Was uns die Erfahrung lehrt

David Hume: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand (1748)

Erfahrung spielt in unserem Leben eine große Rolle. Wir berufen uns besonders dann auf sie, wenn wir Probleme lösen müssen. Streikt unser Computer, vergleichen wir den Fall mit ähnlichen, in der Vergangenheit aufgetretenen Fällen, oder wir wenden uns an jemanden, der mit solchen Fällen Erfahrung hat. Aber auch wenn wir in unserem Leben einmal einen schweren Fehler gemacht haben, ist es die Erfahrung, aus der wir zu lernen versuchen, um diesen Fehler in Zukunft zu vermeiden. Ebenso verfährt die Wissenschaft: Sie schreitet dadurch voran, dass sie aus Erfahrungsdaten die richtigen Schlussfolgerungen zieht.

In Alltag und Wissenschaft genießt die Erfahrung große Autorität. Gewonnene Erfahrung gilt als angehäuftes Kapital und sichere Grundlage für unsere Orientierung in der Welt. In merkwürdigem Gegensatz dazu steht die Bedeutung, die viele Philosophen der Erfahrung beimessen. In der Geschichte der Philosophie wird sie häufig wie ein Schmuddelkind behandelt, das sich erst mit der harten Bürste der Vernunftkategorien schrubben muss, um als Erkenntnis durchgehen zu können. Seit den Zeiten der griechischen Philosophie gibt es eine alte, beherrschende Tradition, die dem »Geist«, dem »reinen« Denken, den Vortritt vor der »sinnlichen« Erfahrung lässt.

Eine Ausnahme bildet die britische Philosophie, die eine ganze Reihe von Denkern hervorgebracht hat, die sich mit den Konsequenzen beschäftigen, die die Philosophie aus der Erfahrung ziehen sollte. Nicht umsonst wurden die britischen Inseln zur Heimat des neuzeitlichen Empirismus, einer Richtung, in der das der Erfahrung entstammende Wissen als Maßstab für Erkenntnis und Wissen gilt.

Mit dem Schotten David Hume erreicht die britische Tradition des Empirismus ihren Höhepunkt. Hume lebte im Zeitalter der Aufklärung, deren Programm er noch ein Stück weiter als seine Zeitgenossen ausdehnte. Er ging nicht nur daran, die Spinnweben der Vorurteile mithilfe der Vernunft zu zerstören, er attackierte im Namen der Erfahrung auch jene Vorurteile, mit denen die Vernunft sich selbst belügt. Mit seiner Untersuchung über den menschlichen Verstand hat Hume so radikal wie niemand vor ihm die Konsequenzen aus dem gezogen, was die Erfahrung uns philosophisch lehrt. Von dem, was die traditionelle Metaphysik bis dahin als sichere Erkenntnis angeboten hatte, blieb schließlich nicht mehr viel übrig.

Dabei ging es Hume ursprünglich nicht darum, die Metaphysik auszumisten. Er versprach sich von der Beschäftigung mit Philosophie vielmehr einen neuen, positiven Ausblick auf die Welt und ein Mittel, sein Leben zu ändern. Der junge Hume war nämlich ein unglücklicher Mensch, geprägt von einer streng religiösen, dem Geist des Calvinismus verpflichteten Erziehung. 1711 in Edinburgh als Spross einer traditionsreichen schottischen Familie geboren, nur vier Jahre nach der Vereinigung von Schottland und England, wuchs er in Ninewells auf, einem kleinen Ort in der südöstlichen Grenzregion des Landes. Gerade in dieser Gegend hatte der von John Knox im 16. Jahrhundert eingeführte schottische Calvinismus besonders tiefe Spuren hinterlassen. Dazu gehörte die Überzeugung, dass das Böse im Menschen tief verwurzelt ist. Der calvinistische Gott war ein strenger Gott, der Selbstkontrolle und unablässige Seelenerforschung verlangte, um auch die geheimsten Verstecke der menschlichen Sünde ausfindig zu machen.

