Kapitel 17
Gebrannt?
Ich lasse das Telefon fallen und konzentriere mich aufs Fahren. Ich bin gerade an der Grand Avenue vorbei, als ich den Rauch sehe. Panik windet sich in meiner Magengrube. Ich bin noch einen guten halben Kilometer entfernt, kann aber nicht näher heranfahren, weil die Mission Street von Feuerwehrautos blockiert wird. Ich lasse den Wagen auf dem Parkplatz eines Supermarkts stehen und renne los.
Als Erstes sehe ich David, der bei einer Gruppe Feuerwehrleute steht. Aber die Feuerwehrmänner halten keine Schläuche oder schwingen Notäxte. Nein, sie tun überhaupt nichts, außer herumzustehen und sich mit meinem Partner, dem Ex-Football-Spieler, zu unterhalten.
Das macht mich wütend. Warum unternehmen sie nichts gegen das Feuer? Ich öffne den Mund, um sie anzuschreien, doch dann entdecke ich etwas.
Ich schaue die Straße hinab zu meinem Haus.
Jetzt weiß ich, warum die Feuerwehrmänner da einfach nur herumstehen, während David Hof hält. Es macht nichts. Von meinem Haus ist nichts mehr übrig als qualmender Schutt.
Ich bleibe abrupt stehen, und mein Herz hämmert so heftig, als wollte es meine Rippen sprengen.
Nichts mehr da.
Ich spüre eine Berührung am Arm.
»Anna.«
Das ist David.
Doch ich wende mich von ihm ab und gehe auf die ausgebrannte Ruine zu, die einmal das Häuschen meiner Großmutter war. Ich höre ihn nach mir rufen, aber ich bleibe nicht stehen und drehe mich nicht um. Ich kann nicht.
Zwei Feuerwehrmänner stochern im Schutt herum. Einer von ihnen bemerkt mich und tritt zu mir. Er ist jung, doch sein Blick ist ernst und seine Stimme voller Mitgefühl, als er fragt: »War das Ihr Haus, Ma’am?«
Ich nicke und kann den Blick nicht von seinem Kollegen losreißen. Er geht langsam durch den Schutt und löscht kleine Flammen, die hier und dort an die Oberfläche züngeln, wenn er ihnen mit der Hacke Luft verschafft.
»Ist noch irgendetwas übrig?«
Er schüttelt den Kopf. »Das können wir erst in ein, zwei Tagen sagen. Sie müssen warten, bis sich alles abgekühlt hat und unsere Untersuchung abgeschlossen ist, ehe Sie hineindürfen. Wir werden das Grundstück bewachen lassen, damit der Tatort nicht gestört wird. Aber über den Daumen gepeilt würde ich sagen, das ist ein Totalschaden. Es tut mir leid.«
Ein Totalschaden.
David erscheint wieder an meiner Seite. Diesmal breitet er die Arme aus und zieht mich an seine Brust. Ich lasse es zu, aber ich habe nicht die Kraft, die Arme zu heben und die Umarmung zu erwidern. Ich kann nur starr dastehen, den Blick auf die Ruine gerichtet.
Schließlich rückt er ein wenig ab und schaut auf mich herunter. Überraschung spiegelt sich auf seinem Gesicht, und mir ist klar, was ihm aufgefallen sein muss – sämtliche Spuren meiner Verletzungen sind verschwunden. Aber er sagt nichts dazu. Stattdessen weist er mit einer Handbewegung auf den uniformierten Polizisten, der vom Bürgersteig her auf uns zukommt. »Die haben ein paar Fragen an dich.«
Ich nicke und lasse mich von dem Polizisten zu seinem Wagen führen. Er ist im mittleren Alter und dicklich, mit einem freundlichen Gesicht und traurigen Augen. Er findet wohl, dass ich etwas schwächlich aussehe, denn er öffnet die Beifahrertür und bedeutet mir, mich zu setzen.
