11

Pechschwarz, schweißnaß und schäumend kämpften die beiden zusammengeschirrten Pferde im Schlamm eines Kohlebergwerks und suchten festen Grund auf der Rampe, die nach draußen führte. Ich sprang hinunter in den Matsch und band sie los. Und als sie sich nach oben kämpften, spritzten Kleckse von nassem, schwarzem Modder um mich herum, und einer landete mit einem Klatsch auf meinem nackten Hals. Angewidert holte ich aus, um ihn abzuwischen …

»Auuuu! Roy, du hast mir aufs Auge geschlagen! Ich wollte dich wachküssen.«

Berry. Ich hatte ihr aufs Auge geschlagen. Wo waren wir? In ihrem Wagen in meiner Heimatstadt. Ich sagte:

»Es tut mir leid. Ich wußte nicht, wo ich war.«

»Wir sind da. Ich bin so weit wie möglich nach deiner Wegbeschreibung gefahren. Jetzt mußt du mir zeigen, wie wir zu dir nach Hause kommen. Sieh dir das an, es hat geschneit. Ist das nicht wahnsinnig? Der erste Schnee in diesem Jahr!«

Es war wahnsinnig. Schwarze Baumarme in weißen Schnee gehüllt, alles im Grau eines feuchten Novembernebels. Thanksgiving Day. Trotz unseres drohenden BK fuhren Berry und ich gemeinsam zum Thanksgiving Day zu meinen Eltern. Sie hatte mich am Morgen vor der Tür der Notaufnahme des House of God abgeholt, wo ich Nachtdienst gehabt hatte, und uns in die sibirische Provinz im nördlichen New York State, meine Heimat, gefahren. Die Tundra. Eine Stadt der Huren, Bars und Kirchen, die den Höhepunkt ihrer Bevölkerungsdichte kurz vor der Amerikanischen Revolution erreicht hatte und von zwei Zementfabriken lebte, die sie jede Nacht mit Zementstaub bedeckte.

»Dieser Ort ist so niedlich«, sagte Berry.

»Hier Kondome zu kaufen, war nicht einfach.«

»Warum ist dein Vater aus der Stadt hierhergezogen?«

Ich erinnerte mich, daß mir mein Vater erzählt hatte, wie sehr er sich anstrengen mußte, um es nach dem Krieg als Zahnarzt zu etwas zu bringen. Er und meine Mutter schliefen auf dem Faltbett, das tagsüber zusammengeklappt als Wartezimmercouch diente. Und ich erinnerte mich, daß mir meine Mutter erzählt hatte, wie glücklich er nach dem ersten Tag in seiner Praxis in dieser kleinen Stadt gewesen war. Einen neuen Fünf-Dollar-Schein in der Hand, wie ein kleines Kind sein Spielzeug. Und ich dachte daran, wie gern er Golf spielte und sagte:«

Geld, Angst und Golf.«

»Angst?«

»Ja. In der Stadt ein Niemand zu sein.«

Wir waren bereits ein Stück die Hauptstraße hinuntergefahren, und ich war total verwirrt. Die Handelskammer hatte die Gebäude umgestellt und meine Jugenderinnerungen damit durcheinandergebracht. Ich wußte nicht mehr, was wohin gehörte, wo ich mein erstes Bier getrunken, meinen ersten Kuß bekommen oder meine ersten Prügel von den Italienern bezogen hatte, weil ich mit ihrer Schwester ausgegangen war, obwohl ihre Schwester mit mir ausgehen wollte. Da sah ich ein Schild in einem Fenster der ersten Etage eines alten Gebäudes. Der Schnee konnte die abblätternde Farbe nicht verdecken:

ZAHNARZT

Das Schild meines Vaters. Seit siebenundzwanzig Jahren hing es dort. Er hatte Arzt werden wollen, aber in den 30er Jahren hatte ihn die Judenquote in der Medizinischen Fakultät der Stadt ausgetrickst. Er und seine Generation hatten die Houses of Gods gebaut, um sich abzusichern. Es war traurig, das kleine Schild zu sehen. Tränen traten mir in die Augen. Wieviel leichter war es für mich, traurig zu sein und es auch zu zeigen, wenn ich nicht bei ihnen war, bei meinem Vater, der fröhlich Some Enchanted Evening pfiff, dabei seine Arme hin und her schwang und versuchte, seine Träume durch mich zu erleben.