Auch für den jungen Hume wurde Seelenerforschung zu einer täglichen, aber quälenden Gewohnheit und die Vernunft zu einer Instanz, die beanspruchte, der menschlichen Natur den richtigen Weg zu zeigen. Doch es fiel ihm schwer, seine eigene Natur und die in ihr angelegten Neigungen zu ignorieren. Das Unbehagen darüber, dass seine religiösen Überzeugungen der menschlichen Natur die Rolle eines Zöglings in einer Erziehungsanstalt zuwiesen, meldete sich früh. So kam er immer wieder in Konflikt mit den Erwartungen, die an ihn gestellt wurden. Als man ihn mit fünfzehn Jahren zum Studium der Rechtswissenschaften nach Edinburgh schickte, folgte er nur widerwillig. Den Lehrbetrieb lehnte er ab. Was ihn wirklich interessierte, waren Literatur und Philosophie. Aus dem Studium antiker Autoren schöpfte er nicht nur ästhetisches Vergnügen, sondern entnahm er auch das Lebensideal der Seelenruhe, das den spätantiken Philosophenschulen, insbesondere den Stoikern, als Vollendung des Glücks galt. Doch weder christliche Askese noch antiker Gleichmut vermochten es, Hume mit sich selbst zu versöhnen. Er wurde immer wieder von Depressionen und psychosomatischen Störungen heimgesucht.

1729 brach er sein Studium ab und kehrte nach Hause zurück. Nur noch gelegentlich nahm er eine bezahlte Beschäftigung an. Eine feste Stellung in der Welt fand er nicht, wohl aber verschaffte ihm das väterliche Vermögen die Freiheit und Unabhängigkeit, seinen philosophischen Neigungen zu folgen. Der Calvinist in Hume lebte aber noch lange fort: Er sorgte dafür, dass Hume eine große Arbeitsdisziplin entwickelte und mit den ihm zur Verfügung stehenden Geldmitteln peinlich genau haushaltete.

Sein Hauptinteresse galt einer neuen Sicht der menschlichen Natur, die nicht dem rationalistischen oder religiösen Wunschdenken, sondern der Erfahrung Rechnung trug. So stieß er auf die Tradition des britischen Empirismus, darunter die philosophischen Väter der modernen empirischen Naturwissenschaften, Francis Bacon und Isaac Newton, aber auch die Philosophen der britischen Aufklärung von John Locke über George Berkeley, den Grafen von Shaftesbury bis zu Francis Hutcheson, deren Errungenschaften, wie Hume stolz vermerkte, sich einem Land der Freiheit und Toleranz verdankten. Dort fand er die Methode einer wissenschaftlichen, sich auf Experiment und Beobachtung stützenden Philosophie und das Bild vom Menschen als einem von Natur aus wohlwollenden und sozialen Wesen, einem Wesen, das mit einem »moralischen Sinn« ausgestattet ist und nicht ständig wie ein Bonsaibäumchen zurechtgestutzt und von bösen Neigungen befreit werden muss. Von allen Empiristen spielte der in Glasgow lehrende Hutcheson für Hume eine bedeutende Rolle. Er war einer derjenigen, die dazu beitrugen, Schottland zu einem Zentrum der europäischen Aufklärung zu machen.

Hume trennte sich vom pessimistischen Menschenbild des Calvinismus und wurde zu einem Anhänger des optimistischen Menschenbildes der britischen Aufklärung. Damit war auch eine positive Neubewertung der gesamten sinnlich erfahrbaren Welt verbunden. Für Hume wurden vor allem die erkenntnistheoretischen Konsequenzen dieser Neubewertung wichtig: Wie John Locke und George Berkeley ging er nun davon aus, dass alle Erkenntnis der Wirklichkeit ihren Ursprung in der Erfahrung hat.

Als Hume 1734 zu einer Frankreichreise aufbrach, hatte er eine Fülle von Notizen im Gepäck, die im Laufe seiner philosophischen Lektüre entstanden waren. Schon während seines Studiums hatte er den Plan zu einer eigenen philosophischen Schrift gefasst. Sie nahm nun Gestalt an. Von 1735 bis 1737 mietete er sich in einem Haus in La Flêche ein, jenem kleinen Ort in der Provinz Anjou, in dem René Descartes, der große rationalistische Gegenspieler des Empirismus, seine Ausbildung in einer Jesuitenschule erhalten hatte. Hier schrieb Hume den Traktat über die menschliche Natur, sein erstes wichtiges Werk, in dem die Erfahrung zum Ausgangspunkt sowohl einer neuen Erkenntnistheorie als auch einer neuen Moralphilosophie wurde. Die drei Bände des Traktats erschienen zwischen 1739 und 1740 in London, gefolgt von einer kleinen Schrift, die er als Abstract, also als Kurzzusammenfassung seines größeren Werks, bezeichnete.

