22
Thierry hielt den Pflock fest, taumelte
rückwärts und fiel auf den Boden. Er schien unter Schock zu
stehen.
Was ich ihm nicht verübeln konnte.
»Sarah«, knurrte Gideon, als er sich schließlich
neben mir aufgerappelt hatte. Er blickte auf Thierry hinunter. »Du
hast ihn umgebracht.«
Thierry rang nach Luft.
»Nein«, sagte ich. »Ich habe ihn erstochen, wie
ich es ihm gesagt habe. Das ist ein Unterschied.«
»Du hast sein Herz verfehlt?«
»Wenn nicht, müsste er jetzt eine traurige
Matschpfütze sein, oder?«
Gideon biss die Zähne zusammen. »Wieso hast du
ihn nicht gleich ganz umgebracht?«
Ich zuckte mit den Schultern.
Gideon bedachte Steven mit einem finsteren
Blick. »Wofür
bezahle ich dich eigentlich, Junge? Etwas Hilfe oder eine Warnung
wären ganz nett gewesen.«
Ich versuchte wachsam zu sein, wurde jedoch von
einer ziemlich heftigen Schlacht in meinem Inneren abgelenkt. Ich
hätte Thierry töten können, hatte es aber nicht getan. Irgendetwas
hatte mich zurückgehalten.
Sein Kuss hatte ähnlich wie eine Ohrfeige
gewirkt und meiner anderen Seite einen dringend nötigen Kraftschub
gegeben.
Er liebt mich. Er hatte mich
nicht umgebracht.
Vielleicht hätte er es tun sollen.
»Trink noch mehr«, hörte ich Steven sagen. »Wenn
du willst.«
»Gib mir alles«, befahl Gideon. »Ich will ihre
Macht. Ich will ihre Kraft. Alles.«
»Selbstverständlich.«
»Was hast du …?«, setzte ich an, aber dann
spürte ich schon, wie Gideon seine scharfen Reißzähne in meinem
Hals vergrub.
Seine Reißzähne? Er
hatte schon Reißzähne? Dass das überhaupt möglich war? Zöglinge
entwickeln Reißzähne erst lange nach ihrer Zeugung. Bei mir waren
sie nur schneller gewachsen, weil ich von Anfang an ausschließlich
das Blut eines Meistervampirs erhalten hatte.
Aber Gideon war kein typischer Zögling.
Er wollte mehr.
Ich versuchte den Schmerz von seinem Biss zu
ignorieren und blickte hinunter zu Thierry. Er sah hilflos zu mir
hoch. Ich wollte, dass er sich zurückhielt. Es war für ihn momentan
weniger gefährlich, mit einem Pflock in
der Brust da unten zu liegen als in unsere Nähe zu kommen.
»Öffne dich, Sarah«, wies Steven mich an. »Gib
Gideon alles.«
»Das kann ich nicht«, erwiderte ich.
»Du musst.«
Seine Stimme klang seltsam, anders als zuvor.
Dunkler. Gruseliger. Ich versuchte, ihn anzusehen, und bemerkte,
dass seine Augen nicht einfach nur rot waren, sie schienen zu
leuchten.
Höllenfeuer.
Das musste der Dämon
sein. Steven ließ einen Dämon in sich eindringen, um mit seiner
Magie zu arbeiten. Hatte Gideon das gewusst? Wohl kaum. Es wäre zu
gefährlich gewesen. Gideon versuchte, der Hölle zu entkommen, und
würde sie kaum mit einem romantischen Abendessen in seinem Leben
willkommen heißen.
Der Dämon hatte es auf Gideon abgesehen. Und
Gideon versuchte, ihm zu entkommen, indem er sich von mir zeugen
ließ.
»Los, Sarah«, befahl der Dämon, der in Steven
geschlüpft war, wieder, allerdings ohne dass sich Stevens Lippen
bewegten. Ich hörte seine Stimme in meinem Kopf. »Lass es fließen.
Ich helfe dir dabei.«
Ein Dämon half mir, meine Kraft auf Gideon Chase
zu übertragen? Okay.
»Nein«, erklärte der Dämon, als hätte er meine
Gedanken gelesen. »Nicht nur deine Kraft. Auch deinen Fluch.
Alles.«
Ich bekam runde Augen. Dann schlug ich zu und
konzentrierte
mich mit meiner gesamten Energie darauf, mich zu entspannen und
meinen Geist zu öffnen. Gideon bekam also nicht nur Blut, sondern
auch alles andere. Meine Kraft und die Energie, die von drei
Meistervampiren stammte. Ich spürte, wie meine Kraft mit Hilfe des
Dämons von mir in Gideon hinüberfloss.
