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Demi-Monde:
55. Tag im Winter des Jahres 1004

Unternehmen Barbarossa: Fall Weiß

Fall Weiß wird durch den SS-Ordo Templi Aryanis unter der Führung von SS-Standartenführer Archie Clement eingeleitet. Am 59. Tag des Winters 1004 werden zwei Divisionen der Sturmabteilung des SS-Ordo Templi Aryanis das Warschauer Ghetto umstellen und hermetisch abriegeln. Sobald dies bewerkstelligt ist, wird die SS in das Ghetto eindringen und sämtliche UnterWesen (ungefähr drei Millionen), die innerhalb der Mauern des Ghettos leben, systematisch vernichten. Die rechtliche Grundlage dafür ist das Gesetz zur Rassenhygiene und Reinerhaltung des arischen Blutes, welches festlegt, dass UnterWesen, nonNixes und Menschen mit erblichen körperlichen oder geistigen Defiziten nicht dem Schutz des ForthRight unterstehen. Fall Weiß wird bis zum 90. Tag des Winters 1004 ausgeführt sein.

– Protokoll des Politbüros von einem Treffen unter dem Vorsitz des Großen Führers am 39. Tag des Winters im Jahre 1004

Als Hauptmann Dabrowski hörte, wie die Tür des Arbeitszimmers hinter Heydrich ins Schloss fiel, schob er den eisernen Ofenschirm sorgfältig wieder vor den Kamin und wischte die Asche auf, die zu Boden gefallen war. Anschließend wies nichts mehr darauf hin, dass hier je etwas verrückt worden war.

Trixie nahm die Putzaktion des Hauptmanns kaum wahr. Sie saß zusammengesunken in einem der Sessel, die im Zimmer verteilt waren, und versuchte verzweifelt zu begreifen, was sie gerade gehört hatte. Ihr drehte sich der Kopf.

Sicher, vieles war reiner Schwachsinn, vor allem die Unterhaltung zwischen Heydrich und der Dämonin über diesen Hitler. Und dass die Bewohner der Demi-Monde nur Nachbildungen aus der Realen Welt seien oder Heydrichs Tochter Aaliz dorthin geschickt werden sollte, um den Platz der Dämonin einzunehmen, klang nach einem schlechten Science-Fiction-Roman.

Aber einiges von dem, was sie mitbekommen hatte, ließ sich nicht ohne weiteres abtun, vor allem Heydrichs Vorhaben, die armen Menschen im Warschauer Ghetto zu vernichten.

Oder dass ihr Vater und sie noch heute Abend verhaftet werden sollten. Diese kaltblütige Äußerung konnte sie nicht ignorieren. Sie sollten beseitigt werden, so wie ihre Freundin Lillibeth Marlborough und deren gesamte Familie. Es war unvorstellbar, dass nun sie demselben Terror ausgesetzt wäre wie viele ihrer früheren Freunde.

»Er will uns töten«, murmelte sie, ohne das Grauen dessen, was hier vor sich ging, wirklich zu begreifen.

Alles schien so unwirklich.

Dabrowski nickte und fügte dann hinzu: »Ja, er will meine Leute umbringen.«

Meine Leute?

Na klar: die Polen. Der Hauptmann gehörte zu den UnterWesen. Und Heydrich hatte davon gesprochen, das Warschauer Ghetto zu vernichten. Als sie den blassen zitternden Dabrowski ansah, wurde Trixie zum ersten Mal in ihrem jungen Leben bewusst, welche schreckliche Folgen die Philosophie der Rassenhygiene haben konnte. Es war nicht nur eine alberne irRaTionale Übung in religiöser Spinnerei, sondern eine sehr ernste Angelegenheit. Jetzt war ihr klar, dass der UnFunDaMentalismus eigentlich nur ein Vorwand für Völkermord war.