Hume glaubte, dass in einer neuen und realistischen Sicht des Menschen der Schlüssel zur Lösung aller philosophischen Fragen liegt. Ob wir nun Erkenntnistheorie, Metaphysik oder Moralphilosophie betreiben, wir müssen wissen, welche natürlichen Anlagen und welche Erkenntnismöglichkeiten der Mensch hat. Dabei müssen Experiment und Beobachtung an die Stelle von metaphysischer Spekulation treten. Mit Humes Philosophie erreichte eine Debatte ihren Höhepunkt, in der sich der Empirismus gegen die Behauptung rationalistischer Philosophen wie Descartes, Spinoza oder Leibniz wandte, es gebe Wahrheiten, die der Vernunft unmittelbar, also ohne den Weg über die Erfahrung, einsichtig seien. Dazu gehörte z. B. die Erkenntnis der Existenz Gottes, der Unsterblichkeit der Seele, aber auch die Überzeugung, dass alle Vorgänge in der Natur eine Ursache haben.

Das Ergebnis, zu dem Hume gelangte, war allerdings nicht nur für die rationalistische Metaphysik, sondern auch für den Empirismus selbst niederschmetternd. Nicht nur die sogenannten »Vernunftwahrheiten« stehen auf wackligen Beinen, so seine Diagnose, sondern auch der Glaube an eine sichere Erkenntnis der Wirklichkeit auf empirischer Basis. So beruht unser Glauben, dass bestimmte Ereignisse andere Ereignisse notwendig hervorrufen – also das, was wir normalerweise unter »Kausalität« verstehen –, auf einer falschen Schlussfolgerung, zu der uns die menschliche Einbildungskraft verführt. Wir machen bestimmte sinnliche Erfahrungen und speichern sie in der Erinnerung, z. B. dass jede Berührung einer Flamme die Empfindung der Hitze nach sich zieht. Was wir wirklich erfahren haben, ist eine regelmäßige Aufeinanderfolge zweier Phänomene. Unsere Schlussfolgerungen gehen aber darüber hinaus. Wir glauben, dass diese beiden Phänomene notwendig als Ursache und Wirkung miteinander verknüpft sind. Wir schließen also fälschlicherweise von einer beobachteten Regelmäßigkeit auf eine gesetzmäßige Notwendigkeit. Mit dieser Kritik am Kausalitätsdenken hatte Hume eine der heiligen Kühe der philosophischen Tradition geschlachtet und sich zugleich in eine etwas ungemütliche Situation hineinmanövriert.

Auf der Suche nach gesicherter Erkenntnis war er überall auf die trügerischen Aktivitäten der menschlichen Einbildungskraft gestoßen, und dort, wo »Wahrheiten« geschrieben standen, hatte er immer nur »Schimären« vorgefunden. Der Empirismus war in einen Skeptizismus eingemündet.

Auch die Aufnahme des Buches konnte ihm keine Freude bereiten. »Nie ist es«, so schrieb er später, »einem literarischen Unternehmen unglücklicher ergangen als meinem Traktat über die menschliche Natur. Als Totgeburt fiel er aus der Presse und fand nicht einmal so viel Beachtung, um wenigstens unter den Eiferern ein kleines Murren zu erzeugen.«

Allerdings verdankt die Welt gerade diesem Misserfolg die Untersuchung über den menschlichen Verstand. Denn Hume hatte nicht vor, sich wieder von der philosophischen Bühne abzumelden. Er machte sogar einen Versuch, einen Lehrstuhl an der Universität Edinburgh zu erhalten, der jedoch scheiterte. Vor allem aber war er entschlossen, einen neuen Anlauf zu nehmen, um seinen philosophischen Thesen Beachtung zu verschaffen.

