Zikadenkönigin

 

Es begann in der Nacht, in der die Königin ihre Hunde zurückrief. Ich hatte vor meiner Desertion zwei Jahre unter den Hunden gelebt.

Meine Initiation und meine Freiheit von den Hunden wurden im Heim von Arvin Kulagin gefeiert. Kulagin, ein reicher Mechanisierer, besaß eine Wohnfabrik am Außenrand eines mittelgroßen zylindrischen Vorortes.

Kulagin empfing mich an der Tür und reichte mir einen goldenen Zerstäuber. Die Party war schon voll im Gange. Die Polycarbon-Clique war bei jeder Initiation außer Rand und Band.

Wie üblich wurden die Leute etwas steif, als ich eintrat. Das lag an den Hunden. Stimmen erhoben sich gekünstelt und etwas schrill, die Leute hielten ihre Zerstäuber und Drinks mit affektierter Anmut, und die lächelnden Gesichter, die mir zugewandt wurden, hätten jeden Sicherheitsexperten täuschen können.

Kulagin setzte ein falsches Lächeln auf. »Landau, es ist mir eine Freude. Willkommen. Wie ich sehe, haben Sie den Zehnten der Königin mitgebracht.« Er blickte demonstrativ zum Kasten, den ich an der Hüfte trug.

»Ja«, sagte ich. Ein Mann unter den Hunden hatte keine Geheimnisse. Ich hatte mit Unterbrechungen zwei Jahre am Geschenk für die Königin gearbeitet, und die Hunde hatten alles aufgezeichnet. Sie schnitten immer noch alles mit. Die Sicherheitsexperten des Zarina-Kluster hatten sie dafür ausgebildet. Zwei Jahre lang hatten sie jede Sekunde meines Lebens aufgezeichnet und alles und jeden in meiner Nähe registriert.

»Vielleicht kann sich die Clique das mal ansehen«, sagte Kulagin, »nachdem wir diese Hunde ausgepeitscht haben.« Er blinzelte in das gespanzerte Kameragesicht des Wachhundes. Dann sah er auf die Uhr. »Noch eine Stunde, dann sind Sie frei. Dann werden wir unseren Spaß haben.« Er winkte mich herein. »Benutzen Sie die Servos, wenn Sie etwas brauchen.«

Kulagins klassisch dekorierte Wohnung war geräumig und elegant und duftete stark nach den riesigen, frei hängenden Ringelblumen. Dieser Vorort trug den Namen ›Schaum‹; hier hielt sich die Clique am liebsten auf. Kulagin, der am Rande des Vorortes lebte, profitierte von der trägen Umdrehung des Schaums. In seiner Wohnung konnte er ein Zehntel ge genießen. Seine Wände trugen Streifen, um vertikale Bezugspunkte zu bieten, und er hatte genug Platz, um sich Luxusartikel wie ›Sofas‹; ›Tische‹, ›Stühle‹ und andere schwerkraftgebundene Möbel zu leisten. Die Decke war mit Haken übersät, an denen ein Dutzend Ringelblumen hingen, die er besonders liebte: große runde Explosionspilze aus stinkendem Grün mit Blüten in der Größe meines Kopfes.

Ich betrat den Raum und ging hinter einer Couch in Deckung, um vor den beiden scharfen Hunden sicher zu sein. Ich winkte einen von Kulagins spillerigen Servos heran und nahm eine Druckflasche Schnaps, um die aufstachelnden Phenethylamine zu dämpfen, die ich mit dem Zerstäuber zu mir genommen hatte.

Ich beobachtete die Party. Die Leute hatten sich in lockere Untercliquen aufgeteilt. Kulagin stand mit seinen engsten Sympathisanten an der Tür; es waren Mechanisierer-Beamte aus den Banken des Zarina-Kluster und ruhige Wachleute. In meiner Nähe fachsimpelte ein Professor vom Kosmosity-Metasystem-Campus mit zwei Orbitalingenieuren. An der Decke sprachen Neuformer-Designer über Mode; sie hingen in der schwachen Schwerkraft an Haken. Unter ihnen hüpften ein paar irre Z-K-Leute, ›Zikaden‹ wurden sie genannt, durch ihre Schwerkraft-Tanzfiguren.

Hinten im Raum saß Wellspring inmitten einer Gruppe zierlicher Stühle. Ich sprang mühelos über die Couch und glitt zu ihm hinüber. Die Hunde folgten mir mit surrenden Rotoren.

Wellspring war mein engster Freund in Z-K. Er hatte mich zur Desertion ermutigt, als er im Ringrat war, um Eis für das marsianische Terraform-Projekt zu kaufen. Die Hunde kümmerten sich nicht um Wellspring. Seine lange Freundschaft mit der Königin war bekannt. Wellspring war in Z-K eine Legende.

Er hatte sich für eine Audienz bei der Königin zurechtgemacht. Auf dem dunklen, verfilzten Haar trug er ein Diadem aus Gold und Platin. Gekleidet war er in eine lockere Bluse aus metalldurchwirktem Brokat mit geschlitzten Ärmeln. Darunter war ein dunkleres Unterhemd zu erkennen, in das flackernde Lichtpünktchen gesetzt waren. Dazu trug er einen juwelenbestickten Rock nach der Mode der Investierer und kniehohe Schuppenstiefel. Die Juwelenbänder am Rocksaum ließen seine kräftigen Beine frei; er war an die Schwerkraft gewöhnt, die von der reptilischen Königin bevorzugt wurde. Er war ein mächtiger Mann, dessen Schwächen, soweit sie überhaupt existierten, in seiner Vergangenheit begraben waren.

Wellspring sprach über Philosophie. Seine Zuhörer, Mathematiker und Biologen der Universität von Z-K, machten mir mit verkniffenem Lächeln Platz. »Sie haben mich gebeten, meine Begriffe zu definieren«, sagte er entgegenkommend. »Mit wir meinte ich nicht nur euch Zikaden und ebensowenig die breite Masse der sogenannten Menschheit. Schließlich seid ihr Former aus Genen entstanden, auf welche die Genkonzerne Patente besitzen. Man könnte euch ohne weiteres als Industrieprodukte bezeichnen.«

Seine Zuhörer stöhnten. Wellspring lächelte. »Die Mechanisierer dagegen beseitigen nach und nach das menschliche Fleisch und ersetzen es durch cybernetische Existenzformen. So. Daraus folgt, daß ich mit wir nur ein kognitives Metasystem auf der Vierten Prigoginischen Ebene der Komplexität meinen konnte.«

Ein Former-Professor drückte sich seinen Zerstäuber ins bemalte Nasenloch und sagte: »Ich muß da widersprechen, Wellspring. Dieser okkulte Unsinn über Ebenen der Komplexität ruiniert Z-Ks Fähigkeit, anständige Forschung zu betreiben.«

»Das ist eine linear-kausale Behauptung«, gab Wellspring zurück. »Ihr Konservativen sucht eure Sicherheit immer außerhalb der Ebene kognitiver Metasysteme. Aber jedes intelligente Leben ist zweifellos durch einen prigoginischen Ereignishorizont von den niedrigen Ebenen getrennt. Es ist an der Zeit, daß wir aufhören, nach festem Boden zu suchen, auf dem wir stehen wollen. Wir müssen uns selbst in den Mittelpunkt aller Dinge rücken. Wenn wir etwas brauchen, auf dem wir stehen wollen, dann sollten wir es um uns kreisen lassen.«

Er bekam Applaus. Er fuhr fort: »Geben Sie's zu, Yevgeny! In Z-K erblüht eine neue Moral und ein neues intellektuelles Klima. Beides ist weder quantifizierbar noch voraussagbar, und das macht Ihnen als Wissenschaftler angst. Der Posthumanismus bietet Unbeständigkeit und Freiheit und fordert den metaphysischen Wagemut, in Gedanken eine ganz neue Welt zu erschaffen. Er befähigt uns, ökonomisch absurde Projekte wie das Terraformen des Mars in Angriff zu nehmen, an die Sie mit Ihrer pseudopragmatischen Haltung nicht im Traum denken würden. Aber stellen Sie sich einmal den dabei möglichen Gewinn vor.«

»Das sind doch nur semantische Tricks«, schnaubte der Professor. Ich hatte ihn noch nie gesehen. Ich vermutete, Wellspring hatte ihn eigens mitgeschleppt, um ihn aufs Glatteis zu führen.

Auch ich hatte zunächst gewisse Aspekte von Z-Ks Posthumanismus angezweifelt. Doch der offene Verzicht auf die Suche nach moralischen Leitsätzen hatte uns befreit. Wenn ich mir die eifrigen, angemalten Gesichter von Wellsprings Zuhörern ansah und sie mit der freudlosen, undurchdringlichen Sachlichkeit verglich, die mich früher umgeben hatte, war mir, als müßte ich gleich platzen. Nach vierundzwanzig Jahren unter der paranoiden Disziplin des Ringrates und zwei weiteren Jahren unter den Hunden würde ich an diesem Abend den Druck auf explosive Art loswerden.

Ich schnüffelte das Phenethylamin, ein ›körpereigenes‹ Amphethamin. Mir wurde plötzlich schwindlig, als wäre der Raum in meinem Kopf mit der rotglühenden Urmaterie des ursprünglichen de Sitter-Kosmos gefüllt, bereit, jederzeit den prigoginischen Sprung in das ›normale‹ Raum-Zeit-Kontinuum zu tun und die Zweite Prigoginische Ebene der Komplexität zu erreichen … der Posthumanismus lehrte uns, in Phasen von Starre und Veränderung zu denken, in Strukturen, die, unerkennbaren Mustern folgend, sich ausdehnten und jenen Vorgaben gehorchten, die der alte terranische Philosoph Ilya Prigogine entwickelt hatte. Ich konnte dies unmittelbar verstehen, denn meine Zuneigung für die strahlende Valery Korstad hatte sich zu einem Bedürfnisknoten verdichtet, der durch Unterdrückermittel betäubt, aber nicht zerstört werden konnte.

Sie tanzte durch den Raum, und die Juwelenfäden in ihrem Investiererhemd hüpften wie Schlangen. Sie hatte die anonyme Schönheit der Neuformer, überlagert von den kunstvollen, aufreizenden Farben von Z-K. Ich hatte noch nie eine Frau gesehen, die ich mehr begehrte, und nach unseren kurzen und verkrampften Flirts wußte ich, daß nur die Hunde zwischen uns standen.

Wellspring nahm mich am Arm. Sein Publikum hatte sich aufgelöst, während ich Valery hingerissen angestarrt hatte. »Wie lange noch, mein Sohn?«

Ich sah erschrocken auf meine Armbanduhr. »Nur noch zwanzig Minuten, Wellspring.«

»Das ist gut, mein Sohn.« Wellspring war dafür bekannt, daß er altmodische Begriffe wie Sohn benutzte. »Sobald die Hunde weg sind, wird es deine Party sein, Hans. Ich werde nicht hierbleiben und deinen Auftritt trüben. Außerdem werde ich von der Königin erwartet. Hast du den Zehnten der Königin?«

»Ja, wie du es mir gesagt hast.« Ich löste den Kasten vom Adhäsionskissen an meiner Hüfte und übergab ihn.

Wellspring hob mit seinen kräftigen Fingern den Deckel und sah hinein. Dann lachte er laut. »Mein Gott, ist das schön!«

Plötzlich zog er die offene Kiste darunter weg, und das Geschenk für die Königin schwebte in der Luft und glitzerte über unseren Köpfen. Es war ein künstlicher Edelstein in der Größe einer Kinderfaust, und die Schliffkanten funkelten im Grün und Gold endolithischer Flechten. Der Stein drehte sich und warf winzige Reflexe über unsere Gesichter.

Als er sank, tauchte Kulagin auf und fing ihn mit den Fingerspitzen. Sein linkes Auge, ein künstliches Implantat, funkelte düster, während er ihn untersuchte.

»Eisho Zaibatsu?« fragte er.

»Ja«, sagte ich. »Sie haben die Synthetisierung erledigt; die Flechten habe ich selbst gezüchtet.« Als ich bemerkte, daß sich ein Kreis Neugieriger um uns sammelte, fuhr ich lauter fort: »Unser Gastgeber ist ein Kenner.«

»Nur, was Finanzgeschäfte angeht«, erwiderte Kulagin gelassen aber nachdrücklich. »Ich verstehe nicht, warum Sie das Verfahren auf Ihren Namen patentiert haben. Es ist eine prächtige Erfindung. Wie könnte eine Investiererin den Verlockungen eines lebendigen Juwels widerstehen, Freunde? Unser Initiand wird eines Tages ein reicher Mann sein.«

Ich blickte rasch zu Wellspring, aber der hob unauffällig einen Finger an die Lippen. »Und er wird diesen Reichtum brauchen, um den Mars zur Reife zu bringen«, sagte Wellspring laut. »Wir können nicht ewig von den Mitteln der Kosmosity abhängen. Freunde, freut euch, denn ihr werdet den Profit einstreichen, den Landaus geniale Genetik abwirft.« Er fing den Edelstein und steckte ihn in die Kiste. »Und heute abend habe ich die Ehre, der Königin dieses Geschenk zu übergeben. Eine doppelte Ehre, da ich seinen Schöpfer selbst anwarb.« Plötzlich sprang er zum Ausgang, und seine kräftigen Beine trugen ihn rasch über unseren Köpfen davon. Im Fliegen rief er: »Mach's gut, mein Sohn! Möge nie wieder ein Hund deine Türschwelle verdunkeln!«

Nachdem Wellspring gegangen war, verabschiedeten sich auch die Gäste, die nicht zu Polycarbon gehörten. Sie drängten sich um die Servos, die ihnen die Hüte brachten und einen guten Heimweg wünschten. Als der letzte fort war, wurde die Clique plötzlich sehr still.

Kulagin bugsierte mich in eine Ecke seines Studios, während die Clique sich in einen langen Spießrutengang für die Hunde aufbaute und sich mit Bändern und Farbe bewaffnete. Eine gewisse, unheildrohende, glühende Rachsucht gab ihrem Vergnügen gerade den richtigen Biß. Ich nahm Kulagins vorbeischnurrenden Servos zwei Farbbeutel ab.