Das tue ich, aber ich lasse mich seitlich nieder. Er beugt sich vor und beginnt, mir Fragen zu stellen. Ich antworte, so gut ich kann, obwohl der Schock mir jetzt ziemlich zu schaffen macht.
Nein, ich war gestern Nacht nicht zu Hause.
Nein, ich würde den Namen der Person, mit der ich die Nacht verbracht habe, lieber nicht nennen, wenn das zurzeit nicht unbedingt erforderlich ist.
Nein, ich weiß nicht, warum mir jemand das antun sollte.
Ja, ich bin versichert.
Die Befragung zieht sich endlos hin, bis ein weiterer Polizist dazukommt. Er berührt den Cop, der mich befragt, am Arm, und beide treten ein Stück beiseite, außer Hörweite. Gleich darauf sind sie zurück – sie bedanken sich dafür, dass ich mir die Zeit für die Befragung genommen habe, und versichern mir, sie würden sich bei mir melden.
David rückt wieder an und streckt mir die Hand hin, um mir vom Beifahrersitz aufzuhelfen. Wie ein Roboter stoße ich mich von dem Sitz ab.
»Wie konnte das passieren? Ich verstehe das nicht«, sage ich.
Er schüttelt den Kopf. »Ich auch nicht. Der Einsatzleiter der Feuerwehr glaubt, dass es kein Unfall war. Sie haben schon eine Untersuchung der Brandursache eingeleitet. Den Brandherd haben sie auch gefunden, anscheinend ist das Feuer mitten im Haus ausgebrochen. Und sie haben Spuren von Brandbeschleuniger sichergestellt.«
Er verstummt, und ein unbehagliches Schweigen breitet sich zwischen uns aus; ich sehe, wie ihn die Frage beschäftigt, die er sich auf einmal nicht mehr zu stellen traut. Oder weiß er nicht, wie er sie ansprechen soll? Er ballt die Hände zu Fäusten und lockert sie wieder.
»Was ist?«
David stößt laut schnaubend den Atem aus. »Wo warst du, Anna? Ich habe die halbe Nacht lang versucht, dich zu erreichen. Hast du eine Ahnung, welche Sorgen ich mir gemacht habe? Dein Handy war ausgeschaltet, zu Hause bist du nicht ans Telefon gegangen. Und versuch nicht, mir zu erzählen, du seist bei Michael gewesen. Er hat mir gesagt, dass er seit einem Monat nichts mehr von dir gehört hat –«
»Herrgott, David. Du hast ihm doch nicht erzählt, was passiert ist?«
»Nein«, herrscht er mich an. »Aber das hätte ich tun sollen. Du hast mich belogen, du hast ihn gar nicht angerufen. Ich verstehe nicht, was mit dir los ist. Und jetzt das. Ist dir klar, welche Angst ich um dich hatte, als ich herkam und das Feuer sah? Ich wusste nicht, ob du da drin warst, ob du tot oder lebendig bist.«
Tot oder lebendig. Diese Bemerkung entlockt mir ein bitteres Lächeln, das ich nicht unterdrücken kann. Er weiß natürlich nicht, wie ironisch diese Worte waren.
Ich schließe die Augen und kämpfe gegen die Panik an. David schimpft weiter auf mich ein.
»Was ist los mit dir? Stehst du unter Schock? Verhältst du dich deshalb so seltsam? Ich habe Dr. Avery gesagt, dass du noch nicht aus dem Krankenhaus entlassen werden solltest. Es war zu früh. Nach allem, was passiert ist, hätte er dich länger dort behalten müssen. Ich hätte darauf bestehen sollen. Oder hier bei dir bleiben.«
Er sieht aus und hört sich so an, als hätte er mit seiner Predigt gerade erst angefangen, aber ich halte das nicht mehr aus. Ich trete einen Schritt zurück und hebe die Hand. »Das hilft mir jetzt auch nicht, David. Es tut mir leid, dass du dir Sorgen gemacht hast. Es tut mir leid, dass ich nicht angerufen habe. Ich kann es dir nicht erklären. Ich will nicht. Ich habe jetzt gerade noch genug Kraft, um nachzusehen, ob irgendetwas von meinem Leben noch zu retten ist.«
Er wird rot, aber ich weiß nicht, ob aus Scham oder Ärger. Plötzlich breitet sich Erschöpfung über sein Gesicht, und ich schäme mich meines Ausbruchs von gerade eben. Er ist seit zweieinhalb Jahren mein Freund und Geschäftspartner, und ich habe ihn nicht einmal gefragt, wie es ihm geht. Allerdings ist auch nicht sein Haus bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Doch während der traumatischen Ereignisse der vergangenen zwei Tage habe ich ganz vergessen, dass auch David darin verwickelt war.