Deshalb hatte ich keine Tränen mehr in den Augen, als ich ihnen gegenüberstand. Immer, wenn ich mit Berry bei meinen Eltern auftauchte, erwachte bei ihnen die Hoffnung, wir würden heiraten. Und das, obwohl meine Mutter den Ruf hatte, alle Beziehungen kaputtzumachen. Das eklatanteste Beispiel dafür hatte sich vor ein paar Jahren an Thanksgiving ereignet, als sie nach dem Essen zu dem Freund meiner ledigen Cousine sagte, »es ist Zeit, daß wir tacheles reden, Roger«, und sich eine Stunde lang mit ihm im Arbeitszimmer einschloß. Und nachdem sie mit ihm fertig war, hatte man Roger nie wiedergesehen. Von da an hatte sie mir zugesetzt.

Ich war so erschöpft, daß ich mich hinlegen mußte, entschuldigte mich allen ihren Fragen gegenüber und zog mich in lebhafte Tagträume zurück. Später erwachte ich aus tiefem Schlaf, in dem man das Kissen vollsabbert, und war beim Abendessen noch immer schlaftrunken. In der letzten Zeit war ich zu oft die ganze Nacht über in der Notaufnahme auf den Beinen gewesen, hatte versucht, mich um den menschlichen Ozean zu kümmern, der vor meinen Augen dahinrollte, auf und ab wogte. Meiner Mutter paßte es gar nicht, daß ich mich hingelegt hatte und daß ich müde war, aber Berrys Anwesenheit milderte ihre zornige Aufmerksamkeit ein wenig, und ihre Lautstärke blieb im Mezzo-Bereich.

Nach dem Abendessen wurde es besser. Aus den Nachrichten erfuhren wir, daß auf dem neuesten Tonband aus dem Weißen Haus gerade eine Lücke von 18½ Minuten entdeckt worden war. Wie freuten wir uns alle! Vier Generationen Basch vibrierten vor Freude über die Neuigkeit. Aufgekratzt, weil es auf den Photos einfach zu komisch aussah, wie Rosemary Woods, Nixons Sekretärin, sich bei ihrem Versuch, an die Tonbänder zu kommen, zwischen dem Fußpedal ihres Rekorders und dem Telephon hinter ihr verrenkte, als erwarte sie eine schnelle Nummer im Heu mit Nixon. Wie wir lachten und alberten, weil Nixon jetzt endlich sein Fett abkriegen sollte! Gut für uns! Gut für Amerika! Gut für die allerjüngste Basch, die vierjährige Tochter meines Bruders, die gerade lernte, mit ihrem Spielzeugtelephon umzugehen und geziert Ro-mary Reach Ro-Mary Reach – Rosemary Zugriff – kreischte. Gut für meinen Bruder, der Nixon noch mehr zu verachten schien als wir alle. Gut für meinen Vater, den die technischen Einzelheiten der Manipulation interessierten: wie sich bereits die Expertengutachten zu den Tonbändern vorausahnen ließen, die beweisen würden, daß ohne jeden Zweifel »an vier bis neun Stellen hintereinander von Hand Passagen gelöscht worden waren« und daß »die Sache nicht zufällig hat passieren können«. Gut schließlich auch für meinen Großvater, der als einziger seiner Generation noch lebte und weise lächelte und sagte: »Das nach all diesen Jahren zu sehen, das ist wundervoll.«

Während einer Gesprächspause stand mein Großvater auf und sagte zu mir: »Nu, Doktor, bekomm ich ’ne kostenlose Beratung. Komm.«

Wir gingen in mein Zimmer und setzten uns, und er begann:«

Nein, ich will keinen Rat von Dir«, und zog seinen Stuhl so, daß er mir gegenübersaß und beugte sich zu mir, wie alte Männer es oft tun. Ich dachte an seine Frau, die ihm ständig im Nacken gesessen hatte, ein Echo über seine Schulter hinweg. Jetzt war sie tot.

