Bürger in westlichen Ländern wachen aufmerksam über ihre individuellen Freiheiten und reagieren mit Abwehr und Misstrauen, wenn der Staat versucht, seine Befugnisse zu erweitern und in diese Freiheiten einzugreifen. In anderen Teilen der Welt jedoch, in denen das Recht des Stärkeren, Korruption und Kriminalität herrschen, erwarten die Bürger geradezu vom Staat, dass seine Präsenz stärker sichtbar wird, dass er Rechtssicherheit herstellt und die Bürger vor Willkür und Gewalt schützt.
Doch auch in Westeuropa gab es Zeiten des Bürgerkriegs und der Anarchie, in denen die Menschen sich nichts sehnlicher wünschten als einen von einem starken Staat durchgesetzten Frieden. Das 17. Jahrhundert, in dem der englische Philosoph Thomas Hobbes lebte, war eine solche Zeit. In diesem Zeitalter der sogenannten »Glaubenskriege« gab es kaum ein Land, das nicht von blutigen konfessionellen und politischen Konflikten erschüttert wurde.
Frankreich erlebte 1610 die Ermordung Henris IV., eines Königs, der dem Land einen vorläufigen konfessionellen Frieden gebracht hatte. Deutschland war 1618 – 1648 Schauplatz des Dreißigjährigen Krieges, in dem Söldnerheere aus ganz Europa das Land verwüsteten. In England spitzte sich der Konflikt zwischen protestantischen Dissidenten und Anglikanern, zwischen Parlament und König 1642 zu einem Bürgerkrieg zu, der zur Machtergreifung Oliver Cromwells und zur Hinrichtung des Stuartkönigs Charles I. führte.
Die Erfahrung von Rebellionen, Bürgerkriegen und ständig wechselnden Machtverhältnissen hat in Thomas Hobbes’ staatsphilosophischem Hauptwerk Leviathan tiefe Spuren hinterlassen. Wie Platon in seinem Staat wollte er eine politische Ordnung entwerfen, in der Frieden und Stabilität gesichert sind. Deshalb plädiert er dafür, dass sich alle Bürger und alle Gruppen in der Gesellschaft bedingungslos der Macht des Staates unterwerfen. Nur der Staat als starker Mann ist nach Hobbes in der Lage, den Bürger vor Willkür zu schützen. Wie das Meeresungeheuer Leviathan, von dem es am Ende des alttestamentarischen Buches Hiob heißt: »Auf Erden ist nicht seinesgleichen; er ist ein Geschöpf ohne Furcht. Er sieht allem ins Auge; er ist König über alle stolzen Tiere«, so muss der Staat sich als eine Macht erweisen, vor der sich alle beugen müssen. Was dieses Buch jedoch zu einem der Basiswerke der politischen Philosophie der Neuzeit macht, ist die Art, wie Hobbes sich die Konstitution, also die Grundlegung und Entstehung dieses Staates, vorstellt.
Der Italiener Niccolò Machiavelli hatte in seinem 1532 erschienenen Buch Der Fürst Politik als ein zum Zweck der Machterhaltung ausgeübtes Handwerk beschrieben und damit die im Mittelalter übliche Sicht in Frage gestellt, Staat und Politik fänden ihre Begründung in der Herrschaft Gottes über die Welt. Obwohl Hobbes seine Theorie durch zahlreiche Bezüge zur Bibel auch theologisch zu unterfüttern versucht, vollendet er in Wahrheit die Trennung von politischer Philosophie und Theologie endgültig: Für ihn ist nicht nur die Politik, sondern ist auch der Staat selbst ganz und gar Menschenwerk, nämlich das Ergebnis eines Vertrags, einer Vereinbarung zwischen den Bürgern. Damit wurde Hobbes gleichzeitig zum Begründer der sogenannten »Vertragstheorie«, deren Einfluss bis in die Gegenwart reicht.
Trotz der Gefahren, die die unsicheren Zeiten auch für ihn persönlich mit sich brachten, schaffte es Hobbes, sich unbeschadet durch die Grabenkämpfe der verfeindeten Parteien zu bewegen, ohne seine politischen Überzeugungen zu verleugnen. Geboren 1588, in dem Jahr, in dem die englische Flotte die spanische Armada besiegte, starb er 1679 in dem für seine Zeit geradezu biblischen Alter von 91 Jahren, als die Stuarts längst wieder auf den englischen Thron zurückgekehrt waren. Als Sohn eines westenglischen Landpfarrers gehörte er jener Gesellschaftsschicht an, die zwar nicht Zugang zu den höchsten Ämtern hatte, der aber sehr wohl die Bildungsinstitutionen und Kontakte offen standen, die bis zum Hof reichen konnten. Aus ihr gingen nicht zufällig viele Intellektuelle hervor.
