11.
DER SPURT ZUR ZIVILISATION

Die Anthropologie erkennt in menschlichen Gesellschaften drei Stufen der Komplexität. Auf der einfachsten Ebene sind die Verbände von Jägern und Sammlern sowie kleine Siedlungen von Ackerbauern weitgehend egalitär. Eine Führungsrolle erhalten Einzelne aufgrund ihrer Intelligenz und Tüchtigkeit, und wenn sie alt werden und sterben, wird sie an andere weitergereicht – etwa an nahe Verwandte. Wichtige Entscheidungen werden in egalitären Gesellschaften bei gemeinsamen Banketten, Festen und religiösen Feiern getroffen. Das entspricht den wenigen überlebenden Verbänden von Jägern und Sammlern, die in abgelegenen Gegenden verstreut sind, vor allem in Südamerika, Afrika und Australien, und die in ihrer Organisation dem am nächsten kommen, was vor der Jungsteinzeit über Jahrtausende hinweg üblich war.

Im Häuptlings- bzw. Stammesfürstentum, der nächsten Stufe der Komplexität, obliegt die Herrschaft einer Elite, die bei Schwächung oder Tod durch Mitglieder ihrer Familie oder zumindest ranggleiche Erben ersetzt wird. Diese soziale Organisation dominierte weltweit zu Beginn der historischen Zeit. Häuptlinge herrschen mittels Prestige, Freigebigkeit und der Unterstützung der ihnen untergeordneten Elitemitglieder – sowie durch Bestrafung der Gegner. Sie leben von dem Vorrat, den der Stamm angelegt hat, und verwenden ihn, um die Kontrolle über den Stamm zu stärken, den Handel zu lenken und Kriege gegen die Nachbarn zu führen. Häuptlinge üben ihre Autorität nur über die Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung oder in benachbarten Siedlungen aus, mit denen sie täglich nach Bedarf interagieren. In der Praxis bedeutet das, dass die Untergebenen zu Fuß innerhalb eines halben Tages erreichbar sein müssen. Damit beträgt die Reichweite maximal 40 bis 50 Kilometer. Es steht im Interesse des Häuptlings, die Angelegenheiten seines Herrschaftsgebiets im Einzelnen zu regeln und so wenig Macht wie möglich zu delegieren, um das Risiko eines Aufstands oder einer Spaltung zu minimieren. Eine geläufige Taktik ist die Unterdrückung der Untergebenen und eine Herrschaft mit Angst vor rivalisierenden Stammesfürstentümern.

Staaten schließlich, die oberste Stufe in der kulturellen Evolution von Gesellschaften, verfügen über eine zentralisierte Herrschaftsform. Die Machthaber üben ihre Autorität in der Hauptstadt und deren Umgebung aus, aber auch in Dörfern, Provinzen und anderen untergeordneten Gebieten, die weiter als einen Tagesmarsch entfernt sind und mit den Machthabern nicht mehr direkt kommunizieren können. Das Herrschaftsgebiet ist zu weitläufig, die soziale Ordnung und das Kommunikationssystem, das es zusammenhält, zu komplex, als dass eine einzelne Person es überwachen und steuern könnte. Daher wird lokal die Macht an Vizekönige, Fürsten, Gouverneure und andere zweitrangige Anführer delegiert. Im Staat existiert außerdem eine Bürokratie. Die Verantwortung wird auf Spezialisten verteilt, also auf Soldaten, Baumeister, Beamten und Priester. Bei ausreichender Bevölkerung und genügenden Mitteln können öffentliche Dienste für Kunst, Wissenschaft und Erziehung hinzutreten – zunächst kommen in deren Genuss die Mitglieder der Elite, später zunehmend auch die Allgemeinheit. Das Staatsoberhaupt sitzt, real oder virtuell, auf einem Thron. Es verbündet sich mit den obersten Priestern und verbrämt seine Herrschaft mit Ritualen, die seine Treue zu den Göttern unterstreichen.[59]

Der Aufstieg zur Zivilisation, von egalitären Verbänden und Siedlungen über Stammesfürstentum zum Staat, ging durch kulturelle Evolution vor sich, nicht auf Grund genetischer Veränderungen. Dieser Wandel war im ersten Schritt bereits angelegt, und er entfaltete sich in mancher Hinsicht parallel zu dem Prozess, der Insektengruppen von Aggregaten zu Familien und dann zu eusozialen Kolonien mit Kasten und Arbeitsteilung führte, aber er war ungleich gewaltiger.