Zuvor hatte sie das besessene Streben nach Rassenhygiene, das vom UnFunDaMentalismus propagiert wurde, einfach akzeptiert – schließlich hatte man es ihr ein ganzes Leben eingehämmert. Ohne groß darüber nachzudenken, hatte sie hingenommen, dass es gegen die Naturgesetze verstieß, wenn man sich mit einem UnterWesen einließ; es war so, wie wenn sich ein Hund mit einer Katze paarte. Das siebte nuGebot war unmissverständlich, was die Rassendurchmischung betraf. Jeden Tag dankte sie ABBA – ohne an ABBA zu glauben –, dass sie als Angelslawin zur Welt gekommen war und daher zur Herrenrasse gehörte. Als Arier geboren zu werden bedeutete, das große Los gezogen zu haben. Trotzdem hätte sie sich niemals vorstellen können, dass die Partei die UnterWesen gänzlich vernichten würde, nur um die Reinerhaltung des angelslawischen Volkes zu gewährleisten.

Rassentrennung: ja, klar. Bestrafung für Rassenmischung: selbstredend. Abtreibung von Mischlingen: unbedingt. Kontrolle der Rasse durch das Reichsregister für Rassenreinheit: keine Frage. Aber die Vernichtung eines Volkes …

Dass drei Millionen oder mehr Männer, Frauen und Kinder im Warschauer Ghetto umgebracht werden sollten und die Partei das duldete, war unglaublich. Doch jetzt war das Unglaubliche glaubhaft geworden. Sie selbst hatte gehört, mit welcher Gleichgültigkeit Heydrich über die Ermordung dieser armen unschuldigen Menschen gesprochen hatte.

»Was wollen Sie tun?«, fragte sie.

»Ich weiß es noch nicht«, räumte Dabrowski ein. Sein Gesicht war aschfahl. Er, der sonst so entschieden und energisch war, saß nun wie betäubt in seinem Sessel.

»Ja, wir haben gewusst, dass die Lage prekär ist. Wir wussten, dass wir Polen wie die nuJus zu Menschen zweiter Klasse abgestempelt waren, aber keiner von uns hätte sich ausmalen können, dass Heydrich in seiner Abartigkeit an Massenmord denken würde. Dieser Mann muss völlig verrückt sein.« Er schüttelte den Kopf, als wollte er wieder zur Besinnung kommen. »Ich muss sofort nach Warschau und meine Leute warnen.«

»Werden sie Ihnen denn glauben?«

»Ich weiß es nicht. Wie soll man eine solche Ungeheuerlichkeit glauben? Trotzdem, ich will es versuchen. Aber zuerst müssen wir von hier weg, und das wird alles andere als einfach.«

»Warten Sie, bis ich mit meinem Vater gesprochen habe. Er wird wissen, was wir tun sollen.«

Sie fanden Trixies Vater allein im Morgensalon, wo er in Unterlagen seines Ministeriums blätterte und so gut es ging die unheilvolle Gestalt Heydrichs zu verdrängen versuchte, die durch sein Haus spukte. Dass er verwundert war, als seine Tochter und der polnische Hauptmann unangemeldet hereinplatzten, wäre eine glatte Untertreibung. Es war eine eiserne Regel auf Dashwood Manor, dass man den Kommissar während der Arbeit auf keinen Fall störte.

Doch Dashwoods Überraschung wich aufrichtiger Sorge, als er sah, wie Trixie die Tür verschloss und mit dem Zeigefinger auf dem Mund auf ihn zukam. »Der Hauptmann und ich haben zufällig etwas mitgehört, Vater«, flüsterte sie. »Es ist so schrecklich, dass wir es dir unbedingt erzählen müssen. Aber es darf uns niemand zuhören.«

Kommissar Dashwood hatte die Zeit der Unruhen und die anschließenden Säuberungsaktionen gegen die Royalisten überlebt. Er kannte das ForthRight viel zu gut, um eine derartige Warnung in den Wind zu schlagen. Er nickte und winkte seine Gäste in eine Nische in der Ecke des Salons. Als sie sich hingesetzt hatten, zog er einen dicken Vorhang zu und teilte so die Nische vom Rest des Zimmers ab. »Hier kann uns niemand hören«, flüsterte er, »aber sprecht leise. Es heißt, Beria komme alles im ForthRight zu Ohren, sogar das Flüstern der Liebespaare. Und jetzt erzähl mir, was es so Wichtiges gibt, Trixie.«