Eine Minute später hob er den Blick zu mir.
Seine Augen waren schwarz vor Kraft. Sie sahen aus wie der
Tod.
»Mehr«, sagte er. »Ich brauche mehr.«
Ich zögerte. Der Teil in mir, der Gideon auf
eine seltsame Art mochte, versuchte, sich von ihm zu lösen und ihn
so vor seiner eigenen Gier zu schützen. Aber er hielt mich fest und
trank weiter.
»Gib ihm alles«, instruierte mich der Dämon mit
einer Stimme, die so kalt wie die Nacht um uns herum war.
Ich nickte und tat, was er sagte.
Meine Nachtwandlerin hielt sich fest und wehrte
sich schreiend mit Händen und Füßen, bis der Dämon sie mit seiner
magischen Kraft von meinem Inneren loskratzte. Ich spürte, wie sich
das schwarze Gift des Fluches, das sich tief in mir festgesetzt
hatte, zu einer Kugel formte. Ihr hatte es dort gefallen. Es war
bequem. Aber wie ein alter, widerlich klebriger Bonbon löste sie
sich schließlich von mir, und ich spürte, wie sie aus mir heraus
und direkt in Gideon hineinfloss.
Er riss die Augen auf, bleckte die Zähne und
entblößte seine langen spitzen Reißzähne. Er blickte um sich, als
würde er den Ort zum ersten Mal sehen.
»Ich hätte nie gedacht, dass es sich so gut
anfühlt«, sagte er. »Du hast es geschafft, Sarah. Du hast mir alles
gegeben.«
Ich schluckte heftig. »Gern geschehen.«
Er lächelte, und mich fröstelte. Er war ein
Monster. Er sah jetzt sogar wie ein Monster aus. Er hatte schwarze
Augen, spitze Zähne und einen seltsam verrückten Blick, als wäre
auf zu kleinem Raum zu viel Kraft versammelt.
Ich hatte Angst vor ihm. Und um ihn.
Ich wusste nicht, ob ihm klar war, wie viel er
gerade von mir bekommen hatte. Der Dämon in Steven hatte jede Unze
meiner überschüssigen Meistervampirkraft auf ihn übertragen. Und
sozusagen als Bonus hatte Gideon noch meinen Nachtwandlerfluch
erhalten.
Ich würde mir das Jubeln für später
aufheben.
Gideon hielt den Kopf schief und starrte auf
Thierry hinunter, der jetzt versuchte aufzustehen. »Sollte ich die
Sache nicht für dich zu Ende bringen, Sarah? Ich hasse offene
Enden.«
Er machte einen Schritt auf Thierry zu, aber ich
stellte mich ihm in den Weg.
»Na, was willst du denn noch?«, fragte ich. »Du
hast doch, was du wolltest. Du bist jetzt ein Vampir.«
»Ich bin mehr als nur ein Vampir.«
»Stimmt. Aber was hast du als Nächstes
vor?«
Er lächelte. »Alles, was ich will. Aber zuerst
werde ich einen Meistervampir abmurksen.« Er blinzelte mit den
schwarzen Augen. »Alle beide. Ich glaube, ich mache es mit den
bloßen Händen, nur so zum Spaß.«
»Was ist mit mir?«
Er musterte mich. »Was willst du von mir
hören?«
»Sag mir die Wahrheit.«
Er verzog die Lippen. »Kurze Zeit dachte ich, da
wäre
etwas. Aber vermutlich war es nur wegen der Schmerzen. Ich werde
dir nicht vergessen, was du für mich getan hast, Sarah. Aber ich
warne dich, stell dich mir jetzt nicht in den Weg!«
»Oder?«
»Oder es wird dir leidtun.«
Ich holte bebend Luft. Als er es bemerkte, legte
er seine Hand auf meine Brust, fühlte mein Herz schlagen und hob
eine Braue. »Sehr interessant.«
»Du bist der stolze Besitzer eines glänzend
schwarzen Nachtwandlerfluchs.«
»Ich Glückspilz.«
»Jetzt tut es dir wahrscheinlich leid, dass du
das Zauberbuch verbrannt hast, hm?«
»Ich werde mich daran gewöhnen. Wie gesagt, es
ist durchaus von Vorteil. Es verleiht mir nur noch mehr
Macht.«
Dann zuckte er und wich einen Schritt vor mir
zurück. Ich bemerkte, dass etwas Unsichtbares seine Brust getroffen
hatte. In seiner Haut war jetzt ein tiefer Schnitt.
