Gegen 10 Uhr vormittags ruft Kokoschansky in der Chefredaktion der Nachrichtensendung Zeit im Bild im ORF an und bietet die Aufklärung der Kokainaffäre rund um seine Person an. Wie nicht anders zu erwarten, wird die Story begeistert angenommen und der Journalist als Live-Studio-gast zur besten Sendezeit um 22 Uhr eingeladen.
Kokoschansky besteht darauf, dass vorher keine Ankündigungen ausgestrahlt werden. Im Gegenzug verspricht er eine Sensation. Seine ehemaligen Kollegen lassen sich auf den Deal ein und vertrauen ihm. Natürlich wird er keinen Ton über seinen Besuch im La Femme ausplaudern.
Lena ist keineswegs über Kokoschanskys geplante Reise nach Montenegro begeistert. Auch Petranko kann sich mit dieser Entscheidung nicht besonders anfreunden, doch im Grunde bleibt keine andere Wahl. Falls der Journalist es sich doch noch überlegt und zu Hause bleibt, verliert er für immer sein Gesicht und schneidet sich noch dazu für die Zukunft sämtliche Informationsflüsse ab.
Saller wird triftige Gründe haben, wenn er Kokoschansky persönlich sprechen will und nicht Kuriere zwischenschaltet. Montenegro ist ein unsicheres Land, doch der Journalist ist überzeugt, und er weiß einiges über Sallers internationale Verbindungen und dass er, sobald er montenegrinischen Boden betritt, unter ständiger Beobachtung stehen wird, was sich unter Umständen als Schutz erweisen kann.
Inzwischen ist der Mord am Griechen zum Aufmacher des Tages für die Medien geworden, wobei die drei Brandmale auf der Leiche besonders in den Vordergrund rücken. Von einem Geheimcode ist ebenso die Rede wie von Folterung, aber so recht schlau wird daraus niemand.
Alfred Cench kennt die Wahrheit, doch er deckt den Mörder.
Als Galinas Exverlobter bei ihm auspackte und die entscheidenden Hinweise lieferte, dachte er kurz daran, der junge Mann könnte vielleicht selbst ihr Mörder sein, verwarf aber sofort wieder diesen Gedanken. Warum sollte der Täter zur Polizei gehen und sich selbst in Schwierigkeiten bringen? Das passte nicht zusammen. Obwohl ein Motiv vorhanden ist. Wut, Enttäuschung, Zorn, weil Galina nicht auf ihren Verlobten hören wollte, sich von den vermeintlichen Verlockungen des Goldenen Westens verleiten ließ, lieber auf Kosta und den Griechen vertraute, deren falsche Versprechungen glaubte und Cenchs Informant seine große Liebe verlor.
Vielmehr interessiert Cench, warum eine Prostituierte aus dem ehemaligen Ostblock ausgerechnet in diesem Nobelviertel Grinzing, wenn auch in Einzelteilen, aufgefunden wird. Wurde sie dorthin bestellt, oder wurde sie hingebracht? Es existiert weder ein offizieller noch ein illegaler Puff in dieser betuchten Gegend. Nach den Untersuchungen in der Gerichtsmedizin hatte Galina vor ihrem Tod mehrfach Geschlechtsverkehr. Daher musste der Sex im privaten Bereich stattgefunden haben. Entweder in einem Auto, in einer Wohnung oder einer der zahlreichen Villen.
Cench erinnert sich an die Gerüchte, die ihm in Abständen aus dem Milieu, aber auch im BKA zu Ohren kommen, in denen die Rede von einem mysteriösen Club 50.000 ist. Bekannte österreichische Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur, Medien, Ärzte, Rechtsanwälte, Künstler, Leute aus der Werbebranche sollen sich in einem geheimen, verschwiegenen Zirkel zusammengefunden haben, um sich mit sehr jungen Mädchen und auch Kindern regelmäßig an geheimen Orten zu verlustieren. Die Zahl 50.000 soll für fünfzigtausend Euro Gebühr stehen, die zu entrichten sind. Der Proband muss zwei Bürgen, die natürlich Mitglieder sind, vorweisen können.