Sie gab ihm eine atemlose Zusammenfassung dessen, was sie bei dem Gespräch zwischen Heydrich und der Dämonin gehört hatten. Während des fünfminütigen Monologs saß ihr Vater ruhig und scheinbar ungerührt in seinem Sessel und warf nur Hauptmann Dabrowski gelegentlich einen fragenden Blick zu, der Trixies Bericht jedes Mal mit einem Kopfnicken bestätigte. Als sie fertig war, zündete sich ihr Vater eine Zigarette an und versank ein paar Sekunden lang in Gedanken. Schließlich sagte er, an den Hauptmann gewandt: »Scheint ganz so, als hätte ich eine Viper an meiner Brust genährt, Dabrowski. Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie ein Krypto sind? Gehören Sie vielleicht den Cichociemni an?«

»Cichociemni?«, fragte Trixie.

»Die leisen Dunklen«, erklärte Dabrowski. »Wir sind eine Gruppe von polnischen Patrioten, die sich zum Ziel gesetzt hat, das polnische Volk von der Herrschaft des ForthRight zu befreien. Wie Ihr Vater richtig vermutet, bin ich einer von ihnen, ein polnischer Agent. Ich habe die Aufgabe, das ForthRight zu infiltrieren und herauszufinden, was es vorhat.«

Trixie sah den Hauptmann überrascht an. Der Mann war ein Konterrevolutionär! Ein polnischer Konterrevolutionär!

Dashwood gluckste wehmütig in sich hinein. »Eine treffende, wenn auch nicht ganz aufrichtige Zusammenfassung, wenn ich das so sagen darf. Ich habe das ungute Gefühl, dass Sie weitaus mehr vorhaben, als nur Ihre Leute auf dem Laufenden zu halten. Laut Geheimdienstberichten der Checkya haben die Cichociemni den Befehl erhalten, die Parteigrößen des ForthRight zu eliminieren, sollte das ForthRight gegen das Warschauer Ghetto vorgehen.« Er nahm einen langen Zug von seiner Zigarette. »Wahrscheinlich hatten Sie vor, mich umzubringen, Hauptmann.«

Dabrowski hatte den Anstand zu erröten. »Ich will mich nicht dafür entschuldigen, dass ich ein polnischer Patriot bin oder dafür, dass ich mein Volk aus der Knechtschaft führen will. Sie, Sir, sind eine legitime militärische Zielscheibe. Unsere Informationen weisen Sie als den wichtigsten Experten für Logistik im ForthRight aus. Immerhin sind Sie der Mann, der das Straßennetz des ForthRight erneuerte. Ihr Ministerium überwacht den Schiffsverkehr auf der Themse, dem Rhein und der Wolga. Sie sind das Genie hinter dem neuen Eisenbahnnetz des ForthRight, der Mann, der die Verantwortung für das Leiden zehntausender polnischer Zwangsarbeiter trägt, die im Winter neue Eisenbahnschienen verlegen mussten, um das ForthRight mit dem Hub zu verbinden.«

»Sie wollten meinen Vater umbringen?«, unterbrach Trixie ihn ungläubig.

»Im Warschauer Ghetto sind an die drei Millionen Menschen eingesperrt, Miss Dashwood. Das ForthRight macht ihnen das Leben zur Hölle. Wundert es Sie dann, wenn ich zu einer solch schändlichen Tat förmlich gezwungen bin? Zu meiner Verteidigung darf ich erwähnen, dass nur Ihr Vater die Zielscheibe war, Miss Trixie, nur er. Wir sind nicht wie die Partei. Wir würden niemals aus sinnloser Rache seine ganze Familie ausradieren. Dies sollte eine militärische Operation sein und keine Säuberungsaktion.«

