Playmobil

Zuerst war es nur ein kleiner Polizist. Damals, vor sieben Jahren, zogen meine Nachbarn weg, sie schleppten den ganzen Tag schwere Kartons die Treppen herunter und hinterließen allerlei Sachen, für die sie keine Verwendung mehr hatten, in der Hoffnung, dass ein anderer sie vielleicht brauchen könnte. Frau Palast aus dem dritten Stock bekam einen alten Sessel, eine Stehlampe und mehrere Kerzenständer. Ich hatte das plötzliche Gefühl, etwas Wichtiges verpasst zu haben, und nahm einen Playmobil-Polizisten aus der Kiste mit nach Hause, als Andenken an die Nachbarn, die ich kaum gekannt hatte. Damals wusste ich noch nicht, dass diese Figuren sich vermehren können. Der Polizist stand auf dem Fensterbrett in der Küche und beobachtete mich ständig mit seinen Polizeiaugen, die niemals zwinkerten.

Als ich heiratete und zweifacher Vater wurde, suchten meine Frau und ich nach einer Traumwohnung.

Wir zogen fünfmal um, bis wir die richtige fanden. In dieser Wohnung gab es für alle und alles Platz: egal, ob für Kleinkinder, die Verstecken spielten, zahme Haustiere oder wilde Verwandte aus Russland, die nur auf dem Boden mit dem Kopf nach Norden schlafen wollten. In unserer Traumwohnung kamen alle auf ihre Kosten. Bis die Playmobil-Invasion kam. Meine Kinder spielten mit dem Polizisten und fragten mich, ob es noch weitere davon gäbe. Also gingen wir zusammen in einen Spielzeugladen, um für ihn einen Bruder beziehungsweise eine Schwester zu kaufen. Seitdem ist unsere Wohnung nicht mehr wiederzuerkennen. Die ursprüngliche Teilung in Arbeits-, Gäste- und Kinderzimmer funktioniert nicht mehr, weil die verschiedenen Playmobil-Serien gleichmäßig über die gesamte Wohnfläche verteilt sind.

Im Arbeitszimmer zum Beispiel residiert der Königliche Hof; da darf überhaupt keiner mehr rein. Im Kinderzimmer hat sich die Autobahn- und Tierfarm-Serie etabliert. Zurzeit baut meine Tochter in dem so genannten Gästezimmer die neue Serie »Weihnachtskrippe« auf, die sie zu Weihnachten geschenkt bekommen hat. Diese Serie besteht inzwischen aus einem alten Mann, einer Wiege, einem Säugling, einem Esel, drei Schafen, einem Polizisten und einer Krankenschwester. Nicole hat dazu ihre eigene Version des weihnachtlichen Geschehens entwickelt: Sie hält den alten Mann für Gott und einen allein erziehenden Vater, wobei die anderen Figuren ihn unterstützen. Ich persönlich glaube, dass der Polizist und die Krankenschwester sich verirrt haben und eigentlich zu einer anderen Serie gehören. Aber inzwischen sind sie aus der Weihnachtskrippe nicht mehr wegzudenken.

Mein Sohn Sebastian mag dagegen nur bewaffnete Playmobil-Figuren, das heißt Piraten, Ritter und Wikinger. Davon hat er eine ganze Armee im ehemaligen Schlafzimmer stationiert. Seine Armee ist sehr mobil – sie kann die Kaserne schnell verlassen und überall auftauchen, wo sie gebraucht wird. Ich habe Sebastians Truppen schon im Badezimmer gesehen, mit dem Auftrag, unsere Marfa auf dem Katzenklo einzukesseln.

Manchmal nimmt Nicole die Dienste von Sebastians Armee in Anspruch. Wenn der allein erziehende Vater nach vorne kippt, was oft passiert, weil sein Bart vom Hersteller falsch proportioniert wurde und zu schwer ist, dann ruft Nicole ihren Bruder: »Sebastian, Gott ist krank!«

»Ich komme sofort!«, ruft Sebastian zurück, und innerhalb von zehn Minuten wird das Gästezimmer von seiner Armee besetzt. Sebastian hilft dem Alten auf die Beine und schwört Rache. »Wer hat das gemacht?«, fragt er.

»Die Krankenschwester hat ihn geschubst«, erklärt Nicole.

Sebastian startet sofort eine Offensive gegen die Krankenschwester, sie wird mit aller Härte niedergemetzelt und sogar mit Motorrädern aus der Luft bombardiert. Danach zieht sich die Armee wieder ins Schlafzimmer zurück.

Ich versuche tagsüber, die Küche nicht zu verlassen. Nur dort kann man in Ruhe rauchen und lesen. Außerdem kann man kaum mehr einen Schritt durch die Wohnung wagen, ohne irgendein Playmobil-Leben zu zerstören. Erst abends, wenn die Kinder schlafen gehen, nimmt meine Frau einen Besen und fegt alle Playmobil-Figuren zu einem großen Haufen zusammen. Dann kann man die ganze Nacht durch die Wohnung laufen.