Mehr ist darüber bisher nicht in Erfahrung zu bringen. Selbst Cenchs beste Informanten passen, wenn sie auf diesen angeblichen Club angesprochen werden.
Für die Presse ist das Verbrechen ein gefundenes Fressen. Die einen greifen Hermann Honsa an und sind der Meinung, dass er sich nicht selbst die Hände schmutzig machen wollte, um seinen Partner loszuwerden. Andere beschwören bereits einen Unterweltkrieg herauf und vermuten einen Racheakt Robert Sallers, indem sie behaupten, dass Honsa den Kroaten an die Bullen verpfiffen hat. Der Tod des Griechen war eine eindeutige Warnung.
Petranko und Kokoschansky verfolgen aufmerksam die Berichte. Für sie ist durchaus vorstellbar, dass Saller seine Finger im Spiel hatte. Aber die drei Brandmale sind ihnen ein Rätsel.
»Wenn Saller tatsächlich dahintersteckt«, meint Kokoschansky, »dann muss es sich um ein Geheimzeichen handeln, das nur Insider verstehen. Vielleicht sind damit drei Opfer gemeint? Das erste war der Grieche, Nummer zwei wird Honsa sein, aber wer geht als Dritter drauf?«
»Du kannst ja Saller in Montenegro fragen«, erwidert Petranko gelassen, »irgendwie lässt mich das Gefühl nicht los, oben am Hang hängt eine gewaltige Lawine und donnert demnächst ins Tal.«
»Ich widerspreche dir nicht, Thomas«, stimmt Kokoschansky nachdenklich zu, »es gibt Zusammenhänge. Du kennst mich lange genug und weißt, dass mein Riecher nicht der schlechteste ist. Zuerst haut Saller ab, dann schieben sie mir den Koks unter; eine zerstückelte, russische Hure wird gefunden, ich soll nach Montenegro. Ein bisschen viel auf einmal, zu viel. Der einzige Scheißzufall war, dass ich genau an dem Tag im Krankenhaus war, als Saller sich zur Flucht entschloss.«
»Wann wirst du fahren?«, fragt Lena leise.
»Heute Abend lassen wir im Fernsehen die beiden BKA-Holzköpfe hochgehen, und morgen bin ich bei Sallers Anwalt. Ich denke, dass ich übermorgen im Flieger sitzen werde.«
»Und wie lange hast du vor zu bleiben?«
»Ich weiß es nicht, mein Schatz. Nur so lange wie unbedingt nötig. Keine Sekunde länger.«
Lena nickt nur und verlässt das Zimmer. Niemand soll ihre feuchten Augen sehen. Nach ein paar Sekunden des Schweigens schlägt Petranko sich auf die Oberschenkel und steht auf. »Und ich werde mich jetzt ebenfalls dünnmachen. Schließlich bin ich euch lange genug auf die Nerven gegangen. Hau dich ein wenig aufs Ohr, damit du frisch aus dem Kasten schaust.« Petranko gähnt. »Im Studio brauchst du mich nicht als Kindermädchen. Ich fahre jetzt heim, lasse schuldbewusst das Donnerwetter meiner Frau über mich ergehen, und dann bin ich auch in der Falle. Aber ich werde rechtzeitig aufwachen, um deinen Auftritt nicht zu verpassen. Viel Glück.«
»Danke.« Kokoschansky drückt seinem Freund die Hand und fügt gleichzeitig schadenfroh hinzu: »Wenn nötig, schreibe ich dir gerne eine Entschuldigung für zu Hause.«
*
Der Pinsel der Maskenbildnerin kitzelt etwas um Kokoschanskys Nase, die Frau trägt ihm reichlich Puder auf, um ihn kameratauglich herzurichten. In der Tasche vor ihm auf dem Schminktisch ist das corpus delicti, das Kokainpäckchen, verwahrt, das er, bevor er ins ORF-Zentrum auf den Küniglberg im 13. Bezirk gefahren ist, von Mitnick abgeholt hatte. In seiner Jacke steckt eine Kopie der DNA-Analyse und in einem Plastiktütchen Erharters Kaffeelöffel aus der BKA-Kantine. Wenn kein Sendeausfall passiert, wird in wenigen Minuten einigen Leuten in Österreich mehr als mulmig zumute sein.