In der Anthropologie dominiert die Theorie, nach der Stämme, die die Gelegenheit erhalten, durch Angriff oder Technologievorsprung mehr Territorium zu erobern, das auch tun und sich damit mehr Ressourcen sichern. Sie expandieren, wenn sie können, immer weiter und bringen am Ende große Reiche hervor oder spalten sich in neue, konkurrierende Staaten auf. Mit zunehmender Größe und größerer Reichweite ergibt sich höhere Komplexität. Und gleichermaßen wie ein zunehmend komplexes physikalisches oder biologisches System muss auch die Gesellschaft, um Stabilität zu erlangen, ihr Überleben zu sichern und dem Zerfall entgegenzuwirken, die hierarchische Kontrolle verstärken. Eine Hierarchie auf Staatenebene ist ein System, das sich aus interagierenden Subsystemen zusammensetzt; diese sind selbst alle hierarchisch strukturiert und reichen schrittweise hinab bis zur niedrigsten Stufe des Subsystems, in diesem Fall dem einzelnen Bürger eines Staates. Ein echtes System lässt sich in Subsysteme unterteilen (etwa eine Infanteriekompanie oder eine Kommunalregierung), die miteinander interagieren. Individuen in einem Subsystem brauchen mit gleichrangigen Individuen aus anderen Subsystemen nicht zu interagieren. Ein System, das sich auf diese Weise stark unterteilen lässt, funktioniert mit großer Wahrscheinlichkeit besser als ein nicht unterteilbares. «Aus theoretischen Erwägungen», formulierte der theoretische Mathematiker Herbert A. Simon in seinem bahnbrechenden Aufsatz zu diesem Thema, «können wir erwarten, daß komplexe Systeme Hierarchien sein werden, in einer Welt, in der Komplexität sich aus Einfachheit herausbilden mußte. Hierarchien als dynamische Gebilde haben eine Eigenschaft: Nahezu-Zerfällbarkeit, die ihr Verhalten sehr vereinfacht. Nahezu-Zerfällbarkeit vereinfacht auch die Beschreibung eines komplexen Systems und erleichtert das Verständnis dafür, wie die zur Entwicklung oder Reproduktion eines Systems benötigten Informationen in vernünftigem Umfange gespeichert werden können.»[60]

Übertragen auf die kulturelle Evolution von einfacheren Gesellschaften zu Staaten bedeutet Simons Prinzip, dass Hierarchien besser funktionieren als unorganisierte Verbände und dass sie für ihre Anführer leichter zu durchschauen und zu steuern sind. Anders gesagt: Man kann nicht mit Erfolg rechnen, wenn Fließbandarbeiter in Vorstandssitzungen mit abstimmen oder wenn einfache Soldaten Militäraktionen planen.

Warum sollte man die Evolution menschlicher Gesellschaften zu Zivilisationen als kulturellen und nicht als genetischen Prozess bezeichnen? Zu diesem Ergebnis führen diverse Beweisführungen. Eine ganz wesentliche ist die Tatsache, dass Kleinkinder aus Jäger-und-Sammler-Gesellschaften, die bei Adoptivfamilien in technologisch fortschrittlichen Gesellschaften aufwachsen, zu kompetenten Mitgliedern dieser Gesellschaften werden – obwohl die Abstammungslinie des Kindes sich vor 45.000 Jahren von der der Adoptiveltern getrennt hat! Das war etwa bei Kindern von australischen Aborigines der Fall, die in Familien von Weißen aufwuchsen. Die Zeitspanne hätte ausgereicht, damit sich über eine Kombination von natürlicher Selektion und Gendrift genetische Unterschiede zwischen verschiedenen menschlichen Populationen ergeben. Doch die bekannten Merkmale, in denen es genetische Veränderungen gegeben hat, betreffen, wie bereits ausgeführt, in erster Linie Resistenzen gegen Krankheiten und Anpassungen an lokale Klima- und Nahrungsbedingungen. Bisher wurden zwischen vollständigen Populationen keine statistisch messbaren genetischen Unterschiede erfasst, die die Amygdala oder andere Steuerungszentren der emotionalen Reaktivität beträfen. Genauso wenig kennen wir genetische Veränderungen, die zwischen Populationen Unterschiede in der tiefen kognitiven Verarbeitung von Sprache und mathematischer Reflexion begründen – obwohl solche vielleicht noch aufgedeckt werden.