Auch Hobbes, der schon in jungen Jahren durch seine Kenntnis der lateinischen und griechischen Sprache glänzte, konnte in Oxford studieren. Über dieses Studium zu Beginn des 17. Jahrhunderts, das von den neuen Erkenntnissen der Naturforschung noch ganz unberührt war, äußerte er sich später stets abfällig: Es diene vor allem dazu, so schrieb er, staatstreue Pfarrer auszubilden. Als er mit zwanzig Jahren das Studium abschloss, war von dem Philosophen Hobbes noch nicht viel erkennbar. Es sollte noch Jahrzehnte dauern, bis er mit eigenen philosophischen Schriften hervortrat.
Einen großen Teil seines Lebens verbrachte Hobbes als Tutor in adligen Familien, eine Stellung, die ihm einerseits genug Zeit zum eigenen Studium ließ und ihm andererseits, als Begleiter seiner adligen Schützlinge, Gelegenheit zu Bildungsreisen gab. Junge englische Adlige machten einmal im Leben die sogenannte »Grand Tour«, die in der Regel durch Frankreich, Italien und die Schweiz führte und häufig mehrere Jahre dauerte. Hobbes begab sich mit verschiedenen Zöglingen dreimal, zwischen 1610 und 1613, zwischen 1628 und 1630 und schließlich zwischen 1634 und 1636, auf die Grand Tour. Auf diesen Auslandsaufenthalten erhielt er entscheidende Anstöße für sein Denken.
Auf der ersten dieser Reisen wurde er 1610 Zeuge der Ermordung Henris IV. Hobbes entwickelte spätestens von diesem Zeitpunkt an die Überzeugung, dass die Hinrichtung des Herrschers, also des Souveräns, gleichbedeutend mit der Absage an eine rechtliche Ordnung ist. Die unangreifbare Macht des Souveräns blieb deshalb ein Eckpfeiler seiner politischen Theorie.
Auf seiner zweiten Europatour stieß er 1630 in Paris auf die Elementa des Euklid, in denen die Lehrsätze der Mathematik, besonders aber der Geometrie, logisch von einem Grundgerüst von Axiomen aus aufgebaut werden. Wie viele Philosophen des 17. Jahrhunderts, unter ihnen Descartes und Spinoza, war Hobbes von dem logischen Lehrgebäude der Geometrie fasziniert und betrachtete diese fortan als Vorbild für die Philosophie.
Auf seiner dritten Reise machte er schließlich die Bekanntschaft namhafter zeitgenössischer Philosophen und Wissenschaftler, mit denen er zwar nicht in allen Punkten übereinstimmte, denen aber gemeinsam war, dass sie die Naturerklärung der mittelalterlichen Scholastik ablehnten, die auf Aristoteles beruhte und nach der die Natur ein Reich von Zwecken und verborgenen Kräften ist. In Paris lernte er den Begründer des neuzeitlichen Rationalismus, René Descartes, und den Naturphilosophen Pierre Gassendi kennen. Gassendi hatte die in der griechischen Philosophie von Demokrit und Epikur vertretene Lehre, nach der sich alles Naturgeschehen aus den Eigenschaften und Bewegungen von Grundbestandteilen, den Atomen, erklären lässt, erneuert.
Zu der für Hobbes wichtigsten Begegnung kam es aber 1636 in Florenz, wo er Galileo Galilei traf, den wichtigsten Pionier der neuen wissenschaftlichen Weltanschauung. Galilei verstand Natur als einen den Gesetzen der Mechanik folgenden Zusammenhang, der sich mithilfe der euklidischen Mathematik beschreiben ließ. Demnach hat alles, was geschieht, eine »natürliche« Ursache und gehorcht dem Gesetz von Druck und Stoß, von Aktion und Reaktion. Jede Bewegung unterliegt dem »Trägheitsgesetz«, wonach ein Körper so lange in Ruhe oder gleichförmiger Bewegung bleibt, bis von außen Kräfte auf ihn einwirken. Diese mechanistische Naturerklärung kam immer wieder in Konflikt mit der Kirche, da ihr unterstellt wurde, sie propagiere ein Weltbild, in der Gott nicht mehr vorkommt.