Er begann eine neue, populärere literarische Form zu wählen, um seine Ideen darzustellen: den Essay. Zwischen 1741 und 1748 veröffentlichte er mehrere Essaybände zu Fragen der Moral, der Politik, der Religion und Metaphysik. Sie erwiesen sich als ungleich erfolgreicher als der frühe Traktat. So zog sich Hume im Januar 1747 in seinen Heimatort Ninewells zurück, um wichtige Thesen des Traktats in eine essayistische Form zu gießen. Inzwischen hatte ihn der einflussreiche britische General Sinclair als Begleiter auf militärischen und diplomatischen Missionen engagiert. Die Einnahmen daraus ermöglichten es Hume, in der Zeit, die ihm verblieb, sorgenfrei zu arbeiten.

Bereits 1748 hatte Hume sein zweites großes philosophisches Werk fertiggestellt, das zunächst unter dem Titel Philosophische Essays über den menschlichen Verstand erschien. Das neue Buch war jedoch kein reines Remake des Traktats. Es war wesentlich kürzer und hatte sowohl sprachlich als auch inhaltlich ein verändertes Gesicht. Den erkenntnistheoretischen Teil des Traktats löste Hume in sieben Essays auf. Aus dem moralphilosophischen Themenkreis übernahm er sehr wenig, so z. B. einen Essay über das Problem der Willensfreiheit. Daneben enthielt der Band vor allem religionsphilosophische Überlegungen, darunter den neu aufgenommenen Essay »Über Wunder«. Der thematische Schwerpunkt der neuen Schrift lag nun eindeutig in der Erkenntnistheorie und der Religionskritik. Seine Überlegungen zur Moralphilosophie sollte Hume einige Jahre später in seiner Untersuchung über die Prinzipien der Moral noch einmal neu formulieren.

Die später Untersuchung über den menschlichen Verstand genannten Philosophischen Essays vertreten weiterhin einen Skeptizismus, der aber frei ist von dem melancholischen und pessimistischen Ton, den er am Ende des Traktats angeschlagen hatte. Hume grenzt seinen »gemäßigten« Skeptizismus von dem »pyrrhonischen« Skeptizismus ab, der von der antiken Philosophenschule der Skeptiker unter ihrem Gründer Pyrrhon vertreten worden war. Während dieser eine generelle Urteilsenthaltung in allen philosophischen Streitfragen forderte, verlangt Hume lediglich, sich am gesunden Menschenverstand zu orientieren und auf endgültige Sicherheiten zu verzichten.

Hume strebt einen Mittelweg an zwischen einer »leichten« Philosophie, die sich eng an Alltagsbeobachtungen anlehnt und unser Verhalten beeinflussen will, und einer »abstrakten« und »tiefsinnigen« Philosophie, deren Ziel es ist, die letzten Prinzipien unserer Verstandeserkenntnis und unserer Moralvorstellungen zu ergründen. Hume will die Kluft zwischen einer lebenspraktisch und einer metaphysisch orientierten Philosophie schließen, indem er durch eine gründliche Untersuchung der Wirkungsweise des menschlichen Geistes die Metaphysik vom Gestrüpp einer unbegründbaren Spekulation befreit und gleichzeitig den Bezug zum Alltagsleben im Auge behält. Es ist die Absage an eine akademische Philosophie, die den Kontakt zu den Erfahrungen der Menschen verloren hat. Nicht nur deswegen sind Humes Ziele die des Aufklärers, der »Tiefe der Forschung« mit »Klarheit« verbinden will und dem es darum geht, »jene unzugängliche Philosophie und das metaphysische Kauderwelsch zu zerstören, welches, vermischt mit dem Volksaberglauben, dieselbe für sorglose Denker gewissermaßen undurchdringlich macht und ihr das Ansehen von Wissenschaft und Weisheit verleiht«.

Humes Erkenntnistheorie kann als radikale Konsequenz aus dem Empirismus seiner Vorgänger Locke und Berkeley verstanden werden. Locke war davon ausgegangen, dass das menschliche Bewusstsein eine »tabula rasa«, also ein leeres Blatt, ist, das erst durch äußere und innere Wahrnehmungen beschrieben wird, aus denen wir unterschiedlich komplexe Vorstellungsinhalte gewinnen. Erkenntnis entsteht nach Locke durch ein induktives Vorgehen, d. h., indem ich viele Einzelbeobachtungen zu einer allgemeinen Aussage zusammenfasse.

