Kapitel 10

Es ist ein Reflex, mich in Max’ Arme zu stürzen, sobald er in der Tür erscheint. Er ist groß und stark und strahlt eine Maskulinität aus, der ich verfiel, sobald ich ihm begegnete. Dazu kommen noch die Attraktivität seiner dunklen Latin-Lover-Haut, dunkles Haar und Augen von der Farbe des Ozeans am frühen Morgen, und einen Moment lang gibt es nichts auf der Welt außer dem Gefühl seines Körpers an meinem. Die kribbelnde Berührung seiner Finger in meinem Nacken, als er mich küsst. Ich schmiege mich an ihn, Haut an Haut, Mann und Frau.

Mit einem Fußtritt schließt er die Tür, dann schiebt er mich rückwärts zum Sofa.

Atemlos und begierig lassen wir uns darauffallen.

Dann erinnere ich mich.

Von Mann und Frau kann eigentlich keine Rede mehr sein.

»Max.« Ich drücke die Hände gegen seine Brust, zwinge ihn aufzuhören und mich anzusehen.

Er hört auf. Aber sein Blick. Diese Augen. Beinahe vergesse ich mich. Aber das darf ich nicht. Die Reaktion meines Körpers, die ich jetzt schon spüre, ist so intensiv, dass ich nicht zögern darf, denn sonst sind wir beide verloren. »Warte.«

Er setzt sich auf, und ein verwundertes Lächeln spielt um seine Mundwinkel. Offenbar fällt ihm jetzt erst auf, was ich trage.

»Ist das die neueste Mode?«, fragt er und streicht mit dem Finger den Ausschnitt des Krankenhauskittels entlang. »Wie nennt sich der neue Renner der Saison, Hospital Chic?«

Dann sieht er mir ins Gesicht, sieht mich zum ersten Mal richtig an. Sein Lächeln erstarrt und verschwindet dann ganz. Mit dem Zeigefinger berührt er die Schnittwunde an meinem Haaransatz. »Bist du verletzt? Was ist denn passiert?«

Ich weiß, dass die meisten Verletzungen schon kaum mehr zu erkennen sind, nur dieser Schnitt von Donaldsons erstem Schlag ist noch zu sehen. Und? Unwillkürlich hebe ich die Hand zu der Wunde an meinem Hals. Aber ich spüre nichts außer einer kleinen Erhebung der Haut. Ich lasse mich von Max hochziehen, so dass ich neben ihm auf der Couch sitze.

»Ich bin neulich nachts ein bisschen in Schwierigkeiten geraten.«

»Schwierigkeiten? Wie schlimm war es denn?«

Ich rutsche ein Stück von ihm ab, damit ich ihm voll ins Gesicht sehen kann. »Ein Flüchtiger, den wir fassen wollten, hat uns angegriffen.«

»Er hat dich und David angegriffen?«

Er runzelt die Stirn. Ich spüre seine Anspannung und lege ihm besänftigend eine Hand auf den Arm. »Uns ist nichts passiert. Nur ein paar Kratzer. Der Kerl, den du gerade hast gehen sehen? Das war der Arzt, der mich behandelt hat.«

Diese Neuigkeit zeitigt leider nicht die beabsichtigte Wirkung. Max’ Stirnrunzeln vertieft sich. »Himmel, Anna. Der Arzt ist zu dir nach Hause gekommen, um nach dir zu sehen? Dann muss es aber wirklich ernst sein.«

»Nein, eigentlich nicht.« Ich will Max nicht mehr erzählen als unbedingt nötig. Ich plappere drauflos. »Ich wurde heute aus dem Krankenhaus entlassen. Er war zufällig in der Nähe und wollte nur mal nach mir sehen. Und mach nicht so ein besorgtes Gesicht. David fehlt nichts. Er ist bei Gloria in L.A., du siehst also, dass er auch nicht schwer verletzt wurde. Ich bin nur ein bisschen angeschlagen. Hab mir ein, zwei Rippen geprellt. Jedenfalls soll ich es langsam angehen lassen, etwa eine Woche lang.«

Das hört sich lahm an, sogar in meinen eigenen Ohren, aber ich weiß nicht, wie ich das Unvermeidliche sonst verhindern sollte. Ich kann nicht mit Max schlafen, bis ich gelernt habe, diese Sache zu kontrollieren.