Für Hobbes wurde die Mechanik Galileis die Grundlage seines eigenen philosophischen Denkens. Als er schließlich nach England zurückkehrte, war er überzeugt davon, dass man die neue Mechanik der Natur auch auf die Gesellschaft und Politik übertragen müsse. Ihm schwebte eine Mechanik der sozialen Welt vor, in der die sozialen Beziehungen zwischen Menschen als gesetzmäßige Bewegung von Körpern aufgefasst werden. Dies bedeutete, dass auch der Staat diesen Bewegungsgesetzen unterworfen ist und als eine Art Körper aufgefasst wird. Hobbes spricht deshalb nicht zufällig von einem »body politic«, einem »politischen Körper«.
Hobbes’ politische Philosophie nimmt ihren Anfang mit einer kleinen Schrift, die in Anlehnung an die Elemente des Euklid den Titel Elements of Law, Natural and Politic – zu Deutsch: Naturrecht und Staatsrecht in den Anfangsgründen – trägt. Bereits hier unterscheidet er zwischen zwei gesellschaftlichen Zuständen des Menschen: einer »Lage des Menschen in bloßer Natur«, die er mit Chaos und Anarchie identifiziert, und einem politisch organisierten Zustand, in dem die absolute Macht beim Souverän liegt. Eine der Absichten des Autors war es dabei, vor den Folgen einer Rebellion zu warnen. Die Elements erreichten keine große Öffentlichkeit, sondern wurden in einer Art Privatdruck vervielfältigt und 1840, als sich im englischen Parlament die Diskussion um die Machtbefugnisse des Königs zuspitzte, auch an die Parlamentarier verteilt.
Als sich im selben Jahr die Waage der Macht immer mehr den Puritanern zuneigte, entschloss sich der als königstreu bekannte Hobbes, das Land zu verlassen. Außerdem fürchtete er wegen seiner naturphilosophischen Anschauungen den Vorwurf des Atheismus, der lebensbedrohend sein konnte. Für etwa ein Jahrzehnt lebte er in Paris, einer Stadt, die er von seinen Reisen kannte und in der er einige Kontakte hatte. Hier entstanden seine beiden wichtigsten Werke zur politischen Philosophie, das lateinisch geschriebene De Cive (Vom Bürger) und der in Englisch verfasste Leviathan. Beide sind nicht nur Beispiele für die angestrebte »politische Mechanik«, sondern auch indirekte Kommentare zu den Bürgerkriegsereignissen in England. Hobbes wollte auf eine neue Art die Notwendigkeit eines gesetzlich geregelten Zustands und einer uneingeschränkten souveränen Macht begründen.
Vom Bürger war eigentlich als dritter und letzter Teil eines größeren Werks geplant, das, wiederum in Anlehnung an Euklid, den Titel Elementa Philosophiae (Elemente der Philosophie) tragen sollte. Wegen der drängenden politischen Ereignisse erschien Vom Bürger jedoch 1642 vor den beiden anderen Teilen, während Teil 1 und 2, Vom Körper und Vom Menschen, erst 1655 bzw. 1658 veröffentlicht wurden.
In der Schrift werden endgültig die Fundamente der Hobbes’schen politischen Philosophie gelegt. Aus der »Lage des Menschen in bloßer Natur« ist nun der »Naturzustand« geworden, ein vorstaatlicher Zustand, in dem jeder auf sich selbst angewiesen ist und seine Interessen schützen muss. Mit dem berühmten Satz »homo homini lupus« – »Der Mensch ist des Menschen Wolf« – beschreibt Hobbes nicht nur die Situation des Menschen im Naturzustand, sondern legt auch sein Menschenbild offen. Anders als die antike und christliche Philosophie versteht er den Menschen nicht als soziales Wesen, sondern zuerst als Einzelwesen. So wie Gassendi die Natur als eine Zusammensetzung von Atomen ansieht, begreift Hobbes die soziale Welt als eine Zusammensetzung von Individuen. Die Gesetze der Selbsterhaltung zwingen sie, aus dem Naturzustand in einen »gesellschaftlichen Zustand« überzutreten, indem sie miteinander eine vertragliche Vereinbarung treffen. Erst diese garantiert Frieden und den Schutz aller Bürger. Der zu zahlende Preis ist die Unterwerfung unter die Macht des Souveräns.