Es war fast Zeit für mich. Zwei Jahre hatte ich darauf hingearbeitet, mich der Polycarbon-Clique anzuschließen. Ich brauchte sie. Ich glaubte, daß sie auch mich brauchten. Ich war die Verdächtigungen, die verkrampfte Höflichkeit, die gläsernen Wände unter der Überwachung der Hunde einfach leid. Die scharfen Kanten meiner lange geübten Disziplin zerbröckelten schmerzhaft. Ich begann unkontrolliert zu zittern. Ich konnte es nicht unterdrücken.

Die Hunde waren still, zeichneten bis zum letzten vorgeschriebenen Augenblick alles auf. Die Menge begann die Zeit abzuzählen. Genau bei Null wandten sich die beiden Hunde zum Gehen.

Sie mußten durch ein Spalier aus Farbbeuteln und Wimpeln. Einen Augenblick vorher hätten sie sich noch wild auf ihre Peiniger gestürzt, aber nun hatten sie die Grenzen ihrer Programmierung erreicht und waren hilflos. Die Polycarbon zielten genau, und bei jedem klatschenden Aufschlag brüllten sie vor Lachen. Sie kannten keine Gnade, und es dauerte eine volle Minute, bis die erniedrigten Hunde geblendet zur Tür hüpfen und taumeln konnten.

Die Hysterie des Mobs überwältigte auch mich. Schreie drangen durch meine zusammengebissenen Zähne. Jemand mußte mich zurückhalten, damit ich die Hunde nicht durch den Gang verfolgte. Als kräftige Hände mich ins Zimmer zurückzogen, wandte ich mich zu meinen Freunden um und erschrak, als ich die ungezügelten Emotionen auf ihren Gesichtern sah. Es war, als hätten sie ihre Haut abgestreift und blickten mich mit lebendigen Augen aus Fleischklumpen an.

Ich wurde aufgehoben und von Hand zu Hand durch den ganzen Raum weitergereicht. Selbst die, die ich kannte, schienen mir jetzt fremd. Hände rissen an meinen Kleidern, bis ich nackt war; sie nahmen mir sogar mein Computerarmband ab. Dann stellten sie mich mitten in den Raum.

Als ich schaudernd in ihrem Kreis stand, kam Kulagin zu mir, die Arme steif ausgestreckt, das Gesicht versteinert und priesterlich ernst. Er hielt ein weiches schwarzes Tuch in den Händen. Er hob das Tuch über meinen Kopf, und ich sah, daß es eine schwarze Haube war. Er legte die Lippen dicht an mein Ohr und sagte leise: »Freund, geh in die Ferne!« Dann zog er mir die Haube über den Kopf und knotete sie zu.

Die Haube war mit etwas getränkt worden; sie stank. Meine Hände und Füße begannen zu kribbeln, dann wurden sie taub. Langsam kroch eine Wärme meine Arme und Beine herauf. Es fühlte sich an, als würden mir Armreifen angelegt. Ich hörte nichts mehr, und meine Füße spürten den Boden nicht mehr. Ich verlor meinen Gleichgewichtssinn, und plötzlich stürzte ich rücklings in die Unendlichkeit.

Ich wußte nicht, ob meine Augen geschlossen oder geöffnet waren. Aber am Rande meines Gesichtsfeldes, hinter einer Art Nebel, tauchten kalte und grelle Lichtpunkte auf. Es war die Große Galaktische Nacht, die weite, erbarmungslose Leere, die unmittelbar hinter den wärmenden Wänden jeder menschlichen Behausung lauert, leerer noch als der Tod.

Ich schwebte nackt im Raum, und die Kälte war so scharf, daß ich sie in jeder Zelle meines Körpers wie Gift schmeckte. Ich spürte die schwache Wärme meines Lebens aus mir strömen wie Plasma, das als Morgenrot auf meinen Fingerspitzen verging. Ich stürzte immer weiter, und als die letzten Funken meiner Wärme in den unendlichen Abgründen des Raumes vergingen und mein Körper steif und weiß und jede Pore von Reif überzogen war, sah ich mich dem größten aller Schrecken gegenüber: Ich würde nicht sterben, sondern auf ewig immer weiter ins Unbekannte stürzen, und mein Bewußtsein würde zu einer winzigen, gefrorenen Spore schrumpfen, isoliert und voller Schrecken.

Die Zeit dehnte sich. Äonen stiller Furcht verdichteten sich zu wenigen Herzschlägen, und vor mir sah ich einen einsamen weißen Lichtklecks, einen Riß zwischen diesem und einem Nachbarkosmos voller fremdartiger Strahlung. Diesmal konnte ich verfolgen, wie ich darauf zustürzte und hindurchfiel, bis ich schließlich mit einem Ruck wieder hinter meinen eigenen Augen landete, in meinem eigenen Kopf, und auf dem weichen Boden von Kulagins Studio stand.

Die Haube war weg. Ich trug eine weite schwarze Robe, die von einem bestickten Gürtel gehalten wurde. Kulagin und Valery Korstad halfen mir auf die Beine. Ich schwankte, wischte meine Tränen ab, aber ich konnte stehen, und die Clique jubelte mir zu.

Kulagin schob seine Schulter unter meinen Arm. Er umarmte mich und flüsterte: »Bruder, vergiß die Kälte nicht. Wenn deine Freunde Wärme brauchen, dann sei warm und erinnere dich an die Kälte. Wenn Freundschaft dich schmerzt, dann vergib uns und erinnere dich an die Kälte. Wenn Selbstsucht dich in Versuchung führt, dann weise sie zurück und erinnere dich an die Kälte. Denn du warst in der Ferne und bist erneut zu uns zurückgekehrt. Erinnere dich, erinnere dich an die Kälte.« Und dann gab er mir meinen geheimen Namen und drückte seine bemalten Lippen auf meinen Mund.

Ich klammerte mich an ihn und schluchzte erstickt. Valery umarmte mich, und Kulagin zog sich sanft und lächelnd zurück.

Einer nach dem anderen nahmen alle aus der Clique meine Hände und drückten ihre Lippen rasch auf mein Gesicht und murmelten Glückwünsche. Ich konnte immer noch nicht sprechen; ich nickte nur. Inzwischen flüsterte Valery Korstad, die meinen Arm festhielt, heiße Worte in mein Ohr: »Hans, Hans, Hans Landau, es bleibt noch ein gewisses Ritual, das ich mir selbst vorbehalten habe. Heute nacht gehört uns die schönste Kammer im Schaum, ein heiliger Ort, den noch nie ein Hund mit seinen gläsernen Augen erblickt hat. Hans Landau, heute abend gehört dieser Ort dir, und auch ich gehöre dir.«

Ich sah ihr mit tränenden Augen ins Gesicht. Ihre Augen waren geweitet, und unter ihren Ohren und auf ihren Wangen breitete sich eine leichte Röte aus. Sie hatte hormonelle Aphrodisiaka genommen. Ich roch die keimfreie Süße ihres parfümierten Schweißes und schloß schaudernd die Augen.

Valery führte mich in den Gang hinaus. Hinter uns schloß sich Kulagins Tür luftdicht, und die ausgelassenen Stimmen wurden zu einem Gemurmel gedämpft. Valery half mir, meine Luftflossen anzulegen. Sie flüsterte beruhigend.

Die Hunde waren fort. Zwei Brocken meiner Realität waren verändert, wie man ein Band überspielt. Ich war immer noch benommen. Valery nahm meine Hand, und wir schwebten durch einen Gang nach oben, zum Zentrum der Station, indem wir mit den Flossen in der Luft ruderten. Ich lächelte abwesend die Zikaden an, denen wir unterwegs begegneten. Sie gehörten zu anderen Gruppen und gingen gelassen ihrer Alltagsarbeit nach, während die Polycarbon-Clique ausgelassen feierte.

Im Schaum konnte man sich leicht verlaufen. Er war als Protest gegen die strenge Architektur der anderen Stationen erbaut worden; der typische Trotz von Z-K gegen die Norm. In den am Anfang noch leeren Zylinder war Plastik gepreßt worden. Das Plastik war aufgeschäumt worden und hatte sich gesetzt. So waren Blasen entstanden, deren gerade Seitenflächen durch die klare Topologie des Platzmangels und der Oberflächenspannung geformt wurden. Später waren Gänge eingezogen worden, und die Türen und Schleusen hatte man von Hand eingesetzt. Der Schaum war berühmt für seine überschwengliche, offene Spontanität.

Und für seine Discreets. Z-K gewährte seinen Bürgern gewisse Rechte und schützte diese Räume gegen jede Überwachung. Ich war noch nie in einem gewesen. Leute, die unter den Hunden lebten, durften ihr Gebiet nicht verlassen. Aber ich hatte Gerüchte gehört, geheimnisvolle, lüsterne Skandalgeschichten aus Bars und Gängen, Fetzen zügelloser Spekulationen, die sofort verstummten, wenn Hunde kamen. In einem Discreet konnte alles, einfach alles geschehen, und niemand wußte es außer den Liebenden oder den Überlebenden, die Stunden später in die Öffentlichkeit zurückkehrten …

Als die Zentrifugalkraft nachließ, schwebten wir. Valery zog mich. Die Schaumblasen waren in der Nähe der Rotationsachse größer. Wir betraten einen Bezirk mit ruhigen Wohnfabriken der Reichen. Bald schwebten wir vor der Türschwelle des berüchtigten Topaz Discreet, dem heimlichen Schauplatz zahlloser Vergnügungen der Elite. Es war der beste im Schaum.

Valery sah auf ihre Uhr. Sie wischte den dünnen Schweißfilm ab, der sich auf ihrem schön geschwungenen, geröteten Gesicht und ihrem Hals gebildet hatte. Wir mußten nicht lange warten. Wir hörten den leisen Gong der Schaltuhr im Discreet mehrmals anschlagen; der augenblickliche Benutzer wußte nun, daß seine Zeit abgelaufen war. Das Türschloß war nicht versiegelt. Ich fragte mich, welches Mitglied des inneren Kreises von Z-K auftauchen würde. Nun, da ich die Hunde los war, sehnte ich mich danach, seinen Blick fest zu erwidern.

Wir mußten warten. Das Discreet gehörte jetzt von Rechts wegen uns, und jeder verlorene Augenblick schmerzte uns. Die Zeit im Discreet zu überziehen, war mehr als unhöflich. Valery wurde wütend und stieß die Tür auf.

In der Luft schwebte Blut. In der Schwerelosigkeit tanzten tausend gerinnende rote Kleckse.

Der Selbstmörder schwebte fast in der Mitte des Raums. Sein schlaffer Körper kreiste noch langsam von der Wucht seiner letzten Bewegung. Er hatte sich den Hals durchgeschnitten. Ein Skalpell funkelte in den unwillkürlich verkrampften Fingern der Leiche. Er trug den einfachen schwarzen Overall eines konservativen Mechanisierers.

Der Körper drehte sich, und ich sah die Abzeichen der Königlichen Ratgeber, die auf die Brust gestickt waren. Sein teilweise durch Metall ersetztes Schädeldach war von seinem eigenen Blut klebrig; das Gesicht war verschmiert. Lange Fäden von geronnenem Blut hingen wie rote Schleier an seinem Hals.

Wir waren in etwas hineingestürzt, das viel zu groß für uns war. »Ich rufe den Wachdienst«, sagte ich.

Sie sagte nur zwei Worte: »Noch nicht.« Ich sah sie an. Ihre Augen waren von einer faszinierten Lust verdunkelt. Die Verlockung des Verbotenen hatte ihre Haken in sie geschlagen. Sie trat lässig gegen eine mit Mosaiken belegte Wand, und ein langer Blutfaden zerspritzte und legte sich über ihre Hüfte.

In Discreets begegnet man dem Außergewöhnlichen. In einem Raum mit so vielen verborgenen Bedeutungen verschwammen alle Konturen. Durch die ständige Nähe hatte sich die Freude mit dem Tod vermählt. Für die Frau, die ich verehrte, waren die geheimen Riten, die wir hier ahnten, zu einem unaussprechlichen Ganzen geworden.

»Schnell«, sagte sie. Ihre Lippen schmeckten bitter und waren von den Aphrodisiaka etwas fettig. Wir verflochten unsere Beine und kopulierten im freien Fall, während wir dem blutigen Schleiertanz des Leichnams zusahen.

Das war die Nacht, in der die Königin ihre Hunde zurückrief.

 

Es hatte mich so sehr erregt, daß mir schlecht wurde. Wir Zikaden lebten im moralischen Äquivalent des de Sitter-Raums, in dem keine Ethik gilt, die nicht durch nichtkausalen freien Willen entstanden ist. Jede Ebene der prigoginischen Komplexität beruhte auf einem unabhängigen, schöpferischen Katalysator: Raum existierte, weil der Raum existierte, Leben existierte, weil es entstanden war, Intelligenz war, weil sie war. So war es möglich, daß sich aus einem winzigen Augenblick großer Abscheu ein komplettes Moralsystem entwickelte … so lehrten es jedenfalls die Posthumanisten. Nach meiner glücklichen Vereinigung mit Valery zog ich mich zurück, um zu arbeiten und zu denken.

Ich lebte im Schaum, in einem Fabrikstudio, das nach Flechten stank und erheblich weniger elegant war als Kulagins Wohnung.

In der zweiten Tagschicht meiner Meditation besuchte mich Arkadya Sorienti, eine Polycarbon-Freundin und eine von Valerys Vertrauten. Selbst ohne die Hunde war unser Verhältnis belastet. Mir schien, daß Arkadya alles war, was Valery nicht war: blond, während Valery dunkel war, mit Mechanisierer-Kram bedeckt, während Valery die kühle Eleganz einer genmodulierten Frau besaß, voll falscher, spröder Fröhlichkeit, wo Valery sich lieber weichen, melancholischen Stimmungen hingab. Ich bot ihr eine Druckflasche mit Schnaps an; meine Wohnung lag zu nahe an der Achse, um Tassen zu benutzen.

»Ich hab deine Wohnung noch gar nicht gesehen«, sagte sie. »Aber sie gefällt mir, Hans. Was für Algen sind das?«

»Das sind Flechten«, sagte ich.