Locke glaubte, dass nicht nur Aussagen über unsere Wahrnehmungen, sondern auch verlässliche Aussagen über die Außenwelt als die Ursache unserer Wahrnehmungen möglich sind. So nahm er an, dass uns über die Sinne bestimmte »primäre Qualitäten« von Dingen übermittelt werden, z. B. Ausdehnung, Bewegung oder Ruhe.

Berkeley zerstörte diese Verbindung, die Locke zwischen Bewusstsein und Außenwelt gelassen hatte. Das, was wir Wirklichkeit nennen, setzt sich für ihn ausschließlich aus den Vorstellungsinhalten zusammen, die wir aus der sinnlichen Erfahrung gewinnen. Seine Grundthese lautet: »Esse est percepi« – »Sein ist Wahrgenommenwerden«. Die Welt des Menschen ist auf das beschränkt, was ihm sein Bewusstsein zugänglich macht. Mehr noch: Berkeley bestreitet die Existenz einer Außenwelt. Die Einheit und Konstanz der Wahrnehmungen, die wir empfangen, wird nicht durch eine außer uns liegende materielle Welt, sondern durch Gott verbürgt, der unsere Wahrnehmungen hervorbringt.

Auch für Hume baut alle Erkenntnis auf »Perzeptionen«, auf sinnlichen Wahrnehmungen, auf, und auch er hält Aussagen über Dinge der Außenwelt für nicht möglich. Dennoch verzichtet er darauf, auf Gott als Ursache unserer Wahrnehmungswelt zurückzugreifen. Im Gegenteil: Im religionskritischen Teil seiner Essays versucht Hume, die Illusion zu zerstören, die Existenz Gottes könne mit den Mitteln der Vernunft bewiesen werden.

Hume unterscheidet zwischen unmittelbaren, deutlichen Perzeptionen, die er »impressions«, d. h. »Eindrücke«, und minder lebhaften, die er »ideas«, also »Vorstellungen« nennt. »Vorstellungen« sind »Eindrücke«, die wir mit Hilfe unseres Gedächtnisses gespeichert haben. Auf der Basis der Eindrücke verbinden wir einfache zu komplexen Vorstellungen. Alle Vorstellungen haben also ihren Ursprung in der sinnlichen Erfahrung und damit keinen eigenen Erkenntniswert. Sie sind wie Abbilder eines Originals, wie mehr oder minder gut erhaltene Fotos einer Wirklichkeit, die wir einmal mit eigenen Augen gesehen haben. Wahre Vorstellungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie immer eng an die Eindrücke, d. h. die unmittelbaren sinnlichen Erfahrungen, angebunden bleiben. Der Grund für viele Irrtümer liegt nach Hume darin, dass die Einbildungskraft des Menschen auch neue Vorstellungen entwickeln kann, die keinen direkten Bezug zur Erfahrung mehr haben.

Unsere Einbildungskraft verknüpft Vorstellungen mittels Assoziation. Durch sie erzeugen wir aus einzelnen Vorstellungen eine zusammenhängende Vorstellungswelt. Hume unterscheidet drei Arten von Assoziationen: eine Assoziation aufgrund von Ähnlichkeit, eine Assoziation aufgrund von zeitlicher und räumlicher Nähe und eine Assoziation aufgrund einer Ursache-Wirkung-Beziehung. Sehe ich z. B. das Foto einer Person, lenke ich meine Gedanken unwillkürlich zu dieser Person selbst oder einer Person, die ihr gleicht. Komme ich in eine Straße, die ich von früher kenne, schweifen meine Gedanken zu dem Haus, in dem ich einmal gewohnt habe.

Am wichtigsten für die Herstellung einer einheitlichen Vorstellungswelt ist aber die Ursache-Wirkung-Verknüpfung. Sie liegt auch den naturwissenschaftlichen Gesetzen zugrunde, mit denen wir unsere Welt theoretisch erklären. Hume erneuert hier seine Kausalitätskritik aus dem Traktat und verbindet sie mit einer Kritik der Induktion, des Schlusses von einzelnen Fällen auf eine allgemeine Gesetzmäßigkeit.