Ich trete einen halben Schritt auf ihn zu. »Ich habe dich nicht angerufen, weil ich dachte, du wolltest ein bisschen Zeit mit Gloria verbringen. Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst.«
Seine Miene verändert sich wieder, und diesmal erscheinen harte Fältchen um seinen Mund. »Hat sich herausgestellt, dass sie einen Model-Job in New York hat. Sie dachte, wenn sie mich erst mal in L.A. hat, könnte sie mich überreden, mit ihr hinzufliegen. Ich habe ihr gesagt, dass ich dich nicht allein lassen kann – nicht nach allem, was passiert ist.«
Er zögert, und Verwirrung lässt seine Züge weicher erscheinen. »Aber sieh dich nur mal an, Anna. Vorgestern Nacht wurdest du von einem Psychopathen attackiert, aber jetzt stehst du vor mir, ohne den kleinsten Kratzer und aufgemacht, als kämst du gerade von einer Party. Dein Haus brennt vor deinen Augen nieder, aber bisher hast du keinerlei Gefühlsregung gezeigt.«
Ich weiß nicht, was ich darauf erwidern soll. Aber das ist egal, denn er redet sowieso weiter.
»Ich weiß, wo das Problem liegt, Anna. Es ist dieser verdammte Dr. Avery. Er hat dich aus dem Krankenhaus entlassen, bevor du so weit warst. Du stehst immer noch unter Schock, und dieser Quacksalber hätte das merken müssen, aber es war ihm wohl egal. Ich gehe jetzt auf die Suche nach diesem Dr. Avery, und wenn ich ihn gefunden habe –«
Ich lege David besänftigend eine Hand auf den Arm, um die Schimpftirade zu unterbrechen. »Es ist nicht Dr. Averys Schuld, dass mein Haus abgebrannt ist. Und du hörst das vielleicht nicht gern, aber du täuschst dich, was ihn angeht. Er war –« Ich suche nach den richtigen Worten. »Na ja, er hat sich die letzten Tage um mich gekümmert.«
»Wie bitte?« Die Falten um seinen Mund graben sich wieder deutlich ein, als er empört die Stirn runzelt. »Er hat sich mit dir in Verbindung gesetzt?«
So könnte man es auch ausdrücken. Ich nicke.
»Der hat vielleicht Nerven! Was bezweckt er damit? Will er seinen Arsch retten? Er muss wissen, dass er einen Fehler gemacht hat, als er dich so früh entlassen hat. Damit kommt er nicht durch. Das ist ein Kunstfehler, mindestens. Anna, wir werden das Krankenhaus verklagen.«
Jetzt bin ich es, die plötzlich völlig erschöpft ist. Ich will nicht mehr mit David streiten, und ich habe keine Lust mehr, mich oder Avery zu verteidigen. Ich wende mich von David ab und gehe zu dem zurück, was von meinem Zuhause übrig ist.
Einer meiner Nachbarn, ein Zahnarzt mit dem scheußlichsten Haus in der ganzen Straße, ruft meinen Namen und streckt mir über die Polizeiabsperrung die Hand entgegen.