»Sie sind schön. Eine deiner Spezialsorten?«

»Sie sind alle etwas Besonderes«, sagte ich. »Die hier gehören zur Gruppe Mark III und Mark IV; sie werden zum Terraformen eingesetzt. Die anderen haben einige Eigenarten, die ich weiterentwickeln will, bis sie als Giftwächter eingesetzt werden können. Flechten reagieren sehr empfindlich auf jede Art von Verschmutzung.« Ich drehte den Luftionisierer auf. In den Eingeweiden von Mechanisierern tummelten sich die Bakterien nur so, das konnte gefährlich werden.

»Welches sind die Flechten, die im Juwel der Königin waren?«

»Die sind sicher unter Verschluß«, sagte ich. »Außerhalb eines Juwels wachsen sie sehr ungeregelt. Und sie riechen.« Ich lächelte unsicher. Unter Formern war bekannt, daß Mechanisierer stanken. Ich glaubte beinahe schon den Gestank ihrer Achselhöhlen zu riechen.

Ardadya lächelte und rieb nervös über die Haut-Metall-Schnittstelle auf ihrem Arm, in der eine winzige Maschine saß. »Valery ist wieder mal mies drauf«, sagte sie. »Ich wollte sehen, wie's dir geht.«

Vor meinem inneren Auge flackerte das alptraumhafte Bild der Kopulation unserer nackten, blutverschmierten Körper auf. Ich sagte: »Es war … unglücklich.«

»Alle in Z-K reden über den Tod des Kontrolleurs.«

»War es der Kontrolleur?« fragte ich. »Ich hab die Nachrichten nicht gehört.«

Sie sah mich verschlagen an. »Ihr habt ihn doch gesehen«, sagte sie.

Ich war schockiert, da sie zu erwarten schien, daß ich meinen Aufenthalt in einem Discreet diskutierte. »Ich hab zu tun«, sagte ich. Ich bewegte meine Flossen und entfernte mich seitlich von ihr. Wenn wir uns von der Seite ansehen mußten, würde sich die gesellschaftliche Distanz zwischen uns vergrößern.

Sie lachte leise. »Stell dich nicht so an, Hans. Du tust, als wärst du noch unter den Hunden. Du muß es mir sagen, wenn ich euch beiden helfen soll.«

Ich hielt mich fest. Sie sagte: »Ich will euch wirklich helfen. Ich bin Valerys Freundin. Ich finde es schön, euch zwei zusammen zu sehen. Das entspricht meinem Gefühl für Ästhetik.«

»Danke für die Aufmerksamkeit.«

»Ich will wirklich euer Bestes. Ich bin es müde, sie am Arm eines alten Lüstlings wie Wellspring zu sehen.«

»Willst du mir sagen, daß sie seine Geliebte ist?« sagte ich.

Sie drohte mir mit metallummantelten Fingern. »Fragst du mich, was die beiden in seinem Lieblings-Discreet tun? Vielleicht spielen sie Schach.« Sie verdrehte die Augen unter den schwer mit Gold bestäubten Lidern. »Mach nicht so ein schockiertes Gesicht, Hans. Du weißt so gut wie alle anderen, wie mächtig er ist. Er ist alt und reich; wir Polycarbon-Frauen sind jung und nicht sehr prinzipientreu.« Sie warf mir zwischen langen Wimpern einen raschen Blick zu. »Ich hab noch nie gehört, daß er uns etwas genommen hat, was wir nicht freiwillig geben wollten.« Sie schwebte näher. »Sag mir, was du gesehen hast, Hans. Z-K ist wegen dieser Neuigkeit aus dem Häuschen, und Valery sitzt in der Ecke und schmollt.«

Ich öffnete den Kühlschrank und suchte zwischen den Petrischalen nach Schnaps. »Mir fällt auf, daß du ungewöhnlich gesprächig bist, Arkadya.«

Sie zögerte, dann zuckte sie die Achseln und lächelte. »So langsam zeigst du etwas Vernunft, mein Freund. Halte Augen und Ohren offen, dann kannst du es in Z-K zu etwas bringen.« Sie nahm einen modischen Zerstäuber aus ihrem emailbesetzten Gürtel. »Da wir gerade von Augen und Ohren sprechen, hast du deine Wohnung schon auf Wanzen überprüft?«

»Wer sollte mich abhören?«

»Wer nicht?« Sie verzog hochmütig das Gesicht. »Ich halte mich einfach an das, was jeder weiß. Wenn du uns ab und zu ein Discreet mietest, erzähle ich dir auch den Rest.« Sie hielt die Druckflasche auf Armeslänge vor sich und spritzte sich bernsteinfarbenen Schnaps in den Mund. »In Z-K tut sich was Großes. Es ist noch nicht zu den unteren Rängen vorgedrungen, aber der Tod des Kontrolleurs ist ein Hinweis darauf. Die anderen Berater halten es für eine rein persönliche Sache, aber es ist klar, daß er nicht einfach lebensmüde war. Er hat seine Angelegenheiten ungeordnet hinterlassen. Nein, diese Sache geht auf die Königin selbst zurück. Da bin ich sicher.«

»Glaubst du, sie hat ihm befohlen, sich das Leben zu nehmen?«

»Vielleicht. Sie wird mit zunehmendem Alter immer unberechenbarer. Würdest du nicht genauso reagieren, wenn du dein ganzes Leben unter Aliens verbracht hättest? Ich fühle mit der Königin, wirklich. Wenn sie ein paar fette alte Säcke umbringen muß, damit sie zur Ruhe kommt, dann habe ich nichts dagegen. Wenn weiter nichts daran war, bin ich sogar beruhigt.«

Ich dachte äußerlich unbewegt darüber nach. Die ganze Struktur des Z-K hing vom Exil der Königin ab. Siebzig Jahre lang hatten sich Deserteure, Unzufriedene, Piraten und Pazifisten unter den Schutz unserer Alien-Königin geflüchtet. Das große Ansehen, das ihre Investierer-Brüder genossen, schützte uns vor den Intrigen der Former-Faschisten und der entmenschlichten Mechanisierer-Sekten. Z-K war eine Oase der Ruhe in der bösen Amoralität der kriegführenden Parteien der Menschheit. Unsere Vororte kreisten in Netzen um die dunkle, mit Juwelen besetzte Behausung der Königin.

Sie war alles, was wir hatten. Hinter unserem Erfolg drohte eine gefährliche Unsicherheit. Z-Ks berühmte Banken wurden durch den großen Reichtum der Zikadenkönigin gestützt. Die akademische Freiheit von Z-Ks Lehranstalten gedieh nur in ihrem Schatten.

Und wir wußten nicht einmal, warum sie aus der Gnade gefallen war. Es gab zahlreiche Gerüchte, aber nur die Investierer selbst wußten die Wahrheit. Wenn sie uns je verlassen sollte, würde sich der Zarina-Kluster über Nacht auflösen.

Ich sagte beiläufig: »Ich habe schon gehört, daß sie nicht glücklich ist. Anscheinend breiten sich die Gerüchte aus, dann wird ihr Zehnter eine Weile erhöht, eine neue Kammer wird mit Juwelen ausgekleidet, und dann verschwinden die Gerüchte wieder.«

»Das ist wahr … sie und unsere süße Valery sind sich sehr ähnlich, wenn sie in diese düsteren Stimmungen fallen. Aber es ist klar, daß dem Kontrolleur, kein anderer Ausweg als der Selbstmord blieb. Und das bedeutet, daß sich im Herzen von Z-K eine Katastrophe anbahnt.«

»Das sind nur Gerüchte«, sagte ich. »Die Königin ist das Herz von Z-K. Wer weiß, was in ihrem riesigen Kopf vorgeht?«

»Wellspring weiß es«, sagte Arkadya sofort.

»Aber er ist kein Berater«, wandte ich ein. »Was den inneren Kreis der Königin angeht, ist er kaum mehr als ein Pirat.«

»Sag mir, was du im Topaz Discreet gesehen hast.«

»Laß mir etwas Zeit«, sagte ich. »Es ist ziemlich schmerzhaft.« Ich überlegte, was ich ihr erzählen sollte, und was sie mir abnehmen würde. Das Schweigen dehnte sich.

Ich legte ein Band mit terranischem Meeresrauschen auf. Im Zimmer donnerte eine fremde Brandung.

»Ich war nicht darauf vorbereitet«, erklärte ich. »Ich habe in meiner Krippe von frühester Kindheit an gelernt, meine Gefühle für mich zu behalten. Ich weiß, was die Clique von Distanz hält. Aber diese Art grober Intimität von einer Frau, die ich kaum kannte – besonders unter den Umständen dieses Abends – hat mich verletzt.« Ich sah Arkadya forschend in die Augen und wollte durch sie Valery erreichen. »Als es vorbei war, schienen wir weiter getrennt als vorher.«

Arkadya neigte den Kopf und zuckte leicht zusammen. »Wer hat das komponiert?«

»Was? Meinst du die Musik? Das sind natürliche Geräusche – eine Brandung auf der Erde. Das Band ist ein paar Jahrhunderte alt.«

Sie warf mir einen seltsamen Blick zu. »Du interessierst dich sehr für Planeten, was? ›Meeresrauschen‹.«

»Auch auf dem Mars wird es eines Tages Meere geben. Darum geht es doch bei unserem Projekt, oder?«

Sie sah mich verwirrt an. »Sicher … wir arbeiten daran, Hans, aber das bedeutet doch nicht, daß wir auch dort leben müssen. Ich meine, es wird noch Jahrhunderte dauern, oder? Selbst wenn wir dann noch leben, werden wir völlig andere Menschen sein. Stell dir nur vor, wie es ist, von dieser Schwerkraft festgenagelt zu werden. Ich würde ersticken.«

Ich sagte leise: »Ich denke nicht an die Besiedlung. Ich meine eine idealistische Ebene. Die Anregung eines prigoginischen Sprungs der Dritten Ebene durch kognitive Agenten der Vierten Ebene. Das Leben selbst auf dem nackten Urgestein des Raum-Zeit-Kontinuums verankern …«

Aber sie schüttelte den Kopf und ruderte zur Tür. »Tut mir leid, Hans, aber diese Geräusche, also … irgendwie steigen sie mir ins Blut.« Sie schüttelte sich, schauderte, und die feinen Perlenketten, die sie sich ins Haar geflochten hatte, klimperten leise. »Ich kann das nicht ertragen.«

»Ich stell es ab.«

Aber sie wollte gehen. »Bis bald, bis bald … wir sehen uns.«

Dann war sie fort. Und ich stürzte in meine Einsamkeit, während die Brandung am Strand nagte und murmelte.

 

Einer von Kulagins Servos empfing mich an der Tür und nahm mir den Hut ab. Kulagin saß in einer abgeschirmten Ecke seines nach Ringelblumen riechenden Domizils bei der Arbeit. Er beobachtete Börsennotierungen, die auf einem Bildschirm vor ihm abliefen. Er diktierte Anweisungen ins Mikrophon seines Armbandgerätes. Als der Servo mich anmeldete, zog er den Stecker aus dem Gerät und stand auf. Er drückte meine Hand mit beiden Händen. »Willkommen, Freund, willkommen.«

»Ich hoffe, ich störe nicht.«

»Nein, überhaupt nicht. Spielst du an der Börse?«

»Nicht ernsthaft«, sagte ich. »Vielleicht später mal, wenn die Tantiemen von Eisho Zaibatsu kommen.«

»Dann mußt du mir erlauben, dich anzuleiten. Ein guter Posthumanist sollte vielfältige Interessen haben. Setz dich doch!«

Ich setzte mich neben Kulagin, und er nahm wieder vor der Konsole Platz und stellte den Anschluß wieder her. Kulagin war Mechanisierer, aber er hielt sich peinlich steril. Ich mochte ihn.

Er sagte: »Seltsam, wie diese Finanzinstitutionen sich von ihrem ursprünglichen Zweck entfernen. In gewisser Weise hat der Markt selbst eine Art prigoginischen Sprung gemacht. Auf einer Ebene dient er dem Handel, aber auf einer anderen ist er ein Spiel von Konventionen und Vertrauen. Wir Zikaden essen, atmen und schlafen und sondern Gerüchte ab, und der Markt ist der vollkommene Ausdruck unseres Zeitgeistes.«

»Ja«, sagte ich. »Zerbrechlich und manieriert und im Grunde auf nichts Faßbarem stehend.«

Kulagin hob seine gezupften Augenbrauen. »Ja, junger Freund, genau wie das Urgestein des Kosmos. Jede Ebene der Komplexität schwebt frei über der vorigen, nur durch Abstraktionen gestützt. Selbst Naturgesetze sind nur unsere Versuche, angestrengt durch den prigoginischen Ereignishorizont zu starren … oder wenn du eine ursprünglichere Metapher bevorzugst, können wir den Markt mit dem Meer vergleichen. Ein Meer von Informationen, in dem es hier und dort für den erschöpften Schwimmer eine wunderschöne Insel gibt. Schau dir das hier an!«

Er drückte auf einige Knöpfe, und ein dreidimensionales Koordinatensystem flammte auf. »Das hier sind die Marktbewegungen der letzten achtundvierzig Stunden. Sieht fast aus wie die Kämme und Täler von Meereswellen, was? Sieh dir nur die Brandung der Transaktionen an.« Er berührte den Schirm mit dem Lichtgriffel, der in seinem Zeigefinger implantiert war, und Teile des Koordinatensystems wechselten von kühlem Grün zu Rot. »Hier kamen die ersten Meldungen vom Eisteroid …«

»Was?«

»Der Asteroid, dieser Eisbrocken vom Ringrat. Jemand hat ihn gekauft und befördert ihn nun mit einem Masseantrieb aus der Schwerkraft des Saturn. Er soll auf den Mars gestürzt werden. Das war ein sehr kluger Jemand, denn das Ding kommt bis auf ein paar tausend Kilometer an Z-K heran. Nahe genug, um mit bloßem Auge gesehen zu werden.«

»Also haben sie es wirklich geschafft?« fragte ich. Ich schwankte zwischen Schreck und Freude.