»Du weißt«, sagte er, »du bist mein ältester Enkel, und erinnere ich mich noch genau an den Tag, an dem du geboren bist. Die Nachricht bekam ich in Saratoga. War ich Präsident der Italienisch-Amerikanischen Lebensmittelhändler von Manhattan und hatten wir da unsere Jahresversammlung.«

»Ein Jude als Präsident der Italienisch-Amerikanischen Lebensmittelhändler?«

»Ja. Die ganze Sach’ war jiddisch. Du bist doch ein gebildeter Mann, ich frage dich, wirdest du kaufen bei einem Italiener? Die haben ihre Spaghetti bei uns gekauft. Nach Polnisch und Jiddisch habe ich gelernt Italienisch. Dann Englisch. Basch’s Italienisch-Amerikanische Lebensmittel, das war ich damals. Hab Briefe von der schwarzen Hand der Mafia gekricht. Schon in Kolomea, in Polen, waren wir Lebensmittelhändler. Mein Vater hat gemacht sein Geld im Krieg mit Japan. Hat aufgekauft Felle, und die Leit haben gesagt, nu, bist du verrickt, und wozu wirst du kaufen Felle. Und er sagt, wartet ab, und dann kam der Krieg und brauchte man die Felle.«

»Wofür?«

»Soldatenstiefel. Um nach Japan zu kommen. Ah, meine Gesundheit ist nicht zu schlecht. Ein bißchen Ärger mit den Beinen. Aber mechte ich wissen, ob es is was Schlimmes, se kennen was dagegen tun heite. Hab ich diesen Italiener gekannt, Neunte Avenue, netter Junge. Oiih, haben sie den aufgeschnitten, ’ne Narbe von hier bis hier und von hier bis da. Aber danach is er rumgelaufen wie ein junges Kieken. Nicht wie manch andere Leit, haben sie ein kleines Geschwier, und was sagen sie? Keine Zeit, keine Zeit. Und dann, peng, tot. Werde ich kämpfen wie der Teifl um mein Leben.«

Er hielt inne und rückte näher, bis seine Knie beinahe meine Knie berührten, und ich konnte die kleinen Trübungen des grauen Star sehen, die seinen Blick verschleierten.

»Dein Mädchen da, ist sie nettes Mädchen, oder?«

»Ja, das ist sie.«

»Worauf wirst du dann noch warten? Du hast doch nicht ’ne andere, oder?«

Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, daß ich noch eine andere hatte.

»Ja, worauf wartest du dann? Sei ein Mensch! Ich hab nie gewartet. Nu, konnte man damals nicht warten, aber weißt du, deine Großmutter, sie wollte mich nicht heiraten, niemals. Weißt du, was hab ich gemacht? Hab ich geholt ein Gewehr und hab es ihr gehalten an den Kopf und gesagt: Geiger, wirst du mich heiraten, oder ich bring dich um. Wie findest du das, he?«

Wir kicherten, aber dann wurde er traurig und sagte:

»Weißt du, in all den Jahren mit ihr bin ich nie gegangen mit einer anderen Frau, niemals. Glaub mir, hätte ich gehabt Chancen. In Saratoga. Chancen mehr als genug.«

Ich fühlte mich schlecht wegen Molly und was ich mit ihr machte.

»Bist ein heller Kopf. Siehst immer die Leit aus diese Pflegeheime in deinem Krankenhaus, richtig? Man bringt sie zu dir.«

»Ja, Großpapa, das stimmt.«

»Ich wollt nicht verlassen Magaw Place, niemals. Hatte da meinen Club, meine Freunde. Als deine Großmama starb, hat er mich gezwungen wegzugehen, dein Vater, in dieses Heim. Ein Mann wie ich in so einem Haus. Sicher, ist nicht schlecht in mancher Hinsicht. Spielen wir Poker, und die Shul ist in Ordnung.«

»Es ist auch sicher«, sagte ich, weil mir einfiel, wie er überfallen worden war.

»Sicher? Was kimmert mich Sicherheit? Nein, ist mir egal. War es mir immer. Es ist nicht gut. Der Lärm, es liegt in der Einflugschneise zum Kennedy, kannst du dir das vorstellen? Behandeln sie dich schlechter als einen Hund. Was hab ich alles gemacht in meinem Leben, und jetzt das. Sterben die Menschen jeden Tag. Es ist scheißlich, scheißlich …«

Er begann zu weinen. Ich spürte, wie Verzweiflung in mir hochstieg.