Bis ich gelernt habe, diese Sache zu kontrollieren?

Ziehe ich Averys Vorschlag denn tatsächlich in Betracht?

Ich lasse Max los und stehe auf. Ich kann mir selbst nicht trauen, wenn ich ihm so nahe bin. Ich weiß, dass Max mich haargenau beobachtet. Ich spüre ein vertrautes Kribbeln im Magen und eine Woge der Erregung etwas weiter unten, die ich jetzt gar nicht brauchen kann.

»Geprellte Rippen?« Max steht ebenfalls auf. »Gerade eben hatte ich aber nicht den Eindruck, als hättest du Schmerzen.«

Warum habe ich etwas von Rippen gesagt? Ich wende mich ab, doch Max dreht mich zu sich herum. »Da ist noch mehr, nicht wahr?« Seine Stimme klingt leise und besorgt. »Was hat er dir angetan, Anna?«

Ich zögere und stoße seufzend den Atem aus. Wir hatten Sex, und er hat mich zu einem Vampir gemacht. »Nichts, Max. Ehrlich. Mein Stolz ist am schlimmsten verletzt. Aber ich fühle mich nicht so besonders.« Ich drücke mir eine Hand an die Stirn »Mein Kopf tut noch weh, und mir ist ein bisschen schwindlig.«

Er glaubt mir nicht; das sehe ich ihm an. Doch er sagt nichts, schaut nur nachdenklich drein. Schließlich führt er mich zurück zum Sofa, und wir setzen uns nebeneinander. Nach einer langen Pause wage ich einen Seitenblick zu ihm hinüber. Er beobachtet mich.

»David ist in L.A.?«, sagt er.

Ich nicke. »Bei Gloria.« Plötzlich weiß ich, warum er das fragt. »Du wirst ihn hübsch in Ruhe lassen, Max«, erkläre ich bestimmt. »Ich sage dir, es war nichts. Wir sind bald wieder so gut wie neu, alle beide.«

»Und wie war noch gleich der Name von diesem Arzt?«

»Ich habe ihn dir nicht genannt.«

Max greift nach einem Kissen und legt es gleich wieder hin.

Er ist gereizt.

Ich kann es ihm nicht verdenken. Ich kann nur nichts dagegen tun. Was ich normalerweise tue, um ihn aufzumuntern, wenn er schlechte Laune hat, kommt im Augenblick leider nicht in Frage.

»Max, komm schon.« Ich lege ihm eine Hand auf die Schulter. »Rede mit mir. Wie läuft der Job? Ich habe von der erfolgreichen Großrazzia letzte Woche im Südosten gehört. Ich dachte, vielleicht war das eine von deinen Sachen.«

Er antwortet nicht sofort. Ich glaube schon, dass er gar nichts mehr sagen wird, als er laut durch die Nase ausatmet und eine Hand auf meine legt. »Es läuft toll«, sagt er. »Die Razzia war eine der größten und erfolgreichsten, die es je gab. Jetzt brauchen wir nur noch das ganze Geld zurückzuverfolgen, und dann haben wir sie.«

Er rutscht unruhig auf dem Sofa herum, hebt meine Hand an und berührt die Handfläche sacht mit den Lippen. Ich kann mich kaum davon abhalten, laut zu schnurren. Stattdessen nicke ich ermunternd.

Er seufzt und fährt fort. »Heute Nachmittag habe ich den Boss über die Grenze gefahren, weil er seine Mama besuchen wollte. Als ich ihn abgesetzt habe, hat er mir fünfhundert Dollar in die Hand gedrückt und gesagt, ich solle mich flachlegen lassen.« Er greift in die Tasche und holt das dicke Bündel Scheine heraus. »Bewahr die für mich auf, ja? Wenn ich mit dem Geld zurückkomme, wird er wissen, dass ich mich nicht habe flachlegen lassen. Aber wie es aussieht, werde ich hier auch nicht flachgelegt, also, was soll’s, hm?«

Ich werfe ihm einen strengen Blick zu. »Das ist also der einzige Grund, weshalb du mich besuchst? Du kommst nur, um Sex zu haben?«

