«

»So dick habe ich es auch wieder nicht. Überhaupt jetzt wegen dieser verdammten Suspendierung. Und Unterhalt muss ich auch noch für meine Töchter bezahlen.«

»Tja, du bist im falschen Job. Dann musst du eben mehr Koks verkaufen. Wohin du ihn liefern kannst, weißt du.«

Es ist genau die Uhr, die Erharter immer wollte, aber sich nicht leisten konnte. Mit seinem Salär als Kriminalbeamter konnte er nie große Sprünge machen. Vor rund eineinhalb Jahren stieg er ins Drogengeschäft ein. Hätte er gewusst, wie einfach es ist, wäre er schon viel früher darauf gekommen. Als BKA-Mann Stoff aus der Asservatenkammer abzuzweigen, ist wahrlich ein Kinderspiel. Sind die Drogen einmal dort gelandet und die Prozesse gegen die Dealer und Konsumenten abgeschlossen, kontrolliert niemand mehr die vorhandenen Mengen. Zu gewissen Zeitpunkten wird das Rauschgift mit einem Polizeitransporter in die EBS, die Entsorgungsbetriebe Simmering, überführt und dort verbrannt. Übertreiben darf Erharter es nicht, sonst fällt er auf. Doch er hat es im Griff. So hat er ungehindert Zugang zu Kokain, Heroin, Amphetaminen und Gras. Die Drogen verkauft er an Honsa, der wiederum seine Abnehmer versorgt. Auf diese Weise verschafft Erharter sich ein ansehnliches Zubrot, was ihm einen aufwendigen Lebensstil ermöglicht, aber dennoch oder gerade deswegen kämpft er oft gegen die Flaute in seinem Portemonnaie.

»Achtundzwanzig«, handelt Erharter weiter, »und dazu die zwei Neuen, die ich gesehen habe.«

»Also schön, weil du es bist«, sagt Honsa und schenkt sich nach, »jedem anderen hätte ich jetzt eine mit dem Schlagring übergezogen. Wo ist die Kohle? Was machst du eigentlich mit so vielen Uhren? Du hast auch nur zwei Handgelenke, und mehr Zeit bekommst du deshalb auch nicht. Aber mir soll es recht sein.«

»Fünfzehn kannst du sofort haben«, Erharter zieht ein Kuvert aus der Innentasche seines Jacketts, »den Rest in vierzehn Tagen. Momentan bin ich nicht so flüssig, wie ich es gerne wäre.«

»Plus zwölf Prozent vom Restbetrag.«

»Du bist ein Saugerl31

»Ich muss auch leben, Bester. Das Geschäft ist flau und seit der Grieche den Holzpyjama angezogen hat, ist es noch schwieriger geworden. Geht da überhaupt etwas weiter? Ich will diesen verdammten Killer, und zwar lebend. Wer ist an dem Mord dran?«

»Cench, soviel ich weiß.«

»Ah ja, der Scheißtyp war neulich hier und hat sich wichtiggemacht. Da hat der Grieche noch gelebt. Es war ein Fehler …«

»Was war ein Fehler?« Erharter erkennt sofort die Gunst der Stunde und greift nach der Whiskeyflasche. »Darf ich?« Ohne eine Antwort abzuwarten, füllt er zuerst Honsas Glas, um sich danach selbst einen zu genehmigen und nochmals nachzufragen. »Was war ein Fehler?«

Honsas größter Fehler ist, dass er wie ein Kanarienvogel singt, wenn er über seinen normalen Spiegel getrunken hat. Genau das ist jetzt der Fall, und Erharter weiß es geschickt auszunutzen.

»Der Grieche hätte sich nie auf diesen Scheißkameltreiber einlassen dürfen.«

»Wen meinst du?«

»Wer von uns ist nun der Bulle?«

»Entschuldige, ich bin derzeit raus aus dem Geschäft.«

»Ich meine den Araber, der sich in Grinzing in einer Villa eingenistet hat und mit vielen Politikern, was weiß ich wen, auf du und du ist. Der Mufti stammt aus irgendeinem Land in Nordafrika, wo sein Vater diktatorisch regiert. Das ist mir alles egal, ich habe mich noch nie für Politik interessiert. Ich weiß nur, dass die Familie des Arabers stinkreich ist. Leute von dem Kameltreiber waren einmal bei uns im Puff, haben sich eine Nacht lang mächtig gebärdet, aber dafür eine hübsche Summe hier gelassen. Der Grieche ist mit ihnen ins Gespräch gekommen, und sie haben ihn gefragt, ob er ihnen unsere Mädchen für exklusive Privatpartys zur Verfügung stellen könne. Er hat mich gefragt, ob ich etwas dagegen habe. Natürlich nicht, ist doch ein lukratives Geschäft gewesen.«

»Gewesen?« Erharter stellt sich dumm, er weiß genau, was dahintersteckt.

»Ja, leider. Anscheinend aus und vorbei. Seit diese Geschichte mit Galina passiert ist. Der Araber ließ wieder eine Orgie in seiner Hütte steigen, seine Leute kamen und holten unsere Huren ab. Nur Galina kam nicht mehr zurück. Ich habe sofort geahnt, dass sie es ist, die ins Gras gebissen hatte, als die ersten Leichenteile gefunden wurden. Selbstverständlich haben der Grieche und ich unsere Mädels, als sie wieder zurück waren, gefragt, ob sie wissen, was da los gewesen ist, aber sie hatten keine Ahnung. Selbst als wir sie unter Druck setzten, ihnen Prügel androhten, versicherten sie uns, nichts zu wissen. Im ersten Wutanfall wollte der Grieche zum Araber fahren und ihn zur Sau machen, doch ich konnte ihn davon abhalten. Er hat eingesehen, dass uns der Kameltreiber mit seinem Clan eine Nummer zu groß gewesen wäre. Die hätten uns im Ernstfall ausradiert. Aber der Araber ließ sich nicht lumpen. Ein paar Tage später schickte er einen Mittelsmann bei uns vorbei, und der legte ein fettes Kuvert auf den Tisch.«

