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Keine Musik. Nur das Brummen des Motors und der Wind. Die einzigen Geräusche, an die man sich klammern konnte, während der Wagen durch endlose weiße Rauchwolken fuhr und Furcht das Wageninnere erfüllte. Lena konnte die Straße nicht erkennen. Nichts als ein Scheinwerferpaar vor sich. Es gehörte zu einem Lastwagen und tauchte immer wieder aus dem Dunst auf, um dann wieder zu verschwinden. Ein Geisterfahrzeug, das schwer beladen durch den Qualm in Richtung Hollywood keuchte. Als sie endlich die Ausfahrt Beachwood erreichte und langsam in die Hügel hineinfuhr, hörte sie auf, immer wieder in den Rückspiegel zu schauen. Fünf Minuten später bog sie in ihre Einfahrt ein und stellte den Motor ab. Aber der Schreck saß ihr immer noch in den Gliedern.

Jemand hatte die Außenbeleuchtung angelassen. Die Fenster waren dunkel, doch draußen brannte Licht.

Ein Schauder überlief sie, als sie ihr in Schwaden gehülltes Haus betrachtete. Das Dach war zwar inzwischen mit einer Plane abgedeckt worden, aber Lena hatte Zweifel, ob die wohl die Nacht überstehen würde. Am Schlafzimmerfenster hatten sich die Fensterläden aus der Halterung gelöst und knallten nun gegen den Fensterrahmen. Als sie das Absperrband rings um das gesamte Erdgeschoss bemerkte, stieg sie aus.

Eine Weile beobachtete und lauschte sie reglos.

Seit sie Martin Fellows’ Fotosammlung kannte, hatte sie den Gedanken ans Nachhausefahren verdrängt, sich mit dem Fall beschäftigt und allen versichert, er habe sie nicht angerührt. Doch als sie nun auf ihr beschädigtes Haus starrte, wurde ihr klar, was sie sich selbst nicht hatte eingestehen wollen.

Fellows war es gelungen, bei ihr einzubrechen. Was sie für einen Albtraum gehalten hatte, war Wirklichkeit gewesen. Im Halbschlaf hatte sie Fellows in ihrem Schlafzimmer stehen sehen.

Lena wandte sich zur Straße und lauschte auf Rhodes’ Auto. Sie musste sich unbedingt beruhigen. Sich zusammenreißen.

Jemand hatte eine Visitenkarte an ihre Eingangstür geklemmt. Lena trat aus dem Schatten, nahm sie und hielt sie ans Licht. Sie stammte von ihrem alten Partner Pete Sweeney aus Hollywood. Er hatte eine Nachricht darauf notiert. Drei einfache Worte. Ruf mich an.

Lena steckte die Karte ein und strich mit der Hand über ihre Pistole, um sich zu vergewissern, dass sie noch da war. Dann schlich sie in den Garten und ließ den Blick über den Pool und die Stufen hinauf zum Liegestuhl schweifen. Es war niemand zu sehen. Die Handtücher lagen noch hinter dem Blumenkübel. Martin Fellows war nicht hier. Obwohl sie das auch nicht erwartet hatte, wollte sie auf Nummer sicher gehen.

Sie schlich ums Haus herum und überprüfte Fenster und Türen. Alles schien in Ordnung zu sein. Zurück auf der Treppe, durchtrennte sie das Absperrband mit ihrem Schlüssel und schloss auf.

Als eine Fliege durchs Zimmer surrte, fiel ihr kurz ein, dass das Fliegengitter im Schlafzimmer ein Loch hatte und ersetzt werden musste.

Sie machte Licht in der Küche. Im Mülleimer entdeckte sie eine mit Fingerabdruckpulver verschmierte Küchenrolle. Offenbar war Sweeney mit der Spurensicherung hier gewesen und hatte dafür gesorgt, dass zur Abwechslung nach der Untersuchung sauber gemacht wurde. Im Schlafzimmer kontrollierte Lena Wandschränke und Bad und ging dann nach oben, um einen Blick ins Gästezimmer zu werfen. Niemand da bis auf die Fliege, die ihr durchs Haus folgte.

Sie holte tief Luft. Als sie in die Küche zurückkehrte, war sie schon ein wenig ruhiger. Obwohl sie wusste, warum man ihr Haus als Tatort behandelt hatte – schließlich war Martin Fellows hier gewesen -, verstand sie nicht, warum ihr das nicht mitgeteilt worden war. Lena griff zum Telefon und wählte Sweeneys Mobilfunknummer. Offenbar hatte er auf ihren Anruf gewartet, denn er nahm sofort ab, obwohl es schon nach Mitternacht war.