In Vom Bürger macht Hobbes keinen Hehl daraus, dass er mit dem Souverän den Herrscher in einer absoluten Monarchie meint. Dies war möglicherweise einer der Gründe, warum die Schrift am englischen Hof eine wohlwollende Aufnahme fand und ihr Autor die Gunst der Königs erwarb. Als die königliche Familie nach Paris ins Exil gegangen war, wurde Hobbes sogar als Lehrer des zukünftigen Königs Charles II. angestellt. Doch der Atheismusvorwurf war ihm bis nach Frankreich gefolgt, und die Hofintrigen machten auch vor Hobbes nicht halt. Seine Reputation beim König nahm Schaden. Vielleicht begann Hobbes sich deshalb mit dem Gedanken anzufreunden, nach England zurückzukehren.
1649, in dem Jahr, in dem der englische König Charles I. hingerichtet wurde und das »Rumpfparlament« der Puritaner die Macht übernahm, begann er mit der Arbeit am Leviathan. Die in Vom Bürger aufgestellten Thesen sollten hier in einem größeren Zusammenhang ausformuliert werden. Als das Buch im April 1651 erschien, neigte sich die Zeit des Exils für Hobbes ihrem Ende entgegen. Sein Blick war bereits auf die heimische Leserschaft gerichtet. Während Vom Bürger in einer sehr niedrigen Auflage gedruckt worden war und nur ein kleines, des Lateinischen kundigen Publikum erreicht hatte, hatte Hobbes den Leviathan bewusst in Englisch geschrieben und in London publiziert, um dadurch eine große Öffentlichkeit anzusprechen. Aber auch dem zukünftigen englischen König in Paris überreichte er ein Exemplar. Doch anders als seine Schrift Vom Bürger wurde der Leviathan nicht mehr gnädig aufgenommen. Ab Oktober 1651 empfing man Hobbes nicht mehr am Hof. Im Februar 1652 entschloss er sich zur Rückkehr nach England.
Der Leviathan besteht aus vier umfangreichen Teilen. Im ersten Teil, »Vom Menschen«, nimmt Hobbes Überlegungen vorweg, die er in seinen späteren Schriften Vom Körper und Vom Menschen ausführlicher darlegt: Er enthält zunächst eine sensualistische Erkenntnistheorie, d. h. eine Theorie, in der menschliche Empfindungen, Vorstellungen und Erkenntnisse auf sinnliche Eindrücke zurückgeführt werden. Darauf aufbauend, vertritt er eine materialistische Lehre vom Menschen, in der der Mensch als Teil einer stofflichen, physikalisch beschreibbaren Umwelt definiert wird. Auch die moralischen und sozialen Eigenschaften werden mit physikalischen Begriffen beschrieben.
Im zweiten Teil, der gemeinhin als das Kernstück des Buches angesehen wird, geht es um das »Gemeinwesen«, d. h. um die Art, wie eine gerechte politische Ordnung rational begründet werden kann. Im dritten Teil, »Von einem christlichen Gemeinwesen«, versucht Hobbes, die Übereinstimmung seiner neuen politischen Philosophie mit der christlichen Lehre nachzuweisen. Der vierte Teil mit dem religiös anmutenden Titel »Vom Königreich der Finsternis« schließlich interpretiert das biblische Reich des Satans als Reich der Phantasmen und Unwissenheit. Hobbes setzt sich hier mit all jenen Interpretationen und Positionen auseinander, die er als theologische und philosophische Irrtümer ansieht. Die unorthodoxe und rationale Art der Bibelinterpretation, die Hobbes in den Teilen drei und vier entwickelt, hat ihm sogar den Ruf eingetragen, der Vater der historischen Bibelkritik zu sein, wie sie nach ihm von Spinoza und vor allem in der Aufklärung vorgetragen wurde.
Hobbes führt den Leser in ein Universum, das ganz von den Bewegungsgesetzen der Mechanik beherrscht ist und in dem es keine okkulten – also dunklen und geheimnisvollen – Kräfte mehr, aber auch keine vorherbestimmten Zwecke gibt. Selbst die Empfindung ist für Hobbes »Bewegung in den Organen und inneren Teilen des Körpers«. Hobbes’ Universum ist ein Universum von physischen, psychischen, sozialen und politischen Körpern.