Dashwood lächelte sarkastisch. »Welch feiner Unterschied, Hauptmann Dabrowski.«

»Aber ein wichtiger, Kamerad Kommissar!«, konterte Dabrowski. »Ich bin ein polnischer Offizier und Gentleman, und als solcher würde ich Ihrer Tochter niemals auch nur ein Haar krümmen. Leider ist Heydrich, wie Ihre Tochter und ich soeben gehört haben, von einem anderen Kaliber. Sobald die Sitzung heute Abend beendet ist, wird Beria Sie und Ihre Familie verhaften. Ihre Tochter soll für Ihre angeblichen Verfehlungen büßen, Sir. Typisch für die Partei, nicht wahr? So etwas nennt man Sippenhaft. Und wir wissen wohl beide, welches Schicksal Ihrer Tochter blüht, wenn dieses Ungeheuer von Beria sie zu fassen bekommt.«

Dashwood warf Trixie einen nervösen Blick zu. »Ich wäre Ihnen sehr dankbar, Sir, wenn Sie sich in Anwesenheit meiner Tochter etwas zurückhalten würden.« Er trommelte mit den Fingern auf der Armlehne des Sessels. »Ich nehme an, dass ich Glück hatte, so lange zu überleben. Ich wusste, dass sie mich eines Tages holen kämen, egal wie vorsichtig ich war. Beria hasst die Königstreuen. Nur schade, dass es nun schneller geht, als ich gehofft hatte.«

»Das ist bestimmt ein Scherz, Vater, sie können dich nicht verhaften!«, protestierte Trixie. »Du warst immer ein loyales Parteimitglied. Sie können dich doch nicht einfach umbringen, bloß weil sie vermuten, dass du ein royalistischer Reaktionär bist, aus einer Laune heraus. Du musst dich an den Führer wenden. Du musst ihn davon überzeugen, dass es sich um ein schreckliches Missverständnis handelt.«

»Leider gibt es hier kein Missverständnis, Trixie. Du musst endlich begreifen, dass Heydrich und seine Schergen Psychopathen sind.« Es war eine ganz normale Aussage, aber sie roch dermaßen nach Verrat, dass Trixie vor Schreck verstummte. Ihr Vater hatte immer darauf geachtet, die Partei oder deren Führung nicht vor anderen zu kritisieren. »Trotzdem sollte ihr Wahnsinn uns nicht davon ablenken, dass sie gebildete Menschen sind und ihre Nachrichtendienste die effizientesten der ganzen Demi-Monde.«

Trixies Vater sagte dies in einem Ton, der ihn in einem neuen Licht erscheinen ließ. Es war, als hätte er eine Maske fallen lassen und als wäre darunter etwas zum Vorschein gekommen, das noch gefährlicher war. Während sie zuvor nur den pflichtbewussten Partei-Apparatschik gesehen hatte – ein bisschen abgestumpft und spießig, um ehrlich zu sein –, hatte sie jetzt einen Mann der Tat vor sich, resolut und stark. Vielleicht lag es an seinem funkelnden Blick oder der Entschlossenheit seines Mundes, jedenfalls war er plötzlich ein anderer Mensch. Ein ganz anderer …

»Du bist ein Royalist!« Und noch während sie diese Worte aussprach, wusste sie, dass es stimmte. Er gehörte zu diesen verdächtigen Individuen, vor denen sie Miss Appleton auf der Akademie so eindringlich gewarnt hatte. Er war einer von denen.

Dashwood nickte. »Ja, Trixie, ich bin Royalist, einer aus der Stummen Opposition. König Heinrich war vielleicht ein bisschen launisch, aber niemals so abgrundschlecht wie dieser Heydrich. Der Mann darf keinen Erfolg haben. Und andere wie ich haben geplant …« Er hielt inne, warf Dabrowski einen Blick zu und lächelte. »Aber vielleicht ist es schon zu spät. In drei Tagen wird der SS-Ordo Templi Aryanis unter dem Befehl von Archie Clement das Unternehmen Barbarossa in Gang setzen – die Zerstörung Warschaus und die Vernichtung der Menschen im Ghetto. In drei Tagen wird die Partei die ersten Schritte unternehmen, um die Herrschaft der Demi-Monde an sich zu reißen und der ganzen übrigen Welt ihren verrückten Rassenwahn aufzwingen.«