»Wie viel?«

Honsa grinst. »Genug für eine Nutte. Pech für das Mädel, aber Huren gibt es wie Sand am Meer. Der Grieche und ich waren wie Brüder. Darum bin ich so scharf darauf, diesen Arsch zu finden, der ihn umgelegt hat. Galina hatte unter ihren linken Titte drei nebeneinander liegende Muttermale. Der Grieche und ich wussten das, weil wir sie natürlich ausgiebig getestet hatten, als sie über unseren Verbindungsmann aus Russland hierherkam. Also muss es jemand sein, der sie sehr gut gekannt hatte. Freund, Verwandter, keine Ahnung. Jedenfalls eine Person, der es nicht passte, dass sie auf den Strich ging. Er muss er ihr gefolgt sein und hat herausgefunden, wo sie arbeitet. Dann legte er sich auf die Lauer und killte den Griechen. Warum hatte er wohl unter seiner linken Brustwarze drei nebeneinander liegende Brandmale, die ihm mit einer brennenden Zigarette zugefügt worden waren? Es hätte mich genau so treffen können, wenn ich nicht früher nach Hause gefahren wäre. Warum bringt da dein Scheißverein nichts weiter?«

»Das darfst du mich fragen. Ich weiß es nicht. Frag Cench.«

»Mit dem will ich nichts zu tun haben. Der ist gefährlich.« Den Rest verkneift sich Honsa. »… und kein so korruptes Bullenarschloch wie du.«

»Hast du das alles auch so ausgesagt?«

»Sicher nicht. Ich bin doch nicht blöd!«

»Scheiß drauf«, winkt Erharter ab, »was ist jetzt mit meinen beiden Mädels?«

»Eine kannst du haben«, sagt Honsa, »die andere bekommst du, wenn du mir das Restgeld gebracht hast. Die Uhr bleibt so lange bei mir in Verwahrung. Welchen von den Hasen willst du? Die eine ist Bulgarin, neunzehn Jahre; die andere zweiundzwanzig und aus dem Kosovo.«

»Da nehme ich die Jüngere.«

»Gut. Wann lieferst du wieder Koks? Ein halbes Kilo wäre angebracht.«

»Puh! Du denkst auch, die Asservatenkammer ist ein Supermarkt. Aber ich werde sehen, was ich machen kann.«

»Dann mach.«

Erharter überhört nicht die feinen, gefährlich klingenden Zwischentöne in diesen beiden Worten. »Hast du bei Bedarf ein zuverlässiges Rollkommando an der Hand?«

»Sicher. Für wen?«

»Sage ich dir, wenn es gebraucht wird. Dann sind wir uns vorerst einig.« Erharter steht auf. »Ich will jetzt endlich ficken.«

»Viel Vergnügen. Das Fünfer-Zimmer ist frei.«

Kaum hat Erharter das Büro verlassen, schaltet Honsa einen Monitor ein, der das Zimmer überwacht und dreht den Lautsprecher auf.

 

*

 

Während Mitnick damit beschäftigt ist, sämtliches Material aus Kokoschanskys Karton, den er aus Montenegro mitgebracht hat, zu sichten und die Unmengen an Dateien zu knacken, die alle mit Passwörtern versehen sind, hat der Hacker einige Anonymous-Leute angesetzt, in diverse Computer einzubrechen, die auf der Liste des Journalisten stehen. Viele der Dateien sind in Italienisch verfasst. Leider ist keiner im Quartett dieser Sprache mächtig, doch Mitnick weiß Rat. Einer seiner Hackerfreunde ist gebürtiger Sizilianer, und der Mann wird sofort damit beauftragt.

Lena, Kokoschansky, Freitag und der Privatdetektiv Wolfram Panker sitzen in Petrankos Wohnung und brüten über den Unterlagen, die ihnen von den zurückgepfiffenen BKA-Leuten Pointinger und Konschak übergeben wurden.

»Sind die Fotos bereits im Netz?«, fragt Petranko.

»Ja, seit rund drei Stunden«, antwortet Kokoschansky. »Ruf unsere Seite auf, und du wirst es sehen.«

»Wer hat da gesprochen?« Petranko ist fasziniert über die Qualität der Bilder, die er sieht, und Kokoschansky klärt ihn auf, dass er einige Fotos nachträglich bearbeiten konnte.

»Ich«, strahlt Freitag mit einem Hollywoodlächeln in die Runde, »das ist meine Stimme. A Star Is Born. Ich habe bewusst meinen Akzent dafür noch verstärkt, um die Leute, die es betrifft, in die Irre zu führen. Das war immer mein Traum, mein eigenes Medium zu besitzen. Nun habe ich es endlich mit euch zusammen. Noch dazu als Auftakt mit einer Bombenstory.« Auch er sitzt vor seinem Laptop und kann sich nicht sattsehen. »Das zieht bereits jetzt seine Kreise. Ratet mal, wie viele Zugriffe es bereits auf YouTube gibt?«

»Keine Ahnung«, Lena hebt die Hände, »nun sag schon.«

»110.000 und ein paar Zerquetschte!« Freitag ist völlig aus dem Häuschen. »Wow! Das fetzt. Und keiner weiß, wer hinter FNews steckt.«

»Manche Leute haben anscheinend nichts Besseres zu tun, als dauernd im Web herumzusurfen«, meint Lena.

»Und FNews hat bereits 156 Freunde auf Facebook«, triumphiert Freitag, »auf Twitter sind es mehr als fünfzig. Auch nicht schlecht. Leute, da haben wir etwas losgetreten. Das sagen mir die Spitzen meiner Dreadlocks.«

»Mal sehen, ob wir heute Abend bereits Thema in den Nachrichten sind«, meint Petranko.