»Was zum Teufel war das?«, zischte er.
Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß es
nicht.«
»Das war ich«, erklärte der Dämon.
Ich wich zurück, bis ich Thierry hinter mir
bemerkte. Er hatte es in den letzten Minuten irgendwie geschafft,
geräuschlos den Pflock aus seiner Brust zu entfernen. Auf seiner
Stirn glänzte ein feiner Schweißfilm, und seine Augen glühten vor
Schmerz.
»Du gehörst uns, Gideon«, fuhr der Dämon fort.
In dem Körper des jugendlichen Hexenmeisters mit dem
Death-Suck-T-Shirt
unter der schwarzen Jacke wirkte er vollkommen harmlos. Aber er
war nicht harmlos. »Seit du mit dem Höllenfeuer in Berührung
gekommen bist, gehörst du uns. Du kannst wegrennen, aber du wirst
uns nicht entkommen.«
Gideons schwarze Augen wurden kalt vor Angst.
»Aber ich bin geheilt. Meine Narben sind weg. Ich habe keine
Schmerzen mehr.«
»Das ist egal«, erwiderte der Dämon. »Glaubst
du, dass wir so einfach aufgeben? Du hast keine Ahnung. Du gehörst
uns. Daran kannst du nichts ändern. Du hast dich entschieden, jetzt
musst du mit den Folgen klarkommen.«
Gideon berührte die blutende Schramme auf seiner
Brust. Als er die Finger fortnahm, fing das Blut Feuer. Das
Höllenfeuer brannte immer noch in ihm. Und der Dämon lockte es nun
hervor.
»Wir stehen jetzt kurz vor
dem Ende. Und wenn du nicht zur Seite trittst, wenn das Blut zu
fließen beginnt, wird es dich vollkommen verschlingen.«
Wir standen jetzt kurz vor dem Ende. Vor Gideons
Ende.
»Ich habe Geld«, sagte Gideon. »Sehr viel Geld.
Ich kann dir zahlen, was immer du willst. Tu das nicht.«
»Wirklich?«, fragte der Dämon. »Von wie viel
sprechen wir denn?«
»Sehr viel. Alles. Ich gebe dir alles, was ich
besitze. Alles, was ich bin.«
Der Dämon lächelte. »Ja, das wirst du.«
Gideon verzog das Gesicht vor Angst und sah zu
mir. »Sarah …«
Thierry legte seinen Arm um meine Taille und zog
mich von Gideon fort, der jetzt die Hand nach mir
ausstreckte.
»Es tut mir leid«, sagte ich. Tränen brannten in
meinen Augen.
»Mir auch«, keuchte Gideon.
Das Höllenfeuer in Gideon fraß sich durch den
Schnitt in seiner Haut. Er starrte hinunter auf seine Hände, aus
denen ebenfalls Flammen züngelten. Er blinzelte, und seine Augen
nahmen wieder ihre ursprüngliche smaragdgrüne Farbe an.
»Es tut nicht weh.« Er lächelte mich an. »Dafür
sollte ich vermutlich dankbar sein, stimmt’s?«
Einige Sekunden später verschlangen ihn die
Flammen, und er ging in einer Feuersäule auf.
Ich schluchzte, drehte mich zu Thierry um und
umarmte ihn fest. Er japste vor Schmerz.
»Tut mir leid«, stieß ich hervor. »Es tut mir so
leid.«
»Dass du mich erstochen hast?«, stöhnte
er.
»Alles.«
»Muss es nicht.« Er nahm mein Gesicht in seine
Hände und sah mich aus großen Augen an. »Sind diese Tränen für
Gideon?«
»Ein paar.«
Er küsste sie weg. »Ich verstehe.«
»Er ist weg.«
»Ich weiß.«
Er hielt mich eine Weile fest, bis ich mich
etwas beruhigt hatte. Dann löste ich mich von ihm und zeigte mit
dem Finger auf ihn. »Hatte ich nicht gesagt, du sollst mich
erstechen, Freundchen? Du hast mich wie ein Lump betrogen.«
»Ja.« Er betastete vorsichtig seine Brust.
»Dafür habe ich offenbar umgehend die Quittung erhalten.«
»Ich habe das gemacht, um dich in Sicherheit zu
bringen.«
»Ich möchte nicht wissen, was du tust, wenn du
wirklich wütend auf mich bist.«
»Aber was, wenn …?«
»Genug geredet.« Er zog mich – zärtlich – an
sich und brachte mich mit einem leidenschaftlichen Kuss zum
Schweigen.