»Clement wird es nicht leicht haben. Wir Polen werden kämpfen …«

»Und Sie werden verlieren! Womit wollen Sie und Ihre polnischen Landsleute denn gegen die Schergen des SS-Ordens kämpfen? Mit Steinen und Flüchen? Die Waffen-SS ist die härteste Truppe im ForthRight, es sind rücksichtlose Hundesöhne, die danach augeswählt werden, wie grausam und wie empfänglich sie für Gehirnwäsche sind. Sie sind überzeugt, ABBAS Willen auszuführen, indem sie jeden töten, der nicht der angelslawischen Rasse angehört.«

»Besorgen Sie uns Waffen, und wir werden kämpfen.«

»Waffen …« wiederholte Trixies Vater. »Ja, vielleicht gibt es da einen Weg.« Er durchbohrte Dabrowski mit seinem strengen Blick. »Sagen Sie mir die Wahrheit, Hauptmann, werden Ihre polnischen Landsleute kämpfen, wenn sie Waffen bekommen?«

»Wir werden kämpfen, Kamerad Kommissar, darauf können Sie Gift nehmen. Bis zum letzten Mann und bis zum letzten Atemzug. Wir werden mit der Hand um den Hals derer sterben, die uns vernichten wollen.«

»Sind Ihre Männer organisiert?«

»Die polnische Widerstandsarmee ist zum Kampf bereit. Ich habe die Ehre, in der Armee meines Heimatlandes als Major zu dienen.«

»Dann will ich Ihnen etwas sagen, Major. Ich kann Ihr Volk zwar nicht retten, aber ich kann dazu beitragen, dass es einen ehrenvollen Tod findet.« Dann wandte sich Dashwood seiner Tochter zu und lächelte wehmütig. »Du bist das Kostbarste, was ich auf dieser Welt habe, und ich bin stolz, Vater einer so starken und selbstständig denkenden Tochter zu sein, doch jetzt bitte ich dich, all deine Kraft und Selbstständigkeit aufzubringen und nicht auf das zu hören, was dir dein Herz sagt. Die Demi-Monde ist mit einem großen Unheil konfrontiert, und es liegt in jedermanns Verantwortung, sich diesem Unheil entgegenzustellen, selbst wenn er es mit dem Leben bezahlen muss. Mein Leben ist vorbei …«

Trixie verschlug es die Sprache. »Was redest du da, Vater? Wir können fliehen und uns verstecken.«

Dashwood schüttelte den Kopf. »Nein, mein Schicksal ist besiegelt. Ich kann nicht fliehen, Trixie. Wenn ich es versuche, würde man mich erwischen, und dann hättest auch du keine Chance mehr. Außerdem habe ich eine größere Aufgabe zu erfüllen.« Dann wandte er sich zu Dabrowski um. »Gibt es unter Ihren Leuten hier auf Dashwood Manor Männer, auf die Sie sich voll und ganz verlassen können, Männer, denen Sie Ihr Leben anvertrauen würden?«

Der Hauptmann dachte nach. »Mein Unteroffizier und vier andere.«

»Das reicht nicht.«

»Reicht nicht wozu?«

»Unter der Oberbaum-Brücke am Rhein haben zwei Kähne festgemacht, voll beladen mit Gewehren und Munition. Es sind veraltete Waffen, die für den Export ins Quartier Chaud vorgesehen sind, aber trotzdem brauchbar. Ein entschiedener und mutiger Hauptmann mit einer Kompanie von tapferen Soldaten, die den Tod nicht fürchten, könnte an Bord der Schiffe gehen und im Schutz der Dunkelheit bis zum Ghetto fahren.«

Der Hauptmann konnte seine Aufregung kaum verhehlen. »Innerhalb einer Stunde habe ich in Warschau eine solche Kompanie zusammen. Entweder wir nehmen uns diese Kähne oder wir sterben beim Versuch. Sie müssen mir nur sagen, wo sie festgemacht haben.«

»Sofort. Doch zuerst muss ich eine Zusage von Ihnen haben, Hauptmann. Sie müssen mir als Offizier und Gentleman schwören, dass Sie bei Ihrer Flucht aus Dashwood Manor meine Tochter Trixie mitnehmen.«

»Nein«, rief Trixie. »Ohne dich gehe ich nirgendwohin.«

Sie konnte nicht fassen, was sie soeben gehört hatte. Dieser Mann, der Fels in ihrem Leben, der sie über den Tod der Mutter hinweggetröstet hatte, der fest zu ihr gestanden hatte, als man sie rügte, der ihr beigebracht und sie davon überzeugt hatte, dass sie genauso viel wert war wie jeder Mann, sprach jetzt davon, sie im Stich zu lassen? Das war unmöglich. Sie würde an seiner Seite leben und notfalls auch sterben.