»Es ist wirklich unglaublich, wenn man die Abhörprotokolle liest. Das sind die wahren Moralmörder, die diesen Staat aushöhlen und sukzessive in den Abgrund treiben! Midas, Ährenbach und Sauslinger reden völlig ungeniert und offen über ihre faulen Geschäfte. Dieses Trio schneidet bei jedem Megadeal ordentlich mit. Egal, ob in der Telekommunikationsbranche, in der Bauwirtschaft, auf dem Wohnungssektor. Es ist egal, sie mischen überall mit. Für mich zeichnen sich zwei Schlüsselfiguren ab. Oberstaatsanwalt Bortner, der leider nicht mehr reden kann, und dieser Lobbyist Othmar Kaltengruber mit seiner dubiosen Agentur Krösus. Sämtliche linken Transaktionen laufen über ihn, und natürlich vergisst er dabei nicht auf seinen Schnitt. Warum trat ihm bisher niemand auf die Füsse? Ich frage mich, warum hat die so gepriesene Antikorruptionsstaatsanwaltschaft sich nicht eingeschaltet? Wo bleibt die FMA, die Finanzmarktaufsicht? Schlafen die alle, oder wollen sie einfach nicht sehen, was im Hintergrund abläuft?«

»Diese Partie wird von erstklassigen Anwaltskanzleien vertreten, die mit allen Wassern gewaschen sind«, mischt Petranko sich nun wieder ein, »die gegen jeden Beistrich sofort Berufung, Dienstaufsichtsbeschwerde, kurzum, das gesamte Instrumentarium auffahren, das ihnen der Rechtsstaat zur Verfügung stellt, um Verfahren hinauszuzögern und zu verschleppen. Stellt euch einmal vor, jetzt bekommen ein paar kleine Kiberer den Ermittlungsauftrag gegen diese Personen des öffentlichen Lebens, wie es so schön heißt, und sie werden tatsächlich fündig. Das beste Beispiel sind dafür Konschak und Pointinger. Monatelang verfolgten sie sämtliche Telefonate. Was herausgekommen ist, wissen wir. Jetzt musst du als kleiner Bulle einen U-Richter und einen Staatsanwalt finden, die nichts mehr werden wollen, auch keine politische Karriere anstreben und nicht unter Arbeitsüberlastung leiden. Da kannst du dich gleich auf die Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen begeben. Hast du tatsächlich Glück und es findet sich einer, kannst du Gift darauf nehmen, dass sofort, wenn es ruchbar geworden ist, von den höchsten Stellen auf Teufel komm raus hineininterveniert wird, bis sie w. o. geben und das Handtuch werfen, indem sie die Causa, die ihnen vielleicht das Genick brechen könnte, an die Oberstaatsanwaltschaft weitergeben. Dort sitzt dann einer wie Bortner und dreht den Hahn zu. Das ist Österreich.«

»Der muss eine ganz besondere Kreatur gewesen sein«, ergreift nun wieder Kokoschansky das Wort. »Der angebliche Selbstmord kann so nicht gewesen sein. Cench sieht es so und wir alle wohl auch. Den müssen gewisse Leute erpresst und unter Druck gesetzt haben, bis er nicht mehr konnte. Vielleicht wollte er auspacken und ist dadurch zu einer Gefahr geworden. Sich bei Selbstmord mit einem Jagdgewehr in den Hinterkopf zu schießen, ist einfach absurd. Lauf in den Mund stecken und abdrücken, ja, alles andere ist unlogisch. Wahrscheinlich wollte man mit diesem, ich sage jetzt bewusst, Mord eine Warnung an alle Betreffenden senden, nicht auf dumme Gedanken zu kommen. Inzwischen ist auch in den Medien einiges durchgesickert.«

Bis jetzt hat Panker sich im Hintergrund gehalten, doch nun schaltet er sich mit seiner sonoren Stimme ins Gespräch ein. »Dieser Packen vor mir ist für FNews bestimmt. Ich habe seit längerer Zeit einen Auftraggeber, der an den Vorgängen rund um Midas und seine Kumpane äußerst interessiert ist. Davon weiß niemand, nicht einmal die zuständigen Polizeiabteilungen. Ich bin an Midas und Konsorten schon seit einigen Jahren dran, eigentlich ziemlich bald nach seinem Ausscheiden aus der Regierung. Mein Auftraggeber bleibt anonym, wundert euch daher nicht, dass in den Papieren manche Stellen geschwärzt sind. Es dient nur zu seinem Schutz. Er will nicht in Erscheinung treten, doch ich denke, damit können wir leben.« Panker klopft mit seiner Pfeife auf den Stapel Mappen vor ihm. »Das wird einigen Staub aufwirbeln, wenn es publik wird, und sehr viel Licht in diese für Laien kaum durchschaubaren Firmengeflechte und Netzwerke des sauberen Herrn Midas mit Sitzen in allen möglichen Ländern bringen. Ich habe morgen einen Termin mit meinem Auftraggeber und werde ihn in unser Projekt einweihen. Wenn er einverstanden ist, dann publizieren wir diese Unterlagen. Dann wird Freund Midas mit seinen Spießgesellen mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr bald aus dem Blechnapf fressen. Ist das für euch in Ordnung?«

»Wir haben auch unseren großen Unbekannten im Hintergrund«, lacht Kokoschansky, »daher sind wir quitt. Oder hat wer Einwände?« Er blickt in die kleine Runde, alle stimmen zu. Sein Cryptophone piepst, eine SMS von Mitnick.

»Finde in unterschiedlichen Dateien andauernd das Kürzel NaQ. Kannst du etwas damit anfangen. LG M.«

Kokoschansky überlegt. Firmenname, kann sein. Kann auch nicht. Ein Code?

»Was ist passiert?«, fragt Lena.