Lena sitzt hinter Kokoschansky in der Maske und beobachtet ihn im Spiegel. Noch ein bisschen Abtupfen und fertig. Nach langen Überlegungen kamen sie beide überein, einen weiteren Coup doch nicht live im Studio durchzuziehen. Lena wollte erklären, sie beabsichtige zu kündigen, wenn derartige Methoden angewandt werden, um jemanden mundtot zu machen. Es war Petranko, der dringend vor diesem Schritt an die Öffentlichkeit abriet. Noch ist sie Angehörige der Polizei, untersteht dem Beamtendienstrecht und verfügt über keine Interviewgenehmigung durch die Pressestelle. Das käme beruflichem Selbstmord gleich, und ein Disziplinarverfahren mit allen nur erdenklichen Konsequenzen wäre unvermeidbar. Daher soll Lena sich im Hintergrund halten, und Kokoschansky kann im Interview durchaus anklingen lassen, dass ein derartiger Schritt in Erwägung gezogen wird.
»Herr Kokoschansky, kommen Sie bitte.« Eine Redakteurin führt beide in den Newsroom, wo Achim Fuchs, der Moderator der Sendung, ihn bereits sendefertig erwartet. Lena wird in einen Nebenraum gebeten, wo sie über Monitore das Geschehen mitverfolgen kann.
»Servus, Kollege«, begrüßt Fuchs Kokoschansky. »Das hätte ich mir auch nie gedacht, dich einmal als Studiogast zu bekommen. Ein Vorgespräch können wir uns sparen, du bist lange genug dabei und weißt, wie der Hase läuft.« Ein Tonassistent verkabelt Kokoschansky.
»Tja, wie eben das Leben so spielt«, lächelt Kokoschansky.
»Dir brauche ich die Spielregeln nicht zu erklären. Kamera zwei und drei sind dann für dich. Deine Tasche kannst du hier abstellen.«
»Die nehme ich mit. Da ist meine Bombe drin.«
»Verstehe«, grinst Fuchs breit. »Gut. Komm, nehmen wir Platz. Du bist der Aufmacher.«
»Noch zehn Sekunden«, ertönt die Stimme des Regisseurs über Lautsprecher aus dem Regieraum. Ein Regieassistent gibt Fingerzeichen. Drei, zwei, eins und die Signation der Zeit im Bild-Ausgabe um 22 Uhr wird eingespielt.
»Guten Abend, meine Damen und Herren«, Achim Fuchs ist auf Sendung, »ein sehr turbulenter Tag neigt sich fast seinem Ende zu. Für die Polizei, insbesondere das Bundeskriminalamt, könnte dieser Abend schwerwiegende Folgen haben. Weshalb? Dazu wird in Kürze der bekannte Journalist Heinz Kokoschansky Stellung nehmen.« Kamera zwei fährt auf Kokoschansky zu, der zur Begrüßung kurz nickt, danach rückt der Moderator wieder ins Bild.
*
BKA-Chef Edmund Katterka hält sich noch in seinem Büro auf, der Fernseher läuft. Als er den Namen Heinz Kokoschansky hört und den Journalisten kurz auf dem Bildschirm sieht, fühlt er sich auf seinem Sessel wie auf dem elektrischen Stuhl. Sofort greift er zum Handy und verständigt Lackner, der wiederum seinen Kollegen Erharter zu erreichen versucht.
*
»… sorgte bereits die Flucht von Unterweltboss Robert Saller«, berichtet Achim Fuchs, »aus einem Wiener Krankenhaus vor wenigen Tagen für Negativschlagzeilen, scheint die Pechsträhne der Polizei nicht abzureißen. Saller ist wie vom Erdboden verschluckt, und es gibt keinerlei ernst zu nehmende Hinweise für seinen momentanen Aufenthaltsort. Hinzu kommt der unaufgeklärte Tod einer Prostituierten, wobei Mord nicht ausgeschlossen werden kann. Immerhin wurde ihre Leiche zerstückelt, der Kopf fehlt noch immer.
