Früher war alles besser

Beim Fegen des Kinderzimmers und Aufsammeln der unzähligen Spielzeugteile – den ganzen zerstreuten Barbies und Kens mit herausgedrehten Händen und Füßen, den Gummidrachen mit abgekauten Schwänzen und dem kopflosen Spiderman – denke ich oft darüber nach, was dieser bunte, immer größer werdende Haufen eigentlich soll. Er soll doch wohl den Kindern ein Modell der großen Welt in ihrer ganzen Vielfalt bieten, damit sie spielerisch diese Welt kennen lernen und schneller und besser erwachsen werden. In Wirklichkeit aber hält dieser Haufen die Kinder vom Erwachsenwerden nur ab. Sie müssen erst einmal mit diesem ganzen Zeug fertig werden, und das ist weiß Gott nicht leicht.

Wir hatten dieses Problem nicht. Mein früherer Spielkamerad aus der Wohnung gegenüber, Andrej, und ich hatten nicht viel Zeug zum Spielen. Außer ein paar original russischen Plüschtieren besaßen wir nur drei Bauklötze. Damit konnten wir aber die unterschiedlichsten Dinge anstellen. Zum Beispiel spielten wir gerne Lebensmittelgeschäft: Der Verkäufer war ein Klotz, der Käufer war ein Klotz, und die Ware war auch ein Klotz. Es funktionierte gut, und wirkte absolut authentisch und realitätsnah. Heute braucht meine Tochter für dasselbe Spiel eine piepsende Minikasse und ganz viel Wechselgeld, vom teuren Personal ganz zu schweigen.

Unsere zwei sozialistischen Figuren – der Klotz-Verkäufer und der Klotz-Käufer – hatten sich ständig gestritten, meistens wegen der Preise: Der eine wollte immer billig verkaufen und der andere möglichst teuer einkaufen. Also warfen sie die Ware hin und her, bis sie hinter dem Sofa landete und auf geheimnisvolle Weise verschwunden blieb. Das hat aber Andrej und mich keine Sekunde lang traurig gemacht. Mit den restlichen zwei Klötzen spielten wir weiter, den Zweiten Weltkrieg beispielsweise. Ein Klotz war der Faschist, ein anderer der Rotarmist, der Letztere gewann jede Schlacht. Der Naziklotz flog nur so durch die Wohnung, einmal fiel er vom Balkon. Wir haben ihn gesucht, aber nicht sehr lange.

Wenn mein Sohn heute Lust auf Kriegsspiele hat, geht er in seine Waffenkammer. Bis er alle seine Schilder, Helme, Schwerter und Wasserpistolen zusammenhat, ist Moskau längst vom Feind besetzt. Sebastian ist trotzdem davon überzeugt, dass man für jeden Gegner eine spezielle Waffe braucht, das heißt dass man einen roten Drachen nur mit einem weißen Schwert besiegen kann und Spiderman stets vom Hubschrauber aus erledigt werden muss. Diese ewige Suche nach dem jeweils passenden Kriegsgerät zermürbt seinen Kampfgeist.

Wir haben damals nach dem endgültigen Verlust unseres Naziklotzes mit dem letzten übrig gebliebenen Krankenhaus gespielt. Andrej und ich waren die Ärzte, der verspielte Hund der Nachbarin war der Patient, und der Klotz war die heilende Tablette gegen alles. Der Hund wollte sich jedoch nicht freiwillig heilen lassen. Wir versuchten es zuerst mit Gewalt, wickelten dann aber, wie kluge Ärzte es immer tun, die Pille in eine Wurstpelle. Der blöde Hund verschlang den Klotz und wurde sofort kerngesund. Wir dagegen hatten nun gar kein Spielzeug mehr und wurden prompt erwachsen. Wenn meine Kinder heute Krankenhaus spielen, dann haben sie für jeden Patienten eine eigene Spritze – eine für die Katze Marfa, eine blaue und eine rosa für ihre Eltern und eine ganz große für den Opa, weil der sonst überhaupt nicht reagiert.