»Nein, nein. Alles okay. Das war nur unser Freund. Kann sich wer einen Reim auf NaQ machen? Groß N, klein A, groß Q.«

Wolfram Panker nuckelt an seiner Pfeife, stößt dabei wie eine Lokomotive ununterbrochen kleine Rauchwolken aus. »Nazeem al-Qatr …«

»Moment«, grübelt Kokoschansky, »das ist doch …«

»Richtig«, Panker klopft etwas Asche aus dem Pfeifenkopf in einen Aschenbecher, »der war der beste Freund des verunglückten Kärntner Landeshauptmannes Marius Höger im arabischen Raum.«

»Mit festem Wiener Wohnsitz in einer Villa in Grinzing«, trägt Petranko seinen Anteil dazu bei.

»Und klingelt es jetzt nicht?«, fragt Panker.

»In dieser Gegend wurden neulich Leichenteile einer Frau gefunden«, sagt Kokoschansky leise, »nur der Kopf fehlt bisher. Ich sehe deinem Gesicht an, Wolfram, du weißt mehr. Bei unserem Treffen im Burgenland kam kurz die Rede auf diesen Club 50.000 und dass es eventuelle Verbindungen zu Nazeem al-Qatr geben soll, doch dann sind wir wieder abgeschweift.«

»Nicht eventuell«, stellt Panker richtig, »sowohl diesen Club gibt es, wie auch die Verbindungen zu dem Araber existieren. Es ist kein Club im eigentlichen Sinne, sondern eine Art Geheimbund sehr honoriger Herren, zumindest stellen sie sich so in der Öffentlichkeit dar. Wenn man so will, ist die Villa eine Art Zentrale, und Nazeem al-Qatr ist der Organisator. Ich habe dieses Gerücht immer wieder gehört, bis ich einen meiner Mitarbeiter als Hausangestellten einschleusen konnte. Dort werden Orgien der übelsten Art veranstaltet. Wer es sich leisten kann, legt 50.000 Euro auf den Tisch, die denjenigen berechtigen, dreimal an unterschiedlichen Rudelbumsereien teilzunehmen. Danach sind wieder fünfzig Scheine fällig. Natürlich gibt es keine offiziellen Einladungen. Das läuft über Mundpropaganda und Codewörter. Wer von euch Eyes Wide Shut, den letzten Film von Stanley Kubrick nach Schnitzlers Traumnovelle, gesehen hat, kann sich vorstellen, was ich meine.

In diesen Fünfzigtausend ist alles inkludiert, von abartigsten Perversionen bis zum einkalkulierten Tod eines Mädchens. Dann wird für die Beseitigung der Leiche gesorgt. Wen interessiert schon eine abgekratzte Hure? Die arme Galina Jekatarina Schuschkostrowa ist in dieser Villa gestorben. Ich glaube nicht an einen geplanten Mord, höchstwahrscheinlich war es ein Unfall, weil bei einem Typen seine Geilheit durchgegangen ist. Mein Mitarbeiter konnte jedenfalls beobachten, wie noch spätnachts zwei von Nazeems Männern Säcke abtransportiert haben und darin war bestimmt kein Müll. Nach diesem tragischen Vorfall kam es zu keiner weiteren Zusammenkunft mehr, zumindest nicht in dieser Villa. Wahrscheinlich ist es Nazeem und seinen Freunden derzeit zu gefährlich. Mein Mitarbeiter ist auch der festen Überzeugung, dass der Araber sein Haus verwanzt und mit Videokameras bestückt hat, um im Bedarfsfall erstklassiges Erpressungsmaterial zur Verfügung zu haben. Meinen Mann habe ich inzwischen bei Nazeem kündigen lassen, es erschien mir zu heiß. Auf jeden Fall kamen die Mädchen nicht von Escortservices, die würden das nicht mit sich anstellen lassen. Es waren ausschließlich Mädchen aus dem Osten, und sie wurden immer nur von einem Puff geordert. Übrigens ein guter Bekannter von dir, Koko.«

»Sag jetzt bloß nicht Saller.«

»Nein, das ist dem viel zu dreckig. Na, wer kommt noch infrage?«

»Hermann Honsa.«

»Richtig. Der kann dir bis heute nicht verzeihen, dass du schlecht über ihn geschrieben hast.«

»Dazu ist doch der viel zu dämlich, um so einen großen Fisch wie Nazeem al-Qatr an Land zu ziehen, den er mit seinen Nutten beliefern kann.«

»Er war es auch nicht. Dahinter steckte der Grieche alias Nikos Tsazerakis, der inzwischen auch das Zeitliche gesegnet hat.«

»Ist das Cench bekannt?«, fragt Petranko.

»Noch nicht«, verneint der Privatdetektiv, »da er von den anderen Zusammenhängen nichts weiß. Er konzentriert sich auf den Mord an dem Mädchen. Alles andere würde zu viel Staub aufwirbeln und Unruhe erzeugen.«

»Dein Mitarbeiter, Wolfram«, erkundigt Kokoschansky sich, »kann sicherlich Nazeems Villa von innen sehr gut beschreiben …«

»Sicherlich. Er hat auch einen perfekten Lageplan gezeichnet, der den Unterlagen beiliegt.«

»Kann man da hinein?« Kokoschansky möchte sich nur zu gerne selbst ein Bild machen.

»Nein, keine Chance. Auch wenn Nazeem nicht zu Hause ist. Das Haus ist wie Fort Knox abgesichert. Bewegungsmelder, Videokameras, Infrarot, das Neueste vom Neuen der Sicherheitstechnik. Er hat genug Feinde in seiner Heimat, die ihm ans Leder wollen.«»Doch zu Honsa kann ich fahren und ihn ein wenig nerven«, erwidert Kokoschansky.

»Und was willst du damit erreichen?« Petranko ist von dieser Idee nicht begeistert.