»Alles in Ordnung, Lena?«

»Prima.«

»Hört sich aber nicht so an.«

Sie ging nicht darauf ein. »Von wem kam der Befehl?«

»Von deinem Chef Barrera. Er rief uns an, nachdem die Kollegen von der Spezialeinheit in West Hollywood gefunden worden waren, und bat mich um einen Gefallen. Ich und Banks haben uns freiwillig gemeldet.«

»Warum hast du mich nicht angerufen?«

»Er hat es uns verboten. Du hättest schon genug um die Ohren.«

»Und was soll das Band rund ums Haus?«

»Barrera wollte zwar nicht, dass wir dir Bescheid geben, aber ich habe ihm die Begründung nicht ganz abgenommen. Es sollte ein Zeichen dafür sein, dass wir hier gewesen sind. Außerdem eine Warnung. Wer bricht schon in einen Tatort ein?«

Seine Stimme erstarb. Sweeney machte sich Sorgen um sie. Das konnte Lena hören.

»Ist auch sicher alles in Ordnung?«, wiederholte er.

Lena ertappte sich dabei, dass sie hin und her lief. Sie zwang sich, auf einem Barhocker Platz zu nehmen.

»Habt ihr was gefunden, Pete?«

»Eine Menge verschmierter Fingerabdrücke, wahrscheinlich deine. Aber ich glaube, ich weiß, wie er reingekommen ist. Ein Fensterriegel im ersten Stock war aufgebrochen. Da wir keine Zeit hatten, in den Baumarkt zu fahren, habe ich das Fenster zugenagelt. Ich komme gern vorbei und repariere es, wann immer es dir passt.«

Im Hintergrund hörte sie ein Motorengeräusch. Sweeney saß im Auto.

»Bist du auf dem Heimweg?«

»Davon kann ich nur träumen, Lena. Heute Nacht arbeiten wir durch. Jemand hat eine Leiche im Griffith Park gemeldet, und jetzt können wir sie nicht finden. Wir sehen nicht einmal die gottverdammte Straße. Na, da werden wir wohl weitersuchen müssen.«

Seine lockere Art vermittelte ihr Geborgenheit. Lena bedankte sich und schaltete das Telefon ab. Als sie auf die Uhr an der Mikrowelle sah, fragte sie sich, ob Novak wohl gut nach Hause gekommen war, und überlegte, ob sie ihn anrufen sollte. Allerdings lagen ihr Aktenkoffer und der Karton mit den Beweisstücken noch im Auto. Außerdem ging ihr das Klappern des Fensterladens gegen die Hausmauer auf die Nerven. Also legte sie das Telefon weg und ging ins Schlafzimmer.

Die Fensterläden waren original antik. Lena benutzte sie nie, weil sie wegen des Fliegengitters schwer zu erreichen waren. Hinzu kam, dass es Verschwendung gewesen wäre, sich die schöne Aussicht zu versperren. Als sie ums Bett herumtrat, sah sie, wie der Wind die schweren Holzläden aufwehte und wieder zuknallen ließ. Sie knipste die Nachttischlampe an, öffnete den Riegel und schob das Fenster hoch. Nach einem Blick auf das Loch im Fliegengitter stemmte sie es mühsam aus dem Rahmen, zwängte es ungeschickt durch das Fenster und lehnte es an die Wand. Dann griff sie hinaus in die Dunkelheit und krallte die Finger in die Lamellen, als der Fensterladen auf sie zuwehte.

Sofort bemerkte sie, dass etwas nicht stimmte, konnte es jedoch nicht einordnen. Etwas blitzte in der Dunkelheit auf. Ein funkelnder Gegenstand im Holz.

Lena zog den Fensterladen an den Rahmen, hielt ihn fest und griff nach der Tischlampe. Als ihr Blick durch das Loch auf den metallenen Gegenstand fiel, der sich tief in das Holz eingegraben hatte, rutschte ihr der Fensterladen aus der Hand. Sie sah zu, wie der Fensterladen nach außen und dann wieder auf sie zuschwang.

Ihre Knie gaben nach, und kurz wurde ihr schwarz vor Augen.

Das Loch im Fliegengitter deckte sich mit dem in dem hölzernen Fensterladen. Seit fünf Jahren betrachtete sie nun schon dieses Fliegengitter, ohne es zu reparieren. Sie hörte etwas im Wind. Es klang wie die klagende Stimme ihres Bruders.

Ihre Beine waren weich wie Gelee, als sie sich mühsam aufrappelte. Nachdem sie ein Steakmesser aus der Küche geholt hatte, zog sie die Fensterläden zurück und verriegelte sie. Sie klapperten, und Rauch waberte durch die Lamellen ins Zimmer. Es war, als wollte das Feuer ihr Haus verschlingen, das nun wirklich ein Tatort war.

Ohne auf die Stimmen im Wind zu achten, kratzte Lena das Holz rund um das Loch weg und bohrte die Klinge immer tiefer hinein, bis das kleine Metallstück nach einer ruckartigen Bewegung endlich heraussprang. Lena hielt es auf der Handfläche ans Licht.

Es war eine Kugel. Aus einer.38er. Und nach dem Verwitterungsgrad der Holzsplitter auf dem Boden zu urteilen, war sie etwa fünf Jahre alt.

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