»Ich habe es aus dritter, vierter, vielleicht zehnter Hand gehört, aber es paßt gut zu den Parametern, die von den Polycarbon-Ingenieuren vorgegeben wurden. Ein Brocken aus Eis und flüchtigen Gasen mit mehr als drei Kilometern Durchmesser, der auf die Hellas Depression südlich des Äquators zielt. Er nähert sich mit fünfundsechzig Sekundenkilometern und wird um 20.14.53 UT am 14.4.54 aufschlagen … nach Ortszeit am frühen Morgen. Marszeit, meine ich.«

»Aber das sind noch einige Monate«, sagte ich.

Kulagin lächelte. »Paß auf, Hans, einen drei Kilometer dicken Eisbrocken schiebst du nicht mit dem Daumen an. Außerdem ist dies der erste von einigen Dutzend. Es ist eher eine symbolische Geste.«

»Aber das bedeutet doch, daß wir hinausziehen! In den Orbit um den Mars!«

Kulagin machte ein skeptisches Gesicht. »Das ist ein Job für Drohnen und Aufseher, Hans. Vielleicht noch für ein paar kräftige, harte Pionier-Typen. Es gibt für dich und mich überhaupt keinen Grund, den bequemen Z-K zu verlassen.«

Ich stand auf und rang die Hände. »Willst du bleiben ? Und den prigoginischen Katalysator verpassen?«

Kulagin blickte stirnrunzelnd auf. »Immer mit der Ruhe, Hans! Setz dich wieder. Man wird bald nach Freiwilligen suchen, und wenn du wirklich gehen willst, dann kann ich es sicher irgendwie einrichten. Der Punkt ist nur, daß die Wirkung auf den Markt spektakulär war … seit dem Tod des Kontrolleurs war alles ziemlich unsicher, und nun werden wir für den Verlust mit einer fetten Beute entschädigt. Ich beobachte seit drei Jahren ununterbrochen die Marktentwicklung, und ich hoffe, mich sozusagen an den Krümeln zu mästen … Zerstäuber?«

»Nein, danke.«

Kulagin bediente sich und nahm eine große Prise eines Anregungsmittels. Er wirkte fahrig. Ich hatte ihn noch nie ohne Gesichtsbemalung gesehen. Er sagte: »Ich habe nicht das gleiche Gespür für Massenpsychologie wie ihr Former, deshalb muß ich mir mit einem sehr, sehr guten Gedächtnis helfen … so etwas habe ich zum letztenmal vor dreizehn Jahren gesehen. Jemand verbreitete damals das Gerücht, die Königin habe versucht, Z-K zu verlassen, und die Berater hätten sie mit Gewalt zurückgehalten. Das Ergebnis war der Börsenkrach von einundvierzig, aber richtig rund ging es erst beim Run, der danach kam. Ich hab die Bänder von damals durchgesehen und die Finnen und Flossen und die großen scharfen Zähne eines alten Freundes erkannt. Ich erkenne auch bei diesen Manövern seinen Stil. Das hier ist nicht die elegante Gerissenheit eines Formers. Es ist auch nicht die kalte Beharrlichkeit eines Mechanisierers.«

Ich dachte nach. »Dann kommt nur noch Wellspring in Frage.«

Wellsprings Alter war unbekannt. Er war mit Sicherheit weit über zweihundert Jahre alt. Er behauptete, am Beginn des Raumzeitalters auf der Erde geboren zu sein und die erste Generation der unabhängigen Raumkolonien, die sogenannte »Verkettung«, überlebt zu haben. Er gehörte zu den Gründern des Zarina-Klusters, und er hatte der Königin ihre Behausung gebaut, als sie bei ihren Investierer-Brüdern in Ungnade fiel.

Kulagin lächelte. »Sehr gut, Hans. Du lebst im Moor, aber du hast keins im Kopf. Ich glaube, Wellspring hat den Krach von einundvierzig inszeniert, weil er sich selbst daran bereichern wollte.«

»Aber er lebt doch sehr bescheiden.«

»Als ältester Freund der Königin war er jedenfalls in einer ausgezeichneten Position, um Gerüchte in Umlauf zu bringen. Er hat sogar vor siebzig Jahren die Parameter des Marktes entwickelt. Und nach dem Sturm wurde das Kosmosity-Metasystems Department für Terraformung gegründet. Durch anonyme Stiftungen natürlich.«

»Aber die Zuwendungen kamen aus dem ganzen System«, wandte ich ein. »Fast alle Sekten und Parteien halten die Terraformung für die wichtigste Aufgabe der Menschheit.«

»Sicher. Aber ich frage mich, warum die Idee sich so weit ausbreitete. Und zu wessen Nutzen. Hör mal, Hans, ich mag Wellspring. Er ist wirklich mein Freund, und ich erinnere mich an die Kälte. Aber du mußt dir einfach klarmachen, wie anormal er ist. Er ist keiner von uns. Er ist nicht einmal im Raum geboren.« Er sah mich aus schmalen Augen an, aber ich reagierte nicht entsetzt auf das Wort geboren. Es war für Former eine tödliche Beleidigung, aber ich hielt mich in erster Linie für einen Polycarbon und zweitens für eine Zikade. Former kam mit Abstand an dritter Stelle.

Er lächelte kurz. »Klar, Wellspring hat sich ein paar Mechanisierer-Dinger implantieren lassen, um seine Lebenserwartung zu vergrößern, aber ihm fehlt der echte Mechanisierer-Stil. Er ist nämlich älter. Ich bin der letzte, der die Genialität von euch Formern leugnen würde, aber in gewisser Weise ist es eine künstliche Genialität. Sie macht sich bei IQ-Tests ausgezeichnet, aber irgendwie fehlt ihr diese … nun ja, diese ursprüngliche Qualität, die Wellspring besitzt; ganz ähnlich, wie wir Mechanisierer cybernetische Denkmethoden benutzen und doch nie wirkliche Maschinen werden können. Wellspring ist einfach einer jener Menschen, die ganz am Ende des weitgespannten Bogens stehen, einer jener Titanen, die nur einmal in einer ganzen Generation hochkommen. Denk nur daran, was aus seinen normalen Zeitgenossen geworden ist.«

Ich nickte. »Die meisten sind Mechs geworden.«

Kulagin schüttelte leicht den Kopf und starrte auf den Bildschirm. »Ich bin hier in Z-K geboren. Ich weiß nicht viel über die Mechs der alten Schule, aber ich weiß, daß die meisten tot sind. Aus der Mode gekommen, verdrängt. Durch den Zukunftsschock über den Rand getrieben und abgestürzt. Viele der ersten Bemühungen, das Leben zu verlängern, schlugen auf sehr häßliche Weise fehl … Wellspring hat auch das überlebt, weil in ihm eine Art natürlicher Motor arbeitet. Stell es dir vor, Hans. Hier sitzen wir, die Produkte fortschrittlicher Technologien, durch welche die Gesellschaft zu Bruch ging. Wir treiben mit Aliens Handel. Wir können sogar zu den Sternen reisen, wenn wir bei den Investierern eine Fahrkarte kaufen. Und Wellspring ist nicht nur stabil geblieben, er beherrscht uns sogar. Wir kennen nicht einmal seinen richtigen Namen.«

Ich dachte über Kulagins Worte nach, während er einen Nachtrag zur Marktentwicklung aufrief. Ich fühlte mich mies. Ich konnte meine Gefühle verbergen, aber ich konnte sie nicht abschütteln. »Du hast recht«, sagte ich. »Aber ich vertraue ihm.«

»Ich vertraue ihm auch, aber ich weiß auch, daß er uns in der Hand hat. Er beschützt uns sogar. Dieses Terraform-Projekt hat Megawatt um Megawatt gekostet. Alle Spenden waren anonym, angeblich um zu verhindern, daß die Fabriken sie für ihre Werbung ausnutzten. Aber ich glaube, damit sollte nur verschleiert werden, daß die meisten von Wellspring kamen. Es kann jetzt jederzeit einen größeren Börsenkrach geben. Wellspring macht seinen Schachzug, und dann geht der Run los. Und jedes Kilowatt, das er einstreicht, geht an uns.«

Ich beugte mich vor und faltete die Hände. Kulagin diktierte einige Verkaufsanweisungen in sein Mikrophon. Plötzlich mußte ich lachen.

Kulagin blickte auf. »Das ist das erstemal, daß ich dich aus ganzem Herzen lachen höre, Hans.«

»Ich dachte nur … du hast mir viel erzählt, aber eigentlich bin ich gekommen, um über Valery zu reden.«

Kulagin machte ein trauriges Gesicht. »Paß auf, Hans! Was ich über Frauen weiß, kannst du unter einem Mikrochip verstecken. Aber wie ich schon sagte, besitze ich ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Die Former haben versagt, als sie gewisse Grenzen überschritten. Der Ringrat versuchte im letzten Jahrhundert, die sogenannte Zweihundertjahresgrenze zu durchbrechen. Die meisten der sogenannten Superklugen haben durchgedreht, sind desertiert, haben sich gegen ihre Kameraden gewandt oder alles auf einmal. Sie wurden jahrzehntelang von Piraten und Söldnern gejagt. Eine Gruppe hat irgendwie herausgefunden, daß es eine exilierte Investierer-Königin gab und sich in ihren schützenden Schatten geflüchtet. Und jemand – du kannst dir sicher denken, wer – hat die Königin überredet, sie aufzunehmen und sie dafür Steuern zahlen zu lassen. Diese Steuern wurden zum Zehnten der Königin, und die Siedlung heißt jetzt Zarina-Kluster. Valerys Eltern – ja, ihre Eltern, denn sie wurde auf natürlichem Wege geboren – gehörten zu den Superklugen. Sie bekam nicht die übliche Ausbildung der Former, deshalb erreicht sie höchstens fünfundvierzig oder so.

Das Problem ist, daß sie so von ihren Launen abhängig ist. Das war bei ihren Eltern so, und sie selbst hat diese Stimmungsumschwünge seit ihrer Kindheit. Sie ist eine gefährliche Frau, Hans. Gefährlich für sich selbst und für uns alle. Sie sollte eigentlich unter den Hunden leben. Ich hab das meinen Freunden beim Wachdienst vorgeschlagen, aber jemand hat es verhindert. Und ich glaube zu wissen, wer es war.«

»Ich liebe sie. Sie will nicht mit mir sprechen.«

»Ich verstehe. Nun, wie ich hörte, hat sie sich in der letzten Zeit mit Emotionshemmern vollgestopft; das erklärt möglicherweise ihr Sträuben … ich will offen sein. Es gibt ein altes Sprichwort, Hans: Geh nie mit jemand in ein Discreet, der verrückter ist als du selbst. Das ist ein guter Rat. Du kannst Valery nicht trauen.«

Er hob die Hand. »Warte. Du bist noch jung. Du bist gerade von den Hunden losgekommen. Diese Frau hat dich bezaubert, und zugegebenermaßen besitzt sie einen umwerfenden Former-Charme. Aber ein Verhältnis mit Valery ist wie eine Affäre mit fünf Frauen gleichzeitig, von denen drei verrückt sind. Z-K ist voller wunderschöner Frauen. Klar, du bist etwas steif, vielleicht ein wenig verbissen, aber du hast einen gewissen idealistischen Charme. Und du hast diese Leidenschaftlichkeit der Former, sogar ein wenig Fanatismus, wenn du mir das nicht übelnimmst. Entspanne dich, Hans. Such dir eine Frau, die dir die harten Kanten abschleift. Sieh dich um! Das ist eine gute Art, neue Freunde für die Clique zu gewinnen.«

»Ich werde es beherzigen«, sagte ich.

»Gut. Ich wußte, daß es vergebliche Liebesmüh war.« Er lächelte ironisch. »Warum sollte ich dir die Reinheit deiner Gefühle nehmen? Eine tragische erste Liebe kann in fünfzig oder hundert Jahren für dich eine sehr wertvolle Erfahrung sein.« Er konzentrierte sich wieder auf den Schirm. »Ich bin froh, daß wir geredet haben, Hans. Ich hoffe, du kommst wieder zu mir, wenn das Geld von Eisho Zaibatsu überwiesen wird. Wir können unseren Spaß damit haben.«

»Das würde mir gefallen«, sagte ich, obwohl ich schon wußte, daß jedes Kilowatt, das ich nicht für meine Forschungen brauchte, anonym in das Terraform-Projekt gehen würde. »Und ich will deinen Rat nicht ausschlagen. Es ist nur so, daß er mir nicht hilft.«

»Ach ja, die Jugend«, sagte Kulagin. Ich ging.

 

Zurück zur schlichten Schönheit der Flechten. Ich war durch jahrelange Ausbildung auf sie spezialisiert, aber erst nach meiner posthumanistischen Erleuchtung hatte ich sie als schön und bedeutungsvoll für mich empfunden. Durch die Philosophie von Z-K betrachtet, standen sie in der Nähe eines katalytischen Punktes, an dem ein prigoginischer Sprung neues Leben entstehen ließ.

Auf einer anderen Ebene konnte man Flechten als gelungene Metapher für die Polycarbon-Clique betrachten: Ein Pilz und eine Alge, potentielle Rivalen, vereinten sich zu einer Symbiose, um etwas zu erreichen, das keiner von beiden allein geschafft hätte, genau wie die Clique Mechanisierer und Former vereinte, um das Leben auf den Mars zu bringen.

Ich wußte, daß viele meine Hingabe als eigenartig und sogar ungesund empfanden. Ich war durch ihre Blindheit nicht beleidigt. Allein schon die Namen meiner genetischen Bausteine klangen majestätisch: Alectoria nigricans, Mastodia tessellata, Ochrolechia frigida, Stereocaulon alpinum. Es waren winzige, aber mächtige Geschöpfe: Wesen der kalten Wüsten, deren Wurzeln und Säuren nackten, gefrorenen Stein zersetzen konnten.