So ist sein Bild von der sozialen und politischen Welt auch grundsätzlich anders als das der aristotelisch-christlichen Tradition. Für Hobbes ist der Mensch weder auf die Verwirklichung des Guten hin angelegt noch für die Gemeinschaft geschaffen. Im Naturzustand ist jeder Mensch ein Einzelkämpfer, der sich wie ein isolierter Partikel in einem offenen Raum bewegt und auf sich selbst angewiesen ist. Jeder muss seine Interessen und Lebensbedürfnisse gegen die anderen durchsetzen. Der Mensch im Naturzustand ist kein Gutmensch, sondern egoistisch und verfolgt seine Selbsterhaltung auf Kosten anderer: Es herrscht ein »Krieg aller gegen alle«.
Es ist ein Zustand absoluter Anarchie, in dem sich der Stärkere durchsetzt. Schutz und Rechtssicherheit gibt es für niemanden. Die Folge ist ein Klima der ständigen Unsicherheit und Furcht. Es ist aber auch ein Zustand der Freiheit und Gleichheit in dem Sinne, dass alle von Natur aus gleich und gleichermaßen frei im Durchsetzen ihres Lebensspielraums sind.
Im Naturzustand herrscht das »Naturrecht«. Anders als wir diesen Begriff heute verstehen, beschreibt er bei Hobbes keine grundlegenden Rechtsansprüche wie z. B. den auf Unversehrtheit der Person, sondern Naturrecht bedeutet nichts anderes als »die Freiheit, die jeder Mensch besitzt, seine eigene Macht nach Belieben zur Erhaltung seiner eigenen Natur, das heißt seines eigenen Lebens, zu gebrauchen«.
Das Bild, das Hobbes vom Naturzustand zeichnet, wurde sicherlich durch die rechtlosen und anarchischen Zustände inspiriert, die im englischen Bürgerkrieg zu beobachten waren. Wie bei Machiavelli speist sich das Menschenbild bei Hobbes aus konkreter Anschauung. Dennoch ging es ihm nicht um eine Zustandsbeschreibung, sondern um ein Modell, das verstehen hilft, auf welchem Fundament eine staatlich und damit auch rechtlich geordnete Gemeinschaft steht.
Das, was den Menschen dazu bewegt, den Zustand des Fressens und Gefressenwerdens zu verlassen und sich auf ein gesetzmäßiges und soziales Verhalten einzulassen, ist die Einsicht in die Notwendigkeit. Es ist die Erkenntnis, dass Selbsterhaltung letztlich nur in der Gemeinschaft mit anderen möglich ist.
Um ein friedliches Zusammenleben der Menschen zu ermöglichen, muss jeder Einzelne bereit sein, seine Ellbogen einzuziehen, auf bestimmte egoistische Handlungsweisen zu verzichten und auch die Interessen der anderen in den Blick zu nehmen. Den Weg, wie man dem Dilemma der Anarchie entkommen kann, zeigen eine ganze Reihe von »Naturgesetzen«. Sie definieren bestimmte moralische Einstellungen wie »Gerechtigkeit«, »Mäßigkeit« oder »Erbarmen«, aber formulieren auch soziale Klugheitsregeln, die Ergebnisse des gesunden Menschenverstandes sind.
Die ersten beiden einer ganzen Reihe von Naturgesetzen geben die Richtung an, die schließlich vom Naturzustand zu einem »Gemeinwesen« führen sollen: Sie fordern erstens vom Menschen, nach Frieden zu streben, und zweitens die Bereitschaft, im Interesse des Friedens nur die Rechte zu beanspruchen, die man auch anderen zu gewähren bereit ist. Die Naturgesetze verlangen, kurz gesagt, eine symmetrische, d. h. gegenseitig gleiche Verteilung von Rechten und Pflichten und eine vertragliche Regelung, die dies festlegt.
Durch die Einhaltung der Naturgesetze werden die Menschen auf einen dauerhaften Friedenszustand eingestimmt – aber dieser Friedenszustand wird dadurch noch nicht erreicht. Hobbes hat zu viel vom Menschen gesehen, als dass er ihm trauen könnte. Um den gesellschaftlichen Frieden wirklich zu sichern, bedarf es einer übergeordneten Macht, die auch in der Lage und befugt ist, ihn notfalls mit Gewalt durchzusetzen.