»Anna«, sagt er. »Ist das nicht schrecklich? Ein Glück, dass die Feuerwehr so schnell da war. Ich habe Rauch gesehen und sie angerufen und mich dann mit dem Gartenschlauch rausgestellt. Hab mein Haus gerettet. Tut mir leid, dass sie Ihres nicht retten konnten. Hier, stecken Sie das ein. Das ist die Visitenkarte meines Architekten. Er baut Ihnen in null Komma nichts ein neues Haus.«
So eines? Seines ist mehr als abscheulich. Dennoch nehme ich die Karte und schließe die Faust darum. Vielleicht ist der Kerl doch in der Lage, etwas anderes zu bauen als Scheußlichkeiten in rosa Stuck wie die Monstrosität meines Nachbarn. Ich muss darüber nachdenken –
Ich spüre eine Bewegung in der Nähe und höre eine Stimme in meinem Kopf. Anna, was geht hier vor?
Ich drehe mich um und sehe Avery die Straße entlangkommen. Ich hatte ganz vergessen, dass er ja nachkommen wollte. Leider hat David ihn auch schon entdeckt. Ich bin nicht schnell genug, um Avery zu warnen, und plötzlich steht David vor ihm.
David streckt die Hand aus und stößt Avery zurück. »Kommen Sie ihr ja nicht zu nahe«, sagt er. »Ich warne Sie. Sie haben schon genug Schaden angerichtet.«
Ich spüre Averys Anspannung und sehe die Gefahr in seinen Augen aufblitzen.
Tu ihm nichts, Avery, sage ich. Bitte. Geh nach Hause, ich komme später zu dir.
Avery wendet den Blick nicht von Davids Gesicht. Er steht völlig still, so absolut reglos, dass ich fürchte, er könne mich ausgeschlossen haben. Er strahlt einen beinahe elementaren Zorn aus. Als wir im Krankenhaus waren, hatte Avery Geduld mit David. Hier will er sich offenbar nichts mehr gefallen lassen.
Ich versuche noch einmal, ihn zu besänftigen. Avery. Bitte. Er ist mein Freund, und er macht sich Sorgen um mich. Lass es gut sein.
Ein langer Augenblick verstreicht. Avery begegnet meinem Blick. Ich spüre, wie sein Zorn nachlässt und seine Schultern sich entspannen. Dir zuliebe, sagt er zu mir. Aber dein Partner muss lernen, was Respekt ist.
Er tritt vor David einen Schritt zurück, und in diesem Augenblick gehe ich zu den beiden. Ich lege David eine Hand auf den Arm. »Ist schon gut, David. Lass Dr. Avery in Ruhe. Er wollte nur nach mir sehen. Er wird jetzt gehen.«
Letzteres war sowohl an Avery wie auch an David gerichtet. Er neigt den Kopf zu einem leichten Nicken und wendet sich ab. Kommst du später zu mir?, fragt er.
Ja. Aber ich muss erst hier fertig werden.
Avery sagt kein Wort mehr zu David, er macht auf dem Absatz kehrt und geht zurück in die Richtung, aus der er gekommen ist. Ich weiß, dass David sich nun mir zugewandt hat und etwas sagt, aber eine andere Stimme, oder vielmehr ein anderer Sinneseindruck, hat sich in mein Bewusstsein gedrängt. Da ist ein Gefühl, verschwommen und zaghaft, aber es kitzelt meine Nerven wie ein Stromschlag.
Rasch blicke ich mich um, um festzustellen, woher dieses Gefühl kommt, wobei ich sorgsam darauf achte, meine eigenen Gedanken nicht nach außen dringen zu lassen. Jemand streckt geistige Fühler nach mir aus, will in meinen Verstand vordringen. Ist das vielleicht mein anonymer Freund von gestern Nacht?
Ich suche die Menschenmenge ab, bis ich ein Gesicht erkenne. Es erscheint nur einen kurzen Augenblick lang und wird dann von der erstaunlich großen Gruppe neugieriger Gaffer verschluckt, die sich auf der anderen Straßenseite versammelt haben.
Ich habe nur einen kurzen Blick erhascht, aber ich kenne diese Person. Ich spüre es bis in die Knochen.
Donaldson ist hier.