»Ihm Angst machen, Unruhe erzeugen, Öl ins Feuer gießen. Entkommen kann er uns nicht mehr. Es ist nur mehr eine Frage der Zeit, bis er fällt.«

»Warum nicht?«, bestärkt Panker den Journalisten. »Wenn Honsa unruhig wird, unterläuft ihm vielleicht ein Fehler, den wir nutzen können.«

 

*

 

»Du sein gewesen zufrieden mit mir?«, fragt die junge Bulgarin Erharter, der ziemlich matt und fertig auf dem runden Bett liegt, dabei das Mädchen beobachtet, wie sie sich vor dem Spiegel lasziv ihre langen roten Haare kämmt. Wenn er noch könnte, würde er sie am liebsten nochmals vernaschen, doch sein Limit ist erreicht.

»Und wie, Süße! Du bist wirklich eine Wucht! Wo hast du das denn alles gelernt?« Erharter richtet sich auf, sucht nach seinen Zigaretten. »Wie lange arbeitest du schon für Hermann?«

»Warum?«

»Nur so.«

»Sein das wichtig?«

»Für mich schon.«

»Ich nix sagen dürfen. Chef sehr streng. Du verstehen?«

»Möchtest du dir ein bisschen etwas dazuverdienen, wovon der Chef nichts erfährt?« Erharter kramt in seiner Hose und zückt einen Hundert-Euro-Schein.

»Was müssen tun dafür?«

»Nichts. Nur, ein bisschen die Augen und Ohren offen halten, verstehst du? Ich will wissen, mit wem der Chef spricht, wen er hier trifft.«

»Warum?«

Die Bulgarin bleibt misstrauisch, nimmt dann zögerlich das Geld und lässt es in ihrer Handtasche verschwinden.

»Ich werden sehen, was können tun.«

»Sehr brav. Und dann schreibst du dir noch meine Telefonnummer auf. Du rufst mich an, wenn du etwas erfahren hast.«

Wenige Meter weiter sitzt Honsa in seinem Büro, lauscht angespannt und portioniert sich eine Straße Koks. »Ihr Scheißbullen seid doch alle gleich«, grunzt er vor sich hin, »na schön, wenn du es so haben willst …«

 

*

 

Wahrscheinlich ist eine Papstaudienz leichter zu erlangen als eine Einladung zu den begehrten Soireen von Markus Schloimo in seinem Wiener Stadtpalais an der Ringstraße. Auch dieses Mal lässt der Hausherr sich nicht lumpen und verwöhnt seine handverlesenen Gäste mit Augen-, Ohren- und Gaumenschmaus. Kameras sind verpönt, Journalisten unerwünscht, selbst Handyfotos werden nicht geduldet. Sollte dennoch jemand unter den Gästen gegen diese eiserne Regel verstoßen, entzieht Schloimo ihm gnadenlos für immer seine Gunst. Hier trifft sich die tatsächliche Elite, die keinen Wert auf Öffentlichkeit legt, auf keinen Fall mit Kreti und Pleti in den diversen Gazetten und Societysendungen in einem Atemzug genannt werden will. Passiert es dennoch, fahren Anwälte sofort mit schweren Geschützen auf.

Das mehrgängige Dinner, zubereitet von mehreren Haubenköchen, mit Spezialitäten aus aller Welt war vorzüglich. Danach bat der Gastgeber in einen der zahlreichen Salons zu einem besonderen Kunstgenuss.

Nach den letzten Klängen der Wahnsinnsarie aus Gaetano Donizettis Lucia di Lammermoor minutenlang stehende Ovationen, Bravo- und Da-capo-Rufe für die Sängerin, die strahlend die Beifallsbekundungen entgegennimmt, immer wieder Knickse macht und Kusshändchen wirft.

Markus Schloimo löst sich mit einem riesigen Strauß exotischer Blumen aus der Zuhörerschar, küsst der Diva galant die Hand und überreicht mit überschwänglichen Dankesworten das floristische Meisterwerk.

Nachdem die Sängerin mit ihrem Pianisten in einem Nebenraum verschwunden ist, lässt auch Schloimo sich von seinen Gästen zu diesem großartigen Coup gratulieren, gönnt sich ein paar Schlucke Champagner, als ihm Adolphe Mannsbergkh-Souilly jovial die Hand auf die Schulter legt.

»Mein lieber Markus«, lobt der Adelige ihn, »du hast dich wieder einmal selbst übertroffen. Karina war wundervoll, geradezu überirdisch«, und mit einem bedeutungsvollen Lächeln raunt er ihm ins Ohr, »ich hoffe doch sehr, du kannst ihre sicherlich nicht unbeträchtliche Gage von der Steuer absetzen. Hast du ein paar Minuten Zeit für mich? Ich möchte gerne ein paar Takte mit dir sprechen.«

»Aber selbstverständlich, Adi.« Schloimo nimmt seinen Freund und jahrelangen Geschäftspartner am Arm, »am besten wir gehen in die Bibliothek hinüber. Dort sind wir ungestört.« Kurz wendet Schloimo sich an seine Gäste. »Entschuldigt uns bitte, Freunde. Aber selbst an einem solchen traumhaften Abend ruhen die Geschäfte nicht.«

Nachdem die schweren Eichenholztüren der Bibliothek geschlossen sind, gießt Schloimo französischen Cognac in zwei Schwenker, bittet Mannsbergkh-Souilly, in einem der Fauteuils Platz zu nehmen.

»Diesen Cognac sollst du ganz besonders genießen«, sagt Schloimo, »sehr zum Wohl, mein Guter.«

Der Graf nippt, lässt den Cognac kurz in seinem Mund kreisen, bevor er ihn schluckt. »Ja, wirklich von vortrefflicher Qualität. Aber lass uns doch gleich zur Sache kommen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir bald erhebliche Probleme am Hals haben werden.«

»Wieso diese trüben Gedanken?« Schloimo öffnet einen Humidor, der auf einem Tischchen steht und nimmt eine Zigarre heraus. »Möchtest du eine Santa Clara probieren? Angeblich die besten Zigarren Mexikos.« Mannsbergkh-Souilly lehnt dankend ab, während Schloimo seine Zigarre rauchfertig schneidet.

