13
Als George endlich nach Hause kam, war es schon
fast zwei Uhr morgens.
Als er sah, dass ich auf der Couch auf ihn
gewartet hatte, fuhr er vor Schreck zusammen und fasste sich an
sein Herz. »Das ist total gruselig. Liegst du hier auf der Lauer,
um dich auf mich zu stürzen?«
»Ich bin ein Ninja.« Ich musterte ihn. »Ein
gefährlicher, wütender Ninja-Kämpfer.«
»Ich bin froh, dass du noch auf bist.« Er warf
seinen Mantel in den Schrank und lockerte seine schwarze Fliege,
die zusammen mit den engen schwarzen Hosen zu seiner neuen
Kellneruniform gehörte. »Ich glaube, man hat mich gerade gefeuert.
Ich bin echt extrem deprimiert und kann ein freundliches Gesicht
gebrauchen.«
Da war er bei mir an der falschen Adresse.
»Wieso sollten sie so einen tollen Kerl wie dich feuern?«
Offenbar bemerkte er den beißenden Sarkasmus
meiner Worte nicht.
Er rieb sich die Schläfen. »Ich habe ein ganzes
Tablett mit Getränken über einem Junggesellinnenabschied
ausgekippt. Die enttäuschten Mädels haben sich daraufhin bei der
Geschäftsführerin beschwert, und die hat mich daraufhin
angeschrien, dass ich nicht bei der Sache wäre, und mich
hinausgeworfen. Es war ziemlich unerfreulich.«
»Das glaube ich.« Er war also nicht bei der
Sache, mh? Ich konnte mir schon vorstellen, dass es einen ziemlich
beschäftigte, wenn man heimlich seine Freunde ausspionierte.
»Ich finde eine andere Lösung, ein bisschen
nebenher zu verdienen.«
»Oh, da bin ich sicher.« Ich klopfte mit der
Hand auf den Platz neben mir. »Komm, setz dich zu mir. Ich will
mich ein bisschen mit dir unterhalten.«
Er sah mich forschend an. »Ist alles okay? Du
wirkst ein bisschen, wie soll ich sagen? Eigenartig?«
»Ich bin die Königin der Eigenartigen.«
Er musterte mich skeptisch. »Du trägst aber
schon noch deine Kette, oder? Dir ist nicht etwa danach, jemanden
zu beißen?«
»Ich behalte meine Reißzähne bei mir.
Versprochen.«
Zögernd folgte er meiner Bitte und setzte sich
neben mich. Ich suchte in seinem hübschen Gesicht nach einem
deutlichen Hinweis, dass er ein Lügner und Betrüger war. Ein
Mistkerl, dem ich mehr als jedem anderen auf der Welt vertraut
hatte und der unsere Freundschaft verraten hatte.
Er verschränkte die Hände und lächelte
angespannt. »Also … was ist los?«
»Du willst mir nicht zufällig etwas erzählen,
oder?«
»Was meinst du?«
»Etwas Wichtiges, das sich auf deine Stimmung
auswirkt und dich Getränke über unschuldigen Frauen auskippen
lässt?«
Er stieß die Luft aus und erschauderte. »Ja.
Aber ich darf nicht darüber sprechen.«
»Ach ja?« Ich legte meinen Kopf auf eine Seite.
»Warum?
Ist es eine Überraschung? Mein Geburtstag ist doch erst im
Oktober.«
Seine Unterlippe bebte. »Hör zu, ich weiß, dass
ich mich seltsam verhalte. Aber du … du musst mir vertrauen. Stell
mir bitte keine Fragen.«
»Dir vertrauen?«
Er nickte. »Manchmal muss man ein Geheimnis für
sich behalten. Ansonsten könnte jemand zu Schaden kommen.«
Das war nicht ganz die Reaktion, die ich
erwartet hatte. »Wovon sprichst du?«
Er packte meinen Arm. »Ich liebe dich, Sarah.
Natürlich auf eine vollkommen asexuelle Art. Aber ich will, dass du
das weißt, was immer auch geschieht. Und ich liebe Amy. Und ich
liebe Barry … obwohl nicht annähernd so, wie ich dich und Amy
liebe.« Er blickte zu dem Sessel neben uns. »Oh, hi, Thierry. Dich
liebe ich auch.«
»Hallo, George«, erwiderte Thierry.
Wenn er Thierry die ganze Zeit nicht bemerkt
hatte, musste George wirklich ziemlich in Gedanken gewesen
sein.
Er runzelte noch stärker die Stirn, und er sah
mich an. »Was macht der hier? Ich dachte, ihr hättet euch
getrennt.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Das war gelogen.