Doch ihr Vater war genauso entschlossen.

»Es wird dir aber nichts anderes übrig bleiben. Ich muss an dieser Sitzung heute Abend teilnehmen. Würde ich vorher verschwinden, gäbe es einen Riesenaufruhr; deine Abwesenheit hingegen lässt sich viel leichter erklären. Ich kann sagen, dass dich die Begegnung mit dem Führer überwältigt hat, schließlich bist du ja nur ein Mädchen.« Dashwood beugte sich vor und ergriff die Hand seiner Tochter. »Wir haben keine andere Wahl, Trixie. Wenn du darauf bestehst hierzubleiben, sind wir beide verloren. Mit der Unterstützung des Hauptmanns aber könntest wenigstens du überleben. Habe ich Ihr Ehrenwort, Dabrowski, dass Sie alles in Ihrer Macht Stehende unternehmen werden, um meine Tochter Trixie zu beschützen und zu retten?«

»Jawohl.«

Dashwood öffnete eine Schublade, nahm eine Akte heraus und übergab sie Dabrowski. »Hier sind alle Details über den Standort der Kähne verzeichnet.«

Der Hauptmann nahm die Akte und blätterte hastig durch die Seiten. »Danke, Sir, danke im Namen des polnischen Volkes, das im Warschauer Ghetto gefangen ist. Das hier wird ihnen Hoffnung schenken.« Dabrowski schlug die Akte zu und blickte Dashwood ernst an. »Sie sollen wissen, dass ich meine Flucht während der Séance geplant habe, Sir. Wenn Heydrich und seine Entourage im Ballsaal sind, wird sich die Wachmannschaft ausruhen, und ihre Wachsamkeit wird nachlassen. Ich will versuchen, sie mit einer List abzulenken, damit sie ihre Posten verlassen.«

»Ich glaube, dass ich Ihnen dabei behilflich sein kann, Hauptmann. Ich hatte einen Plan ausgeheckt, um Heydrichs Unternehmen Barbarossa zu torpedieren, jetzt aber sehe ich mich genötigt, ihn vorwegzunehmen. Ich habe die Royalisten im Covener Exil bereits davon unterrichtet, dass das ForthRight plant, Coven anzugreifen, doch jetzt muss ich konkretere Schritte einleiten.« Damit nahm er einen Revolver aus der Schublade, in der sich die Akte befunden hatte. »Obwohl ich, wie übrigens meine Tochter Trixie auch, in mancher Hinsicht RaTionalist bin und Crowleys Geschwafel von Geistern und Dämonen nicht ganz für bare Münze nehme, ist es nicht zu übersehen, dass die Dämonin, Norma Williams, eine große Bedeutung für die Partei haben muss. Natürlich ist das Gerede von Doppelgängern und der Infiltration der Realen Welt völliger Humbug …« Kommissar Dashwood öffnete die Trommel des Revolvers und vergewisserte sich, dass sie geladen war. »Da Heydrich aber darauf bestanden hat, dass ich in voller Uniform an der Sitzung teilnehme, werde ich eine Waffe tragen müssen. Und mit ihr werde ich zuerst die Dämonin, und wenn ich anschließend noch dazu komme, auch Heydrich erschießen. Ich glaube, dass das für genügend Ablenkung sorgen wird, um die Flucht zu ergreifen, Hauptmann.«

»Und was ist mit dir, Vater?«, wollte Trixie wissen, während ihr langsam eine Träne über die Wange rann.

»Ich bin ein toter Mann, mein Kind. Und deine Pflicht ist es, dafür zu sorgen, dass mein Tod nicht umsonst ist.«