»Das ist nicht gut, gar nicht gut. Wer besucht mich? Sprich mit deinem Vater, sag ihm, ich will da nicht bleiben wie ein Tier. Auf dich hört er. Ich mochte Magaw Place. Ich bin kein Baby, hätte allein da bleiben können. Erinnerst du dich an Magaw Place?«

»Sicher, Großpapa«, sagte ich. In meinen Gedanken tauchten rote Plüschsofas auf, in einem dunklen Vestibül, und der klappernde Fahrstuhl mit den Metallstangen. Und dann die kindliche Spannung, wenn man den langen, seltsam riechenden Flur zu Goßmamas und Großpapas Tür entlang lief, die dann aufflog und sich mit ihren Umarmungen füllte. »Sicher.«

»Und dein Vater, hat er mich gezwungen, auszuziehen. Also, sprich mit ihm, es ist immer noch Zeit für mich, auszuziehn aus diesem Heim. Hier, ein kleines Gelt von mir für deine Praxis, Dr. Basch.«

Ich nahm den Zehn-Dollar-Schein und blieb sitzen, als er aufstand. Ich wußte, wie schrecklich es war. Mein Vater hatte das Problem, was er mit einem alleinstehenden, alten Vater anfangen sollte, auf dem üblichen ethischen Weg der Mittelklasse gelöst: »Ab ins Gomerheim.« Vieh in Waggons. Ich war wütend. Damals hatte ich ihn gefragt, warum er das tat. Er hatte geantwortet:

»Das ist das Beste für ihn, er kann nicht allein leben. Das Heim ist hübsch. Wir haben es uns angesehen. Es gibt da vieles, was er tun kann, und man kümmert sich dort gut um die Menschen.«

Was hatte mein Großvater durchgemacht, und wie wenig war von ihm übrig geblieben! Er würde zum Gomer werden. Ich wußte besser als er, wo die Fahrt vom Pflegeheim hinführt. Ein entsetzlicher Gedanke kam mir: Wenn er anfängt, dement zu werden, besuche ich ihn, mit einer Spritze Zyanid in meiner Tasche, wie einen Schokoladenriegel. Er sollte kein Gomer werden, nein.

Wir gingen wieder zu den anderen. Alles war fröhlich und hell. Meine Mutter, die meine Zwiespältigkeit der Medizin gegenüber spürte, tischte eine Geschichte auf:

»Du bist nie zufrieden, Roy. Du bist wie mein Großonkel Thaler, der Bruder meines Großvaters. Alle Thalers waren Kaufleute in Rußland, solide, beständige Arbeit, Kleider verkaufen, Lebensmittel. Ich glaube, sie hatten in der Stadt sogar eine Lizenz für Whiskey. Aber mein Großonkel wollte Bildhauer werden. Ein Bildhauer! Wer hat sowas schon gehört? Sie lachten ihn aus. Sie sagten, er sollte das tun, was alle anderen taten. Und dann ist er eines Nachts in die Scheune geschlichen, hat das beste Pferd gestohlen und ist weggeritten. Und niemand hat je wieder etwas von ihm gehört oder gesehen.«

Einige Stunden später lud Berry mich wieder vor der Tür zur Notaufnahme ab. Als ich in den Warteraum kam und Abe begrüßte, war es Mitternacht und ich dankte Gott, daß ich bei meinen Eltern etwas Schlaf bekommen hatte.

Die Polizisten saßen in der Stationszentrale, als erwarteten sie meine mitternächtliche Ankunft, und Gilheeny platzte heraus:

»Frohe Feiertagswünsche Ihnen, Dr. Roy, und ich hoffe, daß Sie im Schoß ihrer Familie und mit ihrer Freundin in dem hübschen roten Volvo eine schöne Zeit gehabt haben.«

Ich war erleichtert, daß sie da waren. Ich fragte, ob sie auch ein schönes Erntedankfest gehabt hätten.

»Rot ist eine schöne Farbe«, sagte der buschige Rotschopf. »Es gibt – nach Freud und Resident Cohen – eine Kontinuität in den unbewußten Prozessen, zu Hause, beim Spiel, bei der Arbeit, und die Kontinuität des Rots der Preiselbeeren beim Thanksgiving-Essen und das potentielle Rot menschlichen Blutvergießens, das wir jede Nacht auf unserer Tour sehen, besänftigt unsere Sinne.«

»Dieser Cohen spricht mit Ihnen über das Unterbewußtsein?« fragte ich.

»Wie Freud entdeckt hat und wie Cohen hervorhebt«, sagte Quick, »ist der Prozeß der freien Assoziation befreiend und befähigt, die Dunkelheit mit dem Verständnis des Erwachsenen zu erhellen. Sehen Sie diesen Bleiknüppel?«

Ich sah ihn.