»Derzeit sorgt eine Fotoserie im Internet für helle Aufregung«, zeigt der Graf sich besorgt, »sie läuft auf YouTube mit einer ungeheuren Zugriffszahl und auf einer neuen Seite namens FNews, die anscheinend erst heute erstmals im Netz freigeschaltet worden ist.«

»Ja, ich weiß«, sagt Schloimo, dessen Gesicht hinter einer dichten Rauchwolke nur schemenhaft zu erkennen ist. »Ich habe es auch bereits gesehen. Ein Überlebender konnte dieses Mafiamassaker dokumentieren. Ich nehme an, mit einem Handy, nach einer professionellen Kamera sieht es mir nicht aus.«

»Das ist mir egal« Mannsbergkh-Souilly wirkt hektisch. »Aber in dem Kommentar war auch von Branko Daramcić die Rede. Schließlich war er kein unbeschriebenes Blatt. Nun werden alle aktiv, und das schwöre ich dir, nachdem seine Identität geklärt werden konnte, wird wieder überall herumgestochert und geschnüffelt werden. In sämtlichen Medien wird die gleiche Frage gestellt. Was hatte ein kroatischer Exgeneral mit einem `Ndrangheta-Boss zu tun? USKOK, die kroatische Antikorruptionsbehörde, und die SOA, der kroatische Inlandsgeheimdienst, haben sich bereits zu Wort gemeldet und hängen sich rein. OLAF haben wir beide schon die längste Zeit an der Backe.«

»Und was konnte das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung bisher herausfinden, geschweige denn uns ankreiden?« Schloimo bleibt weiterhin gelassen und raucht genüsslich vor sich hin. »Nichts. Ich verstehe deine Unruhe nicht, Adi. Mich interessiert vielmehr, wer dieses grauenhafte Morden in Montenegro überlebt hat, ungeschoren herausgekommen ist und diese Fotos ins Netz gestellt hat. Die Interpretation im Kommentar, als die Leiche in der schwarzen Kampfmontur zu sehen war, es handle sich möglicherweise um eine Abrechnung im internationalen Drogenbusiness, klingt glaubwürdig, zumal der Junge vor seinem Tod noch El Chapo gesagt haben soll. Joaquin Archivaldo Guzmán Loera ist ein Gemetzel dieses Ausmaßes jederzeit zuzutrauen, beantwortet aber noch lange nicht meine Fragen. Ich glaube nicht, dass ein Angehöriger der Nammoliti-Familie oder einer der Leibwächter es geschafft hat, am Leben zu bleiben. Und wenn, weshalb sollte er Fotos veröffentlichen? Damit hätte er das Schweigegelübde omertá gebrochen und wäre vogelfrei. Es würde keinen Sinn ergeben.«

»Es ist sehr eigenartig«, wirft Mannsbergkh-Souilly ein, »dass diese mysteriösen FNews in Österreich gestartet wurden. Der Beitrag ist nur mit FNews-Redaktion gezeichnet, kein Name, kein Hinweis.«

»Auch im Impressum der Seite findet sich nichts«, stimmt Schloimo mit dem Grafen überein, »außer einer Verarschung. Eine Firma namens Dummgelaufen mit der Adresse Panama City Beach FL 36704 und eine Faxnummer, die andauernd besetzt ist, zeichnet für den Webauftritt verantwortlich. Das ist getürkt, dort steht nicht der Server. Sicherlich ist der irgendwo am anderen Ende der Welt zu finden.«

»Vielleicht steckt diese Hackergruppe Anonymous dahinter?«

»Ich weiß es nicht, Adi. Zumindest haben sie offiziell dementiert, damit nichts zu tun zu haben. Auch WikiLeaks ist aus dem Rennen.«

»Oder die Fotos wurden diesen FNews zugespielt?«

»Sicherlich eine Möglichkeit, aber ich glaube es nicht. Dahinter stecken Journalisten, die etwas aufdecken wollen. Doch wie kommen Berichterstatter oder ein Reporter an Salvatore Madeo heran? Die Mafia spricht eher mit dem Teufel persönlich als mit solchen Leuten. Auch Daramcić konnte kein Interesse haben. Außer vielleicht in einem Ausnahmefall, den wir noch nicht kennen.«

»Siehst du, Markus, das meine ich doch die ganze Zeit. Verstehst du jetzt meine Bedenken?«

»Adi, wir beide sind dermaßen abgesichert.« Schloimo legt Mannsbergkh-Souilly die Hand auf dessen Arm. »Da ist alles wasserdicht. Nimm als Beispiel dich. Alle, die bisher versuchten, dir etwas anzuhängen, sind gescheitert.«

»Allerdings saß ich bereits zweimal in Untersuchungshaft.«

»Und«, lächelt Schloimo hintergründig, »hat es dir tatsächlich geschadet? Nein. Deine Reputation war nur kurzfristig angeschlagen, und die Haftentschädigung war schließlich auch nicht von Pappe, oder? Heute genießt du längst den Status des Unantastbaren.«

»Wo steckt eigentlich Tilman Hannover?«

»Auch er hat bereits diese Fotos gesehen und mich sofort angerufen. Er wird in den nächsten Tagen nach Wien kommen. Wenn es so weit ist, benachrichtige ich dich, und wir drei führen ein nettes Gespräch.«

 

»Gehst du zu Bortners Beerdigung?« Mannsbergkh-Souilly nippt an seinem Cognac.