Nach einer Weile spürte ich eine Hand auf meinem
Rücken. Es war Steven. Er wirkte total verstört, aber zumindest
waren seine Augen wieder normal.
»Mann, was ist denn hier passiert?«
»Du warst von einem Dämon besessen«, erklärte
ich.
Er seufzte. »Schon wieder? Das nervt echt
allmählich.«
»Tust du mir einen Gefallen?«, fragte ich.
»Kannst du Amy aus der Gruft befreien?«
Er nickte, lief zu zwei nahe gelegenen
Grabstätten und ließ aus der einen Amy heraus, die inzwischen
wieder zu sich gekommen war, und aus der anderen seine Mutter.
Steven umarmte seine Mutter heftig, die ihm dafür gerührt den
Rücken tätschelte.
»Es tut mir leid, Mom. Ich lasse ab sofort die
Finger von der schwarzen Magie. Versprochen.«
»Das ist gut«, sagte sie. »Aber wir ziehen
trotzdem nach Deutschland. Und dann bekommst du sechs Monate
Stubenarrest, und ich konfisziere all deine CDs.«
»Oh, Mom!«
Thierry strich mir die Haare aus dem Gesicht.
»Wie fühlst du dich? Hat er zu viel Blut von dir getrunken?«
»Mir ist ein bisschen schwindelig, aber ich
werde es überleben.« Ich sah zu ihm hoch. »Aber er hat alles
genommen. Meine ganzen Extrakräfte. Meinen Fluch. Alles. Ich habe
mich ganz und gar zurückentwickelt.« Ich fuhr mit der Zungenspitze
über meine Zähne. »Reißzähne habe ich aber noch.«
»Vielleicht wärst du wieder ein Mensch geworden,
wenn er noch länger von dir getrunken hätte.«
»Na, wir wollen nicht gleich übertreiben.« Ich
brachte ein Lächeln zustande. »Wieso sollte ich völlig auf
Aufregung verzichten?«
»Ein sehr gutes Argument.«
Veronique stand mit verschränkten Armen neben
uns – der Zauberspruch, der sie zum Schweigen gebracht hatte,
wirkte noch nach.
»Ich fasse es nicht«, sagte sie schließlich
stockend.
»Ich auch nicht«, erwiderte Thierry. »Du hast
dich mit Gideon verbündet?«
»Ich habe versucht, Blutvergießen zu
verhindern.«
»Ah, ich verstehe. Dann war es eine vollkommen
altruistische Handlung, ja?«
Sie seufzte. »Es hat sich wohl nicht so
entwickelt, wie ich es geplant hatte.«
»Nein, wohl eher nicht.«
»Bitte entschuldige.« Sie drehte sich zu mir um.
»Und du auch.«
Ich schüttelte den Kopf. »Hör zu, ich habe zwar
so meine Zweifel an deinen Methoden, aber wenn du mich gestern
nicht von deinem Blut hättest trinken lassen, wäre alles vielleicht
ziemlich schlimm ausgegangen.«
Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Thierry, du
warst der Rote Teufel … die ganze Zeit? Ich fasse es nicht.«
»Ja«, bestätigte er.
Sie musterte ihn und legte den Kopf auf eine
Seite. »Obwohl, jetzt, wo du es sagst, da ist eine erstaunliche
Ähnlichkeit …« Sie schluckte. »Wie konnte ich das übersehen? Jetzt
ergibt alles einen Sinn. Aber du wusstest es, Sarah. Du hast es
gleich gesehen. Du hast erkannt, wer sich hinter der Maske
verbirgt.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ein paar Anläufe
habe ich schon gebraucht, aber, ja.«
»Du liebst meinen Mann wirklich, nicht?«
»Absolut.«
Sie wirkte irgendwie erstaunt und ungläubig, als
ob ihr erst jetzt klar würde, dass das tatsächlich stimmte.