Er kapituliert mit einem Lächeln. »Nicht der einzige Grund«, sagt er. »Aber wenn ich dich seit zwei Monaten nicht gesehen habe und nicht weiß, wann ich dich wiedersehen werde, und wir nur ein paar Stunden haben … na ja, das ist kaum genug Zeit, um eine ausführliche Diskussion über die Weltpolitik anzufangen, oder?« Er beugt sich vor, und seine Lippen kommen meinen gefährlich nahe. »Aber die Zeit reicht auf jeden Fall, um gewisse andere interessante Themen zu erkunden. Brüste zum Beispiel.« Seine linke Hand legt sich an meine rechte Brust. »Oder Schenkel.« Seine Hand streicht abwärts.

Dann streifen seine Lippen beinahe meine Wange, und er säuselt mir ins Ohr: »Ich könnte sehr, sehr sanft sein, Anna.«

Meine Entschlossenheit gerät ins Wanken. Sex mit Max ist eines der schönsten Dinge in meinem Leben. Die Tatsache, dass wir uns nur sporadisch sehen, und immer unerwartet, steigert noch die Erregung.

Aber ich darf das jetzt nicht tun. Ich traue mir selbst nicht über den Weg. Ich bedauere es, aber ich weiche zurück. »Bitte, Max. Ich fühle mich einfach nicht gut.«

»Oh. Kopfschmerzen, hm?«

Ich nicke und drücke demonstrativ die Hand an die Stirn.

Er lacht. »Das funktioniert nicht, Anna«, sagt er. »Du bist die zäheste Frau, die ich kenne. Und du bist für Sex geschaffen wie noch niemand, den ich je kennengelernt habe. Also, willst du mir jetzt erzählen, was hier wirklich los ist? Oder muss ich David aufspüren, damit er mir die Wahrheit sagt?«

Das ist eine leere Drohung. Max arbeitet undercover als Fahrer für einen der berüchtigtsten Gangsterbosse Mexikos – da ist die Leine ziemlich kurz. Es war dieser Job, durch den wir uns kennengelernt haben. Nicht lange, nachdem ich ins Kautionsgeschäft eingestiegen war, hat ein Flüchtiger, an dem ich gerade dran war, sich bereit erklärt, im Austausch gegen eine »Du kommst aus dem Gefängnis frei«-Karte den Informanten zu spielen. Das FBI war auf einmal sehr interessiert, als sie erfuhren, dass der Kerl ein hohes Tier in der Orga dieses Gangsters war. Ich habe den Deal arrangiert, und Max war der Spitzel, den wir damals getroffen haben. Deshalb kann ich ganz sicher sein, dass er keinen überraschenden Ausflug nach L.A. unternehmen wird, um David auszuquetschen.

Und Max weiß das auch, aber für die Mühe hat er ein paar Punkte verdient.

Als ich nichts sage, seufzt er. »Okay, ich gebe auf. Ich weiß nicht, was hier los ist, und ich kann dich nicht zwingen, es mir zu sagen. Ich kaufe dir die Invaliden-Nummer nicht ab, und ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand dir und David zusammen überlegen sein könnte. Aber ich habe dir von dem Moment an, als wir uns begegnet sind, mein Leben anvertraut. Jetzt muss ich wohl auch darauf vertrauen, dass das, was dir gerade zu schaffen macht, nichts mit uns zu tun hat.«

Das ist eine rührende kleine Rede. Ich glaube, dass er selbst glaubt, was er da sagt. Ich weiß aber, dass Max ein professioneller Lügner ist und seine schauspielerischen Fähigkeiten ihm in ein paar ziemlich gefährlichen Situationen das Leben gerettet haben. Ich wische mir eine eingebildete Träne aus dem Augenwinkel.

Wir beide fangen gleichzeitig an zu lachen.

»Also«, sagt er, als er wieder Luft bekommt, »hast du was zu essen für mich? Ich bin am Verhungern.«

Ich nehme seine Hand und ziehe ihn zur Küche.

»Du hast nicht zufällig etwas von Luigi’s da?«, fragt er und mustert den Inhalt meines Kühlschranks. »Für einen Teller seiner Lasagne würde ich über Leichen gehen.«

Verführung der Nacht: Ein Vampirthriller
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