Eine der »dunklen« metaphysischen Vorstellungen, die Hume zurückweisen möchte, ist die, dass materielle Kräfte oder Energien als Ursachen bestimmter Wirkungen gelten – so etwa, wenn eine Billardkugel auf eine andere Kugel trifft und diese vermeintlich in Bewegung setzt. Doch in Wirklichkeit erscheint den äußeren Sinnen nur, dass der Anstoß der einen Billardkugel die Bewegung der zweiten folgen lässt. Die Annahme einer wirkenden Kraft ist Produkt unserer spekulativen Fantasie. »Die Weltbegebenheiten«, so Hume, »ziehen in stetigem Wechsel vorüber, ein Gegenstand reiht sich dem anderen in ununterbrochener Folge an; aber die Macht oder die Kraft, welche die ganze Maschine in Tätigkeit erhält, ist uns gänzlich verborgen ...« Da wir eine solche innere Kraft nicht voraussetzen können, müssen wir auch auf die Annahme verzichten, das Aufeinandertreffen der beiden Kugeln habe »notwendigerweise« eine Bewegung zur Folge. Wir gehen also zu weit, wenn wir den Anstoß der ersten Kugel als »Ursache« und die Bewegung der zweiten als »Wirkung« interpretieren.

Der Kritik am Kausalitätsdenken folgt die für unser Verständnis von Wissenschaft folgenreiche Kritik an der Induktion. Im induktiven Schluss schließen wir aus der wiederholten Beobachtung einer Ereignisfolge auf die Existenz eines Naturgesetzes. Wir nehmen jeden Morgen den Aufgang der Sonne wahr, bis wir schließlich überzeugt sind, die Sonne »müsse« jeden Morgen im Osten aufgehen. Dieser Schluss hat jedoch seinen Ursprung nicht in der Vernunft, sondern in der Gewohnheit. In Wahrheit, so Hume, können wir nicht wissen, ob sich die Natur auch weiterhin mit ähnlicher Gleichförmigkeit verhalten wird wie in der Vergangenheit. Aufgrund vergangener Regelmäßigkeit lässt sich die Zukunft nicht ableiten. Die Möglichkeit, Voraussagen über die Zukunft zu treffen, ein wesentliches Kennzeichen wissenschaftlicher Gesetze, lässt sich also nicht durch die Erfahrung begründen.

Mit seinen Zweifeln an der Gültigkeit des induktiven Schlusses hat Hume eine empiristische Kritik am Empirismus vorgelegt und den Nerv dessen getroffen, was seine Vorgänger von Bacon bis Locke als wissenschaftliche Methode gerechtfertigt hatten. Die auf Experiment und Beobachtung beruhende Induktion hatte man der deduktiven Methode der Rationalisten entgegengehalten. Diese war von Axiomen, von allgemeinen Prinzipien, ausgegangen und hatte von dort durch eine Ableitung »von oben nach unten« auf besondere Fälle geschlossen. Doch wenn man nach Hume Beobachtung und Experiment als Grundlage unserer Erkenntnis ernst nimmt, so muss man auch die Induktion als einen jener unzulässigen Vernunftschlüsse ansehen, die zu den Irrtümern der Metaphysik gehören.

Wenn von unserer Vernunft keine gesicherten Wahrheiten zu erwarten sind, wem kann man überhaupt vertrauen? Auf diese Frage gibt Hume eine ebenso pragmatische wie erfahrungsorientierte Antwort. Gefühl und Instinkt sind für ihn verlässlichere Orientierungshilfen als unsere rationalen Fähigkeiten. Wir können zwar nicht wissen, ob die Sonne morgen früh, wie in all den Jahren zuvor, wieder aufgehen wird. Doch Erfahrung, Gewohnheit, Gefühl und vor allem die angeborene Neigung, an die Gleichförmigkeit der Naturabläufe zu glauben, erlauben uns, dies auch weiterhin zu erwarten. Wir betrachten den Prozess der Gesetzmäßigkeit der Natur als Hypothese. Im Gegensatz zu einem großen Teil der philosophischen Tradition macht Hume die Vernunft nicht zum Herrscher, sondern zum Diener von Gefühl und Instinkt.