Wir sind immer noch zusammen, das weiß nur niemand.«
George hielt sich die Ohren zu und riss die
Augen auf. »Bitte erzähl mir so etwas
nicht! Bitte!«
»Warum nicht?« Ich blickte zu Thierry. »Das ist
doch hervorragender Klatsch, oder?«
Thierry nickte. »Das stimmt.«
»Das ist ja gerade das Problem!« George stand
vom Sofa auf, ging zum Fenster, spähte durch die Vorhänge auf die
Straße, fuhr zu uns herum und rang dramatisch die Hände. »Okay …,
ich kann nicht glauben, dass ich das tue, aber ich muss. Ich habe ein so großes Geheimnis, dass es mich
wortwörtlich umbringt.«
Thierry beugte sich etwas vor. »Meinst du das
Geheimnis, dass Gideon Chase noch am Leben ist und du sein
Informant bist?«
Ich beobachtete angespannt Georges Reaktion. Er
reagierte nicht sofort.
»Das weißt du?«, stieß er mit erstickter Stimme
hervor.
Ich nickte. »Wir wissen es beide.«
Anstatt augenblicklich aus dem Haus zu fliehen
oder sich mit einem Wortschwall zu rechtfertigen, seufzte er
erleichtert auf. »Gott sei Dank, du weißt es! Ich bin jeden Tag ein
bisschen gestorben. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie das
ist, ein so unglaublich großes Geheimnis für sich zu
behalten!«
»Eigentlich …«, hob ich an, aber George eilte
zur Couch und umarmte mich so fest, dass mir die Luft wegblieb. Er
küsste mich überschwänglich auf die Wange.
Mit dieser Reaktion hatte ich nicht gerechnet.
Ganz und gar nicht.
George umarmte den sehr reservierten Thierry und
ließ sich im Schneidersitz auf den Boden fallen. »Gideon hat mich
erpresst. Er hat gedroht, dich umzubringen, wenn ich ihn nicht über
jeden deiner Schritte informiere, Sarah.«
Obwohl ich es mir schon fast gedacht hatte,
brachte
mich sein Geständnis dennoch aus der Fassung. George war Gideons
Spion. Deshalb wusste er immer, wo ich war und mit wem.
Aber, warte einen Moment…
»Er hat gesagt, er würde mich umbringen?«, fragte ich überrascht.
»Ja! Er hat auch gedroht, Amy umzubringen. Ich
schwöre, dass ich ihm nie geholfen hätte, wenn ich eine andere Wahl
gehabt hätte. Aber ich musste doch meine Mädchen schützen.« Er
zögerte. »Und mich natürlich.«
Thierry stand auf und setzte sich neben mich. Er
nahm meine Hand. »Du hast Gideon also täglich berichtet, wo sich
Sarah aufhält und was sie tut?«
George nickte. »Ich habe ihm so wenig wie
möglich erzählt. Zum Beispiel, dass Quinn wieder in der Stadt ist
und sich mit Sarah trifft.« Er sah uns nacheinander an. »Schon
wieder zwei Männer, Sarah? Ich bin beeindruckt. Ich bin beschämt,
gedemütigt und arbeitslos, aber ich bin beeindruckt.«
»Vergiss Quinn«, sagte ich.
Er hob erstaunt eine Braue. »Vielleicht sollte
ich dir dasselbe sagen.«
»Wieso hast du mir nicht gesagt, was los ist?«
Ich war auf das Schlimmste vorbereitet gewesen, dass George mich
etwa für einen Haufen Geld oder etwas ähnlich Profanes verraten
hatte, aber er war kein guter Lügner. Ich wusste, dass er jetzt die
Wahrheit sagte, und war darüber so erleichtert, dass ich beinahe in
Tränen ausbrach.
»Gideon hat gedroht, dich und Amy umzubringen,
wenn ich nur ein Wort sage.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht
glauben, dass er das gesagt hat.«
»Gideon Chase.« George
sprach den Namen mit zitteriger Stimme aus. »Der Anführer der
Vampirjäger? Hallo? Der ist verrückt. Erwiesenermaßen
geisteskrank. Und wütend. Und groß. Und er hatte jede Menge Narben
und dann, puff, hatte er auf einmal
überhaupt keine Narben mehr. Was hat das alles zu bedeuten? Er hat
mich bedroht und angesichts seiner Vergangenheit war ich nicht
gerade in der Lage, mich mit ihm anzulegen.«
Ich nickte zustimmend. »Er ist verzweifelt.