Sie berührte meine Hand. »Ich freue mich für
dich. Für euch beide.«
Ich nickte. »Es ist schön zu wissen, dass die
Frau meines Freundes mit unserer Beziehung einverstanden
ist.«
Amy wählte diesen äußerst unpassenden Moment, um
zu uns zu stoßen. »Sarah?«
Ich ging zu ihr, aber sie wich einen Schritt vor
mir zurück. Ich streckte meine Hände aus. »Es tut mir so leid, was
vorhin geschehen ist.«
Sie fasste sich an den Hals, an dem ich sie wie
eine Stoffpuppe hochgehoben hatte, und funkelte mich an: »Fühlst du
dich besser?«
»Mir geht es besser als besser. Ich bin
geheilt.«
Sie machte große Augen. »Kein Fluch mehr?«
»Das ist Geschichte.«
Sie schrie erfreut auf und umarmte mich so fest,
dass ich keine Luft mehr bekam. Es war so herrlich, wieder zu
atmen. Ehrlich, die Atmung wird vollkommen unterschätzt.
Ebenso der Herzschlag. Ich würde beides nie mehr
als selbstverständlich hinnehmen.
Mein Telefon brummte, und ich zog es aus der
Tasche.
»Sarah.« Georges müde Stimme ertönte am anderen
Ende.
»He«, sagte ich.
»Wir haben buchstäblich die ganze Stadt
abgesucht. Nun, nicht buchstäblich, aber du weißt schon, was ich
meine. Wir können Amy nirgends finden, und jetzt ist es schon nach
Mitternacht.« Seine Stimme bebte. »Es ist alles meine Schuld.
Gideon wird sie umbringen, und das ist allein meine Schuld.«
»Oh. Nun. Einige gewinnt man, andere verliert
man.«
»Wie kannst du nur so blasiert sein? Es geht um
Amy! Unser kleiner Liebling Amy, und sie ist tot! Barry wird mich
umbringen.«
»Da hast du vermutlich recht. Er ist ziemlich
streitsüchtig.«
Es folgte eine lange Pause. »Haben wir etwas
Wichtiges verpasst?«
»Unwesentlich. Aber Amy ist okay, also mach dir
keine Sorgen. Und Gideon … Gideon ist tot«, sagte ich mit einem
Kloß im Hals.
George stieß einen so heftigen Seufzer aus, dass
ich das Telefon ein Stück von meinem Ohr weghalten musste. »Ich
glaube, ich muss mich übergeben. Ernsthaft. Auf der Stelle.«
Ich reichte Amy das Telefon, damit sich George
von ihrem gesunden, glücklichen, immer noch leicht benebelten
Zustand überzeugen konnte.
Thierry berührte meinen Arm. »Du bist
aufgeregt.«
»Es war eine höllische Nacht.« Ich schluckte.
»Buchstäblich.«
Er nickte. »Er ist tot.«
»Ich weiß.«
Er schwieg einen Moment, dann führte er mich
fort von den anderen, so dass wir unter vier Augen sprechen
konnten. »Warst du in ihn verliebt?«
Ich befeuchtete meine trockenen Lippen. »Nein.
Aber ich mochte ihn. Das heißt, Teile von ihm.«
Thierry hob eine Braue. »Welche Teile?«
»Du weißt schon, was ich meine. Mit einer Sache
hatte er recht. Jeder hat seine guten und seine schlechten Seiten.
Aber Taten sagen mehr als Worte. Also, ja, ich mochte ihn, obwohl
er war, wie er war. Aber dich liebe ich.«
Er lächelte. »Das kann ich akzeptieren.«
Ich runzelte die Stirn. »Tut das Loch in deiner
Brust nicht weh?«
»Ich heile schnell. Aber«, er bewegte
unbehaglich die Schultern, »es ist unangenehm.«
»Tut mir leid.«
»Muss es nicht.« Er beugte sich vor, um mich zu
küssen. »Wir können darauf Rücksicht nehmen.«
»Das klingt sehr vielversprechend.« Ich lehnte
mich zurück. »Und was ist mit dem Roten Teufel?«
Er schaute hinunter auf die Maske, die er vorhin
weggeworfen hatte. »Ich glaube, ich habe mich lange genug
hinter Masken versteckt. Wenn ich jetzt versuche, die Welt zu
verändern, mache ich das ohne geheime Identität.«
»Abgemacht.« Ich hakte mich bei ihm ein. »Aber
ernsthaft. Wenn ich dich das nächste Mal bitte, mich umzubringen,
möchte ich, dass du es auch tust, okay?«
»Das verspreche ich. Das nächste Mal mache ich
es ganz bestimmt.«
»Du lügst immer noch.«
Er strahlte mich aus seinen silberfarbenen Augen
an. »Du kennst mich.«
»Ein bisschen. Aber ich möchte dich gern noch
besser kennenlernen.«
»Ich glaube, das lässt sich einrichten.«