Heute Nacht wurde auf einem Parkplatz vor einem Bordell die Wiener Unterweltgröße Nikos Tsazerakis, im Rotlichtmilieu bekannt als der Grieche, erschossen. Zuerst geriet sein Partner Honsa, der mit Tsazerakis gemeinsam das Etablissement führte, unter dringenden Tatverdacht, doch er konnte ein hieb- und stichfestes Alibi vorweisen. Ob Robert Saller mit dem Mord in Verbindung steht, ist derzeit unklar.
In allen drei Fällen tappt die Polizei momentan völlig im Dunkeln. Zu guter Letzt wurde, zumindest lautet so die Behauptung, einem bekannten österreichischen Journalisten in dessen Privatwohnung durch BKA-Beamte versucht, Kokain unterzuschieben. Ein schwerwiegender Vorwurf. Eine schwere Anschuldigung. Wir berichteten bereits darüber.
Natürlich wollten wir sowohl von der Innenministerin wie auch vom Wiener Polizeipräsidenten und dem BKA-Chef Edmund Katterka zu dieser Affäre und den anderen Fällen Stellungnahmen einholen, aber die Herrschaften standen für die Zeit im Bild nicht zur Verfügung. Doch der unmittelbar Betroffene sitzt nun neben mir. Guten Abend, Heinz Kokoschansky.«
Die Kameras zeigen beide in der Totalen.
»Guten Abend.«
»Herr Kokoschansky, haben Sie eine Erklärung, warum Sie derzeit so sehr im Visier des BKA stehen?«
»Ich nehme an, es hat mit einem gewissen Naheverhältnis zu Robert Saller zu tun.«
Der erfahrene Moderator hört augenblicklich die feine Nuance in Kokoschanskys Antwort heraus und hakt sofort nach. Natürlich gibt es unter Journalisten eine gewisse Form von Solidarität, doch jetzt geht es nur um eine brandheiße Story, die sich Fuchs nicht entgehen lassen kann.
»Sie sagten, einem Naheverhältnis, aber meinten Sie nicht, mein Naheverhältnis zu diesem Unterweltboss.«
»Sie haben schon richtig gehört, Herr Fuchs«, auch Kokoschansky ist viel zu abgebrüht, um sich dadurch verunsichern zu lassen. »Ich beziehe diese Kokaingeschichte auf ein Naheverhältnis zu Saller. Die Betonung liegt auf ein. Engere Naheverhältnisse zur Szene überlasse ich gerne einigen hochrangigen Kriminalbeamten und wohin das letztendlich führen kann, beweist der Fall jenes Kriminalisten, der sich auf der Hochzeit einer Milieugröße fotografieren ließ.« Der erste Giftpfeil ist abgeschossen.
»Gut«, gibt Fuchs sich vorerst geschlagen, »Tatsache bleibt, dieses Verhältnis bestand oder ist vielleicht noch immer existent …«
»Wenn Sie nun annehmen«, fällt Kokoschansky ihm ins Wort und nimmt ihm gleichzeitig den Wind aus den Segeln, »ich wüsste, wo Saller sich aufhält, muss ich Sie enttäuschen. Er und ich haben nur beruflich zusammengearbeitet, indem er mir aus seiner Sicht manche Dinge, die ihn betreffen, darstellte und ich es journalistisch verarbeitet habe. Ich bin nicht sein Richter. Er hat niemals versucht, mich zu kaufen oder anderweitig zu manipulieren und auf seine Seite zu ziehen. Das wäre nicht gelungen.«
»Weshalb nahm das BKA bei Ihnen eine Hausdurchsuchung vor, bei der Sie vor laufender Kamera schwere Anschuldigungen vom Stapel ließen? Wir haben dazu eine kleine Zuspielung vorbereitet.«
Nach dem Beitrag fährt der Moderator fort. »Herr Kokoschansky, Sie haben in diesem Bericht schwere Geschütze aufgefahren. Können Sie auch den Beweis antreten?«
Kokoschansky greift unter den Tisch, holt seine Tasche hervor. Eine Kamera fährt groß auf sie zu. Er öffnet sie, zieht das Kokainpäckchen heraus.