Klar. Die Schmerzen von dem Höllenfeuer haben ihn dazu gebracht,
anfangs ein paar ziemlich verrückte Dinge zu tun, aber ich weiß
nicht, ob ich ihn als geisteskrank
bezeichnen würde. Nicolai war geisteskrank. Peter war
geisteskrank.« Ein Vampir und ein Jäger, die beide gestorben waren,
als sie versucht hatten, mich umzubringen. »Aber Gideon ist nur …
ich weiß nicht … besessen.«
George, der keine Ahnung von meiner Verbindung
zu dem Jäger hatte, starrte mich nur verwirrt an. »Wovon zum Teufel
sprichst du?«
»Wieso verteidigst du ihn?«, fragte Thierry
ruhig.
»Ich verteidige ihn nicht.«
»Es hörte sich so an.«
Ich schluckte. »Ich sage nur, dass er in seinem
Leben einige Fehler gemacht hat, wobei die reiche Jägerfamilie, aus
der er stammt, nicht gerade hilfreich war. Vielleicht musste er
erst in eine solche Lage geraten – dass er verbrannt wurde und sich
jetzt in einen Vampir verwandelt -, um sich zu ändern.«
»Du hast heute Abend mit eigenen Augen gesehen,
wie er kaltblütig zwei Jäger ermordet hat und beinahe auch mich
umgebracht hätte.«
»Ich weiß.«
»Obwohl er offensichtlich gelogen hat, als er
behauptet hat, irgendwelche Mörder und Spione engagiert zu haben –
abgesehen von George -, hat er dennoch damit gedroht, deine Lieben
umzubringen.«
Georges Augen waren kugelrund. »Was ist hier
los?«
Thierry hob tadelnd eine dunkle Braue. »Das ist
ziemlich klar. Egal, was sie behauptet, Sarah hat sich in den Jäger
verknallt.«
»Wie ich dieses Wort hasse«, sagte ich mit
mulmigem Gefühl im Bauch. »Und es stimmt nicht. Absolut
nicht.«
»Gideon ist sehr intelligent. Er weiß, wie man
Leute manipuliert, damit er seinen Willen bekommt. In Georges Fall
hat er ihn bedroht und ihm Angst gemacht. Bei Sarah hat er mit
Drohungen angefangen, dann aber auf eine Strategie gewechselt, die
er für wirkungsvoller hielt. Hat er dir vielleicht Geschenke
gemacht? Oder Komplimente? Hat er seinen berühmten Charme spielen
lassen? Hast du den Kuss neulich Abend deshalb genossen?«
»Hör auf«, unterbrach George. »Sarah hat Gideon
geküsst? Was zum…«
»Vergiss es, George.« Ich verschränkte die Arme
und fühlte mich von Thierry auf einmal ziemlich unangenehm
durchschaut. »Es war nichts.«
»Deshalb wolltest du die Ausrottung nicht,
stimmt’s?«, fragte George. »Vielleicht wolltest du die weiche Seite
von Gideon nicht vergessen.«
»Ausrottung?«, wiederholte Thierry.
»Hast du es ihm nicht erzählt?«, fragte George.
»Ja. Sarah und ich waren vor ein paar Tagen bei einem jugendlichen
Hexenmeister. Er hätte ihren Fluch brechen können, aber dann wäre
sie wieder zum Menschen geworden und hätte sechs Monate ihres
Gedächtnisses aus ihrem hübschen kleinen Kopf verloren.«
Mein Gesicht erstarrte. »Habe ich vergessen, das
zu erwähnen?«
»Es hat sich nicht ergeben.« Thierrys Stimme
klang kühl. »Aber vielleicht hast du stattdessen mit Gideon darüber
gesprochen.«
Ich glotzte ihn an. »Das kann ich jetzt wirklich
nicht gebrauchen.«
»Was?«
»Diesen Eifersuchtsmist. Ich empfinde nichts für
Gideon. Vergiss das ein für alle Mal, ja?«
Er nickte und stand auf. Die Wärme, die ich
zuvor in seinen Augen gesehen hatte, war eisiger Kälte gewichen.
»Ich glaube, ich gehe jetzt lieber, bevor ich etwas sage, das mir
später leidtut. Ich muss mich um einiges kümmern.«
»Vielleicht darf ich dich daran erinnern«, ich
sah hoch zu ihm, »dass du in letzter Zeit nicht da warst. Mit wem
hätte ich über meine Probleme sprechen sollen? Mit dem Roten
Teufel?«
Als ich sein Alter Ego erwähnte, wurden Thierrys
Augen zu schmalen Schlitzen.