Unsere Gewohnheit, aus der Gleichheit von Umständen auf die Gleichheit von Folgen zu schließen, steht für Hume auch Pate für die Lösung eines der ältesten Probleme der Metaphysik: der Frage nämlich, ob der Mensch einen freien Willen hat und damit nicht ausschließlich dem Zusammenhang von Ursache und Wirkung in der Natur unterworfen ist. Nur ein solcher freier Wille scheint zu garantieren, dass der Mensch für seine Handlungen verantwortlich gemacht werden kann.

Im Grunde, so Hume, handelt es sich hier lediglich um einen Wortstreit. Denn die Gleichförmigkeit, die wir bei Ursache-Wirkung-Beziehungen in der Natur annehmen, nehmen wir auch bei menschlichen Handlungen an: Die gleichen Umstände, Motive und Beweggründe rufen bei gleichen Charakteren auch die gleichen Handlungsweisen hervor. Es gibt deshalb keinen Grund, von einer unabhängigen Willensursache auszugehen.

Dennoch ist es sinnvoll, an der Idee der menschlichen Freiheit festzuhalten. An die Stelle einer philosophisch nicht haltbaren Willensfreiheit setzt Hume eine Freiheit, die in der Möglichkeit besteht, einen Willensentschluss in die Tat umzusetzen. Im 19. Jahrhundert hat Arthur Schopenhauer, wie Hume ein Kritiker der Willensfreiheit, diese Freiheit als »Handlungsfreiheit« bezeichnet. Während ich keine Macht über die Motive habe, die meinen Willen bestimmen, habe ich doch Macht darüber, inwieweit ich den Willensentschluss verwirkliche. In dieser Lösung sieht Hume Freiheit und Gesetzmäßigkeit miteinander versöhnt und gleichzeitig die Idee der moralischen Verantwortlichkeit gerettet.

Der aufklärerische Charakter der Untersuchung Humes zeigt sich besonders deutlich in seiner Diskussion religiöser Themen. In der schottischen Öffentlichkeit als Atheist verschrien, untersuchte er Thesen und Inhalte der christlichen Religion mit der gleichen Nüchternheit und nach den gleichen Kriterien, die ihn gegenüber den Thesen der Metaphysik geleitet hatten. Auch hier muss nach Hume immer gefragt werden: Lassen sich die Behauptungen der Religion durch Erfahrung stützen? Können sie einen Beitrag dazu leisten, die Welt zu erklären?

Hume beschäftigt sich in der Untersuchung vor allem mit zwei Themen der christlichen Theologie: der Möglichkeit von Wundern und dem sogenannten »teleologischen Gottesbeweis«, der Behauptung also, dass sich die Existenz Gottes aus der Zweckmäßigkeit (von griech. »telos« = »Zweck«) und der Wohlgeordnetheit des Kosmos erschließen lasse.

Wunder sind Ereignisse, die die Gleichförmigkeit der Naturabläufe durchbrechen. Es sind also Ereignisse, die man normalerweise nicht erlebt und deren Glaubwürdigkeit von der Glaubwürdigkeit derjenigen abhängt, die uns diese Wunder bezeugen. Ist eine Falschaussage oder Täuschung dieser Zeugen unwahrscheinlicher als das berichtete Ereignis, so wäre dies möglicherweise ein Anlass, an Wunder zu glauben. Dies ist jedoch nach Hume bisher nie der Fall gewesen. Alle Erzählungen über Wunder haben sich bei näherem Hinsehen als problematisch erwiesen. »Alles in allem zeigt sich«, so Hume, »dass niemals ein Zeugnis für irgendeine Art von Wunder sich bis zur Wahrscheinlichkeit erhoben hat, geschweige denn zu einem Beweis.« Wer an Wunder glaubt, hat den Boden der Vernunft verlassen und sollte sich deshalb auch nicht auf sie berufen.