Im Regieraum ist die Spannung zum Greifen. Leise gibt der Regisseur über sein Mikroboard die Anweisungen an die Kameraleute weiter. »Umschnitt, Kamera eins auf Achim. Sofort Schwenk auf Kokoschansky, Gesicht in Großaufnahme. Umschnitt auf Halbtotale, ich will beide sehen.«
Achim Fuchs ist selten während einer Live-Sendung aus der Ruhe zu bringen, und als langjähriger, erfahrener Nachrichtenmann lässt er sich nichts anmerken.
»Sie behaupten nun, dass es jenes Kokain ist, das Ihnen die BKA-Beamten Lackner und Erharter auf der Toilette in Ihrer Wohnung untergejubelt haben sollen.«
»Der Reihe nach«, Kokoschansky bleibt ruhig und sachlich. »Es ist keine Behauptung, es ist eine Tatsache und die Wahrheit. Ob Lackner von diesem ungeheuerlichen Vorgang wusste, weiß ich nicht, aber ich nehme es an, da meinen Recherchen nach die beiden Herren sehr eng zusammenarbeiten. Bevor die Hausdurchsuchung stattfand, versuchten die Herren Lackner und Erharter, mich und meine Lebensgefährtin Lena Fautner, im Übrigen eine Polizistin, was aber inzwischen durch die Berichterstattung hinlänglich bekannt ist, unter Druck zu setzen.«
»Warum?«
»Es wollte nicht in ihre Köpfe, dass es eben sonderbare Zufälle im Leben gibt und ich mich am Tage von Sallers Flucht mich ebenfalls im SMZ Ost aufhielt, als er eingeliefert worden war, weil ich selbst ein kleines gesundheitliches Problem hatte.«
»Da wussten Sie bereits, dass Saller ebenfalls im Gebäude war.«
»Nein.«
»Dann müssen Sie einen Tipp bekommen haben.«
»Herr Fuchs, wir beide wissen, in unserem Geschäft muss man sehr gut vernetzt sein, um an Informationen zu kommen.«
»Somit hatten Sie einen Informanten.«
»Das fällt unter Redaktionsgeheimnis und Informantenschutz. Beides kennen Sie bestens, Herr Fuchs.«
Der Moderator gibt sich mit dieser Aussage zufrieden. »Erharter und Lackner nahmen Ihnen das nicht ab, glaubten oder denken noch immer, Sie waren über Sallers Fluchtpläne informiert.«
»Was die beiden Herren meinen, denken oder glauben, ist mir vollkommen egal. Fakt bleibt, Erharter benutzte meine Toilette, deponierte das Kokain, aber leider äußerst unprofessionell. Daher kam ich ihm rasch auf die Schliche.«
»Schön, jetzt liegt hier erstmals echtes Kokain auf dem Moderatorentisch im Studio. Ist das alles, was Sie im Köcher haben, Herr Kokoschansky?«
Der Journalist bleibt nur kurz die Antwort schuldig, langt abermals in seine Tasche und holt den Kaffeelöffel im Plastiktütchen hervor. »Dieser Löffel stammt aus der Kantine des BKA und wurde von Erharter benutzt. Und hier«, er zieht bewusst langsam das wichtige Schreiben aus seiner Jacke, das ihn von jeglichem Verdacht reinwäscht, und genießt seinen Triumph, »… hier habe ich die Analyse, die eindeutig beweist, dass sowohl die DNA-Spuren auf dem Kaffeelöffel, dem Kokainpäckchen, dem Klebeband, womit die Droge befestigt war, und der Abdeckung meiner Toilettenspülung eindeutig dem BKA-Beamten Erharter mit achtundneunzig Prozent Sicherheit zuzuordnen sind.«
»Handkamera auf den Wisch, Zufahrt und Totale«, spricht der Regisseur hektisch seine Anweisungen ins Mikro, »das ist Wahnsinn! Super!« Kokoschansky weiß, wie Fernsehen funktioniert, sofort hält er selbst das Beweisstück in die Kamera.