»Bis morgen, Sarah.« Er verließ das Haus, ohne
mich eines weiteren Blickes zu würdigen.
George stand ebenfalls auf und ging in die
Küche, um
zwei vierfache Martinis mit dem restlichen Mondscheintrunk zu
mixen – einer rätselhaften Flüssigkeit, die selbst Vampire in einen
Rausch versetzte, auf die Alkohol normalerweise keine Wirkung mehr
hatte. Er kippte das eine Glas mit einem Schluck hinunter und
reichte mir das andere. Ich kippte es ebenfalls hinunter.
»Das ist ein Anfang«, keuchte ich.
»Bitte sag, dass du nicht in Gideon Chase
verliebt bist«, flehte George. »Ich habe nicht genug Mondschein, um
mit diesem Geständnis zurechtzukommen.«
»Das bin ich nicht.« Ich stieß verzweifelt die
Luft aus. »Ich liebe Thierry, obwohl ich ihn manchmal am liebsten
schütteln würde. Aber …«
»Aber was?«
»Ich mache mir Sorgen, was mit Gideon passiert,
wenn alles vorüber ist. Ich soll ihn morgen um Mitternacht zeugen.
Und ja, er hat mich sowohl mit seinem Charme als auch mit diversen
Drohungen dazu gebracht, das zu tun, was er will. Aber…«
»Aber was?«, drängte er.
Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht.«
»Das ist nicht sehr viel.«
Ich seufzte schwer. »Ach was.«
Ich schlief. Traumlos. Bis auf einen Albtraum, in
dem Thierry versuchte, mich zu erstechen, bevor ich zuerst ihn
erstach. Das Übliche halt. Erschreckend und verstörend, aber
vollkommen normal.
Ich konnte mich noch gut daran erinnern, wie ich
früher von Schuhen geträumt hatte. Davon, wie ich sie alle
anprobiert
hatte, um festzustellen, dass mir alle perfekt passten. Ich
glaube, Prinz Charming kam in diesen Träumen ebenfalls vor. Und
eventuell auch eine Revue mit niedlichen, singenden Mäusen.
Die leidige Realität war, dass der Schuh, egal
wie perfekt er im Regal wirkte, nie passte. Ich konnte meinen Fuß
zwar hineinquetschen und ihn tragen, aber er war unbequem und
eng.
Es war schwer, um sein Leben zu laufen, wenn
einem die Füße wehtaten. Selbst Vampire bekamen Blasen.
Ich erwachte mit einem seltsamen Gefühl, meine
Wange kribbelte. Ich brauchte eine Weile, bis ich herausfand, was
es war, und in meinem Halbschlaf dachte ich, mein Kopfkissen wäre
voll mit freundlichen Bienen.
Aber es war Gideons BlackBerry. Ich hatte ihn
aus Sicherheitsgründen wie einen kalten schwarzen Teddybären mit
ins Bett genommen.
Ich sah auf den Bildschirm.
UNBEKANNTER ANRUFER.
Kurz darauf hörte es auf zu vibrieren. Ich
richtete mich schnell auf. Von wem erhielt Gideon einen Anruf?
Thierry war offenbar davon überzeugt, dass er keine Mörder-Hotline
besaß. George konnte es auch nicht sein. Nicht wenn ihm sein Leben
lieb war.
Und ich war es eindeutig auch nicht.
Als es erneut vibrierte, strich ich mit der
Zungenspitze über meine trockenen Lippen und nahm das Gespräch an.
Ich hielt das Telefon mit zitternder Hand an mein Ohr.
Am anderen Ende herrschte Stille. Dann: »Sarah?
Bist du das?«
Sofort erkannte ich die lebhafte Frauenstimme.
»Amy?«
»Ja. Ich bin’s.«
»Wo bist du?«
»Keine Ahnung. Ich soll einen Augenblick mit dir
sprechen. Wie geht es dir?«
Ich war vollkommen verwirrt. »Wieso rufst du
mich auf dieser Nummer an?«
»Gideon hat sie mir gegeben.« Es folgte eine
Pause. »Weißt du, nach allem, was ich über ihn gehört hatte, habe
ich etwas ganz anderes erwartet. Aber er ist eigentlich supernett,
findest du nicht?«
Mein Hals war wie zugeschnürt, und ich hatte
Schwierigkeiten zu atmen. »Gideon hat dich entführt?«
»Er hat mich gestern geschnappt, als ich eine
Pause von der Arbeit gemacht habe. Erst war ich ein bisschen
überrascht. Vielleicht habe ich etwas geschrien, als er mich
gepackt hat, aber dann hat er mir etwas zur Entspannung
gegeben.«
Ich hielt das Telefon fest umklammert. »Er hat
dich unter Drogen gesetzt?«
»Keine Ahnung, was das war, aber jetzt bin ich
ganz locker und gut drauf. Total entspannt. Sag Barry, dass es mir
gut geht, okay? Ich weiß, dass er sich Sorgen macht.«
Ich hörte ein raschelndes Geräusch. Ich wartete
und vergrub die Hand in den Laken, bis meine Knöchel so weiß wie
die Bettwäsche waren.