»Der Schlag mit diesem Bleiknüppel auf den Ellenbogen ist ein sicheres und einwandfreies Mittel, sehr zum Erstaunen dieser Fernsehkrimi-Schreiber,« sagte Quick. »Einen Ellenbogen mit dem Unterbewußtsein eines Kindes zu brechen, verhindert Schuldgefühle.«

»Er muß Cohen dankbar sein«, sagte Gilheeney, »weil er ihn die Technik der freien Assoziation gelehrt hat.«

»Cohen und Freud, dem Meister der jüdischen Rasse. Und wir setzen große Hoffnungen in Sie, Roy, denn wie bei einem Rennpferd haben Sie die besten Plazierungen aufzuweisen.«

»Sie sind ein Mann, der auf dem Papier großartig dasteht«, stichelte Gilheeny, »menschlich und doch athletisch. Im Testament von Rhodes, 1903, heißt es, glaube ich, ›den Besten für den weltlichen Kampf‹ auszuwählen. Heißt es nicht so?«

Wir wurden von einem Kreischen aus dem Granaten-Zimmer unterbrochen: »Geh weg geh weg geh weg …«

Mein Herz sank mir in die Hosen. Ein Zimmer-116-Gomer. Da auch nur einen Anschein von Frisur in die Akte zu bringen, bevor ich sie nach oben abschob, war unmöglich.

»›Denke nicht‹«, sagte Gilheeny, »›einer der Diebe wurde getötet; verzweifle nicht, einer der Diebe wurde gerettet.‹«

»Natürlich Augustinus«, sagte Quick.

»Woher, zum Teufel, kennen Sie das?« platzte ich ohne nachzudenken heraus, und dann errötete ich wegen der unausgesprochenen Unterstellung, diese beiden Polizisten seien doch nur tapsige, dumme Iren.

»Unsere Quelle war ein bemerkenswerter Dauerbrenner von einem kleinen Juden. Ein echtes Herzl«, sagte Gilheeny und überging meine Taktlosigkeit.

»Sein Name wird Ihnen vertraut sein, er ist in die Herzen aller und über der Tür von Zimmer 116 eingeschrieben, dem Zimmer, das nach ihm benannt wurde.

»Granaten-Zimmer-Dubler?« fragte ich.

»Der vollkommene Intern. Dubler wußte das Allerwichtigste und kannte alle trickreichen Abkürzungen, was ihn zu einem medizinischen Wirbelsturm machte. Unseres Wissens nach war Dubler ohne Frage seit zwanzig Jahren der Beste in Gottes Haus.«

»Ich würde gern mehr über ihn wissen, aber ich muß mir den Gomer ansehen«, sagte ich und nahm meine Tasche, obwohl ich lieber mehr über diesen faszinierenden und exzentrischen Dubler gehört hätte.

»Nicht nötig, Mann«, sagte Gilheeny und legte seine fette Hand auf die meine, »nicht nötig. Wir kennen sie alle, Ina Goober, ein Prototyp eines Gomer, und wir haben sie schon so weit frisiert, wie es irgend möglich ist. Ihr Freund Chuck ist gerade bei ihr.«

»Sie haben sie behandelt?« fragte ich verblüfft.

»Sie ist jenseits aller Behandlung. Sie braucht lediglich ein neues Pflegeheimbett, da ihres belegt worden ist. Sie müssen jetzt nicht nach ihr sehen, denn sie ist praktisch schon im Fahrstuhl nach oben.«

Sie hatten recht. Chuck kam aus Zimmer 116, stellte seine Tasche auf den Tisch und sagte:

»He, Roy. Geht’s dir? Toller Fall, eh?«

»Wahnsinnig. Wie war’s mit ihr?«

»Ganz prima. Hielt mich für Jackson, den Tern, den sie letztes Jahr hatte. Nicht nur das, sie sieht LeRoy in der Ambulanz und denkt, der bin ich auch.«

»Ist LeRoy auch eine schwarzhäutige Person?« fragte Quick.

»Klar. Sie kriegt uns alle durcheinander. Is ganz OK, Mann, hab noch kein’ Gomer getroffen, der zwei schwarze Ärzte unterscheiden konnte. Sie wissen ja, wie das is. Bis dann. Und sei ’ne Wand.«

»Wir haben gerade noch Zeit, eine Geschichte von Granaten-Zimmer-Dubler zu erzählen, bevor wir heute auf Streife gehen«, sagte Gilheeny. »Nachdem wir also die Bande gegenseitiger Freundschaft geknüpft hatten, boten Quick und ich Ihrem Dubler an, ihn als Gegenleistung für den Transfer von enzyklopädischem Wissen von seinem Gehirn zu unseren Gehirnen, in die eher pornographischen Aspekte unserer Streife einzuweihen. Er war schon bei dem Gedanken daran erregt. Eines Nachts holten wir ihn um Mitternacht vor dieser Tür hier ab und sagten, wir hätten es arrangiert, daß er mit einer Schönen der Nacht seine unanständigen Sachen anstellen könnte, wenn Sie wissen, was ich meine.«