Diese Einsicht hat Hobbes mit einem seiner berühmtesten Sätze formuliert: »Covenants, without the Sword, are but Words« – »Verträge ohne Schwert sind nur Worte«, schreibt er im 17. Kapitel des Leviathan.
Um eine Macht zu etablieren, die den Frieden auch mit dem Schwert durchsetzen kann, ist ein für alle geltender »Gesellschaftsvertrag« notwendig. Es ist ein Vertrag zwischen Freien und Gleichen zugunsten eines Dritten: des Souveräns. Auf ihn übertragen die Vertragsschließenden alle ihre Rechte. Der Souverän wiederum übernimmt den Schutz der Bürger vor gewaltsamen Übergriffen, aber auch die materielle Grundversorgung der Bevölkerung. Bei Hobbes sind also bereits erste Merkmale eines Sozialstaats erkennbar: Der Souverän übernimmt auch Verantwortung für die Armen.
Das bahnbrechend Neue an der Konstruktion des Gesellschaftsvertrags ist sofort sichtbar: Es gibt keine naturgegebenen Standesunterschiede zwischen den Menschen und auch keine Herrschaft »von Gottes Gnaden« mehr. Das Gemeinwesen erwächst vielmehr aus dem Willen von freien und gleichen Bürgern. Damit war der Theorie der Volkssouveränität, wie sie in der Aufklärung entwickelt wurde, ein großes Tor geöffnet.
Anders als die späteren Aufklärer beharrt Hobbes jedoch auf der Machtfülle des Souveräns. Der Souverän ist der Dreh- und Angelpunkt der politischen Philosophie des Leviathan. Mit der in ihm konzentrierten Macht zur Durchsetzung des Rechts erlangen die Naturgesetze erst ihre Geltung. Recht, Macht und Staat: Sie alle treten erst mit dem Souverän ins Leben und sind mit ihm identisch. Im Souverän vereinigt sich für Hobbes der gemeinsame Wille der Vertragsschließenden. Als die »in einer Person vereinigte Menge« verkörpert er das Gemeinwesen. »Das ist«, so Hobbes, »die Entstehung jenes großen Leviathan oder besser ... jenes sterblichen Gottes, dem wir unter dem unsterblichen Gott unseren Frieden und unsere Sicherheit verdanken.«
Das berühmte, in vielen Ausgaben des Leviathan abgebildete und von dem Kupferstecher Wenceslaus Holler gestaltete Titelbild hat der Hobbes’schen Vorstellung vom Souverän Gestalt verliehen. Im Mittelpunkt steht eine bekrönte Person, die selbst wiederum aus Menschen zusammengesetzt ist. Der Souverän ist die Überperson, die zur Einheit gebrachte Ansammlung von Einzelmenschen. Als »sterblicher Gott« ist er mit unbeschränkter Herrschaftsgewalt ausgestattet. So trägt er sowohl die Insignien der weltlichen als auch die der geistlichen Macht: zu seiner Rechten ein Schwert und zu seiner Linken den bischöflichen Krummstab. Für die Kirche als Institution bedeutet dies Unterordnung unter die Herrschaft des Staates.
Die Hobbes’sche Theorie vom Souverän, der durch einen Gesellschaftsvertrag installiert wird, hat eine demokratische und eine totalitäre Seite. Während die Art der Staatsbegründung durch einen Vertrag von Freien und Gleichen das Modell für die Verfassungsgebung eines Rechtsstaats abgibt, trägt die von der Figur des Souveräns beherrschte Staatskonstruktion Züge absoluter und totalitärer Herrschaft. Die Macht des Souveräns bei Hobbes ist unbegrenzt und wird auch durch keine Institutionen kontrolliert. Eine Gewaltenteilung zwischen Herrscher, Parlament und Rechtsprechung wie später bei Locke und Montesquieu gibt es nicht. Der Souverän ist Herr über Krieg und Frieden, Leben und Tod. Es gibt keine Möglichkeit, ihn abzusetzen. Allerdings endet die Gehorsamspflicht der Untertanen dann, wenn der Souverän seine Schutzverpflichtung gegenüber den Bürgern nicht mehr erfüllen kann.
