Prolog - In der Nacht des 11. Oktober 2008
Die Fahrbahn der Passstraße im südlichen Kärnten ist staubtrocken, die Nacht klar mit guten Sichtverhältnissen. Um 2.14 Uhr früh ist kaum ein Auto auf dieser Strecke unterwegs. In einem Höllentempo braust der pechschwarze VW Phaeton mit dröhnendem Motor heran. Die Tachonadel pendelt zwischen 230 und 240 km. Der Lenker kennt diese Straße wie seine Westentasche, jedes Schlagloch und jede Bodenwelle. Die bullige, massive Luxuskarosse fliegt förmlich durch die Nacht.
Es interessiert ihn nicht, dass er bereits mehrmals vom Radar geblitzt wurde. Das ist sein Land. In Kärnten ist er der ungekrönte König. Hier geschieht nur, was er wünscht und will. Der Mann, obwohl bereits über fünfzig, bewahrte sich sein jugendliches Aussehen und Auftreten, verfügt über diesen gewissen Schlag bei Frauen, ist, sofern es sein dicht gedrängter Terminplan erlaubt, keiner Gaudi abgeneigt und trinkt auch gerne einen über den Durst, ohne die Kontrolle zu verlieren. Er gilt als knallhart, wenn er seine Interessen durchsetzen will.
In Kärnten zählt sein Wort, die Bewunderung für ihn in diesem Teil Österreichs nimmt oftmals pittoreske Dimensionen an, beinahe gottgleich, quer durch alle Bevölkerungsschichten. Dementsprechend groß sind auch die Heerscharen der Speichellecker und Kriecher, die ständig um ihn herumschwänzeln und sich in seinem Glanz sonnen. Selbstverständlich durchschaut er mit seinem messerscharfen Verstand und seiner Intelligenz diese Anbiederungen, macht gute Miene zum bösen Spiel, vermittelt jedem das Gefühl, nur für ihn da zu sein, wählt jedoch seine engstes Umfeld sehr sorgfältig aus, und in diesen inneren Kreis dringen nur jene vor, die sich bewähren und bereit sind, für ihn durchs Feuer zu gehen.
Seine schlanken, manikürten Hände umfassen mit festem Griff das lederbezogene Lenkrad. Endlich, nach mehreren Wochen, wieder ein wenig für sich allein sein zu können. Seit Jahren ist er nicht mehr Herr über seine Zeit.
Es war ein netter Abend in der kleinen Klagenfurter Bar, und er hatte gar nicht vor, so lange zu bleiben, doch die Stimmung war hervorragend und die Gäste angenehm. Keiner darunter, der etwas von ihm wollte wie sonst üblich. Sein rechter Fuß tritt das Gaspedal durch, der starke Motor heult auf. Wieder blitzt es. Er lächelt nur darüber. Niemand wird es wagen, ihm eine Strafverfügung wegen Geschwindigkeitsübertretung auf den Schreibtisch zu legen.
Rasant schneidet er die Kurve, driftet auf die Gegenfahrbahn, steuert dagegen. Die Nadel des Tachos zeigt seit Minuten nur mehr das letzte Feld jenseits der 200-km-Marke. Jetzt fordert die zunehmende Müdigkeit ihren Preis und der genossene Alkohol seinen Tribut. Nur noch wenige Kilometer, und dieser Höllenritt ist geschafft.
Plötzlich ein Knall! Einer der zwölf Airbags wurde ausgelöst. Irgendein Plastikteil trifft ihn an der Stirn, hinterlässt eine blutende Schramme. Er verreißt den Phaeton, das Auto schlingert und schleudert, bricht aus, gerät außerhalb der Straßenmarkierung auf das Bankett, steuert unaufhaltsam auf die an sich harmlose Böschung zu, die bei dieser Geschwindigkeit jedoch zum Katapult wird. Verzweifelt brüllend tritt er auf die Bremse, doch es ist zu spät. Das Auto dreht sich um die Längsachse, hebt ab wie ein Geschoss, kracht seitlich erstmals mit der Fahrerseite auf den Asphalt. Die Scheiben zerbersten, ein feiner Regen von winzigen Glassplittern ergießt sich meterweit. Ungeheure Kräfte werden frei. Nochmals wird das Fahrzeug in die Höhe katapultiert, dreht sich mehrmals in der Luft. Er ist bei vollem Bewusstsein, aber längst nicht mehr Herr der Lage.
Sein Kopf wird von einer übermächtigen Faust hin- und hergestoßen, schlägt gegen den Türholm, er blutet aus mehreren tiefen Wunden, der Sicherheitsgurt verrutscht und reißt ihm die Halsschlagader auf. Ein Blutschwall schießt aus der riesigen Verletzung, spritzt im Wageninnern herum durch die zerbrochenen Seitenfenster und die Windschutzscheibe auf die Straße. Das Auto schlittert auf dem Dach liegend, überschlägt sich mehrere Male, kollert einen Abhang hinunter, bleibt endlich seitlich liegen. Für unendlich lange Sekunden ist das Wrack in einer Wolke aus Staub und Rauch verschwunden.
Öl, Kühlflüssigkeit und Benzin rinnen aus. Der Lenker ist tot, hängt halb aus dem völlig zertrümmerten Nobelschlitten, von dem nicht mehr als ein bizarres Gebilde aus verbogenem Blech übrig geblieben ist. Später werden Gerichtsmediziner eine lange Liste von schweren und schwersten Verletzungen diagnostizieren, von denen jede einzelne tödlich gewesen ist.
Stille.
Ein erschreckter Hase hoppelt verstört über das Feld, sucht nach einem Unterschlupf.
Nur ein leichter Wind ist zu hören.
Noch ahnt niemand etwas von dem politischen Erdbeben, das dieser Tod noch Jahre danach in Österreich auslösen wird.