Meine Nährschalen brodelten vor ursprünglicher Vitalität. Flechten würden den Mars mit einer grüngoldenen Flutwelle des Lebens überspülen. Sie würden unwiderstehlich aus den feuchten Kratern der Eisteroid-Einschläge herauskriechen, sich unbeeindruckt von den Stürmen und Erdbeben des Terraformens ausbreiten und die Flutwellen überstehen, die durch das Schmelzen des Permafrostes entstehen würden. Sie gaben Sauerstoff ab und banden Stickstoff.

Sie waren die besten. Sie waren nicht stolz, sie drängten sich nicht in den Vordergrund. Sie posaunten nicht ihre Heldentaten heraus, sie drohten der Kälte nicht, bevor sie sich ihr stellten. Aber gerade weil sie so still waren, nahmen sie den ersten Platz ein.

Meine Jahre unter den Hunden hatten mich den Wert des Schweigens gelehrt. Jetzt hatte ich die Überwachung satt. Als die erste Tantiemenzahlung von Eisho Zaibatsu kam, nahm ich mit einer privaten Sicherheitsfirma von Z-K Kontakt auf und ließ meine Wohnung auf Wanzen durchsuchen. Sie fanden vier.

Dann heuerte ich eine zweite Firma an, die die Wanzen entfernte, die von der ersten gepflanzt worden waren.

Ich verankerte mich an einer schwebenden Arbeitsplatte und drehte die Spionaugen in den Händen herum. Es waren flache Videoplatten, bemalt mit einseitig durchsichtigem Kunststofflack. Sie würden auf dem Schwarzmarkt einen guten Preis bringen.

Ich rief ein Postamt an und ließ einen Kurierservo kommen, der die Wanzen zu Kulagin bringen sollte. Während ich auf den Servo wartete, schaltete ich die Wanzen aus und steckte sie in eine bruchsichere Kiste. Ich diktierte einen Brief und bat Kulagin, sie zu verkaufen und das Geld für mich auf Z-Ks nachlassendem Markt zu investieren. Der Markt sah aus, als könnte er ein paar neue Käufer vertragen.

Als ich das energische Klopfen des Kuriers hörte, öffnete ich die Tür mit der Fernbedienung. Aber kein Kurier kam herein. Es war ein Wachhund.

»Ich nehme die Kiste«, sagte der Hund.

Ich starrte ihn an, als hätte ich noch nie einen Hund gesehen. Dieser hier trug einen schweren Silberpanzer. Schmale, aber kräftige Gliedmaßen entsprangen aus seinem silberüberzogenen schwarzen Plastikkörper, und auf dem dicken Kopf saßen Betäubungskanonen und die stumpfen Mündungen von Netzwerfern. Der kreisende Antennenschwanz verriet mir, daß das Ding ferngesteuert wurde.

Ich zog meine Arbeitsplatte herum, bis sie mich vor dem Hund schützte. »Wie ich sehe, habt ihr auch meine Kommunikationsanlage angezapft«, sagte ich. »Sagst du mir, wo die Wanzen sind, oder muß ich meinen Computer auseinandernehmen?«

»Du neugieriger kleiner Former«, sagte der Hund. »Glaubst du wirklich, deine Tantiemen können dich von allem freikaufen? Ich könnte dich auf dem freien Markt verkaufen, ehe du blinzeln kannst.«

Ich dachte darüber nach. Einige Male schon waren besonders aufmüpfige Bewohner von Z-K verhaftet und von den Ratgebern der Königin auf dem freien Markt verkauft worden. Außerhalb von Z-K gab es immer Parteien, die für feindliche Agenten einen guten Preis zahlten. Ich wußte, daß der Ringrat begeistert wäre, wenn er an mir ein Exempel statuieren konnte. »Du behauptest also, ein Berater der Königin zu sein?«

»Natürlich bin ich ein Berater! Dein Verrat blieb nicht unentdeckt. Deine Freundschaft mit Wellspring ist bekannt!« Der Hund surrte näher heran, die dicken Kameraaugen klickten leise. »Was ist in dem Kühlschrank da?«

»Flechtenkolonien«, sagte ich gleichmütig. »Das müßtest du eigentlich wissen.«

»Öffne ihn!«

Ich bewegte mich. »Du überschreitest die Grenzen deiner normalen Handlungsspanne«, sagte ich. Ich wußte, daß dies jedem Mechanisierer angst machte. »Meine Clique hat Freunde unter den Beratern. Ich habe nichts Unrechtes getan.«

»Öffne, oder ich spinne dich ein und öffne selbst mit Hilfe des Hundes!«

»Lügen«, sagte ich. »Du bist kein Berater. Du bist Industriespion und willst meine Edelsteinflechten stehlen. Warum sollte sich ein Berater für meine Flechten interessieren?«

»Öffne! Sonst gerätst du tief in Dinge, die du nicht verstehst.«

»Du bist unter einem Vorwand in meine Wohnung eingedrungen und hast mich bedroht«, sagte ich. »Ich rufe den Wachdienst.«

Der Hund öffnete die verchromte Schnauze. Ich löste mich von der Arbeitsplatte, aber die weißen Seidenfäden aus den Netzwerfern des Hunden packten mich, als ich wegtauchen wollte. Die Fäden klebten fest und wurden sofort hart. Sie blockierten meine Arme, die ich instinktiv gehoben hatte, um das Spray abzuhalten. Der zweite Schuß fesselte auch meine Beine, als ich mich durch einen Sprung in Sicherheit bringen wollte. Ich prallte gegen eine Schaumwand.

»Unruhestifter«, murmelte der Hund. »Ohne euch neugierige Former wäre alles glatt gegangen. Wir hatten die gesündesten Bänke, wir hatten die Königin, den Markt, alles … ihr Parasiten gebt Z-K nichts außer euren Phantasien. Jetzt zerfällt das System. Alles wird zusammenbrechen. Alles. Ich müßte dich töten.«

Ich schnappte nach Luft, als das Spray auf meiner Brust verhärtete. »Das Leben ist etwas anderes als eine Bank«, schnaufte ich.

Motoren heulten auf, als der Hund seine Beine spannte. »Wenn ich im Kühlschrank finde, was ich erwarte, dann bist du so gut wie tot.«

Plötzlich hielt der Hund mitten in der Luft inne. Seine Schrauber surrten, als er sich zur Tür wandte. Die Tür ruckte heftig und glitt einen Spaltbreit auf. Ein dicker, klauenbewehrter Arm schob sich durch die Lücke.

Der Wachhund verschloß die Tür mit seinen Sprühfäden. Plötzlich quietschte die Tür und beulte sich ein, und das Metall schälte sich ab wie eine Folie. Der dicke Kopf und die Spindelbeine eines Tigers schoben sich knirschend und krachend durch die Trümmer. »Verrat!« brüllte der Tiger.

Der Hund surrte zurück und wand sich, während der Tiger sein gepanzertes Hinterteil in den Raum zog. Er wich den gezackten Trümmern der Tür elegant aus. Sein Panzer, schwarz und golden, war doppelt so groß wie der Wachhund. »Warte«, sagte der Hund.

»Der Rat hat dich vor solchen Überfällen gewarnt«, sagte der Tiger ernst. »Ich habe dich selbst gewarnt.«

»Ich mußte mich entscheiden, Koordinator. Es ist seine Schuld. Er hat uns gegeneinander ausgespielt, das mußt du doch einsehen.«

»Du hast nur noch eine Entscheidung«, sagte der Tiger. »Du darfst dir das Discreet aussuchen, Ratsherr.«

Der Hund zuckte unschlüssig mit den Gliedern. »Also soll ich der zweite werden«, sagte er. »Zuerst der Kontrolleur, dann ich. Nun gut, Nun gut. Er hat mich. Ich kann mich nicht wehren.« Der Hund schien sich zu sammeln, als wollte er angreifen. »Aber darf ich seinen Liebling zerstören?«

Die Beine des Hundes entfalteten sich wie Teleskope, und er drückte sich von der Wand ab, um mir an die Kehle zu gehen. Es blitzte und stank schrecklich nach Ozon, dann prallte der Hund heftig vor meine Brust. Er war tot, seine Schaltkreise durchgebrannt. Die Lichter flackerten und gingen aus, als mein Computer den Geist aufgab und abstürzte; seine Programme waren durch die Streustrahlung des Impulses, den der Tiger abgegeben hatte, zerstört worden.

Auf dem Kopf des Tigers erschienen zwei Radkränze und zwei Punktscheinwerfer. »Haben Sie Implantate?« fragte er.

»Nein«, sagte ich. »Keine cybernetischen Teile. Mir geht es gut. Sie haben mir das Leben gerettet.«

»Schließen Sie die Augen«, befahl der Tiger. Er sprühte mich aus den Nüstern mit einem feinen Nebel eines Lösungsmittels ein. Das Netz schälte sich ab und zog mir die Kleidung vom Leib.

Mein Armbandgerät war kaputt. Ich sagte: »Ich habe kein Verbrechen gegen den Staat begangen, Koordinator. Ich liebe Z-K.«

»Wir leben in einer seltsamen Zeit«, knurrte der Tiger. »Unsere Routinen verfallen. Niemand ist über Verdächtigungen erhaben. Sie haben eine schlechte Zeit gewählt, Ihr Heim einem Discreet ähnlich zu machen, junger Mann.«

»Ich tat es öffentlich«, sagte ich.

»Hier gibt es keine Rechte, Zikade. Nur die Gnade der Königin. Kleiden Sie sich an und reiten Sie auf dem Tiger. Wir müssen reden. Ich bringen Sie in den Palast.«

Der Palast war im Grunde ein riesiges, organisches Discreet. Ich fragte mich, ob ich diesen geheimnisvollen Ort lebendig verlassen würde.

Ich hatte keine Wahl.

Ich kleidete mich unter den Glupschaugen des Tigers sorgfältig an und stieg auf. Er roch nach altem Schmierfett. Wahrscheinlich war er Jahrzehnte im Lager gewesen. Tiger waren in Z-K seit Jahren nicht mehr aufgetaucht.

Die Gänge waren voller Zikaden, die ihren Arbeiten nachgingen. Als sich der Tiger näherte, flohen sie erschreckt und ängstlich.

Wir verließen den Schaum an seinem zylindrischen Ende und betraten einen Kreuzungspunkt kardanisch verbundener interurbaner Straßen.

Die Straßen waren durchsichtige Polycarbon-Röhren, die Z-Ks zylindrische Vororte in einem unordentlichen Netz verbanden. Der Anblick der glänzenden Wohnstationen vor dem eisigen Hintergrund der Sterne erzeugte in mir ein starkes Schwindelgefühl. Ich erinnerte mich an die Kälte.

Wir kamen durch einen dicken Knoten im Netz, eine Kreuzung mehrerer Röhren, in der sich eins von Z-Ks berühmten Straßencafes angesiedelt hatte. Das lebhafte Geplauder der schillernden Gäste verstummte, als ich vorbeiritt, und schwoll hinter uns zu beunruhigtem Gemurmel an. Die Neuigkeit würde binnen Minuten in Z-K die Runde machen.

Der Palast war einem Sternenschiff der Investierer nachempfunden: ein Achteck mit langgestreckten Seitenwänden. Echte Investiererschiffe waren mit phantastischen Bildern aus gehämmertem Metall geschmückt, aber die Behausung der Königin war ungleichmäßig schwarz gefärbt, ein Sinnbild ihrer unbekannten Schande. Mit der Zeit hatte die Behausung unregelmäßige Anbauten bekommen, und nun war sie mit Regierungsbüros und den Verstecken der Königin übersät. Die klobige Hülle drehte sich mit atemberaubender Geschwindigkeit.

Wir traten durch eine Achse in gleißendes blauweißes Licht ein. Meine Augen zogen sich schmerzhaft zusammen und tränten.

Die Ratgeber der Königin waren Mechanisierer, und die Gänge wimmelten vor Servos. Sie gingen unbeirrt ihren Tätigkeiten nach und ignorierten den Tiger, dessen verchromte, glatte Körperflächen im gnadenlosen Licht böse glänzten.

Nicht weit von der Achse entfernt wurden wir von der Zentrifugalkraft gepackt, und der Tiger sank krachend auf seine kräftigen Beine nieder. Die Wände trugen hier Barock-Mosaike und wirbelnde Bilder aus filigranen, kostbaren Metallen. Der Tiger stolzierte eine Treppenflucht hinunter. Mein Rückgrat knackte hörbar in der zunehmenden Schwerkraft. Ich konnte mich nur noch mit Mühe aufrecht halten.

Die meisten Gänge waren leer. Wir kamen ab und zu an Juwelenklumpen in den Wänden vorbei, die wie Blitze funkelten. Ich lehnte mich gegen den Rücken des Tigers und stützte meine Ellbogen auf. Mein Herz schlug wie wild. Noch mehr Treppen. Tränen rannen über mein Gesicht und in meinen Mund, ein Gefühl, das ebenso neu wie widerwärtig war. Meine Arme zitterten vor Erschöpfung.

Das Büro des Koordinators lag ganz außen. Dadurch blieb er für die Audienzen bei der Königin in Form. Der Tiger stakste krachend durch zwei wuchtige Türen, die groß genug waren, um Investierer beim Eintritt nicht zu behindern.

Alles im Büro war im Maßstab der Investierer gehalten. Die Decken waren mehr als doppelt mannshoch. Ein Lüster an der Decke verstrahlte ein sengendes Licht über zwei gewaltigen Stühlen mit hohen Lehnen, in denen Löcher für die Schwänze der Investierer freigelassen waren. Ein Springbrunnen plätscherte leise. Auch das Wasser schien durch die Schwerkraft erschöpft.

Der Koordinator saß an einem Büroschreibtisch hinter einer Tastatur. Die Schreibtischfläche reichte ihm fast bis zu den Achseln, und seine Schuppenstiefel baumelten weit über dem Boden. Hinter ihm liefen auf einem Monitor die neuesten Börsenberichte ab.

Ich rutschte stöhnend vom Rücken des Tigers und zog mich in die kratzenden, dicken Polster eines Investierersessels. Der Plüsch, der für das Wohlbehagen eines schuppigen Investieres gedacht war, stach durch meine Hose wie Draht.

»Nehmen Sie eine Sonnenbrille«, sagte der Koordinator. Er öffnete eine riesige Schreibtischschublade, in der er fast verschwand, als er eine Schutzbrille suchte. Er warf sie mir zu. Ich wollte sie fangen, aber sie schlug vor meine Brust.