»Der große Gilheeny saß am Steuer und ich auf dem Beifahrersitz«, sagte Quick, »und Dubler hinten. Wir hielten kurz in der Gegend an, die unter Seeleuten und Matrosen der Strip heißt, und ließen eine Bekannte von uns, eine gewisse Lulu, hinten zu Dubler einsteigen. Lulu war der Inbegriff von heißem Sex und billiger Spannung.«

»Wir versicherten Dubler, daß er mit Lulu alles machen dürfe, was er wolle, und daß wir nicht in den Rückspiegel sehen würden. Dann machten wir das Radio an und fuhren ziellos herum und ließen unsere Augäpfel in die hellen Lichter blinzeln.«

»Dubler und Lulu kamen sofort zur Sache«, sagte Quick. »Seine Hand wanderte zu einer Brust, die sofort Flagge zeigte. Und nach einigem Zögern brachte unsere Granate aus New Jersey auch den Mut auf, ein heißes Händchen unter den kurzen Rock zu schieben. Höher und immer höher den Schenkel hinauf, wie wir im Rückspiegel beobachten konnten.«

»Plötzlich stieß er auf etwas Hartes«, sagte Gilheeny, »hart und lang in Form eines erigierten, männlichen Glieds der XY-Chromosomen-Spezies.«

»Es gab eine heftige Explosion der kleinen Granate. Wir hielten an, Lulu sprang auf der einen Seite raus, Dubler auf der anderen. Es hat Tage gedauert, bis wir mit jener einmaligen menschlichen Reaktion aufhören konnten, die da Lachen heißt.«

»Dubler hat uns vergeben, aber nur zögernd.«

»Und auch erst nachdem wir ihm erklärten, das wäre ein Teil unserer Belehrungen gewesen. In gewissem Sinne sind auch wir wandelnde Lehrbücher, nur von einer anderen Art.«

»Was ist denn Lernen anderes als ein Austausch von Gedanken?« fragte der Rotschopf fröhlich. »Jetzt müssen wir aber los. Für Ihr freundliches Zuhören und als Vorauszahlung für das, was Sie uns lehren werden, versprechen wir, während Ihrer acht Stunden Schicht alle Betrunkenen, Unfälle, Schußverletzungen und aufdringlichen Nutten vom House of God fernzuhalten und ans andere Ende der Stadt zur Notaufnahme des MBH zu bringen. Mögen Sie eine geruhsame Nacht haben, und gute Nacht.«

»Warum hängen Sie hier herum und nicht im MBH?« fragte ich. »Und warum sind Sie so nett zu mir?«

»Man’s Best Hospital ist kein angenehmer Ort. Es ist vollgestopft mit Hochleistungstypen, denen besonders eine menschliche Eigenschaft, der Humor, fehlt. Einen irren Abe würde man dort sofort einweisen. Als Jude wissen Sie, daß das MBH voll ist mit supertollen und gewissenhaften Christen. Als katholische Polizisten wissen wir, daß es voll ist mit supertollen und gewissenhaften Protestanten. Der jüdische Tern, den man dort immer wieder mal anstellt, ist eine Schande für seine Herkunft. Wir wissen zum Beispiel, daß Granaten-Zimmer-Dubler und auch Sie im MBH als Intern abgelehnt wurden, trotz Ihrer hohen Qualität auf dem Papier und in Person, und beide sind Sie abgelehnt worden wegen Ihrer ›Einstellung‹«.

»Woher wissen Sie so viel über mich?« rief ich ihnen nach, als sie durch die automatische Tür verschwanden. Nur der Computer, der meine Daten für das Internship ausgewertet hatte, wußte, daß ich mich zuerst im MBH beworben hatte und abgelehnt worden war. Und die Computerauswertung war absolut vertraulich. »Wieso sind Sie so sicher?«

Ihre Antwort kam freundlich durch das Wuuuschsch der sich schließenden Tür geschwebt und blieb so graziös an einem unsichtbaren Haken in der Luft hängen wie der Seidenschal eines Zauberers:

»Wären wir Polizisten, wenn es anders wäre?«