Auch die These von Gott als dem weisen Baumeister der Welt steht auf unsicherem Boden. Denn wir ziehen hier eine fragwürdige Analogie zwischen den gestaltenden Tätigkeiten des Menschen und Gott. Der Mensch setzt sich an die Stelle Gottes und macht ihn zu einem rational planenden Wesen. Vor allem aber: In der Welt ist keineswegs alles zweckmäßig eingerichtet. Wir erfahren so viel Böses und beobachten so viele Fehlentwicklungen, dass wir all dies nicht auf einen göttlichen Urheber zurückführen können, der alles zum Besten eingerichtet hat. Hume spricht hier das sogenannte »Theodizee«-Problem an, nämlich die Unvereinbarkeit des Bösen und des Übels in der Welt mit der Idee eines allgütigen und zugleich allmächtigen Gottes.

Humes gemäßigter Skeptizismus entlässt den Leser nicht in Verzweiflung über die Unerkennbarkeit der Welt, sondern fordert ihn am Ende der Untersuchung zur kritischen Prüfung auf. Von Theorien, die weder logisch widerspruchsfrei noch erfahrungsbezogen sind, sollten wir uns abkehren: »Greifen wir irgendeinen Band heraus, etwa über Gotteslehre oder Schulmetaphysik, so sollten wir fragen: Enthält er irgendeinen abstrakten Gedankengang über Größe oder Zahl? Nein. Enthält er irgendeinen auf Erfahrung gestützten Gedankengang über Tatsachen und Dasein? Nein. So werft ihn ins Feuer, denn er kann nichts als Blendwerk und Täuschung enthalten.«

 

Auch die im April 1748 in London erschienenen Philosophischen Essays, denen Hume erst 1758 den uns geläufigen Titel Untersuchung über den menschlichen Verstand gab, führten noch nicht zu dem großen öffentlichen Durchbruch des Autors. Ruhm unter seinen Zeitgenossen erwarb er sich erst mit seiner Geschichte Englands, deren erster Band 1754 herauskam. Doch die Wirkung der Untersuchung in der Philosophiegeschichte war nachhaltig und dauert bis heute an. Kant las Hume in der ersten deutschen Übersetzung von 1755 und wurde durch ihn zu seiner Kritik an der »reinen Vernunft« der Rationalisten inspiriert.

In der vom Empirismus dominierten angelsächsischen Philosophie erwarb sich Hume schnell den Status des wichtigsten Klassikers. Seine Schriften wurden auch zum Ausgangs- und Bezugspunkt für alle Bemühungen um eine Erneuerung des Empirismus im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Ernst Mach stützte sich auf Humes Kausalitätskritik und begriff die Wirklichkeit als einen Zusammenhang von Empfindungskomplexen. Auf Hume bezogen sich auch die Begründer des logischen Positivismus, die den Empirismus mithilfe der logischen Sprachanalyse neu begründen wollten. Dies gilt für die Cambridger Philosophen um Bertrand Russell und Ludwig Wittgenstein ebenso wie für den Wiener Kreis um Moritz Schlick und Rudolf Carnap. Für Russell war Hume die große Herausforderung der Erkenntnistheorie. Sein 1940 erschienenes Spätwerk An Inquiry into Meaning and Truth knüpft bereits in seinem Titel an Humes Hauptwerk an.

Höchst einflussreich war auch Humes Kritik an der Gültigkeit des induktiven Schlusses. Sie wurde von Karl R. Popper in seinem frühen Hauptwerk Logik der Forschung von 1934 aufgegriffen und einer der wichtigsten Bausteine zur Begründung der modernen Wissenschaftstheorie. Popper übernahm auch ein weiteres, umfassenderes Erbe der Philosophie Humes: die Idee von der Philosophie als aufgeklärtem Alltagsverstand, als Verbindung von Bescheidenheit, intellektueller Bodenhaftung und kritischer Prüfung.

Mit Hume hat die Philosophie demonstriert, dass sie tief schürfen kann, ohne vom Schwindel der Spekulation erfasst zu werden.

 

Ausgabe:

David Hume: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand. Übersetzt von Raoul Richter. Mit einer Einleitung herausgegeben von Jens Kulenkampff. 12. Auflage. Hamburg: Meiner 1993.