Ich wischte mir die Augen aus und setzte die Brille auf. Ich stöhnte erleichtert. Der Tiger hockte sich vor meinen Sessel und schnurrte leise.

»Sind Sie zum erstenmal im Palast?« fragte der Koordinator.

Ich nickte mühsam.

»Es ist schrecklich, ich weiß. Und doch, es ist alles, was wir haben. Sie müssen das verstehen, Landau. Dies ist Z-Ks prigoginischer Katalysator.«

»Sie kennen die Philosophie?« fragte ich.

»Aber natürlich. Wir sind nicht alle Fossilien. Die Berater gehören verschiedenen Parteien an. Das ist allgemein bekannt.« Der Koordinator schob seinen Stuhl zurück. Dann stellte er sich auf die Sitzfläche, stieg auf den Schreibtisch und setzte sich auf die Kante. Er sah mich an und ließ die Schuppenstiefel baumeln.

Er war ein ungeschlachter, stämmiger, muskulöser Mann, der sich in dieser Schwerkraft, die mir den Atem raubte, mühelos bewegen konnte. Sein Gesicht hatte nach zwei Jahrhunderten tiefe, bedrohliche Falten bekommen. Seine schwarze Haut glänzte trüb im gleißenden Licht. Er sagte: »Ich habe die Bänder gesehen, die der Hund aufgezeichnet hat, und ich glaube Sie zu verstehen, Landau. Ihre Sünde ist die Distanz.«

Er seufzte. »Und doch sind Sie weniger korrupt als die anderen … es gibt eine gewisse Grenze, eine Intensität der Sünde und des Zynismus, an der jede Gesellschaft scheitert, wenn sie überschritten wird. Hören Sie – ich weiß einiges über die Former und den Ringrat. Durch nackte Angst und Gier zusammengehalten, beziehen sie die Kraft aus dem Impuls ihres eigenen Zusammenbruchs. Aber Z-K war eine Hoffnung. Sie leben schon eine Weile hier, und Sie müssen es gesehen haben, wenn Sie es schon nicht unmittelbar fühlen können. Sie müssen wissen, wie kostbar dieser Ort ist. Unter der Zikadenkönigin beziehen wir unsere Lebenskraft aus einem Bewußtseinszustand. Glaube zählt, Vertrauen ist lebenswichtig.« Der Koordinator sah mich an, sein dunkles Gesicht schien mutlos. »Ich will Ihnen die Wahrheit sagen und mich Ihrem guten Willen ausliefern. Ich hoffe, Sie reagieren richtig.«

»Danke.«

»Z-K steckt in einer Krise. Gerüchte über die Unzufriedenheit der Königin haben den Markt schon öfter fast zusammenbrechen lassen. Diesmal sind es aber mehr als Gerüchte, Landau. Die Königin will sich aus Z-K zurückziehen.«

Ich sank wie vor den Kopf geschlagen auf meinem Sessel zusammen und sperrte den Mund auf. Ich schloß ihn wieder.

»Wenn der Markt zusammenbricht«, sagte der Koordinator, »dann verlieren wir alles, was wir haben. Die Neuigkeit breitet sich schon aus. Bald wird es einen Run auf die Banken des Zarina-Kluster geben. Das System wird zusammenbrechen, Z-K wird sterben.«

»Aber …«, begann ich. »Wenn es die Königin selbst …« Ich konnte kaum noch atmen.

»Es sind immer die Investierer, Landau; so war es, seit die ersten auftauchten und unsere Krieger zur Institution machten. Wir Mechanisierer hielten euch Former in Schach. Wir beherrschten das ganze System, während ihr euch verängstigt in den Ringen versteckt habt. Durch den Handel mit den Investierern seid ihr wieder auf die Beine gekommen. Sie haben euch sogar absichtlich so weit aufgebaut, daß ein Markt mit freiem Wettbewerb entstand, auf dem sich die menschliche Rasse gegen sich selbst wandte. Die Investierer haben gut daran verdient … nehmen Sie unser Z-K. Wir leben hier in Harmonie. So könnte es überall sein. Es ist ihr Werk.«

»Wollen Sie damit sagen«, fragte ich, »daß die Geschichte von Z-K ein Plan der Investierer war? Daß die Königin nie wirklich in Ungnade fiel?«

»Sie sind nicht unfehlbar«, erklärte der Koordinator. »Ich kann den Markt und Z-K retten, wenn ich ihre eigene Gier benutze. Es sind Ihre Juwelen, Landau, Ihre Juwelen. Ich sah die Reaktion der Königin, als ihr verdammter … Lakai Wellspring Ihr Geschenk übergab. Mit der Zeit lernt man, die Stimmungen dieser Investierer zu erkennen. Sie waren grün vor Gier. Ihr Patent könnte beim Aufbau einer größeren Industrie helfen.«

»Was Wellspring angeht, irren Sie sich aber«, sagte ich. »Das Juwel war seine Idee. Ich habe mit endolithischen Flechten gearbeitet. ›Wenn die in Steinen leben können, dann leben sie auch in Edelsteinen‹, sagte er mir. Ich habe nur die praktische Ausführung übernommen.«

»Aber das Patent läuft auf Ihren Namen.« Der Koordinator betrachtete die Spitzen seiner Schuppenstiefel. »Mit einem solchen Katalysator könnte ich den Markt retten. Ich will, daß Sie Ihr Patent von Eisho Zaibatsu auf mich übertragen. Die Steuern sind schon verplant. Für die Terraformung.«

Ein säuerliches Grinsen vertiefte die Falten im Gesicht des Koordinators. Er beugte sich vor, und seine Schultern spannten sich. Plastik krachte. »Terraformung! Oh, ja, mir sind die sogenannten moralischen Bedenken bekannt. Die kalten Abstraktionen blutloser Ideologen. Was ist mit Respekt? Verpflichtung? Loyalität? Sind das Fremdworte für Sie?«

Ich sagte: »So einfach ist das nicht. Wellspring meint …«

»Wellspring!« rief er. »Er ist ein Terraner, Sie Narr, er ist nur ein Renegat, ein Verräter, der kaum hundert Jahre alt ist und sich mit Haut und Haaren an die Außerirdischen verkauft hat. Sie fürchten uns, müssen Sie wissen. Sie fürchten unsere Energie. Unser Potential, in ihre Märkte einzudringen, sobald wir den Sternenantrieb in den Händen haben. Das ist doch offensichtlich, Landau! Sie wollen die Energie der Menschen auf diesen Mars-Unfug umlenken. Wir könnten ihre Konkurrenten werden und uns in einer riesigen Welle zwischen den Sternen ausbreiten!« Er streckte die Arme weit aus, hob die Handflächen hoch und blickte zur Decke.

Seine Arme begannen zu zittern. Dann zog er sie zurück und legte den Kopf in die geöffneten Hände. »Z-K hätte ein Vorbild sein können. Ein Ort der Einheit, eine Insel der Sicherheit im Chaos. Die Investierer wollen es zerstören. Wenn der Markt zusammenbricht, sobald die Königin desertiert, ist das unser Ende.«

»Wird sie wirklich gehen?«

»Wer weiß schon, was sie will.« Der Koordinator schien erschöpft. »Ich habe siebzig Jahre unter ihren Launen und Erniedrigungen gelitten. Ich weiß nicht mehr, was es bedeutet, für etwas wirklich einzutreten. Warum sollte ich mein Herz brechen und versuchen, mit Hilfe Ihres dummen Schnickschnacks alles zusammenzuhalten? Schließlich gibt es immer noch die Discreets.«

Er sah mich wild an. »Da haben Sie den Ratsherrn durch Ihre Einmischung hingeschickt. Wenn wir erst alles verloren haben, wird soviel Blut in den Discreets sein, daß Sie darin schwimmen können.«

Er sprang vom Schreibtisch, hüpfte über den Teppich und zerrte mich vom Stuhl. Ich packte schwach seine Handgelenke. Meine Arme und Beine flogen herum, als er mich schüttelte. Der Tiger kam klickend näher. »Ich hasse Sie«, brüllte er, »ich hasse alles, für das Sie stehen! Ich bin Ihre Clique und Ihre Philosophien und Ihr albernes Lächeln leid. Sie haben durch Ihre Einmischung einen guten Freund umgebracht. Raus jetzt! Verlassen Sie Z-K. Sie haben achtundvierzig Stunden. Danach lasse ich Sie verhaften und an den höchsten Bieter verkaufen.« Er stieß mich verächtlich zurück. Ich brach in der Schwerkraft sofort zusammen, mein Kopf prallte auf den Teppich.

Der Tiger zog mich auf die Beine, während der Koordinator auf seinen übergroßen Stuhl kletterte. Er blickte auf seinen Börsenschirm, und ich kletterte zitternd auf den Rücken des Tigers.

»Oh, nein«, sagte er leise. »Verrat.« Der Tiger schaffte mich fort.

 

Ich fand Wellspring endlich in Dogtown. Dogtown, die Stadt der Hunde, war eine chaotische Substation, die sich oberhalb der Rotationsachse von Z-K langsam um sich selbst drehte. Es war ein Hafen und eine Zollstation, ein Gewirr von Schiffswerften, Lagerkuppeln, Quarantänestationen und Sozialhäusern, in denen alle Bedürfnisse der Streuner, Einsamen und Fremden befriedigt wurden.

Dogtown war der Ort, an den man ging, wenn einen niemand sonst mehr haben wollte. Überall waren Reisende: Prospektoren, Freibeuter, Kriminelle, Versprengte von Sekten, deren Innovation fehlgeschlagen war, bankrotte Banker, Deserteure, Kunden für gefährliche Freuden. Entsprechend wimmelte es vor Hunden und kleineren Überwachungsanlagen. Dogtown war ein wirklich gefährlicher Ort, denn hier tummelten sich Ausgestoßene und Gierige. Die ständige Überwachung hatte jedes Schamgefühl zerstört.

Ich fand Wellspring in der dicken Blase einer Röhrenbar. Er besprach mit einem Mann, den er als ›Modem‹ vorstellte, ein größeres Geschäft. Modem war Angehöriger einer kleinen, aber vitalen Mechanisierersekte, die in Z-K ›Lobster‹ genannt wurde. Die Lobster lebten ständig in hautengen Lebenserhaltungssystemen, an die hier und dort Maschinen und Ein- und Ausgabestutzen angeschlossen waren. Die Anzüge waren gesichtslos und schwarz. Die Lobster sahen aus wie Schatten.

Ich schüttelte den rauhen, zimmerwarmen Handschuh des Lobster und hakte mich an den Tisch.

Ich klaubte eine Druckflasche von der Adhäsionsfläche des Tischs und trank. »Ich hab Probleme«, sagte ich. »Können wir vor diesem Mann reden?«

Wellspring lachte. »Machst du Witze? Wir sind in Dogtown! Alles, was wir sagen, geht auf mehr Bänder, als du Zähne hast, Landau. Außerdem ist Modem ein alter Freund. Seine verschrobenen Ansichten könnten nützlich sein.«

»Gut.« Ich begann zu erklären. Wellspring wollte Einzelheiten wissen. Ich ließ nichts aus.

»Meine Güte«, sagte Wellspring, als ich fertig war. »Bleib an den Monitoren, Modem, dann wirst du sehen, wie Gerüchte die Lichtgeschwindigkeit überschreiten. Seltsam, daß von diesem komischen kleinen Bistro eine Neuigkeit ausgehen soll, die Z-K zerstören wird.« Er sprach jetzt ziemlich laut, und ich sah mich erschrocken um. Die Gäste sperrten schockiert den Mund auf. In den Mundwinkeln glitzerten Speicheltröpfchen.

»Also ist die Königin fort«, sagte Wellspring. »Wahrscheinlich schon seit Wochen. Nun, da kann man nichts machen. Selbst die Gier der Investierer hat Grenzen. Die Berater konnten sie nicht ewig an der Nase herumführen. Vielleicht taucht sie irgendwo anders auf, in einer Station, die ihren emotionalen Bedürfnissen eher gerecht wird. Ich glaube, ich gehe an meine Monitore, um meine Verluste in Grenzen zu halten, solange sich auf dem Markt überhaupt noch etwas bewegt.«

Wellspring teilte seinen geschlitzten Ärmel und sah beiläufig auf seinen Unterarmcomputer. Die Bar leerte sich plötzlich, als wäre eine Katastrophe ausgebrochen. Die Gäste wurden von ihren persönlichen Hunden begleitet. In der Nähe des Ausgangs brach zwischen zwei Former-Renegaten ein heftiger Zweikampf aus. Sie wirbelten mit schrillen Schreien durch die zuckenden Griffe des Schwerelosigkeits-Jiu-Jitsu. Ihre Hunde sahen unbeteiligt zu.