»Ihre weiteren Schritte?«
»Eine saftige Klage ist sicher, und ich werde natürlich nicht lockerlassen und denke, es wird mir gelingen herauszufinden, welchen Sinn diese Aktion haben sollte.«
Ein Redakteur reicht, unbemerkt von den Kameras, dem Moderator einen Zettel, der einen kurzen Blick darauf wirft. Kokoschansky versucht, ebenfalls etwas abzulesen, doch auf die Entfernung reicht seine Sehschärfe nicht mehr aus.
»Abschließend wäre noch zu sagen, dass wir selbstverständlich auch versuchten, die Beamten Lackner und den direkt Beschuldigten Erharter ins Studio zu bekommen. Doch die Herren erhielten keine Interviewgenehmigung. Selbstverständlich gilt für beide die Unschuldsvermutung. Danke für das Gespräch.« Achim Fuchs wendet sich wieder der Moderatorenkamera und der Autocue zu. »Wie bereits am Beginn der Sendung erwähnt, ist es ein ereignisreicher Tag. Soeben erhalte ich die Meldung, dass der bekannte Oberstaatsanwalt Lukas Bortner in seiner Jagdhütte am Erlaufsee in Niederösterreich erschossen aufgefunden wurde. Ob Fremdverschulden oder Selbstmord vorliegt, wird zurzeit überprüft.«
Nach der Sendung packt Fuchs seine Moderationsunterlagen zusammen und zieht Kokoschansky beiseite.
»War ein tolles Gespräch, Koko. Es ist ziemlich viel passiert in den letzten Stunden.« Achim Fuchs ist ebenso erfahren wie Kokoschansky und zieht seine eigenen Schlüsse daraus. »Eigentlich zu viel für mein Empfinden. Zwar wollte ich dich auf Sendung fragen, habe es dann doch unterlassen.«
»Was?«
»Mit Bortner haben wir inzwischen drei Leichen. Jeder Todesfall mysteriöser als der andere und so weiter und so fort. Glaubst du an Zufälle? Ich nicht. Da gibt es Zusammenhänge.«
»Welche Antwort erwartest du jetzt von mir?«
Achim Fuchs sieht Kokoschansky durchdringend aus seinen stahlblauen Augen an. »Ich bin mir sicher, dass du mehr weißt und du heute nur die erste Kugel abgefeuert hast.«
»Ich verzieh mich, Achim«, blockt Kokoschansky ab, »ich bin hundemüde.«
*
Die Ministerin muss ein privates Essen abbrechen und eilt sofort zurück in ihr Büro. Ihr Pressesprecher informierte sie per Handy über die Sendung. Nicht anders erging es ihrer Kollegin, der Justizministerin. Sie stört eine SMS in ihrer Loge in der Staatsoper, gerade als Nessun dorma, die Arie des Prinzen Kalaf im dritten Akt von Puccinis Turandot, begonnen hat, und informiert sie über den plötzlichen Tod des Oberstaatsanwaltes wie auch über Kokoschanskys Auftritt im Fernsehen.
BKA-Chef Edmund Katterka tobt und brüllt in seinem Büro. Wenn er so könnte, wie er möchte, würde er seine beiden Mitarbeiter Lackner und Erharter auf der Stelle persönlich erschießen. Seit wenigen Minuten stehen die beiden in seinem Büro und müssen eine Schimpfkanonade nach der anderen über sich ergehen lassen.
»Was seid ihr doch für hirnverbrannte Idioten!«, schnauzt der BKA-Chef sie erneut an, »Habt ihr alles vergessen, was ihr jemals in diesem Beruf gelernt habt?«
»Wer rechnet denn damit«, versucht Erharter sich zu wehren, »dass Kokoschansky auf seinem Häusl die verdammte Spülung kontrolliert? Ich stand unter totalem Stress, musste blitzartig das Kokain auf dem Deckel ankleben, wieder alles so herrichten, dass es nicht auffällt.«
»Es ist ihm aber aufgefallen, du Fetzenschädel«, beleidigt Katterka seinen Mitarbeiter weiter, »danach die verpatzte Hausdurchsuchung, wo ihr euch von Kokoschansky zu Deppen der Nation machen lasst. Und wie, bitte schön, kommt dieser verdammte Kantinenlöffel ins Fernsehen? Über uns lacht ganz Österreich und die halbe Welt dazu!«
»Da kann nur der alte Petranko dahinterstecken«, versucht Lackner, sich herauszuwinden.