»Wenn ich eingeladen werde, sage ich wegen beruflicher Verhinderung ab. Zu riskant. Journalisten werden bestimmt den Begräbnistermin herausfinden, und die Polizei wird sicherlich auf dem Beobachtungsposten sein, um zu sehen, wer kommt. Außerdem konnte ich Bortner nie leiden.«

»Ich habe, ehrlich gesagt, ziemliches Muffensausen, dass Midas nicht mehr lange durchhält und umkippt«, wieder greift der Graf zum Glas, »dann gute Nacht …«

»Ach«, wischt Schloimo sämtliche Bedenken vom Tisch, »der hält, weil er muss. Das Bürschchen hängt an meiner Leine. Komm, jetzt genieße noch einen Cognac, und dann mischen wir uns wieder unter die Leute. Genieße einfach den Abend, und lass mal alle viere grade sein.«

 

*

 

Kokoschansky hält das Fernglas an seine Augen. »Schön musst du nicht sein, blöd kannst du sein. Nur manchmal zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Und das sind wir, meine Herren.«

»Das glaube ich jetzt nicht.« Petranko ist völlig von der Rolle.

»Gib schon her das Ding«, fordert Panker das Fernglas, »… das ist ja wirklich der Hammer!« Ein guter Privatdetektiv ist für alle Fälle gerüstet. Rasch wirft er Kokoschansky das Glas in den Schoß, angelt sich seine Kamera mit dem Teleobjektiv und drückt pausenlos auf den Auslöser. »Die Bilder werden wir sicherlich demnächst bestens gebrauchen können.«

»Manches Mal hat der alte Koko doch die richtige Eingebung«, lobt Kokoschansky sich selbst, »wenn’s Brösel geben32 sollte, holt ihr mich raus. Sagen wir in zwanzig Minuten bin ich wieder zurück. Wenn nicht, dann kracht ihr hinein. Falls nötig auch mit Artillerie.«

Die drei Männer warten noch im Auto ab, bis der Bordellbesucher weggefahren ist. Dann steigt Kokoschansky aus und geht langsam auf den Eingang zu. Er bemerkt die Kameras beim Eingang und ist überzeugt, dass er längst ins Visier genommen wird. Er läutet, ein Summton ertönt, die Tür öffnet sich, und er tritt ein.

Es stimmt tatsächlich, die Hütte ist nicht attraktiv, aber das ist auch für die meisten Freier nicht von Bedeutung. Kokoschansky ist zum ersten Mal hier, sieht sich scheinbar gelangweilt um, lehnt sich an die Bar, winkt dem Mädel mit der ausladenden Oberweite, das offensichtliche Silikon scheint beinahe die Haut zu sprengen, bestellt sich einen Kaffee.

»Ist der Chef des Hauses zu sprechen?«, fragt er.

»Moment.« Sie greift zum Haustelefon, flüstert. »Wer sind Sie?«

»Einer, auf den er nicht gut zu sprechen ist. Sag ihm das ruhig.«

Kokoschansky zündet sich eine Zigarette an, rührt in seinem lauwarmen Kaffee, von dem kein Herzinfarkt zu erwarten ist. Die Mädchen beobachten ihn argwöhnisch und als eine versucht, auf ihn zuzugehen, um ihn anzusprechen, wird sie von ihrer Kollegin zurückgehalten. Sicherlich halten sie ihn für einen Bullen.

Plötzlich steht Hermann Honsa neben ihm.

»Was willst du?«

»Mich bedanken …«

»Was?« Mit allem hat Honsa gerechnet, aber niemals mit einer derartigen Äußerung. »Und wofür?«

»Dass ich durch dich einen weiteren Trumpf gegen meinen Feind in der Hand halte. Seit wann packelst du mit Bullen?«

»Was soll ich?«

»Der Name Erharter ist dir bestimmt nicht unbekannt. Ein suspendierter BKA-Bulle in deinem Puff, Wasser auf meine Mühlen.«

An Honsas verblüfftem Gesicht merkt Kokoschansky trotz des schummrigen Lichts, dass er den Ganoven voll erwischt hat.

»Verschwinde, du Arschloch. Du hast Lokalverbot.«

Im gleichen Augenblick legt sich eine schwere Pranke auf Kokoschanskys Schulter, und nun ist Kokoschansky an der Reihe, sich mehr als nur zu wundern.

»Begleite den Komiker hinaus«, befiehlt Honsa, »der Typ ist hier unerwünscht. Sollte er Probleme machen, dann sorgst du dafür, dass er die nächsten drei Wochen aus der Schnabeltasse trinkt.« Der eher kleinwüchsige Honsa stellt sich dicht vor den Journalisten und blickt zu ihm hoch. »Du hast doch nicht im Ernst daran gedacht, Kokoschansky, dass du mir jemals gefährlich werden kannst. Jetzt schaust du ziemlich blöd aus der Wäsche, nicht wahr? Tja, nur Loser geben sich mit Losern ab. Kaffee geht aufs Haus, und nun schleich dich.«

Kokoschansky lässt sich seine Anspannung nicht anmerken, während ihm Husky, einst Robert Sallers Leibwächter und Mann fürs Grobe, mit versteinertem Gesicht den Weg weist.

Ein paar Meter vor dem Lokaleingang bleibt der Hüne, der Kokoschansky locker um Haupteslänge überragt, stehen und hält ihn kurz zurück.

 

»He, ein Abend voller Überraschungen«, sagt Panker zu Petranko, der die Szene vom Auto aus mit dem Fernglas beobachtet, »da hat einer die Fronten gewechselt. Husky ist zu Honsa übergelaufen.«

 

»Ich bin nicht der Verräter, für den du mich hältst, Kokoschansky«, presst Husky flüsternd zwischen den Zähnen hervor. Wart’s ab.«

»Was ist mit Saller?«

»Dem geht es gut«, wispert Husky weiter, »ich gebe dir jetzt einen leichten Rempler, damit es echt aussieht. Honsa beobachtet mich sicher.« Im gleichen Atemzug erhält der Journalist einen Stoß und stolpert ein paar Schritte vorwärts, glaubt, ein Dampfhammer habe ihn gestreift. Doch das versteht Husky eben unter einem leichten Rempler.

Kokoschansky schwingt sich auf den Beifahrersitz und schlägt die Tür zu, noch immer unter den wachsamen Augen Huskys.