Bald waren wir drei mit den Bar-Servos und einem halben Dutzend fasziniert lauschender Hunde allein. »Ich wußte schon bei meiner letzten Audienz, daß die Königin gehen wollte«, sagte Wellspring ruhig. »Z-K hat seine Nützlichkeit ohnehin überlebt. Es war nur als Katalysator für die Motivation nötig, den Mars auf die Dritte Prigoginische Ebene der Komplexität zu bringen. Unter dem Gewicht der Berater-Programme ist Z-K immer weiter erstarrt. Das ist die typische Kurzsichtigkeit der Mechs. Pseudopragmatischer Materialismus. Es ist ihre Schuld.«

Wellspring zeigte ein Stück bestickter Unterwäsche, als er mit einer ausholenden Geste eine neue Runde bestellte. »Der Ratsherr, den du erwähnt hast, hat sich in ein Discreet zurückgezogen. Er wird nicht der letzte sein, den man mit den Füßen zuerst herausträgt.«

»Was soll ich machen?« sagte ich. »Ich verliere alles. Was wird aus der Clique?«

Wellspring runzelte die Stirn. »Komm schon, Landau! Zeig die Flexibilität des Posthumanismus. Als erstes mußt du natürlich ins Exil gehen, bevor du gefangen und verkauft wirst. Ich glaube, dabei könnte dir unser Freund Modem helfen.«

»Klare Sache«, verkündete Modem. Er hafte einen Vocoder an seiner Kehle angeschlossen. Das Ding sprach mit einer wundervollen, unmenschlichen, künstlichen Stimme. »Unser Schiff, die Crowned Pawn, bringt Eisteroid-Massenantrieb zum Ringrat. Sie sind für das Terraform-Projekt gedacht. Jeder Freund von Wellspring ist uns willkommen.«

Ich lachte ungläubig. »Das ist Selbstmord für mich. In den Ring zurück? Da könnte ich mir gleich die Kehle durchschneiden.«

»Immer mit der Ruhe«, sagte Modem. »Ich laß dich von den Medimechs durcharbeiten und dir eine unserer Hüllen anpassen. Wir Lobster sehen alle gleich aus. Unter der Haut bist du völlig sicher.«

Ich war schockiert. »Ich soll ein Mech werden?«

»Du mußt ja keiner bleiben», sagte Wellspring. »Das ist eine ganz einfache Prozedur. Ein paar Nervenverbindungen, ein paar anale Operationen, eine Tracheotomie … Du verlierst Geschmack und Tastgefühl, aber die anderen Sinne werden gewaltig verstärkt.«

»Ja«, sagte Modem. »Und du kannst nackt in den Raum gehen und lachen.«

»Genau!« sagte Wellspring. »Die Neuformer könnten sich ruhig einige Mech-Techniken aneignen. Das ist wie bei deinen Flechten, Hans. Geh für eine Weile eine Symbiose ein. Das wird deinen Horizont erweitern.«

Ich sagte: »Aber ihr macht … ihr macht doch nichts mit dem Gehirn, oder?«

»Nein«, sagte Modem gleichgültig. »Müssen wir auch nicht. Dein Gehirn gehört dir.«

Ich dachte nach. »Könnt ihr es in …« – ich sah auf Wellsprings Unterarm – »in achtunddreißig Stunden schaffen?«

»Wenn wir uns beeilen«, sagte Modem. Er löste sich vom Tisch.

Ich folgte ihm.

 

Die Crowned Pawn war unterwegs. Meine Haut klebte magnetisch an einem Träger des Schiffs, als wir beschleunigten. Ich hatte meine Augen auf Normalsicht umgestellt und sah zu, wie hinter uns der Zarina-Kluster langsam kleiner wurde.

Tränen brannten in den haardünnen Narben um meine toten Augäpfel. Z-K rotierte langsam wie eine Galaxis in einem edelsteinbesetzten Netz. Da und dort in diesem Netz zuckten Flammen auf, als Vororte die schwierige und tragische Aufgabe in Angriff nahmen, sich loszuschneiden. In Z-K ging die Angst um.

Ich sehnte mich nach der warmen Vitalität meiner Clique. Ich war kein Lobster. Sie waren Aliens. Sie waren solipsistische Punkte in der galaktischen Nacht. Ihre Menschlichkeit war ein vergessener Kleister hinter schwarzen Panzern.

Die Crowned Pawn sah aus, als hätte man ihr Inneres nach außen gekehrt. Ihre Räume waren um einen Kern aus großen Magnetmaschinen angeordnet. Die Motoren wurden von Drohnen mit einem Klotz Reaktionsmasse gespeist. Außerhalb dieser Maschinen war eine Art Metallskelett befestigt, in dem die Lobster wie Zysten hockten oder in induzierten Magnetfeldern schwebten. Da und dort saßen Kuppeln auf dem Skelett, wo sich die Lobster in Flüssigcomputer einklinken oder sich vor Sonnenstürmen und elektrischen Entladungen des Ringsystems schützen konnten.

Sie aßen nicht. Sie tranken nicht. Sex war nur mit Hilfe einer Cyberstimulation über Gehirnanschlüsse möglich. Etwa alle fünf Jahre kamen sie in die ›Mauser‹. Sie ließen von ihren Häuten die stinkenden, mutierten Bakterien abkratzen, die sich in der drückenden Hitze auf ihnen festgesetzt hatten.

Sie kannten keine Angst. Platzangst war ein Gefühl, das sich mühelos mit Drogen zerquetschen ließ. Sie waren beherrscht und anarchisch. Ihre größte Freude war es, auf einer Strebe zu sitzen und ihre verstärkten Sinne für die Tiefen des Raumes zu öffnen und Sterne zu beobachten, die im Ultraviolett- oder Infrarotbereich strahlten, oder in die wellige, wabernde Oberfläche der Sonne zu starren. Oder sie saßen nur herum und nahmen die energiereiche Sonnenstrahlung über die Haut auf und lauschten mit verdrahteten Ohren dem Summen der Van Allen-Gürtel und dem musikalischen Klicken der Pulsare.

Sie waren nicht böse, aber sie waren auch keine Menschen. Distanziert und eiskalt wie Kometen, waren sie Geschöpfe des Vakuums, gelangweilt von den altmodischen Paradigmen von Blut und Knochen. Ich sah in ihnen die ersten Anzeichen des Fünften Prigoginischen Sprungs – jener postulierten Fünften Ebene der Komplexität, die so weit über die Intelligenz hinausging, wie die Intelligenz sich vom Leben einer Amöbe unterschied oder das Leben von lebloser Materie.

Sie machten mir angst. Ihre nüchterne Gleichgültigkeit gegenüber den menschlichen Beschränkungen gaben ihnen die finstere Ausstrahlung von Heiligen.

Modem glitt über eine Strebe zu mir und schloß sich geräuschlos hinter mir an. Ich drehte meine Ohren und hörte seine Stimme, die das statische Rauschen der Maschinen übertönte. »Ein Anruf für dich, Landau. Von Z-K. Folge mir!«

Ich stieß mich ab und schwebte hinter ihm an einer Strebe entlang. Wir betraten die Strahlenschleuse einer Eisenkuppel. Die Tür stand offen, denn die Lobster haßten verschlossene Räume.

Vor mir auf dem Schirm sah ich das tränenüberströmte Gesicht von Valery Korstad. »Valery!« sagte ich.

»Bist du es, Hans?«

»Ja. Ja, Liebste. Schön, dich zu sehen.«

»Kannst du nicht die Maske abnehmen, Hans? Ich will dein Gesicht sehen.«

»Das ist keine Maske, Liebes. Und mein Gesicht ist, nun ja, kein sehr schöner Anblick. Lauter Drähte.«

»Du klingst so seltsam, Hans. Deine Stimme klingt ganz anders.«

»Das liegt daran, daß meine Stimme elektronisch erzeugt wird. Sie ist künstlich.«

»Woher soll ich wissen, ob du es wirklich bist? Mein Gott, Hans … ich habe solche Angst. Alles … hier löst sich alles einfach auf. Der Schaum ist … es gibt eine biologische Gefahr, jemand hat die Schalen in deinem Raum zerstört, ich glaube, es waren die Hunde, und jetzt breiten sich die verdammten Flechten überall aus. Sie wachsen sehr schnell!«

»Sie sind dafür gemacht, schnell zu wachsen, Valery, das war so gedacht. Sag ihnen, sie sollen ein Metallaerosol oder Schwefelverbindungen benutzen; damit kann man sie in ein paar Stunden töten. Kein Grund zur Panik.«

»Kein Grund zur Panik! Hans, die Discreets sind wahre Selbstmordfabriken. Z-K ist am Ende! Wir haben die Königin verloren!«

»Das Projekt gibt es aber noch«, sagte ich. »Die Königin war nur ein Vorwand, ein Katalysator. Das Projekt kann ebensoviel Respekt erzeugen wie die verdammte Königin. Die Grundlagen wurden schon vor Jahren festgelegt. Dies ist der Augenblick. Sag der Clique, sie soll alles verkaufen, was sie hat. Der Schaum muß in den Marsorbit verlegt werden.«

Valery trieb zur Seite davon. »Darum ging es dir die ganze Zeit, was? Um das Projekt! Ich habe mich erniedrigt, und du mit deiner Kälte, deiner Former-Distanz hast mich einfach zurückgelassen!«

»Valery!« rief ich erschüttert. »Ich habe dich ein dutzendmal angerufen, aber du hattest dich eingeschlossen. Ich war es, der nach all diesen Jahren unter den Hunden Wärme suchte …«

»Du hättest mich erreichen können!« kreischte sie, und ihr Gesicht wurde bleich vor Leidenschaft. »Wenn dir wirklich etwas an mir gelegen hätte, wärst du eingebrochen, um es zu beweisen! Hast du erwartet, daß ich demütig zu dir gekrochen komme? Schwarzer Panzer oder Hundeaugen, Hans, es ist egal. Du bist nicht bei mir.«

Ich spürte die Hitze nackter Wut unter meiner betäubten Haut. »Dann gib mir ruhig die Schuld! Woher sollte ich deine Rituale kennen, deine kranken kleinen Geheimnisse? Ich dachte, du hättest mich abgelegt, weil du lieber mit Wellspring herummachen wolltest. Glaubst du, ich kämpfe gegen einen Mann, der mir einen Weg zur Rettung gezeigt hat? Ich hätte mir die Pulsadern aufgeschnitten, nur um dich lächeln zu sehen, und du hast mir nichts gegeben, nichts als Katastrophen.«

Ihr bemaltes Gesicht erbleichte. Ihr Mund öffnete sich, aber kein Wort kam heraus. Schließlich unterbrach sie mit einem hoffnungslosen, verzweifelten Lächeln die Verbindung. Der Schirm wurde dunkel.

Ich wandte mich an Modem. »Ich will zurück«, sagte ich.

»Tut mir leid«, sagte er. »Erstens würde man dich umbringen. Zweitens haben wir nicht genug Energie, um umzukehren. Wir haben eine Menge Fracht geladen.« Er zuckte die Achseln. »Und außerdem löst Z-K sich auf. Wir haben es schon lange vorausgesehen. In den nächsten Wochen werden einige unserer Kollegen mit einer zweiten Ladung von Masseantrieben kommen. Sie werden Spitzenpreise erzielen, wenn sich der Kluster auflöst.«

»Ihr habt es gewußt?«

»Wir haben unsere Quellen.«

»Wellspring?«

»Was, der? Der geht auch weg. Er will im Marsorbit sein, wenn das einschlägt.« Modem schwebte aus der Kuppel und deutete zur Ekliptik. Ich folgte seinem Blick und stellte die Augen ungeschickt auf sichtbares Licht um.

Ich sah das wilde, gespenstische Flackern der mächtigen Antriebe des Mars-Asteroiden. »Der Eisteroid«, sagte ich.

»Natürlich. Der Komet eures Untergangs sozusagen. Ein schönes Symbol für Z-Ks Verfall.«

»Ja«, sagte ich. Ich glaubte Wellsprings Handschrift zu erkennen. Wenn die große Eismasse an Z-K vorbeischwebte, würden ihr die erschreckten Augen der Bewohner folgen. Plötzlich erwachte eine neue Hoffnung in mir.

»Wie wär's, denn damit? Könnt ihr mich darauf absetzen?«

»Auf dem Asteroiden?«

»Ja! Sie müssen doch im Orbit die Antriebsmaschinen lösen, oder? Dort kann ich wieder zu meinen Freunden stoßen, damit ich den prigoginischen Katalysator nicht verpasse!«

»Ich überprüfe es.« Modem gab einige Parameter in den Flüssigcomputer. »Ja … ich könnte dir eine kleine Maschine verkaufen, an die du dich anbinden müßtest. Mit genug Energie und einem Cybersystem zur Steuerung könntest du etwa in zweiundsiebzig Stunden deine Flugbahn angleichen.«

»Gut! Gut! Dann laß es uns tun.«

»Nun ja«, sagte er, »da wäre nur noch die Frage des Preises.«

 

Ich hatte genug Zeit, über den Preis nachzudenken, während wir durch die schwarze Leere rasten. Ich glaubte, ich hatte mich richtig entschieden. Wenn Z-Ks Markt zusammenbrach, brauchte ich neue Handelsagenten für die Eisho-Juwelen. Trotz ihres gespenstischen Aussehens hatte ich das Gefühl, daß ich den Lobstern vertrauen konnte.

Das Cybersystem brachte mich sanft auf die Sonnenseite des Asteroiden. Ich verging allmählich in der Hitze der fernen Sonne. Infrarote Fahnen flüchtiger Gase pufften da und dort aus Rissen im bläulichen Eis.

Der Eisteroid war ein Splitter eines zerbrochenen alten Eismondes des Saturn. Es war ein hügeliger, rissiger Klumpen, der in gezackten Klippen und Klüften noch die versteinerte Spuren frühgeschichtlicher Gewalt trug. Er war eiförmig, fünf Kilometer lang und drei Kilometer dick. Die Oberfläche hatte die bläuliche, vernarbte Farbe von Eis, das jahrtausendelang starken elektrischen Feldern ausgesetzt gewesen war.

Ich rauhte die Greifflächen meiner Handschuhe auf und zog mich und die Hilfsmaschine Hand über Hand in den Schatten. Die Maschine konnte keine Energie mehr liefern, aber ich wollte nicht, daß sie frei herumflog.

Ich entfaltete die Funkantenne, die Modem mir verkauft hatte, und verankerte sie in einem Spalt. Ich richtete sie auf Z-K aus und schaltete sie ein.

Die Katastrophe war umfassend. Z-K war immer stolz auf seine offenen Sendungen gewesen. Sie waren Bestandteile jener Atmosphäre der Freiheit gewesen, die den Kluster so lebendig gemacht hatte. Nun äußerte sich offene Panik in verhüllten Drohungen, und dann, am schlimmsten von allem, kamen verräterische Codes. Aus dem ganzen System entlud sich lange aufgestauter Druck auf Z-K.

Die Angebote und Drohungen schaukelten sich hoch, bis die verängstigten Cliquen von Z-K beinahe im Bürgerkrieg lagen. Entführte Hunde kontrollierten die Röhren und Gänge, Werkzeuge der Machteliten, die durch ihre Angst grausam wurden. Böse Scheingerichte nahmen Dissidenten ihren Status und ihren Besitz. Viele gingen in die Discreets.