»Sarah…«, begrüßte Gideon mich mit seiner tiefen
Stimme. »Wie geht es dir heute nach unserem aufregenden Abend
gestern?«
»Was fällt dir ein? Du hast gestern Morgen Amy
entführt
? Das war lange bevor das gestern Abend passiert ist.«
»Ich sichere mich gern ab, nur für alle Fälle.
Wie du hörst, geht es ihr wunderbar.«
»Nur weil sie unter Drogen steht.« Ich
versuchte, normal zu atmen. »Lass sie gehen.«
»Wieso sollte ich das tun?«
»Weil das nicht nötig ist.«
»Leider doch. Ich würde dir zu gern vertrauen,
aber du hast mir gestern ein für alle Mal bewiesen, dass das nicht
geht.« Ich hörte eine seltsame Enttäuschung aus seiner Stimme. »Ich
kann nicht zulassen, dass sich mir irgendetwas in den Weg stellt.
Und wenn ich deine kleine blonde Freundin benutzen muss, damit
heute Nacht alles glattläuft, dann werde ich das tun.«
Ich schüttelte den Kopf. »Du kannst mir
vertrauen.«
»Du hast im Hotel versucht, mich zu verführen,
um mir meinen BlackBerry zu klauen …«
»Verführen würde ich das nicht nennen.«
»Du unterschätzt dich. Dann hast du ihn mir bei
der erstbesten Gelegenheit in der Gasse weggenommen. Hast du
gefunden, was du gesucht hast?«
Da ich mit ihm über das Gerät sprach, konnte ich
schlecht leugnen, dass es in meinem Besitz war. »Du musst das Ding
verloren haben. Ich wollte es dir wiedergeben. Oh, und übrigens tut
es mir wirklich leid, was gestern passiert ist. Ich wollte dich
nicht …«
»Beißen?«, beendete er den Satz für mich. »Wenn
dein Nachtwandler die Regie übernimmt, bist du eine vollkommen
andere Frau, stimmt’s?«
Ich stieß die Luft aus. »Jetzt weißt du, wieso
ich einen Weg finden muss, diesen Fluch zu brechen.«
»Im Gegenteil. Wenn man richtig mit ihr umgeht,
halte ich deine dunkle Seite für einen großen Gewinn. Ich beneide
dich um dieses andere Ich, Sarah. Ich wünschte, ich hätte etwas
Ähnliches.«
Ich spannte meine Kiefermuskeln an. »Dann war es
wohl ein Fehler, die Hexe umzubringen, die mich verflucht hat. Sie
hätte dir einen eigenen kleinen Nachtwandler besorgen können.« Der
Honig verwandelte sich allmählich in Essig. »Du musst Amy
freilassen. Sofort.«
»Du bist ein Mädchen, für das ein Nein keine
Antwort ist, was? Darf ich dich fragen … ob du über alles mit
meinem guten alten Freund George gesprochen hast? Nachdem du deine
geschickte kleine Hand in meine Hosentasche geschoben und mir mein
Telefon gestohlen hast, weißt du vermutlich, dass wir in Kontakt
standen.«
Ich straffte mich. »Vielleicht.«
»Du kannst George haben. Unter der Bedingung,
dass du ihm nichts weiter erzählst. Betrachte sein Leben als
Geschenk von mir. Schmuck willst du ja nicht. Außerdem kann ich es
mir ab jetzt wohl sparen, dir mit falschen Mördern zu drohen. Ich
habe jetzt etwas viel Handfesteres – Amy.«
»Was willst du, Gideon?«, wollte ich
wissen.
»Was ich immer gewollt habe. Dass du mich um
Mitternacht zeugst.«
»Das mache ich.«
»Natürlich wirst du das. Außerdem wirst du
sofort zu
meinem Hotelzimmer kommen. Hier ist etwas Wichtiges, das du sehen
solltest.«
Dann war die Leitung tot.