Auch die Stereotypen, nach denen häufig die Bewohner verschiedener Länder, Städte und Dörfer kategorisiert werden, könnten in gewissem Ausmaß erblich bedingt sein. Und doch lässt sich aus den vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnissen schließen, dass diese Unterschiede eher historisch und kulturell zu begründen sind und nicht genetisch. Jede erbliche Varianz zwischen Kulturen schrumpft ohnehin in sich zusammen, wenn man sie in ein zeitliches Verhältnis zur genetischen Evolution stellt. Vielleicht sind Italiener im Schnitt redseliger, Engländer reservierter und Japaner höflicher, aber der Durchschnittswert einer Population mit solchen Persönlichkeitsmerkmalen wird durch die Variabilität innerhalb jeder Population leicht wettgemacht. Und bemerkenswerterweise erweist es sich, dass die Variabilität von einer Population zur anderen sehr ähnlich ausfällt. Das beobachtete der amerikanische Psychologe Richard W. Robins während seines Aufenthalts in einem entlegenen Dorf im westafrikanischen Burkina Faso.

Während meines Aufenthalts fiel mir auf, wie sehr jeder mir gleichzeitig so anders und so vertraut vorkam. Trotz der erheblichen Unterschiede in kulturellen Bräuchen und Gewohnheiten schienen die Burkiner sich genauso und häufig aus denselben Gründen zu verlieben, ihre Nachbarn zu hassen und ihre Kinder zu versorgen wie Menschen in anderen Erdteilen. Ja, es gibt einen Kern in Mentalität und Sozialverhalten des Menschen, der Länder, Kulturen und ethnische Gruppen übergreift. Selbst zwischen so von Grund auf verschiedenen Ländern wie Burkina Faso und den USA gibt es in den durchschnittlichen Persönlichkeitstrends ihrer Bewohner keine substanziellen Unterschiede. (…)

Als Gegengewicht zu diesem Hintergrund menschlicher Universalien ist aber offensichtlich, dass die Individuen sich stark voneinander unterscheiden: Manche Burkiner (oder Amerikaner) sind schüchtern, andere gesellig, manche sind freundlich und andere verdrießlich, und manche haben den Ehrgeiz, in ihrer Gemeinschaft einen hohen Status zu erreichen, während anderen derselbe Ehrgeiz fehlt.[61]

Das weite Spektrum von Persönlichkeitsmerkmalen, die Psychologen untersuchen, lässt sich in fünf Hauptdimensionen unterteilen: Extroversion contra Introversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus und Offenheit für Erfahrungen. Innerhalb von Populationen ist jeder dieser Bereiche zu einem Gutteil erblich, in der Regel zu ein bis zwei Dritteln. Das heißt, die Gesamtvarianz der Werte jeder Dimension – der Anteil, der auf Genunterschiede zwischen den Individuen zurückzuführen ist – beträgt zwischen einem und zwei Dritteln. Allein unter dem Gesichtspunkt der Erblichkeit würden wir in einer Population wie der in dem burkinischen Dorf wesentliche Varianzen erwarten. Rechnen wir die Unterschiede in den Erfahrungen hinzu, die jeder Einzelne insbesondere in den prägenden Phasen der Kindheit macht, so wäre eine noch größere Varianz zu erwarten, die aber von Dorf zu Dorf und von Land zu Land einigermaßen gleichbleibend sein müsste.

Ist eine solche substanzielle Varianz universell, und ist sie von einer Population zu anderen gleich oder verschieden? Es zeigt sich, dass die Varianz gleichbleibend groß ausfällt und über Populationen hinweg im selben Ausmaß universell ist. Das ergab eine außergewöhnliche Studie eines Teams aus 87 Forschern, die 2005 veröffentlicht wurde.[62] Die Persönlichkeitstypen variierten in allen 49 getesteten Kulturen annähernd im selben Ausmaß. Die Haupttendenzen der fünf Persönlichkeitsdimensionen unterschieden sich jeweils nur geringfügig und stimmten nicht mit den Stereotypen überein, die außerhalb der einzelnen Kultur über diese im Umlauf waren.