»Puh«, atmet Petranko tief durch, »das war wohl jetzt sehr knapp. Die Mission ist in die Hose gegangen.«

»Irrtum, meine Herren«, lacht Kokoschansky, »das Gegenteil ist der Fall. Was dahintersteckt, weiß ich noch nicht. Tatsache bleibt, Husky ist nur zum Schein Diener eines neuen Herrn und Saller hat überlebt.«

»Na, das bedeutet für Honsa warm anziehen. Sehr warm«, meint Panker, »da wird es demnächst gewaltig scheppern.«

*

 

BKA-Chef Edmund Katterka lacht aus vollem Hals, als er das Badetuch vor sich auf seinem Schreibtisch liegen sieht. Dann nimmt er den Stoff und wirft ihn gegen Erharters Brust. »Du bist tatsächlich noch dämlicher, als ich angenommen habe. Das glaube ich jetzt nicht! Schneist bei mir herein, legst mir den Fetzen her, behauptest, darauf wäre Kokoschanskys DNA, und denkst, ich falle dir um den Hals oder was? Glaubst du wirklich, ich bin auf dich angewiesen und weiß mir nicht zu helfen? Dort unten in Montenegro wird gerade alles umgekrempelt und nach allen möglichen Spuren gesucht. Sag jetzt nicht, du bist in Kokoschanskys Wohnung eingebrochen, um mir den Scheiß zu bringen.«

»Nein, sicher nicht.« Erharter lässt sich wie ein Schuljunge vom Lehrer zusammenstauchen. »Ich dachte mir …«

»Überlass das Denken denen, die auch das Hirn dazu haben! Warum nimmst du an, dass Kokoschansky damit etwas zu tun haben kann?«

»Ich habe auch meine Informanten«, bleibt Erharter trotzig wie ein kleines Kind.

»Super! Nur sie nützen dir nichts, weil du suspendiert bist. Und mich interessiert nicht, welchen Scheiß dir irgendwer erzählt hat. Komm, verschwinde aus meinem Büro und bring mich nicht noch mehr auf die Palme! Sonst verpasse ich dir auch noch Hausverbot! Und nimm das Zeug gleich wieder mit!«

Wieder zurück in seinem Auto, ringt Erharter wutschnaubend nach Luft, will es einfach nicht verstehen, dass er von allen geschnitten wird und niemand mit ihm mehr etwas zu tun haben will. Nicht einmal zu Sonja kann er jetzt fahren, da sie Kokoschanskys Balg zu Hause hat. Was will er eigentlich noch von ihr? Ist sie ihm überhaupt noch von Nutzen? Er greift zum Handy, sendet kurzentschlossen eine SMS an sie und fährt nach Hause.

Heute wird er sich so richtig besaufen. Er findet, dazu hat er allen Grund. Sich zu Hause einschließen, das Handy abdrehen, keinen Fernseher einschalten, nur die Flasche als seinem besten Freund, dem er alles anvertrauen und in Selbstmitleid versinken kann.

Erharter kurvt um den Häuserblock herum. Natürlich wieder kein Parkplatz weit und breit. Früher stellte er sein Auto, wenn gar nichts mehr ging, im Halteverbot ab. Der Aufkleber des Polizeisportvereins auf der Heckscheibe schützte hervorragend vor Strafmandaten, und war einmal ein Kollege übereifrig, ließ sich von dem dezenten Hinweis dennoch nicht abhalten, dann genügte ein Anruf in der betreffenden Dienststelle, und die Sache war erledigt. Leider klappt das seit einigen Jahren nicht mehr, nachdem die Polizei die Jagd auf Parksünder an den Magistrat der Stadt Wien abgegeben hat und eigene Organe dafür sorgen, dass Geld in die Stadtkasse fließt.

Endlich wird er in einer Seitengasse fündig und zwängt sich die Lücke. Gut drei Minuten Fußweg liegen noch vor ihm. Wütend kickt er einen Stein über die Bordsteinkante. Andauernd denkt er an seine Feinde. Um jeden Preis will er sie fertigmachen und zerstören. An Sonja verschwendet er keinen Gedanken, als hätte diese Frau für ihn nie existiert. Aus und abgehakt.

Was ist ihm geblieben? Job verloren und kaum eine Chance auf Rückkehr. Dafür ein Haufen Verfahren mit ungewissem Ausgang am Hals. Katterka denkt nicht daran, Lackner und ihn zumindest nach außen hin zu unterstützen. Das hat der Alte heute wieder unter Beweis gestellt. Auf seinen ehemaligen Partner ist kein Verlass, der will nur seinen eigenen Kopf retten. Und dann wäre noch Hermann Honsa, dem Erharter auf Gedeih und Verderben ausgeliefert ist. Er fühlt sich völlig isoliert und mit dem Rücken zur Wand stehend. Ja, eine Wohnung besitzt er noch und sein Auto.

Erharter sucht in seinen Taschen nach den Schlüsseln, sperrt das Haustor des Altbaus im 3. Bezirk auf und geht in Richtung Lift. Plötzlich erlischt das Flurlicht. Erharter hat nicht einmal Zeit, sich über den schlampigen Hausmeister zu ärgern, als ihn eine um die Beine geworfene Kette zu Boden reißt, er schwere Stiefel spürt, die auf seinen Armen stehen und ihn eine starke Taschenlampe blendet, sodass er unmöglich erkennen kann, mit welchen und vor allem mit wie vielen Leuten er es zu tun hat.

Eine Stimme mit Ostakzent flüstert dicht an seinem rechten Ohr: »Du wolltest ein Rollkommando. Jetzt sind wir hier. Schönen Gruß von Honsa.« Eine Hand stopft ihm einen Fetzen in den Mund, und von allen Seiten prasseln Schläge, Tritte und Hiebe auf den Wehrlosen ein. Binnen Sekunden wird Erharter bewusstlos und stürzt in ein endloses schwarzes Loch. Der Spuk endet so rasch, wie er begann. Niemand der übrigen Mieter bemerkt den heimtückischen Überfall.