Wenn Hobbes den Souverän auch bildlich als eine »Person« bezeichnet, so ist damit die Frage, welche konkrete Gestalt er als Verkörperung des Gemeinwesens annimmt, noch nicht beantwortet. Hobbes diskutiert neben der monarchischen Einpersonenherrschaft auch die Möglichkeit, dass eine »Versammlung« diese Funktion übernimmt, entweder als Versammlung aller Bürger oder eines Teils von Bürgern. Seine Vorliebe gilt aber dem Modell der absoluten Monarchie. Er begründet dies damit, dass nur in dieser sich private und öffentliche Interessen vollständig decken.
Der Souverän ist als »sterblicher Gott« Stellvertreter und Handlanger des unsterblichen Gottes. Doch dieser unsterbliche Gott ist in Hobbes’ politischem Universum merkwürdig abwesend. Erst nachträglich hat Hobbes der Ableitung der politischen Herrschaft »aus der Natur« eine theologische Rechtfertigung beigefügt. Nicht nur die Zeitgenossen argwöhnten, dass Hobbes’ rationaler Umgang mit religiösen Fragen wenig Raum für die Wahrheit einer Offenbarungsreligion lässt. Für ihn hatten logische Schlussfolgerungen allemal Vorrang vor obskuren Autoritäten. »Denn wer mit Worten«, so schreibt er im 46. Kapitel, »die er versteht, richtig folgert, kann nie zu einem Irrtum gelangen.« Entsprechend bezeichnete er dasjenige als »Scheinphilosophie«, »was irgendjemand durch übernatürliche Offenbarung weiß, weil es nicht durch Schlussfolgerung erlangt ist«.
John Aubrey, der berühmte Biograf und Freund des Autors, glaubte, dass Hobbes den Leviathan schrieb, »ohne jede Absicht, seiner Majestät zu schaden oder Oliver [Cromwell] zu schmeicheln ..., aber mit dem Zweck, seine Rückkehr zu erleichtern«. Doch der Atheismusverdacht hing Hobbes noch weit über seinen Tod hinaus an. 1683 verurteilte die Universität Oxford das Buch als häretische Schrift. Anspielend auf seinen Heimatort, nannte man ihn »the monster of Malmesbury«. Keine der politischen Parteien in England fand sich in einem Denken wieder, bei dem weder der göttliche Ursprung politischer Herrschaft noch die Einschränkung königlicher Macht durch das Parlament eine Rolle spielte. Die englische Öffentlichkeit fasste das Buch nur mit spitzen Fingern an. Erst 1881 konnte dort eine zweite Auflage erscheinen.
Viel nachhaltiger wirkte das Buch in der Philosophiegeschichte. Die Vertragstheorie wurde zum Grundmuster der politischen Philosophie der Aufklärung und wurde u. a. von Spinoza, Locke, Rousseau und Kant weiterentwickelt. Rousseau ist dabei derjenige, dessen Idee einer »volonté générale«, eines »Gesamtwillens«, der den Willen aller repräsentiert und deswegen keinen Widerstand erfahren darf, dem Hobbes’schen Souverän am nächsten kommt.
Sowohl die demokratische als auch die totalitäre Tendenz des Leviathan haben bis ins 20. Jahrhundert Einfluss ausgeübt. So übernahm der Rechtsphilosoph Carl Schmitt von Hobbes die These, dass die Geltung des Rechts an die Macht eines Souveräns geknüpft ist, und rechtfertigte damit die Führerideologie und die Abschaffung des Rechtsstaats durch die Nazis. Der amerikanische Philosoph John Rawls wiederum lieferte mit Hilfe der Figur des Gesellschaftsvertrags eine Theorie der Demokratie und die Begründung für ein Sozialstaatsmodell, in dem sich alle Entscheidungen auch an den Bedürfnissen der sozial Schwächsten ausrichten.
Bei all dem bleibt Hobbes derjenige, der dem Staat die metaphysischen Weihen entzogen hat und ihn als das darstellt, was er, nüchtern betrachtet, ist: ein effektives Instrument des Menschen, um das friedliche Zusammenleben einer Gesellschaft zu organisieren.
Ausgabe:
Thomas Hobbes: Leviathan. Aus dem Englischen übertragen von Jutta Schlösser. Mit einer Einführung und herausgegeben von Hermann Klenner. Hamburg: Meiner 1996.