Ein weiterer Grund, die Existenz umfassender genetischer Unterschiede in Frage zu stellen, ist das beinahe gleichzeitige Aufkommen staatlicher Gesellschaften in den sechs am besten analysierten Gebieten der Welt, verglichen mit der ungleich größeren geologischen Zeitspanne der evolutionären Veränderungen an der menschlichen Anatomie. Stets folgte die Staatengründung relativ schnell auf die Domestizierung von Ackerpflanzen und Nutzvieh, obwohl diese Innovationen in anderen Teilen der Welt noch keine staatlichen Gesellschaften hervorgebracht hatten. In Ägypten war um 3400 bis 3200 v. Chr. der erste Urstaat (der sich also am frühsten unabhängig als solcher herausbildete) Hierakonpolis zwischen Oberägypten und Unternubien. Im Industal in Pakistan und dem nordwestlichen Indien entwickelten sich um 2900 v. Chr. reife Harappa-Siedlungen zu einem Staat. Und in China fand sich der früheste Urstaat offenbar in Erlitou, seine Anfänge liegen um 1800 bis 1500 v. Chr. In der Neuen Welt schließlich entwickelte sich der erste dokumentierte Urstaat zwischen 100 v. Chr. und 200 n. Chr. im mexikanischen Tal von Oaxaca. An der trockenen Nordküste Perus entstand unabhängig um 200 bis 400 n. Chr. die Moche-Gesellschaft.[63]

Tabelle 11.1 Ursprung des ältesten bekannten unabhängig entstandenen Staates in der Neuen Welt auf Grundlage von archäologischem Material aus dem mexikanischen Tal von Oaxaca.

Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die Entstehung von Urstaaten weltweit auf konvergente genetische Evolution zurückzuführen ist. Aller Wahrscheinlichkeit nach entfalteten sich hier autonom bereits existierende genetische Prädispositionen, über die die menschlichen Populationen wegen ihrer gemeinsamen Vorfahren seit der Auswanderung vor etwa 60.000 Jahren alle verfügten. Unterstützung erfährt dieses Szenario durch das relativ zügige Aufkommen eines Urstaates auf der Hawaii-Insel Maui.[64] Prähistorische Siedler mit landwirtschaftlichen Kenntnissen erreichten diese Insel offenbar um 1400 n. Chr. Um 1600 hatte sich die Bevölkerung signifikant vermehrt, Tempel wurden erbaut, und ein einzelner Häuptling übernahm die Kontrolle über die beiden bisher unabhängigen Dörfer. Die Veränderungen gingen wesentlich schneller vor sich als im Tal von Oaxaca, wo vom ersten bekannten Dorf bis zum Bau des ersten staatlichen Tempels 1300 Jahre vergingen.

Bereits zu Zeiten der Auswanderung aus Afrika fertigten afrikanische Populationen Gefäße aus Straußeneierschalen.[65] Noch früher (100.000 bis 70.000 vor heute) hatten sie roten Ocker, durchlöcherte Muschelperlen und fortschrittliche Werkzeuge verwendet.[66] Diese Artefakte, von denen die ältesten halb so alt sind wie der anatomisch moderne Homo sapiens selbst, sind genauso hoch entwickelt wie einige der Werkzeuge, die moderne Jäger und Sammler noch heute herstellen.

Auch die Urformen der Zivilisation kamen kurz nach dem Beginn der Landwirtschaft auf oder gar noch davor. In Göbekli Tepe, einer abgelegenen Stätte am türkischen Euphrat, gruben Archäologen auf dem höchsten Punkt eines Bergzugs eine etwa 11.000 Jahre alte Tempelanlage aus. Pfeiler und Steinplatten sind häufig mit Reliefs von bekannten Tieren bedeckt – Krokodile, Wildschweine, Löwen und Geier sowie ein Skorpion. Andere unbekannte, wild aussehende Geschöpfe könnten von Albträumen oder Wahnvorstellungen im Drogenrausch inspiriert sein. Einige Forscher in Göbekli Tepe schließen aus dem Fehlen von Überresten nahe gelegener Dörfer, dass die Anlage von nomadischen Jägern und Sammlern errichtet wurde, die sich dort gelegentlich zu religiösen Feiern versammelten. Andere dagegen gehen davon aus, dass noch Dörfer gefunden werden, die groß genug waren, um viele Arbeiter zu beherbergen.[67]