Erziehungskooperativen zerbrachen. Kinder mit versteinerten Gesichtern wanderten durch die Gänge der Vororte, benommen von Gefühlshemmern. Nur sehr wenige zeigten noch Mitgefühl. Schwitzende Makler brachen über ihren Terminals zusammen, ihre Nebenhöhlen bluteten von Inhalationsstoffen. Frauen traten nackt aus ferngesteuerten Schleusen und starben in funkelnden Schwällen gefrorener Luft. Zikaden mühten sich, mit modulierten Augen zu weinen oder schwebten in abgedunkelten Bistros, betäubt von der Katastrophe und von Drogen.

Jahrhunderte des geschäftlichen Wettkampfes hatten die Zähne der Kartelle gewetzt. Sie fielen mit der cybernetischen Präzision der Mechanisierer und der beunruhigenden Schönheit der Modulierten über Z-K her. Als der Markt zusammenbrach, konnten sie Z-Ks Industrien zum Schleuderpreis übernehmen. Handelsagenten und arroganten Diplomaten annektierten ganze Sektoren. Gruppen ihrer neuen Angestellten stolperten durch den leeren Palast der Königin und verwüsteten alles, was sie nicht stehlen konnten.

Die erschreckten Untergruppen von Z-K saßen in genau jenem klassischen Dilemma, das die Entwicklung der Menschheit im Raum abwechselnd gefördert und verhindert hatte. Einerseits führten technisch veränderte Lebensstile und Bewußtseinszustände unweigerlich dazu, allem Andersartigen zu mißtrauen; andererseits wurden isolierte Gruppen die leichte Beute geschlossen auftretender Kartelle. Sie waren sogar den Angriffen von Piraten und Freibeutern ausgesetzt, die von den Kartellen öffentlich verdammt und heimlich unterstützt wurden.

Und statt meiner Clique zu helfen, hing ich als schwarzer Klecks wie eine Spore an der vereisten Flanke eines gefrorenen Gebirges.

In diesen traurigen Tagen begann ich meine Haut zu schätzen. Wenn Wellsprings Pläne funktioniert hatten, dann würde eine neue Blüte kommen. Ich würde das Eis in meinem Sporengehäuse überleben, genau wie ein vom Wind fortgewehter Flechtensame jahrzehntelang treiben kann, bis er endlich mit aller Macht zum Leben erwacht. Wellspring war sehr klug gewesen, mich in diese Situation zu bringen. Ich vertraute ihm. Ich würde ihn nicht enttäuschen.

Während die Langeweile mir zusetzte, verfiel ich in einen kontemplativen Dämmerzustand. Ich öffnete die Augen und Ohren, bis meine Sinne überlastet wurden. Das Bewußtsein verschluckte sich selbst und verschwand in der brüllenden Halbwelt eines Ereignishorizonts. Die Raum-Zeit, die Zweite Ebene der Komplexität, verkündete im Wimmern von Sternen, im Rumpeln von Planeten, im transzendenten Knistern und Raunen der sich entfaltenden Sonne das Ding an sich.

Die Zeit kam, da ich endlich von den traurigen, öden Sinfonien des Mars geweckt wurde.

Ich schaltete die Verstärker des Anzugs aus. Ich brauchte sie nicht mehr. Schließlich wird der Katalysator durch den gewünschten Prozeß immer vergraben.

Ich bewegte mich entlang der Asteroidenachse nach Süden, wo ich auf jeden Fall von dem Team entdeckt werden würde, das die Masseantriebe ausbauen würde. Das Cybersystem des Antriebs hatte den Asteroiden für den Bremsvorgang gedreht, und das Südende bot den besten Blick auf den Planeten.

Nur Sekunden nach dem letzten Feuerstoß wurde die Eismasse von einem Piraten besetzt. Es war ein schlankes, wunderschönes Former-Schiff mit langen, bebänderten Sonnenflügeln aus einem selbstleuchtenden Material, das so dünn war wie Öl auf Wasser. Die glänzende organomechanische Hülle verbarg magnetische Maschinen der achten Generation mit wundervoller Geschwindigkeit und Kraft. Die stumpfen Waffenkuppeln durchbrachen die glatte Hülle.

Ich ging in Deckung und zog mich in einen Spalt zurück, um dem Radar zu entgehen. Ich wartete, bis Neugierde und Angst übermächtig wurden. Dann kroch ich wieder heraus bis zu einem Aussichtspunkt im zersplitterten Eisgebirge.

Das Schiff hatte angelegt und saß auf den gewinkelten Manipulatorenarmen, deren Spitzen, die an Gottesanbeterinnen erinnerten, im Eis verankert waren. Eine Crew aus Mechanisierer-Bergbaudrohnen war ausgestiegen und bohrte sich auf einem glattgefegten Plateau ins Eis.

Kein Former-Pirat hatte Bergbaudrohnen an Bord. Das Schiff hatte alle Systeme deaktiviert und hockte reglos und wunderschön wie ein Insekt im Bernstein, die riesigen Sonnensegel eingefaltet. Nirgends war eine Crew zu sehen.

Ich hatte keine Angst vor Drohnen. Ich zog mich kühn über das Eis, um ihre Operationen zu beobachten. Niemand hielt mich auf.

Ich sah zu, wie die ungeschickten Drohnen das Eis abtrugen. Zehn Meter tiefer stießen sie auf glänzendes Metall.

Es war eine Luftschleuse.

Sie warteten. Die Zeit verging. Sie empfingen keine weiteren Befehle. Sie schalteten sich zurück und hockten reglos auf dem Eis, so leblos wie die Felsbrocken.

Um der Sicherheit willen beschloß ich, zuerst das Schiff zu untersuchen.

Als die Schleuse geöffnet wurde, fuhr das Schiff seine Maschinen wieder hoch. Ich betrat die Kabine. Der Pilotensitz war leer.

Es war niemand an Bord.

Ich brauchte fast zwei Stunden, bis ich mich zum Cybersystem des Schiffs vorgearbeitet hatte. Dort erkannte ich, was ich schon vermutet hatte. Es war Wellsprings Schiff.

Ich verließ das Schiff und kroch über das Eis zur Schleuse. Sie öffnete sich mühelos. Wellspring hatte sein Leben nie unnötig kompliziert.

Die Kammer hinter der inneren Schleusentür war von gleißendem bläulichen Licht erhellt. Ich stellte meine Augen um und kroch hinein.

Am anderen Ende, in der schwachen Schwerkraft des Eisteroiden, war ein Bett aus Juwelen. Es war kein normales Bett. Es war einfach ein riesiger, loser Haufen kostbarer Steine.

Auf diesem Haufen schlief die Königin.

Ich stellte meine Augen wieder um. Sie verstrahlte keine Infrarotimpulse. Sie lag völlig reglos, die Arme um etwas gelegt, das sie an die Brust drückte, die dreizehigen Beine angezogen, den massiven Schwanz eingerollt und zwischen die Beine gezogen. Ihr riesiger Kopf, so groß wie ein Männertorso, steckte in einem gewaltigen gekrönten Helm, der mit funkelnden Diamanten besetzt war. Sie atmete nicht. Ihre Augen waren geschlossen. Ihre dicken, schuppigen Lippen waren leicht gefletscht und entblößten zwei Reihen zeltpfahlgroßer, gelber Zähne.

Sie war eiskalt, in eine Art fremden Kälteschlaf gefallen. Wellsprings Coup war enthüllt. Die Königin hatte sich freiwillig entführen lassen. Wellspring hatte sie in heldenhaftem Wagemut geraubt, hatte seine Rivalen in Z-K beraubt, um im Marsorbit noch einmal von vorn zu beginnen. Es war ein erstaunlicher Coup, der ihm und seinen Schülern unendliche Macht eingebracht hatte.

Ich war von Bewunderung für diesen Plan überwältigt. Ich fragte mich allerdings, warum er nicht im Schiff gewesen war. Zweifellos waren an Bord Medikamente, mit denen die Königin im neuen Kluster wieder erweckt werden konnte.

Ich ging näher heran. Ich hatte noch nie einen Investierer von Angesicht zu Angesicht gesehen. Trotzdem erkannte ich nach wenigen Augenblicken, daß mit ihrer Haut etwas nicht stimmte. Zuerst hielt ich es für eine optische Täuschung. Aber dann sah ich, was sie in den Händen hielt.

Es war der Flechten-Juwel. Ihre kräftigen Hände hatten den Stein beim Zupacken entlang einer Fläche gespalten, die schon von den Säuren der Flechten geschwächt gewesen war. Die Flechten hatten sich, aus ihrem Kristallgefängnis befreit, im starken Licht hemmungslos vermehrt. Sie waren über ihre Schuppenfinger gekrochen, dann ihre Handgelenke hinauf, und dann waren sie auf ihrem ganzen Körper förmlich explodiert. Sie funkelte grün und golden in ihrem tödlichen Pelz. Sogar ihre Augen und ihr Mund.

Ich ging zum Schiff zurück. Man sagte von uns Formern immer, daß wir unter großen Belastungen Außergewöhnliches leisteten, ich reaktivierte die Drohnen und ließ sie das Bohrloch füllen. Sie fügten Eisbrocken ein und verschmolzen sie mit dem Fels.

Ich arbeitete intuitiv, aber meine ganze Ausbildung sagte mir, daß ich meiner Eingebung vertrauen sollte. Ich hatte die tote Königin entkleidet und alle Juwelen an Bord des Schiffs gebracht. Ich empfand eine Gewißheit, die über jede Logik hinausging. Die Zukunft lag vor mir wie eine schläfrige Frau, die die Hände ihres Geliebten erwartet.

Wellsprings Bänder gehörten mir. Das Schiff war seine letzte Zuflucht, im voraus programmiert. Nun verstand ich die Pein und den Ehrgeiz, die ihn getrieben hatten, und ich empfand sie wie er.

Seine tote Hand hatte die Abgeordneten aller Parteien angezogen, damit sie dem prigoginischen Sprung beiwohnen konnten. Der Proto-Kluster im Orbit wurde ausschließlich von Drohnen und Monitoren bevölkert. Es war natürlich, daß sich die Beobachter mir zuwenden würden. Mein Schiff kontrollierte die Drohnen.

Die ersten, von Panik getriebenen Flüchtlinge erzählten mir, was mit Wellspring geschehen war. Er war mit den Füßen voran aus einem Discreet gezogen worden, dichtauf gefolgt von der blutleeren Leiche von Valery Korstad. Sie würde nie wieder jemand erfreuen. Nie wieder würde er mit seinem Charisma die Clique in seinen Bann ziehen. Möglicherweise war es ein Doppelselbstmord. Wahrscheinlicher aber hatte sie erst ihn und dann sich selbst getötet. Wellspring konnte nie glauben, daß irgend etwas stärker war als seine Fähigkeiten zu heilen. Eine Verrückte und eine kahle Welt, das war für ihn die gleiche Herausforderung. Schließlich war er doch an seine Grenzen gestoßen, und sie hatte ihn umgebracht. Die Details spielten keine große Rolle. So oder so, sie waren in einem Discreet gestorben.

Als ich die Neuigkeit hörte, versiegelte ich mein Herz mit Eis; nahtlos und sauber.

Ich sendete Wellsprings Testament, als der Eisteroid zu seiner letzten Fahrt in die Atmosphäre ansetzte. Bänder nahmen die Sendung auf, während Gase sich in der dünnen, leeren Luft des Mars verflüchtigten.

Ich log, was das Testament anging. Ich erfand es. Ich hatte Wellsprings aufgezeichnete Erinnerungen zur Hand; es war ganz leicht, meine künstliche Stimme so umzustellen, daß sie klang wie seine, um die Bühne für meinen Aufstieg vorzubereiten. Es war wichtig für die Zukunft des T-K, des Terraform-Kluster, daß ich mich als Wellsprings Erbe proklamierte.

Macht und Gerüchte rankten sich um mich. Man sagte, unter meiner Rüstung verberge sich Wellspring, während der wirkliche Landau zusammen mit Valery in Z-K gestorben sei. Ich förderte diese Gerüchte. Falsche Vorstellungen würden den Kluster zusammenschweißen. Ich wußte, daß T-K eine Stadt ohne Rivalen sein würde. Hier würden Abstraktionen Gestalt annehmen, Phantome würden uns nähren. Sobald unsere Ideale realisiert waren, würde T-K unaufhaltsam an Macht gewinnen. Meine Juwelen gaben ihm eine Machtbasis, mit der sich nur wenige Kartelle messen konnten.

Mit dem Verstehen kam auch die Vergebung. Ich verzieh Wellspring. Seine Lügen, seine Täuschungen hatten bei mir mehr bewirkt als die schillernde ›Wahrheit‹ vermocht hätte. Was machte es schon? Wenn wir massiven Grund brauchten, dann sollte er uns umkreisen.

Und die schreckliche Schönheit des Aufschlags! Die gleißende, gerade Linie des Sturzes! Es war der erste von vielen weiteren, aber er war mir der liebste. Als ich nach dem Aufschlag die milchigen Tropfen von der Marsoberfläche hochspritzen sah, ein gewaltiger Orgasmus voller Dampf aus dem versteckten, gefrorenen Grab der Königin, wußte ich, was mein Lehrer gewußt hatte. Ein Mann, der von etwas getrieben wird, das größer ist als er selbst, wagt alles und fürchtet nichts. Überhaupt nichts.

Ich lebe in meinem schwarzen Panzer und beherrsche die Polycarbon-Clique. Meine Berater kommen aus ihrer Elite. Ich erinnere mich an die Kälte, aber ich fürchte mich nicht mehr. Ich habe sie für immer vergraben, wie die Kälte des Mars unter dem brodelnden grünen Teppich begraben wird. Wir zwei, die wir jetzt vereint sind, haben einen ganzen Planeten aus dem Reich des Todes gestohlen. Und ich fürchte die Kälte nicht. Nein, überhaupt nicht.

 

Originaltitel: ›Cicada Queen‹

Copyright© 1983 by Terry Carr

(erstmals erschienen in ›Universe 13‹, hrsg. von Terry Carr)

Copyright © 1990 der deutschen Übersetzung

by Wilhelm Heyne Verlag, München

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Jürgen Langowski