»Was hat der mit der Sache zu tun?«, will der BKA-Chef wissen.
»Er war in der Kantine.«
»Na und?«
»Es ist schon sehr komisch«, probiert nun wieder Erharter, zumindest halbwegs den Schwarzen Peter von sich zu schieben, »dass Petranko aus heiterem Himmel in der Kantine auftaucht, Hof hält und plötzlich ist mein Löffel in seinem Besitz.«
»Kannst du das beweisen?« Schwer atmend lässt Katterka sich in einen Stuhl fallen und gibt sich gleich selbst die Antwort: »Nein, das kannst du nicht. Wieso hast du überhaupt gewusst, dass er im Haus ist?«
»Ein Kollege hat uns informiert«, gibt Lackner Schützenhilfe, »somit stecken Kokoschansky und Petranko noch immer unter einer Decke.«
»Und? Ist das verboten?« Katterka lässt sich auf keine weiteren Diskussionen ein, »Ihr seid ab sofort suspendiert. Eure Dienstwaffen und eure Ausweise. Da kommt jetzt einiges auf euch zu, angefangen bei einem Disziplinarverfahren, das sich gewaschen hat. Ich kann für euch nichts mehr tun.«
»Was?« Sowohl Lackner wie auch Erharter drohen die Augen aus den Köpfen zu fallen. »Du lässt uns im Regen stehen? Es war doch deine Idee, Kokoschansky hereinzulegen.«
»Sei vorsichtig, was du sagst«, Katterka erhebt sich aus seinem Stuhl, und seine Stimme ist plötzlich leise und drohend, »überlege dir genau, was du von dir gibst. Ich weiß von nichts, ich habe damit nichts zu tun. Es war ein Alleingang von euch ohne Deckung durch mich. Ich habe keine Ahnung, welche Ressentiments ihr gegen Kokoschansky hegt. Das ist eure Sache. Ich werde und kann alles abstreiten. Und jetzt raus aus meinem Büro, ich will euch nicht mehr sehen!«
Lackner und Erharter droht der Boden unter den Füßen wegzubrechen, sie meinen, in ein schwarzes Loch zu fallen.
»Jetzt müssen wir zusammenhalten«, sagt Erharter leise zu seinem Kollegen, als sie wieder draußen im Flur sind, »wir dürfen uns jetzt nicht unterkriegen lassen.«
Abrupt bleibt Lackner stehen, wendet sich Erharter zu, so dicht, dass ihre Nasenspitzen sich beinahe berühren.
»Wir? Du hast die Scheiße ausgelöst, also wirst du auch dafür geradestehen. Durch dich habe ich jetzt dankenswerterweise genug mit mir selbst zu tun.« Er dreht sich um, lässt Erharter stehen und geht seiner Wege.
Im Büro sitzt Katterka hinter seinem Schreibtisch.
»Petranko hängt also auch mit drin«, murmelt er vor sich hin, »der Alte kann einfach keine Ruhe geben, doch den kaufe ich mir zusammen mit diesem verfluchten Kokoschansky.«
Dann macht der BKA-Chef sich auf, um seiner Ministerin Bericht zu erstatten, weil ihr Pressesprecher bereits dreimal telefonisch urgiert hat, wo er denn verdammt noch mal so lange bleibe?
Parteisekretär Sigmund Sauslinger und sein Intimus Gilbert Ährenbach lassen in einer Wiener Innenstadtbar eine Flasche Champagner auffahren, nachdem sie erfahren haben, dass Bortner nicht mehr lebt, während Kurt-Friedrich Midas ahnungslos schläft.