Es gibt eine Regel, die für Archäologie und Paläontologie gleichermaßen gilt: Egal, wie alt das früheste bekannte Fossil oder der älteste Nachweis menschlicher Aktivität ist: Irgendwo ruhen immer noch Belege für etwas zumindest geringfügig Älteres, das noch der Ausgrabung harrt. Als ganz richtig hat sich dieses Prinzip im Fall der Schrift erwiesen. Die älteste bekannte Schrift ist die der mesopotamischen Sumerer und der frühägyptischen Kultur vor 6400 Jahren – die Anfänge der Jungsteinzeit liegen nicht ganz doppelt so weit zurück. Es folgen die erste bekannte Schrift aus dem Industal im heutigen Pakistan (4500 Jahre vor heute), die der chinesischen Shang-Dynastie (3500–3200 Jahre vor heute) und die der mittelamerikanischen Olmeken (2900 Jahre vor heute).[68] Alle diese alten Schriftzeugnisse stellen uns freilich vor ein ungelöstes Rätsel. Es ist selten klar, inwieweit die verschiedenen keilförmigen Symbole und Piktogramme Abstraktionen und keine realen Einheiten darstellen und ob sie Silben und Laute der Sprache bezeichnen oder aber Begriffe aus unbekannten Wörtern einer heute toten Sprachform. Kein Zweifel besteht unter Wissenschaftlern dagegen daran, dass die geschriebenen Zeugnisse ihren Erfindern einen außerordentlichen Vorteil verschafften.[69]

Wenn der Wandel von Stammesfürstentümern zu Staaten eine Frage der Entfaltung und kulturell bedingt war, wie kommt es dann zu den offensichtlichen Unterschieden in den heutigen Gesellschaften? Denn diese Unterschiede sind enorm. In einem Ranking von Ländern nach Pro-Kopf-Einkommen sind die obersten zehn Prozent etwa dreißigmal so reich wie die untersten zehn Prozent und die allerreichsten hundertmal so reich wie die ärmsten. Die Auswirkungen dieser Varianz auf die Lebensqualität sind überwältigend. In den ärmsten Ländern leben über eine Milliarde Menschen, das sind etwa 15 Prozent der Weltbevölkerung, unterhalb der von der UNO definierten Armutsgrenze. Ihnen fehlen angemessene Unterkunft, sanitäre Anlagen, sauberes Wasser, medizinische Versorgung, Erziehung und eine verlässlich ausreichende Versorgung mit Nahrung. Die Einwohner reicherer Länder, auch die ärmeren unter ihnen, kommen in den Genuss all dieser Leistungen, ganz zu schweigen von Flugreisen und Urlaubsanspruch. Laut Jared Diamonds viel gerühmter Veröffentlichung Arm und Reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften[70] lässt sich eine überzeugende Antwort in der Geografie finden. Die Untersuchungen der schwedischen Ökonomen Douglas A. Hibbs Jr., Ola Olsson und anderer[71] stützen diese Auffassung. Kurz vor dem Beginn der Landwirtschaft vor etwa 10.000 Jahren gab ein Gefüge günstiger Bedingungen den Völkern des eurasischen Superkontinents eine gewaltige Gelegenheit dafür, dass die kulturelle Revolution schnell möglich wurde. Die Größe des Kontinents, die weite ost-westliche Ausdehnung und die Erweiterung durch die biologisch reichen Landschaften des Mittelmeerraums lieferten mehr lokal angepasste Pflanzen- und Tierarten als auf Inseln und anderen Kontinenten. Wissen über Kulturpflanzen und Vieh sowie die Technologie zur Anlage und Lagerung von Überschüssen ließ sich schneller von Dorf zu Dorf und weiter über die ausgedehnten Territorien der frühen Staaten verbreiten. Die Größe und Fruchtbarkeit dieses eurasischen Kernlandes und nicht das Aufkommen eines an bestimmten Orten endemischen humanen Genoms führte zur neolithischen Revolution.

Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen
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