Vaters Geburtstag

Langsam, aber unausweichlich steuerte mein Vater auf seinen siebzigsten Geburtstag zu. Wie zu jedem Jahrestag wurde er drei Wochen vorher depressiv und wollte nicht feiern. Wir quälten uns mit der Frage, was wir ihm diesmal schenken sollten, damit sich seine Stimmung wieder hob. Sonst hatte er jedes Jahr eine Flasche Irgendwas von uns geschenkt bekommen. Dabei konnten wir sicher sein, dass unser Geschenk das Geburtstagskind erreichte: ob Whiskey, Wodka oder guter Wein, er bedankte sich und trank alles aus. Seine Laune wurde davon jedoch nicht besser.

Dieses Jahr wollten wir ihm deswegen etwas anderes, etwas Besonderes schenken. »Vielleicht einen Korkenzieher?«, schlug meine Frau vor. Auf der Suche nach dem richtigen Geschenk besuchten wir einen Edelramschladen in der Oranienburger Straße, der voller lustiger Sachen war. Allerdings wusste ich nicht so recht, ob ein springender Plastikpenis meinem Vater noch Freude bereiten würde. Auch die sprechende Fußmatte und das Kartoffelgewehr beeindruckten uns nicht richtig. Ich hatte vorher noch eine Lesung in Italien und dachte, vielleicht werde ich dort ein originelles Geschenk für meinen Vater finden. Ich rief ihn von dort aus an.

»Hallo, Papa, ich bin in Florenz!«

»Schön für dich.«

»Soll ich dir irgendetwas mitbringen?«

»Ja.«

»Und was?«

»Einen Kugelschreiber.«

Das war sein Standard-Geburtstagswunsch, der nichts als eine Provokation war. Mit leeren Händen flog ich zurück nach Berlin. Der Termin rückte immer näher, und wir waren immer noch ratlos. Also gingen wir zu einem russischen Lebensmittelladen, um dort eine große Flasche Wodka zu kaufen. Immerhin besser als nichts! Dort hing an der Wand ein Werbeplakat:

»Die Schönheit rettet die Welt! Achtung, Männer! Neu auf dem Markt! Die ultimative Männercreme ›Gebrüder Klitschko‹ hilft gegen Stress und Depressionen. Sie bekommen eine ganz neue Haut und können wieder lachen!« Das klang sehr verlockend und schien genau das Richtige für meinen Vater zu sein.

Warum eigentlich nicht?, dachte ich und kaufte die Dose. Zu Hause las ich aufmerksam die Beschreibung: »Unglaublich zart und dramatisch feucht«, stand dort. Die wichtigste Komponente von »Gebrüder Klitschko« sei eine natürliche Pflanze aus Asien, die für eine sofortige Wirkung sorge. Die Pflanzenteile führten dem Organismus wichtige Wirkstoffe zu, die für gute Laune rund um die Uhr sorgten. Die Haut würde dabei immer praller, sie spanne sich und werde von innen gestrafft. Und das war noch nicht alles! Am Ende würde jeder eine nagelneue und gut riechende Haut bekommen. Ein tolles Geschenk, dachte ich.

Am Tag des Geburtstags wickelten wir die Dose »Gebrüder Klitschko« in Geschenkpapier und nahmen zusätzlich die große Flasche Wodka mit, für den Fall, dass mein Vater sich weigern würde, die Creme zu benutzen. Der Abend verlief relativ ruhig, mein Vater tat so, als würde er sich für Geschenke gar nicht interessieren. Irgendwann verabschiedeten wir uns. Um Mitternacht rief meine Mutter bei uns an und berichtete, mit dem Vater stimme etwas nicht. Nachdem wir gegangen waren, hatte er sofort die Packung geöffnet und sich gut die Hälfte der Dose ins Gesicht geschmiert. Zuerst juckte es höllisch und mein Vater sprang wie wild im Zimmer herum. Nach zwanzig Minuten veränderte sich seine Haut. Sie wurde plötzlich ganz rot und glatt wie ein Luftballon. Die asiatische Pflanze schien zu wirken. Man konnte weder Falten noch Spuren von Stress auf dem Gesicht meines Vaters erkennen. Auch seine Depressionen waren plötzlich weg, im Gegenteil: Er kämpfte jetzt aktiv mit dem Pflanzenwirkstoff. Ein erster Versuch, die »Gebrüder Klitschko«-Creme zuerst mit Wasser und dann mit dem Wodka abzuwaschen, schlug fehl.

»Es muss aber doch irgendein Gegenmittel geben«, meinte meine Mutter verzweifelt.

Ich versprach ihr, gleich am nächsten Morgen im Laden nachzufragen. Doch am nächsten Tag bekam mein Vater eine ganz neue Haut, und daran ließ sich nichts mehr ändern. Nach einer Familienversammlung beschlossen wir, dass der Vater jetzt doch besser aussähe.

»Ein Glück, dass man nur einmal im Jahr Geburtstag hat«, meinte meine Frau abschließend.