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Als Lena um die Ecke bog und das Großraumbüro betrat, schlug ihr eine Mauer aus Schweigen entgegen, das so dicht war, dass es ihr in ihren Ohren gellte. Keiner der zehn oder zwölf Detectives im Raum blickte auf, doch sie wusste, dass ihre Ankunft keinem von ihnen entgangen war.

Nur ein einziges Augenpaar war auf sie gerichtet. Novak saß an seinem Schreibtisch und sah sie mitfühlend und besorgt an. Auf dem Weg den Mittelgang entlang warf sie einen Blick auf Rhodes. Allerdings nur einen kurzen, um den Abstand zwischen ihnen nicht in Metern, sondern in Kilometern zu berechnen.

Im nächsten Moment hörte sie lautes Gebrüll.

»Gamble! Sofort! Hierher!«

Es war Lieutenant Barrera.

Lena ließ den Aktenkoffer auf ihren Schreibtisch fallen und schaute noch einmal zu Rhodes hinüber, bevor sie sich an Novak wandte.

»Kein Wort zu ihm«, flüsterte sie. »Wir müssen reden.«

»Ich warte, Gamble«, rief Barrera.

Als Lena das Büro das Captain betrat, hörte sie, wie hinter ihr die Glastür zugeknallt wurde.

»Setzten Sie sich, Detective.«

Barrera lief, offenbar zu aufgebracht, um ihrem Beispiel zu folgen, vor dem Konferenztisch auf und ab. Sein Gesicht war inzwischen nicht mehr gerötet, sondern eher violett, so sehr schien er inzwischen in Rage zu sein. Als er sich über den Tisch hinweg drohend zu Lena hinüberbeugte, sah sie eine Ader an seinem Hals pochen.

»Es ist mir scheißegal, für wie schlau Sie sich halten«, begann er. »Ich habe Ihnen gestern einen Befehl gegeben, den Sie zur Kenntnis genommen haben. Ich möchte, dass Sie diesen Befehl wiederholen.«

Lena erwiderte seinen Blick, wohl wissend, dass es ratsam war, die Standpauke wortlos über sich ergehen zu lassen. Sie durfte ihm nicht sagen, was sie in Erfahrung gebracht hatte. Barrera würde ihr niemals glauben. Und wenn Rhodes dahinterkam, würde er sich rächen. Jemand, der zwei unschuldige Menschen umbringen konnte, um den Mord an ihrem Bruder vor fünf Jahren zu vertuschen, würde sicher wieder töten. Schließlich wurde die Liste der Geheimnisse, die geschützt werden wollten, immer länger.

»Wie lautete der Befehl, Gamble?«

»Sie wollten, dass ich der Pressekonferenz beiwohne und dort eine Rede halte, die jemand im fünften Stock für mich vorbereitet hatte, Lieutenant.«

Er sah sie argwöhnisch an. So wütend er auch sein mochte, war das die Wahrheit, und sie merkte ihm für einen Sekundenbruchteil an, dass ihm die Absurdität dieses Befehls ebenso bewusst war wie ihr.

»Hören Sie, Gamble, mir ist klar, dass es nicht leicht für Sie war. Wenn jemand, den ich bis jetzt für einen Freund gehalten habe, ein Mitglied meiner Familie umbringen würde, wäre ich auch mit meinem Latein am Ende.«

Lena blinzelte. Barrera sprach zwar von Holt, doch Rhodes war ebenfalls ein Freund gewesen.

»Doch selbst wenn man die besonderen Umstände berücksichtigt«, fuhr Barrera fort, »ändert das nichts an Ihrer Position und Ihren Aufgaben. Das hier ist eine Eliteeinheit. Wir befolgen Befehle, richtig?«

Sie nickte, wurde aber den Gedanken nicht los, dass es eigentlich um etwas anderes ging als darum, dass sie gestern die Pressekonferenz geschwänzt hatte.

»Wenn ich sage, dass Sie springen sollen, springen Sie, Gamble, oder Sie fliegen hochkant raus. Ich habe Ihre Beförderung und Ihre Versetzung aus Hollywood befürwortet, weshalb ich Ihnen Ihr Verhalten besonders übel nehme. Sie haben mich öffentlich blamiert. Falls ich Sie also rausschmeißen sollte, werde ich persönlich dafür sorgen, dass Sie bei der Polizei keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen. Wir befolgen Befehle, verstanden? Und zwar alle Befehle. Und wir halten uns nur an die Fakten. Wenn wir die Laborergebnisse kriegen, sind sie so gut wie ein Befehl. Es ist, als kämen sie von Gott. Wir haben ein Problem, Gamble. Nicht zwei Probleme, sondern nur eins. Und dieses verdammte Problem heißt Romeo. Ist das klar?«

Jemand klopfte an die Tür und machte auf. Barreras Kopf fuhr hoch. Als Lena sich umdrehte, sah sie Novak und Upshaw, den Informatiker von der Abteilung Computerkriminalität.

»Entschuldigen Sie, Lieutenant«, sagte Novak. »Ich brauche Lena, und zwar sofort.«

»Was ist?«, fragte Barrera, um Fassung bemüht.

»Vielleicht haben wir Romeos Motiv für den Mord an Charles Burell.«

»Zeigen Sie her«, erwiderte er.

Upshaw trat vor Novak ein und legte das Foto einer nackten Frau auf den Konferenztisch.

»In der Nacht, in der er Nikki Brant ermordete, hat Romeo zwei Porno-Webseiten besucht«, erklärte Upshaw. »Wir können zwar unmöglich feststellen, was er dort genau getrieben hat, doch diese Frau ist als Einzige auf beiden Webseiten zu sehen.«

Candy Bellringer. Lena erkannte das Gesicht sofort. Bellringer war die schwarzhaarige Frau, die es bei Lenas erstem Besuch der Webseite mit Burell auf dem Sofa getrieben hatte. Leider gehörte Bellringer zu den Frauen, die in Romeos Wirkungsbereich lebten und sich nicht gemeldet hatten.

»Haben Sie mit ihr gesprochen?«, erkundigte sich Barrera.

Lena schüttelte den Kopf. »Wir konnten sie bis jetzt nicht erreichen.«

»Sie ist die beliebteste Darstellerin auf Burells Webseite«, ergänzte Upshaw. »Fünfzehnhundert Klicks mehr als alle ihre Kolleginnen. Sie ist mir deshalb aufgefallen, weil die meisten ihrer Fans in L. A. wohnen. Die Anhänger der anderen Frauen leben breiter verstreut. Und dann ist da noch ihr linker Fuß.«

Lena betrachtete das Foto und bemerkte den Zehenring.

»Das ist die Zehe, die Romeo seinen Opfern abschneidet«, sagte Novak. »Die zweite Zehe am linken Fuß.«

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